Buch lesen: «Game - Stephanie und Chase»
GAME
Stephanie & Chase
Gentry Boys 3
Cora Brent
© 2020 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt
© Übersetzung Martina Campbell
© Covergestaltung Andrea Gunschera
© Originalausgabe Cora Brent 2014
ISBN Taschenbuch: 9783864439384
ISBN eBook-mobi: 9783864439391
ISBN eBook-epub: 9783864439407
Für meinen Mann, meinen besten Freund. Ohne dich hätte ich nie eine Liebesgeschichte erzählen können. Denn ohne dich hätte ich nie verstanden, was Liebe bedeutet.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Die Autorin
Kapitel 1
Stephanie
Ich versuchte, den Hals zu recken, um den Fernseher über der Bar zu sehen, doch eine Menge Betrunkene mit ihren dicken Köpfen waren im Weg. Ich seufzte und starrte in mein Champagnerglas. Normalerweise wurde beim Baseball nicht sehr viel gewettet, doch das hier war das sechste Spiel der National League Championship Serie der Cubs gegen die Dodgers. Die Leute wurden emotional, wenn die chronischen Außenseiter namens Cubs dabei waren. Und Emotionen führten zu übereilten Entscheidungen, und das wiederum zu leeren Taschen. Würde ich immer noch Wetten annehmen, hätte ich heute viel zu tun.
Doch das tat ich nicht mehr.
Nach dem Mist, der letzten Monat passiert war, traute ich mich nicht mehr. Niemand, besonders keine Frau, konnte ein illegales Wettbüro führen, ohne Nerven aus Stahl zu haben.
Nach der Zeremonie waren wir in einen kleinen Raum geführt worden, doch wir waren nur ungefähr fünfundzwanzig Gäste. Die Hochzeit war kurz, aber schön gewesen. Braut und Bräutigam hatten mir gefallen. Saylor war eine gute Freundin meiner Zimmergenossin Truly, doch in letzter Zeit waren wir oft genug zusammen, dass sie mich nach Las Vegas zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Ich hatte sie gefragt, warum sie nicht einfach in Arizona heiraten wollte.
Saylor hatte gelächelt. „Das wird die größte Party, die ich je haben werde. Also muss sie auch die schönste werden.“
Seltsamerweise ergab das für mich einen Sinn. Dennoch wäre ich nicht hier, hätte Truly mich nicht mitgeschleppt.
Auch wenn ich bezweifelte, dass dieses ganze bis dass der Tod euch scheidet für jeden bestimmt war, musste ich über Saylor und Cord Gentry lächeln. Es war schwer, es nicht zu tun. Ich nippte an meinem Champagner und beobachtete die beiden. Saylor strahlte in ihrem weißen Kleid. Ihr langes braunes Haar hing ihr über den Rücken. Unbewusst strich sie sich ständig über die kleine Wölbung ihres Bauches und Cord hielt sie besitzergreifend immer dicht neben sich. Ihre Geschichte hatte ich nur stückchenweise gehört und war nicht neugierig genug, um nachzufragen. Sie kannten sich schon als Kinder und sie konnte ihn lange Zeit nicht ausstehen. Anscheinend war er in seiner Jugend recht anstrengend gewesen. Das galt für alle drei Gentry-Jungs.
Ich wusste, dass Cord und seine Brüder Drillinge waren, doch wohl keine eineiigen, denn ich konnte sie leicht auseinanderhalten. Alle drei waren groß, blond, mit kantigen Gesichtern und stark. Einer allein hätte gereicht, um allen Frauen im Umkreis die Höschen feucht werden zu lassen. Der optische Eindruck aller drei zusammen war geradezu umwerfend.
Cord hatte eine Menge Tattoos und schien der Beständigste von allen zu sein. Wenn er je ein Arschloch war, musste er sich inzwischen geändert haben, denn er wirkte absolut okay. Ich bildete mir etwas darauf ein, die Unterschiede zu erkennen. Creedence war Trulys Freund. Er war ein Monster an Kraft und hatte eisblaue Augen. Doch eins musste man über Creed sagen, er war kein gekünstelter Angeber. Er ackerte sich durchs Leben und es war ihm egal, ob man ihn mochte oder nicht. Als ich ihn zum ersten Mal traf, hielt ich ihn für einen Arsch, doch da hatte ich ihn mit seinem Bruder Chase verwechselt.
