Edgar Wallace - Gesammelte Werke

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»Das trifft sich vorzüglich, George. Diese Tat wird die Krone unseres Lebenswerkes sein. Ich sage ›unsere‹, aber ich fürchte, ich muß die Sache ganz allein ausführen, obgleich du dabei eine bedeutende Rolle zu spielen hast.« Er lachte leise und rieb sich die Hände. »Wie fast alle anderen Verbrecher hat auch Twenden einen ganz dummen Fehler begangen. Er hat nach einem alten Testament das Vermögen seiner Frau geerbt. Es blieb ihm ihr ganzer Besitz mit Ausnahme von zweitausend Pfund, die sie auf einer Bank deponiert hatte. Diese sollten an ihren Neffen, einen Ingenieur in Plymouth, fallen. In seiner Habgier hat Twenden sicherlich diese Testamentsbestimmung vergessen und hat das ganze Geld auf seine Bank in Torquay eingezahlt. Vor einigen Tagen wurde es von Newton Abbott aus überwiesen, die ganze Stadt sprach darüber. Fahre also sofort nach Plymouth und suche den jungen Mr. Jackley auf, besuche auch seinen Rechtsanwalt oder irgendeinen anderen. Sollte Dr. Twenden die zweitausend Pfund nicht an seinen Neffen gezahlt haben, so soll er einen Haftbefehl gegen Twenden ausstellen lassen. Der Doktor ist unter diesen Umständen ein Treuhänder, der sich heimlich durch Flucht seinen Verpflichtungen entziehen will, und die Justizbehörden werden den Verhaftungsbefehl ausstellen, wenn sie erfahren, daß der Mann morgen mit der ›Rotterdam‹ das Land verlassen will.«

»Wenn du ein gewöhnlicher Mann wärest, Leon, würde ich denken, daß deine Rache ein wenig ungenügend ist.«

»Das wird sie nicht sein«, entgegnete sein Freund ruhig und gelassen.

Abends um neun Uhr dreißig bestieg Dr. Twenden mit hochgeschlagenem Mantelkragen und herabgezogenem Hut ein Wagenabteil erster Klasse auf dem Bahnhof in Newton Abbott. Der Detektivsergeant, den er kannte, trat an ihn heran und klopfte ihm auf die Schulter.

»Folgen Sie mir, Doktor.«

»Warum denn, Sergeant?« Twenden wurde plötzlich bleich.

»Ich habe einen Haftbefehl für Sie in der Tasche.«

Als dem Doktor die Anklage auf dem Polizeirevier vorgelesen wurde, wütete er wie ein Wahnsinniger.

»Ich werde Ihnen das Geld geben, jetzt sofort! Aber ich muß heute abend noch abfahren. Morgen früh fährt mein Dampfer nach Amerika.«

»Das kann ich mir denken«, erwiderte der Polizeiinspektor trocken. »Deshalb haben wir Sie ja gerade festgenommen.«

So wurde er denn für die Nacht in eine Zelle eingeschlossen.

Am nächsten Morgen fand das erste Verhör statt. Die Zeugen wurden vernommen, und nachdem der junge Mr. Jackley aus Plymouth seine Aussage gemacht hatte, beriet der Gerichtshof.

»Wir haben den unumstößlichen Beweis, daß beabsichtigter Betrug vorliegt, Dr. Twenden«, sagte der Richter schließlich. »Sie wurden im Besitz einer großen Geldsumme verhaftet, und man hat Kreditbriefe bei Ihnen gefunden. Daraus geht klar hervor, daß Sie dieses Land für immer verlassen wollten. Unter diesen Umständen bleibt uns nichts anderes übrig, als Ihre Verhaftung aufrechtzuerhalten. Sie werden bei den nächsten Sitzungen vor Gericht gestellt werden.«

»Aber ich kann Bürgschaft stellen, ich bestehe darauf«, rief der Doktor wütend.

»Bürgschaft wird in diesem Falle nicht angenommen«, erwiderte der Richter scharf.

Am Nachmittag wurde Dr. Twenden in einem Taxi ins Baxeter-Gefängnis überführt.

Die Gerichtssitzungen fanden in der nächsten Woche statt, und der Doktor mußte nun zu seiner größten Erbitterung in demselben Gefängnis bleiben, aus dem er vor einigen Wochen entlassen worden war.

