Buch lesen: «Jürgen Klopp», Seite 5

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Schattenkabinett

Mannschaftssitzung vor einem Spiel gegen Rot-Weiss Essen, Reinhard Saftig erklärt die Taktik, Grundordnung: Dreierkette. Nichts mehr von Franks System, altbackener Fußball. Nach der Sitzung kommt der Spieler Klopp zu Heidel ins Büro, er ist ein wenig aufgebracht, der Spieler Klopp. Und nun wird es konspirativ: »Sollen wir spielen wie immer, oder wie der Saftig es will?«, fragt Klopp den Manager. Heidel überlegt nicht lange, die Konsequenzen ahnend: »Spielt so wie immer.« Also die Frank-Taktik, Viererkette, das, worauf er Saftig in den Gesprächen, bevor der neue Mann einen Vertrag bekam, verpflichtet hatte. Mainz gewinnt, Saftig wird gefeiert, es entsteht, was Heidel »das Schattenkabinett« nennt. Auf Dauer geht das nicht, Heidel wird das immer klarer.

»An dem Tisch«, sagt Heidel in seinem Büro und klopft vehement auf den Tisch, auf dem unsere Kaffeetassen hüpfen, habe er mit Klopp, dem Spieler, gesessen und über die Taktik gesprochen, mit der Mainz spielen muss, trotz Trainer. »Wir machen das so, und wir machen das so«, erklärt ihm der Klopp. Und der Saftig ist nur die Außendarstellung. Doch irgendwann setzt sich Saftig gegen den in Klopp personifizierten Widerstand der Mannschaft durch und macht ein paar Fehler, die von den Spielern nicht korrigiert werden können. Mainz wird Vierter, der VfL Wolfsburg, noch ohne VW im Kreuz – manchmal auch im Nacken – steigt auf. Es ist der erste der ominösen vierten Mainzer Plätze.

In der nächsten Saison muss Saftig gehen, der Österreicher Dietmar Constantini kommt. Er war unter seinem Mentor Ernst Happel Co-Trainer der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft. Mit Constantini spielt Mainz häufig unentschieden und mit Libero. Nach einer 1:3-Niederlage zu Hause gegen die SG Wattenscheid, der Abstand zu den Stuttgarter Kickers, die 15. sind, beträgt nur noch einen Punkt, tritt Constantini zurück: »Euch kann in dieser verdammt schwierigen Situation nur noch einer helfen, und das ist Wolfgang Frank«, sagt Constantini, und man sieht diesem Satz Franks Schatten an.

Frank II

Wolfgang Frank, wenige Tage zuvor noch bei Austria Wien unter Vertrag, kommt nach Mainz zurück. Zum Auswärtsspiel bei den Stuttgarter Kickers, dem ersten unter Rückkehrer Frank, fahren 1.200 Mainzer Fans mit, sie rufen: »Messias, Messias.« Manche Spieler empfinden ähnlich, da schwingt etwas von dem mit, was in den Mainzer Dom gehört, aber nicht ins Fußballstadion. Gegen die Kickers gewinnt Mainz mit 2:1, ohne Libero, Jürgen Kramny spielt wieder im Mittelfeld, die Tore machen Steffen Herzberger und Sven Demandt. Mit Frank wird Mainz in der Saison 1997/98 Zehnter, im Jahr darauf Siebter.

Im April 2000, nach einer 0:1-Niederlage gegen den 1.FC Köln, als Frank, mit Vertrag bis 2001 bei Mainz, offen über einen vorzeitigen Wechsel zum MSV Duisburg verhandelt, muss er in Mainz gehen. Daraufhin spricht Frank zwei Jahre kein Wort mit Heidel. Unter seinem Assistenten Dirk Karkuth schaffen die in Abstiegsgefahr schwebenden Mainzer den Klassenerhalt. Karkuth ist keine Dauerlösung, die soll René Vandereycken sein, doch der bringt einen Libero mit.

