Die Erbinnen

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Die Erbinnen
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Ed Belser

Die Erbinnen

Historischer Roman

Imprint

Die Erbinnen

Copyright: © 2017 Ed Belser

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Cover: Erik Kinting | www.buchlektorat.net Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de

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Für Alice

Meinem Schwiegersohn, Roland Nisple, und meinen Freunden Jürg Schoch und Pierre Weydert danke ich für ihre wertvollen Beiträge.

Über dieses Buch:

Nach der Niederlage in der Schlacht von Culloden im April 1746 sind die Bewohner des schottischen Hochlandes gnadenloser Verfolgung und Vertreibung durch die siegreichen Engländer ausgesetzt. Dörfer werden abgebrannt, ganze Landstriche veröden, wer es sich leisten kann, emigriert ins Ausland, wer nicht, dem drohen Deportation in die Kolonien und Versklavung. Die siegreichen Soldaten marodieren, Hinrichtungen vermeintlicher oder echter Rebellen sind an der Tagesordnung.

Maggie und James, das junge Liebespaar, setzen ihre Leben aufs Spiel, um ihren Landsleuten zu helfen. Sie werden unterstützt von Cremor, dem ehemaligen Söldner, und von Lady Margaret, der Liebe seines Lebens. Sie hoffen, nach langen Jahren der Trennung endlich ihre Gemeinsamkeit zu finden.

Beiden Paaren steht ein gefährlicher Gegner gegenüber – der englische Oberst Arthur Middlehurst. Er spielt eine doppelte Rolle und setzt alle Mittel ein, um die beiden Liebespaare und ihre Freunde zu vernichten.

Der Trilogie dritter und letzter Band.

Band 1

Die Frauen von Schloss Blackhill

ISBN-13: 978-1494419868

Erschienen 2013

Band 2

Die Frauen von Schloss Summerset

ISBN-13: 978-1494412647

Erschienen 2014

Inhaltsverzeichnis

Was bisher geschah

Prolog

Kapitel I – Frühsommer 1746

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Epilog

Personen

Historische Personen

Glossar

Nachwort des Autors

Über den Autor

Was bisher geschah

(Zusammenfassung Band 1 und Band 2)

Lucas Creamore ist der uneheliche Sohn eines Pfarrers aus dem schottischen Hochland. Seine Mutter war Spanierin und Köchin des Pfarrers. Lucas besuchte die Universität in Aberdeen, um sich zum Wundarzt auszubilden. Daneben zeigte er außerordentliche Fähigkeiten als Fechter und wurde schließlich Fechtlehrer.

Von nun an nannte er sich Cremor.

Er erfreute sich mit seinen für einen Highlander ungewöhnlichen schwarzen Augen großer Beliebtheit bei jungen Damen. Doch die Eifersucht seiner Kommilitonen zog Aufforderungen zu Säbelduellen nach sich. Aufgrund der Verbindung seiner Kenntnisse der menschlichen Anatomie mit der Beherrschung seiner Waffe, wäre der Tod seiner Kontrahenten absehbar gewesen. Cremor entzog sich deshalb den Herausforderungen und schiffte sich nach Frankreich ein.

Dort bewarb sich bei der Armee als Wundarzt und wurde aufgrund eines Empfehlungsschreibens seiner Universität der irisch-schottischen Brigade zugeteilt. Diese wiederum zählte zur Exil-Armee der in Rom lebenden Anwärtern auf den schottischen Thron, Prinz James Francis Stuart, und sein Sohn, Prinz Charles Edward Stuart.

Cremors Fähigkeiten als Wundarzt waren nicht sehr gefragt, umso mehr jedoch seine Fähigkeiten als Fechtmeister. Ein Agent der Stuarts heuerte ihn dafür an, zurück nach Schottland zu gehen, um die Soldaten der Clans für eine Rebellion gegen die Engländer auszubilden, mit dem Ziel, mit Prinz Charles wieder einen der katholischen Stuarts an die Macht zu bringen. Man schrieb das Jahr 1725.

