100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 4

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Der Havens Gate Outlook in Idaho


Das White Bird Battle Field. Hier begann der Vernichtungskrieg gegen die Nez Percé Indianer

Dennoch, auch ohne diesen Titel hat der Salmon River, der die Jetboote in Idahos Wilderness mit Hirschen, Bergziegen, Dickhornschafen, Bären und Pumas lockt, schon ein erhebliches Freizeitpotential. Direkt an diesem Fluss liegt am Abend auch unser nächster Campingplatz in Lucille, und dieser Riverfront Gardens RV Park, der auch Blockhütten vermietet, ist mit 32 Standplätzen klein, verrät aber schon bei der Ankunft mit gepflegtem Rasen und viel Blumenschmuck eine äußerst „gepflegte Handschrift“. Und seine Sanitärräume erinnern eher an ein gepflegtes Bad mit Föhn, Seife, Shampoo, Duschgel und Badehandtücher. Doch so schön es hier ist, unser Ziel ist die Straße, und die haben wir am nächsten Morgen kurz nach Sechs Uhr auch schon wieder unter den Rädern. Bis Grangeville ist das die „95“, während uns die „12“ durch Wald- und Gebirgslandschaft über den Lolo Pass nach Missoula in Montana bringen wird, wo auch unser Tagesziel, der „Flat Head Lake“ liegt.

Die hiesige Landschaft ist schön, das enge Tal von Braun und Grün gezeichnet, und seine Berge hinterlassen den Eindruck, als hätte sie eine überdimensionale Hand gefaltet und geglättet, ohne Ecken und Kanten. In den Mulden wächst hartes, langes Gras, das hier und dort von Strauchwerk und einigen Nadelbäumen verdrängt wird. Und die lange Brücke des neuen White Bird Grad Highways fügt sich elegant und schön in das Tal ein, ohne dass eingezwängte Miniörtchen Whitebird dabei zu stören. Danach folgt der weiterführende, nach zehnjähriger Bauzeit 1975 fertiggestellte Asphalt dem Talrand und ringt dem braunen, gefurchten Berghang ein paar Meter Breite ab, um, parallel eingepasst in den Bergsockel, den nächsten Kamm zu erklimmen. Viel früher, 1872, hatte bereits die Eisenbahn ähnliche Pläne verworfen, weil der durch Süd- und Ost Idaho ziehende Salmon River mit seinem Canyon in diesem Gebiet die umliegenden Berge eine Meile tief einschnitt. Erst seit 1921 klettert eine Straße, die 1938 ihren ersten Asphalt erhielt, als „Old Spiral Highway“ über den White Bird Hill, auf der anderen Talseite, mit doppelter Länge und zahlreichen Haarnadelkurven, die zusammen 37 Kreise ergaben. Lange Jahre hatte sie auch das Privileg, Idahos einziger Nord-Süd Highway zu sein. In der Moderne reist man bequem, und diese Landschaft ist so schön wie sie es schon immer war. Auch heute an diesem zeitigen Morgen, an dem die aufgehende Sonne auf die Berge, das Tal und die unendlichen Hügel im Osten goldgelbes, warmes Licht zaubert und Hänge und Hügel wie weiche Teppiche erscheinen lässt, auf denen herbstlich gefärbte Gräser, Sträucher und einzelne dunkelgrüne Tannen und Kiefern Nuancen setzen.

