Buch lesen: «Seewölfe Paket 22», Seite 24

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1.

Barry Winston aus der Crew der Roten Korsarin stammte aus England und war über vierzig Jahre alt. Gut die Hälfte seines Lebens hatte er nicht in seiner Heimat zugebracht, sondern auf See und in fernen, fremden Ländern, in denen er gelernt hatte, wie verschiedenartig und gegensätzlich die Menschen in ihren Gewohnheiten, in ihrem Glauben und ihren Sitten waren. Er hatte Unglaubliches erlebt, und daher gab es kaum noch etwas, das ihn erschüttern konnte.

Eine Glatze hatte dieser Barry Winston, außerdem fehlte ihm das linke Ohr, doch nie hatte jemand gewagt, ihn deswegen aufzuziehen. Er war ein starker Mann. Jahrelang hatte er sich in der Karibik als Pirat durchgeschlagen, bis er zu Siri-Tong gestoßen war.

Seine Waffe war das Messer, und er war ein ausgezeichneter Kämpfer, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Aber selbst wenn er in größte Wut versetzt wurde, blieb er in jeder Auseinandersetzung stets fair und ehrlich und bediente sich keiner üblen Tricks.

Und so waren sie alle, die Männer der „Caribian Queen“: Kerle, bei deren Anblick allein man das kalte Grausen bekam, aber eben doch keine Galgenstricke, die jedem die Gurgel durchschnitten. Sie gehörten zum Bund der Korsaren und hielten große Stücke auf die Rote Korsarin, Philip Hasard Killigrew, Arne von Manteuffel, Thorfin Njal, Jean Ribault und Jerry Reeves. Die ungeschriebenen Regeln einer sauberen Kampfesweise waren ihnen Gesetz, und sie hielten sich – ohne Ausnahme – strikt daran.

In dieser Nacht nun, der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1594, hockte Barry Winston im Großmars der „Caribian Queen“ und grinste breit. Er hatte auch allen Grund dazu – denn erstens war das Unternehmen auf den Bahamas gegen Sir John Killigrew, Sir Andrew Clifford und Sir Henry, den Duke of Battingham, erfolgreich abgeschlossen worden, und, was am allerwichtigsten war, der Seewolf war nach dem Schuß in den Rücken, den Clifford ihm verpaßt hatte, am Leben geblieben und wieder genesen.

Zweitens hatte man, zur Schlangen-Insel zurückgekehrt, beschlossen, zu den Silberminen von Potosi aufzubrechen, und zum erstenmal waren drei Crews an Bord der „Caribian Queen“ bis zum Ende der Überfahrt vereint: Hasard und seine Männer, Jean Ribault und dessen Mannschaft sowie die reguläre Besatzung des Zweideckers unter dem Kommando von Siri-Tong, außerdem – und nicht zu vergessen – Araua, die Tochter von Arkana.

Der dritte Grund für Barrys Heiterkeit war die Tatsache, daß man dem aufgeblasenen Schnapphahn Luis Campos, genannt der Admiral, soeben eine empfindliche Schlappe beigebracht hatte. Dieser Kerl hatte sich auf Tortuga an Siri-Tong heranschleichen wollen, weil er offenbar von ihr fasziniert war. Sie hatte ihn kalt abfahren lassen und zum Teufel geschickt. Am Morgen des 4. Oktober verließ die „Caribian Queen“ Tortuga wieder und nahm Kurs durch die Windward-Passage – und schon geschah es: Drei Zweimastschaluppen hingen in ihrem Kielwasser, schnelle Schiffchen, die mit Drehbassen bestückt waren.

Den ganzen Tag über verfolgte der Admiral den Zweidecker, dann, in den nächtlichen Morgenstunden des neuen Tages war es soweit. Die „Caribian Queen“ stand zu diesem Zeitpunkt bei gutem Nordost am Ausgang der Windward-Passage und hielt auf die Südwestspitze von Haiti zu. Rechtzeitig genug konnte Dan O’Flynn, der Mann mit den scharfen Augen, warnen, daß die beiden Außenschaluppen heranstaffelten, während sich der Verfolger im Kielwasser mit dem Admiral an Bord zurückhielt.

Siri-Tong gab das Feuer frei, als die beiden Zweimaster in den Schußbereich der „Caribian Queen“ gerieten. Zunächst feuerten die Breitseiten der oberen Batterie, und der Schaluppe an Backbord wurde der vordere Mast abgetakelt, dann schoß die untere Batterie der Steuerbordseite auf den anderen Gegner und erzielte einen Volltreffer. Die Schaluppe flog regelrecht auseinander.

