Buch lesen: «Seewölfe Paket 22», Seite 16

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„Das werden Sie bereuen, Capitán!“

„Wollen Sie mir etwa drohen?“

„Das nicht“, erwiderte der blasse Bursche. „Aber als Mann von Stand und Adel bin ich nicht irgendein hergelaufener Decksmann. Ich kann erwarten, von Ihnen als Ehrenmann behandelt zu werden.“

Don Gregorios Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.

„O ja, das können Sie“, sagte er. „Am besten, wir beginnen jetzt gleich mit der Behandlung, zumindest solange es noch einigermaßen hell ist. Morgen, nach Tagesanbruch, können wir dann damit weitersehen.“

„Was wollen Sie damit sagen?“ begehrte das Bürschchen auf.

„Damit will ich sagen, daß Sie jetzt zusammen mit Ihren ehrenwerten Freunden und Landsleuten hart zupacken werden, um die Hütten wieder aufzubauen. Schließlich möchten wir alle ein Dach über dem Kopf haben, solange wir mit dieser Insel vorlieb nehmen müssen.“

Sir James Sandwich war völlig entgeistert.

„Sie – sie meinen“, stotterte er, „daß – daß ich beim Aufbau der Hütten mitarbeiten soll? So wie der gewöhnliche Pöbel?“

„Genau das meine ich“, erwiderte Don Gregorio, „denn für mich gehören Sie zum gewöhnlichen Pöbel – Sie und Ihre blasierten Freunde. Und jetzt verschwinden Sie, und sehen Sie zu, daß Sie mit der Arbeit anfangen! Wenn Sie nicht ordentlich zupacken, wird Ihre Essensration gestrichen.“

Sir James, der allmählich begriff, daß von nun an ein anderer Wind wehte, wankte kreidebleich zu seinen Freunden hinüber, die ihm erwartungsvoll entgegenblickten. Die Mitteilung über die Art ihres gemeinsamen Schicksals entlockte den Gentlemen ein entsetztes Gejammer.

Den Spaniern vermittelte diese Reaktion Jedoch lediglich ein Gefühl der Genugtuung. Jetzt waren sie wieder am Zug, und sie würden den arroganten Nichtstuern schon zeigen, was es hieß, im Schweiße des Angesichts sein Brot zu verdienen.

Die Decksleute der „Orion“ und „Dragon“, die sich jetzt auf der spanischen Galeone befanden und beobachteten, was an Land vor sich ging, grinsten von einem Ohr zum anderen.

„In dieser buckligen Welt scheint es doch noch eine Art ausgleichende Gerechtigkeit zu geben, Sir“, sagte einer von ihnen zu Marc Corbett.

Der Erste Offizier wußte nur zu gut, was der Mann damit sagen wollte. Denn auch er selber war der Meinung, daß ihnen diese hochnäsigen Laffen lange genug auf der Nase herumgetanzt waren. Die Hauptbeschäftigung dieser Gentlemen war der Müßiggang gewesen. Fast täglich hatten sie sich bei zügellosen Freß- und Saufgelagen amüsiert, herumgegrölt, und den Züchtigungen der Decksmannen, die sie meist selber provoziert hatten, mit genüßlicher Freude zugesehen.

Noch vor Einbruch der Dunkelheit verließen die „Caribian Queen“ und die erbeutete Kriegsgaleone die Insel, in deren Nordbucht soviel geschehen war, und segelten ostsüdostwärts zu den Pensacola Cays.

7.

Auch am 27. August brannte die Sonne so heiß wie an den Tagen zuvor. Flimmernde Hitzeschleier, die das Atmen erschwerten, hatten sich über die Pensacola Cays gelegt.

Die „Isabella IX.“, die ranke Dreimastgaleone der Seewölfe, lag noch immer in der stillen Südbucht der östlichsten Insel. Die „Caribian Queen“ und die spanische Beutegaleone, die jetzt unter Kapitän Edward Tottenham fuhr, waren schon vor knapp drei Tagen eingetroffen und in unmittelbarer Nähe vor Anker gegangen.

An der Leeseite der „Isabella“ balgte sich eine Schar von Möwen kreischend um die Küchenabfälle, die Mac Pellew über Bord geschüttet hatte. Vom nahen, dschungelbewachsenen Ufer her war außer dem Lärm der Vögel das monotone Konzert eines Millionenheeres von Zikaden zu hören.

