Die Welt der Illusionisten

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Die Welt der Illusionisten
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Eberhard Saage

DIE WELT DER ILLUSIONISTEN

Roman

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die

Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Umschlaggestaltung Thomas Pegel

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Auferstehung

Reifung

Aufstieg

Entbindung

Donatoren

Erste Konferenz

Krater

Kultur in der Bank

Zweite Konferenz

Neubeginn

Realisierung

Tag der Liebe und des Zorns

Kindheit

Jugend

AUFERSTEHUNG

Am Tage der Liebe und des Zorns gaben sich Menschen in allen Erdteilen hemmungslos ihren Gefühlen hin.

Zur Verabschiedung ihres verehrten Präsidenten Berkel Zorbas und des großen deutschen Politikers Joseph Adam strömten Millionen zum neuen Flughafen der Hauptstadt Abestans. Und die Rentierzüchter, deren Weideflächen wieder wie vor dem Klimawandel genutzt werden konnten, dankten im Namen aller ihren Rettern mit traditionellen Tänzen.

Ehemalige Flüchtlinge, die auf ihren Inseln in Ozeanien, die nun doch nicht vom Meer verschluckt wurden, zurückgekehrt waren und in der alten Heimat ihren Stolz, ihre Lebensfreude und ihre Ehre wiedergefunden hatten, schmückten überlebensgroße Puppen dieser beiden Helden mit herrlichen Blumenkränzen

Der tobende Mob in den ausgedörrten australischen und südafrikanischen Flüchtlingslagern trug ähnliche Puppen mit sich, aber um sie zu bespucken, auf sie zu urinieren und sie schließlich zu verbrennen.

In den europäischen Mittelmeerländern, deren Wüsten in fruchtbares Ackerland verwandelt waren und deren verbrannte Wälder wieder grünten, tanzten die Menschen bei Erntedankfesten.

Die Deutschen feierten ihren großen Sohn, Joseph Adam, als den bedeutendsten Politiker seit Bismarck, und bei einer Ehrung in dessen Heimatstadt, an der die wichtigsten Persönlichkeiten des Landes teilnahmen, wurde an seinem Geburtshaus eine Gedenktafel enthüllt.

Die sonst so stolzen, gegenüber Fremden sich reserviert verhaltenden Saharabewohner, lagen den beiden Weltrettern bei deren Ankunft zu Füßen. Während einer Rundfahrt durch die aufgeblühte Wüste mit fetten Weiden, riesigen Viehherden, unendlich weiten Getreidefeldern und aufwachsenden Wäldern füllten sich die Herzen von Zorbas und Adam voller Stolz auf ihr Lebenswerk, das sie ganz alleine gegen den erbitterten Widerstand weltweiter Gegner geschaffen hatten.

Doch diese Gegner hofften immer noch auf einen Sieg in allerletzter Minute. Nur ein Politiker konnte ihnen den noch bringen, der US-amerikanische Präsident, dessen Land auch alle Katastrophen des Klimawandels überwunden hatte. Aber würde er sich deshalb nur für die Bevölkerung der USA und für die der Nordhalbkugel einsetzten? Oder auch für die Südhalbkugel, die verdorrte, deren Bewohner in Flüchtlingslagern dahinvegetierten? Auch für die musste er sich doch verantwortlich fühlen, und deshalb warteten weltweit Milliarden voller Spannung auf seine Rede, auch Berkel Zorbas und Joseph Adam.

Der eine wirkte ruhig und gelassen, der andere atmete schwer. Bereits die ersten Sätze des Präsidenten lösten auch dessen Spannung, und sie erhoben ihre Gläser und stießen voller Dankbarkeit an. Aber bevor sie den ersten Schluck trinken konnten, knatterten am Waldrand des Gästehauses, an dem sie Bodygards bewachen sollten, plötzlich die Maschinenpistolen los. Das Leben von Berkel Zorbas und Joseph Adam erlosch.

Die Eilmeldungen darüber veränderten die weltweite Stimmung. Als auf den Leinwänden plötzlich Bilder der blutverschmierten Leichen flimmerten, brach unter den hunderttausenden Demonstranten in Australien, in Südafrika und in anderen Ländern der südlichen Hemisphäre ein unbeschreiblicher Begeisterungssturm los. Die Hassgesänge verwandelten sich in Jubelschreie, Wildfremde fielen sich in die Arme, Glückstränen verschmierten die ausgemergelten Gesichter, die die unerhoffte Freude kurz aufhellte, obwohl jeder eigentlich wusste, dass ihn dieses erfolgreiche Attentat nicht von seinem Leidensweg erlösen würde.