Chase Gentry.
Er saß am Nebentisch bei Creed und Truly, und ein Kellner brachte gerade die Steaks für die Gäste. Chase sah wieder zu mir herüber. Wir gingen in dieselben Psychologie-Vorlesungen, und als er feststellte, dass wir denselben Bekanntenkreis hatten, kam er immer öfter in meine Nähe. Wie bei einer Katze, die mit einem Ball spielt, hatten seine Annäherungsversuche etwas frech Verspieltes. Meistens endeten unsere Unterhaltungen abrupt und profan. Doch in Wahrheit fand ich Chase so gottverdammt heiß, dass ich Probleme hatte, ihn direkt anzusehen, ohne dabei mit einer Wimper zu zucken. Ich könnte schwören, dass der Kerl das genau wusste. Er war daran gewöhnt, dass sich ihm die Frauen reihenweise an den Hals warfen und er nur sein freches Grinsen zeigen musste, um zu bekommen, was er wollte.
Ich stellte das Glas ab und begann, mein Steak anzuschneiden. Hier fühlte ich mich total fehl am Platz. Außerdem wollte ich unbedingt das Spiel sehen, auch wenn ich nichts darauf gesetzt hatte. Es wäre besser, wenn ich vor dem Bildschirm auf und ab gehen oder es auf dem Handy verfolgen könnte. Es juckte mich in den Fingern, es hervorzuholen. Normalerweise wäre ich nur darauf konzentriert, doch es schien mir unpassend, auf einer Hochzeit vor elektronischen Geräten zu hängen. Ich beließ das Handy in der kleinen Handtasche, die mir Truly anstelle meines üblichen Rucksacks aufgezwungen hatte.
An meinem Tisch saßen Saylors Cousin Brayden und seine Freundin Millie. Sie gaben sich alle Mühe, sich bei mir beliebt zu machen.
„Also“, sagte Millie fröhlich, „fährst du oft nach New York zurück?“
Ich schüttelte den Kopf. Seit drei Jahren war ich nicht mehr dort gewesen. Es gab keinen Grund dafür. Robbie und meine Mutter waren tot. Mein Vater saß in einem abgelegenen Gefängnis. Und Michael und ich waren schon immer zerstritten gewesen. Ich wusste nicht einmal, wo er gerade war. „Ich fahre nie zurück.“
„Wie war das so?“, fragte Brayden beeindruckt. „In New York aufzuwachsen?“
„Auf Long Island“, sagte ich. „Das ist wie ein Vorort dreißig Meilen außerhalb der Stadt.“
Brayden nickte. „Aber bist du damals oft dort gewesen?“
„In der Stadt? Nicht wirklich. Vielleicht vier oder fünf Mal in der Kindheit.“ Immer wenn wir den Zug nach Manhattan nahmen, war es wie ein alternatives Universum voller Menschenmengen, Lärm und seltsamen Gerüchen. Meine Mutter hasste die Stadt. Sie sehnte sich nach dem Heim ihrer Kindheit in den Catskills. Doch sie liebte den Strand. Wenn ich an meine Mutter dachte, verband ich es immer mit der alten Jones Beach Strandpromenade.
Millie lehnte den Kopf an Braydens Schulter und lächelte, während ich halbherzig mein Essen aß. Die beiden waren wirklich liebe Leute. Bei ihnen hatte ich den Wunsch, mich doch ein bisschen anzustrengen.
„Wie lange seid ihr schon zusammen?“, fragte ich und hoffte, dass mein Ton freundlich genug war.
„Anderthalb Jahre“, antwortete Millie.
Sie war eine wirklich hübsche Frau. Zart gebaut mit glänzenden schwarzen Haaren und makelloser brauner Haut. Sie wirkte noch schöner, als sie zu Brayden aufsah. Ob die Liebe das immer mit den Menschen machte? Sie schöner wirken ließ?
Ich blickte zu Saylor, die strahlte, als sie sich auf die Zehenspitzen erhob und ihren frisch angetrauten Ehemann küsste.
