Familienglück im zweiten Anlauf

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Familienglück im zweiten Anlauf
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Das Buch

„Patchwork-Familien“ haben mit der Romantik von TV-Familienserien nichts gemein, sondern spezielle Tücken, vor allem, wegen der Kinder aus früheren Beziehungen, mit denen eine solche Familie beginnt. Bei aller Verliebtheit und beflügelnder Zukunftspläne ist deshalb besonders am Beginn der neuen Beziehung Achtsamkeit angesagt, damit die Schatten der alten Beziehung das neue Glück nicht beschädigen.

Die Autorin zeigt, wie es gelingt, häufige Konfliktquellen zu umgehen, mit „Altlasten“ zu leben, Fehler der Vergangenheit möglichst nicht in der neuen Beziehung zu wiederholen und mit Liebe, aber auch Pragmatismus und Klarheit die Chancen für das neue Familienglück zu nutzen. Hilfreich und unterhaltsam sind besonders die Fallbeispiele.

Die Autorin

Dorothee Döring, Pädagogin, Seminarleiterin, Lebens- und Konfliktberaterin, kennt die Besonderheiten von Patchwork-Familien aus eigener Erfahrung sowie aus ihrer Beratungspraxis. Sie ist in der Erwachsenenbildung tätig und hat sich mit zahlreichen Publikationen einen Namen gemacht. Dorothee Döring ist in zweiter Ehe verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und zwei Enkel; sie lebt und arbeitet in Kempen am Niederrhein.

Dorothee Döring

Familienglück im zweiten Anlauf

Chancen und Risiken einer Patchwork-Familie


Inhaltsverzeichnis

Umschlag

Das Buch / Die Autorin

Titel

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Einführung

I Eine Familie zerbricht

1. Scheiden tut weh

2. Die Phasen des Trauerprozesses

3. Wie erleben Kinder die Scheidung ihrer Eltern?

4. Wie erleben Kinder die Abwesenheit eines Elternteils?

II Kehrtwende – Dem Leben eine neue Richtung geben

1. Die Verarbeitung des Verlustes als Voraussetzung zur Neuorientierung

2. Die Phasen der Neuorientierung

3. Aus Erfahrungen lernen – Eigene Fehler erkennen

III Eine neue Liebe – verliebt in einen Partner mit Vergangenheit

1. Die Bindungsfähigkeit

2. Die „Altlasten“

3. Der Widerstand der Kinder gegen eine neue Liebe ihrer Eltern

IV Störfaktoren in einer Patchwork-Familie

1. Die unverarbeiteten Probleme aus der vorausgegangenen Beziehung

2. Stets präsent – Die Ex-Frau

3. Der Einfluss des Ex-Mannes über das gemeinsame Sorgerecht

4. Die Ablehnung des neuen Partners vom sozialen Umfeld

V Die Beziehungsdynamik in einer Patchwork-Familie

1. Stiefeltern und Stiefkinder

2. Stiefgeschwister und leibliche Geschwister

3. Der abwesende leibliche Elternteil und die Patchwork-Familie

4. Großeltern und Enkel

VI 10 Tipps für Patchwork-Familien

Anhang

Neuregelung des Ehegattenunterhaltes

Juristische Empfehlungen für eine Zweitehe

Neufassung des Kindschaftsrechtes

Das „kleine Sorgerecht“

Quellenverzeichnis

Weiterführende Literatur

Adressen

Impressum



„Menschen heiraten

immer wieder.

Das ist der Sieg

der Hoffnung

über die Erfahrung.“


Helen Fisher, amerikanische Anthropologin

Einführung

Heutzutage wird fast jede dritte Ehe geschieden. Aber der Wunsch, es mit einem neuen Partner noch einmal zu versuchen, ist oft groß. Sind dann Kinder aus der Vorbeziehung da, führt das zu völlig neuen Familienstrukturen, den Patchwork-Familien, früher „Stief-Familien“ genannt.

