Systematische Theologie

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Aus der Reihe: utb basics
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Aufgaben

1 Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Entwicklung des Theologiebegriffs im Mittelalter.

2 Welche Bedeutung hat die Rezeption der Philosophie von Aristoteles für das Theologieverständnis im Mittelalter?

3 Informieren Sie sich über den Aufbau und die methodischen Grundlagen der Summa theologica des Thomas von Aquin.

[41]2.3 Die ReformationReformation, Reformationszeit: Der große Umbruch

Die ReformationReformation, Reformationszeit beinhaltet einen Epochenbruch. Durch sie entstanden unterschiedliche Auffassungen des wesentlich Christlichen in Europa, die sich gegenseitig ihren WahrheitsanspruchWahrheitsanspruch bestritten. In der Theologie kommt es dadurch zu einer *KonfessionalisierungKonfessionalisierung. In den dogmatischen Konzeptionen wird der Anspruch erhoben, die einzig verbindliche Deutung der WahrheitWahrheit der biblischen Offenbarung auf systematische Weise auszuarbeiten. Erst dadurch entsteht die Disziplin der Dogmatik als eine zusammenfassende Darstellung und Erörterung des aus der Bibel entnommenen Lehrbegriffs einer KonfessionKonfession. Durch die Reformation kommt es aber auch zu einer Verinnerlichung der Religion. Zwar halten die Reformatoren an der gleichsam objektiven Bestimmtheit der Inhalte der christlichen ReligionReligionchristliche fest, aber deren Fokus verschiebt sich in die InnerlichkeitInnerlichkeit des Glaubens. Gott begegnet allein im Glauben und nicht in äußeren sakramentalen Handlungen. Damit treten metaphysische Erwägungen über das Wesen GottesWesen Gottes in der Theologie zurück. Gott interessiert allein in seiner Beziehung zum einzelnen Menschen.

Literatur

Thomas Kaufmann: Geschichte der ReformationReformation, Reformationszeit, Frankfurt a.M./Leipzig 2009.

a. Martin LutherLuther, Martin

Für Martin LutherLuther, Martin ist Theologie als Erkenntnis Gottes und des MenschenTheologie die Erkenntnis Gottes und des Menschen. Dieses Verständnis von Theologie ist das Resultat seiner Auslegung der Bibel im akademischen Lehrbetrieb, zu der er durch die Übernahme der Wittenberger Professur im Jahre 1513 angehalten war. Seine Bibelauslegung stand im Kontext von Kloster und Universität. Sie führte ihn in den folgenden Jahren zu einem von der theologischen Lehrtradition abweichenden Verständnis des christlichen Glaubens. Glaube, so die Meinung des Wittenberger Reformators, ist die GerechtigkeitGerechtigkeitGottesGerechtigkeit Gottes. Diese ist keine göttliche Eigenschaft, sondern eine GabeGabe, die Gott dem Menschen umsonst gibt. Dadurch wird der Mensch vor Gott gerecht. Deshalb ist der Glaube bereits das Ganze des christlichen Heils im Gottesverhältnis. Außer und neben ihm bedarf [42]es keiner weiteren sakramentalen oder kultischen Handlungen. Sein neues Verständnis des Glaubens, der nun zu einem theologischen Zentralbegriff wird, ist Luther in seiner Auseinandersetzung mit dem BußsakramentBußsakrament der mittelalterlichen Theologie und Kirche erwachsen. Bereits in seiner ersten Vorlesung über die Psalmen, den Dictata super psalterium (1513–1515) rückt das Thema der BußeBuße in sein Blickfeld. Gegenüber den drei Bestandteilen des SakramentsSakrament, der Reue, dem BekenntnisBekenntnis und der Genugtuung (lateinisch: contritio, confessio und satisfactio), macht er geltend, die Buße erstrecke sich auf das gesamte Leben des Christen und keinesfalls lediglich auf den sakramentalen Akt. Sie ist Lebensbuße, wie es prägnant in der ersten der 95 Thesen über die Kraft des AblassAblasses heißt.