Am zweiten Tag nach seiner Einlieferung erhielt der Direktor des Baxeter-Gefängnisses ein Telegramm.

›Sechs Schwerverbrecher Ihrem Gefängnis überwiesen. Ankunft auf Station Baxeter abends 10.15. Senden Sie Gefangenenwagen.‹

Das Telegramm war mit »IMPRISON« unterzeichnet, dem Codewort für die Generaldirektion sämtlicher Gefängnisse in England.

Zufällig war gerade zur selben Zeit eine Meuterei in einem Londoner Gefängnis vorgekommen, und der Direktor war infolgedessen über die Nachricht nicht erstaunt, auch nicht über die späte Stunde der Ankunft des Gefangenentransportes.

Der Zug fuhr in die Station ein. Die Gefangenenwärter warteten auf dem Bahnsteig, gingen dann langsam an den Wagen entlang und schauten nach einem Abteil mit herabgelassenen Vorhängen aus. Aber es waren keine Gefangenen mitgekommen. Der nächste Zug von London kam erst morgens um vier Uhr.

»Sie werden den Zug nicht mehr erreicht haben, es gibt gar keine andere Erklärung«, sagte einer der Männer. »Dann müssen wir eben wieder abfahren, Jerry«, wandte er sich an den Chauffeur und warf die Tür der »Grünen Minna« zu, die offengestanden hatte. Der Gefangenenwagen fuhr knatternd aus dem Bahnhof.

Langsam ging es die Anhöhe empor und dann durch das große, schwarze Tor; gleich darauf bog der Wagen in ein anderes Portal zur Linken ein, das im rechten Winkel zu dem ersten lag, und hielt vor den offenen Türen eines kleinen, abseits liegenden Ziegelgebäudes, das als Garage diente.

Der Chauffeur brummte, als er ausstieg.

»Ich lasse den Wagen im Hof stehen – muß ihn morgen sowieso waschen.«

Er nickte den Wärtern eine gute Nacht zu und ging nach Hause.

Soweit war alles gut verlaufen. Ein starker Südwestwind kam von Dartmoor her, rüttelte an den Fenstern des Gefängnisses und heulte in dem großen, verlassenen, dunklen Hof.

Plötzlich hörte man ein leises Knacken, und die Tür der »Grünen Minna« öffnete sich langsam. Leon hatte entdeckt, daß sein Paßschlüssel die Wagentür nicht öffnete. Er war in den Gefangenenwagen hineingeschlüpft:, während die Wärter den Zug absuchten, und es war jetzt schwer geworden, wieder herauszukommen. Er wußte ja nur zu genau, daß überhaupt keine Gefangenen von London kamen, aber er brauchte diesen Wagen zur Ausführung seines Planes. Mit seiner Hilfe war er nun glücklich in das Gefängnis gekommen, wie er es beabsichtigt hatte. Er horchte, aber er konnte nur das Wüten des Sturmes hören. Vorsichtig ging er zu einem kleinen, glasgedeckten Gebäude und benutzte seinen Paßschlüssel. Die Tür öffnete sich, und er stand in einem engen Zimmer, wo die Gefangenen fotografiert wurden. Die nächste Tür führte ihn in einen Abstellraum, und dahinter lagen die Flügel des Gefängnisses. Er hatte bei seinem kurzen Besuch nach allem gefragt und wußte, wo sich die Zellen der Untersuchungsgefangenen befanden.

Bald mußte eine Patrouille kommen. Leon schaute auf seine Uhr und wartete, bis der Mann an der Tür vorübergegangen war. Der Wächter würde nun in einen Flügel gehen, von dem aus er keinen Überblick auf diesen Teil des Gefängnisses hatte. Leon öffnete die Tür und trat in die verlassene Halle. Die Fußtritte der Patrouille klangen immer entfernter. Leise stieg er eine eiserne Treppe in die Höhe und kam zu dem oberen Stockwerk, wo er langsam die Zellen entlangging. Plötzlich sah er den Namen, den er suchte.

Geräuschlos schloß er die Tür auf. Dr. Twenden sah ihn blinzelnd an, als er sich auf seiner hölzernen Bettstelle aufrichtete.

