Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt

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Wichtiger als die Statistik ist jedoch die Tatsache, dass ihr Einfluss die kritische Phase in der Vollblutzucht dominierte. Sie liefen zu Beginn dieser neuen Zucht, als sich die Pferde viel langsamer entwickelten als heute (Eclipse lief erstmals als Fünfjähriger), und das „Kings Plate“, das Eclipse elfmal gewann, besaß damals den größten Prestigewert. Aber diese Rennen basierten auf Kraft und Ausdauer, und die Pferde hatten 12 Stones (76,2 kg) über vier Meilen zu tragen. Ihre Nachfahren aber liefen in einer neuen Zeit, und in dieser galten Speed und Frühreife als immer wichtigere Faktoren. Es gab nun auch Rennen für Zweijährige, und für die Dreijährigen wurden die „Classics“ St. Ledger, Oaks und Derby als der ultimative Test entwickelt. Es war jedoch keiner dieser vier großen Hengste – Eclipse, Herod, Matchem, Highflyer – allein für die neue Entwicklung verantwortlich, sondern die Kombination von Eclipse und Herod galt für die „klassische Zucht“ als das frühe Rezept. Bestes Beispiel war damals der Derbysieger von 1793, Waxy, ein Hengst von Pot-8-Os (Eclipse) aus der Herod-Tochter Maria (1777), der von William Clift geritten wurde. Sein Trainer Robson gewann sieben Derbys, zehn Oaks und galt in jenen Jahren als Bester seiner Zunft. Er starb 1838 in Newmarket. Und Waxy zeugte die Derbysieger Pope, Whalebone, Blucher und Whisker.

Waxys Vater, der noch als Zehnjähriger im Training war, war ebenfalls ein gutes und hartes Pferd, das die Spitzenkönner seiner Zeit alle schlug. Er gewann 35 Rennen, und 17 davon führten über mehr als vier Meilen auf Newmarkets Beacon Course. Im Gestüt war er extrem erfolgreich. Er zeugte noch zwei weitere Derbysieger, und in Waxys Derby war er der Vater von sechs der dreizehn Starter. Waxy, der im Derby Gohanna (Mercury) schlug, focht mit diesem anschließend noch zahlreiche Duelle aus. Insgesamt behielt dabei aber der Derbysieger die Oberhand, doch hatte der schmale Gegner die Courage eines Löwen.


Eclipse (1764), das überlegene Rennpferd seiner Zeit

Im Gestüt war er ebenfalls erfolgreich, und sein Derbysieger hieß 1807 Election, der John Arnull im Sattel hatte. Für Lord Egremont war dieser Fuchs der vierte Derbysieger in Folge.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sah ebenfalls zwei ungeschlagene, brillante Vollblüter: St. Simon und Ormonde, den Gewinner der „Dreifachen Krone“. Aber sie erlebte mit Stockwell, Hermit und St. Simon auch drei außergewöhnlich erfolgreiche Deckhengste. Und diese Pferde waren gleichzeitig ein messbarer Prüfstein dafür, dass sich das Englische Vollblut weiterentwickelt hatte. Dieser Beweis wurde spätestens 1975 erbracht, als die Siegerzeiten von Derby, Oaks und St. Ledger wissenschaftlich analysiert wurden und in dem Ergebnis resultierten, dass es bis 1900 pro Dekade eine stetige Verbesserung um etwa 2 % gab. Danach war diese Tatsache kaum noch feststellbar. Wahrscheinlich war das Vollblut damals am Ende seiner genetischen Entwicklung angekommen.

Admiral Rous schrieb bereits 1850: „Es wird angenommen, dass ein erstklassiges englisches Vollblut-Rennpferd dem besten Araber, der zu finden ist, sechs Stones (etwa 38 Kilo) geben kann“. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass sich damit die neue Rasse „Thoroughbred“ gewaltig verbessert und zu einer neuen, sich über alle anderen Pferderassen erhebenden eigenen Rasse entwickelt hat, deren Markenzeichen Speed (Schnelligkeit) ist. Und in diese Entwicklung flossen auch Faktoren ein wie der Import von „Speed“ zur Jahrhundertwende aus den USA, die Inzucht auf St. Simon, die sich auch in den beiden mächtigen klassischen Vererbern des 20. Jahrhunderts, Hyperion und Nearco, zeigte. Auch der Einfluss so großer Stallions wie Phalaris und Blandford, die Etablierung des englischen Nationalgestüts, das Spitzenhengste aufstellte, Geldspritzen aus den Wettumsätzen und anderen Quellen in den Sport, moderne Erkenntnisse zu Fütterung, Aufzucht, Training, Veterinärmedizin oder Geläufspflege dürften sich auf dem Weg zum „vollendeten Vollblüter“ ebenso positiv ausgewirkt haben, wie die US-Hengste, die in den 1960er Jahren nach England kamen, oder die 1969 eingeführten Gruppen-Rennen und die Globalität, die Zucht und Sport erfasste. Wenn auch die Zucht keinen mathematischen Formeln folgt, das heutige Rennpferd entwicklungsmäßig vielleicht fast „ausgereizt“ ist, so dürfte es aber auch in der Zukunft Pferde geben, die, wie zuletzt ein Frankel, immer noch einen Tick genialer sind, als der beste Vorgänger. Und wenn sich diese wunderbaren Geschöpfe mit ihren Champions auch weiterhin „nur“ so präsentieren, wie das inzwischen der Fall ist, dann müsste man doch eigentlich voll zufrieden sein, zumal das Spiel der Gene ohnehin in jeder Generation für neue Spannung sorgt.

