Iskandrien - Die ferne Insel

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Aus der Reihe: Iskandrien #1
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Iskandrien - Die ferne Insel
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Carl C. Pörksen

Iskandrien - Die ferne Insel

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Eine trunkene Idee

Der Auftrag

Ein ferner Feind

Neue Freunde

Im Nebel

Ein Reich fällt

Unterwegs

Die Barbaren

Die Grauen

Die Bande

Ilanas Geschichte

Gen Arkadien

Die Ruhe vor dem Sturm

Ein langer Tag

Feuer und Eis

Das Ende

Impressum neobooks

Kapitel 1


Band 1

Die Ferne Insel

Mein unendlich großer Dank geht an meine Familie,

die sich geduldig alle meine wilden Ideen abgehört hat,

mich (fast) nie ausgelacht hat

und mir immer das Gefühl gegeben hat,

ich hätte Talent zum Schreiben.

Ein spezieller Dank geht an

meine Schwester Ute und meinen Freund Sven,

die sich beide – als Deutschlehrer – durch das Buch gekämpft haben

und mir wichtige und gute weitere Anregungen gaben.

Und natürlich geht meine Dank an die

hoffentlich geneigten Leser, die sich dieses Buch

heruntergeladen haben.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch euch und Ihnen

einige interessante und unterhaltsame Stunden beschert.

Nicht mehr und nicht weniger!

Der Autor

Ebenfalls als E-Book erschienen: Band 2 – Der Monolith


2Eine trunkene Idee
48Der Auftrag
90Ein ferner Feind
130Buch 2 – Neue Freunde
177Im Nebel
223Ein Reich fällt
269Unterwegs
236Die Barbaren
392Die Grauen
441Die Bande
494Barbarenflut
535Ilana
601Buch 3 - Gen Arkadien
660Die Ruhe vor dem Sturm
695Ein langer Tag
713Feuer und Eis
795Das Ende

Das war’s, diesen Angriff konnte er nicht mehr abwehren. Nat hatte keine Kraft mehr, die Arme zu heben und sich seinem Gegner zu stellen. Er hatte ja nicht einmal die Kraft sich aufzurichten, lag bewegungsunfähig auf dem Bauch.

Wohin würde der Stich zielen. Wahrscheinlich auf den ungeschützten Nacken, über den der klebrige salzige Schweiß rann und in den Kragen seines vor Schmutz starrenden Hemdes sickerte. Sein Gegner würde sich an seinem Blut laben, ohne Gnade.

Und da erfolgte der Angriff, begleitet von dem unverwechselbaren Geräusch, das allen bisherigen Angriffen vorausgegangen war. Das Surren verklang und er glaubte den Stich zu spüren, mit dem die Mücke seine sonnenverbrannte Haut durchstach und in seinem ausgetrockneten Körper nach der zähen roten Flüssigkeit suchte, die durch den winzigen Saugrüssel aus ihm herausgezogen wurde.

Mit schier übermenschlicher Kraftanstrengung gelang es ihm den Kopf zu drehen und in die gleißende Sonne zu schauen. Die Mücke ließ sich von seinen trägen Bewegungen überhaupt nicht stören. Sie hatte längst erkannt, dass er keine Gefahr für sie darstellen konnte.

Sollte es hier und jetzt enden? Hier auf diesem gottverdammten Stück Holz in dieser gottverdammten See, umgeben von gottverdammten Salzwasser, weit weg von jedem gottverdammten Land. Er wollte nicht hier sein, hätte nicht hier sein müssen.

Was, wenn Jargo ihn nicht gestoßen hätte?!? Was, wenn er damals nicht diese gottverdammte Wette eingegangen wäre?!?

Eine trunkene Idee

Der Rauch in der Luft,

das Blut in der Erde,

die Schreie verstummt,

das Wiehern der Pferde.

Auf diesem Felde,

dem Hause, den Ställen,

den Gattern, dem Brunnen,

den hölzernen Wällen,

hielt Einkehr Gevatter

und Tod ist sein Name,

auf das er die Unglück-

seligen umarme.

Das Lied des Helden“ von Galfir Galbrandsson

„Wenn Du nur immer so viel Mut gezeigt hättest.“

Nat duckte sich tief unter den Busch und fluchte leise in sich hinein. Er schob vorsichtig einen Ast beiseite und versuchte, sich nicht an den langen Dornen zu verletzen, die mit Widerhaken versehen nach ihm zu greifen schienen.

