Feuervogel

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Feuervogel
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E. W. Schreiber

Feuervogel

Wenn Liebe alle Grenzen sprengt

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

1.Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10.Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20.Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28.Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32.Kapitel

33.Kapitel

34.Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37.Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

Impressum neobooks

Widmung

Für Erich,

der mich immerzu in meinem Glauben bestätigt,

dass nichts im Leben unmöglich ist.

1.Kapitel

Sie springt ihr ins Genick, die Nacht, vor der sie sich so fürchtet. Wie ein vernichtender Schleier breitet sie sich dunkel über sie, um sie samt Haut und Haaren zu verschlingen.

Ellen beginnt zu laufen, so schnell sie ihre Füße tragen können, rennt sie. Sie rennt um ihr Leben und beginnt dabei zu schreien. Es sind Schreie aus Wut, Verzweiflung und Enttäuschung. Ellens Atem wird immer schneller, während sie wie ein gehetztes Tier durch den Wald jagt. Sie muss laufen, denn solange sie läuft, würde sie überleben. Sie würde Sein dürfen.

Der finstere Schatten, der sie umhüllt, aber verrät ihr, dass es in ihrem Sein niemals Identität geben wird, dass der Tod längst Einzug gehalten hat in die leere Hülle, die da lief.

Ellen ist müde. Sie schleppt sich weiter, und als sie sich umdreht, ist ihr, als würde sie ein paar Kilo verwundetes Fleisch zum Endspurt treiben.

Ihre Schreie verhallen. Ungehört.

Ellen ist es, als sei die Welt stumm und taub geboren. Als hätte die Erde in ihrer Dunkelheit das Augenlicht verloren. Und jetzt irrt sie auf ihr umher und sucht Rettung vor dem, was sie verfolgt.

Aus dem Dickicht ragen Hände. Starke, behaarte Hände, die an ihr zerren und ihr den Mund zuhalten, bis sie sich auf den feuchten Waldboden gepresst wiederfindet.

‚Pst’, flüstert die Stimme, die zu den Händen gehört. ‚Pst, sei still! Dann wird es an dir vorbeilaufen. Es wird so sein, als wäre nie etwas geschehen.’

Ellen liegt geduckt, ihr Körper erschaudert vor Angst. Doch die Hände und die Stimme wiegen sie in Sicherheit. Es ist die wunderbarste aller Stimmen. Sie ist aus Ellens Vergangenheit, und sie ist ihr verloren gegangen.

Etwas schleicht an ihr vorüber, sie wendet ihren Blick ab. Es schnaubt und blickt wild um sich, als es umkehrt. Es sucht sie und hungert nach ihr und ihr ist, als schnaubt es ihr in diesem Moment seinen heißen Atem ins Gesicht. Heiß und feucht, wie der eines wildes Tieres.

‘Verdammt, wer bist du?’ allein diese Frage zu denken ist gefährlich.

Dann wendet es sich schauderlich keuchend ab. Und Ellen weiß, dass es die Suche nach ihr weiter fortsetzen wird. Es wird nie, niemals aufhören sie zu jagen. Eines Tages, ja eines Tages, wenn ihr auf der Flucht der Atem ausgehen wird, wird es sie finden, ihr Fleisch zerreißen, und ihr auch noch das Letzte, was ihr geblieben ist nehmen. Ihr letzter verbliebener, stummer Gedanke an die Vorstellung von einem Leben in diesem Leben.

Aufrecht und starr vor Angst saß Ellen in ihrem Bett und wagte es kaum, zu atmen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Alles um sie war still, nur das leise Zirpen der Grillen drang sanft durch das geöffnete Schlafzimmerfenster. Der Traum hatte sie aufgeweckt.

Nur für eine kurze Zeit hatte er sie nicht verfolgt, ihr Traum, der seit einem Jahrzehnt ihr stetiger Begleiter war.

Aber nun war er wieder zurückgekehrt. Seine Intensität hatte beträchtlich zugenommen, und vor allem hatte er länger gedauert als je zuvor.

‚Wenn schon kein gutes Gefühl, so hat der Traum wenigstens etwas Positives hinterlassen’, überlegte Ellen. Ein Gefühl der Genugtuung erfüllte sie, denn heute war sie einmal mehr dem unheimlichen Schatten entkommen.