Für die frühe Importation von „Speed“ steht der 1892 geborene Topsprinter und Lexington-Urenkel Americus, dessen väterlicher Urgroßvater auch der Vater seiner Großmutter war. In Amerika lief er als Rey del Carreres. Die neue Heimat gab ihm einen neuen Namen, und er England 1905 seine Tochter Americus Girl. Und diese Fuchsstute wurde Vorfahrin einer brillanten Sprinterlinie-Linie des 20. Jahrhunderts, an deren Spitze mit Mumtaz Mahal, „the flying filly“, stand, die The Tetrarchs beste Tochter war. Die gesamte Nachkommenschaft dieser Schimmelstute, die eine der einflußreichsten Pferdedamen in der Vollblutzucht wurde, besaß Geschwindigkeit. Lexingtonblut trugen auch Sibola (Ur-Ur-Großmutter von Nearco) und Rhoda B, die Mutter von Orby, dessen Stehvermögen gerade ausreichte, um 1907 die Derbys von England und Irland zu gewinnen. 1908 wurde Americus in Irland als Hauptbeschäler für das Trakhener Hauptgestüt gekauft, wo er schon im Frühjahr 1909 an Darmriss einging.

Den offiziellen Begriff des „klassischen Rennpferdes“ gibt es nicht, doch waren und sind es die „klassischen Rennen“, die die jeweils dreijährige Hengst- und Stutenelite über unterschiedliche Distanzen prüfen und der Zuchtauslese dienen, auch wenn heute noch viele andere, internationale Großereignisse ebenfalls eine Rolle spielen. Und unter „Classic“ werden höchster Standard, berühmt für lange Existenz und Excellence, verstanden. Und lange bevor kommerzielle Interessen den „Turf“ zur Industrie machten, waren diese Rennen, die auch zur englischen Tradition gehören, längst etabliert, und ihre Sieger sind die Elite unter Tausenden von Vollblütern. Den Anfang machte das „St. Ledger“ 1776 (2.900 Meter im September zu Doncaster); die „Oaks“ folgten Anfang Juni 1779 über 2.414 Meter zu Epsom wie das „Derby“, das ein Jahr später Premiere hatte. In den ersten vier Jahren führte es über eine Meile, danach war es die gleiche Distanz, die in den „Oaks“ zu laufen ist, eineinhalb Meilen. 1814 und 1809 wurden die „1000 und 2000 Guineas“ zu Newmarket eingeführt, die beide im April jeweils über eine Meile führen. Die „Oaks“ und die „1000 Guineas“ sind nur den Stuten offen, der Rest beiden Geschlechtern, wobei Stuten gegenüber Hengsten einen Gewichtsnachlass erhalten. Und eine alte englische Turfweisheit besagt, dass das „früheste“ Pferd die 2000 Guineas gewinnt, das Beste das St. Ledger und das glücklichste das Derby. Wem der Wurf 2000 Guineas, Derby und St. Ledger gelingt, der hat die seltene „Dreifache Krone“ gewonnen. In England war West Australian 1853 der erste Sieger der „Dreifachen“, und Nijinsky 1970 unter Lester Piggott der letzte der insgesamt 15 Vollblüter, denen das auf der Insel gelang. Amerika, das bis Ende 2016 auf 12 Sieger kam, startete 1919 mit Sir Barton, während Affirmed 1978 das vorletzte Pferd war, dem der amerikanische Durchmarsch im Kentucky Derby, den Preakness- und Belmont Stakes gelang, bevor das 2015 auch American Pharoah konnte. Seit 1875, als das Kentucky Derby vom Start kam – die Belmont- und Preakness Stakes wurden schon 1867 und 1873 etabliert – wollten bis inklusive 2015 4.180 Pferde diese „Dreifache“ gewinnen. 289 von ihnen konnten sich in einer, und 52 in zwei der drei Prüfungen durchsetzen. Als Pechvogel könnte man vielleicht Pillory bezeichnen, der 1922 gar keine Chance hatte, alle drei Rennen zu gewinnen, denn in jenem Jahr wurden Derby und die Preakness Stakes am gleichen Tag gelaufen. Eine Ausnahme war 1978 auch Alydar, der in allen drei Rennen als Zweiter von Affirmed um insgesamt zwei Längen geschlagen war. Dieser Raise A Native-Sohn, der von 26 Starts 14 gewann und zehn Plätze belegte, auf der Bahn eine knappe Million Dollar verdiente und 1990 bei den amerikanischen Vererbern an der Spitze stand, musste schon im gleichen Jahr wegen eines mysteriösen Beinbruches auf der berühmten Calumet Farm eingeschläfert werden.