Dieses Land gehörte einst den Nez Percé-Indianern (auch als Nee Me Poo bekannt), die seit unzähligen Generationen zwischen den mächtigen Gebirgen, Flüssen, Schluchten und grasbewachsenen Ebenen des Hochplateaus ihre Heimat hatten, wo die heutigen Staaten Oregon, Idaho und Washington zusammentreffen. Und dieses Land hatte die US-Regierung fünf Jahre vor ihrem vertraglichen Wortbruch zu schützen gelobt. Danach kamen Goldfunde, Tausende strömten in die Reservation, errichteten Siedlungen wie die des heutigen Lewiston, und der Druck der Goldsucher veranlasste die Regierung, den betroffenen Häuptlingen einen Vertrag vorzulegen, nach dem sie 25.000 Quadratkilometer ihres Landes aufgeben und in ein Gebiet umziehen sollten, das nur noch einem Zehntel ihrer jetzigen Heimat entsprach. Chief Josef und andere Häuptlinge weigerten sich, doch gelang es durch Bestechung Unterschriften von Häuptlingen unter den Vertrag zu bekommen, von denen kein einziger das Recht hatte, für die gesamte Nez Percé Nation zu sprechen. Als Josef davon erfuhr soll er seine Bibel weggeworfen, zur Religion seines Volkes zurückgekehrt sein und gesagt haben, dass kein Mensch, der frei geboren wurde, damit zufrieden sein kann, eingepfercht zu leben ohne die Freiheit zu haben, zu gehen wohin er will. Genauso gut könnte man erwarten, dass die Flüsse rückwärts fließen. Dennoch ging die US-Regierung von der Gültigkeit des neuen Vertrages aus, und hier unter dem Berg, wo ein „Nez Persé Monument“ an der „95“ die Aufmerksamkeit auf das „White Bird Battle Field“ lenkt, begann am 17.6.1877 die absolute Feindschaft und der Krieg mit den US-Truppen. Auslöser waren zwei unverhoffte gefallene Schüsse auf Seiten der Kavallerie-Soldaten unter Captain David Perry, als eine Abordnung der Indianer zwischen den beiden Hügeln in der Talmitte mit der US Armee friedlich verhandeln wollte. Von den etwa 100 US-Soldaten fand ein Drittel den Tod, der Rest floh ungeordnet. Für die Nez Persé-Indianer endete dieser kleine Sieg in einer langen Reise, mit Verfolgung, Aufgabe und der Ergebung von Chief Joseph, ihrem Häuptling, denn am Ende, kurz vor der rettenden kanadischen Grenze, hatten sie keine Chance mehr. Die Nez Perce waren hier zu Hause, und es war nur ein kleiner Teil dessen, was sie seit Generationen als Heimat bewohnten; siebzehn Millionen Acker Homeland bevölkerten sie insgesamt, knapp sieben Millionen Hektar. Als Gold gefunden wurde, nahm ihnen der „Treaty von 1863“ 90 Prozent des Landes weg. Danach kam es zum Kampf und zur Vernichtung dieser Indianer, die sich mit den Pelzhändlern, von denen sie ihren Namen erhielten, angefreundet, der amerikanischen Armee geholfen und den Missionaren den Weg nicht versperrt, und die auch die von Lewis und Clark angeführte Expedition in den Bitterroot Mountains 1805 vor dem Verhungern gerettet hatten. Mit Blick über das Tal und das weite Hinterland kann man sich hier oben jenen Tag vorstellen. Dort, wo heute der kleine Ort existiert standen die Tipis der Nez Percé, von links kamen die Soldaten, und die Gruppe der Verhandlungsführer mit ihren weißen Fahnen standen zwischen den beiden Hügeln …

Auf 1.294 Meter Meereshöhe zieht der moderne Highway über den Pass nach Granville, wo wir kurz darauf bei Kooskia – dem Tor zu den Clearwater –, Bitterrood Forests und der Selway-Bitterroot Wilderness – der von Lewiston kommenden „12“ nach Missoula in Montana folgen, und die schöne Fahrt durch Wald und Fels fortzusetzen, auf der uns der Lochsa River ein ganzes Stück Gesellschaft leistet. In der 70.000-Einwohner-Stadt mit Universität, internationalem Flughafen, von Bergen umgeben und den Flüssen Clark Fork, Bitterroot und Blackfoot durchzogen, waren wir schon einmal zu Gast, sodass wir nicht dort, sondern am Lolo-Pass die Reise kurz unterbrechen, der den Bitterroot-Bergzug auf knappen 1.600 Metern überquert und den Highway dort nach Montana bringt. Und diese „12“, die sich auch „Lewis & Clark Trail“ nennt, entstand auch auf historischem Boden, denn Lewis und Clark kamen am 12.8.1805 über den Lemhi Pass in das damalige Homeland der Sacajawea Indianer (ein Zweig der Lemhi Shoshone), folgten in nördlicher Richtung der heutigen „93“ nach Lolo/Missoula, um dann dem neuzeitlichen Verlauf des Highway „12“ in Richtung Lewiston und weiter in den Bundesstaat Washington zu folgen. In Montana hatte die Expedition, die einen Wasserweg vom Osten zum Pazifik finden, Flora und Fauna dokumentieren und die Eingeborenen entlang des Weges treffen sollte, den Missouri benutzt, bevor sie bei Great Falls nach Süden zog und auf der Höhe vom heutigen Dillon, wo wenige Kilometer südlicher das Lewis and Clark Memorial zu finden ist, Richtung Westen den Lemhi Pass (2.247 Meter) überschritt, um danach wieder nordwärts durch die Bitterroott-Mountains zu marschieren Der Heimweg verlief in dieser Gegend allerdings getrennt. Lewis ging eine ähnliche Route Richtung Sidney zurück, Clark hielt sich ab „Dillon“ südlicher, und sein Weg berührte ungefähr die heutigen Orte Billings und Glendive. Eine kurze Begegnung mit jenen Männern gibt‘s am Highway auch schon dort, wo die „Cedar Grove Historic Site“ einlädt, an diesem alten Western Red Cedar-Bestand nicht achtlos vorbeizufahren. Geehrt wird an diesem Ort Bernhard De Voto, der hier sehr oft gecampt und die Journals von Lewis und Clark studiert haben soll, um sie fünfzig Jahre später zu veröffentlichen. Und hier erfasst das Auge wohl noch die gleichen Bilder, die auch jener vor mehr als 200 Jahren gesehen hat, denn Zedern wachsen sehr langsam und sind erst nach 400 bis 500 Jahren ausgereift. Und gewährt man ihnen den nötigen Schutz, dann können sie bis zu 3.000 Jahre überleben.


