Кавказ и Чечня – обозрение европейских ученых. Kaukasus und Tschetschenien. Ein Überblick der europäischen Wissenschaftler

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Die oben erwähnte, südlich vom Terek von West nach Ost führende Strasse läuft in der Ebene unmittelbar längs des Fusses dieses Glacis, und wenn der Terek den Vorgraben darstellt, so war er zugleich die erste russische Hauptangriffslinie und Parallele, längs welcher die Linienkasaken angesiedelt wurden, welche die Tschetschenzen von Norden und Westen her, von der Ssunsha, einengten. Die nächste Angriffsparallele gegen sie lag dann südlicher, am Fusse des eben erwähnten Glacis, an dem Austritt der Flüsse aus dem Berggebiet, bezeichnet durch die heute noch vorzugsweise, ja theilweise ausschliesslich eine militarisch-polizeiliche Bedeutung hebenden Ortschaften, Stabsquartiere genannt, da Regimentsstäbe hier lagen und liegen: Tschir-Jurt, Chassaw-Jurt, Gersel-Aul und westlicher am Argun Wosdwischenskaja.

Wedén und früher Dargo, nahe östlich davon, wie auch früher schon Achulgo, waren die zeitweisen Residenzen Schamyĺs, und wurden deshalb zu spezifischen Angriffsobjekten für russische Kriegsoperationen gewählt, deren Unhaltbarkeit im Prinzip und daher nicht entsprechende Ausführung, bei der die aufgewendeten Mittel und Opfer in gar keinem Verhältnisse zu dem zu theuer erkauften Erfolge standen, mehrfach deutlich zu Tage trat. Jede Uebertragung von Begriffen, die ihren Ursprung der Kombination, der Reflektion verdanken, darf nur statt haben und kann nur erfolgreich sein, wenn die Grundbedingungen, die zu ihnen führten, dieselben oder sehr ähnliche sind. Wenn in Europa die Eroberung und Besitznahme der Hauptstadt eines feindlichen Landes meist den entscheidensten Wendepunkt des Krieges bezeichnet und als Hauptziel ińs Auge gefasst werden muss, so konnte solches, ganz abgesehen von der Kleinheit der Verhältnisse nach Lokalotät und Macht, hier im Daghestan und der Tschetschna während der Kriege gegen Schamyl durchaus keine Stelle finden, obwohl man wiederholt glaubte, dass mit dem Falle seiner Residenzen gar keine politische oder strategische Bedeutung hatten. Ob Schamyl mit seinen in tiefster Armuth lebenden Stämmen zeitweilig oder dauernd hier oder dort seinen Wohnsitz aufschlug, von dem aus er herrschte und die Operationen leitete, war vollständig gleichgültig. Eine Ortschaft, ein Felsennest war wie das andere und hatte spezifisch gar kleine besondere Bedeutung; sie war nur der zeitweilige Lagerplatz, die Lagerstätte für Schamyl, der mit seinen Müriden (von ihm gewählten, zuverlässigsten, ergebensten, energischsten und gewandtesten jungen Männern) über Alles und wachte, denen er zugleich religiöses Oberhaupt war. – Die Orte selbst boten dazu nichts und konnten nichts dazu bieten, sie hatten gar keinen Vorzug noch Bedeutung vor andern voraus und wurden nur je nach den gerade herrschenden Umständen gewählt. Anders war es mit der letzten Residenz Schamyĺs, Wedén; hier aber lagen die früheren Residenzen glaubte man mit dem Fall derselben Schamyĺs Herrschaft zu stürzen, vergass aber, dass nicht der Ort seine Herrschaft begründete, sondern dass dies nur seine Person war und es auf diese allein ankam, ganz gleichgültig, wo sie sich aufhielt und von wo sie wirkte. Nachdem der Statthalter des Kaukasus, Fürst Barätinski, eine durch Menschenkenntniss, europäise Bildung und Kultur, durch Geburt und Erziehung, Persönlichkeit und Charakter, selten vornehme und ächte Soldatennatur, in richtiger Erkenntniss der Sachlage durch Erfahrung und Kampf Schamyĺs Fall wenige Jahre zuvor schon berechnend vorausgesehen hatte, schloss er ihn in dem ihm untergebenen Gebiete immer mehr ein und liess ihm nur Wedén als letzte Residenz, da Schamyl, obwohl selbst ein Daghestaner, und vom Daghestan ausgehend in Gewalt und Operationen, doch der Tschetschna hauptsächlich bedurfte, sowohl deren militairischer wie strategischer Hülfe, als auch ihrer materiellen Mittel wegen, die der arme Daghestan nicht dauernd liefern konnte. So fiel auch mit der letzten Veste in der Tschetschna, Weden, plötzlich und vollständig seine ganze Macht und sein ganzer Einfluss.