Durch die Kundgebungen der Liebe in den Saharastädten, in Abestan, in Deutschland oder in den USA liefen mit der ersten Nachricht Wellen des Entsetzens. Minutenlang herrschte fassungsloses Schweigen, und auch hier verschmierten Tränen die sonst so zufriedenen Gesichter.

Doch dann fand Einer die richtigen Worte – der US-amerikanische Präsident, der vor den hunderttausenden Demonstranten seine Rede noch nicht beendet hatte. Als ihm die Nachricht von den grausamen Morden übermittelt wurde, schwieg auch er für einen Moment, trat dann aber entschlossen wieder ans Mikrofon: »Dieses abscheuliche Verbrechen erschüttert uns alle. Wir haben einen unersetzbaren Verlust erlitten. Aber die Erinnerung an diese großen Männer wird immer in unseren Herzen wohnen. Sie haben unseren Untergang abgewendet. Wir sind ihnen zu ewigem Dank verpflichtet.«

Aber zusammen mit Berkel Zorbas sollte auch der deutsche Messias auferstehen.

Lange Zeit hatte Adam zwar verstanden, dass Zorbas stets von seinen Leibärzten begleitet wurde, aber nicht geahnt, warum zu deren Tross auch zwei junge, offensichtlich völlig beschäftigungslose Männer gehörten, die alle paar Wochen ausgewechselt wurden. Die kamen von San Borondon, nur so viel erfuhr er, der rätselhaften Insel im Atlantik, auf der es noch flugsaurierähnliche Vögel gab.

Erst vor der zweiten Klimakonferenz hatten die abestanischen Ärzte auch ihn gründlich untersucht, und seitdem gehörten, wenn er Zorbas begleitete, zu dessen Tross nicht mehr zwei junge Männer, sondern vier.

Die Ärzte hatten sich jahrelang auf einen Notfall vorbereitet und arbeiteten jetzt präzise und schnell. Mit ihren transportablen Herz-Lungenmaschinen stabilisierten sie die Lebensfunktionen. Detaillierte Untersuchungen zeigten sofort, dass beide Herzen und Lungen nicht mehr zu retten waren. Also entnahmen sie zwei jugendlichen Donatoren diese Organe und transplantierten sie.

Die weltweiten Veranstaltungen der Liebe und des Zorns waren längst beendet, da flimmerten auf den Bildschirmen neue Bilder: Berkel Zorbas und Joseph Adam lebten!

REIFUNG

Über Joseph Adams großen Triumph bei der Parteigründung berichteten seriöse Zeitungen sehr sachlich. Auf deren Seiten wurden Bilder von ihm am Rednerpult, nach der Wahl zum Parteivorsitzenden, bei der er über 90 Prozent Ja-Stimmen erhalten hatte, oder auf den Schultern seiner Anhänger, die ihn begeistert durch den Saal trugen, gedruckt. Die Boulevardzeitungen zeigten dagegen Bilder von Magda, wie auch sie ihm gebannt zuhört, wie sie die Bühne betritt, und wie sie ihn umarmt.

»Geheimnisvolle Schöne an Adams Seite«, titelte das Zentrale Kampfblatt der Mächtigen, das sich auch Zeitung nannte.

Andere schrieben: »Strahlende Schönheit« – »Das schönste Lächeln der deutschen Politik« oder »Sympathieträgerin.«

»Das passt mir überhaupt nicht«, meinte Magda, aber sie lächelte dabei.

Joseph führte sie vor einen großen Spiegel: »Überzeuge dich doch selbst. Du weißt ja, dass sie recht haben.«

Und die der Spiegel zeigte, war nicht mehr die Dorfschwalbe aus dem Harzvorland, sondern tatsächlich eine strahlende Schönheit. Nach der Entbindung war sie wieder rang und schlank wie eh und je geworden. Sogar ihre Brüste, die Lena zwei Jahre lang gestillt hatten, wirkten mädchenhaft und straff. Um das wieder zu erreichen, hatte sie als Wundermittel kaltes Wasser voller Eiswürfel angewandt.