In engen Tälern finden sich viele winzige Farmen

Am Lolo Pass, der Grenze zwischen Idaho und Montana, ist das Visitor Center – auch eine Büste von Chief Josef gehört zur Ausstattung – ein Muss. Außerhalb finden sich am „Wetland Trail“ zwei Gedenksteine. Ersterer erinnert daran, dass genau hier, am 23.7.1877, 750 Nez Persé-Indianer mit mehr als 2.000 Pferden entlangzogen, um der US-Armee zu entkommen und damit ihre Heimat für immer hinter sich ließen. Sie folgten diesem Trail über die Bitterrot Mountains in der Hoffnung, weiter östlich bei befreundeten Stämmen Frieden zu finden. Dass es anders kam, bestätigten Chief Josefs letzte Worte in seiner Kapitulationsrede – tagelang belagert und umzingelnd, ihre Pferde verjagt, die wichtigsten Häuptlinge tot, und ihre Frauen und Kinder hungerten erbärmlich – am 5.10.1877 nahe der Kanadischen Grenze und des Baars Pam Mountain: „Ich werde nie mehr kämpfen“. Die rettende Grenze hatten sie nicht mehr überschreiten können. 1971 machte sich die Amerikanerin Hetty Dutra zu Pferd auf den Fluchtweg dieses Indianervolkes und ritt die etwa 1.300 Meilen des Nez Percé National Trails bis dorthin zu Ende, wo Chief Joseph aufgeben musste. Zwanzig Jahre später, 2014, wiederholte die inzwischen 71-jährige diese Tour erneut und war unterwegs, wie vorher auch, fast immer allein. Geld dafür hatte sie nicht, und deswegen bat sie im Internet um Spenden.

 

Ein weiterer Gedenkstein, nur ein paar Meter entfernt, ehrt den Professor und Schriftsteller Stephen E. Ambros, der mit seinem Bestseller „Undaunted Courage“ – die Lewis und Clarkstory – Millionen von Amerikanern für ihre Vergangenheit begeisterte, weil er sein Wissen durch die Kunst seines Schreibens weiterreichen konnte. Schließlich passt auch das 2003 eröffnete rustikale „Lolo Pass Visitor Center und Rest Area“ – der Ranger Station aus den 1930er Jahren nachempfunden – selbst zu dieser friedvollen Umgebung. Der sanfte, sehr gut ausgestattete Sechs-Millionen-Dollar-Bau aus dicken Holzbohlen ließ bei seiner Entstehung auch die Indianerstämme teilhaben, die den Jahrhunderte alten Pfad über die Bitterroot Mountains genutzt hatten, der durch das Besucherzentrum ebenfalls geehrt werden sollte. Lauscht man heute an dem populären Stopp am Wetland Trail in den Wald oder das Feuchtgebiet hinein, dann kann man sich das Getrappel jener zweitausend Pferde schon vorstellen, die unter schweigenden Indianern auf diesem Trail vorüberzogen und deren Habe trugen, als sie noch Hoffnung hatten. Im Visitor Center hängt auch eine passende Story, zu der vermerkt ist, dass Ella Clark, eine Nez Percé, diese Geschichte von dem Jungen und dem Bär erzählt hat:

