Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber

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Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber
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Christian Schmid

Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber

Unsere Tiere in der Sprache

Cosmos Verlag

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 by Cosmos Verlag AG, Muri bei Bern

Lektorat: Roland Schärer

Umschlag: Stephan Bundi, Boll

Satz und Druck: Merkur Druck AG, Langenthal

Einband: Schumacher AG, Schmitten

ISBN 978-3-305-00500-0

eISBN 978-3-305-00501-7

Das Bundesamt für Kultur unterstützt

den Cosmos Verlag mit einem Förderbeitrag

für die Jahre 2021–2024

www.cosmosverlag.ch

Inhalt

Vorwort

Huhn und Hahn

Herkunft und Benennung

Die fürsorgliche Henne

Das dumme Huhn

Mit den Hühnern zu Bett

Der stolze Hahn

Hühnerhaut und Hühnerauge

Hühnerhof und Hühnermist

Ei oder Huhn

Das Huhn als Fleischlieferant

Kuh, Stier und Ochse

Herkunft und Benennung

Dumme Kuh und Hornochse

Die Kuh in Wörtern und Redensarten

Stier und Ochse in Wörtern und Redensarten

Die Schweizer und die Kuh

Stall und Weide

Milch, Rahm, Butter, Käse

Pferd und Esel

Herkunft und Benennung

Ross und andere Freundlichkeiten

Das Pferd in Wörtern und Redensarten

Das Reitpferd

Das Zugpferd

Das Lastpferd

Der Pferdehandel

Der Hausesel

Schwein, Sau und Ferkel

Herkunft und Benennung

Sau und Schwein in derber Sprache

Sau und Schwein in Schimpfwörtern

Sau und Schwein in Redensarten

Das Schwein und sein Fleisch

Der Hund

Herkunft und Benennung

Hunde der Herren, Hunde der Untertanen

Der Hund in derber Sprache

Der Hund in Wörtern und Redensarten

Die Katze

Herkunft und Benennung

Vom Katzenkopf zum Katzelmacher

Die Katze in Redensarten

Vorwort

Seit Jahrtausenden brauchen wir unsere Nutz- und Haustiere. Sie arbeiten für uns, wenn wir auf ihnen reiten, wenn sie für uns Lasten tragen oder ziehen, wenn sie für uns Maschinen antreiben, wenn wir mit ihnen jagen, wenn sie uns mit ihren Kämpfen unterhalten. Sie sind für uns da, wenn sie uns warm geben und wir uns in ihrer Nähe weniger einsam oder sicherer fühlen. Sie liefern uns als lebende Tiere Produkte, die wir essen können: Eier und Milch. Mit ihrem Mist düngen wir unsere Felder. Wir schlachten sie, essen ihr Fleisch, verarbeiten ihre Häute zu Leder, benützen ihre Federn und Haare als Isoliermaterial oder Schmuck und verkochen ihre Knochen zu Leim. Dennoch ist unser Umgang mit ihnen fragwürdig: es fällt uns schwer, ihnen Rechte zuzugestehen. In der modernen industrialisierten Landwirtschaft, die so billig wie möglich produzieren will, behandeln wir viele von ihnen sehr schlecht und gönnen ihnen als hochgezüchtete Massenware nur eine kurze Lebenszeit. Für Nutztiere ist das Leben mit dem Menschen schwierig und oft schrecklich. Kuscheltiere werden hingegen nicht selten so verwöhnt und gehätschelt, dass sie abnorme Verhaltensweisen entwickeln. Einige von ihnen erben Vermögen und werden in Ehren bestattet.

Wir sind unseren Tieren sowohl zu- als auch abgeneigt. Das zeigt sich sehr deutlich in unserer Sprache. Selbstverständlich gibt es zahllose rührselige und sentimentale Pferde-, Hunde- und Katzengeschichten für Kinder und Erwachsene. Aber viel gängiger sind in der Alltagssprache jene sich auf Tiere beziehenden Wörter, Ausdrücke und Redensarten, mit denen wir spotten, schimpfen und beleidigen. Du Hornochse, Rindvieh, Esel, blöde Kuh und fauler Hund sagen wir, ohne auch nur im Ansatz zu überlegen, wen wir da beiziehen, um zu sagen, er oder sie sei dumm, blöd, faul oder störrisch. Wenn wir nicht mehr weiterwissen, können wir dastehen wie der Ochs vorm Berg oder die Kuh vor dem Scheunentor. Wer ausnahmsweise Erfolg hat, kriegt zu hören, dass auch ein blindes Huhn mal ein Korn findet. Wer in soziale Not gerät, kommt auf den Hund. Wer sich rüpelhaft benimmt, lässt die Sau raus.

