Iskandrien - Die ferne Insel

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Aus der Reihe: Iskandrien #1
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Jorge ließ sich auf die Knie sinken und kroch über das Deck.

Eigentlich kannte er das ganze Schiff wie seine Westentasche. Doch ohne Sicht schien das Schiff ein völlig neuer Ort zu sein.

Zudem hatte der Sturm viele Dinge zerstört oder verschoben, so dass manches nicht mehr da war, wo Jorge es erwartete.

Dann ertastete der Steuermann den Handlauf und zog sich an diesem entlang zum Bug des Schiffes.

„Willior, wo seid ihr? In diesem verdammten Nebel kann ich nicht einmal meine eigenen Gedanken sehen.“

Jorges suchende Hand legte sich auf ein Seil, das sich langsam aber stetig abrollte.

„Wir machen immer noch Fahrt.“

Der Kapitän war jetzt anscheinend direkt vor Jorge.

„Ich weiß nicht, ob es hier eine Strömung gibt, ob wir mit Schwung aus dem Sturm hier herein geschoben wurden oder ob Magie dahinter steckt. Eine Möglichkeit, die man in diesem Nebel nie aus den Augen verlieren sollte.“

Er keuchte.

„Aber wir müssen versuchen das Seil zu verlängern. Wir können nicht riskieren den Anker zu belasten. Wenn der nicht richtig verhakt ist und in den Nebel hinein zieht sind wir verloren. Hier muss man nur eine Schiffslänge weit im Nebel sein, dann kann man sich ebenso gut in einer anderen Welt befinden.“

Hektische Hände ergriffen Seil um Seil und knüpften diese zusammen.

Zum Glück hockte man direkt neben dem Seilkasten, sonst wäre es in dem undurchsichtigen Nebel hoffnungslos gewesen, die Seile auf dem Schiff zusammen zu suchen.

Scheinbar unendlich lang trieb das Schiff durch den Nebel. Dann ertönte die Schreckensmeldung.

„Das war´s. Wir haben alle Taue verbunden, die wir greifen konnten. Lasst uns dieses Ende festbinden. Wenn das abgelaufen ist, müssen wir versuchen, den Anker zu belasten.“

Die Stimme des Kapitäns schwankte zwischen Sorge und Hoffnung.

Jorge, der Kapitän und die anderen fünf Mitglieder der Schiffsmannschaft, die sich um das Zusammenknüpfen der Taue gekümmert hatten lehnten sich in gespannter Erwartung zurück.

Solange sie fieberhaft zusammengearbeitet hatten, schien eine enge Verbindung zu bestehen. Jetzt, als sie sich in den undurchdringlichen Nebel sinken ließen und atemlose Stille herrschte, war jeder Einzelne von Ihnen wie der einsamste Mensch auf Erden.

Jorge starrte in den Nebel, in der irrigen Hoffnung, irgendetwas entdecken zu können. Eine innere Stimme riet ihm sich umzusehen, es gab was in der Nähe. Der Steuermann hockte sich auf Hände und Knie und kroch zum Bug des Schiffes.

Mit dem Kopf stieß er leicht gegen die Reling und orientierte sich daran entlang zum Bug des Schiffes.

Plötzlich gab es einen leichten Ruck. Das Schiff lag fest.

Jorge sog die Luft ein.

Jetzt kam es darauf an. Würde der Anker halten.

Als alter Seemann musste man nicht sehen können, um zu wissen, ob ein Schiff sich bewegt.

Der Zug des Ankers setzte das Schiff in eine leichte Drehbewegung, dann lag es still.

Der Anker hielt.

Jubel brandete auf.

„RUHE!“ Willior Sifusson überbrüllte seine Männer.

„Freut euch nicht zu früh. Und keine unbedachten Bewegungen. Wir wissen nicht wie gut der Anker liegt. Und wir wissen nicht, wie gut die Knoten halten. Ihr könnt euch freuen, wenn wir wieder aus dem Nebel raus sind.“

„Sind … wir!“

Jorge staunte, er hatte die Augen weit aufgerissen und sein Mund stand offen.

Mit einem debilen Gesichtsausdruck blickte er in den schimmernden Tunnel, der sich vor ihm auftat.

Die Drehbewegung des Schiffes hatte den Bug des Schiffes noch ein kleines Stück nach vorne geschoben und plötzlich glitt sein Gesicht aus dem Nebel heraus wie durch einen Theatervorhang.

