Buch lesen: «Expertise sichtbar machen (E-Book)»

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Jürg Brühlmann, Denise F. Moser, Mojca Žekar

Expertise sichtbar machen

Modeling mit MetaLog – Praxisausbildung in personenbezogenen Berufen

ISBN Print: 978-3-0355-1673-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-1674-6

1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1Einleitung

2Ausbilden in personenbezogenen Berufen

Herausforderungen und Anforderungen

Von der Kompetenz zur Performanz

Berufsgeheimnisse und Gelingensbedingungen

Implizites und Bewusstheit

Gestaltungsmittel

3Lernen von Fachpersonen

Lernfeld Praxis

Qualitätssicherung

Lerninhalte

Lernzeitpunkte

Lernmethoden

4Modeling mit MetaLog

Einführung

Themen im MetaLog

Rollen und Funktionen

Positionieren der Beobachtenden

Gestaltungsmöglichkeiten

5Sprache

Klären der Situation

MetaLog in der laufenden Interaktion

Positiv formulieren

Professionelle Formulierungen

Verlangsamen des Arbeitsprozesses

Irritationen vermeiden

Besprechungszeit besser nutzen…

Planen und Vorbereiten

6Räumliche Inszenierung

Der Körper als Arbeitsinstrument

Nicht teilnehmende Beobachtung

Regeln zur räumlichen Inszenierung der Ausbildungssituation

Sitzungs- und Unterrichtssetting

Komplexere und dynamische Situationen gestalten

Tipps für besondere Herausforderungen

7Zusammenspiel mit weiteren Ausbildungsmethoden

Modeling mit MetaLog und Cognitive Apprenticeship

Die Funktion der Expertise

Anwendungssituationen

8Erfahrungen

Einsatzbereiche und Verbreitung

Wirkungen auf Studierende

Konsequenzen für Fachpersonen Praxisausbildung

Wirkung auf Klienten

9Fazit und Ausblick

Anhang

Häufige Fragen und Antworten

Studierende

Klienten

Methodik

Glossar

Mitwirkende

Materialverzeichnis

Video- und Audioclips

Abbildungen

Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Von Tina Hascher, Ordinaria Abteilung Schul- und Unterrichtsforschung, Universität Bern

Auf die Erfahrung kommt es an – so wird häufig argumentiert, wenn es um die Ausbildung von Berufskompetenzen geht. Man werde, sagt der Volksmund, aus Erfahrung klug. Und es leuchtet intuitiv ein, dass Praxiskompetenzen am besten in der und durch die Praxis entwickelt werden. Aber wie so vieles im Leben gestaltet sich die Thematik etwas komplizierter, insbesondere wenn es um die äusserst anspruchsvolle Arbeit in personenbezogenen Berufen geht.

Wer Berufslernende und Auszubildende betreut, kennt die folgenden Phänomene: Schritte in der Kompetenzentwicklung können einfach, aber auch sehr schwierig sein; manchen Berufslernenden fällt es leichter, bestimmte Kompetenzen zu erwerben, andere haben mehr Mühe; bestimmte Kompetenzen lassen sich schneller erlernen, andere sind herausfordernder; häufig gelingt eine tragfähige Beziehung der Ausbildenden zu den Berufslernenden, aber auch das Gegenteil kommt vor.

In personenbezogenen Berufen kommt dem Kontakt mit Menschen eine zentrale Rolle zu. Lehren und Erziehen, Betreuen und Pflegen sind soziale Berufe, die sich der Begleitung und Beratung von Menschen widmen. In diesem Kontakt liegt nicht nur die Motivation vieler Berufsleute, sondern auch eine wesentliche Quelle des Berufslernens und der Kompetenzentwicklung. In der Ausbildung für Bildung-, Gesundheits- und Sozialberufe kommen drei Gruppen zusammen, die miteinander interagieren: die Ausbildenden, die Berufslernenden/Auszubildenden und die Zielgruppe der Schüler/Schülerinnen, Klienten/Klientinnen und Patienten/Patientinnen. Diese sozialen Interaktionen sind wesentlich für den Lernprozess aller Beteiligten und für die Kompetenzentwicklung von Novizen/Novizinnen und Berufsanfängern/-anfängerinnen. Die Ausbildung kann daher sozusagen als «sozialer Doppeldecker» verstanden werden: Auf der einen Ebene richtet sich die Tätigkeit genuin auf soziale Interaktionen, andererseits sind soziale Interaktionen das Kernelement beruflicher Lernprozesse.

