Lebendige Seelsorge 3/2017

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Lebendige Seelsorge 3/2017
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THEMA

FußEssen, Glauben und Genuss

Ein ernährungssoziologisches Essay zu christlichem Leben und alimentärer Praxis

Von Daniel Kofahl

Fest und Mahl

Von Guido Fuchs

Das Festmahl im Wandel

Die Replik von Daniel Kofahl auf Guido Fuchs

Die Freude am Fest

Die Replik von Guido Fuchs auf Daniel Kofahl

„Der Mensch ist, was er isst“

Von Michael H. Schoenberg

PROJEKT

Es gibt Wunder jeden Tag

Von Ilka Sobottke

INTERVIEW

Unser tägliches Brot

Ein Gespräch mit Oliver Raferzeder

PRAXIS

Am Essen werden die Christen erkannt

Vergessene Identitätsmerkmale des Urchristentums

Von Martin Ebner

Spaßverderberei?

Der Trend zu ethischer Ernährung und die Sehnsucht nach Sinn

Von Michael Rosenberger

Gabenökonomie und das Bedürfnis nach Nahrung – Erfahrungen aus Berkeley, USA

Von Andrea Trenkwalder-Egger

Von Orten, Menschen und Nahrungsproduktion

Die Perspektive von Nahrungserzeuger/innen im ländlichen Raum

Von Josef Holzbauer

Essstörungen – wenn Probleme zur Sucht werden

Von Anna Steinpatz

FORUM

„Wir haben keine Zuhörer, sondern Zuschauer.“

Aspekte inklusiven Predigens. Ein Beitrag aus dem Kontext Gehörlosengemeinde

Von Ilona Nord

POPKULTURBEUTEL

Poesie der Meteorologie

Von Stefan Weigand

NACHLESE

„Die Re-education begann mit dem Kaugummi“

Von Tilman Allert

Wunder Roms

Blicke von Literaten auf die Ewige Stadt

Von Erich Garhammer

Glosse von Annette Schavan

Buchbesprechungen

Impressum


Hildegard Wustmans Mitglied der Schriftleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieses Heft thematisiert etwas Alltägliches und zugleich Lebensnotwendiges: Essen. Dabei geht es uns um mehr als Nahrungsaufnahme. Was wir essen und mit wem wir essen, kommt immer auch einem Statement gleich. Wir bieten Ihnen in diesem Heft diese unterschiedlichen Facetten zum Thema gleichsam wie ein Buffet an und hoffen, dass es für Sie Genussvolles bereithält. In den Eingangsbeiträgen thematisieren Daniel Kofahl und Guido Fuchs aus ernährungssoziologischer und theologischer Perspektive Zusammenhänge von Essen und Religion, von Fest und Mahl. Der Mediziner Michael H. Schoenberg weist darauf hin, wie wichtig die richtige Ernährung während und nach einer Krebstherapie ist. Essen in einem Kirchenraum anzubieten ist Ausdruck einer Kirche, die ihren Standpunkt vor Gott und den Menschen in der Welt gefunden hat. Konkret wird dies, wie Ilka Sobottke berichtet, im Projekt Vesperkirche in Mannheim.

Im Interview mit Oliver Raferzeder erfahren wir vom Mut eines jungen Unternehmers, eine Bäckerei zu eröffnen, damit Brot wieder seinen Wert bekommt. Der Exeget Martin Ebner zeigt auf, dass das gemeinsame Mahl ein wesentliches und herausfoderndes Identitätsmerkmal für Christ/innen ist. Weil Menschen zur Befriedigung ihres Hungers Leben zerstören, ist es erforderlich darüber nachzudenken, wann und wie dieses Handeln gerechtfertigt werden kann. Dieser Fragestellung geht der Moraltheologe Michael Rosenberger in seinem Beitrag nach. Andrea Trenkwalder-Egger beschreibt, wie die Gabenökonomie in der US-amerikanischen Zivilgesellschaft umgesetzt wird und welche Impulse daraus für die soziale Arbeit gezogen werden können. Um eine gute Produktion von Nahrungsmitteln, die auf den Bauernhöfen ihren Anfang nimmt, gewährleisten zu können, braucht es nach Meinung von Josef Holzbauer nicht nur einen Struktur-, sondern einen Kulturwandel. Essen hält Leib und Seele zusammen, aber es kann auch ein Bereich sein, in dem sich Konflikte und Störungen manifestieren. Anna Steinpatz beschreibt die Dynamiken von Essstörungen und geht dabei auch der Frage nach, wie Theologie und Pastoral darauf reagieren können. Als Nachschlag darf ich Ihnen die Beiträge von Ilona Nord über inklusives Predigen und den Beitrag von Tilman Allert über den Kaugummi empfehlen. Liebe Leser/innen, es ist für Sie aufgetischt.


