Buch lesen: «Verfassungsprozessrecht», Seite 8

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II. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

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Das BVerfG darf der Behauptung eines Beschwerdeführers, er sei durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt, nur dann nachgehen, wenn dessen Antrag zulässig ist. Durch die §§ 90, 92, 93, 94 und 95 BVerfGG hat der dazu gem. Art. 94 Abs. 2 GG berufene Bundesgesetzgeber das Verfassungsbeschwerdeverfahren näher ausgestaltet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist die Einreichung derselben. Das Rechtsschutzinteresse muss in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch bei Entscheidung des Gerichts gegeben sein (s. etwa BVerfGE 106, 210, 214).

§ 3 Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a, 4b GG) › II. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen › 1. Ordnungsgemäßer Antrag

1. Ordnungsgemäßer Antrag

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Anträge, mit denen ein Verfassungsbeschwerdeverfahren in Gang gebracht werden soll, sind wie alle verfahrenseinleitenden Anträge gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG schriftlich beim BVerfG einzureichen und gem. § 23 Abs. 1 S. 2 BVerfGG unter Angabe der erforderlichen Beweismittel zu begründen. Gemäß § 92 BVerfGG sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, in der Begründung der Beschwerde zu „bezeichnen“. Viele Verfassungsbeschwerden scheitern, weil der Antrag den strengen Anforderungen nicht genügt, die das BVerfG aus §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG entwickelt hat[29].

a) Schriftliche Einreichung (§ 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG)

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Der Antrag muss schriftlich niedergelegt werden, „um eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung zu schaffen“ (BVerfGE 15, 288, 292). Telefonischer Vortrag bleibt unberücksichtigt, und auch eine mündliche Antragstellung zu Protokoll der Geschäftsstelle des BVerfG ist nicht zulässig. Die in § 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG geforderte Schriftlichkeit „verlangt nur, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können“ (BVerfG aaO, 291). Eine handschriftliche Unterzeichnung des Antrags ist daher nicht unbedingt erforderlich; „der Urheber der Erklärung kann auch auf andere Weise angegeben werden“ (BVerfG aaO). Deshalb können auch ein Telegramm (BVerfGE 32, 365, 368), ein Telefax (BVerfG-K NJW 1996, 2857 uö) und selbst ein Computerfax (vgl dazu GemS-OBG BGHZ 144, 160; BGH NJW 2005, 2086) dem Schriftformerfordernis genügen.

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Per E-Mail oder De-Mail können Verfassungsbeschwerden nicht wirksam übermittelt werden (BVerfG-K 1 BvR 2391/10 vom 19.11.2018, Abs.-Nr 3 f mwN)[30]. Gegen die Zulassung dieser Kommunikationsform durch den Gesetzgeber spricht, dass sie die Hemmschwelle für querulatorische Antragsteller senken und so das Recht auf effektiven Grundrechtsschutz durch das BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a GG) insgesamt eher schwächen denn stärken dürfte.

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Eingereicht ist der Antrag erst dann, wenn er in den Herrschaftsbereich des Gerichts gelangt ist. Bei einer Übersendung per Fax reicht es aus, dass die Sendung vor Fristablauf im Internspeicher des Empfangsgeräts des Gerichts eingegangen ist (BVerfG-K NJW 1996, 2857). Kommt es bei der Übermittlung zu Verzögerungen, gehen diese nur dann zulasten des Antragstellers, wenn sie seiner Sphäre zuzurechnen sind (näher Rn 336 f). Geringfügige Übertragungsfehler sind unschädlich (vgl BVerfGE 139, 19, 44).

b) Funktion und inhaltliche Anforderungen (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG)

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Die vom BVerfG aus den §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG entwickelten strengen Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift stoßen nicht selten auf Kritik[31]. Sie machen aber Sinn, wenn man sich die dreifache Funktion der Beschwerdeschrift klar macht[32]: Der Antrag soll erstens der Festlegung des Streitgegenstands dienen (Rn 124 ff), zweitens durch Angabe der Prüfrichtung vermeiden, dass sich das Gericht auf eine zeitaufwändige „allgemeine Fehlersuche“ begeben muss (Rn 130) und drittens das BVerfG in die Lage versetzen, im Rahmen des Annahmeverfahrens ohne weitere Ermittlungen Erfolgsaussichten und Annahmewürdigkeit der Verfassungsbeschwerde zügig und zuverlässig abschätzen zu können (Rn 132 ff).