Auf Schloss Blackhill, hoch in den Highlands, wo die Zeit stehengeblieben war, herrschte Clan-Chief Ronald MacAreagh über hunderte von Untertanen. Cremor sollte ihnen beibringen, ihre Kampfart anzupassen, um gegen die Strategie der Engländer zu bestehen.

Cremor trifft auf Margaret, Gemahlin von MacAreagh, die zusammen mit ihrer fast erwachsenen Tochter Shauna ein behütetes Leben führt, eingeengt in ihrer Villa, von Ronald abgeschirmt und überwacht.

Margaret und Cremor verlieben sich ineinander und treffen sich mehrere Male in aller Heimlichkeit. Doch MacAreagh kommt ihnen auf die Schliche.

Zur Strafe soll Margaret nach Amerika verbannt werden, ihre Tochter Shauna eine Erzieherin erhalten. Cremor wird zum Tod am Galgen verurteilt.

Shauna gelingt es, ihm zur Flucht zu verhelfen. An Stelle von Cremor wird jedoch einer der Gefängniswärter gehängt, mit Kapuze über dem Kopf, damit jedermann, auch Margaret, annehmen müsste, es handle sich um Cremor.

Shauna muss ebenfalls flüchten und findet Zuflucht bei einer Freundin. MacAreaghs Schergen sind ihr auf der Spur.

Für Margaret folgen lange Jahre der Verbannung in einer englischen Kolonie in Amerika. Sie wähnt Cremor tot, doch es gibt vage Indizien, dass er dem Galgen entronnen sein könnte. Sie kehrt zurück nach Schottland um ihre Tochter zu finden und nach Cremor zu suchen.

Cremor gelingt die Flucht in das Gebiet von Alan MacLennoch auf Schloss Summerset. Dieser, ein Todfeind von MacAreagh, hat sich halbherzig auf die Seite der Engländer geschlagen. Cremor hat die Satteltaschen voller Edelsteine und Geld von Margaret, das ihm Shauna im letzten Moment noch heimlich hatte übereignen können. Nachdem es in den Highlands von Schwarzbrennern geradezu wimmelt, beschließt Cremor, das Geld in eine legale Whiskybrennerei zu investieren. Es gelingt ihm, Alan von seinen Plänen zu überzeugen, denn ein Steuerzahler auf seinem Gebiet würde seine Reputation verbessern. Cremor gewinnt sein Vertrauen und gehört bald zu dessen engem Umkreis.

Er begleitet ihn auf die Jagd, wo Alan einen auffälligen Fremdling verfolgt. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um Shauna handelt, doch diese verheimlicht ihre wahre Identität und nennt sich Maggie. Sie verpflichtet Cremor zum Schweigen. Sie und Alan verlieben sich ineinander. Er verbirgt seine Leidenschaft für Shauna mit Hilfe von Cremor vor Lady Charlotte, seiner Ehefrau.

Doch Shauna lebt immer noch im Verborgenen und gelangt zu Cremor. Sie erfährt, dass Alan um sein Leben kämpft, nachdem er in einem Scharmützel mit MacAreagh schwer verwundet worden ist. Sie eröffnet Cremor, dass sie ein Kind erwarte. Sie geht zurück zu ihrer Freundin.

Cremor rettet Alan das Leben und dieser kann sich erholen. Zur Belohnung wird Cremor Laird von Blair Mhor und damit Besitzer des Dorfes.

Man überbringt Cremor die Nachricht von Shauna, dass sie hochschwanger sei und Alan treffen möchte, am Ort, wo sie sich kennengelernt hatten.

Alan und Cremor warten dort auf sie. Als sie ankommt, sinkt sie vom Pferd und stirbt in den Armen ihres Liebsten. Es gelingt Cremor im letzten Moment, das Kind ihrem Bauch zu entnehmen. Er will es sofort zu einer Amme bringen. Diese, Mary, wird zu ihrer Ziehmutter. Cremor sagt ihr, sie solle das kleine Mädchen Maggie nennen.

Alan hält die Totenwache. Cremor meißelt in schlafloser Nacht einen Grabstein zurecht, auf der Vorderseite den Namen Maggie und auf der Rückseite ihren richtigen, Shauna MacAreagh, mit ihren Lebensdaten.