Ihre

Prof. Dr. Hildegard Wustmans

Essen, Glauben und Genuss

Ein ernährungssoziologisches Essay zu christlichem Leben und alimentärer Praxis

Dass Menschen essen und trinken müssen, ist unbestritten, doch wie die Menschen damit umgehen, ist abhängig von der Kultur, in der sie leben und ebenso von ihrem Glauben. Auch die christliche Religion stellt das Alimentäre immer wieder ins Zentrum ihrer Theologie und Glaubenspraxis, was aus ernährungssoziologischer Sicht sehr spannend ist. Daniel Kofahl

Wenn Christen ihr wohl wichtigstes Grundgebet, das Vaterunser, sprechen,lobpreisen sie nicht nur Gott, den Allmächtigen, oder hoffen auf Vergebung für ihre Sünden. Sie erbitten sich darüber hinaus auch etwas Brot als tägliche beziehungsweise auch als alltägliche Speise. Sicher, für manch einen mag es sich bei diesem „täglich Brot“ allein um geistige Nahrung handeln. Doch dieser Interpretationsspielraum erscheint letztendlich zu eng.

Die alimentäre Grundversorgung ist dem christlichen Bekenntnis ein ebenso wichtiges Fundament wie der gelebte spirituelle Glaube. Dieser kann schließlich nur dann ein lebendiger Glaube sein, wenn er auch auf der stofflich-materiellen Ebene lebendige Gläubige vorfindet, die ihn tragen und leben können. Nicht umsonst engagieren sich christliche Organisationen wie das Bischöfliche Hilfswerk Misereor explizit gegen die materielle Armut der Menschen. Dieses Engagement schließt den Kampf gegen Ernährungsarmut als basale Hilfe und Nächstenliebe mit ein.

Doch wie steht es um weitergehende Bedürfnisse und Befriedigungen, die sich ebenfalls um die Ernährungspraxis herum entwickeln können? Es ist schließlich eine der ganz wenigen anthropologischen Universalien, dass es allen Menschen eigen und gemein ist, essen und trinken zu müssen (vgl. Simmel). Da ist es wenig verwunderlich, dass sich noch weitere Aspekte, vor allem zahlreicher Genüsse, um das Phänomen des Essens und Trinkens entwickelt haben. Diese lohnt es, als Gemeinschaft strukturierende Einflüsse näher zu beleuchten.

ESSEN UND TRINKEN ALS INKLUSIONS-UND EXKLUSIONSMECHANISMUS

Alle Menschen müssen regelmäßig essen und trinken, zumindest, wenn sie mittelfristig überleben wollen, und das verbindet die Menschen miteinander. Es verbindet sie über alle Zeiten, alle Orten und alle Kulturen miteinander. Beim gemeinsamen Mahl kann man zusammenfinden, es kann „eine Häufigkeit des Zusammenseins“ entstehen, die „eine Gewöhnung an das Vereinigtsein knüpft, wie sie durch höher gelegene und geistige Veranlassungen nur selten erreichbar ist“ (Simmel, 69f.). Dies bedeutet so viel wie, dass nicht jedermann ein begeisterter Hörer von gregorianischen Chorälen oder konzentrierter Rezipient neuscholastischer Texte ist oder sein muss. Doch andersherum müssen sowohl der Choralsänger und auch der Scholastiker ab und an einen Bissen essen und einen Schluck trinken und sich so mit den anderen Menschen gemein machen. Essen und Trinken eignet sich also hervorragend als Integrations- und Inklusionsrahmen.

Daniel Kofahl

Dr., Ernährungssoziologe, leitet das Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur (APEK); Lehrbeauftragter für Ernährungssoziologie an der Universität Wien; ist selbst römisch-katholisch getauft und beschäftigt sich immer wieder mit religiösen Aspekten von Ernährung aus kulturwissenschaftlicher Perspektive; mehr Infos unter www.apek-consult.de/team/dr-daniel-kofahl/

Der christliche Glaube und die auf ihm errichtete Kirche stehen immer wieder im Verdacht, besonders genussfeindlich zu sein.