In Europa ist die „Dreifache“ in den letzten Jahren seltener geworden, weil der Steher nicht mehr die Rolle wie in früheren Jahren spielt und das frühreife Pferd bevorzugt wird. Und damit hat auch das St. Ledger nicht nur für den Züchter an Bedeutung verloren. Die meisten Pferde sind inzwischen auf bestimmte, kürzere Distanzen spezialisiert, und ein Derbysieger hat in unseren Tagen zusätzlich attraktivere und höher dotierte Möglichkeiten als das St. Ledger. So den Prix de l’Arc de Triomphe zu Paris, das Cox Plate in Australien, den Japan Cup, die Breeders Cup Rennen in den USA, das Dubai Welt Cup-Meeting, die Internationalen Rennen zu Hong Kong im Dezember und weitere Großereignisse. Wenn auch manche Renndaten, zu früh oder zu spät im Jahr, nicht so recht in das europäische Programm passen, so sind doch die Auswahlmöglichkeiten erheblich umfangreicher geworden als in jenen Tagen, als das St. Ledger neben dem Derby die Hauptrolle spielte. Der letzte Derbysieger, der die Dreifache Krone Englands gewinnen wollte, war der in Irland trainierte zweifache Derbysieger und Montjeu-Sohn Camelot, der 2012 als in fünf Rennen Ungeschlagener im Doncaster St. Ledger (500.000 Pfund) antrat, aber Encke, dem „Erzrivalen“ aus dem Godolphin-Stall, den Vortritt lassen musste. Und so bleibt der in Irland trainierte Kanadier Nijinsky der letzte „Europäer“, der die Englische Triple Crown 1970 gewinnen konnte. Bis er sie damals als Nächster gewann, waren 35 Jahre vergangen, doch musste Amerika noch 24 Monate länger warten, ehe es 2015 seinem American Pharoah als „jüngstem“ Triple Crown-Sieger wieder zujubeln konnte.

 

Gewünschte Frühreife und die Bevorzugung der neuen Großereignisse führten auch dazu, dass das St. Ledger als ältestes klassisches Rennen in einigen Ländern an Attraktivität so viel verlor, dass es dort schon vor mehreren Jahren auch für ältere Pferde geöffnet wurde, denn der Stehertyp ist längst vom Mitteldistanz-Pferd verdrängt, womit dieses Rennen auch seine ursprüngliche Aufgabe als Härtetest für den Derbyjahrgang verloren hat.