Am anderen Tag beerdigen sie Shauna und gestalten die Grabstätte.

Margaret stößt auf der Suche nach ihrer Tochter auf deren Grab. Dabei entdeckt sie die Inschrift auf der Rückseite des Steines.

Von Cremor findet sie keine Spur und beschließt, das ihr fremdgewordene Land wieder zu verlassen und nach Amerika zurückzukehren.

Inzwischen hat Cremor bei Blair Mhor seine Brennerei aufgebaut und zwar an einer der von den Engländern neu erbauten Straßen. Sie sollen der Armee den Zugang ins Hochland ermöglichen.

Prinz Charles Edward Stuart landete 1745 in Schottland, scharte seine Anhänger um sich und vereinigte ihre Clans unter seiner Flagge. Ronald MacAreagh führte auch seinen Clan in die Schlacht gegen die Engländer.

Der Prinz hatte vergeblich bis zuletzt auf Unterstützung aus Frankreich gewartet. Am 16. April 1746 stießen die Truppen bei Culloden aufeinander. Mit ihrem Sieg unter dem Kommando von General William Cumberland, Sohn des herrschenden Königs, beendeten die Engländer alle schottischen Unabhängigkeitsträume.

 

Maggie, Tochter von Shauna, und damit Enkelin von Margaret, ist mittlerweile erwachsen. Cremor brachte auch ihr, wie schon Shauna, das Säbelfechten und Schießen bei.

Alan MacLennoch will die Situation ausnützen und seinem durch die Schlacht geschwächten Feind MacAreagh den Todesstoß versetzen. Er besetzt Schloss Blackhill, nimmt die dort stationierten Soldaten gefangen und lässt sie nach Summerset bringen.

Doch MacAreagh setzt zur Rückeroberung an. Alan wird von dessen Leibwächter getötet, der wiederum von Maggie erschossen wird. Plötzlich stehen sich MacAreagh und Cremor gegenüber. Es kommt zum Säbelduell, MacAreagh, schwer verletzt, erfährt noch vom Tod seiner Tochter Shauna, und stürzt von der Burgzinne.

Margaret bekommt in Amerika von einem Emigranten aus Schottland eine Zeitung in die Hand, in der über die Brennerei Blair Mhor und ihren Inhaber berichtet wird. Sie macht sich auf zur zweiten Rückreise nach Schottland.

Der Stabschef von General Cumberland, Oberst Arthur Middlehurst, residiert auf Fort Augustus am Loch Ness. Er nimmt den Auftrag des Generals wörtlich, die schottischen Highlands von allen Rebellen, noch besser von allen Bewohnern, leerzufegen. Einer seiner Untergebenen, Oberstleutnant James Moore, wird Kommandant auf Schloss Blackhill.

Oberst Middlehurst traut James Moore nicht. Er setzt ihm zur Überwachung einen Stellvertreter zur Seite, Major Tucker.

Middlehurst findet auch heraus, dass Cremor vor Jahren auf der Soldliste von MacAreagh fungiert hatte.

Cremor wird verhaftet und auf Schloss Blackhill eingekerkert.

John MacDougal war einer der Chieftains unter MacAreagh. Bei der Schlacht von Culloden führte er eine Kavallerieeinheit, die den Engländern hohe Verlusten bescherte. In der Folge steht Dougal, wie man ihn nannte, zuoberst auf der Fahndungsliste. Tucker kommt ihm auf die Spur. Dougal landet im Kerker, in der gleichen Zelle wie Cremor. Noch sind sie Todfeinde. Doch Cremor kann ihm seine verletzte Schulter behandeln und erzählt ihm seine Geschichte. Sie werden zur Schicksalsgemeinschaft und planen ihre gemeinsame Flucht.

James Moore wohnt in der weißen Villa, die einst die Heimat von Margaret und Shauna gewesen war. Die Flucht von Cremor und Dougal scheitert und sie werden auf Befehl von Moore in ebendieser Villa eingesperrt.