Die Bedeutung der BußeBuße für die Herausbildung des theologischen Denkens von LutherLuther, Martin wird deutlich, wenn man sein frühes Bußverständnis genauer in Betracht nimmt. In ihr entsteht bei dem einzelnen Menschen erst das Bewusstsein, dass er selbst ein Sünder vor Gott ist. Buße ist die SelbsterkenntnisSelbsterkenntnis des Menschen hinsichtlich seines eigenen Sünderseins. Darin gibt jedoch der Mensch Gott und seinem Urteil über ihn RechtRecht. Dem Urteil Gottes zufolge sind alle Menschen Sünder und Lügner (vgl. Ps 116,11; Röm 3,4). Der Mensch will dies jedoch nicht wahrhaben. Dadurch verschwindet gewissermaßen die Sünde. Der Einzelne belügt sich dadurch freilich selbst und – gravierender noch – widerspricht dem Urteil Gottes über ihn. Sündenerkenntnis hingegen und deren Bekenntnis entsprechen dem göttlichen Urteil. Der Mensch stimmt mit Gott überein, und darin ist er gerecht. Derjenige, der sich als ein Nichts vor Gott erkennt, vertraut nicht mehr auf sich selbst, sondern allein auf Gott und seine VerheißungVerheißung der SündenvergebungSündenvergebung. Die Übereinstimmung des Menschen mit Gott bildet den Kern von Luthers Verständnis des rechtfertigenden Glaubens. Er entdeckte es in seiner Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen Bußverständnis. In der weiteren Entwicklung seines Denkens zwischen 1513 und 1520 wurde das Verständnis der Buße zur Grundlage seines neuen Verständnisses des Glaubens.

Der Glaube ist das Ganze des christlichen HeilsGlaube ist das Ganze des christlichen Heils. Er beinhaltet die SelbsterkenntnisSelbsterkenntnis des Einzelnen hinsichtlich seines eigenen Sünderseins sowie das VertrauenVertrauen auf Gottes VerheißungVerheißung der SündenvergebungSündenvergebung. Zwischen den beiden Aspekten besteht eine *AntinomieAntinomie. LutherLuther, Martin hat sie in Anlehnung an 1Sam 2,6 stets so formu[43]liert: „Der Herr tötet und macht lebendig, er führt in die Hölle hinunter und wieder heraus.“ Sowohl die Erkenntnis des eigenen Sünderseins als auch das Vertrauen auf Gott führt Luther auf ein göttliches Handeln am Menschen zurück. Im *GesetzGesetz begegnet Gott dem Menschen als fordernder Anspruch. Es erheischt die bedingungslose LiebeLiebe zu Gott. Der Mensch vermag allerdings der Forderung des Gesetzes nicht zu entsprechen. In sein Handeln sind stets egoistische Motive eingelagert. Deshalb besteht die theologische Funktion des Gesetzes darin, den Abstand des Menschen zu Gott aufzudecken. Der unter der Forderung Gottes stehende Mensch erkennt sich auf diese Weise selbst als Sünder. Gott erscheint ihm unter und in dem Gesetz als unerbittlich fordernde Macht. Das *EvangeliumEvangelium hingegen bezieht sich auf eine doppelte Weise auf die Selbsterkenntnis des Menschen als Nichts vor Gott. Es bestätigt zunächst die WahrheitWahrheit dieser Erkenntnis. Alles Handeln des Menschen, auch das, welches der sittlichen Forderung äußerlich entspricht, ist durch selbstbezügliche Momente gebrochen. Zugleich verneint das Evangelium das mit dem Gesetz verbundene GottesbildGottesbild. Gott ist Liebe und keine unerbittlich fordernde Macht.

GesetzGesetz und EvangeliumEvangeliumGesetz und stehen in einer gedanklich unaufhebbaren Spannung. Sie löst sich nur im individuellen Vollzug des Glaubens auf. Das ist der Grundgedanke des Reformators. Glaube ist rechtfertigender GlaubeGlaube ist rechtfertigender Glaube (lateinisch: fides iustificans). Von ihm aus bildet LutherLuther, Martin die Theologie um und spitzt sie auf das individuelle Heil, den Glauben zu. Der GottesgedankeGottesgedanke wird von ihm auf die Entstehung des Glaubens bezogen. Gott ist allein im Glauben beim Menschen. Die AntinomieAntinomie von Gesetz und Evangelium muss folglich in das GottesbildGottesbild aufgenommen werden. Sie erscheint hier als Antinomie von Gottes fremdem und eigenem Werk. Gott offenbart sich stets unter dem Gegenteil verborgen. Er tötet, um lebendig zu machen. Entfaltet hat Luther diese Antinomie des göttlichen OffenbarungshandelnsOffenbarungshandeln in seiner theologia crucis (Theologie des Kreuzes).

