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Der stolze Hahn

Der Hahn erscheint als Wappentier, den kämpfenden Krieger symbolisierend, bereits in der griechischen Antike. Wegen seines feuerroten Kammes und weil er den Morgen verkündet, symbolisiert er zudem das Licht und als roter Hahn den flackernden Brand. Deshalb steht seine Nachbildung als Feuerwächter auf Hausdächern. Auf Kirchturmspitzen stellt der Hahn seit dem 9. Jahrhundert die Wachsamkeit dar. Im Mittelalter verkörperte er den Sieg Christi als lumen mundi «Weltlicht» über das Dunkel der Nacht und er mahnte die Gläubigen an das Morgengebet.

Der berühmteste Hahn der christlichen Welt ist wohl derjenige im Matthäusevangelium, von dem Jesus zu Petrus sagt: «In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.»

Einer der bekanntesten Hähne der weltlichen Literaturgeschichte ist Chanteclair. Er ist der Gegner des Fuchses im altfranzösischen «Roman de Renart», dessen älteste überlieferte Fragmente aus dem 12. Jahrhundert stammen. Ab Ende des 12. Jahrhunderts entstehen deutsche, niederländische, niederdeutsche und englische Versionen der Geschichte um Reineke Fuchs. In den ältesten deutschen Fassungen hat der Hahn den noch ganz dem französischen Vorbild nachgebildeten Namen Scantekler. Später erhält er den zu Hahn stabreimenden Namen Henning. Er klagt Reineke an und trägt als Corpus Delicti die von ihm totgebissene Henne Kratzfuss vor König Nobel. Zwei weitere Hähne treten in der niederdeutschen Fassung «Reinke de vos» von 1498 als Zeugen auf. Der eine heisst Kreiant «Kräher» und ist «de beste hane, den men vant / twischen Hollant unde Frankrîk». Der andere heisst Cantart «Sänger (aus lateinisch cantare ‹singen› gebildet)» und ist «sêr kone unde upricht – sehr kühn und rechtschaffen». Noch in Goethes «Reineke Fuchs» von 1794 heissen die drei Hähne Henning, Kreiant und Kantart. Bis ins 20. Jahrhundert bleibt der Name des Hahns im Französischen literarisch lebendig, denn 1910 veröffentlicht der Theaterautor Edmond Rostand das Stück Chantecler. Im Märchen kennen wir den Hahn in den «Bremer Stadtmusikanten» und in «Hans mein Igel», in dem der mit einer Igelhaut geborene Hans einen Hahn, der Mut und Kampfwille symbolisiert, als Reittier benutzt.

Clemens von Brentanos «Märchen von Gockel, Hinkel und Gakeleia» klingt zwar der Namen wegen nach einer Hühnerhofgeschichte, aber es spielt ganz in der Menschenwelt und erzählt vom Raugrafen Gockel von Hanau, seiner Frau Hinkel und seiner Tochter Gakeleia.

Der stolze und kämpferische Hahn wurde bereits in der Antike sprichwörtlich. Das bei Seneca belegte lateinische Sprichwort gallus in suo sterquilino plurimum potest bzw. multium potest hat in den europäischen Sprachen eine starke Wirkung entfaltet. Es ist im Deutschen vom 16. Jahrhundert bis heute ganz unterschiedlich übersetzt worden. In Sebastian Francks Sprichwörtersammlung von 1545 lesen wir «ein yeder […] han ist freidig (kühn, furchtlos) uff sinem mist». Ein lateinisch-deutsches Wörterbuch von 1734 übersetzt «der Hahn gilt auf seinem Mist das meiste». Und in einem Wörterbuch der lateinischen Sprache von 1844 lautet die Übersetzung «jeder ist Herr in seinem Hause».