Obwohl sich alle Beteiligten zunächst mit gutem Willen und besten Vorsätzen auf die neue Familienkonstellation einlassen, wird ihnen sehr schnell klar, dass der Alltag nichts mit der Scheinwelt von Fernsehserien zu tun hat. Unterhaltszahlungen, Besuchsregelungen, Erziehungsprobleme oder problematische Beziehungen der Ex-Partner können die neue Familie entscheidend belasten.

Meine Intention ist es nicht, Sie davor zu warnen, eine Zweitbeziehung einzugehen. Vielmehr möchte ich Ihnen die Augen dafür öffnen, dass eine Entscheidung von solch großer Tragweite zwar auf einem positiven Gefühl beruhen muss, aber auch Ergebnis einer rationalen Abschätzung möglicher Risiken sein sollte.

Ich zeige Ihnen, welche Auswirkungen die „Schatten der Vergangenheit“ auf die neue Liebe haben, aber auch, wie man mit ihnen konstruktiv umgehen kann, so dass das „Projekt Patchwork-Familie“ gelingt.

I
Eine Familie zerbricht

Wenn eine Partnerschaft oder Ehe auseinanderbricht, gibt es denjenigen, der den anderen verlässt, und denjenigen, der verlassen wird. Die Auswirkungen emotionaler, finanzieller und organisatorischer Art treffen beide Parteien in unterschiedlicher Weise. In meiner Betrachtung wende ich mich deshalb dem verlassenen Partner zu, weil der von der Entscheidung des anderen überrollt wird und sich der neuen Realität fügen muss.

1. Scheiden tut weh

„Dann können wir uns ja scheiden lassen …!“ Wer hat nicht schon eine solche Drohung im Streit hören müssen?

Egoismus, mangelnde Achtung und Wertschätzung, Lieblosigkeit und schließlich immer wieder geäußerte Drohungen, sich scheiden lassen zu wollen, sind Symptome, die zu einer ernsthaften Krise führen können.

Meint es der Partner ernst, bricht für uns eine Welt zusammen. Wir fühlen uns wie im Schock und kämpfen darum, noch eine Chance zu bekommen. Wir versprechen ihm alles, geloben Besserung, nur damit er seine Entscheidung zurücknimmt.

Realisieren wir, dass uns der Partner keine Chance mehr gibt, fallen wir in ein tiefes Loch. Wie sollen wir jemals wieder glücklich werden ohne ihn? Wir vergessen all die schlechten Zeiten, die Kränkungen und Konflikte, die wir mit ihm erlebt haben. Vor unserem inneren Auge sehen wir die Partnerschaft nur in leuchtenden Farben. Immer wieder fragen wir uns, warum wir verlassen werden, was wir falsch gemacht haben oder was an uns nicht in Ordnung ist. Wir können nachts nicht schlafen und laufen tagsüber ruhelos umher. Besonders die Wochenenden und Feiertage sind grausam.

Wer sich aktuell in einer Krise befindet, der fragt sich oft: „Wie konnte das passieren?“ Er ist verunsichert und verzweifelt. Das, was ihm bisher so sicher erschien, ist ins Wanken geraten. Viele Menschen empfinden Verlassenwerden als eine der größten seelischen Niederlagen. Nichts ist demütigender und abwertender, als nicht mehr wertvoll genug zu sein, geliebt zu werden, einfach „abgelegt“ zu werden. Diese Verletzung ist äußerst schmerzhaft, und die Narben der Seele verheilen oft ein ganzes Leben lang nicht.

 

Vielleicht wird uns aber jetzt auch bewusst, dass es vielleicht schon lange keine Gespräche mehr gegeben hat, in denen man sich als Paar seine Sorgen, Ängste, Bedürfnisse und Wünsche offenbarte. Vielleicht müssen wir uns an den Anfang der Beziehung oder Ehe erinnern, um zu erkennen, was falsch gelaufen ist.