»Stehen Sie auf«, flüsterte Gonsalez, »und drehen Sie sich um.«

Schlaftrunken gehorchte der Doktor.

Leon band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und faßte ihn am Arm. Er hielt an, als er die Zellentür wieder verschloß. Dann führte er ihn die Treppe hinunter und durch den Abstellraum in das kleine, glasgedeckte Zimmer. Bevor der Doktor wußte, was geschah, hatte Leon ihm ein großes, seidenes Taschentuch über den Mund gebunden.

»Können Sie mich hören?«

Der Mann nickte.

»Können Sie das fühlen?«

Leon stieß ihm eine Nadel in den linken Arm.

Twenden versuchte, seinen Arm fortzuziehen.

»Sie werden den Wert einer solchen Spritze noch schätzen lernen – mehr als irgendein anderer«, sagte ihm Gonsalez ins Ohr. »Sie haben eine unschuldige Frau ermordet und sind trotzdem der Bestrafung durch das Gesetz entgangen. Vor einigen Tagen sprachen Sie so verächtlich von den Vier Gerechten – ich bin einer von ihnen!«

Dr. Twenden starrte in der Dunkelheit auf das Gesicht des anderen, das er nicht sehen konnte.

»Das Gesetz hat Sie nicht erreichen können, aber wir haben Sie gefaßt. Können Sie mich verstehen?«

Der Arzt nickte ängstlich und taumelte.

Leon ließ den Arm des Mannes los und fühlte, wie er auf den Boden glitt. Er ließ Twenden dort liegen, ging in den anstoßenden Schuppen, der als Hinrichtungsraum diente, und brachte die beiden herunterhängenden Trittbretter in Stellung, bis sie zusammenstießen. Dann nahm er das Ende eines langen Taues, das er sich um den Leib gewickelt hatte, und warf es über den Galgenarm.

Nachdem er alle Vorbereitungen getroffen hatte, kehrte er zu dem bewußtlosen Mann zurück ...

Als die Gefängniswärter am nächsten Morgen den Raum betraten, sahen sie ein straff angezogenes Tau. Die beiden Trittbretter waren nach unten gefallen, und an dem Strick war ein Mann aufgehängt. Er war kalt und steif. Der Gesetzesstrafe war er entgangen, aber die Strafe der Gerechtigkeit hatte ihn ereilt.

Das Gesicht im Dunkel

1

Graue Nebelschleier lagen über London, als in den Abendstunden ein Mann mit unsicheren Schritten in den Portman Square einbog und nach einigem Suchen vor Nr. 551 anhielt. Während er zu den dunklen Fenstern hinaufstarrte, verzog sich sein Mund zu einem widerwärtigen Grinsen.

Diesem alten Teufel wollte er schon beibringen, daß man nicht ungestraft Leute ausplündern konnte! Warum sollte Malpas ein üppiges Leben führen, während sich sein bester Agent elend und kümmerlich durchschlagen mußte? So oft Laker betrunken war, legte er sich diese Frage vor.

Seine äußere Erscheinung, die in dieser vornehmen Gegend höchst sonderbar wirkte, verriet allerdings deutlich genug, daß es ihm schlecht ging. Er trug einen schäbigen Anzug, und sein Gesicht, das von der Backe bis zum Kinn von einer häßlichen Narbe entstellt wurde, sah verkommen und unrasiert aus.

 

Nachdem er noch einen kurzen Blick auf seine abgenützten Schuhe geworfen hatte, stieg er die Stufen zur Haustür hinauf und klopfte.

»Wer ist da?« fragte sofort eine Stimme von innen.

»Laker!« erwiderte er laut.

Geräuschlos öffnete sich die Tür. Er trat in die kahle Halle, ging die Treppe hinauf und stand gleich darauf in einem verdunkelten Zimmer. Nur vor dem Mann am Schreibtisch brannte eine schwache Lampe. Laker hatte kaum die Schwelle überschritten, als sich die Tür wieder hinter ihm schloß.

»Setzen Sie sich«, sagte der Alte am anderen Ende des Zimmers.

Grinsend ließ sich Laker drei Schritte entfernt auf einem Stuhl nieder.

