Buch lesen: «MEMORIAM - Auch deine Stunde schlägt»

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Caroline Stein

MEMORIAM
Auch deine Stunde schlägt

Mallorca Krimi

Pöllat Verlag

I. Auflage

Originalausgabe November 2020 bei Pöllat-Verlag

Copyright © Caroline Pfundstein

Cover/Design © Tobias Pfundstein

Foto © Andreas Pfundstein

Lektorat Daniela Straub, Rainer Lutz

Korrektorat Daniela Geiger, Jasmin Wagner

Vertrieb Nova MD GmbH Vachendorf

ISBN 978-3-96966-425-4

Gewidmet meiner wunderbaren Familie, die all die Farben in mein Leben bringt

Das Buch:

Sechs Jahre sind vergangen, seit der Mörder Samuel Vidal spurlos verschwunden ist.

Das Leben von Sophie und Ramon scheint ruhig und harmonisch zu verlaufen. Sie ahnen nicht, dass sie längst in einem unsichtbaren Spinnennetz gefangen sind, dessen Fäden weiter reichen, als selbst die Ermittler Carlos und Maria in ihren schlimmsten Alpträumen erwartet hätten.

Als eine Frauenleiche auftaucht, steht plötzlich ein Mann unter Verdacht, der nicht ins Schema passt. Ist er der Mörder?

Und was passiert nachts im Labor des Wissenschaftlers Mateo Ramirez?

Eine atemlose Jagd beginnt - und sie führt nicht nur durch die sommerliche Landschaft der Insel Mallorca und in die Vergangenheit, sondern weit in unsere Zukunft.

Informationen zu den wissenschaftlichen und historischen Hintergründen des Buches finden Sie im Anhang.

Inhaltsverzeichnis

Caroline Stein

MEMORIAM

Auch deine Stunde schlägt

PROLOG

Montag, 23. Juli 2018

Dienstag, 24. Juli 2018

Freitag, 27. Juli 2018

Montag, 30. Juli 2018

Dienstag, 31. Juli 2018

Montag, 2. August 2018

Freitag, 3. August 2018

I .

II .

III .

IV .

V .

VI .

VII .

VIII .

Freitag, 3. August 2018

Montag, 6. August 2018

Mittwoch, 8. August 2018

Freitag, 10. August 2018

Montag, 13. August 2018

Dienstag, 14. August 2018

Mittwoch, 15. August 2018

Donnerstag, 16. August 2018

Freitag, 17. August. 2018

Samstag, 18. August 2018

Sonntag, 19. August 2018

Montag, 20. August

Dienstag 21. August 2018

Wissenschaftliche Hintergründe:

Historische Hintergründe:

Danke

PROLOG

»Eingemauert«. Das war das Wort, das es wohl am besten traf.

Es hatte eine Weile gedauert, bis er überhaupt in der Lage war, seine Situation zu erfassen.

Anfangs war da nur Dunkelheit gewesen – Dunkelheit in ihm und um ihn – ein Zustand der Bewusstlosigkeit, in dem er aber irgendwie in der Lage war, die Geschehnisse um sich herum wahrzunehmen, jedoch so, als wären sie in einer anderen Welt – in einer Welt weit weg – in einer Welt, in der er selbst keine Rolle mehr spielte. Das ist der Anfang vom Sterben, hatte er gedacht.

Inzwischen wusste er, dass er noch lebte. Und in dem Moment, als er das erfasst hatte und sich seiner Lage halbwegs bewusst wurde, da war in ihm das Gefühl des Bedauerns darüber aufgestiegen.

Zwischen Dunkelheit und Bewusstsein hatte er dann die Schreie gehört – dumpf und aus weiter Ferne. Es waren Schreie des Schmerzes und der Todesqual gewesen. Immer wieder – verzweifelt und schrill. Und dann Stille – für eine Weile. Bis es erneut anfing.