Die Schaluppe im Kielwasser steuerte die Stelle an, um Überlebende aus dem Wasser zu fischen, aber die Rote Korsarin ließ anluven, und dieses Mal ging es dem Admiral an den Kragen, der jedoch sofort mit den Drehbassen feuern ließ und sich dann zurückzog, sehr schnell und sehr wendig.

Mittlerweile lag die „Caribian Queen“ wieder auf dem alten Kurs. Es hatte keinen Zweck – darin waren sich Hasard, Siri-Tong und Jean Ribault einig –, diesem flinken Gegner hinterherzujagen. Lieber warteten sie ab, ob diese Kerle es noch einmal versuchten.

Barry grinste Dan O’Flynn an, der in diesem Moment zu ihm in den Hauptmars kletterte.

„Na, das ist mir eine Ehre“, sagte er. „Mister O’Flynn leistet mir Gesellschaft. Dann wird’s wenigstens nicht so langweilig.“ Er kniff die Augen ein bißchen zusammen und spähte nach vorn. „Und wer entert gerade zu Hilo in den Vormars auf?“

„Jack Finnegan“, erwiderte Dan.

„Na, großartig. Ausguckposten doppelt und dreifach, dann kann uns ja nicht mehr viel passieren.“

„Sag das nicht zu laut.“

„Glaubst du, daß dieser Admiral wirklich so verrückt ist, uns noch einmal anzugreifen?“

„Ja.“

„Das stimmt“, brummte Barry. „Er scheint total bescheuert zu sein. Und er hat nicht mehr alle Mucks im Schapp, das steht fest. Hat er tatsächlich gedacht, er könnte Siri-Tong nachsteigen? Bei dem ist das Oberdeck nicht mehr ganz dicht.“

Dan hielt aufmerksam nach allen Seiten Ausschau. Einmal hatte er Glück gehabt und die Schaluppen im richtigen Augenblick in der Dunkelheit erkannt. Würde es ein zweites Mal auch wieder klappen? In diesem Punkt war er ein wenig skeptisch. Seine Erfahrung sagte ihm, daß auch zwei Schaluppen, die flink und beweglich waren, immer noch einiges gegen ein Schiff wie die „Caribian Queen“ ausrichten konnten.

Die meisten Karibik-Freibeuter bedienten sich kleiner Ein- und Zweimaster, in der Mehrzahl Schaluppen oder Pinassen, um wie Wölfe im Rudel über die schwerfälligen, nicht sehr gut zu manövrierenden Galeonen der Spanier herzufallen.

Siri-Tongs Zweidecker – sie hatte ihn seinerzeit von der Black Queen erobert – war mit einer solchen Galeone zwar nicht zu vergleichen, weil er doch wendiger und außerdem besser armiert war, aber wenn man nicht scharf aufpaßte und ständig auf der Hut war, konnte dem Admiral doch noch ein Glücks- oder Zufallstreffer gelingen. Beispielsweise konnte er sich von achtern anpirschen und versuchen, mit seinen Drehbassen die Ruderanlage der „Caribian Queen“ zu zerschießen.

Das war ein Trick, dessen sich die Männer vom Bund der Korsaren auch des öfteren schon bedient hatten. Daran dachte Dan – und seine Bedenken waren nicht ganz unbegründet.

„Vorerst ist alles ruhig“, sagte er. „Warten wir mal ab, wie die Lage sich weiterentwickelt.“

„Lange dauert die Nacht nicht mehr“, sagte Barry. „Wenn der, Kerl was unternehmen will, muß er sich verdammt beeilen.“

„Ja. Es ist drei Uhr.“

„Und du meinst, diese Bastarde haben es immer noch auf uns abgesehen?“ sagte im Vormars Hilo, der hellhäutige Neger, zu Jack Finnegan.

„Ja, so schnell geben die nicht auf“, entgegnete Jack.

„Ganz schön riskant für sie. Jetzt haben sie noch ’ne Chance, aber in zwei bis drei Stunden wird’s hell, und dann landen sie bei uns keinen Treffer mehr.“

„Aber auf den Tag folgt wieder eine Nacht“, sagte Jack.

„Hör doch auf. Ich bin der Ansicht, daß sie sich längst verzogen haben.“

„Täusche dich da nicht.“

„Du willst wohl Streit, was?“ Hilos Augen weiteten sich, und er sog die Atemluft tief durch die bebenden Nasenflügel ein. Er war sehr leicht reizbar und nahm jedes Wort krumm, das ihm nicht gefiel. Wegen ihm gab es oft Streitereien an Bord. Er war Ende der Zwanzig, hatte dichte, buschige Augenbrauen mit einer steilen Falte über der Nase und kohlschwarze Augen, deren Blick durchdringend war. Thorfin Njal hatte ihn dereinst auf Tobago aufgelesen. Manchmal, wenn Hilo seinen Rappel hatte, wünschten seine Kameraden ihn genau dorthin zurück.