»Wann sind Sie gekommen?«

»Heute morgen, mit der ›Buluwayo‹. Ich brauche Geld, und zwar schnell, Malpas.«

»Legen Sie auf den Tisch, was Sie mitgebracht haben«, entgegnete der alte Mann barsch. »Kommen Sie in einer Viertelstunde wieder, dann können Sie sich das Geld holen.«

»Ich will es aber jetzt haben!« rief der Betrunkene trotzig.

Malpas wandte ihm sein grauenerregendes Gesicht zu.

»Hier gilt nur mein Wille! Sie sind wieder einmal betrunken und benehmen sich danach. Blöder Narr!«

»Ich bin nicht so ein blöder Narr, daß ich noch länger diese Gefahren auf mich nehme! Ihnen bekommt die Sache sicher auch bald schlecht. Sie wissen nicht, wer nebenan wohnt.«

Malpas zog den Schlafrock enger zusammen und kicherte.

»Ich weiß, daß Lacy Marshalt mein Nachbar ist, Sie Dummkopf! Würde ich sonst vielleicht hier wohnen?«

Laker starrte ihn mit offenem Munde an.

»Was? Aber er gehört doch zu den Leuten, die Sie ausplündern – wenn er auch ein Verbrecher ist, Sie bestehlen ihn! Warum wollen Sie denn neben ihm wohnen?«

»Das geht Sie nichts an. Legen Sie jetzt den Kram hin, und machen Sie, daß Sie fortkommen!«

»Ich lege nichts hin, und ich gehe auch nicht fort, bis ich alles weiß, Malpas«, erwiderte Laker und stand auf. »Für nichts und wieder nichts sitzen Sie nicht an dem einen Ende dieser dunklen Stube und lassen mich immer am anderen warten. Ich werde Sie jetzt einmal genau betrachten, mein Lieber. Sie sind nicht der, für den Sie sich ausgeben! Rühren Sie sich nicht – Sie können den Revolver in meiner Hand nicht sehen, aber er ist da, verlassen Sie sich darauf!«

Er machte zwei Schritte vorwärts, prallte dann aber zurück. Ein in Brusthöhe quer durch das Zimmer gespannter Draht, der im Dunkeln nicht zu sehen war, hielt ihn auf. Im selben Augenblick ging das Licht aus. Wütend bückte er sich, um unter dem Hindernis wegzukommen, verhakte sich aber gleich darauf mit dem Fuß in einem zweiten Draht, der dicht über den Boden gezogen, war, und fiel hin.

»Machen Sie Licht, Sie alter Halunke!« schrie er außer sich, als er wieder auf die Beine kam. »Sie nützen mich nur aus – seit Jahren leben Sie von mir, Sie Schurke! Heraus mit dem Geld, oder ich verpfeife Sie bei der Polizei!«

»Das ist das drittemal, daß Sie mir drohen!«

Die Stimme ertönte hinter Laker. Rasend fuhr er herum und feuerte. Die mit Stoff bespannten Wände dämpften den Knall, aber beim Aufflammen des Mündungsfeuers sah er die Gestalt, die auf die Tür zuschlich, und drückte noch einmal ab.

»Machen Sie Licht!« brüllte er wieder, aber schon öffnete sich die Tür, und die Gestalt schlüpfte hinaus. Wenige Sekunden später stand auch Laker auf dem Treppenpodest, aber der alte Mann war verschwunden. Der Betrunkene sah eine andere Tür, warf sich dagegen und rief wild nach Malpas. Er erhielt keine Antwort. Plötzlich sah er etwas auf dem Boden liegen und hob es auf. Es war ein hervorragend gut modelliertes und gefärbtes Wachskinn mit zwei Gummibändern, von denen eins zerrissen war.

Laker lachte laut auf.

»Malpas, ich habe Ihr halbes Gesicht hier! Kommen Sie heraus, sonst trage ich es zur Polizei. Die Leute holen sich dann vielleicht den anderen Teil!«

Als alles stumm blieb, ging er schließlich die Treppe hinunter und versuchte, die Haustür zu öffnen. Aber sie hatte keinen Griff, und das Schlüsselloch war so winzig, daß man nicht hindurchsehen konnte. Fluchend rannte er wieder die Stufen hinauf und hatte fast den ersten Absatz erreicht, als etwas herabfiel. Er schaute nach oben und blickte in das verhaßte Gesicht. Auch das schwarze Gewicht sah er noch und versuchte, ihm auszuweichen. Aber eine Sekunde später glitt er wie ein schwerfälliger Klotz die Treppe hinab.