Dabei muss man wissen, dass der seit dem späten Mittelalter gebrauchte Ausdruck auf seinem Mist die Bedeutung «auf seinem Hof» hat, wenn von Bauern die Rede ist. Einen Tagelöhner soll man nur so lange beschäftigen, sagt eine Rechtsquelle, «das er allwegend (immer) ze naht da heime mit dem vihe uf sinem mist si». Und Heinrich Wittenwiler wundert sich in seinem «Ring» (um 1400) über einen Tölpel, der «da haim uf sinem mist / ist worden ein so guot jurist». Wir sagen heute noch das ist auf meinem Mist gewachsen für «das kommt von mir, das habe ich gemacht, das ist meine Idee, mein Plan».

Im Deutschen ist seit dem 18. Jahrhundert auch Hahn auf seinem Mist sein «Herr sein auf seinem, wenn auch noch so kleinen Besitz» belegt. Diese Redensart hängt vielleicht zusammen mit französisch fier comme un coq sur son pailler «stolz wie ein Hahn auf seinem Mist», neuer einfach fier comme un coq «stolz wie ein Hahn», belegt seit dem 17. Jahrhundert. Sie gelangte ins Englische as proud as a cock (on his dunghill) und ins Deutsche stolz wie ein Hahn (auf dem Mist). In der Mundart der deutschsprachigen Schweiz kann man für «er ist stolz» auch sagen er spreizt si wie ne Güggel oder er stellt dr Chopf wie ne Güggel. Im «Affenmährchen» von 1845 lesen wir: «Der Herr Vice-Ungerechte-Steuer-Erheber spreizt sich wie ein Hahn auf der Schwelle des Ausgepfändeten.» Einer, der sich grossartig und wichtig vorkommt, stellt dr Chamme (wi dr Güggel uf em Mischt), der Jähzornige springt uuf wie ne Güggel.

Kampfhähne werden für Hahnenkämpfe abgerichtet. Im übertragenen Sinn ist ein Kampfhahn ein «streitlustiger, leicht erregbarer Mann» und ein Hahnenkampf eine «Auseinandersetzung von eitlen Männern (um eine Frau)». Der Hahnenkampf ist auch ein Spiel, bei dem zwei Kontrahenten mit vor der Brust verschränkten Armen auf einem Bein gegeneinander anhüpfen, bis einer das Gleichgewicht verliert. Mit «Hahnenkampf am Penaltypunkt» überschreibt der «Bund» vom 18. September 2017 einen Artikel, der von einer Auseinandersetzung zwischen den Fussballstars Neymar und Cavani berichtet.

Der Hahn kräht nach der verlorenen Henne, weil er sie vermisst. Ein Mensch oder eine Sache kann so unbedeutend sein, dass ihnen, redensartlich gesprochen, kein Hahn mehr nachkräht. Einer der frühesten Belege findet sich 1524 in einem Brief, in dem der Steuereinnehmer Hans Zeiss behauptet, dass in seinem Ort Allstedt viele Leute erstochen und erschossen worden seien, und ergänzt: «Da kräht kein Hahn noch Henne nach.» Auch Luther braucht die Redensart, und der Dramatiker Hans Sachs schreibt 1561: «Wo aber ich armer nem schaden, / so kreet doch kein han nach mir.» Moses Pflacher predigt 1588:

«Der Mensch ist von Natur also geartet / wann er jemand beleidiget hat / so acht ers ring / schlägts bald in wind / meinet es sey gleich vergessen / kein Hane werde mehr darnach kräen.»

Die Redensart ist also bereits im 16. Jahrhundert gut bezeugt und wird noch heute gern gebraucht. Der Autor Harald Grill veröffentlichte 1990 sein erfolgreiches Jugendbuch «Da kräht kein Hahn nach dir», und die «Berner Zeitung» gab am 8. Februar 2017 einem Interview mit Martin Rufener, einst Cheftrainer der Schweizer Männer im Skisport, den Titel «Es kräht kein Hahn nach dir».