Normalerweise trank ich keinen Alkohol, und sogar das bisschen Champagner machte mich leicht schwindelig. Das Gefühl war mir unangenehm. Ich behielt lieber meine Selbstkontrolle.
Ich checkte die Uhrzeit und dachte mir, dass ich wohl noch mindestens eine Stunde bleiben sollte, und unterhielt mich weiter mit Millie und Brayden. Irgendwann kam Saylor vorbei, umarmte ihren Cousin und sagte mir, wie froh sie war, dass ich gekommen sei. Ich lächelte und sagte, dass sie eine umwerfend schöne Braut war. Und das war keine Lüge.
Saylor sah an sich hinab und tätschelte ihren Bauch. „Das war keinen Moment zu früh. Noch eine Woche, und ich hätte nicht mehr in das Kleid gepasst.“
Millie legte ihre Hand auf Saylors Bauch. „Wie geht es dir?“
„Müde“, sagte sie und seufzte. „Aber gut.“ Saylor kicherte. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass es mehrere sind. Ich hätte es mir aber denken können.“
„Mehrere?“, fragte ich.
„Babys“, antwortete sie stolz. „Zwillinge.“
„Oh, wie schön.“ Ich kam mir blöd vor, denn ich wusste nichts über Schwangerschaften, Zwillinge oder sonst irgendwas über das Thema. Außerdem war mir unklar, wieso eine Zweiundzwanzigjährige unbedingt heiraten, Kinder kriegen und sich niederlassen wollte, doch Saylor schwebte im siebten Himmel. Ich nahm an, sie war einfach ein anderer Menschenschlag als ich.
Saylor lachte, riet mir zu einem weiteren Glas Champagner und ging weiter zu ihren anderen Gästen. Die meisten kannte ich nicht. Da war ein Mann um die vierzig, den jemand als Saylors Vater bezeichnet hatte, doch die schlecht gelaunte Blonde an seiner Seite schien nicht ihre Mutter zu sein. Sie wirkte alles andere als froh, hier zu sein. Cords Eltern hatten die Reise nicht angetreten, und von Truly wusste ich, dass die Beziehung zwischen den drei Jungs und ihren Eltern schlecht war. Der einzige weitere Gentry hier war ein Cousin namens Dreck oder Decker oder so ähnlich. Bei der Vorstellung hatte ich nicht wirklich aufgepasst. Er saß in einer Ecke und irgendeine Tussi tanzte über seinem Schoß.
Die anderen Gäste waren eine Mischung aus Cords Arbeitskollegen aus dem Tattoo-Studio, in dem er arbeitete, und ausgesuchten Freunden. Soweit ich es überblicken konnte, war ich die Einzige ohne Partner. Außer Chase. Und das wahrscheinlich nur, weil er sich gern alle Optionen offen hielt.
Apropos Chase. Mir fiel auf, dass er mich erneut ansah, als ich zum tausendsten Mal mit zusammengebissenen Zähnen mein Kleid justierte. Das verdammte Kleid erreichte ein ganz neues Level an Blamage. Als wir uns gestern zur Abreise fertigmachten, fragte mich Truly, wie zum Geier ich es schaffen wollte, ein Abendkleid in meinen Rucksack zu stopfen. Ich zuckte mit den Schultern und erklärte ihr, dass ich sowieso nur Jeans anziehen wollte. Schließlich war das Ganze nur ein kleiner Event im Excalibur, und keine VIP-Party im Bellagio. Daraufhin materialisierte sich ihr Südstaatenakzent, wie immer, wenn sie sauer war.
„Stephanie Bransky, ich verbiete dir, in Jeans zu dieser oder jeder anderen Hochzeit zu erscheinen.“
Dann ließ sie ihren Koffer fallen und eilte in ihr Zimmer. Ich hörte, wie sie ihren Schrank durchsuchte und dabei nicht gerade leise fluchte. Irgendwann tauchte sie mit einem dünnen himmelblauen Kleid auf und drückte es mir in die Hand.
„Das wirst du anziehen“, befahl sie, öffnete einen ihrer Koffer und legte es hinein.