Der alimentären Sphäre zu Lebzeiten zumindest nie ganz entkommen zu können, ist ein Umstand, der gerade die besonders asketisch ausgerichteten Gläubigen durchaus zu plagen weiß. Zum Beispiel Kirchenvater Augustinus (354-430) konnte sich in seinen Bemühungen, allen weltlichen Gelüsten zu entsagen, vieles verkneifen, etwa eine praktizierende Sexualität, doch beim Essen wurde es schwierig: „Solchen Versuchungen ausgesetzt, kämpfe ich täglich gegen die Begier zu essen und zu trinken. Denn da gelingt es nicht, mit einem einzigen Willensakt Schluss zu machen und nicht mehr darauf zurück zu kommen, wie ich es bei der Sexualität konnte. So muss ich den Gaumen maßvoll die Zügel mal lockern und mal straffen. Und welcher Mensch, Herr, ließe sich nicht gern einer Kleinigkeit wegen über die Grenzen des Notwendigen fortreißen?“ (zitiert nach Heckmann, 55).

 

Selbstverständlich kann man sich, selbst wenn man bemerkt, dass man essen und trinken muss, zumindest immer noch aus der genussstiftenden Gemeinschaft der Essenden so weit wie möglich herausziehen. Hierin liegt dann auch der andere große soziologische Aspekt der Mahlzeit: man kann über ein Mahl eben nicht nur einschließen, sondern auch ausschließen. Es ist zum einen möglich, sich selbst auszuschließen, indem man beschließt, nicht mehr teilzunehmen an den Speisen und Riten einer Gruppe, die einem prinzipiell offenstünden. Oder aber man kann jemanden ausgrenzen, ihm den gastronomischen Zutritt oder die kulinarische Teilhabe verwehren an der Ernährungskultur oder der esskulturellen Erfahrung. Gewollt oder nicht, auch Exklusionen finden über die Ernährungspraxis statt, sei es, wenn ein Kind vom Tisch geschickt wird, weil es sich ungezogen benommen hat, sei es, wenn jemand keine Einladung zu einem privaten Essen erhält oder er kein Geld hat, für ein öffentliches zu bezahlen, oder sei es, weil Speisen kredenzt werden, die in einer anderen Esskultur moralisch verwerflich sind.

GENUSSSÜNDEN UND IHRE FOLGEN

Der christliche Glaube und die auf ihm errichtete Kirche stehen immer wieder im Verdacht, besonders genussfeindlich zu sein. Und das auch nicht ganz zu Unrecht. Eine asketische Lebenshaltung voller Entsagungen, fernab aller sündhafter Versuchungen, scheint auf dem Weg ins jenseitige Himmelreich vielversprechender zu sein als ein durch weltliche Götzen ausgelöster Sinnestaumel. Man denke nur an den Sündenfall im Paradies, der schlimme Folgen nach sich zog.

Doch gerade dieser erste Akt menschlichen Versagens vor den aufgestellten Regeln des großen Anderen, vor Gott, ist aus Sicht der Ernährungssoziologie, die sich anschauen will, wie mittels bestimmter Formen des Essens und Trinkens gemeinschaftliches Leben organisiert wird, durchaus interessant. Sicher, Gott hatte Adam und Eva strengstens verboten vom Baum der Erkenntnis zu essen, mit dem Tod wurde ihnen sogar gedroht, sollten sie es doch tun. Doch was unternimmt Gott, um diese kostbaren Früchte zu schützen? Er zieht keinen Graben, er baut keine Mauer um den Baum herum, kein Engel mit Schwert bewacht ihn. Stattdessen heißt es: „Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden“ (Gen 3,6). Heutzutage würde man sagen, die Früchte des Baums der Erkenntnis waren quasi mit dem Label „Superfoods“ ausgezeichnet worden. Als dann dieses Produkt auch noch von dem zweifelhaftesten aller Produktbotschafter, der diabolischen Schlange, beworben wird, hätte es schon nahezu übermenschliche Fähigkeiten gebraucht, um so einer schmackhaften, augenfälligen und das Bewusstsein erweiternden Speise widerstehen zu können. Wie die Geschichte ausging, ist bekannt: Eva „nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.“

In diesem Akt und all seinen Folgen wird bereits der Teil der Ambivalenz des christlichen Glaubens zum nutritiven Genuss sichtbar. Es gibt sie, die von Gott in der Welt geschaffenen Verlockungen und sie zu verzehren kann furchtbare Folgen haben. Auch wenn man vielleicht nicht jedes Mal gleich aus einem Paradies verwiesen wird, von Bauchgrummeln bis gieriger Völlerei ist vieles denkbar, wenn man erst einmal einer besonderen Speise oder einem speziellen Trank zugetan ist.