Aber Jack Finnegan war ein kluger und umsichtiger Mann, der sich auf Diskussionen unter Kameraden nicht gern einließ. Lachend hob er die Hand. „Wo denkst du hin? Mir geht es nur um eins: Daß wir diesen Törn so schnell wie möglich hinter uns bringen und den Isthmus von Panama erreichen. Nur das zählt, alles andere ist nebensächlich.“

Hilo grinste. „Klar, du hast recht. Was schert uns der Admiral, dieser Blödmann? Soll er doch meinetwegen noch mal aufkreuzen oder es bleiben lassen, mir ist es auch egal.“

Das Ziel war die Bucht von San Blas an der panamesischen Karibikseite westlich des Golfs von Darién. Kurs Südsüdwest lag an, bei dem frischen, anhaltenden Nordostwind lief die „Caribian Queen“ gute Fahrt. Um diese Stunde stand sie fast direkt vor der Südwestspitze von Haiti, also Kap Dame Marie. Es herrschte nach wie vor Gefechtsbereitschaft an Bord, weil keiner wußte, wie der Feind sich verhalten würde, der so unvermittelt und völlig unvorhergesehen erschienen war.

Aus diesem Grund hatten Siri-Tong, Hasard und Jean Ribault auch veranlaßt, daß von nun an verschärft Ausguck gegangen wurde, denn noch war wirklich ungewiß, ob sie die Verfolger abgeschüttelt hatten oder ob diese einen zweiten Angriff wagen würden.

Alle Mann an Deck und Schiff klar zum Gefecht – das verlangte von den Männern mehr Energie und Einsatz, denn vorläufig gab es keine Freiwache. Um halb vier Uhr morgens ließ die Rote Korsarin eine Extraration Rum austeilen, die die drei Crews sich wirklich verdient hatten, und zwei Stunden später gab es Frühstück.

Allerdings ließen der von allen sehnsüchtig erwartete heiße Rum-Wasser-Trank und der Schiffszwieback auf sich warten. Carberry senkte bereits den Schädel und warf zornige Blicke zum Vordecksschott.

„Was zur Hölle ist da los?“ sagte er. „Pennen die Kerle?“ Seine Stimme klang dumpf und grollend. „Beim Donner, jetzt sind sie zu viert und stehen sich gegenseitig im Weg, was, wie?“

Barba hatte es vernommen und lachte. Siri-Tong war ebenfalls sichtlich amüsiert. Hasard und Jean Ribault grinsten sich zu, und auch die anderen Männer stießen sich untereinander an. Araua hockte bei den Zwillingen und fragte: „Gibt es jetzt ein Donnerwetter?“

„Kann schon sein“, erwiderte Hasard junior und unterdrückte ein Gähnen.

„Aber das ist nichts Besonderes für uns“, sagte Philip junior gelassen, beinah gelangweilt.

„Ich finde es interessant“, sagte Araua. „Mal sehen, was passiert.“

„Na los, Ed“, sagte der Seewolf von der Schmuckbalustrade des Achterdecks aus. „Sieh doch mal nach, was unsere Köche so treiben.“

„Aye, Sir“, brummte der Profos und marschierte los – quer über die Kuhl auf das Vordecksschott zu, hinter dem sich immer noch nichts zu rühren schien.

Der junge Tag zog unterdessen mit rötlichgrauen Schleiern herauf. Dan O’Flynn, Barry Winston, Hilo und Jack Finnegan, die nach wie vor Ausguck hielten, spähten unausgesetzt zur Kimm, aber noch blieb achteraus alles leer. Allein segelte die „Caribian Queen“ nach Süden, weit und breit schien sich kein anderes Schiff zu befinden. Das aber, so sollte sich bald herausstellen, war ein Irrtum.

Carberry drückte das Vordecksschott auf und betrat mit polternden Schritten die Kombüse der „Caribian Queen“. Was er sah, ließ ihn verharren, und sein Unterkiefer klappte langsam herunter.

„Hab’ ich’s doch geahnt“, murmelte er fassungslos. „Vier Köche auf diesem Kahn sind entschieden zuviel, außerdem verderben sie den Brei, und zwar gründlich.“

Mac Pellew lag auf dem Boden der Kombüse und schien irgendwelche Schwierigkeiten zu haben, denn er stieß pausenlos die schlimmsten Flüche aus. Der Kutscher bearbeitete wie ein Besessener die Anrichte, und zwar mit einem Scheuerlappen. Eric Winlow, der Koch aus der Crew von Jean Ribault, hantierte mit grimmiger Miene an den Ketten der Kupferkessel herum – und das Feuer war noch nicht angeheizt.