»Unsere Mannschaft war von Frank taktisch hervorragend ausgebildet, die Trainer, die sie nach ihm hatte, waren es nicht«, sagt Heidel, »die Mannschaft war taktisch besser als ihre Trainer.« Und mit den neuen Spielern gab es Probleme, weil die alten das System drauf hatten, die neuen es aber nicht lernten, weil es die Trainer ihnen nicht beibringen konnten.

Vandereycken legt sich mit den erfahrenen Spielern an, Klopp ist nicht mehr im Kader. Am 11. November, zwölfter Spieltag, eine 0:2-Heimniederlage gegen Hannover 96 mit Roter Karte für Torwart Dimo Wache, hat Mainz zwölf Punkte. Vandereycken, von 2006 bis 2009 Nationaltrainer seiner belgischen Heimat, wird entlassen. Mainz liegt auf dem 15. Tabellenplatz. Das waren keine Pfeifen, die Trainer in Mainz, aber die Ansprüche der 05er waren hoch. Mit der Mannschaft war nur durch ein Spielsystem, mit dem die individuellen Schwächen aufgefangen wurden, etwas zu gewinnen.

Ufz Krautzun

Vandereyckens Nachfolger heißt Eckhard Krautzun. Er hat das geschickt eingefädelt, indem er bei Klopp anruft. Einfach nur so, wie er Klopp versichert. Dass er Trainer in Mainz werden will, verschweigt er. Krautzun fragt und Klopp erklärt ihm, was in der Mannschaft nicht läuft und warum es nicht läuft und was man tun muss, damit sich das ändert. Beim Gespräch mit den Verantwortlichen des FSV Mainz glänzt Krautzun mit Insiderwissen, er kann erklären, wie es mit der Viererkette geht, von der er nur das weiß, was Klopp ihm am Telefon erklärt hat. Er bekommt den Job. »Wir wussten nichts von diesem Gespräch zwischen Krautzun und Kloppo«, sagt Heidel.

Der in der Welt herumgekommene Trainer hat einen unglücklichen Start, indem er sich auf der Pressekonferenz mit dem Satz: »Ich freue mich, in der Pfalz und am Bruchsee zu arbeiten« gleich ins rheinhessische Abseits stellt.

Dem FSV droht derweil der Abstieg. Unter Krautzun, Jahrgang 1941, dessen Vokabular von den Erfahrungen der Kriegsgeneration geprägt ist, wird gegen den FC St. Pauli ein Punkt geholt, und gegen Nürnberg gewonnen, dann folgen sieben Spiele mit nur zwei Punkten. »Kein Schlachtenglück«, schnarrt Krautzun.

Ende Januar 2001 folgt ein 0:0 bei den Stuttgarter Kickers, Mainz ist 16., die Kickers sind 15. Dann ist Winterpause. »Wir mussten was tun«, sagt Heidel und macht sich auf die Suche nach einem neuen Trainer. Es ist Rosenmontag, er sitzt zu Hause und liest die Jahrbücher des Kicker. Vorwärts, rückwärts. »Ich konnte mich mit keiner Vita anfreunden«, sagt Heidel. Neuer Trainer, neuer Trainer, wer wird neuer Trainer »beim Absteiger Nummer eins«, als der Mainz bezeichnet wird?

Die Mannschaft ist mit Krautzun im Trainingslager in Bad Kreuznach, auf der Flucht vor der alles verschlingenden »Määnzer Fassenacht«. Die Vereinsspitze ist beim Rosenmontagsumzug in der Innenstadt. Heidel sitzt auf dem Sofa und denkt nach: »Wie geht es weiter?« Irgendwann sagt er sich: »Die sollen das selbst regeln, wir nehmen die Mannschaft in die Verantwortung. Die Spieler, die sollen das selbst machen, wir haben doch vier, fünf Führungsspieler, wir trainieren uns selbst.« So wie die Jugendlichen in den selbst verwalteten Jugendzentren sich gegenseitig erziehen. Das hat nichts mit Trotz zu tun, oder damit, dass die Mannschaft untrainierbar ist, sondern damit, dass die Spieler etwas vom Fußball wissen, was in Deutschland damals nur wenige Trainer wissen. Und zu denen gehört Krautzun nicht.