Doch seit dem 16. Jahrhundert kräht manchmal auch keine Henne einem toten Hahn nach. In Johann Fischarts «Geschichtklitterung» von 1575 lesen wir: «Wann der Han todt ist krähet kein Henne nach ihm, niemand truckt ihm mit tieffgesuchten Turteltaubenseufftzen die augen zu, niemand nimpt Leydkleyder auff ihn auss.» Und Christoph Lehmann behauptet in seinem «Politischen Blumengarten» von 1662 sogar, «wann der Hund tod ist / so krähet keine Henne mehr nach». Der «Hund» war in der Vorlage sehr wahrscheinlich ein Hahn; der Schreiber hat sich verschrieben.

Wer in einem Kreis der Mittelpunkt ist und bevorzugt wird, ist Hahn im Korb. Das «Oltner Tagblatt» titelt am 9. September 2014: «Der Auszubildende ist der ‹Hahn im Korb›.» Die Redensart finden wir in der älteren Form der beste Hahn im Korb sein seit dem 16. Jahrhundert, und zwar in Eberhard Trapps «Germanicorum adagiorum» von 1539 und in Sebastian Francks Sprichwörtersammlung von 1541 in derselben Form: «er duncket ime der beste hane im korbe sein – er hält sich für den besten Hahn im Korb.» Ein Lexikon der Künste und Wissenschaften von 1767 erklärt: «Der beste Hahn im Korbe seyn, heisst an einem Orte beliebt und vor andern angesehen und wohl gelitten seyn.» Dazu erklärt das «Deutsche Wörterbuch»: «Unter dem jungen hühnervolke, das im hühnerkorbe bewahrt wird, ist der hahn das beste und geschätzteste stück.»

Seit dem 16. Jahrhundert ist auch die beste Henne im Korb sein belegt. Daniel Cramer schreibt 1596 in seinem «Antiquarius», dass beim fröhlichen Treiben junger Gesellen der ausgelassenste «die beste Henne im Korb» sei.

Im Französischen kennt man être bzw. vivre comme un coq en pâte. Ein Beleg aus dem Jahr 1694 lautet: «On dit prov. d’un homme qui est fort mollement à son aise, qu’il est là comme un coq en paste – man sagt redensartlich von einem Mann, der es sehr behaglich hat, er sei wie ein Hahn im Teig.» Meines Wissens hat Peter Rosegger diese Redensart zuerst auf Deutsch gebraucht in «Heidepeters Gabriel» von 1882. Darin sagt eine Wirtin von einem Arzt, er sei ihr lästig, weil er «auf hohem Ross herumhopse und stolziere wie der Hahn im Teig».

Der Mann, der stolz ist wie ein Hahn, wird zum Hahnrei «gehörnten Ehemann», wenn ihn seine Frau betrügt. Im ältesten Beleg für dieses Wort, einer Rechtsurkunde von 1297 aus der estnischen Stadt Hapsal, bezeichnet hanreyge jedoch nicht den gehörnten Ehemann, sondern den Ehebrecher. Dieselbe Bedeutung hat Hanreh in Bartholomäus Ringwaldts «Die lauter Wahrheit» von 1590. Deshalb vermutet man, dass das Wort aus Hahn und reihisch «brünstig» zusammengesetzt ist. In den meisten neueren, seit dem 16. Jahrhundert einsetzenden Belegen bezeichnet Hahnrei, Hanreh bis heute den betrogenen, gehörnten Ehemann, wie in den «Frauenzimmer Gesprechspielen» von 1647, in denen eine Frau ihren Ehemann zu einem «hochtrabenden Hanrey» machen will. Stützt man sich auf diese neuere Bedeutung, könnte der zweite Wortteil -rei auch auf rūn «beschnitten, beschnittenes Tier» zurückzuführen sein, wie in ostfriesisch hanrune «Kapaun, betrogener Ehemann».