Sein staunender Blick verlor sich in einem blaurot schimmernden Tunnel, an dessen anderem Ende helles Sonnenlicht gleißte.

„Was redest Du?“ Willior schien sich langsam über das Deck zu Jorge vorzuarbeiten.

„Unser Bug ist aus dem Nebel raus. Hier gibt es einen großen Tunnel, da würde unser ganzes Schiff durchpassen.“

Eine tastende Hand legte sich auf Jorges Schulter, dann schob sein Käpt’n sich neben ihn.

Jorge wandte sich halb um und blickte auf den Nebel, der hier nicht einmal zerfaserte, sondern wie eine kompakte Wand den Tunneleingang verschloss.

Eine Nasenspitze erschien, dann schob sich Willior’s Gesicht aus dem Nebel.

Er riss die Augen auf und blickte staunend in den Tunnel hinein.

„Wo sind wir hier? Ist dies das andere Ende des Nebels? Sind wir hier in den Meeren der Alten Welt?“

„Woher soll ich das wissen? Ich bin genau so überrascht wie Du. Das sollten wir uns unbedingt genauer ansehen.“

„Okay.“ Willior schob sich noch weiter nach vorne und ragte nun mit dem Oberkörper aus dem Nebel.

Hinter ihnen hörten Jorge und sein Käpt’n das Murmeln der anderen Männer, die sich langsam nach vorne arbeiteten.

„Irgendwelche Vorschläge?“

„Ich würde sagen, wir nehmen das Beiboot und rudern zum anderen Ende des Tunnels. Erst einmal nur mit einer kleinen Gruppe, die anderen bleiben hier und sichern den Halt des Schiffes. Wenn es aus dem Tunnel heraus treiben will, müssen wir versuchen, es mit Staken zurück zu halten. Wenn wir aus der Takelage noch ein Seil heraus lösen können, könnten wir vielleicht auch einen Befestigungspunkt innerhalb des Tunnels finden.“

Jorge blickte suchend die glatten Tunnelwände entlang. Er konnte aber keine Abbrüche oder Verwerfungen entdecken, die ausreichend Halt für ein Seil geboten hätten.

Andererseits machte das Schiff auch keine Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen.

Willior überlegte einen Moment.

„In Ordnung. Du nimmst Gremfy und Hiltor mit und ihr rudert an das andere Ende des Tunnels. Ihr seht euch dort um, rudert wieder zurück und berichtet.“

Er rieb sich über das Gesicht und zog die Stirn in Falten.

„Ich habe keine Ahnung, wie lange wir schon in dem verdammten Nebel stecken, aber ich denke wir werden in den nächsten Stunden nicht wieder ins Meer zurück können. So schnell wird sich der Sturm nicht auflösen. Das heißt, wir können die Zeit nutzen, um uns hier genauer umzusehen. Und das Beiboot brauchen wir ohnehin, um uns zurück zu schleppen.“

Mit einem lauten Klatschen, das in dem Tunnel widerhallte schlug er die Hände zusammen.

„Also los, suchen wir das Boot und versuchen es mit euch ins Wasser zu bringen. Und das mir keiner reinfällt.“

Es ging überraschend schnell, bis die Männer trotz der fehlenden Sicht das Beiboot zu Wasser gelassen und an einer kurzen Kette zum Bug und aus dem Nebel heraus gezogen hatten.

Jorge und die beiden anderen Männer ließen sich in das Boot hinab, Gremfy ergriff die Ruder und mit langen Zügen schob sich das Boot durch den Tunnel.

Jorge sah sich suchend um, aber der Tunnel zeigte keinerlei Makel.

Glatt wie ein Kinderpopo, hätte seine Mutter dazu gesagt.

Schnell hatten sie den Tunnel durchmessen und fuhren in den strahlenden Sonnenschein. Den bemerkte Jorge als erstes. Wenn die Sonne hier in den, was auch immer, schien, bedeutete das, dass über ihnen kein Nebel mehr war.

„Beeindruckend!“ Hiltor war eigentlich mehr ein Wissenschaftler als ein Seemann.

Er war für die Vermessung und die schriftlichen Aufzeichnungen über die neuen Erkenntnisse zuständig, die die Eksplora bei ihren Erkundungsfahrten sammelte.

