ÖkoDharma

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Der Verlust des Heiligen

Ich habe bereits erwähnt, dass unsere gegenwärtige Beziehung zur Natur – sie als Mittel für andere Zwecke auszubeuten – wegen unserer besonders leistungsfähigen Technologien, des explosiven Bevölkerungswachstums und der Notwendigkeit unseres Wirtschaftssystems, dauerhaft zu wachsen, einzigartig ist. Wir missbrauchen die Erde auf die Art und Weise, wie wir es tun, weil die vorherrschende Auffassung der Natur diesen Missbrauch mit Vernunft begründet. Unser Verständnis davon, was die Welt ist und wer wir sind, fördert eine Besessenheit, mit der Wirtschaftswachstum und Konsum unabhängig vom ökologischen Preis vorangetrieben werden.

Selbstverständlich müssen wir die natürlichen Ressourcen, die die Welt bietet, nutzen, um zu überleben und uns zu entfalten – das tut auch jede andere Gattung, so gut sie kann. Das Ironische dabei aber ist, dass sich die Menschheit von der Natur getrennt fühlt, obwohl wir vollkommen von ihr abhängig sind. In unserem Glauben, die besondere Gattung zu sein, haben wir die Welt zu einer Außenwelt versachlicht, »in der« wir uns zufälligerweise befinden. Bedenken wir dagegen die Perspektive der meisten indigenen Traditionen. Viele bekunden den von ihnen gejagten Tieren ihre Dankbarkeit dafür, dass sie sich fangen und essen lassen. Einer Salish-Legende zufolge kommen Lachse beispielsweise absichtlich in die Welt der Menschen, um ihren Körper als Nahrung anzubieten. »Lachse sind selbst eine stolze Rasse. Sie sind glücklich, jedes Jahr an Land zu kommen und ihr reiches Fleisch zu geben, um die Menschen zu ernähren. Aber sie müssen mit Respekt behandelt werden.« (Donna Joe: Salmon Boy) Mit dieser Gabe ist unweigerlich eine Verantwortung verbunden: nicht mehr zu nehmen als nötig. Unsere heutige Marktwirtschaft aber kennt keine solchen Beschränkungen, denn jede Vorstellung von einer gegenseitigen Beziehung mit nichtmenschlichen Wesen ist ein überholter Mythos, dem wir uns entwachsen glauben.

Es ist kein Zufall, dass sich die ökologische Krise zu dieser Zeit entwickelt hat, in einer modernen Welt, die im Hinblick auf wirtschaftliche Aktivitäten entschieden säkular ist: weltlich, areligiös, materialistisch. Viele Menschen nehmen eine solche Säkularität als selbstverständlich hin. Sie gehen davon aus, dass, wenn Aberglauben erst einmal beseitigt ist, die moderne säkulare Sicht die Welt genauso erfasst, wie sie wirklich ist. Aber Säkularität ist nicht einfach die Alltagswelt, in der wir tatsächlich leben. Sie ist ein historisch bedingtes Verständnis davon, wo und was wir sind – eine Weltanschauung, die kontrovers wird, sobald wir uns mit ihren Ursprüngen und Auswirkungen befassen.

Die säkulare Welt, in der wir heutzutage zu leben meinen, war ursprünglich die eine Hälfte einer zweiteiligen Ganzheit, und sie wird heute noch vom Verlust ihrer anderen Hälfte verfolgt. Die Moderne entwickelte sich aus einer Spaltung zwischen der Transzendenz Gottes und einer entspiritualisierten, materiellen Welt. Bis in die Neuzeit glaubte man, dass Gott die Quelle von Sinn und Nutzen sei. Und als Gott schließlich oben im Himmel verschwand, blieb es uns überlassen, so gut wie möglich mit dem zurechtzukommen, was übrigblieb: einem entheiligten, mechanistischen Universum.

