Wo die Seele aufblüht

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Wo die Seele aufblüht
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Doris Bewernitz

Wo die Seele aufblüht

Warum ein Garten glücklich macht

Verlag am Eschbach

Inhalt

1  COVER

2  HAUPTTITEL

3  Inhalt

4  Statt eines Vorworts: Vom Finden eines Gartens

5  Der Garten im Vorfrühling Die Vollständigkeit des Staunens Tag der Biene Meine grüne Seele Müde Knochen

6  Der Garten im Frühling Kirschbaumgezeiten Meisenpost Blutlaus, Schildlaus und Konsorten Vom Mulchen Schmutzige Hände Die letzten Minnesänger Nächtlicher Einbrecher Garten in Blau Komposttherapie

7  Der Garten im Sommer Die Namen der Rosen Türen, Pforten und Portale Die Relaxliege Ein Sonnenaufgang Eine Höhle bauen Die Stunde der Drosseln Sieglinde spinnt Das Credo der Nacktschnecke Phlox – Der Duft des Sommers

8  Der Garten im Spätsommer Die Pfirsichkönige Himmelsstürmer Das Hohelied des Regenwurms Mitmachtage Fortschreitende Verwilderung Die größere Zeit

9  Der Garten im Herbst Holundern Licht und Baum – eine Liebe Was satt macht Die Symphonie der Blätter

10  Der Garten im Spätherbst Ofenfreuden Die Entdeckung des Himmels Vorräte

11  Der Garten im Winter Das große Ausruhen Die Schneekönigin Der weiße Garten Das Nichts aushalten Statt eines Nachworts: Vom Leben ohne Garten

12  ÜBER DIE AUTORIN

13  ÜBER DAS BUCH

14  IMPRESSUM

15  HINWEISE DES VERLAGS

Statt eines Vorworts:

Vom Finden eines Gartens

Die Annonce lese ich an einem Freitag im April. Ich weiß, ich werde anrufen, hinfahren, mir einen Eindruck verschaffen und dann gelassen Abstand nehmen. So mache ich es seit Jahren. Meist genügt es ja, dicht an etwas heranzugehen, um zu wissen, dass man es nicht braucht. Übrigens nicht die schlechteste Methode, meine florale Sehnsucht in den Griff zu bekommen. Einen Grund, sich gegen den Kauf eines Gartens zu entscheiden, gab es bisher immer.

„Gut, also um zwei am Zeitungsladen im Bahnhof“, sagt Frau K. „Ich hab ‘ne rote Jacke an.“

Ich wundere mich zwar, dass ich in einen Bahnhof kommen soll, um einen Garten anzusehen, aber es vergrößert durchaus meine Neugier.

Frau K. kommt, begrüßt mich und holt einen Schlüssel aus der Tasche. Über uns rauschen die S-Bahnen. Ich bin darauf gefasst, dass wir nun einen längeren Weg vor uns haben, um die Bahnhofshalle herum oder um Häuserblocks, und staune, als sie zielsicher auf eine eiserne Tür zugeht, die sich in der Wand zwischen einem Obststand und einer Telefonsäule befindet.

„Kommen Sie“, ruft Frau K., und schließt auf. Ich mache zwei Schritte, die Tür fällt hinter uns zu, und ich werde verschluckt. Verschluckt vom Blattgrün, Krähengeschrei, Amselgesang, Blütenduft. Ich muss mich zwingen, nicht stehen zu bleiben und stattdessen der Frau zu folgen, die rasch auf dem schmalen Weg vo-ranschreitet. Rechter Hand liegt der Damm der S-Bahn. Aber hier ist das Paradies.