Der Mensch achtet das Tier weniger als sich selbst, weil er als Homo sapiens die intellektuelle Fähigkeit erworben und Waffen entwickelt hat, jedes Tier, auch das grösste, zu jagen. Einige Tiere macht er sich dienstbar, indem er sie zähmt und züchtet. Der intellektuelle Vorteil, den er dem Tier gegenüber erworben hat, führt dazu, dass er sich als Krone der Schöpfung begreift und daraus das Recht ableitet, die Welt, auch die Tierwelt, zu beherrschen. Dieses Recht wird in der Bibel deutlich sanktioniert. Gott sagt Adam und Eva nach Genesis 1, 28:

«Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.»

Noah gegenüber bestätigt Gott laut Genesis 9, 2–4 die Vormacht des Menschen in der Schöpfung; er bekräftigt damit das Ende des paradiesischen Friedens unter den Geschöpfen:

«Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf die Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des Meeres; euch sind sie übergeben. Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch, wie die grünen Pflanzen. Nur Fleisch, in dem noch Blut ist, dürft ihr nicht essen.»

Die Worte sind klar. Weder Vegetarismus noch Veganismus lassen sich aus der Bibel begründen, obwohl das oft behauptet wird. Wohl lebten einige monastische Gemeinschaften ursprünglich fleischlos, doch die Fleischverbote wurden mit der Zeit gelockert oder ganz aufgehoben. Viele Theologen der frühen Neuzeit behaupteten, die Menschen hätten sich vor der Sintflut ausschliesslich von Pflanzen und Früchten ernährt, so auch der katholische Geistliche Hubertus Lommessen in seiner «Postilla» von 1628: «Ja biss zur zeit dess Sündfluss ist das Fleischessen gar nicht im brauch gewesen.» Nach der Sintflut jedoch habe Gott Noah klargemacht, dass auch das Essen von Fleisch, ausser an Fastentagen und in der Fastenzeit, gottgefällig sei. Das lehren viele Schriften aus der frühen Neuzeit. Hieronymus Bock erklärt in seinem «Kreütterbuch» von 1577 mit Bezug auf die Genesis:

«Erstmals aber / da der allmechtig Gott den Menschen Fleisch zu essen erlaubet / ward kein underschid Fleischs halben fürgeschriben. Dann also sprach Gott zu Noha unnd seinen Sönen / alles was sich regt unnd lebt / das sey ewer Speiss / wie das grün kraut hab ichs euch alles geben.»

Während Bock schreibt, Gott habe dem Menschen erlaubt, Fleisch zu essen, behauptet das «Compendieuse und Nutzbare Hausshaltungs-Lexicon» von 1728, Gott habe das Fleischessen verordnet: «Fleisch, ist diejenige Speise, die Gott uns Menschen von denen essbaren Thieren verordnet, und giebt das Fleisch eine gesunde, starcke und nahrhaffte Speise.» Der Arzt und Philosoph Paracelsus (1493–1541) argumentiert hingegen, dass der Mensch im Schöpfungsakt als Letzter geschaffen worden sei und daraus folge, «das der Mensch die Thier haben muss zu seiner Speiss / zu seiner Notturfft (seinem notwendigen Bedarf) / zu seiner Gesundtheit / etc.» Es gebe kein Tier auf der Welt, behauptet er, das nicht für den Menschen da sei.

 