Doch zurück zur Erfahrungsfrage: Professionelle Qualität lässt sich nicht einfach nur durch Erfahrungsjahre herstellen. Es gibt – zum Glück – hochkompetente Berufsanfänger/-innen, aber auch mässig kompetente «alte Hasen». Woran kann das liegen? Drei Erklärungen seien hier angeführt:

–Die Expertiseforschung zeigt klare Unterschiede zwischen Novizen/Novizinnen und Experten/Expertinnen. Vereinfacht ausgedrückt: Letztere erkennen und bewerten die Situation anders, nämlich kompetenter und professioneller. Die Forschung macht aber auch deutlich, dass Expertise nicht einfach aufgrund der blossen Verweildauer in einem Beruf entsteht, sondern durch gezielte Lern- und Entwicklungsprozesse. Nicht jede Person mit langer Erfahrung erreicht also in jedem Fall auch Expertise.

–Theorien und Studien zum Modelllernen zeigen auf, dass es bestimmter Voraussetzungen bedarf, damit von anderen gelernt wird. Dazu gehören beispielsweise die Transparenz von Handlungsabläufen, die Ähnlichkeit von Situationen und die Information über Entscheidungsprozesse, damit diese für Lernende nachvollzogen werden können. Modelllernen geht also weit über das «Abschauen und Nachmachen» hinaus und muss gezielt angeleitet werden. Zugleich bedeutet dies auch: Nicht jede/-r Ausbilder/-in ist ein gutes Modell.

–Studien zum Lernen in der Praxis weisen nach, dass in Praktika weniger gelernt wird, als man erwartet. Der Lerneffekt von Praktika wird also überschätzt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn man meint, Erfahrungen allein würden schon zum Lernen beitragen. Es zeigt sich jedoch, dass Berufslernende Lernbedarfe und Lernanlässe durchaus nicht immer wahrnehmen, u. a. weil sie die Diskrepanz zwischen ihrem eigenen Handeln und einem professionellen Handeln noch nicht erkennen. Dies macht eine professionelle Begleitung durch Mentoren/Mentorinnen und Coaches so notwendig.

Nimmt man diese drei Erklärungen zusammen, dann lässt sich schlussfolgern: Auf die Qualität der Ausbildungssituation kommt es an! Und es stellt sich zugleich die Frage, wie eine hohe Qualität erreicht werden kann. Inzwischen finden sich einige, evidenzbasierte Hinweise zur Gestaltung von berufsbezogenen Lernprozessen, etwa durch Konzepte zum Mentoring und Coaching. Der vorliegende Band über den MetaLog reiht sich in diese Arbeiten ein. Zugleich jedoch geht er aber aus folgenden Gründen über die bestehenden Konzepte hinaus, was ihn besonders wertvoll und lesenswert macht:

Die Ausführungen zum MetaLog …

–… basieren auf dem Potenzial von Berufsexperten/Expertinnen für die Kompetenzentwicklung von Novizen/Novizinnen. Sie bleiben dabei skeptisch gegenüber einfachen Transferprozessen und sind stattdessen aufmerksam gegenüber den Besonderheiten von Expertise, z. B. dass Wissen und Können nicht immer bewusst sind.

–… beschreiben nicht nur notwendige Schritte und Kontextbedingungen des Modelllernens, sondern sie berücksichtigen gleichermassen die Perspektive der Lehrenden und der Lernenden in ihrer gemeinsamen Interaktion mit den Zielgruppen.

–… situieren den Lernprozess nicht nur allgemein in Berufsfeldern, sondern beziehen ihn sehr spezifisch und sehr sensibel auf die Besonderheiten und Herausforderungen in personenbezogenen Berufen und die spezifischen Prozesse des beruflichen Handelns.