Tuckers erster Auftrag ist die Vernichtung des Dorfes Dunlochy und die Deportation der Bewohner. Maggie beobachtet das Geschehen und will die Dorfbewohner, fast ausschließlich Frauen, retten. Dabei hilft ihr ein geheimnisvoller Mann, der sich Jacob nennt. Gemeinsam gelingt es ihnen, die Frauen zum Widerstand zu bewegen und die Soldaten zu überwältigen, umzubringen oder in die Flucht zu schlagen. Maggie führt die Frauen nach Blair Mhor in die Freiheit.

Tucker vermutet zu Recht, dass Moore ein Doppelspiel treibt, in dem er die Bewohner der Dörfer warnt. Doch Moore gelingt es immer wieder, den Verdacht gegen ihn zu entkräften. Er ermöglicht Dougal die Flucht, auf dem gleichen Weg, der von Cremor einst benutzt wurde, um seine Geliebte, Margaret, heimlich zu besuchen.

Maggie gelingt es, das Feldlager von Middlehurst in Brand zu setzen. Die Soldlisten mit dem Namen von Cremor werden durch das Feuer zerstört. Dabei stößt sie auf Jacob, den sie liebt, und erkennt, dass er und James Moore dieselbe Person ist.

Margaret, unterwegs mit ihrem Begleiter und Leibwächter Finn O’Brian, kommt in der Brennerei an und muss erfahren, dass Cremor im Kerker auf Blackhill steckt. Sie wird von Mary aufgenommen.

Bei einem Besuch auf Schloss Summerset, bei Lady Charlotte, der Witwe von Alan MacLennoch, erfährt sie, dass die Soldlisten vernichtet seien.

Oberst Middlehurst möchte gerne Schlossherr werden und macht Lady Charlotte einen Heiratsantrag. Als sie diesen ablehnt, erreicht er mit der Begründung, Alan sei nur auf der Seite der Engländer gestanden um sein Hab und Gut zu retten, dass Schloss Summerset, dazugehörende Länder inbegriffen, verstaatlicht wird. Er geht auf Blackhill und erpresst Cremor, in dem er ihm die Freiheit gegen die Eigentumsübertragung der Brennerei auf seinen Namen verspricht.

James Moore erklärt Middlehurst seinen Rücktritt als Kommandant von Blackhill.

Dougal unterbricht seine Flucht und geht zurück nach Blackhill, um Cremor zu befreien. Dabei läuft ihm Tucker in den Schuss einer Feldkanone.

Maggie kommt zurück und erfährt, dass Margaret eingetroffen ist.

Moore und Cremor gehen zurück nach Blair Mhor, Dougal verschwindet wieder.

Cremor und Margaret kommen wieder zu einander.

James Moore konfrontiert Middlehurst mit der erpressten Besitzesurkunde der Brennerei und der Verstaatlichung von Schloss Summerset und droht ihm an, General Cumberland ins Bild zu setzen. Es sei denn, er würde ihm das Kommando für das neu gegründete Summerset Highland Regiment, gebildet aus den ehemaligen Soldaten von MacAreagh, übertragen. Der Oberst willigt ein. Er will damit die Kontrolle über Moores Aktivitäten behalten.

Cremor und Margaret reisen nach Edinburgh. Sie führen Kisten mit sich, in denen sich das Geld, dass Cremor einst von Margaret erhalten hatte, befindet, ebenfalls die gesamten Ersparnisse von ihm selbst. Er hatte Lady Charlotte überzeugen können, dass auch sie ihm sämtliches verfügbares Geld mitgab. Cremor hatte ihr dafür versprochen, sie wieder zur Besitzerin des Schlosses Summerset zu machen. Sie reisen in einer Kutsche des Regimentes samt Eskorte mit dem Auftrag für Cremor, in seiner Eigenschaft als Laird von Blair Mhor mit den englischen Behörden die Pacht für die Stationierung des Regimentes auszuhandeln. Doch selbst Margaret weiß noch nicht, dass das Ziel ihrer Reise das Schloss Holyrood sein würde, wo die Versteigerung der von den Engländern verstaatlichten Liegenschaften stattfinden wird. Cremor geht zusammen mit Finn O’Brian als Leibwache zur Auktion, in deren Verlauf er gegen Schluss nur noch einem Bieter gegenübersteht – Middlehurst.