Dass wir uns heute ermächtigt fühlen, vielen Tieren nur einen Gebrauchswert zuzugestehen und sie massenhaft in Tierfabriken zu halten, hat auch mit der Einschätzung des Tiers seit der frühen Neuzeit zu tun. Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Darüber wurde vom 16. bis ins 18. Jahrhundert heftig diskutiert, sowohl theologisch und wissenschaftlich als auch philosophisch, aber immer so, dass dem Menschen eine Sonderstellung zugestanden wurde. Der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) behauptete, nur der Mensch verfüge über Geist. Tiere hatten, so seine Meinung, keine empfindende Seele, er hielt sie für eine Art komplexe Apparate. Andere, wie der Schweizer Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), behaupteten, das Tier habe eine Seele, aber eine ganz andere als die menschliche. Diese sei denkend, die tierische «ohne alle Vernunfft». Wieder andere behaupteten, sich auf antike Autoren berufend, Pflanzen hätten eine vegetabile, Tiere eine sinnliche und Menschen eine vernünftige Seele. Verstand und Willen kennzeichne den Menschen, behauptet ein Autor 1771, das Tier sei bloss sinnlich und unvernünftig. Wenn der Mensch seinen Verstand nicht einsetzt, handelt er wie ein unvernünftiges oder eben dummes Tier, ein animal irrationale, wie es im Lateinischen seit der Antike heisst. Im 16. Jahrhundert mahnt Martin Luther in einer Tischrede, der Mensch lebe dahin «ärger als ein Vieh». Er schätze Gottes Schöpfung nicht und missbrauche sie. Das sei «gleich als wenn eine Kuhe und unvernünftig Thier die aller schönsten und besten Blumen und Lilien mit Füssen träte».

Das Attribut dumm wird auch von Wissenschaftlern bis ins 19. Jahrhundert verwendet, um Tiere zu beschreiben; es wird sogar als Gattungsbezeichnung benutzt. Johann Matthäus Bechstein schreibt in seiner «Gemeinnützigen Naturgeschichte Deutschlands» von 1791 über «Das dumme Täucherhuhn»: «Es ist ein dummer Vogel, der sich leicht hintergehen lässt.» Das «Brockhaus Conversations-Lexicon» von 1888 belehrt uns, der Elch sei «ein scheues, aber dummes Tier». Und in der «Kleinen Schul-Naturgeschichte» von 1891 erklärt Samuel Schilling: «Das Nashorn […] ist ein grosses, fast 4 m langes, plump gebautes dummes Tier.»

Wir benützen noch heute dieses Vokabular, wenn wir andere beschimpfen und mit Tierbezeichnungen titulieren. Wir schätzen Tiere auf eine Weise ein, die einer frühneuzeitlichen Denkart entspricht, wenn wir sie in Massenhaltung dahinvegetieren lassen oder wenn wir sie zu Hochleistungsapparaten mit kurzer Lebensdauer hochzüchten mit Hilfe von Kraftfutter und Hormonen. Dabei ist längst erwiesen, dass zwischen Tier und Mensch, was den Aufbau des Zentralnervensystems und die kognitiven Fähigkeiten betrifft, kein absoluter, sondern nur ein gradueller Unterschied besteht. Viele Tiere können denken, sich erinnern, sich selbst in einem Spiegel erkennen, Werkzeuge brauchen, sich in arbeitsteiligen Gemeinschaften organisieren und auf unterschiedliche Weisen miteinander kommunizieren. Einige bilden sogar Staaten. Das bestreitet heute kein Wissenschaftler mehr und keinem würde es einfallen, in einer wissenschaftlichen Beschreibung ein Tier dumm zu nennen.

Wir sind, was viele unserer alltagssprachlichen Äusserungen und unserer Alltagsreflexionen über Tiere betrifft, nicht auf der Höhe unserer Zeit. Immer noch berufen wir uns auf die längst überholte Übereinkunft, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei und dass vom Menschen zum Tier ein absoluter qualitativer Unterschied bestehe.

Doch es tut sich etwas! Seit knapp fünfzig Jahren wird von verschiedenen Autorinnen und Autoren wie Garry Francione, Christine Koorsgaard, Lori Marino, der Gründerin des Kimmela Center for Animal Advocacy (kimmela.org), Richard Ryder, Peter Singer und anderen ein Umdenken im Tierrecht gefordert. Tierphilosophen beschäftigen sich mit Fragen, welche die Stellung, das Wesen und das Verhalten von Tieren zum Gegenstand haben. Bioethikerinnen, im speziellen Tierethikerinnen, fragen nach dem menschlichen Umgang mit Tieren und den moralischen Problemen, die sich daraus ergeben. Bücher wie Klaus Petrus’ «Tierrechtsbewegung» von 2013 und Daniel Wawrzyniaks «Tierwohl und Tierethik» von 2019 erklären einem breiten Publikum, was sich in dieser Sache tut.