Auf der anderen Seite muss man anerkennen, dass erst durch den Sündenfall der Mensch zum Mensch geworden ist. Er ist nun im schlechtesten, aber auch im besten Sinne des Wortes menschlich. Und er hat die Fähigkeit zur Erkenntnis erlangt. Immer wieder stellt sich die Frage, was das für eine Existenz des Menschen wäre, ohne diese Eigenschaft leben zu müssen oder leben zu dürfen. Und auch Gott, der durch sein ausgefeiltes Produktdesign nicht ganz unschuldig zu sein scheint an dieser Ursünde, beginnt seinen großen, bis in die Gegenwart andauernden Dialog mit den Wesen, die ihm doch ähnlich, aber niemals gleich sein werden, erst nach dem verhängnisvollen Naschakt.

Dennoch, der Schock über die begangene Verfehlung aus Schwäche heraus und die anschließende Strafe sitzen tief im kollektiven Bewusstsein der menschlichen Kultur. Wer so etwas erlebt und die Folgen bewusst realisiert – erkennt – wird wohl in den meisten Fällen zwangsläufig vorsichtig, eventuell sogar schreckhaft. Die Schönheit der göttlichen Schöpfung wird gegebenenfalls wahrgenommen, mit Worten und in Gebeten gepriesen, aber wird sie auch aus- beziehungsweise verkostet?

GENUSS UND LOBPREIS

Die Heilige Schrift des Islams, der Koran, ist da ganz klar und sogar imperativ in seiner Botschaft. In Sure 2, Vers 172 heißt es dort: „O die ihr glaubt, esst von den guten Dingen, die wir euch gnädig zur Verfügung gestellt haben, und dankt Allah. Wahrlich, dann seid ihr seine Diener.“ Hier wird also explizit dazu aufgerufen, die Schöpfung Gottes auch auf dem alimentären Weg durch den Verzehr und den dankbaren Genuss zu lobpreisen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die ausgiebigen Mähler, die zelebriert werden, wenn das Fasten des Ramadans gebrochen wird. Was wird da nicht alles aufgetischt! Dabei ist es gar nicht zwangsläufig notwendig, dass sich die christliche Praxis hier im Vergleich im hungrigen Büßerhemd versteckt. Kirchenvater Augustinus bemerkt es im oben aufgeführten Zitat selbst, dass er dem Essen und Trinken und deren Genüssen nicht ganz entfliehen kann. Warum hätte Gott dies so einrichten sollen, wenn er nicht wollen würde, dass ihnen hin und wieder nachgegeben wird? Seinen Sohn, Jesus, schickt er auf die Welt, um dort Wunder zu wirken und Zeugnis seiner Liebe zum Menschen abzulegen und was ist das erste Wunder, welches Jesus vollbringt? Weder ist es die Heilung eines Kranken noch die Vergebung großer Sünden. Sein erstes Wunder vollbringt Jesus auf der Hochzeit zu Kana, wo er geschmacksneutrales Wasser in Wein verwandelt. Und er verwandelt ihn nicht in irgendwelchen Wein, sondern es wird ausdrücklich von einem guten Wein gesprochen. Jesus scheint darum zu wissen, wie man ein integratives, ein inkludierendes Festmahl geschmack- und genussvoll zu gestalten hat. Solche alimentären Unterfütterungen integrativer Festlichkeiten finden sich vielfach in der christlichen Kirche. Selbstverständlich geht es am Osterfest zuvorderst um die Auferstehung Jesu Christ und an Weihnachten um seine Geburt. Aber um die Besonderheiten dieser Anlässe zu feiern und um transzendent-spirituelle Glaubensinhalte mit dem stofflich-materiellen irdischen Leben zu verknüpfen sowie die Gemeinschaft der Gläubigen zu festigen und mit größtmöglicher Integrationskraft auszustatten, gibt es an diesen Tagen eben die köstlichsten Speisen. So entsteht eine Einheit von religiösem Glaube und kulinarischem Genuss. Es ist auch einer der Vorzüge des katholischen Glaubenslebens, dass es sich mit den allzu menschlichen Seiten der weltlichen Existenz gut auskennt und sich über die Jahrtausende mit ihnen zu arrangieren gelernt hat. Es ist nicht nur sehr menschenfreundlich, dem reuigen Sünder im Sakrament der Beichte seine Verfehlungen zu vergeben. Es ist auch menschenfreundlich, ihm durch die harten Zeiten auf Erden so gut wie möglich hindurch zu helfen. Dies geschieht wie eingangs erwähnt dadurch, dass seine nutritive Grundlage gesichert wird. Dies geschieht aber auch dadurch, dass gerade in Klöstern die Entwicklung und Produktion von Speisen und Getränken vorangetrieben wurde. „Ora et labora“ – „bete und arbeite“ – ist nur die eine Seite der Medaille, auf der anderen finden sich nicht selten schmackhafte Gerichte, Biere und Weine, die in eben diesen Abteien für die Menschen hergestellt wurden und werden.