Ihr langes, dunkelblondes, nur in den Spitzen gelocktes Haar umrahmte ein ebenmäßiges Gesicht mit hoher Stirn und großen blauen Augen, die oft eine kindliche Neugierde ausdrückten, und mit einer Nase im griechischen Profil. Auch das rechte Ohr, hinter das sie die Haare legte, das Kinn und die faltenlosen Wangen waren wohlgeformt. Jedes Detail entsprach dem zeitgemäßen Schönheitsideal, das ja auch kalt wirken könnte, aber bei ihr erzeugte etwas ganz Besonderes, Einmaliges bei jedem einen unvergesslichen Eindruck – ihr strahlendes, ungeheuer sympathisches Lächeln. Damit nahm sie jeden sofort für sich ein.

 

Nein, nicht jeden, wie sich schnell zeigen sollte, nicht die Reporter des Kampfblattes.

Joseph beeindruckten deren Meldungen zuerst nicht.

»Damit werden wir jetzt leben müssen«, meinte er locker.

»Naivling«, schimpfte seine Tante Sarah, »du hast zwar in den letzten Jahren viel gelernt, bist aber manchmal noch total unreif.«

»Warum denn schon wieder?«

»Wach auf! Wenn der Feind dich lobt, müssen in dir alle Alarmglocken läuten. Jetzt berichten die schon tagelang über Magda. Die bereiten doch etwas vor. Das spüre ich.«

»Sollen sie doch.« Ihr Neffe lächelte herablassend.

Aber dieses Lächeln verging ihm, als er am nächsten Tag die neueste Ausgabe in den Händen hielt. Ein groß aufgemachtes Foto zeigte Magda inmitten ihrer österreichischen Freunde, und darauf war sie unübersehbar hochschwanger. Und am nächsten Tag zeigte ein Foto Magda im knappen Bikini am Strandbad Wannsee, und ein fettgedruckter Pfeil deutete auf einen vergrößerten Ausschnitt ihres Bauches, und der trug die typischen Schwangerschaftsstreifen. Die balkendicke Überschrift lautete: »Wo ist Adams Kind?«

Am dritten Tag erschien ein Bild von Joseph Adam mit einer verzerrten, abstoßend wirkenden Grimasse, die man aus der Aufzeichnung einer seiner Reden herausgefiltert hatte, und darunter stand die Frage: »Ist Adam ein Kindesmörder?«

Bis zu dieser Frage hatten auch Josephs Parteifreunde verächtlich geschwiegen, aber jetzt klingelte das Telefon in seinem Büro fast ununterbrochen. Sein Kollege Haberecht drückte klar aus, was auch andere dachten: »Jetzt geht es nicht mehr um dich oder um Magda, jetzt geht es um die Partei. Bring das ins Reine. Sofort, unverzüglich!«

Auch bei Tante Sarah klingelte das Telefon. Der Fürst Golewani meldete sich aus Österreich: »So geht das nicht weiter! Wir müssen diese Lawine aufhalten, bevor sie bis zu meiner Familie rollt.«

»Das sehe ich auch so. Aber das Beste wäre, wenn du dich darum kümmern würdest. Du hast doch einen guten Draht zu euren Medien.«

Ohne langes Gerede stimmten sie alles Notwendige ab.

Wenig später brachte auch eine Wiener Boulevardzeitung ein Foto von Magda. Daneben wurde der Grabstein ihres Kindes auf einem Wiener Friedhof gezeigt, aber dessen genauer Standort zur Wahrung der Totenruhe verheimlicht. Der bekannte Direktor einer Privatklinik bedauerte zutiefst, dass Magdas Kind nur so kurz gelebt hätte und wegen einer Fehlbildung am Herzen bald nach der Geburt verstorben wäre. Nach seiner Meinung über die deutschen Boulevardzeitungen gefragt, meinte er nur: »Dazu muss ich nichts sagen, die kommentieren sich selbst.«

Die deutschen Zeitungen brachten darüber nur eine Kurzmeldung und fanden sofort eine neue Sensation – ein Mitglied der englischen Königsfamilie war fremdgegangen. Dieses unfassbare Ereignis bestimmte nun tagelang die Schlagzeilen.

»Willst du klagen oder forderst du eine Gegendarstellung?«, fragte Magda ihren Freund.