Was tat er hier, an einem Platz wie ein Paradies auf Erden, aber nicht der Ort, an dem er sich jetzt aufhalten sollte. Gehetzt schoss sein Blick hin und her, suchte nach einem Ausweg aus dem Dilemma.

Gestern Abend in der „Süßen Maus“ hatte alles noch so einfach geklungen.

Nat hieß eigentlich Nataneel Elisar Ermstyrk, aber das hatte nur seine Mutter zu ihm gesagt, wenn Sie enttäuscht von ihm war, was leider Recht häufig vorkam. Er war, wie fast jeden Abend, nach einem Tag voller Müßiggang und Langeweile in die Taverne gegangen. Um dort etwas zu trinken, Spaß zu haben … und die dralle Wirtin davon zu überzeugen, dass er kein Mann für ein Leben aber für eine Nacht war. Schließlich hatte er auch einiges zu bieten.

Er war groß, schlank, aber mit breiten Schultern und hatte ein glattes, jungenhaftes Gesicht. Sein strahlendes Lächeln und seine leuchtend blauen Augen hatten ihm schon so manche Tür (und manches Mieder) geöffnet. Wenn er die Straßen entlang ging, schauten ihm viele Frauen aller Schichten und Altersklassen verstohlen hinterher. Für seine einundzwanzig Lenze hatte er somit schon einiges an Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht sammeln können.

Gelegentliche Abwechslung war ihm mehr als recht, denn die Tage im Kontor seines Oheims ödeten ihn an.

Seine Aufgabe dort war es, die eingehenden Waren von den Schiffen die von der Fernen Insel kamen aufzunehmen, in lange Listen einzutragen und dafür zu sorgen, dass sie an den richtigen Plätzen gelagert wurden.

An manchen Tagen verfluchte er, lesen und schreiben gelernt zu haben. Die Tage des Lernens waren mühselig und langweilig gewesen. Und was hatte es ihm gebracht. Eine öde Arbeit in einem stickigen staubigen Loch. Tag für Tag stand er sich hier die Beine in den Bauch.

Andererseits waren die anderen Dummköpfe noch schlechter dran. Sie durften nur die schweren Kisten hin und her schieben, immer so, wie er es ihnen sagte.

Hin und wieder machte er sich einen Spaß daraus, einen Berg schwerer Kisten aufstapeln zu lassen.

Dann behauptete er nachmittags, sein Oheim wolle die Kisten nicht an dieser Stelle, alle sollten wieder durch die Halle geschleppt und an anderer Stelle aufgestapelt werden. Welche Freuden ließ einem das Leben denn sonst.

Da war es doch auch klar, dass man Abwechslung brauchte, um sich von der Ödnis des Daseins zu befreien. Und die beste Abwechslung waren die feucht-fröhlichen Abende im Kreise seiner Kumpane in der „Süßen Maus“.

Mäuse gab es in dieser Kaschemme mehr als genug. Wahrscheinlich, weil die Katzen immer in dem undefinierbaren Fraß landeten, den die Wirtin hier „Ragout“ nannte.

Auf dem festgestampften Lehmboden der Taverne lag altes schmuddeliges Stroh. Der Schankraum war etwa fünfzehn mal zehn Schritt groß und die beiden Fenster hatte man schon vor Jahren mit dicken Bohlen vernagelt.

 

Die schmierigen Tische waren aus massiven Holz zusammengezimmert, die Füße der Bänke in den Boden eingegraben. Das verringerte die Möglichkeit, dass die betrunkenen Gäste die Möbel bei ihren allabendlichen Streitereien als Waffen einsetzten.

Wenn man durch die windschiefe quietschende Tür in das Halbdunkel der Taverne trat, sah man sich als erstes dem hünenhaften kahlköpfigen Türsteher und Rausschmeißer gegenüber.

Seine Aufgaben bestanden darin, die Mädchen, die hier arbeiteten bei Schlägereien zu beschützen, säumige Zahler an ihre Zahlungspflicht zu erinnern und Ruhestörer um ihre Barschaft zu erleichtern und dann vor die Tür zu setzen.