„Wie soll das gehen?“ Ich schnaubte. „Sieh dir deine Figur an und dann meine. Ich müsste das Oberteil mit Socken ausstopfen, und dann würde kein Mensch die Braut ansehen, weil alle zu fasziniert von meinen dicken Implantaten wären.“
Truly runzelte kurz die Stirn und winkte dann ab. „Ach Quatsch. Ich nähe es etwas ein wenn wir dort sind.“
Das hatte sie versucht, doch es ging nicht, ohne das Kleid mühsam umzuschneidern. So etwas passierte eben, wenn man ein Kleid, das für eine Frau mit DD-Körbchen gedacht war, für eine anpassen wollte, die nicht mal an ihren aufgeblähtesten Tagen des Monats ein B-Körbchen ausfüllte. Truly war der Verzweiflung nah, als ich mich weigerte, meine Oberweite mit irgendwas auszustopfen. Am Ende ertrank ich geradezu in dem dämlichen Ding von der Taille an. Ich fühlte mich lächerlich, als ob ich das Abschlussballkleid meiner großen Schwester auftrug. Ich nahm an, dass Chase mich deswegen ständig ansah. Wahrscheinlich lachte er sich innerlich kaputt.
Nachdem Saylor zu den anderen Gästen weitergezogen war, fuhren Brayden und Millie fort, eine Unterhaltung mit mir zu versuchen. Mir wurde klar, dass sie mir damit einen Gefallen taten, denn ohne sie hätte ich hier einsam und allein für alle sichtbar herumgesessen und mich unwohl gefühlt. Dennoch behielt ich die Zeit im Auge und fragte mich, wie lange ich noch bleiben musste, bevor ich auf mein Zimmer verschwinden konnte.
Truly setzte sich neben mich. „Denk nicht mal daran.“
Sie lächelte mich breit an. Ihr dichtes schwarzes Haar war glamourös gestylt und umgab ihr herzförmiges Gesicht wie eine Wolke. Das dunkelgrüne Kleid hatte sie sich selbst genäht. Eine Woche lang hatte sie daran geschneidert. Truly war von der Art umwerfende Frau, bei der die Männer reihenweise schwach wurden.
„Du wirst nicht abhauen“, befahl sie unverblümt und schnappte sich ein Brötchen aus dem Korb auf dem Tisch.
„Das Spiel läuft“, protestierte ich. „Außerdem muss ich endlich aus diesem Kleid raus.“
„Warum denn?“
Ich zupfte an dem Stoff des Oberteils. „Es ist unbequem und oben viel zu eng.“
Truly verzog die Lippen. Zwar war sie bereits fast ein Jahr meine Mitbewohnerin, aber wir waren uns erst kürzlich näher gekommen. Ansonsten hatte ich nur Bekannte oder Geschäftspartner. Lange Zeit hatte ich es so gewollt. Die Freunde, mit denen ich aufgewachsen war, die Familienmitglieder, die nichts mit mir zu tun haben wollten, hatte ich alle hinter mir gelassen und dachte nicht mehr an sie. Ich hatte mir Arizona ausgesucht, weil es nichts mit New York zu tun hatte. Dort hielt ich es für leichter, dem Schatten zu entkommen, Nick Branskys Tochter zu sein. Doch ein Neuanfang ist nie einfach. Und ohne Geld fast unmöglich. Das Studium war teuer und ich hatte nichts übrig von meiner privilegierten Kindheit. Das Vermögen meiner Eltern war von Bußgeldern, Anwälten und Krankenhausrechnungen gefressen worden. Als mir die Studiengebühren über den Kopf wuchsen, wandte ich mich an einen alten Kontakt und begann, eine Buchmacherin zu werden. Da ich das Geschäft schlecht mitten im überfüllten Studentenheim der Arizona State University ausüben konnte, suchte ich mir ein Apartment. Ich rechnete mir aus, es schaffen zu können, wenn ich mir eine Mitbewohnerin suchte, die sich die Kosten mit mir teilte und mich ansonsten in Ruhe ließ. So hatte ich Truly und ihre Katze kennengelernt.
„Du versuchst gar nicht erst, dich zu amüsieren“, schmollte sie und stieß mir gegen die Schulter.