Fast wirkte der schlanke Dreimaster, auf dem es sonst recht lebhaft zuging, wie ein Geisterschiff. Die Mannen der Crew verhielten sich sehr leise. Manche, darunter auch der bullige Profos Edwin Carberry, schlichen über die Decks, als müßten sie auf Eiern gehen.

Die Gesichter der Männer waren ernst – am meisten die der Zwillingssöhne des Seewolfs, die sonst immer zu einem Spaß aufgelegt waren. Es wurde allgemein nur das Nötigste geredet, jeder versuchte, sich – so gut es eben ging – zu beschäftigen. Die Freiwächter hockten zumeist auf der Kuhl oder auf der Back und dösten vor sich hin, weil es an Deck immer noch erträglicher war als in den stickigen Mannschaftsräumen.

Selbst Sir John, der karmesinrote Aracanga-Papagei, der beim letzten Glasen der Schiffsglocke von einem kurzen Landausflug zurückgekehrt war, hockte müde auf der Vormarsrah. Arwenack, der Schimpanse, und Plymmie, die Wolfshündin, hatten sich ein schattiges Plätzchen auf der Kuhl gesucht.

Alles Leben war wie gelähmt auf der „Isabella“. Die Atmosphäre war gedämpft, und die Mannen hatten auch ihren Grund, sich still und ruhig zu verhalten.

Dieser Grund war Philip Hasard Killigrew, der Seewolf. Der über sechs Fuß große und breitschultrige Mann mit dem schwarzen Haar und den eisblauen Augen hatte tagelang mit dem Tod gerungen, nachdem ihm Sir Andrew Clifford auf heimtückische Weise eine Pistolenkugel in den Rücken geschossen hatte.

Seit Tagen lag der Seewolf im Fieber. Der schmalbrüstige Kutscher hatte sich mit Hilfe Mac Pellews und der Zwillinge nahezu pausenlos um ihn bemüht. Seit Eintreffen der „Caribian Queen“ und der spanischen Galeone hatte sich auch der Schiffsarzt der gesunkenen „Orion“ mit eingeschaltet und ging dem Kutscher zur Hand.

Auch wenn in den letzten Tagen, in denen der Verwundete absolute Ruhe brauchte, kaum jemand die Krankenkammer betreten hatte, weilten die Gedanken der Männer doch ständig bei dem Mann, der mit blassem Gesicht in der Koje lag.

Dabei kochte es in ihnen, und manch einer hätte dem feigen und heimtückischen Sir Andrew Clifford noch jetzt den Hals umgedreht, wenn er eine Möglichkeit dazu gehabt hätte. So aber war der Earl of Cumberland durch, einen Pfeil Batutis getötet worden, und zwar unmittelbar im Anschluß an seine verbrecherische Tat.

„Wir hätten diesem blaukarierten Rübenschwein schon viel früher den durchlauchten Hals langziehen sollen“, bemerkte Edwin Carberry, der auf einer Taurolle hockte und das narbige Gesicht in die Hände gestützt hatte.

Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister der „Isabella“, der sich ebenfalls auf der Kuhl niedergelassen hatte, nickte mit düsterem Gesicht.

„Batutis Pfeil war viel zu schade für diesen Kerl“, sagte er. „Man hätte ihn solange kielholen sollen, bis er freiwillig abgedankt hätte.“

Solche und ähnliche Gedanken beschäftigten die Mannen immer wieder, solange die Ungewißheit über das Schicksal Philip Hasard Killigrews an ihnen fraß. Sie wußten, daß das Leben des Seewolfs immer noch auf der Kippe stand, obwohl der Kutscher die dicht vor dem Herzen sitzende Pistolenkugel herausgeholt hatte.

Die Gefahr, daß Hasard seine letzte große Reise antreten könnte, bestand nach wie vor, auch wenn es dem Kutscher zusammen mit dem Schiffsarzt der „Orion“ gelungen war, den Eiter von der Operationswunde abfließen zu lassen und die Wunde zu desinfizieren. Würde es jetzt vielleicht mit Hasard aufwärts gehen?