aa) Festlegung des Streitgegenstands

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Im Verfassungsbeschwerdeverfahren gilt die Dispositionsmaxime: Das BVerfG wird nicht von Amts wegen zur Durchsetzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte tätig. Die Träger dieser Rechte können vielmehr entscheiden, ob sie das BVerfG mit der Behauptung befassen wollen, sie seien durch einen bestimmten Akt der öffentlichen Gewalt in einem bestimmten Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzt (vgl § 90 Abs. 1 BVerfGG: in „einem“ seiner Grundrechte). Ob diese Behauptung zutreffend ist, kann das BVerfG überhaupt nur dann überprüfen, wenn der Antragsteller hinreichend deutlich macht, durch welchen Akt der öffentlichen Gewalt er sich in welchem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzt fühlt. § 92 BVerfGG, der die „Bezeichnung“ des angegriffenen Hoheitsakts und des gerügten Rechts verlangt, dient also vor allem der Festlegung des Streitgegenstands[33].

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Greift der Beschwerdeführer – was zulässig und wegen des Gebots der Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) die Regel ist – in einem Schriftsatz mehrere Akte der öffentlichen Gewalt an (zB einen Verwaltungsakt, das zugrunde liegende Gesetz und die Gerichtsentscheidungen, die die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestätigt haben) oder sieht er durch einen Akt der öffentlichen Gewalt mehrere Grundrechte und/oder grundrechtsgleiche Rechte als verletzt an, handelt es sich genau genommen um mehrere Verfassungsbeschwerden mit je eigenem Streitgegenstand[34].

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Es empfiehlt sich daher, schon bei der Prüfung der Ordnungsgemäßheit des Antrags die Angriffsgegenstände zu identifizieren und die einzelnen Grundrechtsrügen herauszuarbeiten, wobei der Antrag des Beschwerdeführers bzw. die im Sachverhalt eines fiktiven Falles zu findenden Angaben sachgerecht auszulegen sind (vgl etwa BVerfGE 128, 326, 363). Die Zulässigkeitsprüfung ist dann bezogen auf jeden dieser Angriffsgegenstände und jede der Grundrechtsrügen durchzuführen. Dabei kann sich herausstellen, dass die Verfassungsbeschwerde nur teilweise zulässig ist, zB weil der Beschwerdeführer nicht Träger eines der gerügten Grundrechte und daher insoweit nicht beschwerdefähig ist oder weil der Rechtsweg gegen einen der gerügten Hoheitsakte nicht ordnungsgemäß erschöpft ist[35]. – In der Rechtsprechung des BVerfG wird dies nicht immer ganz deutlich, etwa, wenn in BVerfGE 142, 268, 279 betont wird, dass der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zweier Beschwerdeführer nicht entgegenstehe, dass für die Möglichkeit der von ihnen gerügten Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG nichts ersichtlich sei, weil bereits die von ihnen in erster Linie erhobene Rüge der Verletzung ihrer Berufsfreiheit die Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerde begründe.

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Zur Festlegung des Streitgegenstands ist es nicht erforderlich, dass der Beschwerdeführer das Recht, das verletzt sein soll, ausdrücklich benennt (BVerfGE 115, 166, 180 mwN). Es schadet daher auch nichts, wenn der Beschwerdeführer das gemeinte Grundrecht irrtümlich falsch bezeichnet (BVerfGE 130, 76, 110 mwN), ein Ausländer also etwa eine Verletzung seiner „Berufsfreiheit“ rügt[36]. Es genügt, wenn sich aus der Begründung insgesamt hinreichend deutlich ergibt, welches Grundrecht der Beschwerdeführer als verletzt ansieht (im Beispiel: die Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG). Die unspezifische Behauptung, hier liege eine „erhebliche Grundrechtsverletzung“ vor, genügt nicht.[37]