All das beeinflusst unser Sprechen über Tiere, insbesondere die Stellung des Tiers in unseren alltäglichen Sprachbräuchen, bis heute kaum. Unsere Alltagssprache schöpft aus Redeweisen und Geschichten, die während Jahrhunderten von einer Generation an die nächste überliefert worden sind. Wir sprechen in der Regel, um verstanden zu werden, und fragen uns in den wenigsten Fällen, weshalb wir sagen, was wir sagen. Dieses Buch soll zeigen, in welchen Zusammenhängen unsere Tiere, d. h. die bekanntesten Nutz- und Haustiere, und das, was wir mit ihnen tun, in unserer Alltagssprache vorkommen, was wir über sie sagen und was wir mit ihnen über uns sagen.

Ich beschäftige mich in diesem Buch mit Wörtern, Ausdrücken und Redensarten, erzähle, wie und seit wann man sie in übertragener Bedeutung braucht und woher sie kommen. Dabei ist es mir sehr wichtig, dass ich mit Beispielen belege, was ich behaupte. Oft führt mich die Suche zurück bis in die Zeit der Renaissance, ins Mittelalter oder gar in die Antike, manchmal muss ich Sprachgrenzen überschreiten. Meinen Leserinnen und Lesern mute ich damit zu, dass sie Beispiele oder kleine Geschichten in älterem Deutsch lesen. Vielleicht versteht man nicht gleich alles im ersten Anlauf, aber viele dieser Zitate sind richtige Leckerbissen, pointierte, saftige, witzige, zuweilen bissige und böse Formulierungen; und die Geschichten sind manchmal, von unserem heutigen Standpunkt aus gesehen, unglaublich. Sie in die Gegenwartssprache zu übersetzen, hätte ihnen die ganze Wucht genommen, die sie in ihrer Fremdheit haben. Bei einzelnen Wörtern, die man kaum oder nicht versteht, habe ich die Übersetzung in runden Klammern direkt dahinter gesetzt. Manchmal musste ich ganze Sätze oder Texte übersetzen, vor allem auch wenn sie in einer uns fremden Sprache aufgeschrieben wurden. Für einige brauchte ich kundige Hilfe; den Helfern und Helferinnen danke ich herzlich. Für die meisten Bücher aus der frühen Neuzeit habe ich nur Kurztitel gesetzt, weil die vollständigen Titel oft unendlich lang sind, z. B. «Fleissiges Herren-Auge» statt «Fleissiges Herren-Auge, Oder Wohl-Ab- und Angeführter Haus-Halter, Das ist: Gründlich- und kurz zusammen gefasster Unterricht, von Bestell- und Führung eines nütz- und einträglichen Land-Lebens und Wirthschaft».

In Texten, welche in älterem Deutsch geschrieben sind, kommen Vokale mit übergesetzten Zeichen vor, z. B. ā und î; sie kennzeichnen lange Vokale. Meine mittelbernische Mundart schreibe ich nach Dieth, d. h. ich schreibe sie lautnah, die kurzen Vokale einfach, z. B. Chatz, strigle, Märe, die langen doppelt, z. B. Taape, hööch, naagää. Zitierte Mundart schreibe ich so, wie ich sie der Quelle entnommen habe. Auch die zum Teil abenteuerlichen Schreibungen von Internetbeispielen habe ich nicht verändert.

Mein wichtigstes Suchwerkzeug war das Internet. Im Internet stehen uns Tausende von Texten im Original zur Verfügung. Noch nie konnte, wer sucht, ein derart umfangreiches Textkorpus durchforsten. Man muss sich nur Zeit nehmen und mit unterschiedlichen Schreibungen und Wortformen spielen, immer und immer wieder. Ich kann mich heute nicht mehr ausschliesslich auf die in die Jahre gekommenen grossen Wörterbücher stützen, denn die Autoren dieser Wörterbücher mussten in Archiven und Bibliotheken ihre Belegstellen ausgraben. Weil sie nicht immer neu graben wollten, schrieben sie einander gerne ab, auch die Fehler.

Dennoch wäre meine Arbeit nicht möglich gewesen ohne grosse und kleine Wörterbücher und Nachschlagewerke aller Art. Was unsere Mundarten betrifft, ist das «Schweizerische Idiotikon» (idiotikon.ch) eine unentbehrliche Hilfe und eine unversiegbare Quelle der Freude für diejenigen, die suchen. In dieses Werk wurden neben Wörtern mit ihren historischen Belegen auch Tausende von Ausdrücken und Redensarten aufgenommen. Neben dem «Idiotikon» leisteten mir viele kleine regionale Mundartwörterbücher ebenfalls wertvolle Dienste. Die wichtigste deutsche Wörterbuchplattform im Internet ist «woerterbuchnetz.de», über die jetzt auch das «Idiotikon» zugänglich ist. Daneben findet man online grosse, frei benutzbare historische Wörterbücher in vielen Sprachen, wie z. B. «Le Trésor de la Langue Française informatisé (atilf.atilf.fr)» und den «Online Etymology Dictionary (etymonline.com)».