»Darüber habe ich nur kurz nachgedacht«, antwortete er, »aber was sollte das bringen? Das würde denen doch nur die Möglichkeit geben, alles noch einmal hochzukochen. Also Schwamm drüber.«

»Recht so«, bestätigte seine Tante, »du bist lernfähig.«

»Okay, das ist auch in meinem Interesse«, meinte Magda und äußerte trotzdem ihre Bedenken, »ein Fleck wird an uns bleiben und damit auch an deiner Partei. Nach der vorletzten Umfrage wart ihr schon an der Fünf-Prozent-Hürde, aber jetzt seid ihr auf 3 % zurückgefallen.«

»Ja, das stimmt, aber diesen Fleck kann ich mit etwas anderem wegwischen.«

»Womit denn?«, fragte Sarah, »sei dir da nicht so sicher. Die groß aufgemachten Berichte haben viele gelesen, die kleine Richtigstellung bestimmt nur wenige. Die wissen schon, was sie tun. Ein Sprichwort sagt ›Kein Rauch ohne Feuer.‹ Also erzeugen sie Rauch, und viele glauben, dass es ein Feuer geben würde. Also nochmals, wie willst du das wegwischen?«

»Warte es ab!« Joseph lachte selbstbewusst.

»Gefällt mir.« Magda stand im Zimmer ihrer Kommilitonin Bärbel vor der Kopie eines alten Gemäldes, die diese neu erworben hatte.

›Judith mit dem Haupt des Holofernes von Lucas Cranach‹, stand darunter. Diese Judith trug ein dunkelrotes Kleid, das an der Hüfte mit weißen Bändern festgeschnürt war, und am Hals eine breite, wuchtige Kette. In der rechten Hand hielt sie ein überlanges, breites Schwert, in der linken den abgeschlagenen, noch blutenden Kopf eines bärtigen Mannes mit weit geöffnetem Mund.

»Holofernes?«, fragte Magda.

»Keine Bildungslücke. Über diese biblische Gestalt musste ich mich auch erst schlau machen. Als assyrischer Feldherr belagerte er eine jüdische Stadt. Judith kam nur wegen ihrer großen Schönheit bis zu ihm durch. Er hoffte auf eine Liebesnacht und entließ seine Diener. Aber sie machte ihn betrunken, enthauptete ihn und rettete so ihre Stadt.« Sie blickte Magda an und lächelte spöttisch.

»Woran denkst du?«

»Die Schöne und der Feldherr bzw. der Politiker, vieles wiederholt sich.«

»Ja, manchmal könnte ich ihn auch erschlagen.«

»Hälst du es denn aus, wenn er höher und höher steigt?«

»Muss ich ja, uns verbindet viel.«

»Es gibt auch andere Männer. Nach dir drehen sich doch alle um. Du könntest an jedem Finger zehn haben.«

»Ach«, Magda winkte ab, »wir kennen uns schon seit wir 15 waren.«

Um das Thema zu wechseln, deutet sie auf das Bild. »Das Original würde ich gerne mal sehen.«

»Kannst du, es soll im Jagdschloss Grunewald hängen. Ich bin auch neugierig darauf.«

»Wollen wir gleich hinfahren? Wir haben heute doch Zeit.«

»Nein«, wehrte Bärbel überrascht ab, »heute auf keinen Fall.«

Magda blickte verwundert. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ihre Kommilitonin noch etwas vorbereiten musste.

Erst Tage später fuhren sie zu dem Schloss, das an einem See tief im Wald lag, weit abseits von dem Westberliner Großstadtgetümmel. Alle Gebäude waren blendendweiß gestrichen und besaßen rote Wabendächer. Das Hauptgebäude wirkte mit seiner geringen Breite und nur 3 Stockwerken nicht besonders repräsentativ. Es hatte dem Kaiser ja auch nur für gelegentliche Jagden gedient, zum letzten Mal schon viele Jahre vor dem 1. Weltkrieg, wie eine Angestellte erläuterte.

»Judith mit dem Haupt des Holofernes?«, fragte sie dann, »das tut mir aber leid. Dieses Gemälde ist jetzt im Schloss Charlottenburg.«

»Schade.« Magda war enttäuscht.