Das schrille Klingeln des Telefons riss Ellen jäh aus ihrer inneren Ohnmacht. Es war ihre Rettung, welche sie aus ihrem erbärmlichen Zustand der Hilflosigkeit befreite, den sie aus dem Traum mitgenommen hatte. Und noch nicht gänzlich im Jetzt, in ihrer Gegenwart zu Hause, hauchte sie ein leises ‚Hallo?’ in den Hörer.

2. Kapitel

‚Ellen ich bin´s, Carlaaa’, plärrte eine laute und aufreibende, nur allzu bekannte Stimme in die Muschel. Augenblicklich riss Ellen den lärmübertragenden Störfaktor von ihrem Ohr, gerade so, als wäre darin soeben der Countdown einer Bombe abgelaufen, der ihren Gehörgang zum Zerfetzen bringen wollte. ‚Hab ich dich geweckt?’

‚Gott!’, stöhnte Ellen, ‚musst du denn so schreien?’ Und noch etwas verstört stammelte sie ein leises ‚Nein, ist schon in Ordnung’, zurück. ‚Hatte nur wieder diesen schrecklichen Albtraum, weißt du.’

‚Den mit dem Schatten?’

‚Ja, genau den’, bestätigte Ellen. ‚Wie spät ist´s denn?’

‚Hm’, machte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Eine kurze Pause folgte.

‚Fast Mitternacht. Du musst unbedingt in die „No Name Bar“ kommen. Hier ist die Hölle los!’

Ellens müder Körper lag noch immer eingewickelt in ihrem Laken.

‚In die No Name Bar also’, dachte sie verschlafen. ‚da war ich ja noch nie.’ ‚Aber na ja, ein bisschen Ablenkung kann ja nicht schaden’, überlegte sie laut. ‚Schlafen kann ich jetzt ja doch nicht mehr.’

‚Genau! Wer will denn schon schlafen bei solchen Träumen. Wir bringen dich auf andere Gedanken’, erwiderte Carla euphorisch. ‚Also beeil dich!’

Gedankenversunken legte Ellen den Hörer auf. Spätestens jetzt war sie hellwach.

Noch immer lag ihr der letzte Streit mit Carla im Nacken.

Worum zum Teufel ging es dabei noch mal? Aber gleich fiel es ihr wieder ein. Carlas nächtliche Anrufe waren es, die sie gestört hatten, und ihr ewiges sich Einmischen, was das Thema Männer betraf.

 

Sie hatte ihr vorgehalten, sie würde als alte Jungfer sterben, wenn sie nicht endlich mal etwas lockerer werden würde. Am Leben vorbeigehen würde sie, ein Angsthase sei sie. Kalt wie ein Eisblock und stur wie ein alter Esel, obwohl sie doch erst fünfundzwanzig war, und noch so einiges mehr war aus Carla hervorgebrodelt. Und das wollte Ellen so gar nicht schmecken. Carla musste doch wissen, dass es in Ellens Herzen nur Platz für einen Menschen gab. Auch wenn sie nicht wusste, ob dieser überhaupt noch am Leben war, war er ihr das gewesen, was sie ihrer Überzeugung nach nie wieder würde finden können. Ein Held.

Ellen räkelte sich aus ihrem warmen und weichen Bett und raufte sich ihr zerzaustes Haar. Dann schlurfte sie, noch immer in Gedanken an den Traum ins Bad.

‚Dieser Traum, dieser gottverdammte Schatten-Traum’, dachte sie. ‚Der macht mir wirklich Angst, verdammt noch mal.’

‚Mein Gott wie theatralisch! ’ fluchte sie und musste dabei lachen, weil ihr Spiegelbild ihr mit völlig zerzausten Haaren und geballten Fäusten wie ein Rumpelstilzchen entgegenhüpfte. ‚Am besten ist’s wohl, mit ein paar Gläsern Wein den ganzen Humbug aus meinen Eingeweiden zu spülen’, überlegte sie noch laut, ‚mit Carla bin ich ja in bester Gesellschaft.’

3. Kapitel

Früh morgens rollte sich Oskar von seiner Gefährtin, die sich ihm letzte Nacht an den Hals geworfen hatte.