Vor dem vierten Garten bleibt sie stehen, wartet, bis ich heran bin und sagt: „So. Das ist er.“

Ein Pfirsichbaum! Gleich neben dem Eingang! Seine schlanken, noch blattlosen Äste beugen sich weit über Gartentor und Zaun und sind betupft mit zartrosa Blüten. Auf der Wiese daneben zwei Riesen: uralte Kirschbäume. Ihre Rinde löst sich ab wie Papyrus. Hellgrüne Flechten kriechen die Stämme hinauf. Kirschblüten schweben durch die Luft wie verspätete Schneeflocken. Eine Blaumeise wippt auf dem Zaun …

„Sie müssen doch nicht draußen stehen bleiben!“, ruft Frau K. irgendwo aus den Tiefen des Grüns. „Kommen Sie doch rein!“

Vor dem Zaun Veilchen, ein lila Teppich. Hinter dem Zaun auch, auf den Beeten, auf dem Weg, überall! Andächtig betrete ich den Garten. Und dieser Gesang … „Ist das wirklich eine Nachtigall?“, frage ich.

„Eine? Wir haben drei in der Anlage!“

Der Weg führt durch ein Meer von Tulpen. Lila, Gelb und knalliges Zinnober. Welch ein Duft! Einige Narzissen blühen noch, andere haben schon dicke Samenstände angesetzt. Hyazinthen, Schlüsselblumen, Kaiserkronen. Mitten auf dem Beet schwenkt eine goldgelbe Taglilie ihre schlanken Blätter, gleich daneben eine dunkelblau gefleckte Iris. Dazwischen rollen Farne ihre kunstvollen Spiralen aus. Oh – im Farn wohnt ein Förster mit Hund und Laterne. Und zwei Rehe, ein stehendes und ein liegendes. Und ein von oben bis unten giftblauer Zwerg mit Schubkarre und ein ziemlich verblasster mit Sonnenblume samt Eichhörnchen im Arm.

Irritiert wende ich mich einem Bäumchen zu, das mir seine herzförmigen Blätter und rosa Blüten entgegenstreckt. Frau K. scheint mein ratloses Gesicht zu bemerken und erklärt, dass es sich um eine Aprikose handelt. „Selbst gepflanzt! Vor sechs Jahren! Hat auch schon getragen.“

Welch ein Garten! Bei der Vorstellung, dass es meiner sein könnte, macht mein Herz einen Freudensprung. S-Bahn-Bremsen quietschen. Ich drehe mich um und kann die Gesichter der Leute sehen, die in der Bahn sitzen. Das ist doch zu dicht! Bin ich dabei, in meinem Überschwang einen gewaltigen Fehler zu machen? Ich spreche die Nähe der Bahn an.

„Das hat uns nie gestört“, versichert Frau K., nimmt aber meine Bedenken ernst und ist damit einverstanden, mich für zwei Stunden im Garten allein zu lassen, damit ich einen Entschluss fassen kann.

„Dann bis nachher zum Kaffee“, sagt sie. „Das Haus erklärt Ihnen dann mein Mann.“ Sie geht.

Ich schlendere die Wege entlang. Stelle mich unter die Kirschbäume. Wie soll ich in nur zwei Stunden eine so wichtige Entscheidung fällen! Ich halte meine Nase in einen roten Kelch mit schwarzem Stern. Dieses reine Rot. Das können nur Tulpen. Ich gehe ums Haus, schnuppere am Oregano, an der Pfefferminze, am Salbei. Sogar Koriander gibt es! Den kann ich fürs Brotbacken nehmen. Ich trage einen Stuhl in die Sonne, setze mich und schließe die Augen.

Das Haus ist ein kleines Steinhäuschen mit geteertem Flachdach und, soweit ich das beurteilen kann, trockenen Wänden. Mehrere niedrige Obstbäume gibt es, Birne, Apfel, Sauerkirsche. Und einen charaktervollen alten Apfelbaum, rechts hinterm Haus, der mir sofort sympathisch ist. An seinem Fuß lehnt ein kniehoher Zwerg mit Spaten. Überhaupt: Welche Menge Gartenzwerge diese Leute gesammelt haben! Überall stehen sie herum: im Erdbeerbeet, zwischen Rhabarberblättern, unter Stachelbeerbüschen. Einer im gelben Pullover lächelt mich so charmant an, dass ich unwillkürlich zurücklächeln muss. Bis mir einfällt, dass ich Gartenzwerge ja eigentlich nicht mag.