Auf einmal hatte er sie dann deutlicher gehört, die Schreie der Frau. Qualvoll und gepeinigt hatten sie ihn in seinen Zustand der Bewusstlosigkeit verfolgt und sich ihm, wie klamme Finger, würgend um den Hals gelegt.

Und irgendwann waren es mehrere Frauen gewesen, die sich in seiner Dunkelheit um ihn herumbewegt hatten, hilfesuchend ihre Hände nach ihm ausstreckend und verzweifelt versuchten, ihn mit sich in die endlose Finsternis zu ziehen. In die Finsternis, aus der es kein Entrinnen mehr gab.

Manchmal, wenn es still war und die Finsternis um ihn herum ihren Griff lockerte, dann nahm er jemanden wahr, der ihm Wasser aus einer Flasche einflößte. Und dann spürte er, dass es das war, wonach sein ausgetrockneter Körper gelechzt hatte. Und dieser Jemand hievte ihn auch auf einen Stuhl, in den ein Loch gesägt war, damit er dort seine Notdurft verrichten konnte.

Er konnte kein Gesicht sehen, aber dem Geruch nach war es ein Mann. Und der Geruch erinnerte ihn an etwas. Doch bevor er fähig war, einen Gedanken zu fassen, ergriff die Dunkelheit wieder Besitz von ihm und nur die leise Panik, die der Geruch in ihm verursachte, warnte ihn, dass dieser Mann kein Freund war.

Und dann, irgendwann in dieser Zwischenwelt, wurde die dunkle Seite heller und ließ zu, dass er erkannte. Aber das, was er da erkannte, war noch schlimmer als die tiefste Dunkelheit.

Montag, 23. Juli 2018

Barcelona, Kongresszentrum

»Jetzt sind Sie dran.« Die Brünette mit den Grübchen und dem Headset lächelte ihm zu und deutete mit der Hand in Richtung Bühne.

Mateo fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er hätte nicht zusagen sollen. Er wusste ja eigentlich, dass es seit seiner Entführung, damals vor sechs Jahren, immer noch Situationen gab, die Panikanfälle bei ihm auslösten. Hastig zog er ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und tupfte sich über die Stirn. Er war der Bitte eines Kollegen gefolgt und nur deshalb, weil ihm das Thema auf der Seele brannte und das Symposium hier in Barcelona im Internationalen Kongresszentrum CCIB stattfand, hatte er eingewilligt, auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik, ESHG, zu sprechen.

Die Brünette musterte ihn besorgt und ging dann einen Schritt auf ihn zu. »Sie machen das zum ersten Mal?«

Mateo nickte, obwohl es nicht ganz stimmte. Es war nur das erste Mal seit sechs Jahren. Aber das konnte er ihr jetzt nicht erklären.

»Das Lampenfieber davor ist ganz normal«, flüsterte sie, erneut lächelnd, und aufmunternd nickend. »Denken Sie immer daran, dass Sie viel mehr wissen als alle da draußen zusammen. Sie sind so eine Koryphäe, dass allein schon die Tatsache, dass Sie hier sind, genügen würde.«

Mateo lächelte müde. Ihre Begeisterung war für ihn eigentlich eher bitter, denn sie war nur dem geschuldet, dass er einem Team von herausragenden Wissenschaftlern angehörte. In seinen Augen war das gar nichts. Er lebte vom Ruhm des Teams, in dem er aber nur ein kleines Rädchen war. Und das war ihm viel zu wenig. Er wollte selbst Geschichte schreiben und sie alle wussten noch nicht, dass er damit bereits auf der Zielgeraden war. Doch er musste vorsichtig sein. Zu oft schon war er mit seiner Kritik an der Genmanipulation aufgefallen. Und auffallen wollte er jetzt noch nicht.

Die Brünette unterbrach seine Gedanken, als sie den Arm hob und den Vorhang zur Bühne ein wenig zur Seite schob. »Sobald Sie dort stehen, ist das Lampenfieber wie weggeblasen«, flüsterte sie noch und war dann im Dunkel der Kulissen verschwunden.