Sie hatte Sex von ihm gewollt, die ganze Nacht hindurch, und gespickt von kleineren Verschnaufpausen hatte sie diesen auch in aller Ausgiebigkeit bekommen.

Nachdem er die Bar zugeschlossen hatte, in der er Nacht für Nacht seinen Dienst tat, hatte er noch ein paar Whisky-Cola mit ihr gekippt und sie dann zu sich in sein Apartment mitgenommen, welches sich ein Stockwerk über der Bar befand.

Beißender Durst trieb ihn aus dem Bett in Richtung Küche, wo bereits Aspirin und ein Halb-Liter-Krug mit Wasser bereitstanden. Ohne abzusetzen, spülte er den Inhalt des Kruges in einem Zug hinunter, was seiner vertrockneten Kehle sofort das Gefühl von Behaglichkeit verschaffte. Dann schlurfte er langsam wieder zurück ins Schlafzimmer, wo ihn sogleich ein geiler Geruch von

Liebe und Schweiß in Empfang nahm, der gierig durch seine Nasenhöhlen schlüpfte.

Oskar öffnete das Fenster, um den Geruch zu vertreiben, den er bestens kannte, und der sich in seinem Schlafzimmer fast jede Nacht aufs Neue ausbreitete.

Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes, als er einen verächtlichen Blick auf die fremde Frau in seinem Bett warf, die sich noch schlafend von der letzten Nacht erholte. Abschätzig dachte er daran, wie exzessiv der Sex wieder mal gewesen war. Für sie war es die Nacht der Nächte gewesen, zumindest hatte sie Oskar das glauben lassen. Für ihn aber war das alles lahmer Alltag, oder vielmehr öde Allnacht. Nichts Außergewöhnliches.

Es war August, und der Sommer in Klagenfurt stand in seiner Hochblüte. Langsam krochen die ersten Sonnenstrahlen durch den vergänglichen Nachthimmel und ließen einen Hauch von Wärme und Licht in das viel zu dunkle, stickige Zimmer fallen.

Oskars Blick schweifte auf den vor ihm liegenden nackten Frauenkörper, wobei ihn eine plötzliche Übelkeit überkam.

‚Sie war mir wie eine Hure gewesen heute Nacht!’, überlegte er.

Schlüpfrig war sie, und ohne jegliche Tabus zu kennen hatte sie sich von ihm nehmen lassen. Wie ein Stück Fleisch, das keine Seele besaß.

Für Oskar war es unkomplizierter Sex gewesen, nichts weiter. Und so sollte es auch bleiben. Er kannte ja noch nicht einmal ihren Namen.

Oskar hasste nichts mehr als komplizierte Beziehungskisten, die seiner Meinung nach immer in Eifersuchtsdramen, Tränen und Selbstaufgabe endeten.

Dann stellte er sich vor sie ans Bett und spürte, wie sehr sie ihn jetzt anekelte, wie sehr er sie ablehnte.

‚Sie soll verdammt noch mal verschwinden!’ dachte er und versuchte dabei die Tatsache zu verdrängen, dass er sie gestern Nacht noch recht anziehend gefunden hatte. Aber da war er ja auch betrunken gewesen. Eine Entschuldigung, die für Oskar immer galt, denn die einzige Verantwortung, die er wirklich übernahm, war die, für seine heißgeliebte Bar. Ein Traum, den er sich erst kürzlich erfüllt hatte.

Er fühlte sich schmutzig, und bei dem Gedanken daran, dass ihr Geruch immer noch an seiner Haut haftete, war ihm, als würde ihm eine Gänsehaut über den Rücken fahren. Er musste sich reinigen. Oskar brauchte dringend eine Dusche.

Während er sich der Körperpflege widmete, erwachte die namenlose Frau mit einem nicht unbedingt unzufriedenen Ausdruck im Gesicht. Ihre Mimik zeichnete ein erneutes Bild von Begierde und gnadenloser Lust auf ihre noch immer geschminkte, reife Haut. Sie setzte sich auf die Bettkante und wartete darauf, dass Oskar seinen gestählten Körper wieder zu ihr ins Schlafzimmer bewegte. Eigentlich wollte sie ihm unter der Dusche etwas Gesellschaft leisten, hatte jedoch die Badezimmertüre verschlossen vorgefunden.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie im Korridor endlich Schritte hörte, die langsam näher kamen. Nur mit einem Handtuch bekleidet, dass er sich um die Hüfte geschlungen hatte, lehnte er nun lässig am Türrahmen.