Zu Beginn der Renaissance verstanden die Europäer die Erde und ihre Geschöpfe noch im Rahmen eines organischen und hierarchischen Weltbildes. Alles, einschließlich der menschlichen Gesellschaft, hatte seinen zugewiesenen Platz in einem gestaffelten Kosmos, der von Gott geschaffen und getragen wurde. »Naturphilosophie«, eine alte Bezeichnung für die Naturwissenschaften, war das Streben nach dem Verständnis des Wirkens Gottes in der natürlichen Welt. Wie offenbart die Natur Gottes Geist und Willen? Wie verkörpern ihre Wesen Gottes »Signatur«? Und vor allem, was sagt dieses Verständnis der Welt über unsere Rolle in ihr, über den Sinn unseres Lebens? Man beachte, dass diese spirituelle Perspektive Tatsachen nicht von Werten trennt. Die Suche nach dem, was ist, wurde nicht von unserem existenziellen Bedürfnis unterschieden zu bestimmen, wie wir (als Teil dessen, was ist) leben sollten. In Gottes kosmischem Plan waren sie nondual.

Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert brachen dieses mittelalterliche Weltbild und seine tragenden Institutionen zusammen. Das führte zu einer enormen Beunruhigung. Es war, als hätte man allen den Boden unter den Füßen weggezogen: der Religion (die Reformation), der Regierung (weitverbreitete Aufstände und Revolutionen), dem Krieg (Schießpulver führte zu aggressiverer Kriegsführung), der Wirtschaft (neue Wirtschaftsorganisationen wie Konzerne und die Entdeckung neuer Länder), der Wissenschaft (Zusammenbruch des Aristotelismus) und nicht zuletzt der Natur selbst (eine außergewöhnliche Anzahl von Naturkatastrophen – schlechtes Wetter, schlechte Ernten, Hungersnöte, Plagen, die zu Unruhen, Kriminalität und anderem führten).

Die alte Ordnung lag im Sterben, und niemand wusste, welche neue Ordnung sie, wenn überhaupt, ersetzen würde. Die Hauptmerkmale unserer modernen Welt – einschließlich des Nationalstaates, des Kapitalismus und der mechanistischen Wissenschaft – entwickelten und verbanden sich während des Chaos jener beiden Jahrhunderte.

Diese Krise wurde in großen Teilen auch von der protestantischen Reformation ausgelöst. Luther und Calvin beseitigten das vielschichtige Netz der Vermittlung (durch Sakramente, Priester, Ikonen, Feiertage, Mönchtum, Pilgerfahrten und so weiter) zwischen Gott und dieser Welt – ein Netzwerk, das im Ergebnis die heilige Dimension dieser Welt konstruiert hatte. Für die protestantischen Gläubigen verloren Mysterium und Wunder an Bedeutung, und so war die Tür geöffnet für die materiellen Erklärungen der Wissenschaft und die materialistischen Anliegen des Kapitalismus. In Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft beschreibt Peter Berger diese aufkommende Weltsicht als eine, in der »die Realität zwischen einer radikal transzendenten Gottheit und einer radikal ›gefallenen‹ Menschheit, die keine heiligen Qualitäten hat, polarisiert ist. Dazwischen liegt ein ganz und gar ›natürliches‹ Universum, ohne Zweifel Gottes Schöpfung, aber in sich selbst jeder Numinosität beraubt.« Das Ergebnis dieses komplexen historischen Prozesses (den ich hier natürlich sehr vereinfacht skizziere) ist, dass Religion in einem wichtigen Sinne privatisiert wurde. Gott wurde zunehmend verstanden als weit über den schmutzigen Angelegenheiten dieser korrupten Welt weilend, aber ebenso tief im Herzen jedes Menschen wohnend. Gott wurde nach oben befördert, und zwar sogar dann, als das Prinzip einer direkten und persönlichen Beziehung zu Gott legitim wurde. »Jeder Mensch ist sein eigener Priester«, erklärte Luther. Aber wo Gott so gut wie nicht mehr weilte, waren unsere politischen und wirtschaftlichen Institutionen sowie der Natur. Wie der Theologe Dan Maguire es in Ethics for a Small Planet formuliert: »Die Erfahrung des Heiligen auf einen immateriellen Gott zu projizieren bedeutet, die Heiligkeit als eine Dimension des materiellen Lebens zu unterschlagen und sie zu einem Objekt der Anbetung zu machen, das unsere Welt übersteigt und daher dem Leben fremd ist.« Und das auch jenseits der Ökosysteme der Erde liegt.