Es handelte sich also bei Weden nicht um Schamyĺs Residenz, sondern um Schamyl selbst und in erster Linie um sein letztes Gebiet und seine Macht bei den Tschetschenzen. Wenn einige Monate später sich Schamyl im Daghestan dem Fürsten Barätinski ergab, bereits als machtloser Flüchtling, so war sein Fall und das Ende des Krieges im östlichen Kaukasus doch mit der Einnahme von Weden besiegelt gewesen.

Weden in beinahe 1000 Meter Meereshöhe ist, wie die meisten tschetschenischen Ortschaften, von denen es sich gegenwärtig durch militairische und administrative Baulichkeiten wesentlich unterscheidet, eine von Fruchtgärten und sonstigen Bäumen umgebene und besetzte Ortschaft, wie überhaupt die tschetschenischen Dörfer etwas Freundliches, Ansprechendes haben, besonders im Gegensatz zu den Felsennestern und Steinbauten, oder richtiger Kasten, des Daghestan. Die Häuser sind mehr aus Lehm und Holz erbaut, nur haben die meisten noch die flachen ächt-orientalischen Dächer, die ausserordentlich nützlich gegen Feuersgefahr sind, sonst aber, besonders bei anhaltendem Regen, manches zu wünschen übrig lassen.

In der Umgegend von Weden wurden Knochenreste eines vorweltlichen Thieres gefunden, die sich bei näherer wissenschaftlicher Untersuchung in Petersburg und Berlin als Thiele von den Kiefern eines Fisches erwiesen, der zur Gattung der Wale gehört und etwa die Länge von mehr als drei Meter haben musste.

Wähernd des letzten Krieges der Russen in der Türkei und Kleinasien hatten sich die Tschetschenzen, besonders aber die Lesghier, empört und einen Aufstand gemacht, der natürlich keinen dauernden Erfolg oder politische Bedeutung gewinnen, immerhin aber viel lokales und persönliches Unheil anrichten konnte; der Aufstand wurde ohne besondere Folgen bald erstickt, hielt aber zwei russische Infanterie-Divisionen dauernd fest und verursachte manchen Schaden im Daghestan. Da es an einem einsichtsvollen und energischen Führer den Aufständischen fehlte, so wurde er planlos und mit vollster Unkenntniss der Verhältnisse unternommen, obwohl Viele sich von ihm hinreissen liessen, die noch unter Schamyl gewisse Stellungen eingenommen hatten. – die Civilverwaltung hat in der Tschetschna seit einigen Jahren grosse Fortschritte gemacht, wenn auch das vielleicht etwas zu früh eingeführte Institut der Friedensrichter, das den Asiaten im Kaukasus ein ganz fremder Begriff ist, nicht verhindert hat, dass in der Tschetschna, selbst an der Poststrasse im Norden und bei den Inguschen, in unmittelbarer Nähe von Wladikawkas, Raubanfälle und Ueberfälle vorkommen. Bei seiner ausserordentlichen Fruchtbarkeit und der bald das Land im Norden begleitenden Eisenbahn von Wladikawkas nach Petrowsk ist demselben bei genügender Besiedlung und entsprechender Administration eine schöne, blühende Zukunft mit Bestimmtheit vorherzusagen.

Südlich von Grosny, das ein rechter Fieberort ist, den Argun aufwärts über Wosdwischenskaja hinaus, wie überhaupt auf der ganzen Ebene von Wladikawkas nach Petrowsk, liegen viele Kurgane, die hier sich vorzugsweise auf einer höher gelegenen Stelle nahe dem Argun finden. In der Umgegend von Wosdwischenskaja giebt es deren über hundert verschiedenster Grösse bis zu vielen Metern hoch, so dass auf ihnen theilweise Wachtposten etablirt sind.

Die Ausgrabungen einiger Kurgane ergaben nichts Besonderes, sie enthielten einige Stück Eisen und Messer. Nach der Aussage der Tschetschenzen sollen sie von Kalmyken herstammen. Weiter aufwärts nach Schatoi, wo sich Thürme finden, läuft ein schon in alter Zeit benutzter Weg über das Gebirge nach Grusiern her zur Vertheidigung gegen Einfälle von Norden.