Die neuen Perspektiven, die der MetaLog eröffnet, erachte ich als einen Gewinn für die Ausbildung von Berufslernenden. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten des Buchs von Jürg Brühlmann, Denise Moser und Mojca Žekar soll Ausbilder/-innen dazu anregen, ihre Praxisbegleitung zu reflektieren und zu verbessern. Das Buch beinhaltet dazu viele gut begründete und erklärte Anregungen. Es soll dazu anstiften, den MetaLog auszuprobieren, in das eigene Ausbildungshandeln zu integrieren und weiterzuentwickeln. Dies bedeutet auch: Der MetaLog ist nicht als eine «Methode» zur Begleitung von Praxiserfahrungen und Betreuung von Berufslernenden misszuverstehen, sondern als eine professionelle Haltung zur beruflichen Kompetenzentwicklung aller am Lernprozess Beteiligter.

Bern, 01.09.2019

Tina Hascher

1Einleitung

Rund ein Drittel der Ausbildung in den Sozial-, Gesundheits-, Betreuungs- und Bildungsberufen findet in der Praxis statt. Die dort erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen sind wesentlich für die professionelle Entwicklung angehender Berufspersonen.

Ausbildung in Praxissituationen

Das Ausbilden in Anwesenheit von Klientinnen und Klienten ist anspruchsvoll. Die Beziehungsgestaltung zu ihnen hat auch in der Ausbildungssituation oberste Priorität.

Das bedingt, dass Ausbildungspersonen konsequent mit ihren Klienten in der beruflichen Interaktion bleiben.

Die Studierenden lernen mit Klientinnen und Klienten in situativem Kontext mit je eigenen Problemstellungen. Die Begleitung der Lernenden wird meist in privilegierten Eins-zu-eins-Situationen organisiert. Dieses Potenzial soll bestmöglich ausgeschöpft werden.

Die Methode Modeling mit MetaLog

Modeling mit MetaLog ist ein über Jahre experimentell weiterentwickelter Lösungsansatz für das Lernen in der Arbeitssituation. Die Methode ermöglicht den Ausbildenden, mit Klientinnen und Klienten in Beziehung zu bleiben und gleichzeitig den Lernenden relevante Informationen zu Beziehungsgestaltung, Vorgehensweisen, angewandten Konzepten oder Arbeitstechniken transparent und zugänglich zu machen.

Berufliches Handeln kann so von den Studierenden bereits in der Situation reflektiert, mit Professionswissen verknüpft und später in eigenen Umsetzungen situativ elaboriert werden. Dadurch wird eine hohe Ausbildungsqualität möglich, die zugleich zeit- und kostensparend ist.

Adressaten dieses Buches

Diese Publikation richtet sich an ausbildende Fachpersonen, an Verantwortliche für Praxisausbildung, innerbetriebliche Bildung oder für berufspraktische Studien in personenbezogenen Berufen sowie an Dozierende an Fach-, Berufs- und Hochschulen aus den Bereichen Bildung, Gesundheit, Medizin, Therapie, Sozialarbeit und Betreuung.

Modeling mit MetaLog kann als Methode auch generell von Fachpersonen für eine transparente Prozessgestaltung in der beruflichen Arbeit genutzt werden.

Zum Inhalt des Buches

Wie können Ausbildende ihr Berufswissen in der Situation vermitteln, ohne dass die Klienten zu Ausbildungsobjekten werden? Wie sind Lernende positioniert, damit die Arbeitssituation nicht beeinträchtigt wird? Wie lässt sich die Methode Modeling mit MetaLog in bestehende Ausbildungskonzepte und Theorien integrieren? Diese Fragen und die Thematik der Praxisausbildung in personenbezogenen Berufen werden im Buch detailliert diskutiert.

Illustrierende Skizzen, kurze Zitate von Praktikern aus ersten Erfahrungen mit der Methode sowie vertiefende Beiträge von Dieter Rüttimann, Sophia Bräkling, Christoph Habegger und Katrin Aklin bereichern das Buch mit zusätzlichen Aspekten.