»Mach ich«

Heidel ruft Harald Strutz an, ehemaliger Dreispringer, Rechtsanwalt, und seit 1988 Präsident von Mainz 05. Im Hintergrund »dädä dädä dädäää«, Heidel sagt: »Wir trennen uns vom Trainer.« Strutz gelassen: »Jo.« Und im Hintergrund »dädä dädä dädäää«. Heidel sagt: »Der Klopp wird Trainer.« Strutz, die Ruhe selbst: »Aha.« Und im Hintergrund hört Heidel ein dreifach kräftiges »Helau«.

An Aschermittwoch ist das nächste Spiel, gegen Duisburg, die aufsteigen wollen, dann, am Samstag, gegen Chemnitz, den Letzten. »Ich wollte erst mal diese beiden Spiele überstehen«, sagt Heidel. Er ruft Dimo Wache, den Mannschaftskapitän, im Trainingslager an und spricht mit ihm. Er ruft Klopp im Trainingslager an, der verletzt ist und nicht spielen kann: »Ich wusste ja, er will mal Trainer werden.« Heidel stellt sich vor, dass Klopp als Spielertrainer fungiert und fürchtet, dass der sagt: »Du hast sie ja nicht alle.« Heidel fragt, Klopp antwortet prompt: »Mach ich«, aber er will nur Trainer sein. Rasch hatte er abgewogen: Eine Zweitligakarriere als Spieler, die ihrem Ende entgegen ging oder eine neue Karriere, die er sich zutraute. Heidel ist überrascht und froh, denkt: »Hut ab«, und stimmt zu. Den Spieler Jürgen Klopp gab es nach diesem Telefonat in Bad Kreuznach nicht mehr.

»Gib mir ein Spiel«

Heidel fährt anschließend nach Bad Kreuznach, denn alle entscheidenden Akteure wissen nun Bescheid, nur der Krautzun weiß nichts. »Gib mir noch ein Spiel«, bittet Krautzun, als ihn Heidel über seine Entlassung informiert. Heidel sagt »nein«. Krautzun fragt ihn: »Was machste denn jetzt?« Und Heidel sagt: »Wir nehmen den Klopp.« Krautzun sagt: »Nein, denk an den Verein, du hast Verantwortung gegenüber dem Verein, gib mir noch ein Spiel.« Heidel sagt »nein«.

Nun kommt die Pressekonferenz, auf der Heidel den neuen Trainer präsentiert. Die Mainzer Journalisten, die schon was geahnt haben und für die Trainerentlassungen nichts Neues sind, flachsen: »Was will denn der Kloppo hier?« Und als sie erfahren, dass er Trainer sein will, machen sie sich lustig, auch in ihren Zeitungen, über die Mainzer, die nun offensichtlich völlig den Verstand verloren haben, die Zweite Liga aufgegeben haben, über Klopp, der offensichtlich größenwahnsinnig geworden ist. »Wir wurden verarscht«, sagt Heidel.

Klopps erste Ansprache

Dann hält Klopp eine Ansprache an die Mannschaft. Seine erste, Heidel hört zu. »Wenn man mir Schuhe gegeben hätte, ich wäre auf den Platz gelaufen, und ich hätte es gut gemacht«, sagt er. So überzeugt war Klopp, dass die Mannschaft gegen Duisburg gewinnt. »Die Spieler wollten sofort raus und die Duisburger fressen«, erinnert sich Heidel. Der denkt sich: »Okay, Fußball kann er«, das wusste er seit den Zeiten des Schattenkabinetts, »reden kann er auch«. Das ist ja schon mal was.