„Ich glaube nicht, dass wir auf der anderen Seite des Nebels sind. Ich bin einmal in die Alte Welt und wieder hierher gesegelt und die Durchfahrt des Nebels dauerte erheblich länger. Ich denken, dass wir uns auf oder in einer Insel im Inneren des Nebels befinden.“

Sein Blick wanderte über die Berge, die ringsum den Blick einfingen.

„Die Beschaffenheit des Steines und die Form dieser Insel lässt vielmehr den Schluss zu, dass es sich um einen ehemaligen Vulkan handelt.“

„Oder einen Spielplatz der Götter.“

Wie alle anderen Göttergläubigen an Bord der Eksplora konnte auch Gremfy wenig mit Hiltors hochgestochenen Reden anfangen, Er glaubte lieber an die Macht der Götter und die Wege, die sie den Menschen zugedacht hatten.

Hiltor bedachte ihn mit einem geringschätzigen Blick, dann sah er sich weiter in dem großen Kessel um. Sie durchquerten zunächst einen Bereich mit vielen kleinen Schilf- und Sandinseln. Daraus entwickelte sich ein flacher Sandstrand, der in einen Reetgürtel überging. Dahinter erhoben sich hohe Bäume.

Knirschend lief das Boot auf den Sand auf und die drei Männer sprangen schnell in das flache Wasser, um das Boot ganz an Land zu ziehen.

Von hier aus sahen sie das dunkle Loch des Tunnels, das Schiff am anderen Ende war jedoch nicht zu erkennen.

Jorge und seine Begleiter stapften durch den feinen weißen Sand und drückten sich dann durch den Reetgürtel.

Zwischen dem Reet und den Wäldern lag eine Ebene von etwa zweihundert Schritt Tiefe. Hier weideten diverse Tiere. Jorge entdeckte Pferde, Wildziegen, Antilopen und andere Pflanzenfresser. Einen Moment lang sah er das Aufblitzen eines schimmernden schneeweißen Felles zwischen den Bäumen. Bei genauerem Hinsehen konnte er jedoch nichts erkennen.

Es gab aber keinerlei Hinweise auf menschliches Leben in diesem Krater.

Die drei Männer sahen sich sorgfältig um. Sie entdeckten Früchte, frisches Wasser, das in großen Fällen aus den Kraterwänden brach und alle Sorten von Pflanzen.

Wie die Tiere in diesen Krater hinein gekommen waren, war den Männern völlig unklar. Dies bestärkte Gremfy nur in seiner Meinung, dass die Götter diesen Ort geschaffen hatten.

 

Das Paradies auf Erden. Sie hatten es gefunden.

„Wir müssen hierher zurück finden. Unbedingt.“ Jorge sah die anderen eindringlich an.

Eifrig nickend stimmte Gremfy ihm zu.

„Das haben die Götter so für uns vorgesehen. Ganz klar.“

Hiltor verzog das Gesicht, aber dann nickte auch er.

„Ich bin deiner Meinung. Einen solchen Platz muss man wieder finden. Und ich habe eine Idee, wie wir das machen können.“

Er beugte sich vor und setzte seinen Kameraden den Plan auseinander.

Die Eksplora hatte sich noch etwas weiter vorgetastet, so dass die an Bord verbliebenen Männer von Bug aus den Tunnel und seinen Ausgang beobachten konnten.

Statt der drei Männer, die sie losgeschickt hatten, um den Ausgang des Tunnels zu erkunden, kam nur einer zurück. Und dieser hatte statt seiner Kameraden einen großen Felsbrocken im Boot. Dass Boot lag bedenklich tief und schob sich langsam und vorsichtig durch den Tunnel.

„Was zum Henker…?“ Willior Sifusson lehnte sich über die Reling und blickte in Gremfys Gesicht, dass sie sich ihm schwitzend und breit grinsend zuwandte.

„Den Stein brauchen wir für unseren Plan und wir haben das Paradies gefunden. Da gibt es Tiere und Wasser und Bäume und …!“

Der Kapitän hob die Hand und gebot dem Redefluss seines Matrosen Einhalt.

„Wer hat gesagt, dass wir den Felsen brauchen?“

„Was, ääh… Jorge und Hiltor natürlich. Ich, ääh, wir …!“

Wieder stoppte Sifusson das Gestotter des Mannes.