 

Das Wort Hahn kommt nicht nur im Zusammenhang mit Hühnervögeln vor: Goldhähnchen sind eine Gattung von kleinen, baumbewohnenden Singvögeln, von denen es sechs Arten gibt, nämlich die Rubin-, Formosa-, Sommer-, Madeira-, Winter- und Indianergoldhähnchen.

Übertragen wurde das Wort Hahn auf ein Gerät, nämlich den Wasserhahn oder Wasserhahnen, älter auch Küchenhahn, bzw. den Zapfhahn. Genannt wurde er so, weil er in seiner ursprünglichen Gestalt einem Hahn glich. Einen der frühen Belege finde ich in der «Hydraulica Augustana» von 1754, wo vom «hiezu gehörigen Wasser-Hahnen» die Rede ist. Heute sprechen wir vom Bierhahn und Gashahn. Wir sagen in der Deutschschweiz dem Hahnenwasser «Leitungswasser» scherzhaft Hahnenburger in Anlehnung an das einst bekannte Weissenburger Mineralwasser.

Geben wir jemandem kein Geld mehr, drehen wir ihm den Geldhahn oder Geldhahnen ab bzw. zu. Diese vom Wasserhahn ausgehende Redensart stammt aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Frühe Beispiele finden wir in der «Bunten» von 1963: «der dreht dann seinem Sohn den Geldhahn ab», in der «Bild»-Zeitung» vom 31. März 1964: «Ausserdem drehte Feisal König Saud den Geldhahn ab» und im «Amtlichen Bulletin der Bundesversammlung» von 1964: «durch staatliche Massnahmen den Geldhahnen brüsk zuzudrehen».

Die Pflanzenbezeichnung Hahnenfuss, die seit dem Althochdeutschen des frühen Mittelalters belegt ist, geht darauf zurück, dass die Blätter dieser Pflanze einem Hahnenfuss gleichen. In der Fachsprache der Textilbranche ist ein pied-de-coq oder Hahnentritt ein Muster basierend auf Karos, deren Ecken verlängert sind. Die feinere Variante nennt man pied-de-poule oder Hühnertritt.

In vielen Mundartgebieten nennt man die Vogelmiere Hahnen-, Hühner- oder Hennendarm. In der Deutschschweiz unterscheiden wir den Fäld-, Bärg-, Wald- und Wasserhüennerdarm. Bereits 1575 erklärt ein «Rossarzneibuch»:

«Nim das krut hänendarm genempt, woll zerstossen unnd durch ein tuoch woll getruckt, saltz es ein wenig, thuo das über die ougen, so werden sy liecht und clar.»

Hühnerhaut und Hühnerauge

Übertragen wir Bezeichnungen, die vom Huhn ausgehen, auf unseren Körper, betreffen sie in der Regel Unangenehmes oder Krankhaftes. Hühnerbrust nennen wir eine kielförmige Verwölbung des Brustbeins. Wenn uns friert, auch im übertragenen Sinn, d. h. vor Angst oder Wohlbehagen tschuderet, kriegen wir in den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz, des Elsass, des Badischen und des Vorarlbergischen keine Gänsehaut, sondern eine Hüennerhut, Hüenderhut, Hiänderhuid oder eine Hennehuut. Dazu ist in einigen Mundarten sogar eine Verbform gebildet worden: Es hüennerhutet mi. Wer sein Erschauern mit einer Übertreibung betonen möchte, kann sagen: Ich han e Hüennerhuut überchoo, mi hett chönne Feerli söigge draa.