“A boy of the People was lost in the Mountains when he met HAHATHS, the Grizzly Bear. The Grizzlys eyes were filled with hatred. He did not won’t to give his land to the People, but the boy was not afraid.” “I can only die. Death is part of life”, he said. Bear was surprised. “You have shown the bravery of Bear, the wisdom of Coyote, and the pride of Eagles. I will show you the secrets of your new home. Bear showed him streams full of fish and the homes of Beaver, Moos, Elk and Dear. He climbed the “backbone of the highest mountains” to show the boy the way to the other side where quas-peet-za (curled hairs) buffalo lived. He also showed him the huckleberry, chokecherry and serviceberry. Then he brought him home to his family. Go tell your People what you have learned about this great land and the trail that will take them across the mountains, Bear said. Then he disappeared, and the boy returned to his People”…


Die Bronze-Büste des Nez Persé Häuptlings Chief Joseph

David Thompson, unermüdlicher Forscher ohne Auftrag

Zwischen Missoula und Spokane (Washington) liegen auf der „Interstate 90“ etwa 450 Kilometer, zum Coer d‘Alene See in Idaho einhundert weniger, und der kürzeste Weg nach Kalispell am Flathead Lake (Montana) ist nach rund zweihundertvierzig am Ziel, doch ist die gesamte Gegend „David Thompson Country“, und im heutigen Idaho, Washington und Montana folgen viele Straßen seinen Pfaden, von denen auch wir gegen Ende unserer Reise 2011 die wichtigsten Stationen mit einbezogen. Für den Forscher und Pelzhändler wäre dessen erstes Jahr westlich der Rockies auch fast schon sein letztes gewesen, weil die Pelzausbeute aus der „Columbia Division“ den Partnern in Montreal zu mager war. Als er ein weiteres Jahr Zeit bekam war dem „Unermüdlichen“ auch klar, dass, wenn es nicht gelingt, das Fellaufkommen ganz erheblich zu steigern, auch sein ganz großes Ziel, das Columbiagebiet zu kartographieren, ausgeträumt ist. Viele Felle kosteten aber auch viel Zeit, die er eigentlich brauchte, um das Land zu erkunden.

Im Herbst 1808 war Thompson wieder im Kootanae House zurück, mit genügend Personal und neuen Tauschwaren, und Anfang November ruderte bereits die erste Crew ihre voll beladenen Kanus ins Lake Indians-Country Richtung Bonners Ferry, im Norden von Idaho. Als die Kanus im Eis des Kootenay Rivers stecken blieben, gingen einige Männer zurück und holten Pferde. In Montana war aber auch der Schnee für sie zu tief und zwang zur Überwinterung in der Nähe des Fish-Rivers. Die Vermutung, dass die neue Blockhütte, die nach dem Anführer dieser Crew als „McDonalds Camp“ bezeichnet wurde, auch ein sehr guter Handelsplatz sein könnte – südlich ging es zu den Flatheads, westwärts lebten die Lake Indians und nördlich war es das Land der Kootenays – bestätigte das Frühjahr 1809. Als es wieder zurück über den Howe Pass, und danach auf die 4.000 Bootsmeilen zum Rainy Lake ging, hatten die Pferde zweieinhalb Tonnen Felle und Pelze zu schleppen. Dieser Erfolg sprach sich schnell herum, und als Thompson noch unterwegs davon erfuhr, dass auch die Hudson’s Bay Company erste Späher über den von ihm entdeckten Pass nach Westen entsandt hatte, schickte er sofort einen Mitarbeiter als Vertreter mit den Kanus ostwärts weiter, besuchte kurz seine Familie im Fort Augustus und ging umgehend über die Rockies zum Kootanae House zurück. Dort belud er sein Kanu, ruderte es in den amerikanischen Nordwesten und landete am 29.8.1809 nahe dem heutigen Bonners Ferry (Idaho) an einem Trail, der über 40 Meilen vom Kootenay River zum Pend Oreille Lake führte, und dem der Engländer den Namen „The Great Road of the Flatheads“ gab, ihn aber auch „Lake Indian Road“ nannte. Bis die Indianer mit Pferden eintrafen und eine Tonne Handelswaren vom Kanu auf vierzehn Vierbeiner verteilt werden konnten, musste sich Thompson bis zum 6.September gedulden. Südlich vom heutigen Sandpoint wurde auf indianische Kanus umgeladen, die die Fracht vom See zum Delta des Clark Fork Rivers transportierten, wo der Tross aus achtzig Leuten campte, denn wie immer hatten die Indianer – Flatheads, Pointed Hearts und ein paar Kootenays – auch ihre Familien dabei. Idahos erste Trading Post entstand aber wohl doch nicht direkt an diesem Lagerplatz, sondern auf der sich in den Lake Pend Oreille schiebenden Hope-Halbinsel, wo sich heute der sehr einfache Samowen Campground ausbreitet, denn nach dort führte 1923 ein alter Kalispell-Indianer einheimische Offizielle und zeigte ihnen die Reste der beiden Gebäude des „Kullyspell Houses“. In der Nähe der Einmündung des Clark Fork Rivers war mit dessen Bau am 11.September 1809 begonnen worden, und das Warenhaus zwölf Tage später als erstes Gebäude seiner Bestimmung übergeben. In East Hope an der Wellington Road erinnert heute das „David Thompson Historical Monument“ an jene Tage, als im heutigen Idaho die erste Konstruktion eines weißen Mannes – durch David Thompson und Finnan McDonald von der North West Company – errichtet wurde, um mit den ansässigen Indianern Handel zu treiben. Die neue Trading Post, als auch den Fluss unter ihr, benannte Thompson nach den damals halbnomatischen Kalispell-Indianern, in deren Herzland sich der Handelsposten der North West Company befand, und deren Namen er mit „Kullyspell“ niederschrieb. Die moderne Namensgebung soll auf französische Pelzhändler zurückgehen, die für Idahos größten und tiefsten See, der die Form eines Ohres zeichnet, Lake Pend Oreille parat hatten.