Seine Oberarme sahen aus, als könne man darauf Eisen schmieden. Sein ganzer Körper war von Tätowierungen bedeckt. Sie erweckten den Eindruck als wären die Schmerzen für den Tätowierten wichtiger gewesen als die Schönheit der Bilder.

Er lächelte fast nie, für die wenigen Leute, die ihn bisher hatten lächeln sehen, war es der letzte Anblick auf dieser Welt gewesen.

Er war ganz in Leder gekleidet und um seine Hüfte hing eine schwere eiserne Kette, die er gerne zum Auflösen größerer Streitigkeiten einsetzte.

Nat hatte wie immer an der Bar gesessen, halb zum Raum gedreht, damit er gleichzeitig mit seinem Kumpan reden konnte, während er die Wirtin nicht aus den Augen ließ. Sie war in ihrem Kleid mit dem engen Oberteil, dem sehr tiefen, wohlgefüllten Dekollete und dem kurzen Rock auch ein netter Anblick.

Wie oft hatte er sich schon vorgestellt, dieses Dekollete noch genauer in Augenschein zu nehmen.

„Und wenn du sie zehnmal mit den Augen ausziehst, so was wie Dich lässt Die nie in Ihre Kammer!“

Neben seinen schlechten Zähnen und dem stinkenden Atem hatte Spook leider auch eine gute Beobachtungsgabe. Und war immer bereit seine Beobachtungen allen Umstehenden mitzuteilen.

Er stand, mit einer Hand auf den schiefen Barhocker gestützt neben Nat und grinste ihn an.

„Da musst du schon ein bisschen mehr zu bieten haben, als die paar Penunzen, die dein Onkel Dir zahlt! Für so einen armen Schlucker wie Dich macht die Lady bestimmt nicht die …!“

Mit einer schnellen Bewegung trat Nat den Hocker weg, so dass Spook umfiel und mit einem satten „Klonk“ mit dem Kopf gegen den Tresen schlug.

„Hätte ich gar nicht gedacht, dass so ein hohler Kopf so ein dumpfes Geräusch macht!“ Nat grinste runter auf den stöhnenden Spook, der sich den Kopf rieb und langsam versuchte sich wieder aufzurichten.

Der Türsteher drehte sich um und warf einen schnellen Blick in den gut gefüllten Raum. Da kein Geschrei erklang und kein Blut spritzte zuckte er aber nur die Achseln und wandte sich wieder der Tür zu.

Spook richtete sich langsam wieder auf, sah Nat zornig an und spuckte dann einen dicken gelben Rotz in Richtung Spucknapf.

Die Flecken rund um den Spucknapf ließen darauf schließen, dass er häufiger verfehlt wurde, wahrscheinlich fast immer.

Ein breites Grinsen verzerrte Spooks Gesicht.

„Ey du Frauenheld. Hier Abend für Abend die Wirtin angaffen, der du niemals näher kommst als auf Tresenabstand, das kann doch nicht alles sein. Wie wäre es, wenn du mal richtige Klasseweiber angaffst und nicht diese …!“

Nat verpasst ihm eine Kopfnuss und blickte über Spooks Schulter.

Die Kneipenbesitzerin stand direkt hinter ihm und blickte herausfordernd in sein Gesicht.

„... diese Was?. Tu dir keinen Zwang an, sprich dich ruhig aus. Weiber wie ich lieben es, von so kleinen stinkenden Affen wie dir angepöbelt zu werden. Da fühlen wir uns doch gleich viel besser!“

„Schon gut Emelie!“ Nat winkte beschwichtigend ab. „Mein Freund hier wird sich natürlich bei Dir entschuldigen.“

Spook wirbelte zu Nat herum, bekam aber sofort die nächste Kopfnuss.

„Au verflucht, is ja gut. Schuldigung.“

„Was war das, geht das etwas lauter?“ Nat hob wieder die Hand.

Spook zog den Kopf ein und drehte sich zur Wirtin um.

„Ich entschuldige mich untertänigst für mein gar schröckliches Benehmen!“

Er machte einen Bückling und wäre dabei fast wieder mit dem Kopf gegen den Tresen geknallt.