Und Cookie, der Koch der „Caribian Queen“? Nun, von dem war zur Zeit nur eine Körperpartie zu sehen, und zwar die achtere, denn er lag auf den Knien und fummelte keuchend in der Vorratskammer herum, in der es stockdunkel war.

Carberry knallte das Schott zu, aber das schien die vier nicht im geringsten zu beeindrucken. Mehr noch: Sie bemerkten seine Anwesenheit nicht. Sie waren viel zu beschäftigt. Und das war fatal – für sie und für ihn.

Nachdem der Profos sein größtes Staunen und Entsetzen überwunden hatte, schloß sich sein Mund wieder, und er gab ein drohendes Grollen von sich, das aber auch nicht weiter beachtet wurde. Dann räusperte er sich – ebenfalls ohne Erfolg.

Er kratzte sich angelegentlich am Kinn, was in etwa so klang, als marschiere eine Kolonne von Kakerlaken über ein knochentrockenes Stück Pergament, doch auch dieses gräßliche Geräusch wurde von den vier Männern nicht registriert. Mac lag immer noch auf den Planken, Cookie schien die Absicht zu haben, ganz in die Vorratskammer zu kriechen und dort zu bleiben. Der Kutscher schien die Anrichte zerreiben zu wollen, bis nichts mehr von ihr übrig war, und Winlow kämpfte gegen die Tücke des Objekts, denn einer der Kessel drohte ihm auf die Füße zu fallen, was bei ihm wiederum zu einer Serie von Verwünschungen führte, die sich mit Macs Flüchen mischten.

Carberrys Stimme klang sanft und leise, als er nun zu sprechen begann, und das war besonders gefährlich und hätte zumindest den Kutscher und Mac warnen müssen, weil sie ihn am besten kannten. Aber wieder kümmerten sich die vier nicht um den Profos – was dessen nur mühsam unterdrückte Wut wiederum zum Schwelen brachte.

„Darf ich mal was fragen?“

Keine Antwort. Mac sagte nur etwas undeutlich, weil er den Kopf gerade unter eine Sitzbank gesteckt hatte: „Ja, Herrgott, was ist denn das für ein Schweinkram hier?“

„Blöder Scheißkessel“, sagte Winlow. „Scheißkette. Alles Scheiße hier.“

„Ja, das stinkt zum Himmel“, sagte der Kutscher.

„Ich kann nichts dafür“, sagte Cookie mit weinerlicher Stimme. „Ehrlich nicht. Wir haben den Kahn doch so übernommen.“

„Halt die Luft an, du Arsch“, sagte Mac. „Bleib mir bloß weg mit deinen faulen Ausreden. Mann, so ein Miststall!“

Carberry grinste so freundlich wie ein hungriger Hai und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Ich will euch ja nicht stören, aber …“

„Das haben diese Piraten doch alles so vollgesaut!“ jammerte Cookie. „Die Black-Queen-Bande! Die haben die Schuld!“

„Ihr könntet wenigstens versuchen, mich nicht zu unterbrechen“, sagte Carberry und tat vorsichtig einen weiteren Schritt zur Mitte des Raumes.

„Noch ein Wort, und ich dreh’ dir den Hals um!“ stieß Mac aufgebracht hervor.

„Und die Kette hier!“ rief Winlow. „Wenn das keiner gesehen hätte! So ein Bruch!“

„Wie wär’s, wenn ihr jetzt das Frühstück zubereiten würdet?“ sagte der Profos. „Wäre das nicht eine gute Idee? Die Männer warten nämlich darauf. Ich auch.“

„Jetzt versteh’ ich alles“, sagte Mac. „Bill the Deadhead hat mir erzählt, daß sie ihn schon öfter mit dem Arsch auf den heißen Herd gesetzt haben. Diese Ratte!“

„Ist doch gar nicht wahr!“ schrie Cookie.

„Das kann man hier kaum noch als Herd bezeichnen“, brummte der Kutscher.

„Aber früher, an Bord von ‚Roter Drache‘, haben sie ihn auf den Herd gesetzt“, sagte Mac unbeirrt.

„Ach, so ist das“, murmelte Winlow. „Na ja, klar. Geschieht ihm recht. Hölle, ich hätte auch Lust, ihn …“

„Ich hätte Lust, euch die Haut in Streifen abzuziehen“, sagte Carberry mit honigsüßer Stimme. „Wißt ihr auch, von welcher edlen Stelle eures krummen Körpers?“

„He, was sagst du da, Eric?“ fragte der Kutscher.