Funktioniert hat der neue Handelsplatz auf Anhieb, denn die Kalispell, die alles brauchten – Kessel, Messer, Äxte, Gewehre, Kugeln, Schwarzpulver, Tuch, Perlen oder Tabak – lieferten, was erwünscht war, auch Fisch und Fleisch, und für ein Pferd zahlten sie mit 15 Häuten. Und als diese Indianer David Thompson erzählten, dass ihr nach Norden fließender River (Bend Oreille) in den ganz großen Fluss münden würde, überließ er Finnan McDonald die Aufsicht, und ritt bereits zwei Tage später westwärts, um den gesamten Herbst 1809 und den Winter des neuen Jahres zur Erkundung dieser Gegend zu nutzen. Als dieses seinem Ende entgegenging, hatte er auch das „Saleesh House“ am Clark Fork River nahe Thompson Falls im heutigen Montana fertig. Den Pend Oreille River nannte er „ Saleesh“, weil dieser nur ein Segment eines viel längeren Flusses war, der aus Montanas Flathead Lake abfloss, und dem er den gleichen Namen gegeben hatte. In der heutigen Zeit lesen sich die Namen dieser Flüsse allerdings etwas anders. Der Flathead River verlässt den gleichnamigen See und fliest in den Clark Fork River, der hoch aus den Rocky Mountains bei Anaconta (Montana) kommt und nach 300 Meilen westwärts vorübergehende Ruhe im Lake Pend Oreille findet. Mit seinem Austritt auf der Westseite des Sees tut er das als Pend Oreille River, sucht sich im nördlichen Idaho-Penhandle seinen Weg nach Washington, um kurz hinter der kanadischen Grenze seine Wasser in den „Großen Fluss“, den Columbia River, zu entlassen. Im Gebirgsmassiv westlich der Rocky Mountains hat heute jedes wichtige Flusstal eine Straße, doch als David Thompson den Hinweisen der hiesigen Indianer folgte, ritt er durch unbekanntes, wildes Land und beide, Pferd und Mensch, mussten jedes Hindernis bezwingen, direkt oder auf Umwegen. Der moderne Kundschafter folgt hingegen im klimatisierten Auto ganz einfach dem, was sich heute „Pend Oreille Scenic Byways“ nennt: Als Highway 200 schlängelt er sich in Idaho um die nördlichen Buchten des Lake Pend Oreille, folgt dann dem Pend Oreille River als „2“, schwingt anschließend über Newport nordwestwärts nach Washington, wo die Panoramastraße mit dem Fluss als „20“, dann als „31“ durch die „vergessene Ecke Washingtons“ zur kanadischen Grenze zieht.