«Die Tschetschenen»

Forschungen zur Völkerkunde des nordöstlichen Kaukasus auf Grund von Reisen in den Jahren 1918—20 und 1927/28 von Doktor Bruno Plaetschke Assistent am Geographischen Institut der Universität Könidsberg Pr. Mit 68 Figuren und einer Karte im Text und 24 Abbildungen auf 12 Tafeln. 1929. Druck von J. J. Augustin in Glückstadt und Hamburg.

Vorwort

Von Oktober 1927 bis Februar 1928 durchwanderte ich das am Nordostabhang des Kaukasus gelegene Gebiet der Tschetschenen und Teile des nordwestlichen Daghestans kreuz und quer zu allgemein landes- und volkskundlichen Studien. Nicht ohne Absicht hatte ich mir gerade dieses Gebiet ausgewählt. Es kann nämlich ohne Umschweife gesagt werden, daß das Tschetschenengebiet vom gesamten Kaukasus bisher das unbekannteste geblieben ist. Die Gründe hierfür sind verschiedener Art. Zunächst einmal finden wir im kaukasischen Osten nicht die machtvolle eisgepanzerte Hochgebirgswelt wie in der Westhälfte des Gebirges, wenn auch die Berge des Daghestan z. B. des Eigenartigen genug bieten und auch der verwöhnteste Reisende dort auf seine Kosten kommen wird. Jedenfalls haben sich die europäischen und auch die russischen Touristen und Wissenschaftler in der Hauptsache meist nur durch die zentrale Gebirgskette zwischen Kasbek und Elbrus anziehen lassen, von einigen Ausnahmen abgesehen. Und diejenigen, die nach dem Osten gingen, wandten auch hier ihre Hauptaufmerksamkeit in der Regel nur dem Hochgebirge zu; das Mittelgebirge wurde viel weniger durchforscht. dieses nimmt aber gerade im Tschetschenengebiet den weitaus größten Raum ein, sofern man darunter alle Berge versteht, die die Schneegrenze nicht mehr erreichen. Das einzige Hochgebirge, die Pirikitelische Kette, bildet schon die südliche Grenze des Gebietes, gehört also nur mit seinem Nordhang noch zum Tschetschenengebiet.

Ein weiterer Grund, der vielleicht manchen abgehalten hat, einmal die tschetschenischen Berge aufzusuchen, war wohl der höchst üble Ruf, in dem die Tschetschenen im allgemeinen standen. Sie galten und gelten von allen Kaukasusvölkern wenn auch nicht als das wildeste, – in diesem Punkt dürften sie von den Chewsuren und den Swanen noch übertroffen werden – so doch als das unzuverlässigste und unruhigste. Raubüberfälle, bei denen es auf ein Menschenleben nicht ankommt, kommen auch jetzt noch vor, ja man kann sagen, daß nach einiger Zeit der Ruhe das Bandenunwesen gerade jetzt wieder aufzuleben beginnt; selbst die streng durchgreifenden Sowjetbehörden sind dagegen machtlos. Ich selbst kann mich freilich über Unfreundlichkeiten von seiten der Bevölkerung nicht beklagen, sondern bin, von einem Sonderfall abgesehen, überall mit Freundlichkeit, ja Herzlichkeit aufgenommen worden. Das hatte freilich seinen besonderen Grund auch darin, daß ich von einem früheren Aufenthalt in den Revolutionsjahren 1918—20 viele Bekannte in den Bergen hatte, deren Unterstützung ich mich jetzt wieder erfreuen konnte.

 

Wenn ich auch bei diesem ersten Aufenthalt keine wissenschaftlichen Ziele verfolgte – ich war militärisch auf Seiten der Bergvölker tätig —, so erwarb ich mir doch eine gute Kenntnis von Land und Leuten, so daß ich diesmal keine Zeit zu verlieren brauchte mit allgemeiner Orientierung.

Die vorliegende Arbeit bringt nur die volkskundlichen Beobachtungen und auch von diesen nur einen Teil. Wenn die Reise auch hauptsächlich zu allgemein landeskundlichen Studien unternommen wurde, so hatte ich doch genügend Gelegenheit, volkskundliche Beobachtungen zu machen, und das wiederum dank der engen Fühlung mit den Eingeborenen, insbesondere deswegen, weil ich Abend für Abend bei ihnen zum Übernachten einkehrte. Und das ist letzten Endes Bedingung für erfolgreiches Arbeiten.