Ich hoffe, dass die Leserinnen und Leser dieser Geschichten viel Neues erfahren, schmunzeln, vielleicht auch lachen, und nachdenklich werden. Wenn das Buch ihr Interesse weckt und auf Fragen Antworten gibt, habe ich das Pferd nicht am Schwanz aufgezäumt und bin nicht wie die Katze um den heissen Brei herumgegangen.

Meiner Frau Praxedis danke ich für das Mitlesen und Mitdenken, Roland Schärer vom Cosmos Verlag für die ausgezeichnet aufmerksame und freundschaftliche Zusammenarbeit. Er hat dr Märe zum Oug gluegt!

Huhn und Hahn
Herkunft und Benennung

Der Geistliche, Schriftsteller und Ökonom Christoph Fischer beginnt in seinem sehr erfolgreichen Hausväterbuch «Fleissiges Herren-Auge» von 1690 das Kapitel über das Geflügel mit folgenden Worten:

«Ich wil von der Hennen / als der rechten Eyer-Mutter / und gluckzendem Hof- und Bauren-Vogel / so nicht allein auff dem Lande / sondern auch in Städten / wegen vielfältigen Eyerlegens bekannt / und sehr angenehm / den Anfang machen.»

Weil das Huhn der weitaus häufigste Vogel auf der Welt und der wichtigste Eier- und Fleischlieferant ist, beginne ich, wie Fischer im 17. Jahrhundert, auch mit dem Huhn.

Das Huhn hat Flügel und Federn und zählt deshalb seit dem Mittelalter mit Enten und Gänsen zu den Hofvögeln oder Hausvögeln, zum Geflügel, Gefieder, Klein- oder Federvieh. Die «Teutsche Sprach und Weissheit» von 1616 zählt zum «Feder Viech»: «Schwanen / Pfawen / Gänse / Ente / Hüner / Tauben / etc.» Die «Deutsche Sprache in der Volksschule» von 1855 lehrt uns: «Hausvogel fasst in sich: Gans, Huhn, Hahn, Ente, Taube etc.» Kein anderes Nutztier kommt auf der Welt so häufig vor wie das Haushuhn. Man schätzt, dass es etwa 20 Milliarden gibt, d. h. auf jeden Menschen ungefähr drei, weil es, wie eine Naturgeschichte von 1833 behauptet, «eines der nützlichsten Thiere [ist], welche der Mensch sich zum Genossen erwählen konnte».

Unser Haushuhn stammt aus Südostasien, wo man es vor 5000 bis 6000 Jahren zu domestizieren begann, vielleicht weil der Hahn am Morgen die Sonne begrüsste, die als heilig galt. Dann züchtete man es, damit man Hahnenkämpfe veranstalten konnte; bei den Griechen war der Hahn als Motiv auf Kampfschildern und Gefässen beliebt. Erst seit den Römern hält man Hühner vor allem als geschätzte Eier- und Fleischlieferanten. Nach Europa kam das Huhn aus Persien und dem östlichen Mittelmeerraum; etwa 2300 Jahre alte Funde zeugen von der Existenz des Haushuhns in der israelischen Stadt Maresha. Bereits in der Eisenzeit wurde es von Phöniziern nach Spanien gebracht, dann, sehr wahrscheinlich aus Persien, kam es um 900 nach Griechenland; Homer erwähnt es noch nicht. Aus Europa gelangte es schliesslich im 16. Jahrhundert mit den Entdeckern und Eroberern nach Amerika.

Lange glaubte man, am Anfang seiner Zähmung stehe das wilde, von Indien bis China weit verbreitete Bankiva- oder Rote Kammhuhn. Neuere Forschungen ergaben jedoch, dass noch andere Wildhuhnrassen beteiligt gewesen sein müssen, denn seine gelben Beine hat das Haushuhn offenbar nicht vom Bankiva-, sondern vom südwestindischen Sonnerathuhn.