Gegen Duisburg kommen 3.500 Zuschauer. Vertrauen sieht anders, Skepsis so aus. Mainz gewinnt mit 1:0, Torschütze Christof Babatz. »Gut«, denkt Heidel, »soll Kloppo auch das Spiel gegen Chemnitz machen.« Babatz macht das 1:0 gegen Chemnitz, am Ende steht es 3:1. Klopps Pressekonferenzen sind super, die Interviews nach dem Spiel genauso. »Das kann er auch«, denkt Heidel, »gut, dann bis Saisonende.« Vertrag per Handschlag. Klopp steckt wieder Stangen in den Rasen und die Mannschaft trainiert verschieben, sie presst, spielt offensiv, 4-4-2 und verteidigt im Raum. Mainz bleibt in der Liga, Klopp bleibt Trainer, nun mit Vertrag.

Da ist endlich ein Bogen, ein Zusammenhang, eine Verbindung, endlich passt das eine Teil zum anderen. Frank hat einen Nachfolger. Doch während bei Frank nur das gespielt werden durfte, was auf dem Plan stand, keiner davon auch nur einen Jota abweichen, vor allem nicht Dribbeln durfte, fördert Klopp, bei allen taktischen Vorgaben, die Individualität. Was auch damit zu tun hat, dass er individuell stärkere Spieler als Frank hat.

Authentisch

Den Wechsel vom Spieler zum Trainer schafft Klopp, weil er auch als Trainer »authentisch ist«, sagt Heidel und nennt das »seine größte Gabe«. Man hat Vertrauen zu ihm, ein, wie man weiß, höchst prekäres Gut. »Man hat das Gefühl, dass das, was er sagt, gilt«, sagt Heidel. Dass er das ist, was er sagt, dass er sich nicht verstellt. Es gibt Trainer, die markieren den harten Hund, und sind es nicht. Das macht Klopp nicht.

Klopp ist ein Mensch, der als Trainer auf den Schiedsrichter losgeht, über Werbebanden stolpert, auf die Tribüne muss, auf und abspringt, eine furchterregende Fratze zieht, brüllt, heult, die Zähne fletscht, auf den Platz rennt, und immer ist er hundert Prozent Klopp. »Wie das wirkt, darüber macht er sich keine Gedanken«, sagt Heidel, »Thomas Tuchel ist auch so«. »Authentisch«, sagt auch Weiland, der inzwischen in Mainz im vierten Semester Sport studiert. Trotz Kniebeschwerden war die Sporteingangsprüfung kein Problem. Weiland wird die Riege der Trainer, die aus Klopps (und zum Teil auch Wolfgang Franks) Mannschaften hervorgegangen sind, verstärken: Otto Addo, Sandro Schwarz, Christian Hock, Jürgen Kramny, Sven Demandt, Petr Ruman, Tamás Bódog, Marco Rose, Sven Christ, Peter Neustädter, Ermin Melunovic, Marco Walker. Das sagt etwas aus über

»Ich muss ja nicht alleine glücklich bleiben auf der Welt.«

Klopp weiß genau, dass eine Menge Glück im Spiel war, um Trainer beim FSV Mainz zu werden und in der Bundesliga arbeiten zu dürfen: »Das kann ich jeden Tag fühlen.« Da er auch weiß, wie schwer sich Vereine bei der Suche nach dem richtigen Trainer tun, hält er sich nicht zurück, wenn er gefragt wird. Kann auch vorkommen, dass er sich ungefragt äußert:

»Mittlerweile kenne ich sehr viele Kollegen. Entweder habe ich mit ihnen den Trainerschein gemacht oder habe sie im Laufe der Zeit kennengelernt. Wenn mich ein Präsident am Telefon hat, dann sage ich ihm schon mal: ›Ich kenne da einen, der für dich interessant sein könnte.‹ Ich glaube, dass Entscheider gerade bei der Trainerauswahl extrem viel Hilfe gebrauchen können. Entweder weil sie zu wenig Informationen besitzen oder keine Ruhe haben, die richtige Entscheidung zu treffen. Oder nicht mutig genug sind. In Mainz waren sie mutig, in Dortmund waren sie mutig – davon habe ich profitiert. Und deswegen muss ich ja auch nicht alleine glücklich bleiben auf der Welt.« einen Fußballlehrer, wenn die Spieler, die er trainiert hat, nicht abgeschreckt werden, sondern auch als Trainer arbeiten wollen.