»Und nun darf ich Ihnen einen der ganz großen Wissenschaftler unserer Zeit ankündigen. Es ist uns eine Ehre, dass er sich bereit erklärt hat, uns heute über die neueste wissenschaftliche Entwicklung in der Genforschung zu berichten: die Genschere CRISPR/Cas9 und ihre ethische Problematik. Freuen Sie sich mit mir auf Professor Mateo Ramirez vom IBUB

Tosender Beifall erfüllte den Saal. Mateo holte noch einmal tief Luft und trat auf die Bühne. Wie in Trance schüttelte er dem Vorsitzenden die Hände.

»Meine sehr geehrten Damen und Herren.« Mateo hatte kaum die ersten Worte gesprochen, da fiel die Panik von ihm ab, als hätte er einen Umhang abgeworfen. Er fühlte sich plötzlich völlig entspannt und ganz in seinem Element. »Ich freue mich, Ihnen heute von einer wissenschaftlichen Errungenschaft erzählen zu können, die unser Leben schon jetzt verändert hat und in Zukunft noch mehr verändern wird: der sogenannten Genschere CRISPR/Cas9. Nachdem die meisten von Ihnen mehr mit der juristischen Welt als mit der wissenschaftlichen Materie vertraut sind, möchte ich Ihnen erst einmal einen kurzen Abriss der Fakten geben.

Als die Wissenschaft Anfang 2000 dabei war, die Erbsubstanz zu entschlüsseln, da dachte man, es würde einen Knall geben, eine Tür würde sich öffnen und man könnte dann den kompletten Menschen im gleißenden Licht der Wissenschaft bis ins kleinste Detail erkennen, zerlegen und verstehen.

Die Realität war jedoch, dass es hinter der Tür stockfinster war und man beschämt mit den Worten des Sokrates feststellen musste: ›Ich weiß, dass ich nichts weiß‹. Aber dank der intensiven Arbeit von so großartigen Wissenschaftlern wie Emmanuelle Charpentier stehen wir heute zumindest in einem etwas helleren Raum.«

Ramon saß mit einer kleinen Gruppe seiner Jurastudenten in der vorletzten Reihe. Sie waren durch Beziehungen an Karten für den Vortrag gekommen und Ramon hatte das Los entscheiden lassen, wer von seinen zukünftigen Juristen das Glück haben würde, dabei zu sein.

Dass er vor drei Jahren die Stelle als Dozent für Jura an der Universitat Pompeu Fabra, kurz UPF, bekommen hatte, hatte er hauptsächlich seinem früheren Doktorvater zu verdanken.

Jetzt lauschten sie alle gebannt den Ausführungen des Wissenschaftlers.

»Das, was wir heute über die menschliche DNA wissen, möchte ich Ihnen kurz aufzeigen. Und damit es nicht zu kompliziert für Sie wird, versuche ich es mit einem Bild.

In jeder einzelnen unserer Zellen tragen wir unser Erbgut: die DNA. Sie ist der Bauplan für Aussehen, Interessen, Essgewohnheiten, Krankheiten und vieles mehr, das unser ganz persönliches Leben prägt.

Jede Zelle stirbt einmal und der Körper muss eine neue, identische Zelle herstellen, damit das Organ so bleibt, wie es sein soll. Jeden Tag werden unzählige dieser neuen Zellen in unserem Körper produziert. Und dazu braucht es eine Bauanleitung, damit die neuen Zellen exakt ihrem Vorgänger entsprechen. Um die Zelle wieder identisch herzustellen, wird der Bereich aus der DNA, auf dem die Bauanleitung steht, von einem Enzym kopiert. Daraus wird dann die neue, genau gleiche Zelle hergestellt. Das ist so, als würden Sie ein Rezept kopieren.