Meine volkskundlichen Beobachtungen wurde nicht systematisch gemacht und weisen daher manche Dinge erst zu achten anfing, als es schon zu spät war und mein Aufenthalt zu Ende ging. In der Hauptsache beschränkte ich mich auf Sammlung von Materialen, die die materielle Kultur betreffen. Für genaueres Studium der geistigen Kultur, insbesondere auch der sehr interessanten gesellschaftlichen Zustände, reichte die Zeit nicht aus. Auch sind derartige Untersuchungen ohne Kenntnis der Stammessprache mit großen Schwierigkeiten verbunden. Meine russischen Sprachkenntnisse nützten mir in den entlegenen Gebirgsdörfern nicht viel, da dort Russisch nur von sehr wenigen verstanden wird, in manchen Dörfern überhaupt von niemandem. Dasselbe gilt vom Tatarischen bzw. Kumükischen, das im Daghestan vielfach als Umgangssprache dient; es ist nur den den Kumüken unmittelbar benachbarten Tschetschenen bekannt.

Bei der Unbekanntheit des Gebietes habe ich es für zweckmäßig erachtet, einen ausführlicher gehaltenen geographischen Überblick über das bereiste Gebiet voranzuschicken.1 Insbesondere ist es mir dabei um eine kurze Charakterisierung der einzelnen tschetschenischen Landschaften bzw. Gaue zu tun, zumal ich bei den volkskundlichen Ausführungen auch auf die geographische Verbreitung einzelner Erscheinungen innerhalb des Tschetschenengebietes näher eingehe. Da ferner die tschetschenische Kultur keine Sonderkultur darstellt, sondern Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen mit der Kultur der übrigen Kaukasusvölker überall ersichtlich werden, so erschien es mir auch nicht unangebracht, die geographische Stellung des Tschetschenengebietes im Kaukasus kurz zu kennzeichnen.

Hierzu noch einige allgemeine Bemerkungen über den Stand der völkerkundlichen Forschung in den Kaukasusländern. Wie überall in der Welt, so verschwinden auch hier die alten Volkskulturen in ihren geistigen und materiellen Bestande immer mehr und mehr und werden durch die moderne Lebensführung westeuropäischer Herkunft verdrängt, die gerade durch den Krieg und besonders den Bolschewismus aufs intensivste verbreitet und bis in die entlegensten Gebirgstäler getragen worden ist. Aber ebenso eifrig ist man dabei, das noch vorhandene aufzuzeichnen und in Museen zu sammeln, bevor es endgültig verschwindet. An dieser gegenwärtig in vollem Gange befindlichen Arbeit ist jedoch der Anteil westeuropäischer Forscher, die in früheren Jahrzehnten doch in vorderster Front standen, recht gering. Allerdings dürfte das Interesse für den Kaukasus bei uns keineswegs nachgelassen haben, eher wohl im Gegenteil. Ganz unverhältnismäßig viel stärker ist aber auf russischer Seite das Interesse für landes- und volkskundliche Forschung und für Kaukasuskunde im besonderen gestiegen. Unterstützt wird diese Bewegung durch eine straffe Organisation, die die zahlreichen jährlich in den verschiedenen Teilen des Reisenreiches arbeitenden Expeditionen nach einheitlichem Plane leitet. Das hat freilich seinen besonderen Grund auch darin, daß als Quelle für die hierzu notwendigen Mittel ausschließlich die Staatskasse in Frage kommt, wie es ja in einem kommunistischen Staate nicht anders möglich ist. Vor allem aber muß berücksichtigt werden – ein Umstand, der viel zu wenig bekannt ist —, daß die landes- und volkskundliche Forschung nicht bloß von den Russen betrieben wird, sondern daß die zahlreichen Fremdvölker des Reiches, auf die sich die Untersuchungen doch hauptsächlich erstrecken, selbst schon tatkräftig dabei mitarbeiten, das eine mehr, das andere weniger. Größere Völker, wie das alte Kulturvolk der Georgier, haben das ja auch früher schon getan, aber bei den anderen kleinen Kaukasusvölkern, besonders den Nordkaukasiern, ist der Sinn für Heimatforschung in der letzten Zeit erwacht bzw. künstlich geweckt worden im allgemeinen Zusammenhange mit der Nationalitätenpolitik der Sowjetunion. Wesentlichen Anteil daran hat die Entwicklung des Volksbildungswesens. Während meines Aufenthaltes genossen im Tschetschenengebiet ungefähr 40% aller Kinder regelmäßigen Schulunterricht, in den Dörfern der Ebene mehr, im Hochgebirge weniger. Es waren nur einige wenige, schwer zugängliche Hochgebirgstäler, in denen noch keine Schule existierte. Die Fremdvölker haben eben durch den Bolschewismus außerordentliche Vorteile erhalten; auch als Gegner des Bolschewismus muß man dies zugeben2); ihre kulturelle Entwicklung ist auf Kosten der russischen Volksteile. Voll auswirken, besonders eben auch für die Heimatforschung, wird sich diese Wandlung der Dinge erst in einigen Jahren, wenn die jüngere Generation der Fremdvölker herangewachsen sein wird. Aber auch heute hat jedes der kleinen Autonomen Gebiete des Nordkaukasus – und in den anderen Teilen des Reiches ist es ebenso ß sein eigenes kleines heimatkundliches Museum. Zentren der Forschung sind die Museen und Institute von Wladikawkas und Petrowsk (Machatschkala), in denen ständige wissenschaftliche Kräfte arbeiten, wovon periodische Veröffentlichungen zeugen. Hier wurde mir auch bereitwilligst Gastfreundschaft gewährt, wofür ich auch an dieser Stelle danken möchte.