Infobox

theologia crucis:

Die Theologie des Kreuzes stellt einen zentralen Bestandteil im Denken Martin LuthersLuther, Martin dar, der keineswegs auf dessen Frühwerk beschränkt ist. Ausgeführt hat er das Konzept vor allem in seinen frühen Vorlesungen, insbesondere der zweiten Vorlesung über die Psalmen (1518–1521). Die Forschungsliteratur erörtert die theologia crucis oft anhand der Thesenreihe, die der Wittenberger Theologe im Frühjahr 1518 in Heidelberg diskutierte (Heidelberger Disputation). In diesen Thesen stellt er die KreuzestheologieTheologieKreuzes- einer Theologie der HerrlichkeitHerrlichkeit entgegen und behauptet, wahre Theologie sei die des Kreuzes. Deren Bedeutung geht allerdings weit über die Probleme einer angemessenen theologischen Erkenntnis hinaus.

In dem Stichwort theologia crucis verschränkt LutherLuther, Martin sünden-, bußtheologische, soteriologische, christologische und theologische Motive zu einer Gesamtkonzeption. Sie beschreibt unter Aufnahme von biblischen Belegstellen (Ps 4,4; 1Kor 18,23; Jes 28,21 und Röm 5,4f.), die als systematische Platzhalter fungieren, die DialektikDialektik des göttlichen OffenbarungshandelnsOffenbarungshandeln. In die KreuzestheologieTheologieKreuzes- ist aufgenommen, dass Gott wundersam handelt. In seinem fremden Werk tötet er, um lebendig zu machen. Das innere Gefälle zwischen Gottes fremdem und seinem eigenen Werk, welches, da er stets unter dem Gegenteil verborgen handelt, nicht offen zu Tage liegt, bringt die theologia crucis ebenso zum Ausdruck wie eine mit dem Sündengedanken verbundene Dialektik von Sein und Schein.

Die theologia crucis fungiert ebenso als methodische Grundlage der ChristologieChristologieChristologie wie auch des Verständnisses der Kirche. Während der Reformator das ChristusbildChristusbild auf die Niedrigkeit des Kreuzes sowie die Anfechtungen Christi zuspitzt, ist die wahre KircheKirchewahre verborgen. Sie ist die Gemeinschaft der GlaubendenGemeinschaft der Glaubenden, die nur Gott kennt. Zwar ist die verborgene KircheKircheverborgene, unsichtbare auf die sichtbare bezogen, aber sie ist nicht mit der Institution identisch. Letztere verkündet [44]das Wort GottesWort Gottes. Das macht sie zur Kirche. Aus der äußeren VerkündigungVerkündigung folgt jedoch nicht unmittelbar der Glaube, die innere GewissheitGewissheit des Menschen.

 

Der Glaube als innere WahrheitWahrheitinnere des Menschen ist gebunden an das äußere WortWortäußeres der Bibel, deren gleichsam göttliche Dignität vorausgesetzt wird. Die grundlegende AutoritätAutorität und Norm in theologischen und religiösen Fragen ist für den Wittenberger Reformator die Heilige Schrift. Deren normative Funktion bahnt sich bereits in der ersten Psalmenvorlesung an, und sie verstärkt sich durch die Auseinandersetzung mit der römischen Kurie infolge des 1517/18 einsetzenden AblassstreitsAblassstreit. Die Bibel rückt jetzt in eine Prinzipienfunktion ein, die sowohl der Kirche als auch allen menschlichen Auslegern übergeordnet ist. Um eine solche Wahrheits- und Urteilsinstanz sein zu können, muss die Schrift in sich selbst klar und gewiss sein. Nur auf diese Weise kann sie als Appellationsinstanz und Richter in allen Streitfragen fungieren. So ist für LutherLuther, Martin zwar das GewissenGewissen des Menschen der Ort, an dem sich die innere WahrheitWahrheit durchsetzt, aber sie verdankt sich nicht dem Gewissen. Wahrheit kommt allein Gott und seiner Heiligen Schrift zu.

[45]Literatur

Ulrich BarthBarth, Ulrich: Die DialektikDialektik des Offenbarungsgedankens. LuthersLuther, Martin Theologia crucis, in: ders.: Aufgeklärter Protestantismus, Tübingen 2004, S. 97–123.

Christian Danz: Einführung in die Theologie Martin LuthersLuther, Martin, Darmstadt 2013.