Trotzdem waren die frühen Wissenschaftler, die im Wesentlichen für diese neue Weltanschauung verantwortlich sind – Kopernikus, Galileo, Kepler, Newton – auch zutiefst religiös und verstanden diese Welt in Beziehung zu einer höheren. Sie alle glaubten noch an einen Schöpfer, wenn auch an einen, der sich immer weiter entfernte. Sie schufen ein neues Paradigma: Gott regiert das Universum nicht durch eine Hierarchie spiritueller Untergebener, sondern durch ein rationales System »verborgener Gesetze«. Wir verwenden dasselbe Wort für die von einer Legislative verabschiedeten Gesetze und für die Naturgesetze, weil die Architekten der modernen Anschauung glaubten, dass auch die Naturgesetze von Gott bestimmt sind. Während die mittelalterliche Weltanschauung den Einfluss Gottes durch Vertreter*innen (zum Beispiel Engel) mit einem unterschiedlichen Grad an Seligkeit und Macht sah, war der große Vermesser nicht mit der gefallenen Welt gleichzusetzen, über die er aus der Ferne unpersönlich regierte. Wie der Astronom Johannes Kepler schrieb: »Mein Ziel ist es zu zeigen, dass die Himmelsmaschine nicht mit einem göttlichen Organismus, sondern mit einem Uhrwerk zu vergleichen ist.« Und nachdem Gott dieses Uhrwerk aufgezogen hatte, war er nicht mehr nötig, um es am Laufen zu halten.

Da Gott die letzte Quelle alles Guten war, war dies auch der Ursprung einer immer schärferen Spaltung zwischen Tatsachen und Werten. Indem das Göttliche allmählich im Himmel verschwand, wurde die von ihm hinterlassene materielle Welt langsam aber sicher entwertet. Das hat neue spannende Möglichkeiten eröffnet. Diejenigen, die Gottes verborgene Gesetze begriffen, konnten sie dazu verwenden, die Natur für ihre eigenen Zwecke zu manipulieren. Doch es gab auch eine Kehrseite. »Der Prozess der Mechanisierung des Weltbildes entfernte jegliche Kontrolle über die Ausbeutung der Umwelt, welche ein inhärenter Teil der organischen Auffassung war, dass die Natur lebendig und empfindlich sei und auf menschliches Handeln reagiere.« (Carolyn Merchant) Der Weg, der in unsere ökologische Krise geführt hat, war damit vorgezeichnet.

Für die protestantischen Reformatoren war das säkulare Leben in dieser Welt eine Vorbereitung auf unsere letztendliche Bestimmung: die Ewigkeit mit Gott an einem besseren Ort. Die Verflüchtigung dieser heiligen Dimension – Gott als Garant für den Sinn des Lebens und die Möglichkeit der Erlösung – hat uns mit nichts anderem als der säkularen Dimension zurückgelassen. Dem modernen Bewusstsein wurde seine spirituelle Orientierung geraubt, welche die Reformation ursprünglich gefördert hatte.

 

Mit Darwin wurde der Übergang zu einer säkularen Ethik abgeschlossen. Darwin widerlegte das »Argument vom Entwurf«, den letzten verbliebenen Beweis für die Existenz Gottes. Da die Evolution durch natürliche Auslese keinen Gott braucht, um sie zu lenken, war keine allmächtige Instanz mehr notwendig, um die außerordentlich komplexen Organismen zu erschaffen, die das Netz des Lebens bilden, einschließlich der Menschen. Tatsächlich brauchte die neue säkulare Welt überhaupt keinen Gott mehr.