Margaret und Cremor kehren nach Blair Mhor zurück. Er eröffnet ihr, dass er der neue Besitzer von Schloss Summerset sei. Doch beide wissen, dass damit die letzte Schlacht noch nicht geschlagen war.

***

Prolog

Kenneth Mackenzie wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts auf der Insel Lewis geboren. Wenn er hätte voraussehen können, was ihm nach fünfundzwanzig Lebensjahren widerfahren würde, wäre er sicher in seinem kleinen Dorf in der Gemeinde Uig geblieben, statt auf Schloss Brahan als Arbeiter anzuheuern.

Kenneth wohnte am Ufer von Loch Ussie, und wenn er sich beeilte, war er in einer guten Stunde an seinem Arbeitsplatz auf dem Schloss. Die Fischer brauchten Teer, um ihre Boote wasserdicht und ihre Netze gegen Nässe zu schützen. Nachts bedurfte man Pechfackeln für Licht. Kutscher erhielten ihr Schmiergeld für das Schmieren der Wagenachsen.

Kenneth war Teer- und Pechkocher. In einem riesigen Kupferkessel über einer Feuerstelle rührte er die dampfende, pechschwarze und klebrige Masse. Seine Hände waren mit der Zeit dunkelbraun geworden.

Wann immer es ihm seine Zeit erlaubte, stand er am Ufer von Loch Ussie. Wer ihn beobachtet hätte, würde sein Interesse bald verlieren, denn Kenneth stand stundenlang da, beinahe regungslos, sein rechtes Bein vorgeschoben, die linke Hand hinter seinem Rücken. In seiner Rechten hielt er einen runden Gegenstand, durch den er hindurch zu blicken schien, sein linkes Auge hielt er zugedrückt. Wer nahe genug zu ihm heran träte, könnte erkennen, dass der Gegenstand ein Stein war, bläulich, mit einem Loch in der Mitte.

Den Stein hatte er von seiner Mutter erhalten. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihm seine Mutter zum ersten Mal erzählt hatte, wie sie zu diesem Stein gekommen war. Es gab keinen Grund, an ihrer Geschichte jemals etwas in Zweifel zu ziehen. Später Abend sei es gewesen, so hatte sie berichtet, sie hätte auf ihre Rinder aufgepasst, und gegen Mitternacht hätte sie unten im Dorf beobachtet, dass sich die Gräber des Friedhofes öffneten, und dass ihnen etliche Leute, vom Kleinkind bis zur weißhaarigen Greisin entstiegen seien und sich in alle Richtungen zerstreut hätten. Nach einer Stunde oder so seien alle wieder zurückgekommen und hätten sich in ihre Gräber gelegt, die sich über ihnen wieder geschlossen hätten. Doch eines der Gräber sei leer und offengeblieben. Sie habe ihren Spinnrocken gefasst, den sie stets bei sich hatte, um von der Wolle daran abzuziehen und ihren Faden zu spinnen. Dann sei sie zum offenen Grab hinuntergeeilt und habe den Spinnrocken in die aufgewühlte Erde gesteckt.

Sie hatte ihrem Sohn erklärt, dass damit die Rückkehr ins Grab verhindert werden könne. Es habe dann auch genauso gewirkt, denn plötzlich sei eine junge Frau in weißen Kleidern und langem hellblondem Haar vor ihr aufgetaucht und habe sie aufgefordert, den Spinnrocken zu entfernen. „Das werde ich tun, wenn Du mir sagst, warum Du erst jetzt zurückkommst“, habe sie entgegnet.