So muß derjenige, der heute Kaukasusforschung betreibt, ganz gleich, ob in natur- oder geisteswissenschaftlicher Richtung, sich eingehend mit den Arbeiten vertraut machen, die in den letzten Jahren von russischen Forschern und eingeborenen Kaukasiern an Ort und Stelle geleistet worden sind und noch werden, wenn seine Beobachtungen und die daraus gefolgerten Schlüsse dem jeweiligen Stande der Forschung entsprechen sollen. Freilich ist diese Forderung infolge des trotz mancher Bemühungen noch mangelhaften Literaturaustausches nicht leicht zu erfüllen.

Für die Reise standen mir nur sehr geringe Mittel zur Verfügung. Ein größerer Betrag, der mir, als ich mich schon im Kaukasus befand, in großzügiger Weise vom Hamburger Museum für Völkerkunde zum Erwerb völkerkundlicher Gegenstände noch zur Verfügung gestellt wurde, kam infolge mannigfacher Schwierigkeiten leider nur zum kleinen Teile in meine Hände. Einige der mitgebrachten Gegenstände sind hier veröffentlicht; die Anfertigung der betreffenden Zeichnungen geschah in dankenswerter Weise durch das Museum. Vom allem danke ich dem Leiter der kaukasischen Abteilung des Museums, Herrn Dr. A. Byhan, für sein oft bewiesenes freundliches Entgegenkommen. Manch wertvolle Anregung erhielt ich von meinem Freunde Dr. Friedlich Baumhauer, Osterode, Ostpr., auf Grund seiner auf eigenen Forschungen beruhenden eingehenden Kenntnis der georgischen Volkskunde.

Herrn Prof. Dr. Arved Schultz, dem Direktor des Geographischen Instituts der Universität Königsberg, des deutschen Institutes, das die besten Möglichkeiten für Studien zur allgemeinen Landeskunde des russischen Ostens bietet, gilt mein besonderer Dank für das rege Interesse und die Förderung, die er meinen kaukasischen Arbeiten zuteil werden ließ sowie dafür, daß die Veröffentlichung der vorliegenden Schrift in dieser Ausstattung ermöglicht wurde. (Naheres daruber enthalt mein Aufsatz in der Zeitschrift «Osteuropa» 1928, Heft 10 «Vom kulturellen Leben in den kleinen Autonomen Gebieten des Nordkaukasus»).

A. Geographische Grundlagen. I. Grenzlinien, Ausdehnung und Bevölkerungszahl des Tschetschenengebietes

Im folgenden sei zunächst kurz der Verlauf der Grenzen des Autonomen Gebietes der Tschetschenen angegeben.

Die Süd- und Südostgrenze verläuft längs der Wasserscheide zwischen dem Flußgebiet des Terek und des Ssulak, bzw. der Ssunscha und des Andischen Koissu. Sie zieht also vom Tebulos-mta die Pirikitelische Kette, bzw. den Basch-lam3) entlang bis zum Diklos-mta und folgt dann in nördlicher Richtung der Andischen Kette bis in die Gegend des Sees Esen-am, östlich an diesem vorbeiziehend. Hier greift die Grenze südostwärts ein wenig über die Wasserscheide hinüber. Vom Kerket-Paß aus verläuft sie wieder ostwärts auf der andischen Wasserscheide, die sie erst bei den Quellen des Jarykssu endgültig verläßt. Sich nach Norden wendend zieht sie etwa 20 km auf der Wasserscheide zwischen dem Aktasch im Osten und dem Jarykssu im Westen entlang, überschreitet dann in nordwestlicher Richtung den letzten sowie die Wasserläufe des Jamanssu und nördlich der Bahn Grosny-Petrowsk auch des Akssai und erreicht den Terek bei der Stanize Schelkosawodskaja ungefähr an der Stelle, an der er seinen Lauf nach Norden zu wenden beginnt. Die Nordgrenze wird nun überall durch den Terek gebildet. Etwa 20 km östlich von Mosdok verläßt sie den Terek und überschreitet in südlicher Richtung die Höhen des Terek-Ssunscha Gebirges. In der Ssunscha-Ebene bildet sie eine nach Westen offene Schleife und zieht dann, wieder in das Gebirge eindringend, auf der Wasserscheide zwischen den beiden Nebenflüssen der Ssunscha Assa und Fortanga nach Süben zum Gebirgsknoten des Muiti-ker. Von hier steigt sie in südöstlicher Richtung ins Tal des oberen Argun hinab und erreicht, sich südwärts wendend, wieder den Tebulos-mta.