Christian Danz (Hrsg.): Martin LutherLuther, Martin. Neue Wege der Forschung, Darmstadt 2015.

Dietrich Korsch: Martin LutherLuther, Martin zur Einführung, Tübingen 22007.

Bernhard Lohse:LuthersLuther, Martin Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995.

Aufgaben

1 Informieren Sie sich über LuthersLuther, Martin Verständnis des rechtfertigenden Glaubens.

2 Lesen Sie den Aufsatz von Ulrich BarthBarth, Ulrich über LuthersLuther, Martintheologia crucis.

3 Lesen Sie LuthersLuther, Martin Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen, und skizzieren Sie deren Aufbau sowie die grundlegenden Thesen.

b. Johannes CalvinCalvin, Johannes

Während der Wittenberger Reformator den Glaubensvollzug in den Fokus seiner Umbildung der Theologie rückt, erhält dieser Gedanke bei Johannes CalvinCalvin, Johannes (1509–1564) eine andere Nuance. LutherLuther, Martin hat sein neues Verständnis von Theologie in erster Linie in seinen exegetischen Vorlesungen sowie in zahllosen Gelegenheitsschriften entfaltet. Die erste Darstellung einer reformatorischen DogmatikDogmatik liegt in Philipp MelanchthonsMelanchthon, Philipp (1497–1560) Loci communes von 1521 vor. Dem protestantischen Grundanliegen folgend, bieten die Loci eine zusammenfassende Darstellung des Römerbriefs des ApostelsApostel Paulus. Calvin schließlich hat mit seiner in erster Auflage 1536 erschienenen Institutio Christianae Religionis (Unterricht in der christlichen ReligionReligionchristliche) die erste umfassende systematische Darstellung reformatorischer Theologie vorgelegt. Der Aufbau der Schrift in vier Bücher lehnt sich an Luthers Katechismen von 1529 an. Es wurde das grundlegende Buch des reformierten Protestantismus und erschien in mehreren stark überarbeiteten Auflagen.

Ähnlich wie LutherLuther, Martin rückt auch CalvinCalvin, Johannes die RechtfertigungRechtfertigung des Menschen in das Zentrum seiner Umbildung der ihm überkom[46]menen Theologie, und wie der Wittenberger ist er der Auffassung, Theologie ist in erster Linie Auslegung der Heiligen Schrift. Allerdings bekommt der Gedanke des rechtfertigenden Glaubens bei dem Genfer Theologen einen anderen Akzent. Er verbindet ihn stärker mit der HeiligungHeiligungHeiligung des Einzelnen und fasst auf diese Weise den Zusammenhang von Glaube und Werk enger als Luther. Sodann ist Calvin der Auffassung, dass das GesetzGesetz sich nicht in seiner theologischen Funktion, den Sünder zu überführen, erschöpft. Auch für den Glaubenden hat es noch eine Bedeutung. Der Wittenberger Reformator hat einen solchen dritten Gebrauch des Gesetzes (lateinisch: tertius usus legis) für die Wiedergeborenen stets vehement abgelehnt. Für ihn hat das Gesetz nur zwei Funktionen. Es regelt das äußere Zusammenleben der Menschen. Von dieser politischen Funktion ist dessen theologische zu unterscheiden. Beim theologischen Gebrauch des Gesetzes geht es allein um die Erkenntnis der Sünde. Die Glaubenden sind frei vom Gesetz. Sie bedürfen seiner nicht mehr. Anders bei Calvin. Sein Beharren auf dem Gesetz für die Glaubenden verrät ein Interesse an den sozialen Konsequenzen des Glaubens. Folglich liegt beim Kirchenbegriff der Akzent auf der Gestaltung der Gesellschaft. Da dem Staat der Schutz der wahren ReligionReligionwahre obliegt, ist er auch für die Durchsetzung der OrdnungOrdnung der Kirche zuständig. Das führt zu einem theokratischen Modell, welches Calvin in Genf durchsetzte.