„Schon gut, mach Dir mal keinen Knoten in die Zunge.“ Sie grinste die beiden Männer an. „Wie wäre es noch mit einer Runde Feuerwasser?“ Ihr Geschäftssinn hatte wieder ihren, ohnehin nur spärlich vorhandenen Stolz verdrängt und sie hielt Nat und seinem Freund die Flasche mit dem klaren Schnaps vor die Nase.

Die beiden Männer schoben ihre Gläser und eine Kupfermünze über den Tresen. Dann nahmen sie die neu gefüllten Gläser und setzten sich an einen der wackligen Tische, der gerade frei geworden war.

„Was sollte dein Spruch grade eben heißen? Wo gibt es wohl in diesem Kaff echte Klasseweiber, die sich von Typen wie uns angaffen lassen?“

„Ich habe ja nicht gesagt, dass sie sich angaffen lassen, du müsstest ja nicht um Erlaubnis fragen! Die hier …“ er zeigte mit dem Daumen auf die Wirtin „… hast du ja auch nicht gefragt, ob du ständig in Ihrem Ausschnitt versinken darfst.“

Er beugte sich vor und sein stinkender Atem schlug Nat ins Gesicht.

„Ich wüsste da etwas, was viel besser ist. Aber du müsstest auch mal was riskieren!“

Die Tür der Kaschemme öffnete sich und zwei Männer betraten den Raum. Der Türsteher schob sich nach vorne und vertrat den beiden den Weg.

Einer der Männer, ein spindeldürrer Mann in einem grellbunten Anzug, der in allen bekannten Farben schillerte und mit einem albernen Hut mit Feder auf dem Kopf, beugte sich vor und flüsterte dem Türsteher etwas ins Ohr. Nat konnte von seinem Platz beobachten, wie der Mann dem Türsteher etwas in die linke Hand schob.

Spook drückte sich auf seinem Stuhl in die Höhe und nickte mit dem Kopf in die Richtung der Männer.

„Der da, der neben dem bunten Papagei, der könnte …!“ Spook brach ab.

Der Türsteher hatte mit seinen schaufelgroßen Händen die Nacken der beiden Männer gepackt und rammte mit einer kurzen Bewegung ihre Köpfe gegeneinander. Dann schob er mit dem Fuß die Tür auf und stieß die Männer nach draußen.

Er schloss die Tür als die Wirtin neben ihm auftauchte. Sie sah ihn strafend an.

In der Kneipe war es so still, dass man ein Streichholz fallen hören konnte. Nur in der Ecke neben dem Tresen piepte eine Maus in einer der zahlreichen Fallen.

„Das waren vielleicht zahlende Gäste, warum hast du sie raus geworfen?“

„Die Beiden waren aus dem Schloss.“ Die Stimme des Hünen klang wie ein Reibeisen und obwohl er flüsterte verstand man jedes seiner Worte. „Du hast doch gesagt, dass wir die hier nicht haben wollen.“

Emelie seufzte, „Wenn du uns damit man keinen Ärger eingehandelt hast. du hättest mich vorher fragen sollen.“

Sie drehte sich um und ging zurück zum Tresen. Als sie sich im Raum umsah, senkten alle die Köpfe und bemühten sich, die Gespräche wieder aufzunehmen.

Spook war auf seinen Stuhl zurück gefallen.

„Hast du die beiden Typen schon mal gesehen?“ Nat schüttelte den Kopf.

„Der Papagei ist aus dem Schloss und kümmert sich dort um die Ratten und andere Plagegeister. Und den Anderen habe ich schon oft am Tor stehen sehen. Der ist bestimmt bei der Wache. Vielleicht hätten die Beiden Dir helfen können.“

Nat schaute seinen Saufkumpan verwundert an.

„Wobei helfen? Wovon redest du überhaupt? Hat Dir die Sonne den letzten Rest Hirn verbrannt? Erst laberst du was von Klassefrauen und jetzt sollen mir Typen aus dem Schloss helfen. Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!“

Spook lehnte sich wieder zu ihm rüber.