Audio- und Videoclips zur Illustration

Eine wichtige Ergänzung zum Buch sind kurze Audio- und Videoclips, die unter www.modelingmitmetalog.org zugänglich sind.

Einige Videofilme wurden in realen Berufssituationen aufgenommen, andere in simulierten Settings gedreht. Sie zeigen realitätsnah und exemplarisch bestimmte Aspekte der Anwendung und Umsetzung von Modeling mit MetaLog in der Praxis. Da in den Clips jeweils mehrere Aspekte der Methode aufgezeigt sind, wird an verschiedenen Textstellen im Buch auf die gleichen Mediendateien verwiesen.

Eine Übersicht aller Video- und Audioclips findet sich in einer Tabelle am Ende des Buches.

Das audiovisuelle Material auf der Webseite darf ausschliesslich zu Ausbildungszwecken genutzt werden.

Dank

Dass wir die Methode Modeling mit MetaLog in ausgereifter Form präsentieren können, verdanken wir primär mehreren Tausend Teilnehmenden aus den Berufen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen. Sie haben in Kursen, an Kongressen und innerbetrieblichen Veranstaltungen sowie in diversen Kliniken im deutschsprachigen Raum mit ihren kritischen Fragen, Erfahrungen und genauen Selbstbeobachtungen in Inszenierungen dazu beigetragen, dass die Methode experimentell weiterentwickelt werden konnte. Im Teamteaching haben Renate Ausserbrunner, Santino Güntert, Elmar Tratter und weitere Kolleginnen und Kollegen zusammen mit Jürg Brühlmann explorierend Lösungen gesucht und gefunden.

Möglich wurde die erfolgreiche Realisierung der vorliegenden Publikation mit den audiovisuellen Medien dank spontanen Zusagen von vielen angefragten Personen und Institutionen. Tina Hascher hat mit ihrem Vorwort den Teppich ausgelegt. Weitere im Verzeichnis der Mitwirkenden aufgeführte Personen haben Fachbeiträge und Statements mit ihren bisherigen Erfahrungen zur Methode beigesteuert. Sophia Bräkling verdanken wir wertvolle Inputs zum Text und die Audioclips. Für die Videoclips danken wir vielen Mitwirkenden aus einer Jugendanwaltschaft, aus der OPA-Stiftung in Zürich, aus der Uniklinik Inselgruppe in Bern sowie aus Schulen im Kanton Zürich. Stellvertretend geht der Dank an Katrin Aklin, Rita Scheurer, Sarah Stöckli und Nicolas de Kinkelin.

Für den technischen Support bedanken wir uns bei der Abteilung Digital Learning der Pädagogischen Hochschule Zürich sowie insbesondere bei Markus Oertly, Beauftragter Medienwerkstatt an der Pädagogischen Hochschule Thurgau.

Peter Egger, Manuel Schär und Christian de Simoni vom hep Verlag in Bern danken wir für das spontane Interesse an der Publikation, ihren unternehmerischen Mut, die fachkompetente Beratung und die sehr angenehme und unkomplizierte Zusammenarbeit. Dominique Žekar verdanken wir den Buchumschlag und die Webseite für die Videos. Das Grafikbüro tiff.any hat den Text in eine Form gebracht und die Skizzen umgesetzt.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine inspirierende Auseinandersetzung mit Modeling mit Metalog und freuen uns über Rückmeldungen und Anregungen.

Jürg Brühlmann

Denise F. Moser

Mojca Žekar

2Ausbilden in personenbezogenen Berufen

Das Ausbilden in Berufen mit Anwesenheit von Klienten ist anspruchsvoll und komplex. Die beruflichen Situationen sind nicht genau planbar und werden situativ gestaltet. Die Arbeitsbeziehung muss geschützt bleiben.

Die Gestaltung der Ausbildung in personenorientierten Berufen ist aus den folgenden Gründen anspruchsvoll:

–Die Fachperson kann in praktischen Ausbildungssituationen ihr Wahrnehmen, Denken und Tun nicht über den Kopf der Klienten hinweg kommentieren.