Zwischen den Grashalmen sehe ich einem Regenwurm dabei zu, wie er ein abgefallenes Blatt langsam in den Boden zieht. Wenn das mein Garten wäre, könnte ich ein kleines Stück der Erde beschützen. Hier würde kein Gift ausgekippt. Hier würden keine Bäume gefällt. Hier könnte ich pflanzen, was ich wollte. Die Regenwürmer wären meine Brüder, sie würden mir die Erde umgraben. Ich müsste ihnen nichts dafür bezahlen. Den Tulpen auch nicht. Sie blühen kostenlos …

 

Als ich mich träumend auf dem Stuhl in der Frühlingssonne wiederfinde und feststelle, dass ich meinen Lieblingsplatz bereits gefunden habe, weiß ich: Die Entscheidung ist längst gefallen.

Hinter dem Zaun bemerke ich eine kniende ältere Dame vor einem Erdbeerbeet. Ich trete näher, stelle mich vor und sage, dass ich die Neue bin.

Sie betrachtet mich kritisch: „Seit wann?“

„Seit jetzt“, entgegne ich. „In diesem Moment. Sagen Sie, ist das hier … sehr vereinsmäßig? Ein Meter zwanzig Heckenhöhe und das Gras immer fünf Zentimeter und so?“

„Nö“, sagt sie, „wir sind ja nur vierzehn Gärten. Hier macht jeder, was er will.“

Da kommen Herr und Frau K. Sie haben Kuchen und eine Thermoskanne mitgebracht. Er schließt das Haus auf, stellt einen runden Tisch davor, und seine Frau schenkt Kaffee ein. Wo sind nur die zwei Stunden geblieben?

„Na?“, fragt sie.

„Schön ist er“, sage ich. „Wunderschön!“

Herr K. zeigt mir das Innere des Hauses und raunt mir den Preis zu mit der Bemerkung, ich könne es auch in Raten zahlen. Dann setzen wir uns auf die Terrasse, trinken Kaffee und krümeln zur Freude der Spatzen mit dem Kuchen.

„Wie lange haben Sie den Garten denn schon?“, frage ich.

„Zwanzig Jahre“, sagt Herr K.

„Einundzwanzig“, korrigiert seine Frau. Ich sehe, dass sie traurig ist. „Aber wir schaffen das nicht mehr. Gesundheitlich, wissen Sie.“ Und während ich noch überlege, was ich darauf erwidern könnte, fährt sie fort: „Übrigens: Mein Mann hat Gartenzwerge gesammelt!“

„Oh, ja“, stottere ich, „das … habe ich schon bemerkt. Aber … wollen Sie die nicht mitnehmen? Falls Sie noch Verwendung dafür …“

„Für ‘n Balkon, oder?“, lacht Herr K. „Genau Gabi, wir stellen alle dreiunddreißig auf ‘n Balkon, da brauchste nix mehr zu pflanzen!“

„Dreiunddreißig?“, entfährt es mir. „Ich habe nur fünfzehn …“

„Die andern sind eingewachsen“, sagt er. „Die finden Sie schon noch.“ Er amüsiert sich. „Den Förster, vorn links, mit dem Hund, haben Sie den gesehen? Der leuchtet sogar. Kommen Sie mal mit. Ich zeig’s Ihnen.“ Er geht ins Haus und steckt einen Stecker ein. Dann winkt er mir, ihm zu folgen, und wir stehen vor dem illuminierten Förster.

„Nachts macht das natürlich viel mehr her!“, sagt Herr K.