„Ich hab’ nichts gesagt“, entgegnete Winlow.

„Ich habe gesprochen“, sagte Carberry, dann war er beim Kutscher und beugte sich ein Stück zu ihm hinunter.

Der Kutscher hob nur flüchtig den Kopf. „Ach, hallo! Morgen, Ed. Wie geht’s denn so?“

„Besser, wenn ich euch Miesmuscheln unangespitzt ins Kielschwein gerammt habe“, sagte Carberry.

„Los, Beeilung“, sagte der Kutscher. „Wir kommen sonst mit dem Frühstück zu spät, Leute.“

„Das merkst du jetzt schon?“ Carberry schritt weiter bis zu Cookie, griff nach dessen Arme und zerrte ihn zu sich hoch. Dabei starrte er ihn an, als wolle er ihn mit Haut und Haaren verschlingen. „Guten Morgen!“ brüllte er ihm ins Gesicht, und Cookies wenige Haare, die ohnehin nur die eine Seite des Schädels bedeckten, sträubten sich.

„Morgen, Mister Carberry, Sir“, stammelte Cookie, aber er dachte dabei: O Heiliger Nepomuk, jetzt sterbe ich, das überleb’ ich nicht.

„Was ist hier los?“ brüllte Carberry.

„Reinschiff, Sir.“

„Jetzt?“

„Schon die ganze – nein, die halbe Nacht über.“

„Sauerei!“ brüllte der Profos und ließ den armen Teufel einfach los. Cookie setzte sich mit einem dumpfen Laut auf den Hosenboden und gab einen klagenden Laut von sich.

„Achtung, da ist der Profos“, sagte Eric Winlow.

„Auch das noch“, sagte Mac Pellew.

„Der Profos?“ Der Kutscher hob mit verwirrter Miene den Kopf. „Ja, wie kommt der denn so plötzlich hier herein? Oh, hallo, Ed!“

„Teufel auch!“ brüllte Carberry. Die Ketten der Kessel begannen zu klirren, die Kessel dröhnten wie Kirchenglocken. „Tu bloß nicht so scheinheilig, Kutscher, du triefäugige Seegurke! Ich hau’ euch die Rüben weich, bis das ganze Stroh rausfällt, ihr Klugscheißer! Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Ich bring’ euch an der Rahnock das Zappeln bei! Ich lasse euch standrechtlich erschießen!“

Mac setzte sich auf. „Und warum, wenn man fragen darf?“

„Mir doch egal!“ brüllte Carberry.

Genau in diesem Augenblick gab die eine Kette nach, und der Kessel donnerte auf die Planken. Winlow konnte gerade noch seinen rechten Fuß wegziehen und aus dem Kinken treten, und es war ein Glück, daß der Kessel leer war. Trotzdem gab es Unheil genug. Der Kessel hüpfte durch die Kombüse und knallte dem Profos gegen die Beine.

Ein kräftiger Hieb gegen die Kniescheibe kann auch den härtesten Mann zum Schreien bringen. Wenn beide Kniescheiben wie Feuer schmerzen, ist der Teufel los. Carberry führte eine Art Veitstanz auf, dann brüllte er, daß die Deckenbalken und das Oberdeck erzitterten.

Er trat nach dem Kessel, der nun wieder ein Stück von ihm wegrollte, traf ihn dabei aber so unglücklich, daß sein großer Zeh geprellt wurde. Wieder stieß er ein wildes Gebrüll aus, gemischt mit wüsten Flüchen. Es rumpelte und krachte in der Kombüse der „Caribian Queen“, und das Schott drohte aus den Angeln zu fliegen.

2.

Siri-Tong, Araua und die Männer an Deck lachten.

„Paßt mal auf“, sagte Ferris Tucker. „Unser alter Ed nimmt jetzt die Kombüse auseinander. Er schafft das im Handumdrehen und ohne große Mühe.“

„Wie bitte?“ sagte die Rote Korsarin, und ihr Lachen verschwand. „Das geht mir allerdings zu weit. Was ist da bloß los?“

„Das, Madam, fragen wir uns auch“, sagte Barba mit wildem Grinsen.

„Hasard“, sagte sie. „Würdest du so freundlich sein, deinen Profos aufs Hauptdeck zurückzupfeifen?“

„Fällt das in den Bereich meiner Kompetenzen?“ fragte er scheinheilig zurück.