–Jede berufliche Situation ist einzigartig und muss situativ gestaltet werden. Auch in unsicheren Situationen müssen Entscheidungen gefällt und die berufliche Handlungsfähigkeit gewahrt werden.

–Zum Instrumentarium in personenbezogenen Berufen gehören hauptsächlich die Sprache, der Körper sowie das, was im vorliegenden Buch Inszenierung oder Szenik genannt wird. Dazu gehören der Einsatz von Instrumenten und Material, die Gestaltung und Organisation von Zeit und Raum wie auch die räumliche und körperliche Inszenierung der Fachperson selbst.

–Die Prozessqualität ist mitentscheidend für den Erfolg. Die situativ eingesetzte berufliche Kompetenz ist in ihrer beobachtbaren Performanz für den Betrachter nur teilweise erkennbar und verschieden interpretierbar.

Herausforderungen und Anforderungen

Die Qualität des beruflichen Tuns muss heute in allen Berufen gewissen fachlichen Standards genügen. Situationen in personenbezogenen Berufen sollen kontextbezogen und situativ passend bewältigt werden. Während Interaktionen bleibt damit sehr viel Ermessens- und Gestaltungsraum, der auf dem Hintergrund von beruflicher Expertise und Kompetenz geformt wird. Die Herausbildung von beruflicher Identität und eines beruflichen Habitus1 geschieht primär in der Praxis, wenn Studierende während ihrer Arbeit Fachpersonen als vorbildliches, handlungssicheres, erfolgreiches, reflektierendes Modell2 erleben, fragmentierte Wissensbestände sinnstiftend verknüpfen und berufliche Situationen in einem Prozess selbst gestalten können.

Berufsbilder und Ansprüche an Fachpersonen

Der Bildungsforscher John Hattie illustriert die Ansprüche in personenbezogenen Berufen für den Lehrberuf so: «Gut sind jene [Lehrer], welche die Freude der Kinder für ein Fach wecken können, und jene, die ein Talent in den Kindern sehen, von dem die Schüler nicht einmal selbst wussten, dass sie es haben. Es geht letztlich darum, Freude am Lernen zu vermitteln. (…) Lehrer sind die Dirigenten eines Orchesters: Sie müssen den Ton angeben, das Tempo setzen und wissen, wohin sie mit dem Stück wollen. Doch ab einem gewissen Punkt sollten sie den Musikern den Platz geben, sich zu entfalten.» 3

Für Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen gelten ähnliche Wirkfaktoren. Es geht wesentlich um die Ressourcenorientierung und die situativ stimmige Gestaltung der Interaktion mit den Klientinnen und Klienten.

Die folgenden Auszüge aus verschiedenen personenbezogenen Berufsbildern verdeutlichen die Ansprüche, die heute an Fachpersonen gestellt werden.

«Die Fachfrau, der Fachmann Gesundheit gestaltet und pflegt in ihrem/seinem Berufsalltag eine respektvolle berufliche Beziehung zu den Klientinnen und Klienten und richtet ihr/sein Handeln an deren Bedürfnissen aus. Sie/er respektiert die Klientinnen und Klienten als Individuen mit ihren spezifischen Wertesystemen. (…) Die Fachfrau/der Fachmann Gesundheit unterstützt das körperliche, soziale und psychische Wohlbefinden von Personen jeden Alters in deren Umfeld und gestaltet mit ihnen den Alltag.» Bildungsplan Fachfrau/Fachmann Gesundheit FaGe EFZ.

Verordnung über die berufliche Grundbildung. Bern: SBFI 2016

«Absolventinnen und Absolventen (für Sozialarbeit) leisten einen wichtigen Beitrag zur Begleitung und Unterstützung von Menschen in verschiedenen Lebenssituationen. Sie beraten Einzelpersonen, Familien und Gruppen, unterstützen bei Finanzfragen, der Suche nach Arbeit und Wohnraum oder der Gestaltung von sozialen Netzwerken. Sie sind fähig, bei der Eingliederung zu helfen sowie Arbeits- und Freizeitangebote zu schaffen, die das Zusammenleben stärken und die Lebensqualität fördern. Sie sind Fachpersonen für die Mitgestaltung sozialer Räume. In der Öffentlichkeit schaffen sie Verständnis für die Situation benachteiligter Menschen.»