Der Förster leuchtet abwechselnd an unterschiedlichen Körperstellen. Auch der Hund blinkt launisch an Augen, Schnauze und Schwanz. Jetzt blitzen bei beiden gleichzeitig die Augen. Ich denke, dass man dieses Arrangement gut für die Geisterbahn verwenden könnte, behalte diesen Gedanken aber für mich. Die Laterne des Försters, bei der ich es am ehesten vermutet hätte, die leuchtet nicht.

Herr K. strahlt, als wäre er selbst der Förster. „Marke Eigenbau“, schwärmt er. „Selbst entworfen, mit ‘ner Weihnachtsbaumbeleuchtung! Klasse, oder?“

Ich nicke so anerkennend wie möglich.

„Und?“, fragt er, „haben Sie sich entschieden?“

Ich sage ja.

Da packt er meine Hand und schüttelt sie so kräftig, als wolle er sie abreißen. „Richtig! Gute Entscheidung! Sie werden es nicht bereuen! – Sie nimmt ihn!“, ruft er seiner Frau zu. Sie lächelt.

Wir setzen uns wieder an den Tisch, Frau K. gießt neuen Kaffee ein, und ihr Mann schiebt mir den Vertrag rüber.

Ich unterschreibe.

Mir ist ganz feierlich zumute. Es ist der 12. April 2008. Jetzt habe ich also einen Garten.

Der Garten im

Die Vollständigkeit des Staunens

Farben plötzlich. Blüten. Duft. Vogelsang. Und der Himmel: Blau. Als hätte jemand einen grauen Vorhang beiseite gezogen und goldene Scheinwerfer auf die Bühne gerichtet. Spot an! Nicht zu fassen. Gerade war doch noch alles matt und fahl. Und jetzt dieses Licht! Richtig unwirklich. Wie im Theater. Sonne auf der Haut. Wie gut das tut! Selbst meine Nachbarin treffe ich auf einer Bank beim Nichtstun an. Ein Wunder ist geschehen.

Frühling. Die Vollständigkeit des Staunens. Wie soll man ihn nur gebührend begreifen? Oder gar begrüßen? Zumal, wenn er auf diese Art ins Leben einbricht? Ohne zu fragen, ob er heute schon im Kalender steht, ob man gerade jemanden zum Verlieben hat oder Zeit, in den Garten zu gehen? Wenn er einfach auf einmal da ist, mit seiner ganzen Sonne und seinem Duft, als wäre nie Winter gewesen?

Da stehe ich und staune. Wie durch den Matsch braunen Laubes sich Blattlanzen recken. Wie die weichen Schneeglöckchen durch zentimeterdicke, harte Rhododendren- und Kirschblattschichten stoßen. Physikalisch eigentlich unmöglich. Wie die Winterlinge ihre knallgelben Kugeln herzeigen!

Mit solchen Farben ist der Winter endgültig abgewählt. Egal, wie viele Nachtfröste er noch schickt, die Kleinen haben ihn besiegt. Wunder Schneeglöckchen. Wunder Krokus. Wunder Winterling. Wie machen sie das? Gerade sie. Wenn die Königskerze, die Rose oder die riesige Malve das schaffen würden, das wäre nachvollziehbar. Oder die Dreimasterblume mit ihren kräftigen Stielen. Aber ausgerechnet diese Kleinen! Perlblumen. Blausternchen. Märzenbecher.

Perlblumen hatte ich als Kind am liebsten. Vielleicht, weil sie mich an Liebesperlen erinnerten, die ich auch sehr mochte. Wir Kinder hatten jedes unser eigenes Beet, das wir nach unseren Vorstellungen bepflanzen durften.