Anders als der Wittenberger konstruiert der Schweizer Reformator auch die ChristologieChristologieChristologie sowie darauf fußend die AbendmahlslehreAbendmahlslehre. Christus ist zwar eine PersonPerson in zwei Naturen, aber sie bleiben unterschieden. Die menschliche Natur erhält keinen Anteil an der göttlichen. Diese existiert aufgrund ihrer Unendlichkeit auch außerhalb der ersteren. Nicht so bei LutherLuther, Martin. Im Interesse an der leiblichen PräsenzPräsenz Christi im AbendmahlAbendmahl, Eucharistie betont er, die menschliche Natur habe Anteil an den Majestätseigenschaften der göttlichen. Ebenso wie für diese gilt vom LeibLeib Christi, dass er überall präsent sei. CalvinCalvin, Johannes bestreitet Luthers Christologie und Abendmahlslehre. Das Endliche, so das sogenannte *extra Calvinisticumextra Calvinisticum, kann das Unendliche nicht umfassen.

[47]Literatur

Johannes CalvinCalvin, Johannes: Unterricht in der christlichen ReligionReligionchristliche. Institutio Christianae Religionis, hrsg. v. Matthias Freudenberg, Neukirchen-Vluyn 2008.

Emanuel Hirsch: Hilfsbuch zum Studium der DogmatikDogmatik. Die Dogmatik der Reformatoren und der altevangelischen Lehrer quellenmäßig belegt und verdeutscht, Berlin/Leipzig 1937, S. 15f. 24–26. 47–50. 69–74. 105–117. 140–146. 166–172. 180–182. 189–192. 210–216. 238–246. 257–259. 267–271.

Georg Plasger: Johannes CalvinCalvin, Johannes, Institutio Christianae Religionis, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 224–231.

Georg Plasger: Johannes CalvinsCalvin, Johannes Theologie. Eine Einführung, Göttingen 2008.

Herman J. Selderhuis (Hrsg.): Johannes CalvinCalvin, Johannes. Neue Wege der Forschung, Darmstadt 2010.

Aufgaben

1 Lesen Sie den Aufsatz von Georg Plasger, und skizzieren Sie den Aufbau von CalvinsCalvin, JohannesUnterricht in der christlichen ReligionReligionchristliche.

2 Informieren Sie sich in Emanuel Hirschs Hilfsbuch zum Studium der DogmatikDogmatik über die PrädestinationslehrePrädestinationslehre, ErwählungslehreCalvinsCalvin, Johannes.

3 Vergleichen Sie den theologischen Ansatz von LutherLuther, Martin und CalvinCalvin, Johannes, und benennen Sie grundlegende Unterschiede.

4 Was beinhaltet das extra Calvinisticum?

c. Die DogmatikDogmatik des AltprotestantismusAltprotestantismus

Die Lehrentwicklung in der altprotestantischen TheologieTheologiealtprotestantische knüpfte im Bereich des Luthertums zunächst an MelanchthonsMelanchthonsMelanchthon, PhilippLoci communes an. Damit trat das Heil des Menschen im Glauben in den Vordergrund der theologischen Reflexion. Spekulative Fragen nach dem Wesen GottesWesen Gottes oder der Trinitätslehre traten wie bereits bei LutherLuther, Martin und Melanchthon zurück. Der Praeceptor Germaniae (Lehrer Deutschlands) greift auch den Begriff Theologie nicht zur Beschreibung der reformatorischen Lehre auf. Diese nennt er doctrina christiana. Luther folgend wird sie als Schriftauslegung verstanden. Die Entstehung der DogmatikDogmatik, deren Begriff im 17. Jahrhundert geprägt wird, verdankt sich zunächst einer didaktischen Verlegenheit. Dem theologischen Nachwuchs in den von der ReformationReformation, Reformationszeit erfassten Ländern musste ein Leitfaden zum Studium der neuen Lehre an die Hand gegeben werden. Hierzu fungierten zunächst die Loci communes. Das änderte sich um 1600. Infolge zahlloser Lehrstreitigkeiten in den lutherischen Territorien, die [48]1577 durch die Konkordienformel zum Abschluss gebracht wurden, sowie einer nun einsetzenden Rezeption der aristotelischen Metaphysik kommt es zur Umbildung des Theologiebegriffs sowie zu Reflexionen über deren Status als Wissenschaft.