In England war es ganz besonders Sir Charles Bunbury, der als erster Chef des Jockey Clubs diesen „kultivierte“ und verantwortlich war für die Änderungen, die den britischen Rennsport revolutionierten. Auf ihn gehen auch die Oaks und das Derby zurück, denn beide entstanden nach Diskussionen beim Dinner in seinem Epsom-Haus „Oaks“ mit dem 12. Earl of Derby. Als der Name mit einem Münzwurf für letzteres gesucht wurde, gewann zwar der Earl, doch der erste Derby-Sieger, Diomed, kam aus der Zucht und dem Besitz von Sir Charles Bunburry. Dessen Stute Eleanor, deren Vater Whiskey ein Eclipse-Enkel war, wurde 1801 auch die erste Stute, der das Doppl Derby und Oaks gelang. 1804 schlug sie an Quiz (Buzzard) den St. Ledger-Sieger von 1801, der ebenfalls ein sehr gutes Rennpferd war, jedoch keine 29 Rennen gewann wie Sir Charles Bunburys Stute, die bis siebenjährig im Training war. Blink Bonny (1854; Melbourne), Signotinetta (1905; Chaleureux) und Fifinella (1913; Polymelus) gewannen nach ihr jenes Doppel ebenfalls. Letztere gewann ihr Kriegs-Derby zu Newmarket, bei dem Jockey J. Childs mit dieser äußerst launischen Diva zunächst erhebliche Schwierigkeiten hatte, ehe sie urplötzlich mit vernichtendem Speed gewann. Zwei Tage später in den Oaks war sie brav wie ein Lamm und gewann mit überlegener Leichtigkeit. Nach acht Starts und vier Siegen hatte die Dame am Rennen kein Interesse mehr, ging in die Zucht und gab nur ihrem Sohn von Hurry On, Press Gang (1927), der später nach Russland exportiert wurde, etwas von ihrem Können mit. Signorinettas Züchter und Besitzer war der in Newmarket lebende Italiener E. Ginistrelli, der die Chaleureux-Tochter aus der St. Simon-Stute Signorina „erhielt“, denn sie soll das Produkt einer Romanze ihrer Mutter mit dem sehr guten Handicapper gewesen sein. Das Derby gewann sie unter William Bullock als 100:1-Chance, zwei Tage später gab es in den Oaks nur noch dreifaches Geld auf ihren Sieg. Anschließend waren, wie auch im St. Ledger, weitere Bemühungen erfolglos, und im Gestüt hatte sie an The Winter Kings (1918; Son-in-Law) auch nur einen guten Sohn. Blink Bonny, die bereits als Zweijährige sieben von elf Rennen, und insgesamt 14 von 20 gewann, war ein großartiges Rennpferd. Sie gewann das Derby nach Kampf mit einem Hals, die Oaks zwei Tage später leicht und war, nach drei weiteren Siegen, der Favorit für das St. Ledger, in dem sie allerdings um den Sieg betrogen worden sein soll. Ihr Besitzer wurde zwar vorher gewarnt, doch glaubte er an das Gute im Menschen und beließ seinen Jockey Charlton auf der Stute. Die Loyalität von Mr. W. I’Anson wurde jedoch missbraucht und die Stute im Rennen „gepullt“. Unmittelbar nach dieser Tragödie gewann sie die Park Hill Stakes zu Doncaster. Zum Vorfall berichtet Roger Mortimer in seinem Buch „The History of The Derby Stakes“, dass der Drahtzieher zu diesem Betrug ein damals führender Buchmacher namens John Jackson gewesen sein soll, der für die Manipulation der Jockeys bekannt war und früh verstarb. Von Strafmaßnahmen wird nichts berichtet, doch hatte der Besitzer von Blink Bonny mit diesem Betrug nichts zu tun. In der Zucht fohlte die Derbysiegerin, die bereits 1862 starb, Blair Athol (Stockwell), der 1864 in den gleichen Farben, die seine Mutter zum Sieg trug, selbst zu Derbyehren kam. Im Gestüt stand dieser Hengst zwischen 1822 und 1877 viermal an der Spitze der englisch-irischen Stallions. Nachdem sein Sohn Silvio 1877 Derby und St. Ledger gewonnen hatte und seine Decktaxe von 100 auf 200 Guineas stieg, wurde er von den Züchtern boykottiert. Daran konnte auch eine spätere Senkung auf 75 Guineas nichts mehr ändern. 1882 starb der Sohn der großen Rennstute Blink Bonny.


(Foto: Courtesy of Claiborne Farm)

Eleanor, die sieben Rennzeiten auf der Bahn verbrachte, wurde dennoch in der Zucht erfolg- und einflussreich. Nach Orville, der die Eclipse-Hengstlinie vertrat, fohlte die Whiskey-Tochter 1810 Muley, der 1830 Vater von Marpessa wurde, deren mütterlicher Vater Marmion ein Whiskey-Sohn war. Und Marpessa fohlte 1837 die unvergleichliche Glencoe-Stute Pocahontas, die das Licht der Welt im Royal Stud zu Hampton Court erblickte, und eine der einflussreichsten Mutterstuten in der Geschichte der Vollblutzucht wurde. Unter ihren 15 Fohlen befand sich neben den guten Hengsten Rataplan (1850; The Baron), der von 82 Rennen 47 gewann, und dem ein Jahr jüngeren King Tom (Harkaway) auch Stockwell (1842; The Baron). Und dieser gewann nicht nur elf Rennen, sondern stand innerhalb von 14 Jahren auch siebenmal an der Spitze der Stallions und belegte noch viermal den Ehrenrang. Und er zeugte die Sieger von 17 klassischen Rennen, darunter sechs, die das St. Ledger gewannen; drei Derbysieger, vier setzten sich in den 2000 Guineas durch und eine Siegerin weniger in den 1000 Guineas. Dazu kamen noch eine Oaks-Siegerin und zwei, die den Ascot Gold Cup gewannen. Es war wohl großes Glück, das Stockwell, der die Hengstlinie von Eclipse vertrat, nicht die Krankheit seiner Mutter erbte, die ein Roarer war.