Meine älteste Schwester baute ausschließlich Gemüse an. Möhren, Kohlrabi, Radieschen, Zwiebeln. Alles schön in Reih und Glied, was auf einem so kleinen Beet (ungefähr vier Quadratmeter) sicher gar nicht so einfach war. Ihr Beet sah immer aus wie ein Hochglanzfoto aus einem Gartenbuch. Ich glaube, sie hatte sich für Gemüse entschieden, um uns anderen ein gutes Beispiel zu sein. Vielleicht auch, um unserer Mutter eine Freude zu machen. Natürlich verzog sie die Mohrrüben immer fachgerecht, ebenso die Radieschen, hatte vorbildliche Ergebnisse, und wenn diese abgeerntet waren, setzte sie Salat, wie es sich gehört. Und selbstverständlich aß sie die Radieschen niemals allein, sondern wusch und schnitt sie ordentlich und stellte sie dann für alle auf den Abendbrottisch, denn sie teilte gern.

Meine mittlere Schwester war eine klingende Künstlerseele und als solche von Begeisterung durchglüht. Ihr Beet war eine Katastrophe. Immer schwärmte sie von etwas Neuem, heute von Dahlien, morgen von Kohlrüben, übermorgen vom Fingerhut. Ständig stürzte sie sich auf ihr Beet und änderte alles, eine Struktur war nie erkennbar. Auch konnte sie sich nie zwischen Gemüse und Blumen entscheiden, ja, es kam sogar vor, dass sie Blumen, die kurz vor dem Aufblühen waren, wieder herausriss, weil sie just beschlossen hatte, Kartoffeln zu legen, und das zu einer Zeit, als diese eigentlich schon hätten geerntet werden müssen. Erstaunlicherweise hat sie trotzdem im Laufe der Jahre, wenn auch wenige, so doch die prächtigsten Exemplare von uns allen hervorgebracht, sowohl bei den Blumen als beim Gemüse. Heute weiß ich, dass das an der Mischkultur gelegen haben muss.

Mein Beet war ein Frühlingsbeet. Schon immer hatte ich eine so wilde Gier nach Frühling in mir, dass ich alle Blumenzwiebeln, derer ich habhaft werden konnte, sofort in mein Beet stopfte, egal, ob dort noch Platz war oder nicht. Ich ging auf Pirsch durch die Nachbargärten und fragte nach übrigen Blumenzwiebeln, mit der Lüge, die Zwiebeln meiner Mutter wären von Wühlmäusen gefressen worden und ich wolle ihr gern eine Freude machen … So zog ich mit Hosentaschen voller Märzenbecher-, Narzissen-, Scilla-, Tulpen-, Perlblumen-, Schneeglöckchen-, Krokus- und Winterlingzwiebeln heimwärts, und das alles ohne das leiseste schlechte Gewissen. Auf diese Weise heimste ich Unmengen zusammen, die ich wie Schätze vergrub. Die Wühlmäuse mögen mir meine Verleumdungen verzeihen.

In jedem Frühjahr explodierte mein Beet. Die Blumen hatten regelrecht Mühe, sich nicht gegenseitig umzubringen, so eng standen sie. Mit Beetgestaltung hatte das natürlich nicht mehr das Geringste zu tun. Ich schwamm im Frühlingszauber. Dieses irre Blühen hielt gut zehn Wochen an, katapultierte mich gründlich und vollständig aus dem Winter heraus, erfüllte mein Herz mit Glück und Seligkeit, gab mir das Gefühl, eine begnadete Meistergärtnerin zu sein und brachte mir wenigstens für kurze Zeit den blanken Neid meiner Schwestern ein. Ich sah es in ihren Augen und fühlte mich hervorragend, um nicht zu sagen vollkommen.

Dann kam der Juni. Für den Rest des Jahres welkte mein Beet vor sich hin. Aber im Sommer hatte ich ohnehin anderes zu tun. Spielen zum Beispiel. Diesbezüglicher Kritik meiner Schwestern widersetzte ich mich mit dem Argument, dass man dort, wo Zwiebeln in der Erde wären, diese nicht umgraben solle. Das hatte ich mal in einem Gartenkalender gelesen. Und im Herbst setzte meine Frühlingsvorfreude wieder so stark ein, dass ich mich sofort auf die Suche nach neuen Zwiebeln machen musste.