Dieser letzte, von Darwin bewirkte Schlag ließ den modernen Westen wohl oder übel in einer mechanistischen und entheiligten Welt stranden, ohne einen verbindlichen Moralkodex, um die Beziehungen zwischen den Menschen zu regeln. Das neue säkulare Universum wird von unpersönlichen physikalischen Gesetzen regiert und ist unserem Schicksal gegenüber gleichgültig. Der Tod ist nicht länger ein Tor zu einer anderen Realität, sondern lediglich das Ende dieser Realität. Als Einzelpersonen glauben wir vielleicht nicht daran oder fühlen uns persönlich nicht von den Folgen eingeschränkt, aber die Säkularisierung prägt unsere wirtschaftlichen, politischen und pädagogischen Einrichtungen durch und durch. Diese moderne Mentalität breitet sich zunehmend auch über den Westen hinaus aus und bestimmt so das soziale Umfeld, in dem Menschen auf der ganzen Welt leben und handeln müssen.

Obwohl Darwin selbst von den religiösen Implikationen seiner Arbeit beunruhigt war, wurde seine Theorie bald herangezogen, um die rationale Begründung für eine neue Sozialethik zu liefern: Auch das menschliche Leben ist ein Kampf, in dem nur die Stärksten überleben und sich entfalten. Dadurch wurden die rücksichtslosesten Formen wirtschaftlichen und politischen Wettbewerbs gerechtfertigt, wie die jüngste Geschichte zeigt.

Wenn die Menschheit zudem nur das zufällige Resultat einer genetischen Mutation ist und wir keine besondere Rolle in einem bedeutungslosen mechanistischen Kosmos zu spielen haben, was gibt es dann noch zu tun, außer unsere materiellen Möglichkeiten zu genießen, so gut wir können, solange wir können …, wenn wir können? Das wiederum führt zu einer kollektiven Beschäftigung mit ständig wachsender Produktion und steigendem Konsum im Wettbewerb mit anderen, die auf die gleichen Ressourcen und Möglichkeiten zugreifen wollen wie wir.

Dieses Verständnis davon, wer und was wir sind, ist der Teil des Eisbergs, der unter Wasser ist. Wir nehmen diese Sicht gewöhnlich als selbstverständlich hin – so ist die Welt eben –, anstatt sie als eine Sichtweise zu betrachten, die immer bedenklicher geworden ist. Viele vormoderne Zivilisationen mit unterschiedlichen Weltanschauungen haben ihre eigenen ökologischen Zusammenbrüche erlebt, die manchmal auf die Erschöpfung von natürlichen Ressourcen zurückzuführen waren (siehe Jared Diamonds Buch Kollaps für einige historische Beispiele). Heute ist jedoch klar, dass das mechanistische Verständnis einer verdinglichten Natur, zu der wir keine innige Beziehung haben und für die wir daher keine Verantwortung tragen, ein wichtiger Teil der ökologischen Krise ist. Insofern muss das Infragestellen dieser Weltanschauung auch Teil der Lösung sein.

Der Buddhismus hat seinen Ursprung in Asien und entwickelte sich in sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten, sodass seine Sichtweisen nicht ganz sauber in diese Geschichte passen. Die buddhistischen Lehren vertreten weder einen Schöpfergott vom Typ der abrahamitischen Tradition noch stehen ihre traditionellen Weltanschauungen in Übereinstimmung mit den atheistischen oder agnostischen Alternativen der säkularen Moderne. Die im nächsten Kapitel angebotene buddhistische Herangehensweise ist vielmehr vereinbar mit jenen alternativen Perspektiven, die den säkularen Materialismus in Frage stellen, ohne dabei zwangsläufig die Rückkehr zur Idee eines transzendenten Mechanismus zu befürworten.