„Hast du denn noch nie was von dem Garten im Schloss gehört und von der Königin, der Prinzessin und ihren Hofdamen, die dort immer rumspazieren? Wer weiß, was die noch alles machen. Da kann sie ja keiner sehen. Das sind garantiert Klasseweiber. Aber die lassen sich ja nie auf der Straße blicken.“

„Was glaubst du, warum die da noch nie jemand gesehen hat? Da gibt es Festungsmauern und Wachen, wahrscheinlich auch noch Hunde und Schlimmeres. Da kommt keiner rein.“

Nat schüttelte den Kopf. „Du bist ja noch hohler, als ich dachte!“

Spook spuckte wieder in die Richtung des Spucknapfes. Er traf einen Betrunkenen, der gerade zur Tür wankte.

„Darum meine ich ja, vielleicht hätte dir die beiden Kerle helfen können. Du hättest dann ein gutes Wort für sie eingelegt, dass sie hier die Kneipe rein gelassen werden und dafür …. Aber wenn du nicht willst …!“

„Ey, Moment mal. Das habe ich ja nicht gesagt.“

Nat sprang auf, wodurch er den Tisch fast zum Wackeln brachte. Sein Becher kippte um, die Flüssigkeit lief zäh fließend über die Tischplatte.

„Wie stellst du Dir das vor, wie wir den Beiden helfen könnten?“

Natürlich war es eine blöde Idee, voller Gefahren und Unwägbarkeiten. Aber er hatte schon oft von dem paradiesischen Garten gehört, in dem angeblich die schönsten Frauen des Landes täglich lustwandelten.

Sie zu stören, sich ihnen nur zu nähern war unter schwere Strafe gestellt, hatte er gehört.

Andererseits, was sollte ihm schon passieren? Man würde ihn schon nicht hinrichten, nur weil er einen Blick auf ein paar schöne Frauen geworfen hatte. Und außerdem würde ihn ja niemand bemerken, wenn er die entsprechende Unterstützung durch Leute aus dem Schloss hätte.

Und wenn er doch aufgegriffen werden würde, könnte sein Oheim ihn raushauen, dessen Stimme hatte viel Gewicht. Er war nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, sondern auch noch Mitglied im Stadtrat.

Vielmehr konnte diese Sache eine Menge Spaß bedeuten und einen Ausbruch aus diesem eintönigen, langweiligen Dasein.

Nat zog Spook vom Stuhl hoch und schob ihn in Richtung der Tür.

„Wir können ja zumindest mal hören, ob die beiden armen Kerle nicht Hilfe brauchen.“

„Ey Jungs.“ Emelie lehnte sich über den Tresen, wodurch ihr Busen hoch gedrückt wurde und ihr Dekollete zu sprengen schien. „War’s das schon, ihr habt ja noch fast nichts getrunken?“

„Wir sind morgen wieder da, Süße.“ Nat winkte ab.

„Wir haben bloß grade zwei Freunde von uns gesehen. Dein Bär an der Tür hat sie nicht rein gelassen, deshalb müssen wir mit ihnen woanders hingehen.“

Emelie lehnte sich noch weiter vor. Spook traten fast die Augen aus den Höhlen, in seinem linken Mundwinkel bildete sich ein Speichelfaden.

„Das waren eure Freunde? Warum habt ihr nichts gesagt? In dem Fall könnt ihr sie mit rein nehmen. Aber wenn ich den Eindruck habe, die wollen hier spionieren, fliegt ihr alle vier raus.“

Nat nickte. Seit Umläufen wurden die Kneipen und Kaschemmen in der Stadt immer wieder von Männern der Wache oder aus dem Schloss besucht.

Es ging das Gerücht, dass Spione in Sylthana unterwegs waren. Was es hier zu spionieren gab und wer sie geschickt hatte war völlig unklar. Wahrscheinlich fürchtete der paranoide König mal wieder eine Revolution.

Die Überprüfungen waren aber sehr schädlich für das Geschäft, denn wer wollte schon über den König schimpfen, wenn er vermuten musste, dass der Mann am Nebentisch ein Lauscher des Königs war.

Nat eilte zur Tür, schob sich an dem hünenhaften Türsteher vorbei und ging nach draußen.

Vor der Taverne herrschte Zwielicht, das Licht der Gaslaternen an der Hauptstraße reichte nicht, um die dunkle Gasse vollständig zu erhellen.

Das war auch besser so, denn die stinkende, schäbige Gasse sah am hellen Tag noch schlimmer aus, während die Dunkelheit den Eindruck der verfallenden Häuser und des Drecks an den Gassenrändern abmilderte.