2

In der amerikanischen Botschaft fand ein Ball statt, und schon seit einer Stunde brachten zahllose elegante Limousinen die vornehmen Gäste herbei. Aus einem der letzten Wagen stieg ein etwas untersetzter Herr mit jovialem Gesicht aus. Er nickte dem Polizisten freundlich zu, der den Eingang von neugierigen Zuschauern freihielt, und betrat gleich darauf die große Halle.

»Colonel James Bothwell«, sagte er zu dem Diener und ging auf die Empfangsräume zu.

»Verzeihung.«

Ein hübscher Herr in tadellosem Frack nahm seinen Arm und führte ihn in ein kleines Vorzimmer.

Colonel Bothwell zog die Augenbrauen hoch. Er war etwas erstaunt über diese Vertraulichkeit.

»Sie irren sich wohl«, sagte er. »Ich glaube nicht –«

Die grauen Augen des anderen lächelten ihn freundlich an.

»Mein lieber amerikanischer Freund«, begann der Colonel wieder, »Sie täuschen sich bestimmt.«

Der Fremde schüttelte sanft den Kopf.

»Ich irre mich nie, und ich bin, wie Sie sehr gut wissen, Engländer – ebenso wie Sie. Es tut mir leid, mein armer, alter Slick!«

Slick Smith seufzte.

»Sehen Sie her, Captain, ich habe eine Einladung. Und wenn mich mein Botschafter zu sehen wünscht, so geht Sie das vermutlich nichts an.«

Captain Dick Shannon lächelte.

»Er wünscht Sie ja gar nicht zu sehen. Im Gegenteil, es wäre ihm höchst unangenehm, einen so gewandten englischen Dieb in der Nähe von einer Million Dollars in Diamanten zu wissen. Colonel Bothwell vom vierundneunzigsten Kavallerieregiment würde er gewiß gern die Hand drücken, wenn dieser Mann zu Besuch nach London käme, aber den Juwelendieb Slick Smith kann er wirklich nicht gebrauchen!«

»Schade! Den Halsschmuck der Königin von Griechenland hätte ich mir doch zu gern angesehen. Es ist vielleicht die letzte Gelegenheit. Zu meinem Unglück bin ich nämlich mit einem Detektivinstinkt begabt, und Sie dürfen mir glauben, daß die Diamantenkette bereits vorgemerkt ist! Eine sehr geschickte Bande ist dahinter her – Namen nenne ich natürlich nicht.«

»Sind die Leute hier?« fragte Dick schnell.

»Ich weiß es nicht. Das wollte ich ja selbst feststellen. Ich bin in solchen Dingen wie ein Arzt – sehe gern bei Operationen zu. Man lernt dabei immer etwas Neues, was einem nie einfiele, wenn man immer nur seine eigene Arbeit studierte.«

Dick Shannon überlegte einen Augenblick.

»Warten Sie hier, und lassen Sie das Silber in Frieden«, sagte er dann und ließ Slick allein, der ihm entrüstet nachschaute.

Er drängte sich in den überfüllten Räumen durch die Gäste, bis er von einer freien Stelle aus den Botschafter beobachten konnte. Der Amerikaner sprach mit einer hochgewachsenen, müde aussehenden Dame, zu deren Schutz Dick Shannon in die Gesandtschaft beordert worden war.

An ihrem Hals glänzte eine Kette, die auch bei der leisesten Bewegung strahlend aufblitzte. Der Detektiv sah sich um und winkte unauffällig einen jungen Mann zu sich, der mit einem der Legationssekretäre sprach.

»Steel, Slick Smith ist hier«, flüsterte er ihm zu. »Und er behauptet, daß man versuchen würde, den Schmuck der Königin zu rauben. Sie dürfen sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Und sagen Sie irgendeinem Beamten, daß er die Liste der Gäste nachkontrollieren soll. Wenn sich ein Unbefugter findet, bringen Sie ihn zu mir.«

Dann kehrte er zu Slick zurück.