Das Studium Soziale Arbeit. Zürich: Fachkonferenz Soziale Arbeit. www.sassa.ch

«Kinderbetreuer und Kinderbetreuerinnen übernehmen die Betreuung und Pflege von Säuglingen und Kleinkindern in Kinderheimen, Kinderhorten und Kindertagesstätten. Sie fördern die anvertrauten Kinder in der emotionalen, sozialen und geistigen Entwicklung. Die Betreuenden beschäftigen sich in vielfacher Weise mit den Kindern, z. B. sprechen und spielen sie mit ihnen und regen sie zu eigener Tätigkeit an. Außerdem fördern sie die Bewegungsentfaltung der Kinder, singen und basteln mit ihnen und führen sie zur Selbstständigkeit»

Kinderbetreuer/Kinderbetreuerin Südtirol.

Bozen: Südtiroler Landesverwaltung 2018

«Die Lehrperson ist verantwortlich – für eine fachgerechte Unterrichtsführung und Lernbegleitung (gemeint sind insbesondere angemessene Lernaufgaben und Fördermassnahmen), – für eine nachvollziehbare Beurteilung der Schülerinnen und Schüler, – für die Professionalität der Beziehungsgestaltung in ihrem Zuständigkeitsbereich (z. B. bezüglich der Regeln in der Klasse, der Abmachungen mit den Eltern), – für den Schutz der Integrität der Kinder und die Erfüllung der gesetzlichen Fürsorgepflichten (Kindesschutz), – für ihre Mitwirkung in der geleiteten Schule (vor allem bezüglich der schulinternen Vereinbarungen), – für ihre persönliche Weiterbildung.»

Der Berufsauftrag der Lehrerinnen und Lehrer.

Zürich: LCH 2014

«Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.»

(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte.

Deutsche Bundesärztekammer: 2018

«Das Berufsbild der Physiotherapeutin, des Psychotherapeuten beinhaltet die Planung, Gestaltung und Durchführung des physiotherapeutischen Prozesses. (…) Maßgeblich entscheidend für den Behandlungserfolg sind darüber hinaus die soziale Kompetenz und das Einfühlungsvermögen der Physiotherapeutinnen und -Therapeuten.» Berufsprofil Diplomierte/-r Physiotherapeut/-in.

Wien: Physio Austria 2004

«Der Polizist, die Polizistin kommuniziert mit verschiedenen Interaktionspartnern situationsgerecht und führt schwierige Gespräche sachlich und zielorientiert, ist sich möglicher Wirkungen der nonverbalen Kommunikation sowie der Subjektivität der Wahrnehmung bewusst und berücksichtigt diese Aspekte in seinem Verhalten, um Konflikte oder Eskalationen möglichst zu vermeiden, lotet die eigene Belastungsgrenze aus und ist in der Lage, die kurzfristigen Stressreaktionen der typischen Belastungen im Polizeiberuf bei sich und anderen mittels zweckmässiger Strategien stressreduzierend anzugehen, erkennt und analysiert Konflikte oder konfliktträchtige Situationen und geht bei konfliktbeladenen Konstellationen deeskalierend vor, (…) geht auf Menschen in verschiedensten Situationen und kulturellen Hintergründen mit der nötigen Empathie ein.» Rahmenlehrplan für Polizist/Polizistin.

Neuchâtel: Paritätische Kommission 2014

Komplexität im Berufsalltag

Die Beispiele zeigen, dass in personenbezogenen Berufen eine hohe situative Flexibilität gefragt ist. Die Komplexität im Berufsalltag zeigt sich in folgenden Merkmalen.4

–Multidimensionalität

Neben dem direkten Klientenkontakt müssen immer auch das soziale Umfeld, ökonomische Bedingungen, Lebensumstände, Biografie, persönliche Ressourcen und Werthaltungen mitberücksichtigt werden.