Der Vergleich der erschauerten Haut mit der Haut eines gerupften Huhns beschränkt sich aber nicht auf germanische Sprachen wie z. B. das niederländische: kippevel krijgen. In der älteren französischen Sprache begegnet man neben chair de poule der unserem Hühnerhaut direkt entsprechenden Bezeichnung peau de poule, z. B. im zweiten Band des «Dictionnaire de l’Académie françoise» aus dem Jahr 1786:

«On appelle Peau de Poule, une peau qui n’est pas lisse, & qui a des élevures pareilles à celles qui sont sur la peau d’une poule plumée. Et l’on dit figurément, Cela fait venir la peau de poule, la chair de poule, pour dire, Cela fait frissonner. – Man nennt eine Haut, die nicht glatt ist und Erhebungen hat, ähnlich denjenigen, die auf der Haut eines gerupften Huhns sind, Hühnerhaut. Und man sagt bildlich das macht mir Hühnerhaut, Hühnerfleisch, um zu sagen, das lässt mich erschauern.»

Auch die Spanier bekommen Hühnerhaut, piel de gallina, oder Hühnerfleisch, carne de gallina.

Die Bezeichnung Hühnerhaut im südlichen Teil des deutschen Sprachraums und im Englischen, chicken skin neben goose bumps, könnte also eine Lehnübersetzung von älterem französischen peau de poule sein. Sonst überwiegt im deutschen Sprachraum Gänsehaut, älter auch Gänshaut; «Gänshaut haben wir bekommen, wie die Reibeisen» (1807).

Peau de poule kommt als Fachbegriff der Textilbranche sogar in der «Ökonomischen Enzyklopädie» von Johann Georg Krünitz aus dem Jahr 1808 vor: «Peau de poule, ein seidener, dem Ansehen nach wie gestrickter Zeug (Stoff), zu Kleidern dienlich, der in Frankreich, Italien, Deutschland (besonders in Crefeldt), Holland und der Schweiz verfertigt wird.»

Das Wort Hühnerauge, Hüenneroug kam erst im 16. Jahrhundert in die deutsche Sprache, und zwar als Lehnübersetzung von oculis pullinus, einem lateinischen Fachbegriff der mittelalterlichen Medizin, der auf der Ähnlichkeit der schmerzenden Hornschwiele mit einem Vogelauge beruht. Vorher nannte man diese schmerzende Hornhautbildung Leichdorn «Körperdorn». Das Hühnerauge hiess auch Elsterauge, niederdeutsch Echsteroge, in unseren Mundarten Agerschte- oder Ägerschtenoug, und Krähenauge, in unseren Mundarten Chrääienoug.

Seit dem 17. Jahrhundert sagt man im Französischen faire le cul de poule «den Hühnerarsch machen», wenn man alle fünf Fingerspitzen einer Hand zusammenlegt oder wenn man die Lippen schürzt und zu einem Kuss vorwölbt. Letzteres nennt man auch bouche en cul de poule, das seit dem 18. Jahrhundert belegt ist. Offenbar ist der Vergleich von Mund und Hühnerarsch in die neuere deutsche Sprache gerutscht: «seinen Mund zu einem Hühnerarsch von einem Kussmäulchen» formen (1984), «der hat einen ganz kleinen runzeligen Mund wie ein Hühnerarsch» (1990), «sein Mund hat auf einmal ausgesehen wie ein kleiner blanker Hühnerarsch» (1994), «beleidigt spitzte Mimi seinen Mund wie zu einem Hühnerarsch» (2011), «sein Mund ist zu einem Hühnerarsch verzogen» (2012). Einen der frühesten deutschen Belege findet man in der deutschen Übersetzung von Martin Andersen Nexøs Roman «Morten der Rote» von 1950: «Sie hat so einen ekelhaft zusammengekniffenen Mund, wie ein Hühnerarsch, der das Ei nicht hergeben will.»

In der alten Pferdearznei nannte man eine Wurmkrankheit, welche offene Beulen erzeugt, hünerars (1788). Ein wissenschaftlicher Bericht von 1870 bezeichnet die Geschwürhöhle als den «bekannten Hühnerarsch = cul de poule».

Auch wer rasch friert oder sehr furchtsam ist, wird sowohl im Süddeutschen als auch in der Deutschschweiz zuweilen als Hüennerfüdle verspottet. Zudem ist Hüehnerfüdle der Name einer Flur in der Nähe von Burgdorf.