Der Mensch mag aus dem Paradies verwiesen worden sein, paradiesische Zustände findet man jedoch auch in irdischen Gefilden, wie in den Psalmen treffend bemerkt wird: „Du krönst das Jahr mit deiner Güte, deinen Spuren folgt der Überfluss“ (Ps 65,12). Bekannt ist auch, dass es selbst für die Fastenzeit einige Kniffe gibt, wie diese entbehrungsreiche Zeit besser durchzustehen ist. So weiß der kenntnisreiche Gläubige zum Beispiel, dass Flüssiges das Fasten ebenso wenig bricht – etwa das nährstoffreiche und inzwischen auch alkoholfreizu erhaltene Bier – wie auch nahrhafte Schokolade nicht verboten ist.

HEDONISTISCHES CHRISTENTUM?

Gründet die Alltagspraxis des Christentums nun gar nicht auf Verzicht? Die Antwort ist aus der kulturwissenschaftlichen Sicht der Ernährungssoziologie eine von Ambivalenz geprägte Beobachtung. Den vielen auf Askese und Verzicht drängenden Äußerungen in der christlichen Kommunikation stehen durchaus auch empirische Beispiele und Texte gegenüber, die einen maßvollen, einen womöglich in puncto kulinarischem Genuss gar epikureischen Hedonismus nicht ganz abwegig erscheinen lassen. So wird auch im Buch Kohelet wiederholt über das Glück, ein zentrales Element hedonistischen Daseins, reflektiert. Dabei stellt der Autor des Buchs zwar einerseits fest, dass das gesamte irdische Leben und mit ihm das irdische Glück vor allem „Windhauch“ sind, doch er kommt auch zu der Erkenntnis: „Es gibt kein in allem Tun gründendes Glück, es sei denn ein jeder freut sich und so verschafft er sich Glück, während er noch lebt, wobei zugleich immer, wenn ein Mensch isst und trinkt und durch seinen ganzen Besitz das Glück kennenlernt, das ein Geschenk Gottes ist“ (Koh 3,11). Geschenke Gottes gilt es für einen anständigen Christen freilich anzunehmen und im besten menschlich-gottgefälligen Sinne zu verwenden. Das hieße im Fall von Essen und Trinken wohl zunächst einmal zu essen und zu trinken – aber nicht allein, sondern das Brot, den Wein oder was auch immer mit einem anderen zur Gründung oder Bestätigung einer Inklusion zu brechen. Und ganz ohne Mäßigungsappell kommt natürlich auch Kohelet nicht aus. So heißt es gegen Ende des Buches: „Aber sei dir bewusst, dass Gott dich für all das vor Gericht ziehen wird. Halte deinen Sinn von Ärger frei, und schütze deinen Leib vor Krankheiten“ (Koh 11,9f.). Das kann man durchaus so verstehen, dass nicht übertrieben werden soll mit den Genüssen und ein gesundes, sittliches Maßhalten angebracht sei.

Aus ernährungssoziologischer Sicht könnten Christen als reflektierte und maßvolle Genussmenschen beschrieben werden.