Nach dem vorherrschenden säkularen Paradigma ist die biologische Evolution das Ergebnis physikalischer Prozesse, die nach unpersönlichen Gesetzen ablaufen. Es ist ein mechanistisches Modell. Aber was wäre, wenn wir, anstatt die Biologie auf die Physik zu reduzieren und den Kosmos als Maschine zu betrachten, versuchen würden, das physikalische Universum nach Maßgabe eines biologischen Modells zu verstehen – also als lebendig? Wie schon Joseph Campbell bemerkt hat: »Wenn man die Welt ändern will, muss man die Metapher ändern.«

Tatsächlich wirft ein mechanistisches Modell ein grundlegendes Problem auf. Eine Maschine setzt einen Maschinenhersteller voraus: jemanden, der sie entwirft und konstruiert. Ein maschinenartiger Kosmos war sinnvoll, solange das Universum als von Gott nach seinem eigenen Plan und seinen eigenen Absichten geschaffen verstanden wurde. In dieser Weise verstanden die Begründer der modernen Wissenschaft – Galileo, Kepler, Descartes, Newton und andere – auch die Naturgesetze. Ohne Schöpfer aber ist eine mechanische Metapher nicht wirklich sinnvoll. Welche anderen Modelle sind also möglich? Da das Universum fortwährend neue und komplexere Strukturen entwickelt, wäre es vielleicht besser als ein Organismus zu verstehen?

Diese verschiedenen Metaphern haben sehr unterschiedliche Folgen. Maschinen können in ihre Bestandteile zerlegt und gereinigt werden, und nach dem erneuten Zusammenbauen funktionieren sie besser denn je – aber versuchen Sie das nicht mit einem Tier! Das liegt daran, dass die verschiedenen Teile eines Mechanismus an sich leblos sind, während ein Organismus lebendig ist. Und die Bestandteile eines Organismus werden besser als Organe verstanden.

Dies entspricht dem Netz Indras, einer Metapher des Mahayana, bei der der Kosmos als multidimensionales Netz mit einem Juwel an jedem Knoten gesehen wird. Jedes dieser Juwelen spiegelt alle anderen wider, und jede dieser Reflexionen spiegelt alle anderen Reflexionen wider, ad infinitum. Francis Cook erklärt in Hua-Yen-Buddhism, dass das Netz Indras »ein Symbol für einen Kosmos darstellt, in dem es eine unendlich sich wiederholende Wechselbeziehung zwischen allen Mitgliedern des Kosmos gibt«. Da die Gesamtheit ein riesiger Körper aus Gliedern ist, von denen jedes alle anderen erhält und definiert, »ist der Kosmos, kurz gesagt, ein sich selbst erschaffender, sich selbst erhaltender und sich selbst definierender Organismus«. In der Sprache der Biologie ist ein solcher Kosmos selbstorganisierend.

Wenn der Kosmos ein sich selbst organisierender Organismus ist, dann ist vielleicht auch die Erde mehr als ein Ort, an dem wir uns zufällig aufhalten, und mehr als eine Quelle von Ressourcen, die wir nach Belieben ausbeuten können. Bedeutet das auch, dass unsere Gattung mehr als das Zufallsprodukt einer willkürlichen genetischen Mutation ist? Ein Organ ist eine Ansammlung von Geweben, die eine strukturelle Einheit bilden, die wiederum eine bestimmte Funktion innerhalb des größeren Organismus hat. Ist der Mensch ein Organ innerhalb des großen Organismus? Und wenn ja, was ist unsere Funktion?

Wir werden auf diese Fragen zurückkommen.

Eine spirituelle Krise

Dieses Kapitel hat erörtert, dass die Klimakrise, auch wenn sie so dringlich erscheint, nur Teil einer viel größeren Herausforderung ist. Die meisten, wenn nicht sogar alle der erwähnten Funktionsstörungen stehen im Zusammenhang mit einer fragwürdigen mechanistischen Weltsicht, die die natürliche Welt ungehindert ausbeutet, weil sie der Natur keinen Wert an sich beimisst – ebenso wenig uns Menschen, denn das vorherrschende materialistische Verständnis betrachtet auch den Menschen lediglich als eine komplexe Maschine.