Jahrelang war man sich so vertraut, erzählte sich alles, konnte sich bedingungslos aufeinander verlassen. Doch plötzlich ist alles anders, die enge Verbundenheit hat sich verändert: Pläne und Ziele weichen voneinander ab, die Interessen gehen auseinander, und auf einmal hat man sich nichts mehr zu sagen. Erich Kästner hat das Phänomen der Entfremdung in der Partnerschaft in einem sehr bekannten Gedicht beschrieben:


Sachliche Romanze1

Als sie einander acht Jahre kannten

(und man darf sagen: sie kannten sich gut),

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,

versuchten Küsse, als ob nichts sei,

und sahen sich an und wussten nicht weiter.

Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.


Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.

Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier

und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

Nebenan übte ein Mensch Klavier.


Sie gingen ins kleinste Café am Ort

und rührten in ihren Tassen.

Am Abend saßen sie immer noch dort.

Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort

und konnten es einfach nicht fassen.


Frauen haben ein sensibler ausgeprägtes Frühwarnsystem als Männer und merken frühzeitig, wenn etwas aus dem Lot geraten oder nicht mehr zu retten ist. Wenn man es dann nicht mehr schafft, wieder zueinanderzufinden, ist eine Trennung unausweichlich.

Es ist für uns Menschen sehr wichtig, dass wir uns in einer Familie aufeinander verlassen können. Dazu gehört auch eine Strukturierung unseres Tagesablaufs, dass wir wissen, morgens werden die Kinder in die Schule gehen, wir unserer gewohnten Arbeit nachgehen, das Abendessen wird wie immer gemeinsam eingenommen usw.

Sich auf Gewohntes verlassen zu können, erhält uns die Kraft, mit den Unwägbarkeiten, den Widrigkeiten, den ungeplanten Ereignissen unseres Lebens fertig zu werden. Wir handeln in und aus einem Zustand des Gleichgewichts von Anforderungen und Kräften. Im Falle einer Trennung existiert dieses Gleichgewicht nicht mehr. Das bisherige Leben wird völlig auf den Kopf gestellt und plötzlich sind ganz neue Dinge wichtig: Es sind allein Entscheidungen zu treffen, die zuvor gemeinsam getroffen wurden. Es machen sich Gefühle von Unsicherheit und Ausweglosigkeit und vor allem die Angst vor dem Alleinsein breit. Der Betroffene stellt sich die Frage: „Wie soll es weitergehen? Werde ich es allein schaffen?“

Sicher ist, dass mit dem Alleinleben ein neuer Lebensabschnitt mit neuem Rhythmus und neuen Inhalten beginnt. Wer sich vorher eingeengt fühlte, spürt Nachholbedarf und genießt die positiven Seiten des Alleinlebens: Keine falsche Rücksichtnahme mehr! Niemand nörgelt über Unordnung, niemand kritisiert unnötige Einkäufe, keine Auseinandersetzung mehr z. B. über Freunde. Viele Betroffene erleben einerseits große Erleichterung, andererseits eine Reduzierung, quasi eine Halbierung ihres Lebens, denn es fehlen die Lebensanteile des Partners. Diese enorme Lebensumstellung bewirkt bei den Betroffenen starke Stimmungsschwankungen.

Seien Sie sich bewusst, dass Sie sich noch in einem schmerzhaften Trauerprozess befinden, in dem Trauerarbeit zu leisten ist, denn es ist unmöglich, einfach nicht an den Partner zu denken. Es wird Sie vielleicht überraschen, aber auch bei einer selbst gewählten Trennung ist Trauerarbeit zu leisten, der Kopf hat zwar die Entscheidung getroffen, aber das Gefühl hinkt hinterher! Und deshalb ist es wichtig und richtig, Trauer zuzulassen.

Zu den Stimmungsschwankungen tragen auch die immer wiederkehrenden schmerzhaften Erinnerungen an Verletzungen und Enttäuschungen bei.


Sabine, 38:

„Ich habe lange Zeit alles Negative negiert und war auf dem Trip des „positiven Denkens“. Natürlich hilft es, sich durch positives Denken in eine bessere Stimmungslage zu bringen, aber verarbeitet wird die Ursache für meine negativen Gefühle nicht. Ich trete auf der Stelle.