„Schon gut, dass könnt ihr uns erzählen, wenn ihr alle wieder hier seid. Hieven wir das Ding hier herauf und dann holst du die anderen.“

Die Seeleute ließen ein kleines Segel über Bord und bildeten damit eine Trage. Hier legten sie den Stein hinein und hoben ihn an Bord.

Gremfy hatte sich bereits wieder auf den Weg gemacht und nach einiger Zeit erschien sein Boot wieder im Tunneleingang.

Diesmal hatte er seine Kameraden an Bord. Jorge stand im Heck des Bootes und ließ etwas durch seine Hände ablaufen.

Als sie sich dem Schiff näherten erkannten die dort wartenden Männer, dass es sich um eine Art langes Seil handelte.

„Was tut ihr da?“

Kapitän Sifusson blickte ratlos auf seine Männer, die mit ihrem Boot längsseits gingen und aufenterten.

„Käpt’n.“ Jorge legte seinem Freund und Kapitän die Hand auf die Schulter und blickte ihm tief in die Augen.

„Ich habe das Paradies gesehen und ich werde alles tun, um wieder dorthin zu kommen.“

Die anderen Männer machten Anstalten, auch in das Beiboot zu klettern.

„HALT!“ Jorge erhob die Stimme. „Ich kann verstehen, dass ihr es auch sehen wollt. aber die Gefahr, dass der Anker der Belastung nicht stand hält ist zu groß. Wir müssen so schnell wie möglich zurück. Aber um wieder her zu kommen, werden wir unsere Taue mit diesen Lianen verlängern und unseren Anker gegen diesen Felsen austauschen. Wenn wir uns beeilen, in den nächsten Tagen wieder her zu kommen, werden wir diesen Felsen und die Taue wieder finden und können uns daran entlang in die Höhle vorarbeiten. Und dann tauschen wir die Lianen aus gegen neue, mit Pech haltbar gemachte Taue, damit wir immer wieder den Weg hinein und hinaus finden. Das ist der Plan.“

Der Kapitän staunte. Er hatte sich selber schon den Kopf darüber zerbrochen, wie man diesen Ort wieder finden konnte. Auf diese Ideen war er jedoch nicht gekommen.

„Und wie finden wir den Anker im Meer wieder?“

„Wir bauen ein kleines Floß, das knapp unterhalb der Wasseroberfläche schwimmt, weil wir es an den Felsen binden. Daran befestigen wir das Tau. Dann markieren wir den Ort auf der Karte und müssen dann nur ein bisschen suchen, wenn wir wiederkommen.“

Und so wurde es dann auch gemacht.

Drei Mann besetzten das Ruderboot. Einer zog sich an dem Tau entlang, die anderen legten sich in die Riemen, um die Eksplora hinter sich her durch den Nebel zu ziehen.

In kurzen Abschnitten tauschte man die Ruderer aus, weil es eine unglaublich anstrengende Arbeit war.

Die Wechsel gingen langsam und mühsam von statten, denn aufgrund der fehlenden Sicht musste jeder Schritt und jeder Handgriff ertastet werden.

Aber nach etlichen Stunden hatten die Männer es zurück zur Grenze des Nebels geschafft und stießen hindurch in die Freiheit des offenen Meeres.

Der Sturm war abgeflaut und strahlender Sonnenschein empfing die Eksplora.

Jubel brandete auf. Man hatte den Weg durch den Nebel gefunden, das System des „an den Tauen entlang Hangelns“ schien zu funktionieren und man hatte der Welt eine sensationelle Entdeckung zu berichten.

Schnell wurde ein kleines Floß gebaut und dann mit einem langen Seil aus der Takelage an den Stein gebunden.

Mit vereinten Kräften wuchtete man den Stein über Bord und ließ ihn hinab, bis er auf dem Boden aufschlug.

Das Floß wurde über Bord gehievt, einer der Männer kletterte auf das Floß, wodurch es bereits ein Stück unter das Wasser sank, und vertäute es mit dem Stein.

Dann kletterte er zurück an Bord. Hiltor und Jorge nahmen die genaue Position des Floßes. Hierfür ließen sie sogar die Nacht verstreichen, um an den Sternenkonstellationen die Position unverrückbar genau bestimmen zu können.

Die Position wurde auf zwei Karten vermerkt. Eine erhielt der Kapitän, der sie an seinen Steuermann weitergab. Die andere wurde in die Bordtruhe gelegt, die im Mannschaftsraum stand.