Diese umfassendere Betrachtungsweise impliziert, dass wir etwas mehr haben als lediglich ein technologisches, ein wirtschaftliches, ein politisches oder ein weltanschauliches Problem. Die moderne Zivilisation ist selbstzerstörerisch, weil sie sich verirrt hat. Man kann auch sagen: Die Menschheit erlebt eine kollektive spirituelle Krise.

Die traditionellen buddhistischen Lehren beschreiben unser grundlegendes Problem in individueller Hinsicht. Mein dukkha (Leiden) ist auf mein eigenes Karma, mein Begehren und meine Unwissenheit zurückzuführen, und deshalb führt auch ein individueller Weg zu ihrer Auflösung. Die Idee einer zivilisatorischen Krise – kollektives, institutionalisiertes dukkha, das auch gemeinschaftlich angegangen werden muss – ist für den Buddhismus etwas Neues, aber angesichts unserer prekären Situation dennoch Unvermeidliches. Es ist eine spirituelle Herausforderung, vor der wir stehen, denn sie geht bis zu den Wurzeln unseres Weltverständnisses, einschließlich der Frage nach unserem Platz und unserer Rolle in dieser Welt. Ist die ökologische Krise die Art, wie die Erde uns mitteilt: »Wacht auf oder tragt die Konsequenzen«?

Wenn dem so ist, können wir nicht erwarten, dass das, was wir suchen, durch eine technologische, eine wirtschaftliche, eine politische Lösung oder eine neue wissenschaftliche Weltanschauung erreicht werden kann, weder einzeln noch gemeinsam mit allen. Wie auch immer der weitere Weg aussehen mag, er muss diese Beiträge mit Sicherheit einbeziehen. Doch es ist noch mehr erforderlich.

Und hier hat der Buddhismus etwas Wichtiges anzubieten. Doch die ökologische Krise ist auch eine Krise dessen, wie wir den Buddhismus heutzutage verstehen und praktizieren. Dieser muss seine wesentliche Botschaft klären, wenn er sein befreiendes Potenzial in unserer modernen, säkularen, gefährdeten Welt erfüllen soll.

Muss der Buddhismus selbst erwachen?

Wir alle gehen bei derselben Meisterin in die Lehre, mit der die religiösen Institutionen ursprünglich gearbeitet haben: der Wirklichkeit.

Gary Snyder

Vielleicht ist eine große Institution in einem sehr realen Sinne das Grab ihres Gründers. … Es scheint, dass die meisten Organisationen als Körperschaften für die schmerzlose Auslöschung der Ideen ihrer Gründer gegründet werden.

Albert Guerard

Die Erde kann dem Himmel nicht entfliehen: sie fliehe auf oder nieder, der Himmel fliesst in sie und drückt seine Kraft in sie und macht sie fruchtbar, es sei ihr lieb oder leid.

Meister Eckhart

Ohne Schmerzen wird man nicht vollkommen menschlich.

Rollo Mai

Wer hervorbringt, was in ihm ist, wird durch das gerettet, was er hervorbringt. Wer nicht hervorbringt, was in ihm ist, wird durch das zerstört, was er nicht hervorbringt.

Jesus im Thomasevangelium

Wer wirklich entsagt, verschmilzt tatsächlich mit der Welt und dehnt seine Liebe aus, um die gesamte Welt zu umarmen … Du wirst fühlen, dass die ganze Welt dein Zuhause ist.

Ramana Maharshi

Weisheit sagt: »Ich bin nichts.« Liebe sagt: »Ich bin alles.« Zwischen diesen beiden fließt mein Leben.

Nisargadatta

Wenn du weißt, wer du bist, dann kannst du von Nutzen sein.

Linji

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