Doch nun vorerst zurück zu einigen der Pioniere, der großen Besitzerzüchter, ihrer Zuchten und ihrer Erfolge, die sich früh auf den Weg machten, um den Vollblüter zu vervollkommnen.

PIONIERE AUF DEM WEG ZUR PERFEKTION

An der Stufe zum 19. Jahrhundert dominierten britische Besitzer-Züchter auch das Renngeschehen, denn dank ihrer eigenen mächtigen Herden und der Spitzenbeschäler, in der Regel in den eigenen Boxen, konnten sie dem Geschehen den Stempel aufdrücken. Natürlich musste der „Owner-Breeder“ viel Geld besitzen, doch gab er es mit großer Sorgfalt aus. Und in der Vorkriegszeit galt im Vereinigten Königsreich ein Pferd zu züchten genau so viel, wie es zu besitzen, und die führenden Züchter waren fast immer auch die führenden Besitzer.

Die zeitigen 1900er Jahre deuteten gewissermaßen aber schon die Zukunft an, als amerikanische Pferde nach England kamen und gewannen. In erster Linie war das den amerikanischen Antiwettgesetzen geschuldet, doch sollte sich auch das bald wieder ändern. Es waren auch gleichzeitig die Jahre, in denen die Dominanz des „neuen“ Lord Derby begann, der Jahre später die Trophäen von sieben Besitzer- und zehn Züchter-Championaten in den Händen halten konnte. Und in den 1920ern war es der Aga Khan III, der viel Geld in die Hand nahm und eine Zucht aufbaute, die ihm zwischen 1947 und 1952 vier Züchter-Championate gewinnen ließ. Lediglich 1950 und ein Jahr später verdrängte ihn der Franzose Marcel Boussac von diesem Rang. Zu den anderen Großen jener Zeit zählten auch Lionell Holliday, Victor Sasson, Sir Harold und Lady Zia Wernher (Sommeries Stud), deren Meld 1955 die Dreifache Stutenkrone gewann. Dieses Kunststück gelang erst wieder 30 Jahre später, als Sheikh Mohammeds Kris-Tochter Oh So Sharp mit Siegen in den 1000 Guineas, Oaks und St. Ledger das gleiche Triple gewann. Später traten Finanzgewaltige wie die Sangsters, Magniers, Maktoums, Abdullahs oder Althanis auf den Plan, die sich global orientierten, als auch kommerzielle Züchter, die durch ihre Erfolge Aufmerksamkeit erreichten. Damit wurden automatisch auch die Triumphe der großen Besitzerzüchter seltener. Natürlich werden auch „Homebreds“ weiterhin ihre Klassiks gewinnen, doch ist das Langzeitdenken zur Rarität geworden in einem immer kurzfristigeren Spiel.

Als Baron Howard de Walden 1999 verstarb, verließ einer der letzten großen britischen Besitzerzüchter diese Welt, und so ist wohl der Aga Khan einer der Allerletzten jener Owner-Breeders, der auch im 21. Jahrhundert unbeirrt und hoch erfolgreich agiert. Doch auch dazu später mehr.


J. R. Keenes Kingston (1884); 138 Starts, 89 Siege

JAMES R. KEENE

und seinem Castleton Stud konnte auf dem Sprung ins 20. Jahrhundert in Amerika kein anderer Züchter das Wasser reichen. Der geborene Brite, der als Kind mit seinen Eltern auswanderte, war als Züchter und Rennstallbesitzer so erfolgreich wie wenige andere seiner Zunft auf dieser Welt.

Zunächst war da der 1884 geborene Spendthrift-Sohn Kingston, der von 138 Starts 89 gewann und 33 Plätze belegte, was mehr als 140.000 Dollar Gewinnsumme auf sein Konto brachte. Dieses war allerdings nicht das von Keene, denn er hatte diesen Hengst schon als Jährling verkauft, und angeblich aus finanziellen Gründen. Dieser Urur-Enkel von Melbourne blieb bis zehnjährig im Rennstall und führte 1900 und zehn Jahre später die Liste der Deckhengste in seiner Heimat an. Der braune Hengst Delhi (Ben Brush), 4x3 auf den Melbourne-Enkel Australian ingezogen, war ein famoses Rennpferd, und 1904 als Dreijähriger mit 75.225 Dollar der gewinnreichste Vollblüter der amerikanischen Saison. Und diese beiden Pferde zählten wie Peter Pan (1904; Commando), der 10 seiner 17 Starts und mehr als 115.000 $ gewann, oder Domino, Commando und Sysonby, die vor ihm die Welt betraten, und Colin und Sweep, die ihm folgten, zu den wichtigsten Champions dieses Züchters und Besitzers. Und im Gestüt waren sie erfolgreich wie Celt (1905), der in sechs Rennen bei vier Siegen und zwei Plätzen 30.000 $ verdiente. Für 25.000 Dollar wurde er an R. Hancock verkauft, der ihn in Virginia auf seiner Ellerslie Farm aufstellte, wo der Domino-Sohn 1921 an der Spitze der Beschäler stand.