In Europa gibt es ungefähr 200 Haushühnerrassen, weltweit dürften es über 500 sein. Einige sind sehr alt, wie die Krüper, die von Konrad Gessner bereits im 16. Jahrhundert als Kriechhühner beschrieben werden, weil sie kurze Beine haben. Heute gelten sie in der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. in Deutschland als stark gefährdet. Auch der Bartli, das Appenzeller Barthuhn, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts gezüchtet wurde, konnte 1985 nur dank ProSpecieRara vor dem Aussterben gerettet werden. Diese Organisation sorgte zudem dafür, dass das einst beliebte weisse Schweizerhuhn, das erst am Anfang des 20. Jahrhunderts gezüchtet wurde, aber in der industrialisierten Landwirtschaft rasch an Bedeutung verlor, noch heute existiert. Haushühner sind oft weiss; lange Zeit schätzte man weisse Hühner eher gering. Der Theologe und Geograph Anton Friedrich Büsching gibt in seinem «Nützlichen und angenehmen Lehrbuch für die Jugend» von 1772 einen Rat, den er dem römischen Autor Columella abgeschrieben hat:

 

«Das zahme Federvieh muss röthliche oder braune Pflaumfedern, und schwarze Flügel haben, und wann es möglich, müssen alle von dieser, oder dieser am nächsten kommenden Farbe erwählt werden: kan es aber nicht seyn, so meide man doch die weissen, welche […] leicht ins Gesicht fallen (gut sichtbar sind), und wegen ihrer sonderbaren Weisse von Habichten und Adlern oft hinweg gerissen werden.»

Neben den Haushühnern, die mit Pfau, Truthuhn, Goldfasan, Alpenschneehuhn, Auerhuhn und Birkhuhn in die Familie der Fasanenartigen gehören, gibt es vier andere Familien der Gattung Hühnervögel (Galliformes), nämlich die Grossfusshühner, die Hokkohühner, die Zahnwachteln und die Perlhühner.

Das Wort Huhn kann man seit dem Althochdeutschen des frühen Mittelalters für beide Geschlechter brauchen. Der Mönch Otfrid von Weissenburg übersetzte im 9. Jahrhundert den bibellateinischen Ausdruck antequam gallus cantet «ehe der Hahn rufen wird» mit êr thaz huan singe; selbstverständlich brauchte er daneben auch das Wort hano «Hahn». Noch heute verwenden wir Huhn als Gattungsbezeichnung, wenn wir von den Hühnervögeln oder hühnerartigen Vögeln sprechen, vom Rebhuhn und vom Zwerghuhn. Wenn wir Hühner sagen, meinen wir oft die Hähne mit. Unsere wichtigsten Bezeichnungen für das Huhn sind jedoch vom Wort Hahn abgeleitet:

Huhn ist ein Erbwort aus dem Germanischen, und zwar eine Ablautbildung zu Hahn. Das aus dem Westgermanischen entlehnte Henne ist eine alte weibliche Bildung zu Hahn mit der ursprünglichen Bedeutung «die zum Hahn Gehörige». Auch das Lateinische leitet die weibliche Bezeichnung gallina «Huhn, Henne» von gallus «Hahn» ab. Aus gallina wurde französisches geline, das jedoch durch poule ersetzt wurde, eine Bezeichnung für «junges Huhn», abgeleitet von lateinisch pullus «junges Tier, Küken». Zu gallina gibt es die lateinische Redensart gallina scripsit «das hat ein Huhn geschrieben»; Plautus (um 254–187 v. Chr.) brauchte sie, um eine unleserliche Schrift zu kritisieren. Von daher kommt vielleicht das seit dem 17. Jahrhundert belegte Wort Hühnerschrift oder Hühnerpfote, das eine unleserliche Schrift mit einem Gewirr von Hühnerspuren vergleicht; «als sey sie mit Hüner Pfoten geschrieben» (1708).

In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz nennen wir das Huhn meistens Huen oder Hue, Hüeli mit der Mehrzahlform Hüen(n)er, in einigen Mundarten Hoo mit der Mehrzahlform Höör. Auch die Bezeichnungen Henn, Hene, Mehrzahl Henni, kommt vor. Der Berner Oberländer Melchior Sooder erwähnt in seinen «Zelleni us em Haslital» von 1943 «d’Henni ung Gäiss (Gänse)».