Eine Woche lang waren Thompson und zwei seiner Männer damals mit Pferden und Kanu in dieser Richtung unterwegs, doch die letzten Fälle des Flusses vor seiner Mündung in den Columbia hatten sie noch immer nicht gefunden. Weil aber auch der Führer diese Fälle noch nie gesehen hatte, die mit Tauschwaren beladenen Kanus vom Rainy Lake täglich eintreffen konnten und die Zeit somit drängte, brach Thompson die Suche nach dem Großen Fluss ab. Und als das geschah, waren die Suchenden nur noch 40 Meilen vom Columbia und acht vom „Box Canyon“ entfernt. Dieser hätte die Männer sicherlich nicht überfordert, denn die tatsächlichen Hindernisse hätten auf die Ruderer erst im „Z-Canyon gewartet, wo neben den berüchtigten „Metaline Falls“, die mit maßloser Gewalt im wilden Zickzack durch die steile Schlucht tobten, auch alle anderen Fälle über die Felsen schossen und gemeinsam jede Passage erheblich beschwerten. Aber auch das ist längst Vergangenheit, denn die hoch aufgestauten und beruhigten Wassermengen der heutigen Dämme Boundary, Seven Mile und Waneta haben alles Wilde unter sich begraben. Und, obwohl inzwischen viele Arten von Schiffen auf dem Fluss kreuzen, eine schiffbare Route zum Columbia ist es noch immer nicht, denn nun sind die Dämme das Hindernis. Die Kalispells waren also schlechter informiert gewesen, als die Lake Indians, die Thompson schon früher vor fünf schweren Passagen gewarnt hatten, doch war für den Pelzhändler auf der Suche nach dem Columbia auch eine Gewohnheit der Kalispells hochinteressant, die die Indianer einmal im Jahr nach „Kettle Falls“ (nördlich von Spokane) zum Lachsfischen führte. Interessant war dabei der Trail, den die Indianer gingen, denn dieser führte über die Berge zum heutigen Colville River, der in den Columbia mündet und dem die Kalispells bis dorthin folgten. Wäre der Engländer sofort losgezogen, dann hätte er auch die Mündung des Columbias in den Pazifik zwei Jahre früher entdeckt, doch wie so oft wurde er längst anderswo erwartet, musste zurück, und hatte in der hektischen Welt des Pelzhandels wieder einmal keine Zeit mehr für Flüsse und Wege. Und während das „Kullyspell House“ noch längst nicht fertig war, baute Thompson am Clark Fork Fluss schon an der nächsten Niederlassung, dem „Saleesh House“. Mit der Realisierung seiner dritten Post „am Spokane“ würde er mit seiner Strategie dann ein riesiges Territorium abdecken, das aus heutiger Sicht zu den Staaten von Idaho, Montana und Washington gehört. Beim Bau der ersten beiden Handelsposten war Thompson zugegen, Spokane entstand in seiner Abwesenheit, denn im April 1810 musste er zurück nach Montreal.

Das, was für die „Northwest Company“, in deren Diensten Thompson stand, die „Columbia Division“ war, war für die Amerikaner ein Teil ihres „Oregon Countries“, ein riesiges Stück Land, das sich zwischen den Rockies, dem Pazifik und der Nordgrenze Kaliforniens ausbreitete und bis an Alaskas Panhandle-Spitze reichte. Käpt’n Gray hatte es für die Amerikaner, Käpt’n Vancouver für Britannien entdeckt. 1846 wurde der Vertrag, dieses Land gemeinsam zu nutzen, aufgehoben, als sich „Kanadas“ vorheriger Eigner, England, mit den Amerikanern im „Oregon Kompromiss“ auf den 49. Breitengrad als Landesgrenze verständigte, die auch das Oregon Country teilte. Selbstverständlich galt auch Thompsons erstes Jahr im „Oregon Country“ dem Pelzhandel, denn er hatte nicht, wie Vancouver, die Admiralität hinter sich, oder einen amerikanischen Präsidenten wie Lewis und Clark als Auftraggeber. Als arbeitender Partner war er für Profit verantwortlich, und nicht für die Erforschung und Kartographierung des Landes, das war sein Hobby. Er war ein Forscher ohne Auftrag und tat es dennoch. Auch sein zweites Jahr, 1809, galt nur dem Geschäft, bei dem er von der Zentrale am Rainy Lake inzwischen so weit entfernt war, dass die Reise mit Pelzen und Fellen nach dort, und mit Tauschwaren wieder zurück, ein halbes Jahr beanspruchte. Dennoch nutzte er jede Gelegenheit, um unbekanntes Land zu erkunden, auch auf kleinen Umwegen. Und zu einem solchen nutzte er auch den nächsten Treffpunkt mit den Kanus, die vom Rainy Lake beladen zurückkamen. Statt den direkten Weg nach Norden zu wählen, ritt er zunächst nach Südosten und drehte dann um, sodass aus den weniger als 40 Meilen bis zum Treffpunkt 160 wurden. Und dem Trail, den Thompson damals vom Kullyspell House aus ritt, folgt heute, entlang des Clark Fork Rivers, der Highway 200. Bei „Traut Creek“, wo der Highway an die andere Seite des Flusses wechselt, holpert die „Blue Slide Road“ für etwa 20 Meilen auch heute noch parallel mit, und auch über die alten Spuren der Reiter von damals. An ihrem höchsten Punkt bietet uns die Schotterstraße einen guten Blick auf das Clark Fork Tal unter ihr, und die „schöne Ebene“, wo Thompsons 40 Pferde endlich gutes Gras fanden, soll dort gewesen sein, wo die Seitenstraße wieder in den Highway mündet, beim heutigen Ort Thompson Falls in Montana. Als der Engländer an jenem Abend hier sein Nachtlager aufschlug, schrieb man 1809. Es war das gleiche Jahr, in dem 4 der 8 Glocken des Domes der alten Römerstadt Mainz aus dem Metall eroberter preußischer Kanonen gegossen wurden, die Napoleon dafür zur Verfügung gestellt hatte. Nur runde 200 Jahre ist das her, und doch schon eine Ewigkeit. Und das ist dann auch der erste „kleine Abstecher“ gewesen, auf den wir nicht verzichten wollten. Die Domglocken zu Mainz, und das Camp eines David Thompson, welch ein Brückenschlag. Hier wollten wir, hier mussten wir ganz einfach einmal gestanden haben.