Domino (Himyar) wurde 1891 von Major B. G. Thomas gezogen, wechselte, nachdem Keene im Vorjahr mehrere englische Stuten gekauft hatte, als Jährling für die hohe Summe von 3.000 US$ den Besitzer und war in Keenes Farben im 19. Jahrhundert eines der schnellsten Rennpferde Amerikas. Als Zweijähriger gewann er alle neun Starts, und seine damalige Saisongewinnsumme (170.790 $) war nicht nur sensationell hoch, sondern hatte auch etwa 40 Jahre Bestand. Als Dreijähriger fügte er sechs weitere Siege hinzu, zeigte, dass er sein hohes Tempo auch weiter als 1.600 Meter gehen konnte und hatte, als er von der Rennbahn abtrat, von 25 Rennen 19 gewonnen und mehr als 190.000 Dollar verdient. In der Vollblutzucht haben nur wenige Hengste vor oder nach ihm mit so wenig Nachwuchs (19 seiner Fohlen sind namentlich bekannt) einen so nachhaltigen Einfluss ausgeübt wie er, obwohl Domino kein Pferd war, das seine Zeitgenossen so in den Schatten stellte wie es z.B. ein Man O’War, Sysonby oder Citation konnten. Zu den besten Nachfahren des Eclipse-Urenkels zählten, neben den Söhnen Commando und Disguise, auch seine Tochter Cap And Bells, die in USA und England lief und 1901 die Epsom Oaks gewann. Von den neunzehn Fohlen wurden acht zu Stakessiegern, und seine drei besten Produkte stammten aus Stuten, die viel Stehvermögen hatten, das ihm selbst fehlte. Cape and Bells und der Epsom Derby-Dritte Disguise waren aus Galopin-Töchtern gezogen, und Commandos Mutter, die von dem Australier Darebin (Sieger im Australian Cup) stammte, gewann mehrfach über zwei Meilen, was auch ihre eigene Mutter konnte.

Domino selbst war 3 x 4 auf Amerikas großen Lexington ingezogen, seine Mutter 3 x 3, und seine Großmutter Lizzie G, die beste Tochter von Glencoe (1816; Sultan), trug eine 3-x-3-Inzucht auf Boston, Lexingtons Vater. Und die 14 Stuten, die Keene aus den besten englischen Linien importiert hatte, boten ihm alle Outcross-Möglichkeiten zu dem Lexington- und Bostonblut, das Domino, der als Flieger eine Legende war, trug.

Der Belmont Stakes-Sieger Commando (1898), der offiziell auch der Keene-Zucht zugerechnet wird, gewann sieben seiner neun Starts, und fünf davon als Zweijähriger. Im Gestüt war er, nach nur drei Jahren als Deckhengst, ähnlich früh tot wie vorher sein Vater. Dennoch konnte sich der Hengst, der als bestes Pferd seines Jahrgangs galt, durchsetzten und 1907 in Amerika die besten Beschäler anführen. Seine Söhne Peter Pan und Ultimus (1906), dessen Vater und Mutter beide von Domino stammten, als auch seine Töchter wurden die Vorfahren vieler guter Rennpferde und prominenter Hengste. Dominos Mutter Emma C. (1892; Darebin), eine große kräftige Stute, hatte Keene gekauft, mochte sie aber Drei- oder vierjährig nicht mehr und „gab“ sie seinem Trainer. So jedenfalls berichtet es Abraham S. Hewitt in seinem Buch „The great Breeders and their Methods.“ Als Domino ins Gestüt ging hatte Keene seinem Trainer auch zwei Freisprünge zu ihm versprochen, verweigerte Domino jedoch, als Billy Lakeland später so eine „grobschlächtige Stute“ wie Emma C. von dem „wunderbaren Hengst“ decken lassen wollte. Als der Trainer jedoch auf diesen Freisprung bestand, gab Keene widerwillig nach. Das Produkt aus dieser Paarung kam 1898 auf die Welt und hieß Commando. Irgendwann muss es jedoch noch eine „Transaktion“ gegeben haben, denn im Gestütsbuch wurde Keene als Züchter eingetragen. Der Autor des genannten Buches berichtet und vermutet dazu, dass Keenes Berater und Manager, Major Foxhall Daingerfield, von dem Fohlen so beeindruckt war, dass er Keene wahrscheinlich gedrängt hat, es zu kaufen oder beide „zurückzunehmen“.