„Doch. Für mich bedeutet das eben was anderes als für die meisten Leute.“
„Ich weiß. Aber Steph, deswegen musst du kein Gesicht ziehen, als hättest du in eine Zitrone gebissen.“
„Oh.“ Nun verzog ich tatsächlich das Gesicht. „Sehe ich wirklich so schlimm aus?“
Truly lächelte. „Chase findet das jedenfalls nicht.“
„Du spinnst ja. Das hat er dir nicht gesagt.“
„Muss er auch nicht. Er sieht dich bei jeder Gelegenheit an. Du hättest sehen sollen wie geknickt er war, als du gestern nicht zum Abendessen erschienen bist.“
„Ich war müde.“
„Blödsinn.“
Vorsichtig blickte ich zu Chase hinüber. Er erzählte Cords Freunden eine lebhafte Geschichte und gestikulierte dabei so, dass ich davon ausging, dass es sich um eine unanständige handelte. So war Chase normalerweise. Seine Gedanken waren nur leicht schmutziger als eine Kloake. Doch Truly erzählte mir gern, dass hinter seiner unzüchtigen Art ein intelligenter, lieber Kerl steckte. Manchmal war Truly auch etwas zu optimistisch veranlagt.
„Meinst du, Saylor ist beleidigt, wenn ich mich davonschleiche?“
Truly seufzte. „Nein. Aber ich wünschte, du würdest es nicht tun.“
Ich schätzte sie für ihr Hilf-Stephanie-normal-zu-sein-Projekt. Wirklich. Ich verstand, dass sich Truly in Creed verliebt hatte und ihre Welt nun voller Regenbögen und Feenstaub war. Und jetzt wollte sie ihr Glück mit allen um sich herum teilen. Außerdem sorgte sie sich um mich, nachdem ich einen schwachen Moment hatte und vage angedeutet hatte, was Xavier getan hatte. Zwar hatte ich keine Details verraten, doch Truly hatte mitbekommen, dass ich am Ende war.
„Du gehörst verdammt noch mal mir, Bitch!“
„Was ist los mit dir?“, fragte Truly. „Sitzt du auf glühenden Kohlen?“
„Nein“, knurrte ich und versuchte, meinen Gesichtsausdruck zu entspannen. Wahrscheinlich sah ich mordlüstern aus, bei dem kurzen Gedanken an Xavier und seine ekelhaften Schergen. Truly sah mich alarmiert an. Ich dachte nicht gern an den Abend zurück. Lieber hätte ich eine Wurzelbehandlung, wenn das diese Erinnerung auslöschen könnte. Seit einem Monat lebte ich in Angst, dass es zurückkommen und mich verfolgen könnte. Und die Drohungen, Beleidigungen und die Schande gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie waren immer gegenwärtig.
„Ich bin wirklich irgendwie müde“, antworte ich schließlich.
Truly erkannte meine Lüge. Doch sie wusste auch, wann sie den Mund halten und mich in Ruhe lassen sollte. Einer der Gründe warum wir uns so gut verstanden.
„Na gut.“ Sie seufzte, als ich mich erhob.
„Ich hatte dir erzählt, dass ich auf einen früheren Flug umgebucht habe, oder?“ Ich musste das Hotel um sieben verlassen, um den Achtuhrflug zu erwischen. Die Umbuchung hatte mich fünfzig Mücken gekostet, doch ich wollte nicht mit der Gruppe zurückfliegen.
Truly nickte. „Ja, Ma’am. Dann sehen wir uns in Tempe wieder?“
„Ja.“ Ich sah mich nach dem Brautpaar um, damit ich meine Glückwünsche heraus stottern und gehen konnte.
Saylor saß allein da, mit den Ellbogen auf dem Tisch. Sie wirkte nicht gut gelaunt und ich wollte sie nicht stören. Cord und Creed lachten mit ihren Kumpels. Ich kannte ihn nicht gut genug, um dazwischenzugehen. Ich winkte Brayden und Millie zu. Sie waren höflich und sagten, sie freuten sich darauf, mich bald wiederzusehen.
Sobald ich aus dem Raum war, fühlte ich mich schon besser. An der Bar hielt ich inne und sah auf den Fernseher. Das Spiel war beim siebten Inning und die Dodgers führten acht zu zwei.