Als mein Mann mich nach acht Jahren verlassen hat, hat mich das sehr verletzt. Trotzdem spielte ich meiner Umwelt immer die souveräne, starke Frau vor, die durch nichts zu erschüttern ist. Ich wollte meine Trauer, Enttäuschung und Wut nicht zulassen, weil ich dachte, wenn ich durchhänge und schlecht drauf bin, verliere ich womöglich auch noch meine Freunde. Meine verdrängten negativen Gefühle suchten sich auf körperlicher Ebene ein Ventil: Nervosität, Schwindelgefühl, Schlaf- und Essstörungen zeigten mir, dass ich aus dem Lot geraten war. Ich habe irgendwann versucht, die Wut zuzulassen, auszuleben, wie z. B. beim Joggen, dann ging es mir anschließend wesentlich besser.“


Nach Jahren gemeinsamen Lebens nehmen wir den anderen oft nicht mehr richtig wahr, weil wir glauben, ihn mit seinen Einstellungen und Reaktionen zu kennen. So kommt es, dass wir uns im Laufe der Jahre von unserem Partner ein besonderes Bild machen: Gleichsam haben sich zwischen ihm und uns mehrere „Filter“ geschoben und wir sehen größtenteils nur noch das, was wir sehen möchten. Nach Jahren der Gemeinsamkeit sind wir nicht mehr – wie in der Anfangszeit der Beziehung – neugierig aufeinander oder fasziniert voneinander. Vieles ist zur Selbstverständlichkeit geworden und hat dadurch seinen Reiz verloren. Und plötzlich zeigt sich uns ein ganz anderer Mensch!

Oft will oder kann aber der Verlassene nicht einsehen, dass ein Festhalten an der Beziehung längst sinnlos geworden ist. Bei einer so unterschiedlichen Wahrnehmung kommt es zwangsläufig zu Konflikten.

Trennung und Scheidung sind sehr belastende Lebenskrisen, denn es zerbricht die Hoffnung auf einen gemeinsamen Weg bis zum Lebensende. Die Folge ist ein Gefühlschaos mit entsprechender Verunsicherung. Es müssen Entscheidungen getroffen werden, um das eigene Leben neu zu gestalten. Häufig wird aber gerade während dieser anstrengenden Zeit, die besondere Aufmerksamkeit verlangt, am Alten festgehalten. Man klammert sich an etwas, das es nur noch in der Illusion gibt.

Jede Trennung ist von Trauer, Enttäuschung und Schmerz begleitet. Wer verlassen worden ist, fühlt sich in seinem Selbstwertgefühl gekränkt. Unverarbeitete Trauer und Wut suchen sich ein Ventil und richten sich entweder gegen uns selbst – die Folgen sind oft psychosomatische Beschwerden bis hin zu Depressionen – oder gegen denjenigen, der uns verlassen hat, in Form von vielfältigen Aggressionen wie Stalking, Verleumdung, Sachbeschädigungen usw.

In Aggression umgesetzte, unverarbeitete Trauer ist leider der Grund für viele gerichtliche Auseinandersetzungen. Das Bedürfnis, den anderen, der uns verlassen hat, zu bestrafen, kann so ausgeprägt sein, dass selbst ökonomische Interessen in den Hintergrund treten und man wirtschaftliches Harakiri betreibt. Der verschmähte Partner erinnert sich seines Einsatzes und verlangt Ersatz. Leider kann man aber veränderte oder „gekündigte“ Gefühle nicht mit Geld ausgleichen.

Liebeskummer und Trennungsschmerz werden in unserer Gesellschaft fast nur mit jungen Menschen in Verbindung gebracht. Doch auch reifere Menschen wirft eine Trennung vom langjährigen Partner oft aus der Bahn. Die eigene Identität und das Selbstwertgefühl werden zutiefst erschüttert.