„Na, hör mal! Es ist dein Profos!“

„Aber deine Kombüse.“

„Da habe ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden“, sagte Jean Ribault. „Es befindet sich nämlich unter anderem auch mein Koch in deiner Kombüse, Madam.“

„Jetzt ist aber Schluß.“ Sie lauschte dem Höllenlärm, der noch immer aus der Kombüse ertönte. „Das ist mein Schiff, und hier herrscht Ordnung, verdammt noch mal! Hasard, pfeifst du ihn nun zurück?“

„Das hört sich schon besser an“, sagte der Seewolf. „Unschlüssigkeiten kann ich nicht leiden.“ Er beugte sich etwas über die Schmuckbalustrade und rief: „Mister Smoky, sag Mister Carberry, er soll gefälligst die Kombüse räumen und wieder auf dem Hauptdeck erscheinen, damit unsere vier Köche mit dem Frühstück anrücken können.“

„Aye, Sir, wird sofort erledigt!“ Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, bewegte sich zielstrebig auf das Vordeck zu. Als er aber das Schott öffnete, pfiff ihm Sturmwind entgegen. Fast mußte er sich festhalten, um nicht umgeblasen zu werden.

„Ihr Hurensöhne!“ brüllte Carberry. „Ihr räudigen Kanalratten! Ich häng’ euch unter den Bugspriet – bis nach Panama!“

„Ed“, sagte Smoky, hob aber verwundert die Augenbrauen, weil er eine solche Szene selbst noch nicht erlebt hatte, weder auf der „Isabella“ noch auf einem anderen Schiff.

Cookie kroch auf den Planken herum, näherte sich Carberry, putzte ihm mit seinem schmutzstarrenden Hemdsärmel symbolisch die Stiefel und murmelte: „Sie haben sich da dreckig gemacht, Mister Carberry, Sir.“ Das ging in dem allgemeinen Fluchen und Brüllen allerdings völlig unter.

Mac Pellew hockte auf den Planken und rieb sich den schmerzenden Schädel, denn er hatte ihn sich, als er sich aufgerichtet hatte, an der Kante der Bank gestoßen. Er fluchte mit Eric Winlow und Carberry zusammen. Der Kutscher hingegen hatte sich auf die Anrichte gesetzt und lachte Tränen.

„Reinschiff, was?“ brüllte der Profos, daß die Kessel und Töpfe wackelten und schepperten. Er griff nach der größten Suppenkelle, die er entdecken konnte, und schwang sie wie einen Säbel. „Aber jetzt räum’ ich hier erst mal auf, ihr Suppenpanscher!“

„Deckung!“ rief der Kutscher. „Es wird ernst, Kameraden.“

„Dich hau’ ich als ersten platt, du Rübenschwein!“

„Ed“, sagte Smoky noch einmal, diesmal etwas lauter.

Der Kutscher ging vorsichtshalber in Deckung. Carberry wollte sich auf ihn stürzen, geriet aber mit Mac und Cookie ins Gehege, strauchelte – und wäre über den hin und her rollenden Kessel gestürzt, wenn Eric Winlow ihm nicht hilfreich unter die Arme gegriffen hätte.

Und was war der Dank? Ein Hieb mit der Kelle. Winlow heulte wie ein Wolf bei Vollmond und hüpfte auf groteske Weise in der Kombüse herum. Carberry fuhr mit einem grimmigen Laut der Genugtuung herum und wollte auch auf Mac und Cookie eindreschen, aber Smoky war jetzt neben ihm und brüllte ihm ins Ohr: „Eeeddd!“

Da erstarrte der wilde Profos mitten in der Bewegung und sah Smoky so verdutzt an, als sei dieser soeben von einem fremden Stern eingetroffen.

„Hölle“, sagte er. „Was ist denn in dich gefahren? Wieso schreist du wie ein Irrer?“

„Um gegen den Lärm anzukommen.“

„Gegen welchen Lärm? Spinnst du?“

„Du sollst sofort zurück aufs Hauptdeck“, sagte Smoky ungerührt. „Befehl vom Kapitän.“

„Sieh dir mal diese Bescherung hier an“, sagte Carberry. Er war immer noch wütend. „Hast du in deinem Leben schon mal so eine Kombüse gesehen?“

„Ja.“

„Und nichts ist fertig. Nicht mal die Feuer brennen unter den Kesseln.“

Der Kutscher hatte seine Deckung verlassen und trat auf sie zu.