Nur der Gestank war allgegenwärtig. Das typische Gemisch aus gekochtem Kohl, faulenden Früchten, Schweiß und Dreck. Das neue Abwassersystem, dass in den Hauptstraßen für mehr Sauberkeit sorgte und die Gefahr von Krankheiten verringern sollte, war noch nicht in allen Nebenstraßen und Gassen eingeführt worden.

Die beiden Männer aus dem Schloss bemühten sich gerade, sich von den Auswirkungen des Rauswurfs zu erholen.

Der magere bunt gekleidete Kammerjäger stand auf seinen Beinen, hielt sich aber mit beiden Händen den Kopf und stöhnte. Der Andere hockte auf den Knien und schien zu überlegen, ob er sein Abendessen in die Gasse verteilen sollte.

 

„Hey“, sagte Nat leise.

Der Papagei zuckte zusammen und drehte schnell den Kopf. Das war offensichtlich ein Fehler, denn er stöhnte auf, fasste sich wieder an den Kopf und drohte umzufallen.

Nat war mit einem schnellen Satz bei ihm und stützte den schwankenden Mann.

Hinter ihm quietschte die Tür und Spook trat in die Dunkelheit der Gasse. Die Lichtbahn aus der Kneipe erlosch, als die Tür wieder zuschlug.

„Alles klar“, fragte Nat und schaute dem hageren Mann, dessen Arm er umklammert hielt, ins Gesicht. „Geht’s wieder?“

Der Mann riss sich los, begann sofort wieder zu schwanken und griff schnell wieder nach Nats Arm.

„Klar, alles bestens! Außer dass dieser Mistkerl da drinnen…“. Er wollte ein Bewegung mit dem Kopf zur Tür machen, überlegte es sich aber klugerweise im gleichen Moment anders. „… uns fast die Köpfe eingeschlagen hat! Ich werde dafür sorgen, dass er aufgehängt wird! Am besten an den …!“

„Es hat doch einen Grund, dass ihr in die „Süße Maus“ wolltet.“ Nat unterbrach die Schimpftirade des Mannes. „Wenn ihr jetzt den Türsteher aufhängen lasst, werdet ihr dort sicherlich keinen Zugang finden.“

„Und außerdem …“ Nats Stimme wurde leiser „… weiß ich nicht, wie begeistert man im Schloss darüber wäre, dass ihr euch hier herumtreibt.“

Der Kammerjäger sah Nat misstrauisch an.

„Woher weißt du, dass wir aus dem Schloss kommen?“

„Mein Onkel macht häufig Geschäfte mit dem Schloss und ich liefere manchmal Sachen für ihn aus. Da habe ich euch beide schon häufiger gesehen.“

Das war zwar gelogen, aber so wie Nat Spook kannte, hatte der Gründe für den Aufenthalt im Schloss, die man besser für sich behielt.

Spook war um die beiden Männer herumgegangen und half dem Anderen auf der Straße sich aufzurichten. Auch der schwankte und seine Augen drehten sich.

„Ich glaube, dein Freund hier braucht Hilfe!“ Spook hielt den Mann aus dem Schloss am Arm und spuckte geräuschvoll auf die Straße.

Nat drehte sich leicht in Richtung der „Süßen Maus“.

„Ihr könnt mit uns reinkommen, ich habe ein gutes Wort bei der Wirtin für euch eingelegt.“

„Nein Danke.“ Der Papagei versuchte sich aus Nats Griff zu lösen. „Für heute ist mir der Appetit auf billigen Fusel und dreckige Spelunken vergangen!“

Nat überlegte fieberhaft, wie er die Männer dazu bewegen konnte weiter mit ihm zu sprechen, bis er ihr Vertrauen gewonnen hatte.

Er ließ den Kammerjäger los und näherte sich Spook, der den Wachmann immer noch mit beiden Händen stützen musste.

„Ich glaube, dein Freund hier könnte einen guten Schluck und einen bequemen Stuhl vertragen. Warum kommt ihr nicht mit zu mir? Ich wohne hier in der Nähe und habe einen leckeren Branntwein von der Fernen Insel im Haus.“

Der hagere Mann leckte sich über die Lippen. Die Lust auf einen guten Tropfen kämpfte mit seinem Misstrauen, den beiden Männern gegenüber, die ihnen hier anscheinend grundlos beistanden.