Und wie beim Kochen brauche ich unterschiedliche Rezepte. Für Bohnensuppe benutze ich eine andere Anleitung als für Kürbissuppe. Für Leberzellen brauche ich eine andere Anleitung als für Nierenzellen. Damit die jeweiligen Enzyme wissen, in welchen Bereichen der DNA die Bauanleitung für ihre Zelle steht, ist diese markiert. So, wie man in ein Kochbuch ein Lesezeichen legt. An der Stelle, an der das Lesezeichen steckt, beginnt dann die richtige Anleitung. Kommt das Enzym an die falsche Stelle, oder ist das Rezept zu Ende, wird das Enzym blockiert und kann nicht weiterlesen.

Hier kommt jetzt die geniale Wissenschaftlerin Frau Emmanuelle Charpentier zum Einsatz. Sie wollte die Mechanismen verstehen, die die infektionsabhängigen Prozesse steuern. Dabei hat sie spezielle Sequenzen in den Genen entdeckt, die sich wiederholen. Diese gehören zu einem System, das Bakterien dabei hilft, Viren zu zerstören.

Dazu muss man wissen, dass Viren die Feinde allen Lebens sind. Sie schmuggeln falsche Informationen in unsere Gene und unsere Enzyme haben dann falsche Bauanleitungen. So entstehen viele Krankheiten. Die Viren greifen sogar Bakterien an. Deshalb haben die Bakterien ein System entwickelt, um Viren zu zerstören. Wir können jetzt das System der Bakterien dazu benutzen, um Gensequenzen zu verändern. Es heißt CRISPR/Cas9. Da es sehr einfach und effizient Gene aus der DNA entfernt, nennt man es auch die ›Genschere‹.

Das habe ich jetzt sehr vereinfacht dargestellt. Im Grunde ist das Ganze immens komplex und kompliziert und wir stehen noch ganz am Anfang der Forschung.

Dennoch wissen wir inzwischen, dass unsere Gene weitaus mehr enthalten als nur Informationen, die unseren Körper beeinflussen. Sie speichern auch Erlebnisse unserer Vorfahren, über viele Jahrhunderte, die jetzt vielleicht wie ein Film abrufbar sein werden.«

Wie ein Blitz durchfuhr Ramon dieser Satz des Professors. Er musste sofort an Sophie denken. »Genetisch gespeicherte Erinnerungen«. Das war vielleicht die Erklärung für den »Traum« den sie vor sechs Jahren gehabt hatte. Er hätte gerne noch viel mehr über dieses Thema erfahren, aber das war zu seinem Bedauern nur eine Randbemerkung im Vortrag gewesen. Der Professor nahm bereits einen neuen Gedankenfaden auf.

»Man wird in Zukunft Großes mit der Genschere CRISPR/Cas9 erreichen. Krankheiten wie Alzheimer, Krebs und Erbkrankheiten aller Art wird man ganz unkompliziert heilen und Erbgut verändern können, so dass Kinder nicht mehr mit genetischen Schäden geboren werden. Ja man kann möglicherweise Kinder sogar so planen, wie man sie gerne möchte. Man wird das Altern aufhalten können, so dass Menschen nicht mehr mit neunzig Jahren an ihren Gebrechen sterben, sondern mit zweihundert oder dreihundert Jahren noch jugendlich aussehen und irgendwann einfach tot umfallen.

Sie werden jetzt denken: ›Dieser Wissenschaftler ist doch völlig verrückt‹. Aber erinnern Sie sich bitte einmal an Ihre Urgroßeltern und stellen sich vor, jemand hätte damals gesagt: ›Eure Enkel werden ein Foto schießen und innerhalb von zehn Sekunden rund um den Globus schicken, so dass es jeder auf der Welt sehen kann‹. Was hätten die dann dazu gesagt?

Um nun wieder zum Thema zurückzukommen. Das alles ist keine Spinnerei. Es ist Realität.

Fakt ist, dass mit Hilfe von CRISPR jede Zelle und jedes Genom, also auch die Erbsubstanz, umgeschrieben werden kann.