Frauke, 52:

„Mein Mann hat mich vor zwei Jahren aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen verlassen. Er wollte noch einmal ein anderes Leben ausprobieren. Für mich brach von einer Sekunde auf die andere finanziell und seelisch alles zusammen. Ich litt unter Panikattacken und unter Depressionen, Appetitlosigkeit oder Essattacken, konnte nicht schlafen und war von wilden Rachephantasien geplagt. Weil ich allein meine Desorientierung nicht in den Griff bekam, machte ich eine Gesprächstherapie, um unter professioneller Anleitung meine Gedanken zu ordnen, Kraft und Motivation aufzubauen und mein desolates Selbstwertgefühl wieder zu stärken.“


Die Reaktionen von Menschen, die die Liebe eines anderen verlieren oder enttäuscht über die Unerfüllbarkeit ihrer Sehnsucht sind, schwanken von leichten, kurzen Formen des Liebeskummers bis hin zu lang anhaltender tiefer Verzweiflung. Wird der Leidensdruck so groß, dass jede Lebensfreude erlischt, man seinen Alltagspflichten nicht mehr nachkommen kann, sich abschottet und zu Alkohol oder Medikamenten greift, ist professionelle Hilfe angesagt (s. Adressen im Anhang).

2. Die Phasen des Trauerprozesses

Die geschilderten Folgen unverarbeiteter Trauer zeigen, wie wichtig es ist, sich dem seelischen Schmerz zu stellen und ihn zu verarbeiten. Auch Liebeskummer ist Trauer und kann nur durch Trauerarbeit bewältigt werden. Mit ihr wird ein schmerzhafter Lernprozess vollzogen, bei dem es darauf ankommt, loszulassen und sich selbst aufzufangen. Er verläuft in ähnlichen Phasen wie der Trauerprozess nach dem Verlust eines Menschen durch Tod:2

1. Phase: Nicht-wahrhaben-Wollen und Verleugnen

Ich glaube an einen bösen Traum, hoffe darauf, dass alles wieder gut werden wird. Ich bemühe mich, meinen Partner umzustimmen.

2. Phase: Gefühlschaos und psychosomatische Symptome

Ich werde überrollt von meinen Gefühlen, bin verzweifelt, voller Angst, plage mich mit Selbstzweifeln, Eifersucht, Wut und Hass. Ich kann nicht gut schlafen, esse nicht oder zu viel, bin voller Unruhe, habe Verstopfung, Kopf- oder Magenschmerzen, Herzrasen. Ich grübele „warum nur?“ und denke ununterbrochen an meinen Partner. Ich ziehe mich von Freunden zurück oder flüchte mich in Aktivitäten.

3. Phase: Akzeptanz des Verlustes

Es ist mir unmöglich, einfach nicht an meinen Partner zu denken, denn mit dem Ende einer langjährigen Beziehung oder Ehe ist nicht einfach schlagartig jedes Gefühl vorbei, so sehr man sich das auch wünschte.

Ich lasse die Trauer über die gescheiterte Beziehung zu. Ich spüre, dass mich Weinen erleichtert. Ich gestatte mir, traurig und verzweifelt zu sein.

Ich mache mir klar, dass wir alle über ein „emotionales Konto“ verfügen, das negative und positive Empfindungen sammelt und sich im Minus- oder Plusbereich bewegt. Für die Seelenhygiene ist es besser, sich gelegentlich negative Gefühle zu leisten, sie zu analysieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie als Signale eines Frühwarnsystems zu verstehen, bevor sie uns gefährlich werden und schaden können. Gefühle – positive und negative – sind für uns eine Art innerer Kompass. Positive Gefühle zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, negative Gefühle zeigen uns, dass wir etwas verändern müssen.

Ich versuche zu verhindern, dass die destruktiven Gefühle meinen gesamten Tagesablauf überschatten und meine berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

4. Phase: Rückblick ohne Idealisierung

Auch ohne rosaroten Erinnerungsfilter sind mir die Vorzüge, aber auch die Nachteile der vergangenen Partnerschaft, die ja schließlich zur Trennung führten, bewusst. Ich trauere um die schönen, gemeinsamen Stunden, die es nicht mehr geben wird, vergesse aber auch nicht die Belastungen, die die Beziehung scheitern ließen. Ich mache mir neben den Erinnerungen an alles Schöne auch immer wieder bewusst, wie sehr mein Partner mich verletzt hat, wie unverstanden und ungeliebt ich mich gefühlt habe, wie belastend seine Nähe für mich war, wie ausgenutzt ich mir vorgekommen bin. Diese Sicht verhilft mir zu einem ganzheitlichen Bild von der Qualität der zerbrochenen Partnerschaft.

