Kirche kompakt

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Kirche kompakt
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Kirche [kompakt]

Kirche
[kompakt]

Dorothee Boss


Dorothee Boss, geboren 1961, studierte Theologie an der Universität Bonn und Mediation an der Fernuniversität Hagen, arbeitet als freie Autorin und Publizistin und lebt in Aachen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

© 2010 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: Peter Hellmund, Würzburg Fotos Umschlag und Innenteil: © shutterstock Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de) Druck und Bindung: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-429-03209-8

Noch ein Hinweis für alle Leserinnen und Leser:

Zur besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet, ohne damit jedoch eine Diskriminierung zum Ausdruck bringen zu wollen.

INHALT

Einleitung

Statt einer Kirchengeschichte

Jesus – Stifter der Kirche?

Zwischen Glaubensbewegung und Institution

Kirche ohne Gewalt

Zwischen Hierarchie und Demokratie

Zwischen Zentralismus und Regionalisierung

Zwischen Unfehlbarkeit und Irrtümern

Kirche und Staat

Alleinstellungsmerkmal: Zölibat

Frauenpriestertum

Kirchenleben

Ämter und Dienste in der Kirche

Miteinander oder gegeneinander?

Pfarrgemeinde

Bistum

Orden

Weltkirche

Das Selbstverständnis der Kirche heute

In den Spuren Jesu Christi

Wort Gottes in der Welt

Volk Gottes auf dem Weg

Kirche als Sakrament

Erzählen, Gottesdienst feiern, Dienen

Die eine Kirche und die vielen Kirchen

Literaturverzeichnis

[Einleitung]

Ihr Image hat Schaden genommen. Uralt, mächtig und veränderungsresistent, starr, altmodisch und unbelehrbar, in der Moderne hat die römisch-katholische Kirche kaum gute Karten. Die Liste ihrer Irrtümer und Verfehlungen scheint endlos. Kreuzzüge, Hexenverfolgungen, Diffamierung Andersdenkender, Zentralismus, Sexualitätsfeindlichkeit, dazu die aktuelle Kirchenpolitik – fast jedem fallen sicherlich auf Anhieb mehrere Punkte ein, bei der die römisch-katholische Kirche in einem negativen Licht erscheint. Allenfalls ist die Existenz dieser Kirche noch legitim durch ihr soziales Engagement und ihre Verdienste um den Frieden in der Welt – Sie bleibt eine Institution im Kreuzfeuer der Kritik.

Die römisch-katholische Kirche existiert seit fast zwei Jahrtausenden. Mit ihren aktuell etwa 1,13 Milliarden Mitgliedern ist sie die größte Konfession im Christentum. Sie operiert weltweit, hat eine starke Hierarchie mit dem Papst als Zentralfigur und verfügt über eine durchsystematisierte Glaubenslehre, bewährte liturgische Riten und ein stabiles Rechtssystem. Immerhin waren im Jahr 2008 25,2 Millionen Gläubige in Deutschland Mitglieder der römisch-katholischen Kirche. In 12 080 Pfarrgemeinden wurden sie von rund 15 500 Priestern, fast 3000 Diakonen und mehr als 7000 hauptamtlichen Laienseelsorgern betreut.

Die Zahlen klingen beeindruckend. Was aber verbirgt sich hinter den Punkten, bei denen diese Kirche die Kritiker auf den Plan ruft? Was hat die Institution Kirche mit Jesus Christus zu tun? Wieso braucht der Glaube eine Institution? Muss es den Papst in der Kirche geben? Wie lässt sich die Zölibatsverpflichtung der katholischen Geistlichen verstehen? Übt die Kirche noch Gewalt aus? Wie sieht sich die Kirche selbst? Wie ist sie aufgebaut? Und welchen Ort hat sie im Konzert der christlichen Kirchen und Gemeinschaften?