Hühnerhof und Hühnermist

Entweder liess man den Hühnern freien Lauf oder man hielt sie in einem umzäunten Hühnerhof, um den «in Garten und Feldern gefährlichen Gäste[n]» (1779) nicht freien Lauf zu lassen. Man schätzte sie im Garten nicht, weil sie scharrten, Staubmulden gruben und gern junges Gartengrün abpickten. Unter den Obstbäumen der Hofstatt waren sie willkommen; sie frassen Schädlinge und düngten den Boden. Manchmal wagten sie sich, um Brosamen aufzupicken, in die Küche, von wo sie mit dem Besen energisch hinausgescheucht wurden. Wer im Frühjahr zeitig Eier und Küken wollte, überwinterte einige Hühner in der Stube. Johann Coler rät 1599 seinen Lesern: «Helt man etliche in der Stuben / die legen auch zeitlich aus / und brüten darnach auch balde darauff / so bekommet man frühe junge Hüner.» Bis ins 20. Jahrhundert gab es in der Schweiz Kleinbauern, die während des Winters Hühner in der Stube hielten, meistens in einem Käfig unter dem Ofen.

In übertragenem Sinn bedeutet der Hühnerhof seit dem 19. Jahrhundert einen Ort des Durcheinanders und der Unruhe. Im Familienblatt «Daheim» von 1874 schildert eine Erzählung, wie ein Junge nach einem längeren Landaufenthalt wieder nach Hause kommt, und es dort anfangs zugeht «wie in einem Hühnerhof, in den ein neues Hühnchen eingesetzt wird». In den «Verhandlungen des deutschen Bundestages» von 1953 wird Gerd Bucerius mit den Worten zitiert: «Wer nur an sich denkt und Rücksichtnahme auf den anderen für Dummheit hält, ist identisch mit dem Autofahrer, der harmlose Fussgänger wie in einem Hühnerhof durcheinanderscheucht.»

Neuer ist der Ausdruck wie ein Hühnerhof, über dem der Habicht kreist bzw. steht. In der «Zeit» von 1948 lesen wir: «Aufgescheucht wie ein Hühnerhof, über dem der Habicht kreist, waren die europäischen Kabinette.» Bereits 1915 beschrieb ein «Kriegsflugblatt des Simplicissimus» eine aufgeregte Schar mit folgenden Worten: «Es war ein Hin und Her, ein Gekreische und Gegacker wie in einem Hühnerhof, über dem der Habicht steht.»

Im Hühnerhaus oder Hühnerstall sind die Hühner nachts vor Raubtieren und Raubvögeln geschützt. Hühnerjagende Raubvögel wie den Habicht, Sperber oder Falken bezeichnen wir in den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz traditionell als Hüennervögel. Wir wehren heute noch zuweilen etwas Unerwünschtes scherzhaft ab mit dem Ausruf bhüet mi Gott vor em Hüennervogel.

Bereits in Josua Maalers Wörterbuch von 1541 ist die Rede vom «Hüenerstall, hüenerhauss, ort, da man die hüener und geflügel zeucht und neert». In den Hühnerstall gelangen die Hühner oft über eine Hühnerleiter. Im übertragenen Sinn bezeichnet das Wort eine «schmale, steile Treppe». Die Hausväterliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts riet, das Hühnerhaus in der Nähe der Küche oder des Backofens mit ihren offenen Feuern zu bauen, «damit sie den Rauch davon empfangen / welches ihnen trefflich gut ist / und machet / dass sie desto mehr Eyer legen», wie Georg Andreas Böckler in der «Nützlichen Hauss- und Feld-Schule» von 1678 rät. Ein solches Hühnerhaus, beschreibt ein Hausväterbuch aus dem Jahr 1703, hat Sitzstangen, «damit die Hüner nach Belieben auffsitzen / ruhen / und von denen Ratzen und Mäusen unangetastet bleiben». Es muss Türen und Fenster haben, die man «nach Belieben wol verschliessen kan / damit die Marder / Iltise / und andere den Hünern gar gefehre (gefährliche) Raub-Thiere sich nicht dadurch hinein schleichen. […] Dieses Hüner-Kämmerlein muss man wöchentlich durchgehends fleissig reinigen / und zumal im Sommer öffters mit Lauge besprengen / die Hüner-Flöh und Würm zu vertreiben.»