Weiland kommt im Sommer 2001 vom VfL Osnabrück zu den 05ern. Die Mainzer spielen am 22. Oktober 2001 in Osnabrück, beide Mannschaften kämpfen gegen den Abstieg. Bei Mainz muss Mittelfeldspieler Jürgen Kramny nach 15 Minuten mit Muskelfaserriss raus, Klopp wird eingewechselt und spielt gegen Weiland, der die Tore von Daniel Thioune zum 2:1-Sieg des Vfl vorbereitet. Osnabrück steigt trotzdem ab, Mainz bleibt in der zweiten Liga.

»Das hat dich für Mainz qualifiziert«, sagt Klopp zu Weiland, als der sein »Dosenöffner« im Mittelfeld geworden war. Heidel erzählt, dass er zu Spielerverpflichtungen nie Trainer mitgenommen hat, weil er die Befürchtung hatte, dass die den Neuen abschrecken. Anders bei Klopp, der war sein stärkstes Argument: »Mit ihm ist mir fast nie ein Spieler abgesprungen.«

Weiland erkundigt sich, als die Mainzer Anfrage vorliegt, bei Kumpel Babatz, mit dem er für Germania Grasdorf gespielt hat, und immer zusammen auf dem Zimmer war, wie das so ist, in Mainz. Babatz findet Mainz gut. »Man wusste, dass die mit Viererkette spielen, die hatten mit Michael Thurk und Blaise Nkufo gute Stürmer, und suchten einen Linksfuß«, sagt Weiland. Einen wie ihn.

In Osnabrück warnen sie ihn: »Was willste denn da? Spielst vor 3.000 Zuschauern und nächste Saison steigst du auch ab.« Weiland, ein kluger Bursche, schaut sich den Mainzer Kader an und findet ihn unbedingt zweitligatauglich. »Wir hatten dann das Potenzial, um 4-3-3 zu spielen«, sagt Weiland, das war gut für ihn.

Das System

Klopp baut die Neuen langsam ein, ein Neuer muss das System adaptieren. »Das System stand im Vordergrund«, sagt Weiland. Es gab immer auch mal neue Spieler, »die das System nicht spielen konnten, die kriegten das nicht rein, die hatten Probleme bei uns«. Es geht darum, zu antizipieren, zu ahnen, was der Gegner macht, im Kopf wach zu sein. Das war etwas anderes als stumpfe Manndeckung. Auch Pressing muss man wollen.

Weiland erinnert sich an eine Situation, als er seinem Bruder Niclas, dem Stürmer, einen Ball vorlegt, in den freien Raum hebt, über den Verteidiger drüber. Aber der Bruder bleibt stehen, klassisches Missverständnis. Dennis regt sich auf und schimpft: »Hey Mann, du weißt doch, was ich mache!« Daraufhin regt sich Klopp darüber auf, dass sich Dennis Weiland aufregt, statt weiterzuspielen. »Und wenn er sich aufregt, dann ist das erst mal so«, sagt Weiland. Und bleibt auch erst mal so. »Dann musste man was für ihn reißen, um wieder eine Chance zu bekommen«, sagt Weiland.

Weiland bemisst Klopps Anteil daran, dass die Mannschaft an den beiden verpassten Aufstiegen nicht zerschellt ist, als »sehr groß«. Der Trainer macht den Spielern keine Vorwürfe, die Spieler machen sich untereinander keine. »Aus einer anderen Stadt wird man gejagt, wenn das passiert, in Mainz gefeiert«, sagt Weiland, »die Erfahrung macht nicht jeder«.

Auch nach dem zweiten verpassten Aufstieg kein Gedanke an einen Fluch, an psychologische Barrieren, fehlenden Killerinstinkt, »das haben wir uns nicht einreden lassen«, sagt Weiland. Klopp ist ein »emotionaler Mensch, der die Emotionen auslebt, auch als wir nicht aufgestiegen sind, aber dann fängt er sich, schaltet den Kopf ein. Er hat uns klar gemacht, dass dies nicht das Ende der Fahnenstange ist, dass die Möglichkeit wiederkommen wird«, sagt Weiland. Die Spieler glauben ihrem Trainer auch das.