 

Von hier aus wollte Thompson bis zum Treffpunkt mit seinen Ruderern die „Kootanae Road“ nutzen, von der er aus seinen Aufzeichnungen wusste, dass sie den Clark Fork- mit dem Kootenay River verband. Mit einem indianischen Führer zog der kleine Trupp auf einem Korridor durch die Cabinett Mountains und entlang des Thompson Rivers stromauf. Danach wählte der Indianer das Fisher River-Tal und begleitete dessen Fluss bis zu seiner Mündung in den Kootenay, die heute zwischen dem Libby Damm und dem Ort Libby liegt. Thompsons Guide verlief sich damals aber sehr oft, verpasste bereits den richtigen Einstieg, kam viel zu weit nach Osten ab, und als sie den Wald hinter sich hatten und freies Gelände erreichten, war das schon auf der Höhe des heutigen Plains. Der Weg, den sie nun nach Nordosten einschlugen, zeigt in etwa der Highway 28 an, der zum Flathead Lake führt, und in der Nähe, wo er bei Lonepine den Little Bitterroot River überkreuzt, durchquerte wohl auch Thompson den Fluss. Bei Hot Springs ritt der Engländer östlich durch die damals mit Salbei bewachsene Ebene des Little Bitterroot Valleys, ließ den Flathead Lake rechts liegen und orientierte sich nordwestlich zum „Pleasant Valley“, das sich nördlich des heutigen Highway 2 zwischen Kalispell (Montana) und Happy’s Inn ausbreitet. Und wer von Niarada die zur „2“ holpernde Schotterstraße fährt, der dürfte jenen alten Spuren ziemlich nahe sein. Auf der Ostseite der Wolf Mountains soll die Richtung beibehalten worden sein bis der Wolf Creek die Reiter zu seiner Mündung in den Fisher River führte, der in den Kootenay River fließt, an dem der Pelzhändler am Abend des 20.10.1809 auf seine vom Rainy Lake zurückgekehrten Kanus traf. Heute zieht neben dem Fisher River ein Asphaltband mit, das je zur Hälfte als „763“ und „535“ ausgezeichnet ist, und auf den letzten zehn Meilen zum Fluss verlief auch das letzte Stück der „Kootanae Road“. Zwei Tage später erreichten die Boote, wie auch die ihnen auf dem Landweg entgegengekommenen Pferde, das nördliche Ende der „Great Road of the Flat Heads“. Vom heutigen Bonners Ferry (Idaho) marschierte der gesamte Tross auf dem Indianerpfad nach Süden und war am 30.10.1809 wieder „zu Hause“, in der „Kullyspell House Trading Post“ am Lake Pend Oreille. Achtundvierzig Stunden später war Thompson mit sechs seiner Männer schon wieder unterwegs, um in der Nähe seines kürzlichen Lagerplatzes beim heutigen „Thompson Falls“ neue Gebäude zu errichten, um den Handel mit den Flatheads schnellstens zu beginnen. Der Weg nach dort war schwierig, fast ohne Gras, und die Pferde schon beim Start in schlechter Verfassung. Den Männern, die unterwegs eins nach dem anderen zurückgelassen mussten, ging es nicht besser, und als sie ihr Ziel erreichten, hatten sie seit zwei Tagen keinen einzigen Bissen gegessen. Nachdem es an den nächsten vier kaum mehr war, hatten sie am 14. November auch noch keinen einzigen Stamm für das „Saleesh House“ geschlagen. Doch dann kam „Jaco“ mit Nahrung, der Bau begann und am 1. Dezember zog Thompson in den neuen Handelsposten ein und benannte ihn nach dem Fluss, den er „Saleesh“ getauft hatte, denn für ihn waren die späteren Flathead- und Clark Fork Rivers das gleiche Gewässer. Bis 1826 war der Posten aktiv, der oberhalb der Einmündung des Thompson Rivers in den Clark Fork gestanden haben soll. Heute weist nur noch ein Schild an der Ostseite der Stadt auf jenen Handelsposten hin.