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Den angegriffenen Akt hoheitlicher Gewalt, dh die „Handlung oder Unterlassung des Organs, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt“, muss der Beschwerdeführer in seinem Antrag so genau „bezeichnen“ (§ 92 BVerfGG), dass das BVerfG diesen verlässlich identifizieren kann[38]. Hierbei sieht sich das BVerfG zu Recht nicht an die wörtliche Fassung des Antrags gebunden (BVerfGE 142, 353, 367 mwN) und berücksichtigt auch die Begründung des Antrags (vgl BVerfGE 6, 386, 387 f – aus der Begründung kann sich ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht nur eine gerichtliche Entscheidung, sondern auch den zugrunde liegenden Verwaltungsakt angreift; BVerfGE 128, 326, 363 – bei „sachgerechter“ Auslegung des Antrags ergebe sich, dass die Verfassungsbeschwerde mittelbar auch gegen die den angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen zugrundeliegenden Vorschriften gerichtet ist; BVerfGE 141, 220, 259 – bei „verständiger“ Auslegung der Verfassungsbeschwerden erstreckten sie sich auch auf weitere Regelungen des Gesetzes). Es reicht jedenfalls nicht aus, „Schädigungen durch deutsche Behörden“ zu rügen (BVerfGE 2, 237, 244). Es reicht in der Regel auch nicht aus, ein Gesetz insgesamt zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde zu machen. Erforderlich ist „die exakte Bezeichnung der einzelnen mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Bestimmungen“ (BVerfGE 109, 279, 305; BVerfG, 1 BvR 1865/10 vom 21.9.2010, Abs.-Nr 2 f).

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Greift der Beschwerdeführer ein Gerichtsurteil oder einen Verwaltungsakt an, muss er Datum und Aktenzeichen nennen oder die angegriffene Entscheidung in Kopie beifügen, um Verwechslungen auszuschließen. Rügt er ein Unterlassen, muss er deutlich machen, welches Organ oder welche Behörde welche Handlung konkret unterlassen hat bzw angesichts welcher Gefahrensituation diese gänzlich untätig geblieben sind (s. dazu näher BVerfGE 77, 170, 214 ff).[39]

bb) Angabe der Prüfrichtung

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Die Begründung der Verfassungsbeschwerde – vorausgesetzt in § 92 BVerfGG („In der Begründung […]“), vorgeschrieben durch § 23 Abs. 1 S. 2 BVerfGG[40] – dient zum einen dazu, dem BVerfG bei der Überprüfung des angegriffenen Hoheitsaktes die Richtung zu weisen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts muss der Grundrechtsträger Freiheitseinschränkungen nur dann hinnehmen, wenn sie sich aus verfassungsgemäßen Gesetzen ergeben, die verfassungsgemäß angewendet wurden (s. Rn 242). Jeder Verfassungsverstoß kann also zu einer Grundrechtsverletzung führen. Würde sich der Grundrechtsberechtigte auf die Behauptung beschränken, er sei durch einen bestimmten Akt der öffentlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt, müsste sich das Gericht, um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Behauptung zu erweisen, auf eine zeitaufwändige „allgemeine Fehlersuche“ begeben, den angegriffenen Akt öffentlicher Gewalt also unter jedem denkbaren Gesichtspunkt auf jeden nur denkbaren Verfassungsverstoß hin untersuchen.

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Es ist dem Beschwerdeführer – um dessen Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht es schließlich geht – zur Vermeidung aufwändiger Recherchen zuzumuten, nicht nur zu behaupten, er sei in seinen Grundrechten verletzt, sondern auch hinreichend deutlich zu machen, warum er sich in seinem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht im Sinne des § 92 BVerfGG „verletzt fühlt“ (BVerfGE 120, 274, 298). Rechtsausführungen sind hierfür ungeachtet des Grundsatzes iura novit curia in aller Regel – es sei denn, die Grundrechtsverletzung ist offensichtlich – unabdingbar[41]. Im Einzelfall kann es auch zumutbar sein, unterstützende Beratung in Anspruch zu nehmen, um einen Verfassungsverstoß substantiiert rügen zu können, etwa, wenn es um komplexe Regelungen bzw. Sachverhalte geht (BVerfGE 131, 66, 82). Greift der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde mehrere Gerichtsentscheidungen an, die auf verschiedenen Gründen beruhen, muss er sich mit jeder einzelnen auseinandersetzen (BVerfGE 128, 90, 99).