Vertrauen

»Ich habe daran geglaubt, dass der Trainer für die Mannschaft gut ist, und das Richtige macht, auch wenn ich nicht gespielt habe«, sagt Weiland. Es gab Entscheidungen, vor allem am Ende seiner Mainzer Zeit 2006, die er nicht nachvollziehen konnte, als er nach Verletzungspausen auf eine Chance gehofft hatte, aber keine mehr bekam. »Man denkt auch dann, der denkt sich was dabei«, sagt Weiland.

Deshalb ist Klopp jemand, den man auch nach neun Spielen ohne Sieg nicht in Frage stellt, deshalb ist er jemand, der bereits als Jung-Trainer das Interesse von Bayer Leverkusen, des Hamburger SV, von Bayern München und Borussia Dortmund erregt.

Mit Hans-Joachim Watzke, dem Geschäftsführer von Borussia Dortmund, spricht Heidel zwei Jahre, bevor Klopp zum BVB geht, das erste Mal über seinen Trainer. »Ich habe ihm gesagt: Das ist der größte Trainer in Deutschland«, sagt Heidel, auch wenn das schlecht für den FSV ist. Es wird angezweifelt, ob Klopp mit Stars umgehen kann, weil es die ja in Mainz nicht gibt. Klopp wird als reiner Motivationskünstler gesehen, der Mannschaften heißmachen kann, ein wilder Hund, ein bisschen zu wild vielleicht. Bei den Bayern fragen sie sich, ob einer, der wie Klopp rumläuft, unrasiert, Jeans, Löcher drin, in der Champions League geht? Das fuchst Klopp. Die Bayern sagen ihm: »Wir entscheiden uns zwischen Ihnen und einem international renommierten Trainer.« Ihre Wahl fällt auf Jürgen Klinsmann, der noch vor Ablauf der folgenden Saison seinen Trainerstuhl wird räumen müssen.

Der Scout des HSV

Die Hamburger schicken einen Scout, dem auffällt, dass Klopp zu spät zum Training kommt und raucht. Er weiß nicht, dass es ein Ritual in Mainz ist, dass Klopp als Letzter auf den Trainingsplatz läuft. Und zum Rauchen sagt Klopp: »Na ja.« Der HSV hält ihn so lange hin, bis Klopp dem von sich aus ein Ende macht. Bleiben Leverkusen und der BVB. Die Leverkusener machen ihm klar, dass er nur die Nummer zwei hinter Mirko Slomka ist, der es dann auch nicht wird, sondern Bruno Labbadia. Also geht Klopp, weil Mainz nicht aufsteigt, zum BVB.

Ein guter Scout hätte gesehen, dass Klopp, wenn er früher mittrainierte, mit ganzem Herzen dabei ist, »und es immer mal schafft, einen Ball reinzustochern, der alte Stürmer«, sagt Weiland. Mit Willen. Willenskraft, von der er eine Menge hat, schätzt Klopp auch bei anderen. »Wenn das einer nicht hatte, Willen, dann bekam Kloppo eine dicke Halsschlagader«, sagt Weiland. Ein guter Scout hätte die Begeisterung gesehen, mit der in Mainz gearbeitet wurde, den Enthusiasmus, den Spaß des Trainers an der Arbeit, den Spaß der Spieler, und die Präzision, die Akribie.