5. Phase: Analyse der gescheiterten Beziehung

Immer wieder ertappe ich mich dabei, einseitig nach Schuld und Versagen zu suchen. Gelegentlich mache ich wechselweise mich selbst und meinen Ex-Partner für die Misere verantwortlich. Beschuldigungen aber führen nicht weiter, eher die Frage danach, was in der Beziehung schiefgelaufen ist! Dabei sollte die Betonung immer auf den Wörtern „wir” und „uns” liegen, weil für das Gelingen oder Versagen einer Partnerschaft immer zwei Menschen verantwortlich sind. Zur Verarbeitung und Neuorientierung gehört es, Zusammenhänge zu erkennen, die nicht bewusst waren oder vom Gefühl der Verliebtheit überlagert wurden.

 

Diese fünf Phasen laufen nicht lehrbuchmäßig ab, sie können sich überlappen und dauern bei jedem Menschen unterschiedlich lange. Je länger eine Beziehung bestand, umso länger kann der Trauerprozess dauern. Was in erster Linie hilft, ist Zeit – und irgendwann vielleicht eine neue Liebe. Bis dahin sind Gespräche mit guten Freunden wichtig, Sport oder zumindest körperliche Bewegung, um Stresshormone abzubauen, Ablenkung durch Unternehmungen und der Mut, eigene Wege zu gehen.

Interessant ist, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich mit Liebeskummer umgehen. Während Frauen fast immer glauben, am Bruch einer Beziehung schuld zu sein, häufiger unter Depressionen, Wut, Selbstzweifeln und somatischen Beschwerden leiden, empfinden Männer das Scheitern einer Liebe oft als persönliches Versagen und als Gesichtsverlust. Während Frauen durch ihre Trauer den erlittenen Verlust verarbeiten, sind Männer eher Verdrängungskünstler und suchen meist sofort eine neue Partnerin.

Die meisten Menschen brauchen Zeit, um sich ein Leben ohne den ehemaligen Partner vorstellen zu können. Manche bleiben aber in der Opferrolle stecken und damit in der Vergangenheit. Sie verharren fortan in Gedanken: „Wie konnte er mir das antun. Nie mehr werde ich einen Menschen finden und mit ihm glücklich sein.“ Das ist schade, denn jeder Mensch kann lernen, eine Trennung zu akzeptieren, seinen Trennungsschmerz zu überwinden und seinen Blick wieder auf die Zukunft zu richten.

Der Vollständigkeit wegen sei noch darauf hingewiesen, dass Paare sich auch einvernehmlich trennen können. Beide Partner kommen zu der Beurteilung, dass sich ihre Lebensvorstellungen zu weit voneinander entfernt haben, dass man sich entfremdet hat und dass es deshalb besser sei, sich zu trennen. Aber, selbst wenn sich die Partner einig sind, dass die Fortsetzung der Lebensgemeinschaft wenig Sinn ergibt, ist für sie die Trennungszeit bis zum Vollzug der Scheidung sehr schmerzhaft.

Eine Scheidung tut auch in wirtschaftlicher Hinsicht weh. Beide ehemaligen Partner spüren den Mangel: Das Familieneinkommen wird geteilt und muss nun für zwei Haushalte reichen. Ein Scheidungsanwalt gebrauchte dafür ein treffendes Bild: Die Decke, die zuvor zwei Menschen wärmte, wird in der Mitte zerschnitten, mit der Folge, dass jeder ein bisschen friert (siehe hierzu im Anhang: „Neuregelung des Ehegattenunterhaltes“).

Scheiden tut nicht nur den Erwachsenen weh, sondern vor allem den betroffenen Kindern.