Diese CRISPR/Cas-Methode ermöglicht nun DNA-Manipulationen von bislang ungeahnter Präzision und Bandbreite. Denn diese Art der Genmanipulation ist viel, viel einfacher als alles Bisherige. Sie ist so simpel, dass man sie in jedem Labor vornehmen kann.

Wir leben in einer Zeit, in der das Undenkbare möglich geworden ist und wir in die Vererbung des Menschen eingreifen können.

Und an dieser Stelle treten nun Sie auf den Plan. Wir brauchen dringend eine ethische Basis für diesen neuen Bereich der Wissenschaft. Was ist erlaubt? Und wem ist es erlaubt? Wie weit dürfen wir gehen? Darf man entscheiden, welche Gene im Genom von Embryonen bleiben und welche verändert werden? Oder begnügt man sich damit, Krankheiten bei jedem Einzelnen zu heilen? Denn wenn die Gene der Erbsubstanz verändert werden, dann kommen sie in den Genpool. Das bedeutet eine Veränderung der ganzen Spezies Mensch, die nie mehr rückgängig gemacht werden kann.

Man darf nicht vergessen, dass diese Forschung noch sehr jung ist und man überhaupt noch nicht absehen kann, welche unbeabsichtigten, fatalen Veränderungen sie im Erbgut verursachen könnte.

Denken Sie daran: Genmanipulation ist nicht erkennbar. Es ist nicht wie Strom oder Energie, die man messen kann. Genveränderungen werden weitergegeben, ohne dass wir es wissen. Möglicherweise sehen wir erst Generationen später die Auswirkungen. Und wir wissen nicht, wie diese dann aussehen.

Deshalb brauchen wir dringend Gesetze, die uns vor leichtsinnigen Laien und zu ehrgeizigen Wissenschaftlern schützen. Und wir brauchen ethische Grenzen.

Mein Kollege Baltimore hat gesagt: ›CRISPR ist wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der den Bahnhof schon verlassen hat – keiner kann ihn mehr stoppen‹. Die Frage ist, ob wir ihn wenigstens bremsen und die Methode wirklich nur für gute Zwecke einsetzen können.

Wir müssen handeln, um uns vor uns selbst zu schützen. Und das so schnell wie möglich. Das ist die Aufgabe von Ihnen: Juristen, Ethiker und Geisteswissenschaftler sind jetzt gefragt. Wir brauchen Grenzen, die sinnvoll sind.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es in China bereits Wissenschaftler gibt, die offiziell die ersten, mit CRISPR/Cas9 veränderten menschlichen Embryos erzeugt haben. Diese waren zwar von Anfang an nicht lebensfähig, aber die Technik schreitet rasant voran. In den USA laufen ebenfalls Versuche, bei denen Embryonen gentechnisch verändert werden.

Legen wir also Grenzen fest, bevor wir vor Tatsachen stehen, die unser Leben unwiderruflich und mit unabsehbaren Konsequenzen verändern. Es ist nicht einfach, aber wichtiger als jede andere Entscheidung – und zwar heute und nicht erst morgen.

Vielen Dank meine Damen und Herren.«

Der Beifall war tosend. Zu sehr betraf das Thema jeden Einzelnen, als dass es hätte die Zuhörer kalt lassen können.

*

Zügig stand Ramon auf. »Wir treffen uns nachher auf der Terrasse der Banketthalle.« Seine Worte an die fünf Studenten gingen im stürmischen Beifall des Publikums unter.

Eilig bahnte er sich einen Weg durch die aufbrechende Zuhörerschaft Richtung Rednerpult. Es drängte ihn, mit dem Wissenschaftler Kontakt aufzunehmen. Und er hatte Glück. Vor ihm, im Gespräch mit Mateo Ramirez, stand nur ein grauhaariger Mann mit einer altmodischen Stoffhose und einem Trenchcoat. Bereits nach ein paar Minuten schüttelten sich die Männer die Hände und der Trenchcoat wandte sich zum Gehen. Im Umdrehen trafen sich ihre Augen. Ramon durchzuckte es. Die Augen. Er kannte sie – diesen Blick. Aber er wusste nicht woher. Er hatte den Mann vorher noch nie gesehen.