Im Rahmen des Internationalen Trainerkongresses 2011 in Bochum im Juli 2011 äußerte sich Jürgen Klopp im Interview mit Moderator Max Jung zu den Anfängen seiner Trainerzeit – im Einzelnen über ...12

... die ersten Trainertage 2001:

»Ich kenne noch den Montag, den Tag vorher, den Tag nachher. Die kann ich alle eins zu eins wiedergeben, klar. Das war ein entscheidender Einschnitt in meinem Leben. Man darf nicht vergessen: Ich war damals als Zweitliga-Spieler bei Mainz 05 ein alternder Spieler. (...) Vom alternden Kicker zum blutjungen Trainer war eine eher angenehme Metamorphose. Ich hatte auch direkt das Gefühl, das Leben ist wieder schöner. Und dann durfte ich die Mannschaft übernehmen. Ich habe für wenige Dinge ein Talent, aber dafür scheine ich ein bisschen zu haben. Das hat damals dazu ausgereicht, gemeinsam mit der Mannschaft aus einer schier aussichtslosen Situation heraus noch die Liga zu halten.«

... das Risiko, einen Abstiegskandidaten zu übernehmen:

»Ich habe das damals nicht bewusst wahrgenommen, aber heute ist mir klar: Wäre ich mit 33 Jahren zwei, drei Spieltage vor Saisonende mit Mainz abgestiegen, dann wäre das Trainergeschäft relativ hart gewesen. Dann hätte ich auf meiner Agenda stehen gehabt: erster Versuch, gleich abgestiegen. Da hätte keiner mehr nachgefragt, (...) und einem solchen Trainer noch eine zweite Chance gegeben. Und daher musste ich schon extrem viel Glück in Anspruch nehmen und eben auch auf die Mannschaft vertrauen, das zu schaffen.«

... über die Erfüllung einer Passion:

»Zeitnah war mir klar, dass ich den Trainerjob gerne den Rest meines Lebens machen würde, aber du kannst dich ja nicht bewerben. Ich kann ja nicht sagen: ›Freunde, passt auf, ich kann zwar nicht so gut kicken, aber ich habe einigermaßen durchstiegen, wie das Spiel funktioniert. Also lasst mich mal eure Mannschaft übernehmen.‹ Das geht ja nicht. Mit meiner Legende, die ich als Spieler habe, musst du eigentlich in der vierten oder fünften Liga anfangen (...). Und ich hatte das Glück, als durchschnittlicher Spieler gleich in der zweiten Liga anzufangen.«

... über den famosen Start in die Trainerkarriere mit sechs Siegen in sieben Spielen:

»Das mussten wir auch. Wir hätten keinen Punkt weniger holen dürfen. Es war schon dramatisch, wobei ich das damals nicht so empfand. Wir waren einigermaßen entspannt, denn wir wussten eigentlich, dass das Ding schon verloren war. Jetzt konnten wir nur noch versuchen, an der Sensation zu schrauben und das hat wirklich sehr, sehr gut funktioniert. Wir hatten eine charakterlich außergewöhnlich gute Mannschaft, die alles angenommen hat, was ich mit ihnen veranstaltet habe. Das hat wirklich großen Spaß gemacht.«

Stellvertretend für diesen Spaß berichtete Klopp von der Rückreise nach einem gewonnenen Auswärtsspiel in Ulm: »Wir haben dem Busfahrer gesagt: ›Fahr’ rechts raus‹ und haben an einer Tankstelle angehalten. Dann sind alle mit Sonnenbrillen raus und haben Bier geholt. Wenn sie den Mannschaftsbus von Mainz 05 gesehen haben, haben damals noch alle gedacht: ›Wer sind denn die Ochsen, die da rauskommen?‹ Heute wäre das so nicht mehr möglich. Aber mit dieser Mannschaft, von der etwa alle so alt waren wie ich, war das durchaus nicht die falsche Maßnahme. Das ist mehr als zehn Jahre her, es war eine andere Zeit.«

Weiland erinnert sich lachend an die internationalen Spiele, als Mainz dank der Fairplay-Regelung im UEFA-Pokal spielt, etwa gegen MIKA Aschtarak in Armenien, gegen Keflavik ÍF auf Island und gegen den FC Sevilla. Als Klopp ein Keflavik-Video vorführt, bittet er um Ernsthaftigkeit, weil er selbst darüber lachen muss, wie die Isländer Ecken und Freistöße hoch vor das Tor treten, in der Hoffnung, der Wind schiebt den Ball Richtung Kasten, oder am besten gleich rein. Was er auch tut.

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