Einige dieser Fragestellungen sollen in diesem Band erörtert werden. Gemeinschaft Jesu Christi, sozialer Dienstleister, Ämterkirche – die katholische Kirche hat verschiedene Gesichter. Sie fasziniert und polarisiert. Und sie bleibt spirituelle Heimat für Millionen Katholiken – durchaus mit wachsender Tendenz.

Alle, die Anhaltspunkte für eine Auseinandersetzung um Sinn und Legitimation der Kirche suchen, finden hier eine leicht verständliche Einführung. Aber auch regelmäßig praktizierende Christen können sich mit diesem Buch einen zeitgemäßen Zugang zur Kirche erschließen.

Viele Themen können hier leider nicht umfassend beantwortet werden. Wer sich für eine ausführliche Kirchengeschichte interessiert, sei auf die weiterführende Literatur am Ende des Buches verwiesen. Basisinformationen zum christlichen Glauben, zu Bedeutung und Ablauf des katholischen Gottesdienstes, zur Bibel sowie zu Taufe und Hochzeit finden sich in den weiteren Bänden der Kompakt-Reihe.

[Statt einer Kirchengeschichte]
[Jesus – Stifter der Kirche?]

Traditionell wird die Geburt der Kirche mit dem Ereignis des Pfingstfestes verbunden. Lukas, der auch als Autor des gleichnamigen Evangeliums gilt, beschreibt diese Erfahrung zu Beginn der Apostelgeschichte.

„Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle (in Jerusalem d. Verf.) am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören? (...) Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken.“ (Apg 2,1–13)


Dieses ‚Pfingstwunder‘ gilt gemeinhin als Startschuss der Kirche. Die kleine Gemeinschaft der Anhänger des Wanderpredigers Jesus aus dem Dorf Nazareth in der römischen Provinz Galiläa wird von Gott mit seinem Geist beschenkt. Als auserwählte Versammlung Gottes wird sie von Lukas den ungläubigen Zeitgenossen in Jerusalem präsentiert. Damit entpuppt sich die Gemeinschaft aus jüdischen Hinterwäldlern als selbstbewusste Gruppe mit einem innovativen religiösen Anspruch: Gottes Geist ermächtigt sie, ihren Glauben in die Welt zu tragen, sofort und ohne Angst. Jesus von Nazareth ist für sie der von Gott legitimierte Herr und Messias, wer sich zu ihm bekennt und sich taufen lässt, wird gerettet werden (Vgl. Apg 2,36 ff.). Die christliche Mission ist geboren. Und Lukas berichtet stolz: „An diesem Tag wurden (ihrer Gemeinschaft) etwa dreitausend Menschen hinzugefügt.“ (Apg 2,41)

Danach formuliert der Autor der Apostelgeschichte einen vom Glauben befeuerten Werbetext:

„Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. Alle wurden von Furcht ergriffen; denn durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen. Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten.“ (Apg 2,42–47).

 

Die Aussagen des Lukas klingen ideal. Eine religiöse Gemeinschaft voller Begeisterung und Feuer, mit großem sozialen Engagement und erstaunlichen Eigentumsverhältnissen, mit einer hervorragenden Außenwirkung und besten Wachstumsraten. Sicher hat der Autor diesen Eindruck erzeugen wollen. Man hat unwillkürlich den Eindruck, genau diese Gemeinschaft der jungen Kirche hat Jesus selbst gewollt. Aber stimmt das? Was hat diese Gruppierung mit Jesus von Nazareth zu tun, einem jüdischen Wanderprediger, dessen Kreuzigung zur Abfassung der Apostelgeschichte bereits etwa 60 Jahre zurückliegt? Wollte Jesus diese Gemeinde initiieren bzw. stiften? Stand hinter seiner Botschaft und seinem Wirken der Wille zur Gründung einer christlichen Kirche, die sich Jahrzehnte später ‚Ekklesia‘ nennt, Gemeinschaft der Herausgerufenen?