‚Du bist noch hier?’ fragte er zynisch.

Aber sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und kam ihm provokant näher. Langsam löste sie das Tuch von seinen Lenden und vergrub ihr Gesicht in seinem Schoß.

Oskar atmete noch einmal tief durch. ‚Was soll´s!‘, dachte er. ‚Man lebt nur einmal!’ Dann schnappte er ihren samtweichen Körper und trug sie zurück auf das Bett.

Nachdem er sie dazu aufgefordert hatte, sich umzudrehen, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen, hatten sich ihre Fingernägel bereits in das zerknüllte Laken vergraben, auf dem sich noch Spuren der letzten Nacht zeigten. Es war ein Gemetzel gewesen. Das wusste er. Aber sie hatte es so gewollt und er konnte nicht Nein sagen.

‚Willst du denn nicht meinen Namen wissen?’ keuchte sie noch, als er sich hinter sie platzierte und seine starken, durchtrainierten Arme um ihre Hüfte geschlungen hatte.

‚Spielt das denn jetzt noch eine Rolle?’ gab er abweisend zur Antwort. Dann schloss Oskar seine dunkelbraunen Augen, drang noch einmal tief in sie ein und stieß seine Lenden so heftig gegen ihre aufreizende Gestalt, bis ihr Stöhnen verstummte.

4. Kapitel

Das Klagenfurter Becken lag in eine laue Nacht gebettet, und das Beach Volleyball Grand Slam Turnier, dass den Wörthersee einmal im Sommer in ein mediales Blitzlichtgewitter hüllte, stand in seiner Hochblüte. Massen an Touristen hatte die Stadt in ihren Bann gezogen, um sich vom sportlichsten Spektakel im Jahr beflügeln zu lassen. Die Altstadt wirkte zum Bersten voll, und wie Carla es versprochen hatte, war in der No Name Bar die Hölle los. Unmengen von Leuten drängten sich durch den Einlass und standen sich mit erhitzten Gemütern die Beine in den Bauch. Die Hoffnung in den gebräunten Gesichtern, eine frische Brise sollte doch kommen und von draußen hereinwehen, um ihre schweißnassen Körper zu kühlen, blieb unerfüllt.

Carla war nicht zu übersehen. Ihr rotes, zu einem Knoten hochgestecktes Haar stach aus der Masse hervor, während ihre ausgestreckte Hand wie ein Fangarm eines Oktopus nach Ellen fasste, um sie durch die Menge hindurch ins Lokal zu ziehen.

‚Müssen wir hier wirklich rein?’, stöhnte Ellen jetzt und schüttelte sich dabei den Ekel vom Leib. Soeben hatte sich eine stark behaarte, schweißtriefende und vor allem geruchsbelästigende Achselhöhle eines zwei Meter Typen mit ausladender Armbewegung an ihrem Haupt abgestreift. Ellen fürchtete um ihre neue, sündteure vierzig Euro Frisur, die sie sich am Tag zuvor hatte machen lassen, und die nun mit fremder Körperflüssigkeit befeuchtet war.

‚Uah’, machte sie und streckte ihre Zunge so weit aus ihrer Körperöffnung, als wollte sie sich soeben übergeben. ‚Verdammt was machen wir hier eigentlich? Hier kann man sich ja nicht mal rühren!’

Carla zuckte gleichgültig mit den Schultern. ‚Was hast du dir denn erwartet?’, fragte sie schnippisch. ‚Es hat fast dreißig Grad. Die Leute sind stock besoffen, schwitzen und stinken zum Himmel, was das Zeug hält. Mein Gott Ellen!’ Sie schlug sich verständnislos auf ihren Kopf, während sich ihre tiefblauen Augen weiteten und dabei die Stirne in Falten legte. ‚Du kannst vielleicht naiv sein! Ich hab uns nen total guten Tisch reserviert’, raunte sie. ‚Zier dich nicht immer so, komm schon! Außerdem gibt es hier jemanden, den ich dir gern vorstellen möchte. Er ist genau dein Typ, Ellen. Ich glaube, er könnte dir gefallen!’ Ihre Augen funkelten geheimnisvoll, als sie das sagte, und sie bemerkte, dass sich in Ellen eine Spur von Unmut, aber auch Neugierde breit machte. ‚Vielleicht schafft es ja gerade dieser Mann, dein Leben zu verändern und es ein bisschen aus der Bahn zu werfen Ellen? Das wär ja nicht schlecht, oder?’