Seit dem 17. Jahrhundert ist die Bezeichnung Mistkratzer für Huhn belegt. Im «Misthauffen dess ungeduldigen Jobs» von 1684 bezeichnet ein Theologe seine Widersacher als «junge Mistkratzer». Der «Nürnberger Beobachter» von 1858 fragt: «Es heisst doch, das Hühnerlaufenlassen in der Stadt ist verboten; warum sieht man aber diese Mistkratzer noch auf gewissen Plätzen in der Stadt ganz ungenirt herumsteigen?» Als Wort des Rotwelschen, d. h. der traditionellen Gaunersprache, wird Mistkratzer «Huhn» sowohl von Bischoff (1822) wie auch von Avé-Lallemant (1862) aufgeführt. In einigen landwirtschaftlichen Zeitschriften vom Ende des 19. Jahrhunderts hat Mistkratzer die Bedeutung «Huhn von geringem Wert» oder «junger Hahn». Im heutigen Schweizerdeutschen ist das Mischtchratzerli ein «Brathähnchen».

Die Bezeichnung Legehuhn oder Legehenne für ein Huhn, das Eier legt, ist alt. Bereits 1686 lesen wir in einer Kriegsschilderung von «Leg-Hennen», 1705 in einem Hausväterbuch von «Leg-Hüner» und «Leg-Hennen». Weil Legehennen nach dem Legen oft lautstark gackern, entstand die Redensart verschwiegen sein wie ein Leghuhn «alles ausplaudern». Melchior Kirchhofer führt sie 1824 in seiner Sammlung schweizerischer Sprichwörter auf: «Er ist verschwiegen wie ein Leghuhn.» Die Bezeichnung Masthuhn ist jünger, aber vom Hühnermästen berichtet bereits Girolamo Ruscelli (1518–1566). Hans Jakob Wecker, der Stadtarzt von Kolmar, übersetzte Ruscellis «Kunstbuch des Wolerfarnen herren Alexii Pedemonta» (1581) ins Deutsche, und dort lesen wir im Abschnitt «Hüner zu mesten oder feist zu machen», wie man diese Tiere quälte. Man hielt sie im Dunkeln, zwang sie zur Bewegungslosigkeit und gab ihnen Kraftfutter:

«Die hüner werden vast (sehr) feist / so man sie an dunckel unnd warmen orten mit gerstenmeel und wasser durch einander vermischt mestet / auch inen die flüg federn ausszeucht.»

Lässt man eine Legehenne Eier ausbrüten, wird sie zur Bruthenne, zum Bruthuhn oder zur Glucke, mundartlich Glugge(re). Die Bezeichnung «brut henne» kommt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits im «Sachsenspiegel», einem Rechtsbuch, vor; es legte fest, dass das Wehrgeld, d. h. die Busse, für ein getötetes Huhn einen halben Pfennig betragen soll, für eine Bruthenne während der Brutzeit jedoch drei Pfennige.

Das Wort Kluck(e) «Glucke», seit 1409 belegt, ist eine Entlehnung aus dem Niederdeutschen. Es ahmt den Laut nach, mit dem die Bruthenne ihre Küken ruft: sie gluckt. Die Bezeichnung Glucke, Gluggere lässt sich auf eine sehr fürsorgliche Mutter übertragen: Sie ist eine Glucke und lässt ihre Kinder nie aus den Augen. Der Reformator Martin Luther nennt in der Auslegung des Johannesevangeliums von 1527 Gott «eine edele henne, ein fein gluckhun» und eine «gluckhenne», weil er die Gläubigen wie eine Glucke unter seine Fittiche nimmt. Er brauchte Glucke auch, um den Sternhaufen der Plejaden bzw. das Siebengestirn zu bezeichnen, so wie Theodor May, der 1619 schreibt: «Die Glucken sein die siben kleine Gestirn.» Auch die Familiennamen Gluckhuhn, Gluckhohn, Glickhuhn, Gluckha(h)n sowie Kluckhuhn und Kluckho(h)n gehen zum Teil auf die alte Bezeichnung für die Bruthenne zurück; der erste Namensteil kann aber, wie bei Gluck, auf Glück oder dann auf klug zurückzuführen sein.

Aus den Eiern, welche die Bruthenne ausgebrütet hat, schlüpfen die Jungtiere, die wir mit dem aus dem Niederdeutschen entlehnten Wort Küken nennen. Die ältere Bezeichnung, die wohl aus dem Ostmitteldeutschen stammt und die wir heute kaum mehr hören, war Küchlein. Luther hat sie verbreitet; im Matthäusevangelium seiner Bibel von 1545 lesen wir: «Wie eine Henne versamlet ire Küchlin unter ire flügel.» Auch der evangelische Theologe Simon Pauli mahnt in seiner «Postill» von 1584, wir seien oft nicht so klug wie die «Küchlin», uns bei Gefahr unter die Fittiche «unser Gluckhennen Jhesu Christi» in Sicherheit zu bringen.