„Was für ein Scheiß“, lallte ein Mann im Anzug. Er wirkte, als ob er gleich vom Barhocker kippen würde.
„Nur, wenn man ein Fan der Cubs ist“, sagte ich. Er schien die Antwort nicht zu mögen. Er verzog das Gesicht und schwankte leicht. Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, wie man sich nur derartig emotional am Spiel anderer Leute beteiligen konnte.
Als ich aufwuchs, schallte jederzeit irgendein Spiel vom Fernseher, egal welche Saison. Immer lief ein Spiel, ein Rennen oder etwas anderes, worauf man wetten konnte. Im Hause der Branskys bedeutete Sport etwas anderes als für alle anderen Leute. Das wusste ich schon seit ich ein kleines Mädchen war, auch wenn ich noch ein paar Jahre brauchte, um zu begreifen, was mein Vater tat. Er verheimlichte mir nie die Fachbegriffe, erlaubte mir jedoch nicht, für seine Firma zu arbeiten, egal wie sehr ich darum bat. Dieses Privileg stand meinen älteren Brüdern Robert und Michael zu. Nick Bransky schien keine Ahnung zu haben, was er mit einer Tochter anfangen sollte. In einem Moment gab er mir nachsichtig seine Kreditkarte, damit ich mir in der Roosevelt Field Mall etwas Hübsches kaufen konnte. Im nächsten wollte er mir unbedingt die Feinheiten des Geschäftemachens beibringen. Ich glaubte, er wollte ein guter Vater sein, doch ich würde ihm nie vergeben, dass er sich mit zig Frauen eingelassen hatte, während meine Mutter dahinsiechte.
Und dann die Sache mit Robert.
Es war unfair, meinem Vater die Schuld dafür zu geben, aber der ungeklärte Mord an Robbie war mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf Nicks krumme Geschäfte zurückzuführen. Mein Vater verlor seine Frau und seinen ältesten Sohn in ein und derselben Woche. Neun Monate später wurde er eingebuchtet und ich verließ New York. Wir hatten sporadisch Kontakt und nächstes Jahr würde er wahrscheinlich auf Bewährung rauskommen. Nie hatte er mir gegenüber etwas dazu gesagt, dass ich Wetten annahm, doch ich ging davon aus, dass es ihm jemand erzählt hatte, denn die Welt war kleiner, als man dachte.
Ich blieb noch ein paar Minuten an der Bar. Die Cubs holten leicht auf und der Betrunkene auf dem Barhocker erwachte zum Leben. Ein paar Männer in meiner Nähe starrten mich an, sahen aber schnell wieder weg, da sie wohl nach etwas mehr Provokativem gesucht hatten. Mir war bewusst, dass ich jünger aussah als ich war, und meine Körpersprache signalisierte keine Gesprächsbereitschaft.
Ein Pärchen an einem Tisch machte sich derartig gegenseitig an, dass es nur noch Minuten dauern konnte, bis sie sich nach oben verzogen, um wie die wilden Tiere übereinander herzufallen. Manchmal hätte ich gern gewusst, warum die Leute so verrückt nach Sex waren. Ich war auch nicht immun gegen Verlangen, aber was bedeutete es, wenn ich viel lieber darüber nachdachte, als die Tat zu genießen?
Als mich ein bärtiger Mann mit Ehering am Finger auf einen Drink einladen wollte, betrachtete ich dies als Zeichen, den Rest des Abends allein in meinem Zimmer zu verbringen. Es war ein schönes Zimmer und ich hatte es für mich allein. Ich kannte ein paar Leute in Vegas und konnte daher einen guten Deal für alle Hochzeitsgäste aushandeln.
Auf dem Weg zum Aufzug konnte ich es kaum erwarten allein zu sein, dieses alberne Kleid auszuziehen, es mir im T-Shirt auf dem Bett gemütlich zu machen und die letzten Minuten des Spiels anzuschauen. Dennoch … ein kleiner Teil von mir bedauerte, die Lichter und die Atmosphäre hinter mir zu lassen. Vielleicht wurden mir deshalb die Knie weich, als Chase Gentry in den Aufzug trat. Eine Sekunde, bevor sich die Türen schlossen. Er lächelte mich an.