Gott sei Dank habe ich heute mehr als vier Quadratmeter Garten, so dass ich, auch wenn es mir schwerfällt, einige Bereiche inzwischen auch für anderes nutze als für Frühblüher.

Dennoch – sie sind mir die Liebsten. Was könnte mehr Trost verströmen als ein weißer Krokus im Schnee? Wer könnte herrlicher leuchten als die feuerrote Tulpe mit schwarzem Auge? Und wer könnte lieblicher duften als das Veilchen? Das hat zwar keine Zwiebel, aber früh blüht es auch.

Tag der Biene

Heute ist die Sonne in den März gefallen. So viele Krokusse, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Alle haben ihre Blütenkelche weit geöffnet und strecken sich dem Licht entgegen. Büschelweise Schneeglöckchen dazwischen. Ich hocke mich hin. Um diese Jahreszeit gibt es nur Details. Erste Grashalme sprießen vorsichtig aus dem strohfarbenen Etwas, das mal eine Wiese war. Je länger ich auf dieselbe Stelle sehe, umso mehr entdecke ich. Als müssten sich auch meine Augen erst wieder ans Gucken gewöhnen. Die Kaiserkrone treibt! Und der Phlox schiebt zwischen den alten, trockenen Stängeln erste blassgrüne Lanzetten hervor. Sogar die Pfingstrose hat schon geflaggt. Tiefrot, breit und kräftig. Die rotbraunen Puschel des Goldfelberich haben ein trockenes Ahornblatt angehoben. Daneben: minikleine Rosetten am Pfennigkraut. Alles treibt, schiebt, grünt. Zwar noch zaghaft, erdnah, quasi an den Boden gedrückt, als traue es dem Frieden noch nicht ganz. Aber doch nicht mehr zu leugnen.

Eine Ameise zwischen zwei Grashalmen. Auch die Regenwürmer sind aufgewacht, die Wiese ist übersät mit ihren „Häufchen“.

Die weichen, olivgrünen Mäuseblätter des Vergissmeinnichts beginnen, sich aus der Erde zu schieben. Daneben die Blattkränze der Gänseblümchen. Am lustigsten stehen die Tulpenblätter da: fast alle balancieren flache Hüte aus vorjährigem Ahorn- oder Hasellaub auf ihren Spitzen. Und die Akelei! Schon die jungen Blätter äußerst elegant, verschlungen und geheimnisvoll. Überhaupt sind die Blätter der zukünftigen Blumen oft ihren Blüten sehr verwandt.

Blätter, wohin das Auge reicht. Darunter auch immer einige, vor denen ich rätselnd stehe: Was könnte das sein? Was wird das nur? Das habe ich doch schon einmal gesehen, das kenne ich. Die Glockenblume? Nein, die Blätter waren schmaler. Die Ringelblume? Die Anemone? Bald werde ich es wissen.

Mit Erleichterung stelle ich fest, dass auch der Rhododendron wieder besser aussieht. Schlimm ging es ihm an den Kahlfrosttagen der letzten Wochen: verdorrte, eingerollte Blätter. Ich dachte, er geht mir ein. Die Immergrünen haben es schwer im Winter, besonders zum Ende hin, wenn der Schnee sie nicht mehr schützt. Ihre Blätter verdunsten das Wasser immer weiter, aber ihre Wurzeln können bei Frost nichts trinken. Doch er hat überlebt. Gott sei Dank. Seine dunkelgrünen Lederblätter sind wieder schön glatt ausgerollt und glänzen in der Sonne.

Überhaupt, die Sonne! Wie meine Haut sich nach ihr sehnte. Instinktiv ducke ich mich, als ein Gebrumm sich meinem Ohr nähert. Dann schaue ich dem Geräusch hinterher. Eine Biene! Die erste Biene ist da!

Wie schreckhaft man wird in so einer insektenfreien Winterwohnung.