Die Mannen warteten ungeduldig auf eine Beantwortung dieser Frage, aber, der Kutscher weilte bereits seit mehr als zwei Stunden in der Krankenkammer. Hatte das Gutes oder Schlechtes zu bedeuten?

„Sie werden unseren Kapitän doch hoffentlich nicht mit der stinkenden schwarzen Salbe einschmieren, die der Kutscher zusammengebraut hat.“ Edwin Carberry zog ein mitleidiges Gesicht. Er selbst hatte vor dem Inhalt der zahlreichen Töpfe und Flaschen des Kutschers einen höllischen Respekt.

„Warum eigentlich nicht?“ fragte Al Conroy. „Hauptsache, das Zeug hilft. Wenn ich in so einer beschissenen Lage wäre, würde ich mich notfalls mit Kamelmist einreiben lassen – vorausgesetzt, es wäre gut für die Heilung.“

Ed warf ihm einen skeptischen Blick zu und schob sein amboßartiges Rammkinn vor. Allein schon der Gedanke, dem Kutscher sowie seinen Arzneien und Instrumenten über Tage hinweg ausgeliefert zu sein, war ihm unerträglich. Dabei war der blonde und schmalbrüstige Mann, dessen richtigen Namen niemand kannte, ein äußerst tüchtiger Feldscher. Auch der Arzt der „Orion“ schien einiges auf dem Kasten zu haben.

Trotzdem rieselte dem Profos ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er an all die geheimnisvollen Utensilien dachte, die die Schiffsärzte in ihren Kisten und Truhen aufbewahrten. Er litt deshalb ganz besonders mit dem verletzten Seewolf und stellte sich zuweilen die ausgefallensten Dinge vor, die die „Salbenmischer“ seiner Meinung nach mit ihm trieben.

Als der Kutscher nach dem nächsten Glasen der Schiffsglocke endlich auftauchte, blickten ihm die Mannen mit banger Erwartung entgegen. Vor allem Ed zog ein Gesicht, das an einen kranken Hund erinnerte.

Um die Lippen des Kutschers huschte ein Lächeln.

„Hasards Zustand hat sich leicht gebessert“, berichtete er. „Er hat zwar immer noch Fieber, aber die Wunde eitert nicht mehr. Ich denke, wir können zuversichtlich sein.“

Die Männer atmeten auf und fühlten sich plötzlich um tonnenschwere Lasten erleichtert. Sie hatten ja nicht erwartet, daß Hasard noch heute die Krankenkammer verlassen und zum Achterdeck auf entern würde, aber auf eine Besserung hatten sie schon sehnsüchtig gehofft.

Insofern hatte ihnen der Feldscher eine gute Nachricht übermittelt. Es ging dem Seewolf besser, und das stimmte die Arwenacks zuversichtlich und hob ihre Stimmung doch um einiges.

Auch Siri-Tong und ihre Crew atmeten fast hörbar auf, als Ben Brighton, Hasards Stellvertreter, ihnen die Nachricht des Kutschers übermittelte.

Drei Tage später, am 30. August 1594, waren die Arwenacks völlig aus dem Häuschen. Die beiden „Salbenmischer“, wie Edwin Carberry die Feldschere nannte, hatten sich nicht geirrt. Die Hoffnungen, welche die Männer in den letzten Tagen gehegt hatten, waren berechtigt gewesen. Es ging von Tag zu Tag aufwärts mit dem Seewolf. Das Fieber sank, die Wunde eiterte nicht mehr und begann zu heilen.

Die Mannen hatten gerade das morgendliche Backen und Banken hinter sich gebracht, und sich an den kräftigen Speckpfannkuchen gelabt, die Mac Pellew und die Zwillinge zubereitet hatten, als der Kutscher die Nachricht überbrachte, auf die sie alle schon lange gewartet hatten. Die Andeutungen, die er bereits am Vortag verkündet hatte, schienen sich zu bestätigen: Die Arwenacks durften heute ihren Kapitän endlich am Krankenbett besuchen.

Edwin Carberry grinste von einem Ohr zum anderen, wodurch sein zernarbtes Gesicht noch fürchterlicher aussah. Er hieb dem Kutscher begeistert die rechte Pranke auf die Schulter.