cc) Grundlage für das Annahmeverfahren

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Es genügt nicht, dass der Beschwerdeführer dem BVerfG nur die Richtung für seine Prüfung weist. Das vom Gesetzgeber eingeführte Annahmeverfahren kann das Gericht nur dann entlasten, wenn die Annahmeentscheidung mit weniger Aufwand verbunden ist als die Sachentscheidung[42]. Deshalb muss der Beschwerdeführer dem Gericht alle Informationen liefern, die es braucht, um „ohne weitere Ermittlungen über die Sachentscheidungsvoraussetzungen befinden und sich darüber hinaus bei Verfassungsbeschwerden im Hinblick auf das Annahmeverfahren eine Meinung über die Erfolgsaussicht des Begehrens bilden“ zu können (BVerfG-K, 1 BvR 1840/98 vom 18.2.1999, Abs.-Nr 8).

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Das bedeutet zunächst, dass der Beschwerdeführer zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen seiner Verfassungsbeschwerde umfassend vortragen muss.

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Beispiele:

Ob eine Urteilsverfassungsbeschwerde fristgemäß eingereicht worden ist, kann das BVerfG in der Regel nur dann ohne weitere Ermittlungen beurteilen, wenn der Beschwerdeführer das Datum der Zustellung der angegriffenen Entscheidung mitteilt. Versäumt er dies, ist die Verfassungsbeschwerde nicht ordnungsgemäß erhoben und daher unzulässig. Ob der Beschwerdeführer alle verfügbaren Möglichkeiten genutzt hat, um die gerügte Grundrechtsverletzung bereits im fachgerichtlichen Verfahren abzuwehren (vgl Rn 285 ff), kann das Gericht nur dann beurteilen, wenn der Beschwerdeführer in seinem Antrag mitteilt, was er im fachgerichtlichen Verfahren vorgetragen hat (vgl etwa BVerfG-K, 2 BvR 1693/04 vom 31.5.2006, Abs.-Nr 6)[43]. Der Beschwerdeführer muss aufzeigen, dass und warum er durch eine Norm selbst und gegenwärtig betroffen ist – es sei denn, es kann praktisch für jedermann von einer möglichen Betroffenheit ausgegangen werden (BVerfGE 120, 274, 299).

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Eine Meinung über die voraussichtliche Begründetheit der Verfassungsbeschwerde kann sich das BVerfG nur dann bilden, wenn es den Inhalt der vom Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen kennt. Greift der Beschwerdeführer etwa ein Gerichtsurteil an, muss er dieses entweder in Kopie beifügen oder zumindest den Inhalt so detailliert wiedergeben, dass es dem Gericht möglich ist, zu beurteilen, ob der Vorwurf der Grundrechtsverletzung zutreffend ist (BVerfGE 88, 40, 45; 93, 266, 288)[44]. Lässt sich nur anhand eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens die Berechtigung der vorgebrachten Grundrechtsverletzungsrügen beurteilen, muss dieses mit vorgelegt oder dessen Inhalt detailliert mitgeteilt werden (BVerfGE 129, 269, 278).

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Der Beschwerdeführer darf sich – soll das Annahmeverfahren seinen Entlastungszweck erreichen – nicht darauf beschränken, dem BVerfG nur die Tatsachen mitzuteilen. Liegt die von ihm behauptete Grundrechtsverletzung durch den von ihm angegriffenen Akt der öffentlichen Gewalt nicht auf der Hand, muss er sich auch mit der Würdigung des Sachverhalts nach einfachem Recht und nach Verfassungsrecht auseinander setzen[45]. Der Beschwerdeführer muss deutlich machen, dass und warum durch den angegriffenen Akt öffentlicher Gewalt in spezifischer Weise Verfassungsrecht verletzt wurde. Soweit das BVerfG für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe formuliert hat, muss der Beschwerdeführer anhand dieser Maßstäbe aufzeigen, inwieweit seine Grundrechte durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt wurden (vgl etwa BVerfGE 102, 147, 164; 130, 1, 21; 149, 86, 109).[46] Sinn und Zweck dieser Forderung ist es, dem BVerfG zeitaufwändige eigene Recherchen im Rahmen des Annahmeverfahrens möglichst zu ersparen[47].