Da die Tschetschenen in geschlossener Masse beisammen wohnen, so finden sich innerhalb der gezeigten, die in tschetschenischen Dörfern wohnen. Eine Ausnahme macht nur das ganz überwiegend russische Grosny mit seiner Erdölindustrie, das bisher ein Verwaltungsgebiet für sich bildete, neuerdings jedoch zum Autonomen Gebiete der Tschetschenen geschlagen worden ist. Umgekehrt gibt es außerhalb dieses autonomen Gebietes keine Tschetschenen, abgesehen von den Bewohnen einiger weniger Dörfer, die der Sowjetrepublik Daghestan zugeteilt worden sind.

Der Gesamtflächenraum des Gebietes mag nach roher Schätzung etwa 10 000 qkm betragen, würde also nur etwa ¼ der Fläche Ostpreußens ausmachen. An Einwohnern zahlte man im Jahre 1926, 311 000 ohne die 95 000 Einwohner des Bezirkes von Grosny.

Wie ein Blick auf die Karte zeigt, besteht das Tschetschenengebiet aus einem gebirgigen und einem ebenen Teil, die ungefähr gleich groß sind.

II. Lage des Tschetschenengebietes im Gebirgsbau des Kaukasus

Der Gebirgszug des Kaukasus läßt sich zwanglos in drei große Hauptteile zerlegen, eine Einteilung, die auch von den meisten Geographen bevorzugt wird, drängt sie sich doch sozusagen von selbst auf. Die lange Kette gewaltiger Schneegipfel und Firnfelder im zentralen Teil wird zunächst als Einheit empfunden. Der Grenzpunkt gegen die beiden äußeren Drittel kann verschieden gewählt werden. Der Geologe wird als Grenze nach Osten hin die Terekschlucht annehmen, da dort die kristallinen Gesteine unter die alten dunklen Schiefer des Ostkaukasus untertauchen; orographisch wird man als östlichen Grenzpunkt des zentralen Teils besser den Gebirgsknoten des großen Borbalo betrachten. Etwa 50 km westlich des Elbrus beginnt das westliche Drittel des Gebirges, das, rasch niedriger werdend, schließlich in der Halbinsel Taman sein ende findet.

 

Viel klarer als das westliche Drittel erscheint das östliche als eigenartiger, selbständiger Gebirgsteil abgesetzt, der Daghestan. Dies mächtige schildartige Dreieck scheint eigentlich nur eins mit dem übrigen Gebirge gemeinsam zu haben: die gleichsinnige, geradlinig fortgesetzte Erstreckung des wasserscheidenden Kammes von WNW nach OSO. Der ganze Südhang des Kaukasus fehlt hier; er ist abgesunken. An seiner Stelle breitet sich dafür die sonnige Ebene Kachetiens. Scharf, wie abgeschnitten, liegen hier Hochgebirge und flache Niederung unvermittelt nebeneinander. Man vergleiche damit die breite Entwicklung des Südhanges im zentralen und westlichen Kaukasus. Aber auch der stehengebliebene Nordhang des Daghestans ist in seiner Gliederung und in seinem Aufbau grundverschieden von dem des zentralen Kaukasus.

Seit langem unterscheidet man am Nordhang des Kaukasus mehrere parallele Ketten, die bald mehr, bald weniger klar zu erkennen sind. Allen Teilen des Gebirges gemeinsam ist der Hauptkamm. Diesen Namen führt er nicht deswegen, weil sich in ihm das Gebirge zu seiner größten Höhe erhebt, sondern weil er die Wasserscheide überall bildet; nirgends wird er von einem Flusse durchbrochen. Die höchsten Erhebeungen finden sich vielmehr in dem ihm nördlich vorgelagerten sogenannten Seitenkamme, wie Elbrus, Koschtan-tau, Dych-tau und Kasbek. Durch viele Quertäler erscheint er in einzelne Massive aufgelöst. Mehrfach ist er durch Querjoche mit dem Hauptkamme verbunden, nach Südosten glaubt man im hohen Basch-lam und der Bogosgruppe im Daghestan zu erkennen.