 

Commando war nicht nur das erste der vielen hochklassigen Pferde, die Keene zog, sondern er wurde auch von einem nachfolgenden Trainer vorbereitet. Ein „neuer Mann“ war James Rowe Sr. keinesfalls, sondern er hatte schon Daniel Swigerts klassischen Sieger Hindoo (1878) trainiert. Als Dreijähriger brach der großrahmige Hengst beim dritten Start nieder, und sein Trainer formulierte „wir wussten nie, wie gut er wirklich war.“

Im Gestüt zeugte Commando in vier Saisons 25 Fohlen. Zehn von ihnen, neun Hengste und eine Stute, wurden Stakes-Sieger, die alle, inklusive Maid of Erin, die in utero importiert wurde, aus importierten englischen Stuten gezogen waren. Und drei davon – Peter Pan (1904), Colin (1905) und Celt (1905) waren erstklassische Rennpferde. Dieser wurde nur einmal geschlagen, und zwar von Colin. Peter Pan gewann die Belmont Stakes und war ein Champion, der in H. P. Whitneys Gestüt ein hochklassiger Beschäler wurde, und Colin blieb in 15 Rennen ungeschlagen. Danach wurde er lahm, war das folgende Jahr in England, wo die Verletzung erneut auftrat, ging dort 1910 ins Gestüt und drei Jahre später zurück in seine Heimat.

Erwähnen muss man auch noch Commandos zweite Mutter Guenn (1883; Flood), die 3 x 3 auf Lexington und 4 x 4 auf Glencoe ingezogen war, der acht von zehn Rennen gewann und als Fünfjähriger 1836 in die USA exportiert wurde. Sie war eine gute und äußerst harte Rennstute, die zweijährig nicht lief, ein Jahr später jedoch von 17 Starts sechs gewann und einmal mehr auf den Ehrenplatz lief. Und gegen Ende jener Saison wurde sie sie innerhalb von vier Tagen viermal gesattelt. Beim ersten Start war sie Zweite über 1.800 Meter. Danach gewann sie ein Stakes-Rennen über zwei Meilen mit zehn Längen, und am vierten Tag wurde sie auf schwerer Bahn zweimal in Stakes-Rennen gesattelt. Zunächst gewann sie über zwei Kilometer, und drei Rennen später über die doppelte Distanz im Kanter!

Emma C., die 1910 einging, hinterließ keine Töchter, und Commando war der einzige Vertreter, der ihr Blut weitertrug. Bei diesem hatte sie aber dafür gesorgt, dass er fünf Kreuzungen von Lexington in seinem Pedigree trug, und zwischen den Geburtsjahren beider Hengste lagen 48 Jahre. Und Hewitt weist darauf hin, dass es eine ähnliche Parallele bereits bei Italiens elffachem Champion-Stallion Havresac II (1915; Rabelais) gegeben hat, der in den Pedigrees von Tesios großartigen Pferden Nearco und Ribot steht. Havresac II trug fünf Kreuzungen des großen englischen Hengstes und Derbysisegers Galopin (1872; Vedette), der die Stallions dreimal anführte und Vater von St. Simon wurde. Und zwischen beiden Hengsten, Galopin und Havresac II, lagen 43 Jahre. Dass der, vom Comte de Nicolay und M. de Gheest gezogene Franzose in italienischen Diensten, zusätzlich 2x3 auf Galopins Sohn St. Simon ingezogen ist, ist bekannt. Hewitt stellt aber noch zwei andere Dinge heraus: Erstens, dass in beiden Fällen die vielfache Inzucht zum besten Stallion seiner jeweiligen Zeit führte, im Amerikanischen, bzw. im Englischen Gestütsbuch. Und zweitens weist er darauf hin, dass der Deutsche Friedrich Becker schon „vor vierzig Jahren“ geschrieben hat, dass „inbreeding to stoutness, which appears so strongly in the pedigrees of Commando (inbred five times to Lexington) and Havresac II (inbred five times to Galopin) results in Speed.“ Und dieser Autor fährt fort, dass die Produkte von Commando und Havresac II diese Theorie zu untermauern scheinen. Und noch ein Resultat seiner Analyse ist interessant: Von den 32 Stakes-Siegern, die Keene in den Jahren 1901 bis 1905 zog, als er seine besten Pferde erhielt, stammten 15, die Domino und Commando gezeugt hatten, aus importierten englischen Müttern. Insgesamt hat Keene etwa 60 englische Stuten importiert, aber niemals einen Deckhengst, denn seine Ladies gingen in der Regel zu Domino, Commando, Ben Brush und Delhi, alles Amerikaner.