Ellen zog die Brauen zusammen.

‚Wer konnte das schon sein?’ überlegte sie schnell. Immer diese lästigen Verkuppelungsversuche von Carla, die ja doch nichts bringen. Warum gibt sie nicht endlich auf und lässt mich damit in Ruhe?’

Für Ellen gab es niemanden, der sie interessierte. Außerdem, so empfand sie, lohnte es sich nicht, auf irgendjemanden zu warten, der ihren Ansprüchen ja doch nicht gewachsen sein würde.

Jeder, der den Versuch unternommen hatte, ihr näher zu kommen, wurde blitzschnell eines Besseren belehrt. Der einzige Mann, dem sie jemals vertraut hatte, hatte sie vor vielen Jahren verlassen. Und der einzig wahre Freund, den Ellen besaß, war Carla.

‚Also gut’, dachte Ellen und zog schnell Resümee. ‚Es wartet hier keine Gefahr auf mich und schon gar kein Mensch, der mir wichtig werden könnte. Auch wenn Carla anderer Meinung ist. Du kannst beruhigt sein Ellen, nichts wird sich ändern. Rein gar nichts.’

5. Kapitel

Oskars Bar war in dieser Nacht zum Bersten voll, was er als Besitzer enorm gut fand. Denn es bedeutete, dass der Rubel rollte. Mit einem Glas Rotwein bestückt stand er relaxt an seine Bar gelehnt. Er beobachtete seine zwei Kellner, die er vor wenigen Tagen eingestellt hatte, um dem bevorstehenden Rummel in der Bar Herr werden zu können. Sie arbeiteten gut. Schnell und professionell, wie es sich gehörte. Und wie es Oskar gewohnt war, hatte sich eine Frau an seine Seite gesellt, mit der er sich nun in einem hitzigen Gespräch über Arbeitsmoral wiederfand.

Die letzten Tage hindurch hatte sie für ein Catering- Service als Kellnerin geschuftet und sich mit einem Hungerlohn abspeisen lassen.

‚Ich versteh, dass du sauer deswegen bist!’ gab Oskar zur Antwort. ‚Aber du bist selbst Schuld!’ Meine Leute verdienen überdurchschnittlich gut, dafür aber mussten sie mir zuerst beweisen, dass sie Leistung bringen, verstehst du?’.

‚Was soll das heißen?’ sprudelte es entrüstet aus ihr hervor, und ihre viel zu schwarz getuschten Wimpern blinzelten nervös auf und ab. ‚Willst du mir damit sagen, ich würde schlechte Arbeit leisten?’

‚Gott!’, dachte Oskar und zog seine buschigen Brauen nach oben, so dass sich seine Stirn runzelte. ‚Schon wieder so eine von der komplizierten Sorte’.

‚Wie lange arbeitest du schon in dem Gewerbe?’ wollte er jetzt wissen.

Sie ließ ihren Nacken nach hinten fallen und Oskars wachem Blick entging nur schwer, wie unbeholfen sie ihre Körpersprache einsetzte. Nervös trat sie von einem Bein auf das andere und schob dann ihr Becken aufreizend nach vorne.

‚Welch ungeschickte Bewegungen sie macht’, überlegte er. Seine Mundwinkel verzogen sich spöttisch grinsend nach oben, während sein Blick auf ihren viel zu weiten Ausschnitt fiel.

‚Wem um Gottes Willen versucht sie, mit ihren Reizen zu imponieren?’ fragte er sich.

Unsicher ließ sie ihre Finger durch ihre Mähne gleiten, wobei er ein kurzes, aber heftiges Kribbeln in seiner Lendengegend verspürte. Oskars Gedanken schweiften für einen Moment ab.

‚Die ist nicht besser als die von letzter Nacht. Du könntest sie haben, Oskar!’ ermahnte er sich im Stillen. ‚Aber das ist keine Frau die du zu erobern brauchst, denn selbst wenn du sie wolltest, sie gehört dir ja schon längst. Sie hat keine Klasse, also lass es!’