Ihre Kommilitonin wirkte jedoch nicht so und blickte auf ihre Uhr: »In der Nähe ist ein idyllisches Restaurant. Wollen wir dort einen Happ essen, wenn wir schon mal hier sind?«

Im Seerestaurant war am frühen Nachmittag noch kein Gast und draußen nur ein Tisch gedeckt. Der stand etwas abseits geschützt von Fliederbüschen, deren Blütenduft Magda tief in sich einsog. Auf einer schneeweißen Decke standen nur zwei Gedecke, dazu ein festlicher Leuchter und eine hohe schmale Vase ohne Blumen.

»Für wen wird das sein? Lass uns doch mal gucken.«

»Na hör mal«, empörte sich Magda, »seit wann bist du so neugierig? Ich erkenne dich gar nicht wieder.«

»Komm schon.« Bärbel fasste sie an der rechten Hand und zog sie einfach mit.

Als sie den Tisch erreicht hatten, trat Joseph hinter den Fliederbüschen hervor. Er trug dieses Mal nicht eine seiner Kombinationen, sondern einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und dunkelroter Krawatte. In einer Hand hielt er eine langstielige rote Rose.

»Liebe Magda, wir kennen uns schon ewig. Wir haben zusammen viel durchgemacht und unbeschadet überstanden. Du bist nicht nur eine wunderschöne Frau geworden, sondern auch eine tolle Kameradin, mit der ich durchs Leben gehen möchte. Willst du mich heiraten?«

Magda blieb vor Überraschung kurz der Mund offen stehen. Dazu hätte gepasst, dass sie nun glücklich ihr Ja hauchte. Aber sie lachte spöttisch: »Willst du damit in die Medien kommen und den Fleck wegwischen oder geht es auch ein bisschen um mich?«

»Na hör mal, nur um dich.«

Sie blickte ihn prüfend an: »Ich kenne dich, du willst zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«

Sein Lächeln erlosch.

»Na gut«, sagte sie schnell und schmiegte sich an ihn, »versuchen wir es miteinander.«

Bärbel wandte sich ab: »Meine Aufgabe ist ja erledigt.«

Viele prominente Schäfchen hatten die katholischen Priester in Westberlin nicht. Die Partei »Die Anderen« zu wählen, würden sie von ihren Kanzeln zwar nicht empfehlen, aber dass sich deren Chef bei ihnen trauen lassen wollte, erregte sogar das Interesse ihres Bischofs.

Joseph wählte alles in Weiß, eine weiße Kutsche, makellose Schimmel davor gespannt, obwohl der Kutscher lieber Rappen genommen hätte, Magda im schneeweißen, Unschuld bezeugenden Brautkleid, er im leuchtend weißen Hemd, die Blumenmädchen in weißen Kleidchen.

Die Kameramänner hatten Mühe, den Zuschauern kontrastreiche Bilder zu liefern und mussten sich mit Magdas dunkelrotem Rosenstrauß und Josephs dunkelblauem Anzug begnügen.

Auch der Bischof erschien auf den Bildschirmen, er hatte also richtig kalkuliert. Und doch musste er sich über Joseph und über dessen Priester ärgern, denn der hatte den Bräutigam nicht auf den Vermählungsspruch vorbereitet.

»Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meine Frau«, sagte er ihm vor, aber Joseph reagierte darauf nicht. Erst an den bohrenden Blicken des Bischofs erkannte er, dass irgendetwas von ihm erwartet wurde.

»Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meine Frau«, wiederholte der Bischof.

»Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meine Frau«, echote Joseph nun brav.

»Ich verspreche dir Treue.«

»Ich verspreche dir Treue.«

Und gemeinsam kamen sie bis zum Ende des Spruches gut durch.

Tränenreich umarmten die Mütter ihre Kinderchen, und sogar Magdas Vater brachte es über sich, diesen Kerl, der einmal seine Tochter einem schwer bewaffneten Sonderkommando ausgesetzt hatte, an sich zu drücken.

Nur Jesus am Kreuz blieb angesichts der prunkvollen Zeremonie stumm und unbeweglich, auch als der Bischof zu ihm aufblickte und murmelte: »Ja, schon gut, ich weiß ja, dass du nur mit italienischen Priestern sprichst.«

Aber plötzlich wirkte Jesus’ Gesicht heiter. Das konnte ja nur eine Täuschung gewesen sein, vielleicht hatte sie ein in die Kirche fallender Sonnenstrahl verursacht.