Insofern könnten Christen aus ernährungssoziologischer Sicht als eine Gemeinschaft reflektierter und maßvoller Genussmenschen beschrieben werden, die zunächst einmal den grundlegenden Hunger bekämpfen, aber über die Gefahren, die Freuden und die Potentiale einer weitergehenden Esskulturpraxis durchaus Bescheid wissen.

LITERATUR

Fuchs, Guido, Gott und Gaumen. Eine kleine Theologie des Essens und Trinkens, München 2010.

Heckmann, Herbert, Die Freud’ des Essens, München 1979.

Kofahl, Daniel, Religionssoziologische (Geschmacks-)Sinnsuche – Ein Gesprächsangebot über Essen, Gott und die Welt, in: Sascha Müller (Hg.), Die Sprache verstehen. Interdisziplinäres zwischen Germanistik, Philosophie und biblischer Exegese, München 2014, 117-134.

Simmel, Georg, Soziologie der Mahlzeit, in: Kikuko Kashiwagi-Wetzel und Anne-Rose Meyer (Hg.), Theorien des Essens, Berlin 2017, 69-76.

Fest und Mahl

Fest und Mahl gehören zusammen – vom „Festmahl“ spricht man ja auch. Viele religiöse Feste spiegeln sich auch in den Speisen wider – ähnlich wie früher die Fastentage und -zeiten. In dieser Beziehung hat sich viel verändert; oft werden Feste ohne Inhalt gefeiert, nur die „Requisiten“ bleiben. Und das Mahl wird zum Fest. Guido Fuchs

Der Bauer Wladimir Wladimirowitsch Merslikow lag in seinem Bett mit den gewürfelten Kissenbezügen und wartete auf den Tod.“ So beginnt eine kleine Erzählung von Ernst Wiechert („Der einfache Tod“). Sie spielt in Russland zur Zeit der kommunistischen Herrschaft, es ist kurz vor Ostern. „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“ Das orthodoxe Kirchenjahr spiegelt sich ebenso in den Speisen wie das katholische. Feste und Festzeiten, Fastentage und Fastenwochen haben ihre bestimmten Gerichte, üppig oder kümmerlich, je nach Anlass, und der Festinhalt ist nicht nur im Gottesdienst der Kirche, sondern auch noch einmal in der Speise mit auf dem Tisch. Ja, das Fest war und ist auch im Essen ein Fest, weil man sich wochenlang eingeschränkt hat, auf das Wohlschmeckende verzichtete, um sich dann, wenn es wieder erlaubt ist, umso stärker am Fest zu freuen, denn Fest bedeutet Ausnahmezustand.

 

Selbst in Zeiten und Gesellschaften, in denen die Religion nicht mehr maßgeblich ist, bleiben Bräuche, vor allem Mahl- und Speisebräuche oft lange erhalten. Aber sie werden äußerlich, haben keinen inneren Bezug mehr. „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“ Der ursprüngliche Festgedanke bleibt zwar auch über das Essen und Trinken spürbar, aber spielt er noch eine Rolle? Dieser Frage lohnt sich nachzugehen. Zunächst aber ein Blick auf das Wesen des Festes und die Bedeutung des Festmahles dabei.

FEST

Das Fest ist zunächst einmal das dem Alltag entgegenstehende, aus ihm herausragende Geschehen und Erleben, damit das Un-Alltägliche schlechthin. Diese Besonderheit zeigt sich in mehreren Merkmalen, die freilich nicht immer bei allen Festen gleichermaßen in Erscheinung treten müssen.

Die Besonderheit zeigt sich zunächst in der äußeren Gestaltung: Musik, Lied, Tanz, Wettspiele,

Guido Fuchs

Dr. theol., apl. Prof. für Liturgiewissenschaft an der Universität Würzburg; leitet das „Institut für Liturgie- und Alltagskultur“ in Hildesheim mit der Forschungsstelle „Kulinaristik & Religion“ (www.liturgieundalltag.de); erhielt 2016 den Wissenschaftspreis des „Kulinaristik-Forums“ (www.kulinaristik.net).

Umzüge, dramatische Aufführungen, Opfer, reiche Mahlzeiten, besondere Kleidung – sie alle sind nicht nur eine sekundäre Begleiterscheinung, sie gehören vielmehr zum Wesen eines Festes, sie sind Ausdruck des Un-Alltäglichen. Die Besonderheit des Festes tritt weiterhin im Bezug des Festes auf einen Ursprung hin zutage. Feste haben ihre Bedeutung in der Nachahmung, Wiederholung und womöglich auch Vergegenwärtigung eines prototypischen Handelns oder Geschehens, eines Heil schaffenden „ersten Males“. Das Fest will den Ursprung zur Sicherung der Zukunft gegenwärtig machen. Es bringt die Ängste und Hoffnungen einer Gruppe nicht nur zum Ausdruck, sondern will diese Ängste überwinden und das Leben neu schaffen.