Man pflegte in früheren Zeiten sein Federvieh gut, weil es Eier, Fleisch, Knochen, Federn und Mist lieferte. Man fütterte es nicht nur mit Körnern und Grünzeug, sondern legte auch einen Wurmhaufen an:

«Ein Wurmhaufen bestehet aus einer abhängigen Grube mit verfaultem Miste, den man mit Rinderblut besprengt, mit Hafer besäet, und mit Schaafdärmen vermischt, den Sommer über mit Dornbüschen und Steinen bedeckt, gegen den Winter öffnet, und davon man den Hühnern täglich etliche Schaufeln vorwirft.» (1787)

Der Hühnermist oder Hüennerdräck war gut für den Garten; Heinrich Hesse schreibt in seinem «Teutschen Gärtner» von 1724, im Frühling solle man die Erde aufgraben und «alten küh- hüner- oder tauben-mist dabey legen». Auch in Kinderversen und Volksmedizin hatte er einen festen Platz. In Basel sagten die Kinder de Maitli git me Grut und Spägg und de Buebe Hiennerdrägg, im Wallis es lüütet Zmittag, der Herr ist im Grab, den Büeben en Blattete Späck, den Meitjene en Blattete Hennudräck. Auf die Scherzfrage was gits Zmittag antwortete man Fleisch und Späck und Hüennerdräck.

Einem jungen Mann, dessen Schnurrbart nicht wachsen will, empfiehlt die Volksmedizin, auf die innere Seite der Lippe Hüennerdräck und aussen Honig einzureiben, denn der Hühnermist stösst und der Honig zieht. Der «Grosse Helden-Schatz» von 1730 rät gegen «Schwulst an Schenckeln»: «Mache ein Bad von Hüner-Mist und Weitzen-Kleyen, also dass du heiss Wasser darauf giessest, und wohl umrührest, bade die Schenckel darinnen, das macht sie auch bald niederfallend.» Hühnermist verabreichte man auch oral: In seinem «Artzneybuch» von 1595 rät Oswald Gabelkover als Mittel für die Gebärmutter: «Nim das weiss von Hünermist / als gross als ein Gartenerbis (Gartenerbse): Zerreibs in einem Löffel vol Weins / und gibs eyn. Es ist gewiss (es hilft sicher).»

 

Heute, da die Hühnerhöfe selten geworden sind, ist «huehnerhof.net» eine der grössten deutschsprachigen Geflügelseiten für Hühnerfreunde im Internet. Und seinen festen Platz hat der Hühnerhof in der Managementliteratur. Im Buch «Kollegen sind die Pest» (2013) von Jochen Leffers lesen wir, das Huhn werde in der modernen Managementliteratur unterschätzt. «Dabei sind die Hühner viel näher dran an den Problemen, mit denen wir es täglich im Büro zu tun haben. Vor allem, wenn es sich um ein Grossraumbüro handelt, das einer Legebatterie gleicht.» Es komme darauf an, meint der Autor, «einen passablen Platz in der Hackordnung zu ergattern und gegen alle Anfeindungen zu verteidigen». Das ist hirnlose, flotte Schreibe über unmenschliche oder leider allzu menschliche Zustände in einer von der kapitalistischen Ökonomie beherrschten Welt, in der die meisten Hühner als Batteriehühner in Legebatterien oder als Masthühner dahinvegetieren, weil für sie gewissenlos prekäre Lebensräume geschaffen werden.