Irritiert wandte sich der Bischof ab und entdeckte erst jetzt die junge Frau mit dem kleinen Mädchen, die weit hinter der Hochzeitsgesellschaft in der allerletzten Bank im Schatten einer Säule saßen, einfach irgendwie unbeteiligt wirkten und leicht übersehen werden konnten, von den Reportern auch übersehen wurden.

Abends, als der Fotograf bereits die fertigen Fotos brachte, bemerkte sie nur Magda darauf und flüsterte Joseph etwas ins Ohr.

»Nicht möglich«, antwortete er, »und wenn schon! Nun werde ich sie bestimmt nicht wiedersehen.«

»Wenn du dich da mal nicht täuschst.«

Nach dieser Hochzeit schrieben die Reporter wieder über das schönste Gesicht der deutschen Politik, und vielleicht erinnerten sie sich sogar selbst nicht mehr an ihre kritischen Berichte über Joseph und Magda. Und worüber sie nicht berichteten, das interessierte auch die Wähler nicht. Bei der nächsten Umfrage überwand Josephs Partei erstmals die Fünf-Prozent-Hürde.

Der innere Zirkel des Arbeitgeberbundes traf sich nicht in einem Sylter Gourmetrestaurant, sondern in der strandnahen Villa eines Mitgliedes. Aber auch dort musste keiner darben. Als die Gäste eintrafen, hantierte in der Küche bereits ein bekannter 2-Sternekoch mit seinen Helferinnen, und die in Goldfarben gedruckte Karte versprach ein exklusives Menü über 14 Gänge mit den dazu passenden edlen Weinen. Der Champagner zur Begrüßung und die Kanapees mit Kaviar, Entenbrust oder Edelfischen wurden auf der Terrasse gereicht. Hier und verteilt auf den gepflegten Rasenflächen standen einzelne Tischchen, an denen sich kleine Gesprächsgruppen bildeten.

Zum geeisten Süppchen und zur Sushi Variation wurde bereits in den Wintergarten gebeten, von dem man ebenfalls einen weiten Blick über das Meer hatte, das an diesem Tage fast spiegelglatt war, und von dem nur ein zartes Lüftchen herüberwehte.

 

»Das stimmt mich hoffnungsvoll«, meinte ironisch Herr von Söben, der Vorstandschef eines Energiekonzerns, »dann dürfte uns daraus kein ernsthafter Konkurrent erwachsen.«

»Solche Tage sind hier eher selten«, widersprach der Gastgeber, »meist weht ein starker Wind.«

Er blickte in seine Gesprächsagenda: »Womit wir schon beim ersten Punkt wären – unser Verhältnis zu diesem Joseph Adam und seiner neuen Partei. Seine Vita habe ich zusammenstellen lassen. Ich nehme an, dass sie jeder gelesen hat.«

Alle nickten zustimmend.

»Um es kurz zu wiederholen, darin gibt es keinen Ansatzpunkt, um ihn sofort abschießen zu können. Also sollten wir es wieder mit unserer speziellen Methode versuchen, die uns sowieso meist die größten Erfolge brachte, wir sollten ihn einbinden.«

»Wie schätzen Sie in diesem wohl sehr speziellen Fall unsere Erfolgsaussichten ein?«, fragte ein Großunternehmer, »wer ›Die Anderen‹ führt, will sich ja wohl auch anders verhalten?!«

»Bitte, Herr Neumann.« Der Gastgeber forderte einen Referenten auf, dazu Stellung zu nehmen.

»Ich verweise auf einen besonderen Punkt in seiner Vita, auf seine Tumorerkrankung. Die hätte ihn sehr verändert, berichteten meine Mitarbeiter. Seitdem würde er nach Erfolg und Aufstieg gieren. Er wünsche sich, dass einmal etwas von ihm bleiben würde.«

Ein Gelächter unterbrach ihn.

»Ja, tatsächlich, das bewies ja auch sein Verhalten auf diesem Gründungsparteitag.«

»Und was schlagen Sie deshalb vor?«

»Um den ersten Kontakt zu ihm zu bekommen, brauchen wir ein Thema, das nicht einmal sein Vorstandskollege, dieser Haberecht, ablehnen könnte.«

»Also?«

»Darauf hat Herr von Söben gerade angespielt. Wir sollten ihn zur Inbetriebnahme dieser ersten großen Windkraftanlage einladen, die manchen ja schon als echte Alternative zu Atom- und Kohlekraftwerken gilt. Diese Einladung wird er annehmen, muss er annehmen.«

Der Gastgeber blickte in die Runde: »Einverstanden?«

Keiner widersprach.