Der Wachmann gab schließlich den Ausschlag.

„Ich könnte wirklich gut ein paar Minuten Ruhe brauchen und ein Branntwein von der Fernen Insel ist etwas, das man nicht so oft angeboten bekommt.“

Er versuchte mit den Händen den klebrigen Staub und Dreck der Gasse von seiner Kleidung zu wischen.

„Außerdem habe ich keine Lust auf das Gelächter, wenn ich so dreckig am Tor ankomme.“ Er schaute Nat ins Gesicht. „Vielleicht kann ich mich bei unserem neuen Freund auch ein bisschen säubern!?!“

„Klar, kein Problem.“ Nat bemühte sich nicht zu begeistert zu klingen.

Die beiden Männer sollten nicht sofort merken, welche Hintergedanken er hegte.

Spook war inzwischen einen Schritt zurück getreten und macht einen Schritt die Gasse hinunter.

„Ey, wo willst du hin?“ Nat rief ihm nach. „Die Einladung gilt auch für Dich.“

„Nee, lass man gut sein. Ich muss morgen früh wieder raus.“

Stirn runzelnd schaute Nat seinem Saufkumpan hinterher, der im Zwielicht der Gasse verschwand.

Dann drehte er sich zu seinen Begleitern um und zeigte in Richtung der Hauptstraße.

„Folgt mir, Freunde. Es ist nicht weit.“

Ihm entging das fiese Grinsen, das kurz über das Gesicht des Kammerjägers huschte.

Zwei Stunden später schien keiner der Männer mehr in der Lage einen kontrollierten Satz zu sprechen oder den Einsatz von Hand und Auge zu koordinieren.

Am Boden in Nats Zimmer lagen drei leere Flaschen Branntwein. In den Wassergläsern der Männer befanden sich nur noch letzte Reste.

Nat machte sich keine Gedanken darüber, wie er seinem Onkel das Fehlen von drei Flaschen Branntwein aus seinem Lagerbestand erklären sollte. Er führte ja selber die Listen, da würde ihm schon was einfallen.

Er hatte nur halb so viel getrunken, wie die anderen beiden Männer. Die andere Hälfte schwappte in seinem Stiefel, der neben ihm an der Wand stand. Er brauchte schließlich einen möglichst klaren Kopf. Trotzdem merkte er deutlich die Wirkung des scharfen Schnapses.

„Für welch’n Bereich bissu nommal zuschtändich?“ Nat musste sich nicht besonders anstrengen, um eine überzeugende Vorstellung als Betrunkener abzuliefern.

„Ichbinnuramnordtor … unsonsnix…!“ Der Kopf des Wachmannes fiel immer wieder nach vorne.

Wenn Nat den Mann nicht bald los wurde, würde der hier noch tief und fest einschlafen. Vielleicht würde er dann aber aus dem Kammerjäger etwas rauskriegen

Der schien nicht abgeneigt, vom Schloss und seinen Bewohnern zu berichten, aber jedes Mal hatte sein Begleiter ihn unterbrochen und gesagt, dass sie über das Schloss und das Leben dort nichts erzählen dürften. Dafür seien sie nicht hier.

Nat überlegte fieberhaft, wie er die beiden Männern für seine Pläne gewinnen konnte. Aber in den vergangenen Stunden war ihm nichts eingefallen, dass nicht sofort das Misstrauen der Männer geweckt hätte.

Aber da stand ihm das Glück zur Seite.

Der hagere Kammerjäger lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schaute links und rechts an Nat vorbei – und zwar gleichzeitig. Der Schnaps schien auch bei ihm deutliche Wirkung zu zeigen.

„Die Tore sin’ doch so was von egal. Da kannsu’ nur ins Schloss rein oder raus. Viel besser is’ doch das, was es im Schloss zu seh’n gibt.“ Er stieß ein wieherndes Lachen aus, dass gut zu seinem hageren Pferdegesicht passte, griff nach seinem Glas und schüttete den Rest der scharfen Flüssigkeit in sich hinein.