„Eins kann ich dir sagen, du Salbenschmierer!“ röhrte er. „So gern wie diesmal bin ich noch nie in die Krankenkammer gegangen, das kannst du mir glauben. Selbst wenn du sämtliche Planken dort mit deiner stinkenden schwarzen Salbe eingeschmiert hättest, könnte mich niemand zurückhalten. Noch etwas, Kutscher: Daß du unseren Kapitän wieder aufgemöbelt hast, das wird dir hier an Bord keiner vergessen, jawohl.“

Der Kutscher war sich darüber im klaren, daß diese Worte aus dem Mund des äußerlich so ruppigen, innerlich aber herzensguten Edwin Carberry ein großes Lob darstellten. Dennoch hob er abwehrend die Hände.

„Nur langsam, Mister Carberry. Das ist nicht allein mein Verdienst, sondern alle an Bord unserer Lady haben daran mitgearbeitet. Auch der Feldscher der ‚Orion‘ hat gute Arbeit geleistet und Mac, unser alter Griesgram, hat viele Stunden lang mitgeholfen. Außerdem hat er in der Kombüse doppelt soviel schuften müssen als sonst. Und nicht zuletzt habt ihr alle durch euer rücksichtsvolles Verhalten einen guten Teil dazu beigetragen.“

„Dem Großlord sei Dank, daß es jetzt mit dieser Rücksichtnahme vorbei ist“, sagte Ed. „So langsam spürt man nämlich Wespen unter dem Hintern, wenn man immer nur herumhockt und auf die nächsten Nachrichten wartet oder aber wie eine blonde Tanzmaid auf den Zehenspitzen schweben muß, wenn man mal von vorn nach achtern gehen muß.“

Die Männer grinsten.

„Du wärst mir schon die richtige Tanzmaid“, sagte der bullige Smoky. „Und auf Zehenspitzen möchte ich dich auch mal schweben sehen, Mister Carberry. Da würde ich schon eher auf einen Tanzbären tippen.“

Die Arwenacks lachten, ihre frühere gute Laune kehrte zurück. Die Aussicht, daß Hasard irgendwann wieder gesund in ihrer Mitte weilen würde, hob ihre Stimmung ganz gewaltig.

Der Kutscher vollführte eine beschwichtigende Geste.

„Nun mal langsam, Leute“, sagte er lächelnd. „Mit der Rücksichtnahme ist es beileibe noch nicht vorbei. Hasard braucht noch immer sehr viel Ruhe, und bis ihr ihm wieder mal so richtig auf die Schulter hauen könnt, kann es schon noch ein bißchen dauern. Ich erwähne das nur, damit keiner von euch auf die Idee verfällt, es zu tun, wenn ihr ihn nachher besucht.“

Edwin Carberry starrte prompt auf seine Pranken, die mittleren Schmiedehämmern glichen, und grinste dann verlegen, denn wenn er ehrlich gegen sich selber war, hatte er genau das vorgehabt. Verdammt, es würde ihm unheimlich guttun, dem Seewolf mal wieder in alter Freundschaft so richtig auf die Schulter klopfen zu können.

Aber er war natürlich auch so zufrieden, Hauptsache es ging aufwärts mit Hasard, damit auf der „Isabella“ bald wieder der „Normalzustand“ hergestellt werden konnte. Es war schon ein Kreuz, über Tage hinweg auf sämtliche deftigen Flüche zu verzichten. So was mußte die Gesundheit ruinieren, daran gab es gar keinen Zweifel.

Sir John, der zunächst müde von der Vormarsrah geäugt hatte, glaubte wohl, auf der Kuhl gäbe es was Besonderes, weil sich dort alle Mannen um den Kutscher geschart hatten. Er flatterte deshalb von seinem Stammplatz herunter und ließ sich auf der linken Schulter Edwin Carberrys nieder.

„Scheißwetter heute!“ krächzte er, und Carberry zuckte zusammen.

Als die anderen zu grinsen begannen, verscheuchte er den Vogel.

„Verschwinde, du Schnarcheule, und halte deinen vorlauten Schnabel!“

Doch Sir John stellte wieder einmal unter Beweis, daß er bei Carberry einiges gelernt hatte und lud diesen, noch während er zum Vormars hochflatterte, lauthals zum „Backbrassen“ ein.