»Gut, dann machen wir das so.«

Er gab dem Koch, der schon ungeduldig wartete, ein Handzeichen. »Damit kommen wir zur Gänseleber mit Gewürzaprikosen. Dazu wird ein vorzüglicher, 50 Jahre alter Dessertwein gereicht.«

Joseph Adam wartete in seinem Auto neben der weit einsehbaren Straße, bis die Begleitfahrzeuge der Polizei ihm die Ankunft des Ministerpräsidenten ankündigten. Deshalb erschien er fast gleichzeitig mit dem zur Inbetriebnahme der Windkraftanlage und wurde von ihm vor allen Augen per Handschlag begrüßt.

Während der Ansprache des Ministerpräsidenten stand er in der ersten Reihe, und als der den roten Knopf gedrückt hatte und sich das riesige Windrad in Bewegung setzte, hielt ihm ein Reporter sein Mikrofon unter die Nase.

»Ein historischer Tag«, sagte Joseph, »da stimme ich dem Redner zu, hier und heute beginnt die energiepolitische Zukunft.«

»Aber, gestatten Sie einen Widerspruch, Herr Adam, die Kosten für den Windstrom sind doch riesig, der ist doch absolut nicht wettbewerbsfähig. Diese Anlage wird dem Steuerzahler auf der Tasche liegen.«

»Noch«, meinte Joseph zuversichtlich, »noch! Es ist ja auch eine Versuchsanlage. Wir werden mit ihr viel lernen und es später besser machen.«

»Glauben Sie, dass diese Technologie eine Zukunft hat?«

»Ja, davon bin ich fest überzeugt, denn wir brauchen Alternativen zu den herkömmlichen Kraftwerken. Dass wir gegen die Atomkraftwerke sind, brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären. Aber auch die Verbrennung fossiler Energieträger können wir uns nicht ewig leisten. Der Anstieg des Kohlendioxidgehaltes in der Atmosphäre wird bedrohlich.«

Diesen Satz hätte Joseph selbst vor wenigen Monaten noch nicht ausgesprochen, aber eine kleine Zeitungsnotiz hatte seine Meinung verändert.

Magda hielt ihm die Zeitung hin und fragte: »Hast du das gelesen?«

»Was?«

»Das von den Außerirdischen.«

»Nein.«

»Hier steht«, sie lachte unsicher, »in Mexiko hätten Außerirdische einen Wissenschaftler entführt und ihn vor einem dramatischen Klimawandel gewarnt. Die Menschheit würde mit den Emissionen ihren eigenen Untergang herbeiführen.«

»Aha.«

Sie blickte auf: »Das interessiert dich wohl nicht besonders?«

»Nein, viele Reporter schreiben viel, wenn der Tag lang ist. Und jeder Tag hat 24 Stunden.«

»Sollte dich aber interessieren. Hier wird auf diverse Literaturstellen verwiesen. Lies die doch mal, für deine Partei könnte das ein wichtiges Thema werden.«

»Mache ich.«

Auch der Reporter hatte davon noch nichts gehört.

»Bedrohlich?«, fragte er verwundert, »aber Herr Adam, darüber könnten doch nur Spinner reden.«

»Spinner? Nein, ich denke, dass das Vordenker sind.«

Im Festzelt für Prominente saßen Joseph und Magda noch nicht am Tisch des Ministerpräsidenten, aber unmittelbar daneben mit Ehrengästen aus der Wirtschaft. Viele zeigten sich erfreut, den aufstrebenden Politiker und seine reizende Gattin persönlich kennenzulernen.

»Gestatten Sie, mein Name ist Neumann. Ich vertrete hier den Arbeitgeberverbund«, sagte sein Nachbar zur Linken und reichte ihm die Hand, »angenehm.«

»Ganz meinerseits.«

»Wenn ich, ohne mit der Tür ins Haus fallen zu wollen, meine Erwartungen direkt äußern darf, ich sehe Sie bereits im nächsten Bundestag sitzen.«

»Vermuten Sie das, weil ich meinen Wohnsitz von Westberlin nach Frankfurt verlegt habe?«

»Auch deshalb. Dieses Signal hat jeder Insider verstanden. Zumindest alle, die wissen, dass Westberliner nicht in den Bundestag gewählt werden können.«