Was dann passierte wurde nie geklärt. Jorge erklärte sich die folgenden Geschehnisse damit, dass die Götter ihnen das Paradies auf Erden neideten.

Die Eksplora war kurz vor Iskandrien, in Sichtweite der Bergkette, die die Stadt Arkadien zum Meer hin abschirmte, als wie aus dem Nichts ein schwerer Sturm aufkam.

Wahrscheinlich hatte der Gott des Windes es nicht verwunden, dass seine Opfer sich durch die Flucht in den Nebel seiner brutalen Macht entzogen hatten.

Die turmhohen Brecher und der peitschende Sturm zerstörten das Schiff in wenigen Momenten, fast alle Besatzungsmitglieder wurden mit ihrem Schiff in die Tiefe gerissen. Wer sich noch retten konnte, fiel den mörderischen Leviathanen zum Opfer.

Jorge trug die Karte, die sein Kapitän ihm gegeben hatte immer bei sich. Als der Sturm die Eksplora zerstörte, zog er gerade das Beiboot an einer versteckten Bucht zwischen den tiefen Klüften der Steilküste auf den Strand.

Sein Kapitän hatte ihm den Auftrag gegeben, vor der Einfahrt in den Hafen Kontakt zu einigen ausgewählten Personen aufzunehmen.

Man war sich darüber einig geworden, dass der Krater und seine Wunder nicht für alle zugänglich gemacht werden durften. Hier wollte man sorgfältig die richtigen Leute auswählen. Nach der Einfahrt in den Hafen würde es ungleich schwieriger sein, das Geheimnis für sich zu behalten.

Daher sollte Jorge eine weitere Expedition auf den Weg bringen, mit einigen Freunden, Familienmitgliedern und besonderen Helfern. Also Handwerkern, wie Schmieden, Zimmerleuten, Bootsbauern und weitere Seemänner, Taucher und Bauern.

Also alle Leute, die man für die Erschließung neuen Landes und vor allen Dingen für die Einrichtung einer gesicherten Zufahrt durch den Nebel brauchte.

Einen Moment lang ging Jorge in die Knie vor Trauer und Erschütterung über die jähe Zerstörung seines Schiffes und den Tod seiner Freunde und Kameraden.

Er schwor, bei den wankelmütigen und eitlen Göttern, dass er alles so machen würde, wie er und seine Kameraden es beschlossen hatten.

Ihm war mehr denn je klar, dass er darauf achten würde, sein Vorhaben geheim zu halten.

„Ich will dich jetzt mit den weiteren Einzelheiten nich’ langweilen.“ Der zahnarme Alte hielt sich mit dem Daumen ein Nasenloch zu und blies durch das andere einen dicken Rotzklumpen über die Reling ins Meer.

„Jorge scharte also einen Haufen Leute um sich und führte sie hierher. Es gelang ihm auch die Einfahrt wieder zu finden. Das klappt mal besser und mal schlechter. Wir haben auch schon Stunden nach dem vermaledeiten Floß gesucht.

Einer der ersten Siedler dieses Kraters, ein Medicus, war außerdem Alchimist und er kannte eine Art, mit einem Gemisch aus Pech und Schwefel oder so die Seile, Lianen und das Holz des Floßes haltbar zu machen. Die liegen jetzt schon seit vielen Jahren im Wasser und sehen aus wie neu.

Natürlich ließ es sich nicht verhindern, dass Gerüchte über den Krater auch an die Ohren anderer Leute auf Iskandrien gedrungen sind, aber niemand hat den Zugang jemals gefunden. Es müsste uns schon jemand beobachten, wie wir das Floß suchen und da passen wir auf wie die Schießhunde.

Du wirst in der nächsten Zeit noch vieles sehen und kennenlernen, was dich staunen lassen wird. Dass will ich nich’ alles vorweg nehmen.

Schau dich um … Oh, da kommt dein Empfangskommando.“

Er schaute herüber zu den sich nähernden Personen.

„Oh, kein Wunder, dass sie die alte Vettel mitgenommen haben. das könnte für uns beide unangenehm werden.“

Der Alte stieg durch die Luke auf den Steg und ging auf die Gruppe zu, die sich langsam näherte.

In der Mitte der Gruppe ging auf einen knorrigen Stock gestützt eine Frau mit gebeugtem Rücken, deren Alter sich unmöglich schätzen ließ. Das konnte irgendwo zwischen 60 und 100 Jahren liegen.