Weiter unterscheidet man den Felsigen Kamm (skalistyi chrebjet der Russen), darauf folgend den Almenkamm (pastbischtschnyi chr.) und schließlich den oder die Waldigen Kämme (ljessistyi chr.). Was jedoch den Felsigen Kamm anbelangt, so muß bemerkt werden, daß dieser Name im zentralen Kaukasus gepräht wurde, wo diese Kette größere Höhen erreicht als östlich der georgischen Heerstraße; im Tschetschenengebiete zeigt er nur noch stellenweise felsigen Charakter; der Felsige Kamm ist hier größtenteils genau so mit Almen bedeckt wie der nördlich von ihm sich hinziehende sogenannte Almenkamm.

Diese langen, durch viele Quertäler in einzelne Teile aufgelösten parallelen Kettenzüge sind charakteristisch für den zentralen Kaukasus. Die äußeren Ketten werden zwar durch den Einbruchskessel von Wladikawkas teilweise unterbrochen; doch ist östlich der Georgischen Heerstraße die ganze Reihenfolge der Kämme, vom Hauptkamm bis zu den Waldigen Kämmen, wieder klar zu erkennen. Das gilt noch für die ganze westliche Tschetschnja4), doch nur bis zum Argun. Östlich dieses Flusses tritt mit Macht eine andere Erhebungsrichtung in Erscheinung, die von SW nach NO zieht und die bisher ausschlaggebende Richtung WNW-OSO weitgehend verdrängt. Diese Erhebungsrichtung SW-NO ist bestimmend für die Gestaltung des Daghestans. Dadurch kommt ein fremdes Element in das System des Kaukasus, das seinen bis dahin so einheitlichen Charakter ganz verwischt. Gleich einer ungefügen schweren Masse, gleich einem Fremdkörper scheint der Daghestan in dem sonst so wohlgeordneten Kettengefüge des Kaukasus zu hängen. Abgesehen von der anderen Orientierung seiner Gebirgszüge ist es vor allem die seltsame Abgeschlossenheit, die den Daghestan so aus dem Rahmen des übrigen Kaukasus herausfallen läßt. Ein mächtiger Kalkgebirgswall umschließt ihn im NW, N und O und zwingt die Wasser der vier Koissuflüsse, sich in einem tiefen Caňon von seltener Großartigkeit sich durch diese Mauer einen Ausweg zum Kaspischen Meere zu bahnen.

Eigenartiger Faltenbau und tiefgreifende Erosion haben besonders im tiefer gelegenen nordwestlichen Teile dieser riesigen natürlichen Festung ein chaotisches Durcheinander von scharfen Kämmen, breiten, rings isolierten blockartigen Plateaus und tiefen Schluchten geschaffen, in dem es selbst von erhöhtem Standpunkt aus schwierig ist, sich zu orientieren. Erst bei genauerem Studium erkennt man, daß auch dieses vermeintliche Chaos gesetzmäßig gestaltet ist.

Es ist hier nur die Rede vom inneren Daghestan mit den vier Koissu-Flüssen; außer Betracht bleibt das ganze Gebirgsland zwischen diesem Koissu-Daghestan und dem Kaspischen Meere, also das Schach-dagh- und Dibrarsystem, da es für das hier näher zu behandelnde Gebiet keine Bedeutung besitzt.

Der Gebirgszung, bei dem diese bedeutungsvolle SW-NO Richtung am auffälligsten in Erscheinung tritt, ist gleichzeitig ein Teil jenes schon erwähnten Grenzwalls, der den Daghestan rings gegen die Außenwelt abschießt. Auf ihm verläuft die Wasserscheide zwischen dem flußgebiet des Sulak und dem des Terek; auf ihm zieht auch die politische Grenze entlang, wie schon eingangs erwähnt wurde. Sein Außenhang liegt ganz im Bereich der Tschetschnja; er ist der hervorstechendste Zug in der Orographie ihres östlichen Teils.

Die Folgerungen daraus ergeben sich nunmehr von selbst. In der Tschetschnja treffen die beiden großen Einheiten, des kaukasischen Gebirgsbaues aufeinander, das Kettengefüge des zentralen Kaukasus und der quer dazu liegende daghestanische Block. Der westliche Teil ist im zentralkaukasischen, der östliche im daghestanischen Sinne beeinflußt. Man kann somit die Tschetschnja als Übergangsgebiet zwischen dem Nordhang des zentralen und des östlichen Kaukasus bezeichnen.