Die Bezeichnung Küken übertragen wir gern auf ein kleines Kind, so wie seit dem 17. Jahrhundert Nesthäkchen, älter Nestheckchen, Nesthecklein, das eigentlich ein im Nest ausgehecktes «ausgebrütetes» Vögelchen bezeichnet. In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz heisst das Küken Hüentschi, Hüeli oder Hüendli, in der Kleinkindersprache, lautmalerisch sein Piepsen nachahmend, Bibii, Bibeli bzw. Bibbeli. Bibii gilt manchmal, wie folgender Kindervers zeigt, als Lockruf für Hühner allgemein:

«Ds Marii geit i ds Hüennerhuus / u laat sini Bibii uus; / ‹Guete Taag, ir Hüendli mii, / chömet gleitig, bibibii!› / U dr Güggel chrääit im Tou: / ‹Güggerüggii, daa bin i ou.›»

Das Huhn gackert, gackst oder gackelt, in den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz gagget, gagglet, gaggelet oder gaggeret es.

Auch Menschen, die schwatzen, durcheinanderreden oder wirres Zeug sagen, gackern. Bereits 1667 ist in einem Buch von einem «Rechtsverkehrer» und «Knäckles-Plauderer» die Rede, der «gackert und plappert». Bei Nietzsche fragt die Titelgestalt in «Also sprach Zarathustra» (1885) mit Blick auf die Menschen: «Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?» Und in einem ntv-Internetartikel vom 5. November 2007 wird der Sprecher der Verkehrsgewerkschaft, Uwe Reitz, zitiert mit den Worten: «Die GDL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) ist wie ein Hühnerhof. Jeder gackert vor sich hin.»

Das Erbwort Hahn ist verwandt mit lateinisch canere «singen» und meint demnach «der Sänger». Direkt vergleichbar, so scheint es, ist die griechische Bezeichnung ēïkanós «Morgenröte-Sänger». Der Hahn ist das Tier, das den Tagesbeginn mit seinem Gesang begrüsst; Georg Philipp Harsdörffer gibt in seinem «Poetischen Trichter» von 1647 folgende mögliche poetische Bezeichnungen für den Hahn: «dess Tages gewiesser Bott / der Sonnen Herold / der Vorsinger dess Liechtes / der Morgenröte Verkündiger.» In seiner Predigtsammlung «Gallus cantans» oder «Krähender Hauss-Hahn», 1677 geschrieben zum Aufwecken des «im Sünden-Schlaff ligenden Hauss-Gesind des Grossen Hauss-Vatters», womit die Christen und Gott gemeint sind, reimt Ignatius Trauner:

«Dich auffzuwecken kreht der Hahn / Und kündt den Tag mit Freuden an: / Wer schläffrig ist den schilt er auss / Wer gar nicht will ist ihm ein Grauss.»

Der Hahn kräht, chrääit und wird lautmalerisch nach seinem Ruf auch Gockelhahn oder Gockel, in der Mundart Gul(l)i, Gülli, Güggel, Gugel oder Gügeler genannt, denn er ruft kikeriki, in der Mundart güggerüggüü oder giggeriggii. So ruft er allerdings erst seit dem 19. Jahrhundert, neben kikeriki kikeriki bzw. kikeri-ki-ki oder kükerükü(kü), niederdeutsch kükerü. Im 18. Jahrhundert schrieb man seinen Ruf kikri und kikri-kikri-kikri-ki, im 17. Jahrhundert kekerlekyh, kikerlekih oder kükerlüküh, im 16. Jahrhundert, zum Beispiel in Georg Rollenhagens «Froschmeuseler» von 1595, guck guck currith und im 15. Jahrhundert beim Lübecker Bürgermeister Gerhard von Minden kukulûk. Ganz fremd klingt uns heute tutterhui; so lässt der Reformator Johannes Mathesius im 16. Jahrhundert den Hahn krähen. Auf Französisch ruft er cocorico, auf Italienisch chicchirichì, auf Spanisch quiquiriquí, auf Niederländisch kukeleku, auf Englisch cockadoodledoo, auf Finnisch kukko kiekuu. Was wir als lautnachahmend empfinden, vollzieht sich in der sprachlichen Realisation zwei- bis fünfsilbig in einem weiten lautlichen Spielraum.