Auf einem anderen Erkundungsritt stromauf entdeckte der „North-Westerner“ in der Nähe des heutigen Dixon am Flathead River ein großes Camp dieser Indianer, kam mit ihnen sofort ins Geschäft und baute wegen des sehr schweren Geländes, das diesen Platz vom Saleesh-House trennte, umgehend ein Zwischenlager. Der Unermüdliche ritt nicht nur zwischen diesen beiden Orten hin und her, um den Handel mit diesen Flatheads voranzutreiben, sondern erkundete auf diesen Touren auch das unbekannte Terrain der Umgebung. Und in seinem „Journal“ füllte sich Seite um Seite, mit Skizzen, Vermessungsdaten, der Beschreibung des unbekannten Landes oder mit Notizen wie „ Schneesturm, kaum eine viertel Meile Sicht, bitterkalt“. Gehungert haben diese Männer und ihre Pferde oft, sich gequält immer, bis zum umfallen. Als sich Thompsons Tross im März 1810 auf den Weg machten, um die Felle und Pelze vom Zwischenlager zum Saleesh House zu transportierten, waren sie schwer beladen, die Pferde und das große Zedernkanu. Und nur das zählte. David Thompson hatte mit allen gehandelt, die sich in dieser Gegend aufhielten, mit den Flatheads, Iroquois, Trappern, freien Händlern und weißen Jägern. Kein Wunder also, dass gerade in dieser Gegend sehr viel nach ihm benannt wurde, Fluss, Pass, Wasserfall, Wald, Seen, Straßen …

Nachdem der Treck am 25.3.1810 Saleesh-House erreichte und die Fellballen für die Frühjahrsreise zum fernen Rainy Lake im nördlichen Minnesota gepresst waren stand fest, dass sich das, was so schwierig begann, in mehr als zwei Tonnen summierte. Für Thompson war dieser Erfolg Grund genug, um die Häuptlinge der Flatheads, Snakes und Kootenays umgehend ins Saleesh House einzuladen, um sich vor seiner Abreise mit Geschenken bei ihnen zu bedanken. Danach lag vor ihm und seinen Getreuen der weite Weg, um die „Ernte“ nach einigen Tausend Ruderkilometern abzuliefern. Er würde aber wiederkommen, um für einen weiteren Winter im Saleesh House zu sein und um diese Gegend weiter zu erkunden. Dass es aber Februar 1812 werden sollte, bevor er dort, wo heute „Missoula“ auf der Landkarte steht einen Berg besteigen konnte, um nach einer Route entlang des Bitterroot Rivers Ausschau zu halten, das ahnte Thompson bei seiner Abreise noch nicht. Heute wissen wir, dass der „Bitterroot“ mit zwei Armen in der Nähe von Conner entspringt, bei Missoula in den Clark Fork River mündet und durch sein Tal die „93“ zieht, die in Kanada in der Nähe von Banff geboren wird, über den Vermilion Pass klettert, sich nach dem Columbia- und Kootenay-Tal nach Montana ausrichtet, Kalispell und Missoula berührt und in Las Vegas, Nevada endet. Sie ist gewissermaßen eine ruhigere und abgeschiedene Alternative zur amerikanischen “Interstate 15“, die südlich von Calgary und Lethbridge an deren „2“ und „4“ anknüpft, und über Great Falls, Butte, Salt Lake City zum gleichen Ziel führt, und in Las Vegas bis nach San Diego verlängert. Der Berg, den Thompson damals zum Überblick nutzte, soll der „Jumbo Hill“ gewesen sein, der in unserer Zeit die Universität von Montana in Missoula überblickt. Nach einem letzten Trip zum Clark Fork ritt Thompson damals entlang des Flathead Rivers nach Norden, wo er am „Polson Hill“, am Südende des Flathead Lakes beim gleichnamigen Ort, campte. Möglich, dass wir dort 2010 auch seine Spuren kreuzten.

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