Die Biene, noch ein wenig steif vor Kälte, steuert die Krokusse unter dem Kirschbaum an. Eine gute Entscheidung. Welche Blüte sie wohl nehmen wird? Welche Farbe sie wohl am schönsten findet? Wenn ich Biene wäre, ich glaube, ich nähme die große, lila-weiß gestreifte. Die sieht so königlich aus. Oder doch lieber eine gelbe? Oder eine von den kleinen blasslila Elfen mit orangener Spitze … Sie schwankt noch, schwebt über den verschiedenen Blüten hin und her. Wonach entscheidet sie das eigentlich? Ob ihr das reine Weiß vielleicht besser gefällt? Die weißen Krokusse sind ja auch besonders groß. Und so erhaben … Nein, ich kann nicht sagen, welche mir die schönste ist. Da verschwindet die Biene in der lila-weiß gestreiften. Sofort fühle ich mich ihr aufs Tiefste verbunden. Natürlich ist der gestreifte Krokus der schönste – gar keine Frage! Wie konnte ich je daran zweifeln!

 

Ich knie nieder und sehe ihr zu, wie sie in der Blüte herumkriecht. Plötzlich ein Tumult hinter mir. Fünf Spatzen wollen gleichzeitig im Hundewassernapf baden, passen nicht hinein, tschilpen, krakeelen und hacken aufeinander ein. Als ich wieder zum Krokus schaue, ist die Biene verschwunden.

Aber ich habe sie gesehen! Die erste Biene. Ein Grund zum Feiern. Ja, warum eigentlich nicht? Wir feiern viel zu selten. Ich beschließe, sofort und augenblicklich den Tag der Biene einzuführen. Er ist gleich zu begehen, wenn jemand die erste Biene des Jahres gesichtet hat. Man feiert ihn im Freien.

Kurzentschlossen rufe ich ein paar Freunde an, sage ihnen, dass ich eine Biene gesehen habe, und dass wir deshalb noch heute mit einem Kaffee im Garten darauf anstoßen werden. Warme Decken sind mitzubringen.

Bald werden es mehr Bienen werden und immer mehr. Bald wird der ganze Garten voll Gesumm und Gebrumm sein, und ich werde mich nicht mehr erschrecken, weil es ein ganz normales Geräusch für mich geworden sein wird. Die Biene von heute wird ihre ganze Verwandtschaft mitbringen, und alle werden sie von Tag zu Tag mehr Nektar finden. Bald werden sie sich über die Blüten der Aprikose hermachen können, die schwellen schon und schimmern bereits leuchtend rot. Ich hoffe nur, dass kein Frost kommt, wenn sie sich öffnen. Danach werden die Bienen in den Pfirsichblüten herumkriechen. Wenn die sich öffnen, muss ich keinen Frost mehr befürchten. Und dann holen sie ihren Nektar aus den Kirschblüten, dann vom Apfel- Birn- und Pflaumenbaum …

Die Spatzen hocken jetzt zu sechst im Buddelkasten. In kleinen Sandmulden tun sie so, als säßen sie im Wasser, schlagen mit den Flügeln, wackeln mit dem Schwanz und piepsen vor sich hin. Sand fliegt auf die Wiese. Hätten wir also das Rätsel, warum der Sand im Buddelkasten immer weniger wird, auch geklärt.

Jetzt habe ich so viel in der Gegend herumgehockt, dass mir die Knie wehtun. Ich stelle einen Stuhl auf die Terrasse, setze Kaffeewasser auf, wickle mich in eine Decke und strecke die Beine von mir. Zufrieden sitze ich in der Sonne und warte auf meine Freunde.

Ein Wohlgeruch weht mich an. Krokus und Schneeglöckchen. Ganz zart. Genüsslich lasse ich mir dieses Naturparfum in der Nase zergehen. Es birgt ein Versprechen, dem ich sofort glaube. Welch ein Duft! Biene müsste man sein.