„Der Gart’n, da mussu ma’ hin. Der is’n Paradies. Und wenn dann noch die Weiber da sin’ …!“

Nat schluckte. Jetzt war’s so weit. Dies war die Gelegenheit, auf die er schon die ganze Zeit gewartet hatte. Scheinbar gelangweilt guckte er den Buntgekleideten an. „Was’n für’n Garten? Ich dachte, dass is’ nur `n Ammenmärchen.“

„Quatsch!“ Speicheltropfen flogen in Nats Richtung.

Der Kammerjäger schüttelte so heftig den Kopf, dass er fast vom Stuhl gefallen wurde. Er konnte sich anscheinend nur nicht entscheiden, zu welcher Seite.

„Den gib’s wirklich. Ich hab ma’ über die Mauer geguckt, aber dann musste ich abhau’n, weil die Streife kam. Hatte nieman’ der für mich Schmiere stand.“

„Un’, wie issas da?“ Nat bemühte sich, seine Euphorie zu verbergen und spielte den nur mäßig Interessierten.

„Das Paradies, Mann. Ächt das Paradies. Ich würde zu gern’ ma’ da reinkommen un’ am besten wenn die Königin un’ ihre Hofdamen un’ die Prinzessin da sin’. Aba da brauchs’e jemanden, der drauß’n aufpasst unnich auffälld.“ Wieder lachte er wiehernd und holte dabei schnaubend Luft.

„Ich kann das auch nich’ riskier’n, dafür bin ich im Schloss einfach su bekannd. Wenn mich einer sieht bin ich fällich. Ich wär’ schon froh, wenn mir jeman’ erzähl’n würde, wie’s da is’. Wie’s riecht und sich anfühlt un’ so. Hab gedacht, als Kammerjäger komms’u überall hin, aber pffft …! Kanns’u vergessen, Im inner’n Schloss machen die alles alleine. … Weiss’u was, hätt’st nicht Lust auch ma’ zu guck’n?“

Nat jubelte innerlich. So einfach hatte er sich das wirklich nicht vorgestellt. Jetzt bloß den Fisch nicht von der Angel lassen.

„Würd’ ich ja glatt ma mach’n, aba wenn du dich schon nich’ trau’n kanns’, wie sollte ich das denn mach’n?“ Nat schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich bräucht’ jeman’ aus’m Schloss, der mich reinlässt, `ne Leiter hält un’ für mich Schmiere steht. Wo soll ich den denn find’n?“

Der Kammerjäger lehnte sich wieder vor und versuchte Nat eingehend zu mustern. Sein Augen drehten jedoch immer wieder weg, so dass es ihm nicht gelang den Blick zu fixieren.

„Morg’n Nachmittag nach dem Mittagsgebet sin’ sie wieder im Gart’n. Das weiß ich von’m Freund. Wenn du dann bei der Ostmauer des Schlossgar`ns bis’, dann warte ich da mit `ner Leiter auf Dich.“

Wieder bemühte er sich um einen eindringlichen Blick.

„Aber komm’ nich’ auf dumme Gedank’n. Rüberklettern, gucken und ganz still wieder raus, mehr is’ nich’ drin.“

Nat konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken.

„Geht klar, ich bin dann da und versprech’ Dir, ich will nur guck’n nich’ anfassen!“

Noch einmal stießen die beiden „Verschwörer“ miteinander an, dann schob der Kammerjäger seinen Becher weg.

„Genuch für … boorps!“ ein lang gezogener Rülpser brach aus ihm heraus. „Wir müss’n los.“

Die beiden Männer standen schwankend auf. Nat war weiterhin bemüht, sich betrunkener zu benehmen, als er wirklich war. „Komm, wir schaff’n dein’n Freund hier raus:“

Jeder schob einen Arm unter die Arme des betrunkenen Wachmannes und sie schoben und zerrten ihn durch die Tür nach draußen.

Bei ihrem schwankenden Gang brauchten Sie fast zwanzig Minuten bis zum Schlosstor, dann ließen sie den Wachmann an der Mauer zu Boden sinken. Stöhnend und schwitzend lehnten sie sich gegen die raue Steinwand.

„Morgen ab Mittag hat unser Freund hier wieder Dienst, dann lässt er Dich hier durch.“

Die kalte Nachtluft und die Anstrengung der letzten Minuten hatte den Buntgekleideten offensichtlich wieder nüchterner gemacht.

„Wir sehen uns nach dem Mittagsgebet!“