„Auf einem Schiff, das klar zum Gefecht ist, dürfen keine Kombüsenfeuer brennen“, erklärte er sachlich. „Folglich gibt es nichts Warmes zum Frühstück. Ich könnte höchstens ein bißchen kalte Su…“

Er verstummte, denn Carberry rückte schon wieder mit deutlichen Mordabsichten auf ihn zu. Smoky versuchte, ihn zurückzuhalten, was aber auch nicht ganz einfach war. Es bahnte sich wieder Ärger an.

In diesem Moment steckte Juan, Siri-Tongs Bootsmann, den Kopf zum halboffenen Schott herein.

„Gefechtsbereitschaft aufgehoben“, meldete er. „Befehl vom Kapitän. Ist hier sonst alles klar?“

„Ja, so gut wie alles“, erwiderte Smoky.

„Ja.“ Carberry blieb stehen und grinste den Kutscher an. „Na, wie sieht’s aus? Willst du deine dämlichen Feuer jetzt wohl in Gang bringen, du Affenarsch?“

„An und für sich bin ich nicht der erste Koch auf diesem Schiff, Mister Profos“, entgegnete der Kutscher.

Mac hatte seine Kopfschmerzen vergessen und rückte an. Er kniete sich vor Carberry hin und befingerte dessen Kniescheiben. Mit verblüffter Miene blickte dieser auf ihn hinunter.

„Hölle, was soll das denn?“

„Ich sehe nur nach, ob du dir was gebrochen hast, Mister Carberry“, brummelte Mac miesgrämig: „Könnte ja sein, nicht?“

„Sie haben sich da bekleckert, Sssöör“, murmelte Cookie. Er kroch immer noch herum, und es sah aus, als habe er vor, dem Profos die Stiefel zu küssen.

„Her mit dem blöden Kessel“, sagte Eric Winlow, der sich von dem Kellenhieb erholt hatte. „Ich repariere die Kette. Und dann rein mit dem Wasser, es wird Zeit mit dem Frühstück.“

Der Kutscher konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Carberry indes schien nicht mehr zu wissen, ob er brüllen, lachen oder weinen sollte. Er sah nur Smoky an und fragte: „Die sind alle nicht ganz echt, wie?“

„Nun ja, wer weiß“, erwiderte Smoky. „Aber wer ist nun der erste Schiffskoch?“

„Ich“, erwiderte Cookie. „Weil ich der Koch der ‚Caribian Queen‘ bin.“

Carberry packte ihn und zerrte ihn wieder zu sich hoch. Er betrachtete ihn so geringschätzig, wie man ein Bündel alter, weggeworfener Lumpen anzusehen pflegt. In der Tat war mit einem Mann wie Cookie nicht viel Staat zu machen. Er wirkte nicht nur schmierig, er war es auch.

Seine Pfannen waren wahrhaftig nicht die saubersten, und seine Töpfe klebten. An einer Kakerlake in der Suppe sei noch niemand gestorben, außer der Kakerlake, das war seine Devise. Rod Bennet hieß er mit seinem richtigen Namen und stammte – zur Schande der Königin und ihres Volkes – aus England.

Mitte der Vierzig war er, dick und träge und von Mutter Natur mit einem einzigartigen Phänomen ausgestattet. Links hatte er keine Haare auf dem Kopf. Deshalb borgte er sie sich von rechts, und wenn sie im Wind flatterten, waren sie fast einen halben Yard lang. Mit Öl pflegte er sie sich an den Schädel zu pappen, und auch das wirkte alles andere als appetitlich.

Ja, und wenn das Essen mal wieder mißlungen war, setzten ihn Siri-Tongs rauhe Kerle wirklich schon mal auf den heißen Herd – oder ins Feuer. Das endete jedesmal mit einer Prügelei in der Kombüse.

Was nun die vorübergehende Anwesenheit vom Kutscher, Mac und Winlow an Bord betraf, so war die Crew der „Caribian Queen“ nur froh, denn endlich gab es mal „was Anständiges“ zu beißen.

„Mister Chefkoch“, sagte Carberry. „Ich gehe jetzt raus und zählte bis zweihundert, schön langsam, klar? Und wenn bei zweihundert nicht das heiße Gesöff in den Kesseln blubbert und der Marmeladenzwieback auf den Backs steht, weißt du, was ich dann mit dir tue?“

„Nein, Sir.“

„Es ist aber leicht zu erraten“, sagte Mac.

Cookie wurde frech und sagte: „Von Ihnen nehm’ ich keine Befehle entgegen, Mister Carberry.“ Seine Augen huschten hin und her, und er gewahrte, daß der Profos bereits wieder zur Suppenkelle griff. „Äh, ja – natürlich!“ stieß er schleunigst hervor. „Wird erledigt, Sir! Sofort! Auf mich kannst du dich verlassen!“

„In Ordnung“, sagte Carberry und ließ ihn los. Cookie wankte und ruderte mit den Armen, setzte sich dieses Mal aber nicht auf seine Kehrseite, weil Mac ihn auffing.