„Weil meine Reise länger dauerte, als jene der anderen – ich musste nach Norwegen.“

Sie habe die weiße Dame fragend angeschaut und mit Verwunderung ihrer Antwort gelauscht. „Ich bin eine Tochter des Königs von Norwegen. Man fand mich am Ufer von Loch Ussie, angespült, nachdem ich ertrunken war. Hier hatte man mich begraben. Und jetzt brauche ich Deine Hilfe. Nimm den Spinnrocken weg, damit ich wieder in mein Todesbett finde.“

Seine Mutter hatte den Stab aus der Erde gezogen und die weiße Dame hatte sie angelächelt. „Damit Du Dich stets an mich erinnerst und als Dank – geh zum Strand von Loch Ussie. Dort wirst Du einen blauen Stein mit einem Loch in der Mitte finden. Gib ihn deinem Sohn Kenneth. Er hat die Gabe der Vorsehung. Der Stein hilft ihm sie zu nutzen.“

Aus Kenneth, dem Teer- und Pechkocher, war Kenneth, der Seher geworden – der Seher von Brahan.

Bald fand man ihn nicht mehr beim Torfstechen und bei seinen kochenden Kesseln. Jedermann wollte seine Weissagungen hören, Knechte anfänglich, dann Bauern, dann Pächter, dann die Verwalter des Schlosses. Seine Hände waren inzwischen weiß und gepflegt. Schließlich verlangten die Herrschaften von Schloss Brahan nach seinen Diensten und weil Kenneth dazu noch ein kluger Kerl war, er seine Voraussagen mit großer Geste und vielen Worten auszuschmücken verstand, war er bald weit herum ein gern gesehener Gast. Für ihn gab es keinen Zweifel an seiner eigenen Fähigkeit und er maß sie an jenen Vorsehungen, die wirklich eintrafen, die anderen vergaß er, wie sie auch von jenen Leuten vergessen wurden, die an seinen Lippen hingen; sie bewunderten ihn, wenn sie Wirklichkeit geworden waren. Stets füllte er sein unerschöpfliches Reservoir wieder nach, wenn er stundenlang durch das Loch des Steines auf das Wasser von Loch Ussie schaute.

Kenneth gehörte zum Clan der Mackenzies, und trug daher dessen Namen. Der Chief des Clans war der Graf von Seaforth. Seine Frau Isabel war bekanntermaßen nicht gesegnet mit besonderer Schönheit. Als die Rückkehr ihres Gatten von einer Reise nach Frankreich überfällig war, zog sie Kenneth zu Rate. „Sag mir, wie geht es meinem Mann und warum ist er noch nicht zurück?“

Kenneth zögerte, dann meinte er ziemlich unbestimmt: „Es geht ihm gut.“

Isabel regierte ungeduldig. „Entweder Du sagst mir alle, oder ich lasse Dich bestrafen.“

Kenneth druckste herum, dann weiteten sich plötzlich seine Augen. „Er ist mit einer Frau zusammen. Schöner als Sie.“ Sein Blick ging in die Ferne. „Außerdem wird das Geschlecht der Grafen von Seaforth aussterben. Der letzte wird Stimme und Gehör verlieren. Seine vier Söhne werden ihm ins Grab vorausgehen. Da wird kein Mackenzie mehr herrschen auf Schloss Brahan.“

Isabel geriet außer Rand und Band. „Dafür wirst Du bezahlen!“ Sie schrie nach dem Sekretär. „Lass den Pechkessel heizen! Und hol mir den Henker her!“

Der Seher wusste, was das bedeutete. Dafür brauchte er seine Gabe nicht zu bemühen. Er fand sein Ende kopfüber im brodelnden Inhalt des Kessels.

 

Pech gehabt.

Doch seine Prophezeiungen haben ihn überlebt, auch jene, die ihm das Leben gekostet hatte. 1815 war sie Wirklichkeit geworden.

Auch die blutige Schlacht von Culloden hundert Jahre später hatte er vorausgesehen:

„Oh! Culloden, dein Moor wird getränkt sein vom Blut der besten Highlander. Froh bin ich, dies nicht ansehen zu müssen, denn es wird eine grausame Zeit werden, unzählige Köpfe werden rollen, es gibt kein Erbarmen und kein Pardon.“

Seine kürzeste Voraussage jedoch hatte die schlimmsten Auswirkungen auf das schottische Hochland und seine Bewohner:

„The sheep shall eat the men.“