Der Alte ging auf sie zu und nahm sie widerstrebend in den Arm.

„Hallo Liebling, schön dich zu sehen. Ich wollte mich gerade auf den Weg zu dir machen.“

Die Frau ließ die Umarmung einen kurzen Moment über sich ergehen, aber dann hob sie den Stock und stampfte dem Alten auf den Fuß, dass er aufjaulend zurück sprang.

„Dein Gesäusel kannst du dir sparen.“ Ihre Stimme klang erstaunlich voll und stark für eine Frau ihres Alters.

„Zu dir komme ich nachher noch. Geh schon mal nach Hause. Jetzt muss ich mich erst mal um den Anderen da kümmern.“

Mit diesen Worten schob sie den jammernden Mann beiseite und stieg durch die Luke auf das Schiff.

Begleitet wurde sie von Odu und Tammy.

Nat sah den Dreien gespannt entgegen. Was kam jetzt.

Die Alte blieb eine gute Armlänge vor ihm stehen. Sie blickte ihm lange ins Gesicht. Dann schien sich ihr Blick zu verklären.

Nat kannte diesen Blick, er hatte ihn einige Male bei Jargo beobachtet, meistens während der Konzentrationsübungen.

Aus Spaß konzentrierte Nat sich auf den tiefschwarzen Stein der Brosche, die den Umhang der alten Frau zusammenhielt.

Er ließ seinen Blick hindurch dringen, wie er es von Jargo gelernt hatte.

Hinter der Brosche schien sich eine Welt zu öffnen, in der sich Nats Blick verlor.

Zufrieden grunzte die Alte und wischte vor Nats Gesicht hin und her, bis er seinen Blick zurückzog.

„In Ordnung, ich habe es gesehen. Das war beeindruckend.“

Nat fragte sich, wovon die Alte sprach.

Der Blick der Frau war wieder klar, sie fixierte den jungen Mann.

„Woher kannst du das?“

Nat schaute sie zweifelnd an.

„Was können? Ich habe nur das getan, was Jargo mir beigebracht hat. Was es bewirkt, hat er mir nie gesagt. Er hat mich immer vertröstet – das würde ich noch früh genug merken.“

Als Nat Jargos Namen nannte war die alte Frau zusammengezuckt. Ihr Blick wurde lauernd.

„Kennst Du wirklich einen Magier namens Jargo?“

„Aber natürlich. Ich habe mit ihm zusammen den Nebel durchfahren um hier in diese … dieses gottverlassene Land zu kommen!“ Nat schluckt den Klumpen Bitterkeit runter, der in seiner Kehle aufgestiegen war.

„Kannst du ihn mir beschreiben?“

„Häääh? Was? Ob ich …? Natürlich kann ich ihn beschreiben. Er war groß, hatte fast schwarze Augen und einen dunklen Vollbart.“

„Hmmm.“ Die Alte wiegte den Kopf hin und her.

„Das könnten viele sein. Hatte der Mann den du beschreibst irgendetwas Besonderes?“

Nat spürte, wie die Wut in ihm brodelte, aber er wusste, dass er ruhig bleiben musste. Er brauchte die Hilfe dieser Leute, wenn er auch nur darüber nachdenken wollte, Jargos Auftrag zu verstehen und zu erledigen.

Er überlegte kurz.

„Er hatte ein dunkle Stimme und schlanke Hände und … ach ja, er spielte immer mit einer goldenen Taschenuhr die er oft aufspringen ließ, weil sie dann „Pling“ machte.“

 

Der Gesichtsausdruck der Alten veränderte sich. Das Misstrauen wich, stattdessen legte sich ein Schatten der Trauer über ihre Züge.

„Ja, das war er. Die Uhr habe ich ihm zu seinem zwanzigsten Geburtstag geschenkt.“

„Ihr kanntet ihn?“ Vor Überraschung blieb Nat der Mund offen stehen.

„Ich bin …, ich war seine Schwester. Ich wusste nicht, dass er kommen wollte, sonst hätte ich an der Durchfahrt auf ihn gewartet.“

„Es hat wohl seit Umläufen keine Nachrichten vom Fernen Kontinent gegeben und somit ist Jargo nicht davon ausgegangen, dass seine Nachrichten hier ankamen.“

„Nein, das sind sie auch wohl nicht. Ich hatte seit Jahren nichts von ihm gehört. Ihr müsst mir alles über ihn erzählen, von seiner letzten Fahrt.“

Die alte Frau straffte sich und schien die Trauer vorerst abzuschütteln.