Carberry und Smoky verließen die Kombüse und traten in das zunehmende Licht hinaus. Carberry blieb stehen und blinzelte ein bißchen, dann fuhr er seine Männer an: „Was glotzt ihr mich so blöd an? Habt ihr sonst nichts zu tun?“

„Rod“, sagte Mac Pellew mit todtraurigem Gesicht. „Wir bereiten jetzt das Frühstück, und nachher geht’s weiter. Dann reparieren wir alles, was kaputt ist und klaren weiter auf. Du kratzt den Dreck aus den Ritzen, und ich schabe die Kruste von den Planken, nicht wahr, Mister Chefkoch?“

„Ja“, erwiderte Cookie, denn etwas anderes blieb ihm bei der Übermacht und dem absolut demokratischen Stimmenverhältnis von drei zu eins nicht übrig.

Die Ausguckposten wurden abgelöst. Barry Winston, Dan O’Flynn, Hilo und Jack Finnegan enterten ab und begaben sich vorläufig in die Koje. Pedro Ortiz und Diego Valeras’ enterten in den Hauptmars und Vormars auf. Auf Doppelausgucks konnte Siri-Tong jetzt, bei Tageslicht, verzichten.

Pedro Ortiz, ein Mann aus Portugal, wurde auch „Pedro sin obras“ genannt, „Pedro ohne Taten“. Aber das traf nicht ganz zu. Pedro, der knapp über dreißig Jahre alt war und pechschwarze Haare hatte, zeichnete sich als guter Rudergänger, hervorragender Seemann und mutiger Kämpfer aus. Sein Fehler war nur, daß er alles versprach und nie etwas hielt. Thorfin Njal hatte ihn seinerzeit in einer Hafenkneipe von Tobago aufgelesen, und zwar zusammen mit Pedros Freund Diego Valeras und Hilo.

Diego Valeras war Pedros bester Freund. Beide sahen zudem noch aus wie Brüder, waren aber grundverschieden. Diego hatte mehr Energie und Ehrgeiz. Er konnte lesen und schreiben und war ein Mann der Tat.

Aufmerksam beobachteten Pedro und Diego von nun an die Kimm, vor allem im achterlichen Bereich des Schiffes. Wieder zeigten sich die Verfolger nicht. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Admiral die absurde, unsinnige Jagd aufgegeben hatte, nahm von Stunde zu Stunde zu.

„Das ist doch sonnenklar“, sagte der Boston-Mann zu Barba. „Bei Tage haben die Kerle mit ihren unterarmierten Schaluppen, die ja nur mit Drehbassen bestückt sind, keine Chance, das Abwehrfeuer unserer ‚Queen‘ zu durchbrechen, um längsseits zu gehen und zu entern.“

„Sie wären wahnsinnig, wenn sie es versuchen würden“, sagte Barba. „Aber auch bei Nacht wäre es ein höllisches Risiko. Dieser Hund wird doch seine Kerle nicht allesamt verheizen wollen.“

„Das glaube ich aber doch“, sagte der Boston-Mann. „Es würde diesem eitlen Pfau nämlich ähnlich sehen.“

„Und seine Kerle spielen damit, wie?“

„Das wäre hoch die Frage“, entgegnete der Boston-Mann und begann, über diesen Punkt nachzudenken. Nach wie vor hielt er es nämlich nicht für ausgeschlossen, daß die Schaluppen doch noch auftauchten. Sie waren schneller als der Zweidecker – und wendiger, das durfte man nicht vergessen.

Der Boston-Mann war ein großer, hagerer, dunkelhaariger Engländer aus Boston, der ehrlichste Mann aus Siri-Tongs Crew. Er war meistens eher schweigsam und sprach nur kurze Sätze. Im linken Ohr trug er einen großen, goldenen Ring. An seiner rechten Hand fehlte der Daumen. Seinen richtigen Namen kannte niemand, vielleicht nicht einmal er selbst. Er war ein verwegener und harter Kämpfer mit einem kühnen, scharfgeschnittenen Profil. Meistens, wie auch heute, trug er ein rotes Kopftuch und eine Art roter Schärpe über dem Hemd. Er war dunkeläugig, sein Gesicht war von der Sonne der Karibik verbrannt. Wenn er etwas sagte, dann behielt er meistens recht, und so sollte es auch dieses Mal sein.

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Umfang:
1872 S. 21 Illustrationen
ISBN:
9783954397815
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Bookwire
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