Man kann in den Evangelien die Absichten Jesu, eine eigenständige Kirche zu gründen, die sich vom Judentum abgrenzt, nicht erkennen. Jesus wächst in den Traditionen seines jüdischen Glaubens auf. Er wandert in den letzten Lebensjahren als ‚Rabbi‘ (hebr. ‚Lehrer‘) durch seine Heimatregion Galiläa am See Genezareth, verkündet Gottes Reich, diskutiert mit jüdischen Schriftgelehrten, wendet sich besonders den Armen und Schwachen zu, schart Anhänger um sich und wird schließlich verfolgt, gefoltert und getötet. Sein Tod ist Faktum, die Bildung einer Anhängerschaft ist ohne historischen Zweifel.

In seiner jüdischen Umgebung agieren parallel zu seinem Wirken verschiedene religiöse Führer, die ein neues Königreich des Gottes Israels propagieren. Unter dem Eindruck der ständigen Besatzung Israels durch fremde Mächte formiert sich religiös-politischer Widerstand gegen den möglichen Verlust eigener Identität. Viele wollen den jüdischen Glauben reformieren – Jesus ist nicht der Einzige. So verweisen die Evangelien auf den damals berühmten Asketen und Bußprediger Johannes, der am Jordan bereits die Taufe zur Reinigung von den Sünden und das unmittelbare Kommen Gottes ankündigt und Jesus selbst tauft (Vgl. Mk 1,2–15; Lk 1,5–2,29).

Auch Jesus ist von der unmittelbaren Gegenwart Gottes in Israel überzeugt. „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15) ist sein Programm. Unter der Prämisse der ‚Naherwartung‘ fordert er seine Umgebung auf, ihm nachzufolgen, d. h. mit ihm zusammen in einer Art ‚Wandergemeinschaft‘ Gottes Herrschaft anzukündigen und eine gemeinsame Lebensweise zu teilen (Vgl. Mk 1, 17; 3, 14; Lk 9, 60). Sein Ziel ist, wenn überhaupt, die ‚qahal‘ Israels wiederherzustellen, die ‚heilige Gemeinde‘, in der der ursprüngliche Bund mit dem einzigen Gott auflebt. Als frommer Jude ist Jesus sicher nicht daran gelegen, eine religiöse Gruppierung aufzubauen, die sich aus dem Judentum herauslöst. Seine Jüngergruppe ist eine Art freiwillig-private Gemeinschaftsform, mit gemeinsamen religiösen Überzeugungen und einer nicht-regulierten Zugehörigkeit. Ansonsten praktiziert Jesus die jüdischen Gebote, aber einer rigiden Einhaltung religiöser Normen steht er kritisch gegenüber. Die häufigen Darstellungen von Auseinandersetzungen mit jüdischen Gelehrten legen nahe, dass er sich dabei gern mit ihnen angelegt hat, aber nicht, weil er von sich aus eine neue Religion gründen wollte. Von einer Kirche ist während seines Lebens keine Spur. Jesus will nicht eine neue Religionsgemeinschaft gründen, sondern seine Heimatreligion reformieren. Seine Schülerschaft ist besonders eng mit ihm verbunden. So legen einige Schriftstellen nahe, dass Jesus aus diesem Kreis zwölf Männer hervorhob. Er will damit symbolisch zeigen, dass sich seine religiöse Botschaft und Sendung an alle zwölf Stämme Israels richtet, ein Hinweis auf seine Vorstellung von der nahekommenden Gottesherrschaft (Vgl. Mk 3, 16–19; Mt 10, 2–4; Lk 6, 14–16; Apg 1, 13).