–Gleichzeitigkeit

In der Arbeitssituation muss oft auf gleichzeitig stattfindende Ereignisse und Bedürfnisse eingegangen werden.

–Unaufschiebbarkeit

Reaktionen auf Geschehnisse müssen meist unmittelbar erfolgen und können zeitlich nicht aufgeschoben und extemporalisiert werden.

–Kontext- und Situationsorientierung

Interventionen berücksichtigen das aktuelle Geschehen im Umfeld und die persönliche Situation der Beteiligten.

–Unvorhersehbarkeit

Situativ eintretende Ereignisse mit Klientinnen und Klienten sind meist nicht planbar und oft überraschend.

–Relevanz für die Zukunft

Berufliches Handeln hat in Situationen mit kurzen Reaktionszeiten oftmals Auswirkungen auf die weitere Zusammenarbeit und Entwicklung.

Aus den Anforderungen der Berufsbilder und den für personenbezogene Berufe typischen Merkmalen wird deutlich, dass core practices5 und somit wesentliche Teile der beruflichen Handlungskompetenzen vor allem in konkreten Praxissituationen erlernt werden können. Dafür sind Ausbildungsmethoden nötig, welche auf wesentliche Berufssituationen fokussieren und die Studierenden reflektierend teilnehmen lassen.

Der erfolgreiche Umgang mit veränderlichen Kontextbedingungen und der Bezug zu den Klientinnen und Klienten erhöhen die Qualität der beruflichen Tätigkeit.

Von der Kompetenz zur Performanz

Berufliche Kompetenz ist zuerst einmal ein Potenzial und zeigt sich erst in der Umsetzung. Kompetentes berufliches Handeln setzt bei der Fachperson ausreichend Wissen, Können und Wollen voraus.6 Kompetenzen sind somit persönliche, im Team sowie auch im Umfeld verfügbare Ressourcen, Wissenskonstrukte, Fertigkeiten und Fähigkeiten, um bestimmte Herausforderungen performativ zu lösen. Dieser Pool an Handlungsmöglichkeiten muss in personenbezogenen Berufen in sich immer wieder verändernden Situationen adaptiv genutzt werden. Erst in der jeweiligen beruflichen Handlung und Situation wird ein Teil der verfügbaren beruflichen Kompetenz einer Fachperson oder eines Teams als Performanz und Handlungskompetenz beobachtbar und erkennbar.7

Welche Überlegungen die Handlungen leiten, ist in der Performanz nicht immer offenkundig. Erst Einblicke in die Vorbereitungen und Planungen, das nachträgliche Reflektieren sowie das Kommentieren einer beruflichen Situation im Moment machen die der Performanz zu Grunde liegenden situationsspezifisch angewendeten Kompetenzen nachvollziehbar.


Abbildung 1: Performanz als situativ realisierte berufliche Kompetenz

Performanz ist ein situativ realisiertes Ergebnis. Performative Ereignisse wirken immer auch zurück auf die Organisation, die Ressourcenbereitstellung, das Wissen, das Kompetenzenreservoir und den Habitus eines Teams oder einzelner Fachpersonen.

Ausbildung eines beruflichen Habitus

Aufbauend auf dem individuellen und gemeinsamen Ressourcenpool von Fachpersonen, von Teams sowie Organisationen und weiter angereichert durch erworbenes Wissen und reflektierte Erfahrungen aus immer wieder neuen Berufssituationen, bildet sich der spezifische Habitus von Fachpersonen und Berufsgruppen.8 Der Habitus zeigt sich in einer von aussen identifizierbaren Art, wie die berufliche Rolle verstanden, ausgefüllt und realisiert wird. Für Lernende sind Teilnahme und Beobachtung im beruflichen Kontext sowie Reflexionsmöglichkeiten mit Berufsangehörigen für die eigene berufliche Identitätsentwicklung wesentlich.