»Warum sind Sie eigentlich gekommen, wenn Sie von diesem Plan wissen?« fragte er. »Auch wenn Sie nichts damit zu tun haben, werden Sie doch verdächtigt.«

»Das dachte ich mir auch schon. Daher kommt ja auch die Unruhe, die mich seit einer Woche plagt.«

Die Tür nach der Halle stand offen, und die beiden konnten die Nachzügler beobachten, die verspätet eintrafen. Eben kam ein stattlicher Herr von mittleren Jahren vorüber, der von einer auffallend schönen Frau begleitet wurde. Sie waren schon außer Sicht, bevor Dick sie näher betrachten konnte.

»Sieht ganz gut aus«, meinte Slick. »Martin Elton ist übrigens nicht hier. Seine Frau läuft viel mit diesem Lacy herum.«

»Lacy?«

»Ja, der Honourable Lacy Marshalt. Er ist Millionär und ein gerissener, zäher Kerl. Kennen Sie die Dame, Captain?«

Dick nickte. Dora Elton war eine bekannte Persönlichkeit, die bei keiner Veranstaltung der ultramondänen Welt fehlte. Lacy Marshalt kannte er nur dem Namen nach. Er brachte Slick Smith zur Haustür und wartete, bis dieser mit einem Mietauto davongefahren war. Dann kehrte er in den Ballsaal zurück.

Um ein Uhr brach zu seiner größten Erleichterung die Königin auf und fuhr zu ihrem Hotel am Buckingham Gate zurück, wo sie inkognito abgestiegen war. Neben dem Chauffeur saß ein bewaffneter Detektiv, und Dick zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie ungefährdet ihr Ziel erreichen würde.

Nachdem er sich von dem dankbaren Botschafter verabschiedet hatte, kehrte er nach Scotland Yard zurück. Aber der überaus dichte Nebel ließ nur ein Schneckentempo zu. Als er seinen Wagen nach allerhand Zwischenfällen schließlich in den Hof gesteuert hatte, gab er Auftrag, ihn in die Garage zu bringen.

»Ich gehe lieber zu Fuß nach Hause«, sagte er zu dem diensttuenden Beamten. »Das ist sicherer.«

»Der Inspektor hat nach Ihnen gefragt«, erwiderte der Mann. »Er ist zum Embankment hinuntergegangen. Sie suchen dort nach der Leiche eines Mannes, der heute abend in den Fluß geworfen wurde.«

»Geworfen?« wiederholte Dick bestürzt. »Sie meinen wohl, er ist hineingesprungen?«

»Nein. Eine Patrouille der Strompolizei ruderte an der Embankmentmauer entlang, als der Nebel noch nicht so dicht war wie jetzt, und dabei sahen die Leute, wie der Mann aufgehoben und übers Geländer geworfen wurde. Der Sergeant pfiff sofort, aber es war gerade keiner von uns in der Nähe, und so ist der Kerl, der es getan hat, entkommen. Sie suchen jetzt nach der Leiche. Ich sollte es Ihnen mitteilen, wenn Sie kämen, meinte der Inspektor.«

Shannon zögerte keinen Augenblick und machte sich sofort wieder auf den Weg. Mühsam tastete er sich durch den Nebel, bis er mit dem Inspektor zusammenstieß.

»Ein Mord«, sagte der Beamte. »Eben haben sie die Leiche gefunden. Der Mann ist totgeschlagen und dann ins Wasser geworfen worden. Wenn Sie die Stufen herunterkommen, können Sie ihn sehen.«

»Wann ist es denn geschehen?«

»Heute – oder vielmehr gestern abend gegen neun. Jetzt haben wir gleich zwei.«

Shannon ging hinunter und beugte sich über die dunkle Gestalt, die ein Polizist mit seiner Taschenlampe beleuchtete.

»Er hat nichts bei sich«, meldete der Sergeant, »aber seine Persönlichkeit wird sich leicht feststellen lassen. Er hat eine große Narbe im Gesicht.«

Als Dick mit dem Inspektor nach Scotland Yard zurückkam, herrschte dort fieberhafte Tätigkeit, denn während ihrer Abwesenheit war eine Nachricht eingelaufen, die auch den letzten Reservedetektiv aus dem Bett jagte.

Das Auto der Königin war an der dunkelsten Stelle der Mall überfallen, der Detektiv erschossen und die Diamantkette geraubt worden.