Sysonby, der von Melton (Stockwell-Linie) stammte und in utero mit seiner Mutter Optime (Orme) von Keene aus England importiert wurde, war wohl der größte Crack dieses Züchters. 15 Starts ergaben 14 Siege, einen Platz und eine Gewinnsumme von mehr als 180.000 Dollar. Den 15. Sieg, so wurde spekuliert, soll ein Stallmann verhindert haben, der ihm „ein Mittel“ verabreichte. Eigentlich sollte der Hengst in England laufen, doch als Keene die jungen Pferde für den Transport auswählte, fehlte er bei der Vorstellung. Auf ausdrückliche Nachfrage seines Besitzers wurde Sysonby noch geholt, und Trainer Rowe bemerkte zu der rundum Bandagierung „er ist momentan zu krank, um eine solche Reise anzutreten.“ Auf diese Weise lief eines der besten Pferde, die Amerika bis dahin sah, in Keenes amerikanischem Rennstall. Später soll Rowe auch gesagt haben, dass dem Melton-Sohn damals gar nichts gefehlt hat, sondern er wusste bereits, wie gut er ist und wollte ihn unbedingt behalten. Ob dieses Pferd unter europäischen Verhältnissen zwei- und dreijährig auch zum Champion aufgestiegen wäre, ist überflüssig zu ergründen. Der geglückte Versuch des Trainers erwies sich jedoch als eine richtige Entscheidung.

Als größter Sieg des Hengstes gilt der Drei-Längen-Erfolg in den Great Republic Stakes (2.000 Meter). Er schlug damals nicht nur so erstklassige Pferde wie Oiseau (1902; Ornus; 38 Starts; 18 Siege) und den ein Jahr älteren Broomstick (Ben Brush; 39 Starts; 14 Siege), sondern drehte beim Start weg und verlor etwa 75 Meter. Und einer der erfahrene Experten soll damals gesagt haben, dass er in fast 50 Jahren viele Klassehengste gesehen hätte, als auch drei außergewöhnliche, Sysonby, Colin und Man O’War. Diesen großartigen Hengst, der 1956 in die „Racing Hall of Fame“ aufgenommen wurde, befiel 1906 leider ein Hautleiden, das durch eine septische Vergiftung in jenem Sommer zu seinem viel zu frühen Tod führte.

Und der in 15 Rennen ungeschlagene Commando-Sohn Colin (1905 aus der Springfield-Tochter Pastorella gezogen) war auf der Rennbahn einer der allerbesten Vertreter, der die Farben seines Züchters trug. Als Zweijähriger gewann er elf Rennen, die restlichen drei, Belmont-, Withers- und Tidal Stakes, ein Jahr später. Und diese 15 Siege in Folge waren damaliger Rekord. Sie resultierten in rund 181.000 Dollar Gewinnsumme und den Championats-Titeln in beiden Jahren. Auf der Rennbahn war der Belmont Stakes-Sieger, der als Vierjähriger bei der Vorbereitung auf die Jockey Club Stakes lahm wurde und sich davon auch nicht mehr erholte, ein Ass. Im Gestüt jedoch war der Hengst in USA und Europa, trotz großer Nachfrage, ein totaler Mißerfolg. Spitzenpferde zeugte Colin gar nicht, nur zwei seiner Nachkommen zeigten sich später in einigen guten Pferden als Vorfahren. Sein Sohn Neddie wurde Großvater des 1939 geborenen Alsab, dem Zwei- und Dreijährigen-Champion von 1941 und 1942, der von 54 Rennen 25 gewann. Zu diesen Siegen zählten auch die Preakness Stakes und das American Derby, während Alsab im Kentucky Derby, den Belmont- und Jockey Club Gold Cup Stakes die Ehrenplätze besetzte. Und in einem Match-Rennen schlug er Whirlaway. Colins Tochter Slow And Easy wurde Mutter von Easy Lass (1940; Blenheim), die 1945 den Bull Lea-Hengst Coaltown fohlte, der 23 Rennen gewann und Zweiter zu Citation, seinem Stallgefährten, im Ketucky Derby war. Als Zweijähriger gewann Coaltown alle vier Rennen und war 1948 und ein Jahr später Amerikas Champion-Sprinter bzw. Champion-Handicapper. Seine Gestütskarriere begann er auf der weltberühmten Calumet Farm, wechselte jedoch 1955 für 514.000 Dollar in den Besitz von Marcel Boussac. In beiden Ländern war er jedoch ein Versager wie schon sein Vorfahre Colin. Eine andere gute Tochter aus der Eacy Lass war die 1946 gefohlte Wistful (Sun Again), die 51 Starts absolvierte und 13 Rennen gewann. Darunter auch die Kentucky Oaks, Coaching Club American Oaks und die zu Pimlico.