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Beispiele:

Die Verfassungsbeschwerde gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG hat das BVerfG insoweit für unzulässig erklärt, als die Beschwerdeführer behauptet hatten, die angegriffene Regelung sei schon deshalb grundrechtsverletzend, weil das LuftSiG der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte und diese nicht erteilt worden sei. Die Verfassungsbeschwerde führe nicht aus, „welche Vorschriften mit einem nach Art. 87d Abs. 2 GG zustimmungsauslösenden Inhalt konkret durch das jetzt erlassene Gesetz geändert worden sein sollen und inwieweit dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Vorschrift die Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes begründet haben könnte“ (BVerfGE 115, 118, 136). – Dass die Substantiierungs- und Begründungserfordernisse einer Verfassungsbeschwerde gerade bei umstrittenen Fragen nicht überspannt werden dürfen, wird in BVerfGE 115, 97, 106 f mit Recht betont: Der Beschwerdeführer, der eine Grundrechtsverletzung durch seine steuerliche Gesamtbelastung gerügt hatte, habe davon ausgehen dürfen, „dass die Frage, welche Bemessungsgrundlage zur Ermittlung der Belastungsobergrenze die allein sachgerechte ist, ebenso wie die Frage, ob der ‚Halbteilungsgrundsatz‘ überhaupt eine verfassungsrechtliche Obergrenze für die Einkommen- und Gewerbesteuerbelastung bildet, eine Frage der Begründetheit seiner Verfassungsbeschwerde“ sei.

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Ist die Begründung unzureichend, ist die Verfassungsbeschwerde formwidrig und daher unzulässig. Wenn auch die Annahme, dass ein vollständiger Vortrag die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung hätte aufzeigen können, „an den Haaren herbeigezogen erscheint“[48], scheitert sie an der fehlenden Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers (§ 90 Abs. 1 BVerfGG, dazu ausf. Rn 230 ff).

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Beispiel:

Die Verfassungsbeschwerde eines Polizeibeamten, der ua eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG durch die Durchsuchung seines Dienstzimmers gerügt hatte, scheiterte insoweit nicht an der Beschwerdebefugnis, sondern an den Substantiierungsanforderungen, da Amtsräume grundsätzlich unter den Wohnungsbegriff fallen können (BVerfGE 32, 54, 68 ff), der Beschwerdeführer jedoch nichts dazu vorgetragen hatte, ob sein Dienstzimmer der „räumlichen Privatsphäre“ (BVerfG aaO, 72) zuzurechnen war.

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Auch zu den Annahmevoraussetzungen sollte der Beschwerdeführer Ausführungen machen. Ob ihm durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht (§ 93a Abs. 2 lit. b HS 2 BVerfGG), kann das BVerfG ohne entsprechende Angaben des Beschwerdeführers nicht entscheiden. Ob die Verfassungsbeschwerde hingegen zur Entscheidung anzunehmen ist, weil ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (§ 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG) oder weil es zur Durchsetzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 lit. b HS 1 BVerfGG), kann das BVerfG auch ohne dahingehende Ausführungen des Beschwerdeführers selbst entscheiden. Dem Beschwerdeführer bleibt es selbstverständlich unbenommen, die genannten Voraussetzungen darzulegen und Überzeugungsarbeit zu leisten, wenn er eine Annahme nach diesen Gründen erstrebt[49].

c) Ergänzung und Erweiterung des Antrags

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Nach Ablauf der Beschwerdefrist kann der Vortrag noch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ergänzt (BVerfGE 109, 279, 305) und vertieft werden (BVerfGE 131, 268, 285)[50]. Um weitere Verfahrensgegenstände erweitert werden – etwa durch Rüge neuer Akte öffentlicher Gewalt oder die Behauptung der Verletzung weiterer, bislang nicht gerügter Grundrechte – kann die Verfassungsbeschwerde nur, soweit die Beschwerdefrist insoweit noch nicht abgelaufen ist (BVerfG aaO). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die ursprünglich angegriffene untergesetzliche Regelung während des laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens durch eine inhaltsgleiche gesetzliche Regelung ersetzt wird: Die gesetzliche Regelung kann dann innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG durch Antragsänderung zum neuen bzw. weiteren Gegenstand des Verfahrens gemacht werden (BVerfGE 136, 338, 358). Ob eine bloß ergänzende Konrektisierung des Antrags vorliegt oder der Verfahrensgegenstand unzulässig geändert wird, ist durch Auslegung zu ermitteln (BVerfGE 127, 87, 110).

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Umfang:
1110 S. 1 Illustration
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9783811492806
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