„Tally hat mir gesagt, dass ihr von Blackards Schiff angegriffen wurdet und … dass er Jargo getötet hat.“

Nat nickte, „Das war der Name den die Leute riefen, als er über Deck ging.“

„Nun gut. Was wollte Blackard von euch und warum seid ihr hier?“

„Ich weiß es nicht. Weder das Eine noch das Andere. Ich weiß nicht einmal, ob es Blackard um mich ging. Er selber schien nicht zu wissen, nach wem er suchte sondern ließ einfach alle töten, vielleicht um niemanden zu übersehen oder sich nicht mit unnötigem Ballast zu belasten.“

„Was hat Jargo dir gesagt, über den Spruch des Orakels?“

„Nichts Genaues, das heißt, er wusste wohl selber nichts Genaueres. Das Orakel scheint sich nicht so genau auszudrücken.“

„Pffft, das ist wohl `ne kleine Untertreibung.“ Zum ersten Mal meldete Odu sich wieder zu Wort.

„Die meisten Sprüche passen auf jede Lebenssituation, vom Weltuntergang bis zur Entstehung des Paradieses.“

Er räusperte sich und spuckte verächtlich über die Bordwand.

„Wenn das Orakel das wirklich gesagt hat und Jargo in dir etwas Besonderes gesehen hat, dann wird da auch etwas dran sein. Aber ich würde darauf keine Religion gründen. Ich glaube kaum, dass die Welt zu Asche zerfallen wäre, wenn Blackard dich auch über die Planke geschickt hätte.“

Die alte Frau warf Odu einen seltsamen Blick zu.

„Da magst du Recht haben, Odu. Aber uns gelingt es bisher nicht, das sich ausbreitende Böse aufzuhalten, dass vielleicht tatsächlich unsere Welt zu Asche verbrennt. Und Nat …“ zum ersten Mal sprach sie seinen Namen aus „… kann Dinge, die wir nicht können. Also vielleicht ist er derjenige, der uns helfen kann, dieser Welt Frieden zu bringen.“

„Ho ho ho, Moment, nicht so schnell.“

Nat hob beschwichtigend die Hände.

„Jargo sagte was von hierher bringen und dass ich irgendwas habe, was andere nicht haben. Aber die Rettung der Welt ist eine andere Nummer. Bisher habe ich mich ja nicht einmal selber retten können. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht hier. Vielleicht solltet ihr ernsthaft darüber nachdenken, wie ihr die Welt retten könnt und wenn ich ein bisschen behilflich sein kann, na gut.“

Tally verzog das Gesicht, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen.

Aber die Alte blieb unbeeindruckt und blickt Nat eindringlich an.

„Ich glaube, du möchtest Jargo rächen. Das könnte dein Beweggrund sein, den Kampf aufzunehmen. Aber selbst wenn du nicht kämpfen möchtest, das Böse wird dir keine andere Wahl lassen. Es wird dich jagen bis du tot und vernichtet bist. Und du musst dich verteidigen.“

Sie grinste.

„Wir können daneben stehen und zusehen was passiert. Oder wir helfen dir und du stellst dich deiner Aufgabe.“

Sie wandte sich halb zu Tally um.

„Zeig ihm seine Hütte und dann setz dein Training mit ihm fort. Er wird’s brauchen. Und dann entscheiden wir, wie wir weiter verfahren.“

Noch einmal sah sie Nat an.

„Ach ja, mein Name ist Jorina, willkommen in Jorgwohld.“

Schleichende Gestalten schoben sich durch das Unterholz. Bögen wurden gehoben, Köcher und Schwertscheiden zurechtgerückt. Hier und da war das Grün eines Elfenwamses zu erkennen.

Rrordraks heimliche Einheit, die den Angriff auf Vorstamm und den heiligen Elfenbaum ausführen sollte, hatte sich um das Dorf verteilt.

Der Plan war einfach. Man wollte zunächst den Baum in Brand stecken und dann die Menschen, die dorthin eilten niedermetzeln.

Für einen Angriff auf das Dorf war dieses zu groß. Es bestand die Gefahr, dass es Überlebende gab und man erkennen würde, dass es sich bei den Angreifern nicht um Elfen handelte. Dies war aber der entscheidende Teil von Rrordrak’s Plan.