»Sie wollten mich sprechen?« Der Wissenschaftler riss ihn aus seinen Gedanken.

»Oh ja, entschuldigen Sie. Ich dachte nur, ich kenne diesen Mann.«

Mateo Ramirez lächelte. »Nun, dann haben Sie mir etwas voraus. Ich habe ihn eben erst kennengelernt. Er ist ein englischer Forscher.« Er drehte die Visitenkarte um und warf einen Blick darauf. »David Cambridge.«

»Entschuldigen Sie«, Ramon reichte Mateo Ramirez die Hand, »ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Ramon Carroz und ich bin Dozent an der UPF. In Ihrem Vortrag haben Sie von genetischen Erinnerungen gesprochen und das hat mich an eine Freundin von mir erinnert. Sie hatte einen Traum, der sich nachträglich als historisch wahr herausgestellt hat. Vielleicht können Sie mir ja dazu etwas erklären. Die Frage, wie das wissenschaftlich möglich ist, beschäftigt mich schon sehr lange.«

Mateo Ramirez begann zu schwitzen. Er spürte, wie ihm schwindlig wurde. Das war genau das Puzzleteil, wovon er geträumt hatte, das Teil, das ihm in seiner geheimen Forschungsarbeit noch gefehlt hatte: ein Mensch, bei dem sich schon einmal unabhängig von einer Hypnose eine genetische Erinnerung gelöst hatte. Wenn das stimmte, dann war das die Entdeckung auf seinem Weg zum Ruhm. Er war völlig überzeugt, dass diese sogenannten Rückführungen, in denen ein Mensch im Trancezustand vermeintlich über seine vorherigen Leben erzählte, einen wissenschaftlichen Hintergrund hatten.

»War dieser Traum in Hypnose?«, erkundigte er sich. Er versuchte, gelassen zu wirken, obwohl sein Puls schon wie ein Wasserfall in den Ohren rauschte.

»Nein.« Ramon schüttelte den Kopf. »Sie hat einen Tee aus einer alten afrikanischen Wurzel zu sich genommen.«

Mateo hatte Mühe, seine Aufregung zu unterdrücken. »Das ist eine faszinierende Geschichte, die Sie mir da erzählen und ich würde mich unheimlich gerne mit Ihnen treffen und mehr darüber erfahren.« Er griff in seine Tasche und drückte Ramon seine Visitenkarte in die Hand. »Bitte melden Sie sich bei mir.«

»Sehr gerne.« Ramon hatte nicht mit einem so großen Interesse des Professors gerechnet. Er zog ebenfalls seine Visitenkarte heraus und konnte sie Mateo Ramirez gerade noch in die Hand drücken, als ein junger Mann mit einem Satz auf die Bühne sprang.

»Herr Ramirez, darf ich Sie ganz kurz stören?« Und ohne ein »Ja« oder »Nein« abzuwarten ratterte er weiter. »Ich bin ein großer Fan von Ihnen. Sie nehmen die Wissenschaft und Forschung ernst, aber ohne nur auf Gewinn zu spekulieren und vor allem ohne die Ethik aus dem Blick zu verlieren.« Er reichte Mateo die Hand und gleichzeitig mit der anderen eine Visitenkarte. »Ich bin freier Journalist und arbeite für die El Mundo

Ramirez hatte gar keine andere Wahl, als dem Journalisten seine Aufmerksamkeit zu schenken, aber Ramon hatte schon mehr erreicht, als er erwartet hatte. Vielleicht konnten sie sich bald einmal mit Mateo Ramirez treffen. Er betrachtete im Hinausgehen die Visitenkarte des Wissenschaftlers.

Den Mann im Trenchcoat hatte er schon wieder vergessen.