Der Begriff Theologie setzt sich zur Bezeichnung der Lehre durch. Die Rezeption der Metaphysik in der lutherischen und reformierten TheologieTheologiereformierte des 17. Jahrhunderts resultiert aus einem gegenüber den Reformatoren stärkeren Interesse an den Gegenständen der Theologie. Und schließlich etabliert sich die bereits von Duns ScotusJohannes Duns Scotus im späten Mittelalter vertretene Auffassung, Theologie ist eine praktische WissenschaftTheologie sei eine praktische Wissenschaft. Vorbereitet durch LutherLuther, Martin, der jegliche Spekulation in der Theologie ablehnte, MelanchthonMelanchthon, Philipp und den Jenaer Theologen Johann GerhardGerhard, Johann (1582–1637) findet das wissenschaftstheoretische Verständnis von dem praktischen Charakter der Theologie breite Zustimmung. Das hat auch methodische Konsequenzen. Die praktischen Wissenschaften, zu denen die MedizinMedizin oder die NaturwissenschaftenNaturwissenschaft gehören, arbeiten mit der sogenannten analytische Methodeanalytischen MethodeMethodeanalytische. In die Theologie wurde sie durch den in Heidelberg lehrenden reformierten Theologen Bartholomäus KeckermannKeckermann, Bartholomäus (1572–1608) eingeführt und dann im Luthertum auf breiter Front rezipiert, so auch von dem Helmstedter Theologen Georg CalixtCalixt, Georg (1586–1656) in seiner Epitome theologiae von 1619. Die analytische Methode ermöglicht es, die dogmatischen Gehalte in einen strengen systematischen Zusammenhang zu bringen. Ausgehend von dem Ziel der Theologie – Gott als höchstes Guthöchstes Gut, summum bonum (lateinisch: summum bonum) des Menschen – werden die materialdogmatischen Gehalte als Etappen auf dem Weg zu diesem Ziel angeordnet. Die Dogmatik erhält dadurch gegenüber Melanchthons Loci, der die materialen Gehalte einfach nebeneinander stellte, einen in sich geschlossenen und strukturierten systematischen Zuschnitt.

Die Theologie des Altprotestantismus geht von der objektiven Gegebenheit der theologischen Gehalte aus. Der Wissenschaftscharakter der Theologie besteht darin, dass ihr Gegenstand auf systematische Weise entfaltet wird. Hierzu muss nach dem Prinzip der theologischen Wissenschaft und dem von ihm abhängigen gefragt werden. Die Rezeption der aristotelischen Metaphysik bietet nun die Möglichkeit, jenen Gegenstand nach bestimmten Hinsichten zu entfalten. Das geschieht durch die Lehre von den vier Ursachen sowie Begriffsdistinktionen.

[49]Infobox

Aristotelische MetaphysikMetaphysik und die Lehre von den vier Ursachen:

Die aristotelische Philosophie bot den altprotestantischenAltprotestantismus Dogmatikern den begrifflichen Rahmen, den theologischen Lehrstoff systematisch zu entfalten. In der Rezeption des Philosophen, die durch die sogenannte spanische Barockscholastik (Francisco SuárezSuárez, Francisco [1548–1617]) vermittelt ist, dokumentiert sich das Interesse der Theologen an einer stärkeren Betonung der theologischen Sachgehalte. Grundlegend für die begriffliche Entfaltung des dogmatischen Lehrstoffes ist die aristotelische Unterscheidung von vier Ursachen: Wirk- (lateinisch: causa efficiens), Material- (lateinisch: causa materialis), FormForm (Philosophie)- (lateinisch: causa formalis) und ZielursacheUrsacheZiel- (lateinisch: causa finalis). Ein gegebener Gegenstand kann auf diese Weise in seiner Eigenart in bestimmten Hinsichten beschrieben werden. Zum Beispiel ist eine Tasse durch einen Töpfer hergestellt (WirkursacheUrsacheWirk-), sie besteht aus Porzellan (MaterialursacheUrsacheMaterial-), hat eine bestimmte Form (FormursacheUrsacheForm-), und schließlich dient die Tasse dem Trinken (Zielursache).

 

Durch die Anwendung des Ursachengefüges konnten die theologischen Themen in spezifischen Hinsichten begrifflich erläutert werden. So ist zum Beispiel Gott die WirkursacheUrsacheWirk- der Bibel als Heilige Schrift, die biblischen Autoren (ProphetenProphet und ApostelApostel) sind die MaterialursacheUrsacheMaterial-. Die FormursacheUrsacheForm- der Schrift sind die Sprachen, in denen sie abgefasst wurde, und schließlich wird das Heil des Menschen als ZielursacheUrsacheZiel- der Bibel verstanden.