Das Fest will den Ursprung zur Sicherung der Zukunft gegenwärtig machen.

Das Fest ist ein Geschehen, das hauptsächlich von einer Gruppe für eine Gruppe begangen wird. Jede soziale Gruppe braucht Feste als identitätsfördernde Ausdrucksformen. Feste bestätigen, stärken und erneuern die Gemeinschaft und den Zusammenhalt, die Identität, indem sie auf den Ursprung verweisen. Das Un-Alltägliche des Festes zeigt sich auch in dessen exzessiver Gestaltung, die auch zeitlich zum Ausdruck kommt. So kann das Fest in einen oder mehrere Feiertage eingebettet sein, an welchen die gewohnte Arbeit ruht bzw. ruhen soll und unter Umständen sogar tabuisiert ist. Während der Dauer dieses Festes können herrschende Institutionen, Gesetze und Konventionen außer Kraft gesetzt sein zugunsten einer Zügellosigkeit, die – je nach Ansatz – als Rückkehr in das der Neuschöpfung vorausgehende Chaos verstanden werden kann oder als Protest gegen das bestehende System.

Diese Merkmale eines Festes lassen sich an christlichen Festen durchaus auch beobachten. Es ist hier allerdings nicht der Raum, um allen nachzugehen und am Beispiel verschiedener Feste zu verifizieren. Ich möchte mich, dem gestellten Thema gemäß, auf den ersten Punkt, und da auch nur auf das zum Fest gehörige Essen und Trinken – das Festmahl – beschränken.

FEST UND MAHL

Ähnlich wie die verschiedenen Formen der Gastlichkeit im Gastmahl einen besonderen Ausdruck erfahren, so die Festfeier im Festmahl. Ein besonderes Mahl gehört zu den Festen und Feiern im Lebens- wie auch im Jahreslauf. Das Mahl hat dabei nicht nur eine begleitende äußerliche Funktion; zunächst einmal kann es

(1) die Festfreude ausdrücken, die auch durch eine gelegentliche Üppigkeit den Alltag vergessen lässt. Weiterhin können an bestimmten Festen die Speisen und auch die Gestaltung

(2) den Festinhalt widerspiegeln und diesen so aus dem kirchlichen Bereich in den Alltag der Menschen hinein verlängern. Dann ist natürlich auch das gemeinsame Mahlhalten für den

(3) Zusammenhalt der Gemeinschaft wichtig und trägt so, wie das Fest selbst, zur Identität bei. Schließlich war das Festessen auch immer

(4) eine Gelegenheit, den Bedürftigen Anteil am Fest zu geben.

I. FESTFREUDE

Um die sich auch im Essen und Trinken äußernde Festfreude besser zu verstehen, muss man sich auch klarmachen, was Alltag für die Menschen früherer Jahrhunderte kulinarisch bedeutete. Eine Kärglichkeit in vielen Fällen, die auch noch durch ausgeprägte Fastenzeiten und -tage mit beeinflusst war. Bis vor hundert Jahren war das Kirchenjahr (das ja das bürgerliche Jahr auch mit prägte) von zahlreichen Fasten- und Abstinenztagen durchzogen. Und angesichts der Bedeutung der Kirchen und des kirchlichen Lebens kann man davon ausgehen, dass diese Fastenvorschriften durchaus eine Rolle im Leben der meisten Menschen spielten. Große Feste hatten Vigiltage, die ebenfalls zu den Fastentagen zählten und damit die Feste nochmals erwartungsmäßig kulinarisch aufluden. Folgende Beschreibung eines Osterfrühstücks aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts bringt dies zum Ausdruck: „Am Ostersonntag ging die Köchin mit einem Henkelkorb zur Speisenweihe. Das Festessen am Mittag ging nach folgender Reihenfolge vonstatten: Zuerst kam das Weihfleisch auf den Tisch: ein großes Oval mit einem Berg von bestem Selchfleisch, Eiern und Würsten beladen, dazu geweihtes Brot; dann Nudelsuppe mit Rindfleisch als Einlage und anschließendem Rindfleisch mit Semmelkren. Nun kam der Schweinebraten mit Salat auf den Tisch, dann Hühnerfleisch, Gugelhupf, Krapfen und Dörrpflaumen mit Rum oder Schnaps. Und dies alles nach vierzigtägigem Fasten! Die Gaumenfreuden waren unbeschreiblich“ (Löcher/ Abeln, 153). Ähnliche Beschreibungen und Erinnerungen gibt es auch für Weihnachten. Natürlich sind die großen Feste wie Ostern und Weihnachten noch einmal etwas besonderes, aber auch der Sonntag war kulinarisch vor anderen Tagen ausgezeichnet und brachte dadurch seine Würde zum Ausdruck. „Am Sonntag ehrt das Elsass den Herrgott in allen Kirchen und Tempeln, mehr aber noch in allen Küchen und Stuben. Sonntag ist Eß-Tag.“ So beginnt Jean Egen seine ausführliche Schilderung des sonntäglichen Essens und dessen Zubereitung in seiner elsässischen Heimat – „eine gastronomische Liturgie am Rande der religiösen“, wie er schreibt (Egen, 46-51).