Die religiöse Gemeinschaft der Jesusanhänger zerstreut sich nicht nach dem gewaltsamen Tod Jesu am Kreuz. Im Gegenteil, sie behält ihre Überzeugungen vom einsetzenden Gottesreich mit Jesus als Zentralfigur bei. Erscheinungserfahrungen mit dem auferstandenen Jesus, die vor allem von den engsten Jüngern berichtet werden, bestätigen den bereits vorhandenen Glauben: Jesus ist der Messias Gottes, sein ‚Gesalbter‘. Mit ihm beginnt jetzt in dieser Zeit das Gottesreich. Unter dem Horizont der Endzeiterwartung wächst die Gemeinschaft. Bereits in diesem Kreis der Jesusanhänger werden zunächst Redestücke und markante Einzelheiten über Jesus gesammelt und überliefert, später immer wieder reflektiert und ergänzt (Vgl. Vorgrimler, 2000). Die ‚Zwölf‘ bilden nach den Ostererfahrungen das Leitungskollegium der ersten Gemeinde (Urgemeinde) in der kultischen Hauptstadt Israels, in Jerusalem. Simon, genannt Kephas (lat. ‚Petrus‘), steht nach der Apostelgeschichte an ihrer Spitze. Die Apostel verstehen sich als Empfänger von besonderen Lehren, die sie von Jesus persönlich erhalten haben, und gelten als Augen- und Ohrenzeugen seines Lebens und seiner Auferstehung von den Toten.

Die Evangelien und die Apostelgeschichte sowie die Briefe des Apostels Paulus schauen auf die Entwicklung dieser ‚Ekklesia‘ zurück. Das ist eines der wichtigsten Erkenntnisse der modernen Bibelwissenschaften. Als die meisten der neutestamentlichen Schriften zwischen 50 und 100 n. Chr. verfasst sind, existieren schon viele kleine christliche Gemeinden im römischen Reich. Sie verteilen sich verstreut auf das Territorium des römischen Imperiums, halten aber eine lockere Verbindung untereinander. Aus der überwiegend jüdischen ‚Urgemeinde‘ ist eine Gruppierung mit großen Unterschieden in der Herkunft geworden. Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Männer und Frauen (Vgl. Gal 3,28) gehören nun zur ‚Ekklesia‘. So nennt Paulus zwanzig Jahre nach der Kreuzigung Jesu sowohl die einzelne Gemeinde (Ortskirche) wie die Gesamtheit aller christlichen Gemeinden (Weltkirche). Aus Jesu, dem Nazarener, ist längst Jesus der ‚Christus‘ (die hebräisch-aramäische Bezeichnung ‚Messias‘ ersetzend) geworden. Nach Apg 11,26 erhalten die Nachfolger Jesu Christi den Namen ‚Christen‘ zuerst von Außenstehenden, und zwar in der syrischen Stadt Antiochia.

Den entscheidenden Impuls zur Christianisierung des jüdischen Reformglaubens erhält der christliche Glaube ausgerechnet von einem ursprünglich entschiedenen Juden und Christenverfolger. Paulus, griechisch gebildeter jüdischer Schriftgelehrter, ändert nach seiner Bekehrung zu Jesus, dem Christus, seine Strategie. Er versteht sich nach seinem persönlichen Berufungserlebnis als von Gott gesandter ‚Apostel des Evangeliums für die Völker‘. War er vorher ein entschiedener Feind der griechisch sprechenden Judenchristen, die taufen und selbst ehemaligen Nichtjuden die Befolgung der jüdischen Gesetze und die Beschneidung erlassen, so wird er nun selbst ein entschiedener Missionar der Nichtjuden. Diesem Paulus verdankt die ‚Ekklesia‘ die innovative Öffnung über die jüdische Glaubensgemeinschaft hinaus. Ohne ihn wäre die Jesusgemeinschaft eine jüdische Gruppierung unter vielen geblieben. Kirche ist also das ‚Endprodukt‘ einer religiösen Entwicklung: Jesus und seine Verkündigung ist der Ursprung. Die Kirche ist von ihm nicht gezielt gestiftet worden, aber sie hat ihre zentrale Quelle in ihm. Jesus wollte keine Kirche gründen, sein Fokus lag auf der Erneuerung Israels. Dass sich die christliche Kirche gebildet hat, ist eine unbeabsichtigte Nebenwirkung seiner Verkündigung – aber eine mit hochwirksamen Folgen.

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