Die theologischen Gehalte sind allein in und durch die Bibel dem Menschen gegeben. Sie ist die einzige Quelle und Norm theologischer Aussagen. Im Anschluss an LutherLuther, Martin wird Theologie als zusammenfassende Auslegung des Inhalts der Bibel als Heilige Schrift verstanden. Die altprotestantischen Theologen entfalten die Lehre von der Heiligen Schrift in den Prolegomena ihrer Dogmatiken. Die SchriftlehreSchriftlehre wird dabei zum SchriftprinzipSchriftprinzip ausgebaut und in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen entfaltet. Um die Prinzipienfunktion der Bibel sicher zu stellen, wird diese als den biblischen Autoren von Gott wortwörtlich diktiert verstanden (InspirationslehreInspirationslehre). Dadurch ist die Heilige Schrift der Relativität der Geschichte entnommen und vermag als absolute EntscheidungEntscheidungs- und Urteilsinstanz in theologischen und religiösen Fragen zu fungieren. Die Pluralität möglicher Lesarten des biblischen Textes wird auf diese Weise restringiert. Es gibt nur eine wahre Lektüre, und sie legitimiert sich durch die Bibel selbst im sogenannten inneres ZeugnisZeugnis des Heiligen Geistes (lateinisch: testimonium spiritus sancti internum). Unterstellt werden ein bestimmter Sinn des biblischen Wortlautes sowie ein und derselbe Inhalt im Alten und im Neuen Testament. Für die altprotestantischen [50]Theologen gibt es nämlich nur einen Verfasser des Textes, den Heiligen Geist. Und der kann sich aufgrund seiner Vollkommenheit nicht widersprechen. Spannungen und Widersprüche in den biblischen Texten werden durch eine Anpassung des Heiligen Geistes an die Verstehensbedingungen der biblischen Zeugen erklärt (*AkkommodationAkkommodation). Das reicht in dieser Zeit noch aus, um Widersprüche im Text zu bewältigen.

Die theologischen Systeme des alten Protestantismus entstanden vor dem Hintergrund relativ geschlossener konfessioneller Milieus. Für sie konstruiert die Dogmatik ein umfassendes normatives Leitbild des gesellschaftlichen Ganzen. Der Gottesbegriff und die Möglichkeit seiner Erkenntnis sind noch nicht zum Problem geworden. Aufgrund der Voraussetzung einer von der Offenbarung unterschiedenen natürlichen GotteserkenntnisGotteserkenntnisnatürliche ist die ExistenzExistenz Gottes dem Menschen evident. Strittig ist zwischen den Konfessionen dessen wahres Verständnis. Das Nebeneinander und die damit verbundene Konkurrenz zu anderen Konfessionskulturen beschleunigen allerdings auch Rationalisierungsprozesse. Sie schlagen sich in der Theologie durch die Herausbildung von einzelnen Disziplinen mit eigenen methodischen Instrumentarien nieder. Die KonfessionalisierungKonfessionalisierung des Christentums in der frühen Neuzeit führt zur Entstehung von theologischen Disziplinen wie der PolemikPolemik, welche diese Pluralität reflektieren. Daneben formieren sich die KirchengeschichteKirchengeschichte, Dogmatik und EthikEthik als eigene Disziplinen.

Literatur

Emanuel Hirsch: Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik. Die Dogmatik der Reformatoren und der altevangelischen Lehrer quellenmäßig belegt und verdeutscht, Berlin/Leipzig 1937, S. 272–374 (lutherische DogmatikDogmatiklutherische). 374–441 (reformierte DogmatikDogmatikreformierte).

Sven Grosse: Philipp Melanchton, Loci communes, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 212–218.

Philipp Melanchthon: Loci Communes 1521. Lateinisch-Deutsch, hrsg. v. Horst Georg Pöhlmann, Gütersloh 21997.

Carl Heinz Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und AufklärungAufklärung, 2 Teile, Gütersloh 1964/1966.

Johann AnselmAnselm von Canterbury Steiger: Leonhart Hütter, Compendium Locorum Theologicorum, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 231–238.

[51]Aufgaben

1 Informieren Sie sich in dem Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik von Emanuel Hirsch über grundlegende Lehrdifferenzen zwischen Lutheranern und Reformierten.

2 Lesen Sie den Artikel von Sven Große über Melanchthons Loci communes, und vergleichen Sie deren Aufbau mit dem Compendium Locorum Theologicorum von Leonhart Hütter.

3 Informieren Sie sich über das Schriftprinzip der altprotestantischen Theologie, und beschreiben Sie dessen Grundzüge.