In einer Zeit und Gesellschaft, in der allein der Vorschlag auf einen fleischfreien Tag in der Woche die Menschen aufschreien lässt und sich die Wochentage auch kulinarisch längst einander angeglichen haben, erscheinen Schilderungen wie die von Egen oder auch anderen Autoren wie romantische Relikte einer längst vergangenen Zeit.

II. FESTINHALT

An manchen Tagen spiegelt das Essen auch den Festinhalt wider. Bestes Beispiel ist das jüdische Sedermahl (Pessachmahl), dessen Speisen und Getränke auf den Anlass der Feier, die wunderbare Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft hinweisen und während des Mahles auch so gedeutet werden. Allerdings ist dieses Mahl bereits ein häuslicher Gottesdienst, von Gebeten, Gesängen und Erinnerungen durchzogen, so dass er nicht wirklich als Beispiel für die Verlängerung des Festes in den Alltag hinein stehen kann, wie es bei manchen Festmählern im christlichen Bereich der Fall ist.

Für den Ostertag ist es seit alters bezeugt, Lammfleisch zu essen; schon der Apostel Paulus stellt im Neuen Testament heraus, dass Jesus Christus für uns als Osterlamm geschlachtet wurde. Er wurde ja im Zusammenhang eines Pessachfestes gekreuzigt, an dem die Lämmer geschlachtet und zum Festtag verzehrt wurden. Und selbst wo kein Lammfleisch auf den Tisch kommt, sind es vielfach Biskuitlämmer, die den Zusammenhang mit dem kirchlichen Festinhalt herstellen, auch wenn es sicher vielen Menschen nicht bewusst ist. Der „Weihkorb“ (siehe obige Erinnerung) enthält auch andere Speisen mit Bezug zum Fest wie den Meerrettich oder die Eier.

Eine ganz besondere Osterfesttagsspeise ist die russische Pascha, eine Süßspeise. Ihre hauptsächlichen Zutaten (Quark, Sahne, Eier, Butter) waren und sind in der – weit strengeren – orthodoxen Fastenzeit nicht erlaubt, allein das macht sie zu etwas Besonderem. Dazu kommt aber auch noch die Art ihrer Zubereitung: Die fertig zubereitete Quarkmasse wird in ein weißes Mulltuch eingeschlagen, in einen Blumentopf gegeben und mit einem Stein beschwert, der das restliche Wasser aus der Quarkmasse herausdrücken soll. Dieser Topf bleibt mindestens über eine Nacht stehen. Nach der Osternachtfeier wird dann die „Pascha“ dem Topf entnommen, aus dem Tuch gelöst und als wunderbar süße Speise serviert. Die Analogie zu Begräbnis und Auferstehung Jesu ist nicht nur mit Händen zu greifen, sondern gewissermaßen auch mit dem Gaumen zu schmecken. All das sollen nicht nur äußerliche Bezüge sein; das kirchliche Segensbuch „Benediktionale“ rät im Zusammenhang einer Speisensegnung an Ostern, dass sich die Tischgemeinschaft der Gläubigen mit dem Auferstandenen an diesem Tag „gleichsam als Agape“ in den Häusern fortsetzen möge.