Ebenso wie das Gebirge läßt sich auch Ziskaukasien oder, wie die Russen sagen, der Nordkaukasus in drei Hauptteile zerlegen. Es sind dies das Kubangebiet im W, in der Mitte die Stawropoler Höhen und im O die Niederung des Terek und der Kuma.

Das östliche Drittel Ziskaukasiens, mit dem wir es hier allein zu tun haben, zerfällt in zwei klar von einander geschiedene Teile. Der nördliche Teil, die weite, zwischen Terek und Kuma sich breitende Nogaier-Steppe, kann hier, wo es sich im wesentlichen nur um Feststellung der orographischen Beziehungen handelt, außer Betracht bleiben, da solche zum Tschetschenengebiet nicht vorhanden sind. Auch mit dem übrigen Gebirge steht sie nicht in Zusammenhang; kein Bergwasser durchrauscht sie; Kuma und Terek bilden nur die Grenzen der öden, teilweise wüstenhaften Steppen.

Anders das sich südlich anschließende Gebiet, die dem Gebirgsfuß unmittelbar vorgelagerte Niederung. Ich nenne sie die obere Terekniederung, wobei ich jedoch auch die Niederung seines sehr selbständigen größten Nebenflusses, der Ssunscha, mit einbegreife, der den Terek erst zu Beginn seines Unterlaufes erreicht. Diese Niederung wird von zahllosen Bergwassern durchströmt; sie ist geradezu ihr Werk, insofern als sie aus z. T. mehrere hundert Meter mächtigen Schottermassen besteht, unter denen die in die Tiefe gehenden kaukasischen Falten begraben liegen. Diese Falten tauchen jedoch in einiger Entfernung vom Gebirgsfuß plötzlich wieder empor und zwar in zwei langgezogenen parallelen Bodenwällen von etwa 200 – 300 m relativer Höhe. Man bezeichnet sie als das Terek-Ssunscha-Gebirge. Doch steht es auch oberflächlich mit dem Hauptgebirge noch in Verbindung. Der nördliche Zug hängt im O mit ihm etwa da zusammen, wo der Daghestan am weitesten nach N vorstößt; im W wird er durch die Fluren der Kabarda von ihm getrennt. Der südliche wiederum hängt mit seinem Ostflügel sozusagen in der Luft; unvermittelt bricht er in der Ssunscha-Ebene ab; auf seinen letzten Hügeln ragen die Bohrtürme der neuen Grosnyer Erdölfelder in die Höhe. Im W dagegen findet er den Anschluß zur Hauptkette, kurz nachdem er vom Terek durchbrochen wird, ähnlich wie im O sich die Ssunscha durch den nördlichen ihren Weg bahnt. Die Falten des Terek-Gebirges sind nach neueren Untersuchungen nach N überkippt; auf Störungen deutet u. a. die starke Thermentätigkeit an seinem Nordrande, z. B. nördlich von Grosny.

Zwischen diesen beiden Hügelkämmen und dem Hauptgebirge breitet sich die obere Terek-Niederung. In einem weiten Bogen dringt sie in das Gebirge ein, am tiefsten bei Wladikawkas, und verleiht damit dem zentralen Kaukasus die eigentümlich enggeschnürte Gestalt, so daß die Breite des Gebirges hier auf 120 km zusammenschrumpft, während sie im Elbrusgebiet 180 km und im Daghestan nicht viel weniger beträgt. Die Ziffer von 180 km hat jedoch auch für den zentralen Kaukasus ihre Bedeutung; sie würde nämlich der Entfernung vom Südfuß des Gebirges bis zum Nordrand der beiden Hügelkämme entsprechen, was gewiß mehr als bloßer Zufall ist.

1Eine landeskundliche Studie über den Nordostabhang des Kaukasus ist in Vorbereitung.
2Näheres darüber enthält mein Aufsatz in der Zeitschrift «Osteuropa» 1928, Heft 10: «Vom kulturellen Leben in den kleinen Autonomen Gebieten des Nordkaukasus».
3Der in der Literatur gebräuchliche Name «Pirikitelische Kette», ein Wort georgischer Herkunft, ist am Nordhange des Gebirges vollkommen unbekannt. Der tschetschenische Name, der in dieser den Tschetschenen gewidmeten Arbeit allein verwendet werden soll, lautet «Basch-lam» (lam = Berg, Gebirge).
4Russische Bezeichnung für das Gebiet der Tschetschenen.