Der Einblick in die handlungsleitenden Überlegungen während dem performativen beruflichen Akt ermöglicht den Lernenden Zugänge zu einem Teil der für sie beim Beobachten sonst unsichtbar bleibenden beruflichen Kompetenzen.

Berufsgeheimnisse und Gelingensbedingungen

Situativ angewendetes berufliches Wissen und berufliche Erfahrung bleiben Berufsgeheimnisse, wenn dieses Know-how für Lernende verborgen bleibt. Damit Klientinnen und Klienten nicht zum Objekt von Erklärungen werden, geschieht dies bisher meist vor und nach der gemeinsam erlebten Situation in analysierenden und planenden Vorbereitungen sowie in reflexiven Auswertungsgesprächen im Sinne der reflection on action.9 Mit der Methode Modeling mit MetaLog steht eine neue Möglichkeit zur Verfügung, um mit reflection in action bereits während der beruflichen Tätigkeit in Anwesenheit von Klienten die Transparenz des beruflichen Tuns zu erhöhen.

Berufsgeheimnisse in der Arbeitssituation

In der konkreten Situation sind oftmals kleine, aber wesentliche Details für das Gelingen entscheidend. Bereits in zeitlich kurzen und scheinbar unspektakulären Situationen wird enorm viel berufliches Know-how angewendet, das weit über die im Voraus planbaren Aktionen hinausgeht. Oft geschieht eine konkrete Intervention routiniert und ritualisiert, teilweise aber auch unbewusst. Bekannt sind diese Formen von eingesetztem Wissen in Routinesituationen als knowing in action, embodied knowledge und tacit knowledge.10 Was, wie, wozu und wann jeweils welche beruflichen Tätigkeiten ausgeführt werden, bleibt den Beobachtenden einer beruflichen Situation verborgen, auch dann, wenn es den Akteuren selbst bewusst ist. Die situativen Gelingensbedingungen sind aber entscheidend für den Erfolg, auch wenn sie nicht Anspruch auf allgemeine Gültigkeit haben.

«Praxisausbildende in Sozialer Arbeit erhalten mit der Methode Modeling mit MetaLog ein Werkzeug, das ihnen Orientierung und Klarheit gibt, wie sie in beruflichen Situationen die Anleitung von Auszubildenden aktiv gestalten können.»

Santino Güntert,

Dozent Soziale Arbeit

Wenn Lernende Berufssituationen ohne Ausführungen, Erklärungen und Begründungen beobachten, eröffnet sich ihnen ein grosser Interpretationsspielraum mit möglichen Missverständnissen. Für Studierende ist es bedeutsam zu wissen, aus welchen Gründen welche im Voraus überlegten oder situativ in einer bestimmten Situation getroffenen Entscheidungen umgesetzt werden und welche Faktoren die Chancen für eine möglichst gut gelingende berufliche Herausforderung erhöhen.

«Das Potenzial von Modeling mit MetaLog liegt für mich in der Verbindung verschiedener Reflexions- und Handlungsebenen.»

Klaus Müller,

Dozent Gesundheit und Soziale Arbeit


Abbildung 2: Offengelegte Berufsgeheimnisse sind der Schlüssel für berufliches Lernen (Werbung Appenzeller Käse, zvg Contexta AG)

Analysieren von beruflichen Situationen

Berufliche Situationen mit Klienten laufen meist in drei Phasen ab: Vor der Situation – in der Situation – nach der Situation. Die Planungen und Ideen zu möglichen Abläufen werden während der Umsetzung laufend situativ angepasst. Nach der beruflichen Sequenz können die Erfahrungen nochmals analysiert und mit Learnings weitergenutzt werden.

Frageraster zur Planung von modellierten Sequenzen

Um die Planung von Sequenzen für beobachtende Studierende zu erleichtern, können die folgenden Fragen für die Analyse der Gelingensbedingungen hilfreich sein.

Vor der Situation planbare Aspekte

–Was weiss ich aus Analyse, Vorerfahrungen, Vorwissen? Was sind bisherige Erfahrungen mit den bekannten oder vergleichbaren Personen und Gruppen in ähnlichen Situationen? Auf welches berufliche Wissen beziehe ich mich?