‚Wo waren wir stehen geblieben?’

Sie hängte an seine Frage von vorhin an. ‚Du wolltest wissen, wie lange ich als Kellnerin arbeite!’

 

‚Ah ja’, erwiderte er und gab sich Mühe, Interesse zu zeigen.

‚Ich bin neu in dieser Branche’, kicherte sie verlegen.

‚Tja, dass ist nun wohl dein Kaffe!’ meinte Oskar gelangweilt und würgte somit das Gespräch abrupt ab. Er hatte einfach keine Lust mehr weiter auf sie einzugehen, und sich um ihre Probleme zu kümmern. Er konnte es nicht ausstehen, ständig den Therapeuten zu markieren. Er hatte eine Bar zu führen.

‚Sorry Mädl, war nett mit dir zu plaudern, aber ich hab noch zu tun!’ sagte er jetzt bestimmt und verschwand hinter der Bar.

6. Kapitel

Ellen verspürte ein großes Unbehagen. Gleich nachdem sie sich mit Carla gesetzt und ein Glas Rotwein bestellt hatte, hatte sich ein Kerl zu ihnen an den Tisch gesellt, für den nun jegliche Hilfe zu spät gekommen schien. Ellen befand sich seinetwegen in wilder Aufruhr.

Erhobenen Hauptes war er direkt auf Ellen zugegangen. Schon bei seinem Erscheinen ahnte sie, dass es Ärger geben würde, doch er hatte sie zumindest anfangs überrascht.

‚Ich möchte mich bei Dir für mein blödes Verhalten von damals entschuldigen!’ sagte er und gab sogleich eine Runde aus. ‚Ich war nicht ich selbst’, erklärte er weiter. Ich war betrunken und ...’

Seine Entschuldigung wurde durch Ellens ‚ist schon gut du hast dich dafür entschuldigt, und damit hat sich´s’, unterbrochen.

‚Aber’, sprach er weiter. ‚Einer so schönen Frau wie dir kann man nur sehr schwer widerstehen, verstehst du?’

‚Du hast dich wie ein Schwein benommen!’ schnauzte sie zurück. ‚Deine Manieren sind es, die zu wünschen übrig lassen!’

Chris erhob seinen Blick und grinste Ellen herausfordernd an.

‚Wenn eine Frau mit ihren Reizen spielt, dann braucht sie sich auch nicht wundern, wenn man ihr näher kommt.’

Irre Wut stieg in Ellen hoch, während sie sich daran erinnerte, wie sehr ihr Chris vor etwa zwei Wochen in einer anderen Bar zugesetzt hatte.

Sie war auf dem Weg zur Toilette gewesen, als Chris sie ans Treppengeländer gedrückt und seinen Unterleib an den ihren gepresst hatte. Er wolle sie nehmen. Jetzt sofort auf der Toilette, und er wüsste dass sie das auch wollte, waren seine Worte gewesen, wobei er ihre Arme gewaltsam hinter ihrem Rücken festgehalten hatte. Es hatte sie Angst gepackt. Sie wusste nicht, was geschehen wäre, wäre ihr nicht ein anderer Gast zu Hilfe gekommen.

‚Du bist mir nicht einfach nur näher gekommen’, zischte Ellen jetzt.’ Das war sexuelle Nötigung! Ich hätte dich anzeigen sollen!’ Chris‘ Augen funkelten wild auf, während seine Mundwinkel ein hämisches Grinsen freilegten. ‚Kriegt bei dir keiner ne zweite Chance?’

Nun mischte sich Carla ein. ‚Ellen steht nur auf wahre Kerle. Richtige Männer, verstehst du?’ Eine gehörige Portion Spott lag in ihren Worten, worauf Chris aufstand und sein Becken wie wild nach vor und zurück schnellen ließ. ‚Na los’, keuchte er Carla zu, ‚ich zeig euch beiden gleichzeitig, wer hier ein echter Kerl ist!’

‚Warum überrascht mich dieses erbärmliche Verhalten eigentlich nicht, Carla?’ fragte Ellen kalt und schüttelte sich demonstrativ den Ekel vom Leib. Ihr Blick war von tiefer Verachtung geprägt, der sich nun in Windeseile eisig in ihn bohrte.