»Genau aus diesem Grund bin ich umgezogen.«

»Sie werden aber für die Landesgruppe Niedersachsen kandidieren?«

»Nein, für Hessen.«

»Auf Platz 1?«

»Ja.«

»Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Nach der Wahl werden wir uns ja in Bonn gelegentlich begegnen.«

»Gehören Sie zu den Lobbyisten?«

»Ehrlich gesagt, ich mag dieses Wort nicht. Es hat so einen negativen Touch bekommen. Wir sehen uns eher als Berater. Beratung schadet niemandem, auch keinem Politiker.«

»Auch uns nicht, meinen Sie? Aber können Sie darauf hoffen? In den Medien werden wir doch als beratungsresistente, bornierte Ideologen bezeichnet.«

»In denen vielleicht, aber wir bemühen uns um ein detaillierteres Bild. Und wir wissen, dass auch in Ihrer Partei die Einen so und die anderen so sind.«

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, denn die Kellner servierten den ersten Gang des leckeren Menüs mit ausgewählten Weinen. Magda hielt sich lieber an den köstlichen, prickelnden Champagner. Ein junger Kellner, der sie ungeniert anhimmelte, schenkte ihr immer wieder nach.

»Ein schöner Tag«, sagte sie beschwipst so laut, dass es Neuman hörte.

»Ein interessanter«, meinte Joseph.

»Wirst du solche Einladungen jetzt öfter annehmen?«

»Wenn du willst, warum nicht?«

»Ich will.«

Neumann berichtete seinem Verbandschef brühwarm jedes Detail dieses Zusammentreffens.

»Dann könnten wir also auch bei seiner Frau ansetzen«, antwortete der.

»Mein Respekt, wie immer haben Sie sofort des Pudels Kern erfasst.«

Neumann überreichte einen Kurzbericht. »Das ist ihre Vita.«

»Na, lassen Sie mal sehen. Sie ist also mit ihrem Studium fertig und sucht in Frankfurt noch eine Arbeit. Sie will nicht nur die Politikergattin spielen. Sehr löblich. Und sie vermisst dort schon ihren Berliner Freundinnenkreis, muss sich in Frankfurt erst einen aufbauen. Okay. Und Sie meinten, dass ihr die erste Feier in der VIP-Lounge gefallen hätte?«

»Offensichtlich sehr.«

»Okay, dann haben wir ja einige Ansatzpunkte. Fangen wir bei ihrem Arbeitsplatz an, natürlich mit der gebotenen Vorsicht. Keiner aus Adams Partei darf erkennen, dass wir an den Stellschrauben drehen. Sie schreiben hier, dass sie BWL studiert hätte, aber auch künstlerisch interessiert wäre. Vielleicht könnten wir sie als Kulturfunktionärin etablieren und damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aus den vielen Unternehmergattinnen, die in Kunst und Kultur machen, ergäbe sich dann gleich ihr neuer Freundinnenkreis. Prüfen Sie mal, ob sich da etwas anbietet.«

»Habe ich schon. Zum Beispiel sucht der Dezernent für Kultur und Wissenschaften eine Referentin. Aber ich befürchte, dass der keine Seiteneinsteigerin nehmen würde.«

»Kein Problem. Das regele ich mit dem Bürgermeister.«

Frankfurter Arbeitgeber trafen sich mit den Bundestagsabgeordneten des Landes und folgten der Anregung der neuen Kulturreferentin, Magda Adam, gemeinsam das Kunstmuseum zu besuchen. Im Foyer, in dem vor der offiziellen Begrüßung Fingerfood zu Sekt oder Orangensaft gereicht wurde, bildeten sich Gesprächsgruppen.

Magda ging von einer zur anderen und kurz auch zu Joseph, der hier noch niemanden kannte und einsam und verlassen in einer Ecke stand, und fragte ihn: »Was siehst du?«

»Was soll ich sehen?« Er überblickte das Foyer. »Verschiedene Gruppen von Wirtschaftsbossen und Politikern.«

»Genauer.«

Er zuckte mit den Achseln: »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Sieh dort.« Sie deutete auf 5 miteinander diskutierende Gäste. »Dort reden mehrere Arbeitgeber mit einem Politiker. Dort ist es genauso. Aber dort …«, sie blickte Joseph prüfend an, »fällt jetzt der Groschen?«

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