Einer der Angreifer stieß den Schrei eines Käuzchens aus. Sofort traten einige der Männer aus dem Wald auf die Lichtung um den Baum, unter dem Enphygie und Odeon ihre Liebe entdeckt hatten.

Sie trugen Krüge mit Welfernbrunst bei sich, einer öligen Flüssigkeit, die brannte wie Zunder. Wenn man versuchte, Welfernbrunst mit Wasser zu löschen, fachte man das Feuer nur umso mehr an.

Ironie des Schicksals, dass es dem Gott Welfern nicht gelang, den Baum zu zerstören, aber einem nach ihm benannten Gebräu.

Schnell eilten die Männer auf den Baum zu. Sie rissen die Deckel der Krüge auf, worauf hin sich ein durchdringender Gestank über die Lichtung legte.

Sie schütteten das Öl über den Baum, über die Luftwurzeln und schmierten es auf die Rinde, fast bis in Mannshöhe.

Dann drehten sie sich um und verließen eilig die Lichtung.

Kaum waren die Männer zwischen den Bäumen verschwunden, wurden nach Elfenart geschnitzte und befiederte Pfeile mit in Pech getränktem Werg umwickelt, angezündet und auf den Baum abgeschossen.

Sofort loderte das Feuer hoch auf und eine unerträgliche Hitze strahlte über die gesamte Lichtung. In wenigen Augenblicken stand der ganze Baum in Flammen, wie eine Fackel.

Schnell zogen sich die Männer zwischen die Bäume zurück und beobachteten den Weg, der vom Dorf zum Baum führte.

Es dauerte nur wenige Momente, dann ertönten die ersten, aufgeregten Stimmen und Menschen mit Eimern und Decken kamen den Weg entlang gerannt.

Kaum traten sie auf die Lichtung, flogen die Pfeile und trafen die völlig überraschten Männer, Frauen und Kinder. Aufschreiend brachen sie in die Knie und stürzten auf der Stelle zu Boden.

Ein Mann wirbelte herum, um die Lichtung zu verlassen und die Nachfolgenden zu warnen, als drei Pfeile ihn in Rücken und Brust trafen. Er taumelte noch wenige Schritte, dann schlug er lang zu Boden.

Weitere Menschen, die auf dem Weg herankamen, wurden aus den Bäumen und dem Unterholz heraus von Pfeilen niedergestreckt.

Die, die nicht sofort von den Pfeilen getötet wurden, wurden aus dem Unterholz heraus angesprungen und mit Dolchstößen und den Streichen schlanker Elfenschwerter getötet.

Dann entdeckte ein Junge das Gemetzel, das dort vor sich ging und lief schreiend zurück ins Dorf.

Einer von Rrordrak’s Männern hob das Elfenhorn, das er bei sich trug und stieß hinein. Der Ton riss die Männer aus ihrem Blutdurst.

Schnell sammelten sie sich in der Nähe der Lichtung. Zwei Männer führten einen älteren Elfen heran, den man gefangen genommen hatte. Der Elf hatte sich auf einer Wallfahrt zu dem Baum befunden.

Der Elf wurde auf den Weg geführt. dann hob ein anderer Mann eine Mistforke, die man aus einer Scheune an der Straße mitgenommen hatte und stieß sie dem Elfen in Rücken und Hals.

Der Elf röchelte, versuchte, sich loszureißen. doch dann verließen den Sterbenden die Kräfte und er sank zusammen, halb über einem der Dorfbewohner liegend.

Schnell eilten die Angreifer zu ihren Pferden, kleinen schlanken Ponys, die man extra für diesen Angriff ausgewählt hatte. Sie trieben ihre Tiere an und ritten in Richtung Endoria.

Nach einiger Zeit erreichte die Kampfgruppe einen kleinen Fluss. Hier trieben sie die Ponys ins Wasser und ritten dann im Flussbett stromabwärts.

Verfolger sollten hier die Spur verlieren, damit man nicht erkennen konnte, dass die Angreifer keineswegs nach Endoria zurückgekehrt waren.

Die Truppe erreichte einen kleinen See, in den der Fluss mündete.

Hier warteten weitere Männer mit Pferden und Kleidung, so dass Rrordrak’s Leute sich wieder von einer Elfentruppe zurück verwandeln konnten in unscheinbare Menschen, die der Zufall zusammengeführt hatte.

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