Kurze Zeit später war es soweit, die Crew der „Isabella IX.“ durfte Philip Hasard Killigrew in der Krankenkammer besuchen. Natürlich hatte man auch Siri-Tong und die Mannen von der „Caribian Queen“ rechtzeitig benachrichtigt.

Sittsam wie Kavaliere, denen das erste Rendezvous mit einer hübschen Maid bevorstand, pilgerten die rauhen Männer zur Back, wo sich die Krankenkammer neben der Kombüse befand.

Dann sahen sie ihn, den Seewolf. Von Kissen gestützt saß er in der Koje, um die „Rübenschwein-Parade“, wie Ed das Ereignis kurzerhand bezeichnet hatte, abzunehmen – eine Parade von Männern, die vor Verlegenheit und Freude nicht wußten, ob sie grinsen oder heulen sollten.

Da war keiner, der nicht rote Augen hatte. Selbst jetzt bewegten sie sich vorsichtig, und jene, die sich sonst am härtesten gebärdeten, waren buchstäblich weich wie Butter, schneuzten sich, rieben sich über die Augen und hätten ihren Kapitän am liebsten umarmt oder ihm eben die Pranken auf die Schulter gedroschen.

Aber da paßte der Kutscher auf wie ein Luchs, wobei er besonders seinen Freund Carberry im Visier hatte. Doch dabei entdeckte er erst, was Ed mitgebracht hatte, und er glaubte im wahrsten Sinne des Wortes, seinen Augen nicht trauen zu können: Es waren Blumen. Jawohl, einen Strauß Blumen hatte der Profos der „Isabella“ mitgebracht. Und er hatte sie selbst an Land gepflückt, ohne sich um das Grinsen der übrigen „Affenärsche“ und „Rübenschweine“ zu kümmern.

Mit feuchten Augen legte der bullige Kerl mit dem Amboßkinn und Narbengesicht den Blumenstrauß seinem Kapitän vorsichtig auf die Bettdecke, als er endlich an der Reihe war. Danach rieb er sich verlegen die Pranken.

„Für dich, Sir“, murmelte er überflüssigerweise. „Freut mich, daß du wieder auf den Beinen – äh – wollte sagen, daß es dir wieder besser geht. Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht, und außerdem, Sir, bist du ja noch viel zu jung zum – na ja, du weißt schon, nicht wahr? Am liebsten würde ich dir jetzt auf die Schulter hauen, aber da hat unser Knochenflicker leider was dagegen. Dafür werden wir aber das größte Faß Rum anstechen, sobald du wieder aus der Koje steigen kannst, das verspreche ich dir …“

Der Kutscher warf Ed einen grimmigen Blick zu und wedelte unmißverständlich mit der Hand.

„Danke, Ed“, sagte Hasard, und über sein bleiches, fast durchsichtiges Gesicht zog ein schwaches Lächeln. „Ich freue mich schon darauf.“

„Und ich erst, Sir!“ Carberry warf dem Kutscher einen vielsagenden Blick zu, der soviel hieß wie: „Na, siehst du!“ Dann verzog er sich. Daß der Kutscher hinterher was von einer Krankheit namens „Rederitis“ sagte, störte ihn nicht im geringsten. Er war sogar mächtig stolz darauf, Hasard einige nette Sachen gesagt zu haben. Außerdem war er glücklich, weil sein Kapitän ihn angelächelt hatte.

Trotzdem, so sagte sich Ed, war Hasard ziemlich schmal geworden. Da würden sich die Kombüsenhengste mächtig anstrengen müssen, um ihn wieder aufzupäppeln. Und noch etwas hatte Edwin Carberry entdeckt: graue Strähnen im schwarzen Schläfenhaar des Seewolfs.

Bei dem Gedanken daran fuhr er sich reflexartig über den eigenen wirren Haarschopf. Dennoch war Carberrys Freude ungetrübt, und das nächste „Rübenschwein“, das ihm über den Weg lief, nämlich Big Old Shane, kriegte einen kraftvollen Prankenhieb auf die Schulter.

„Du ziehst ein Gesicht, als hätten dir die Hühner die Körner weggefressen“, tadelte Carberry. „Bevor du die Krankenkammer betrittst, solltest du die Stirnfalten ruhig mal in die andere Richtung legen, damit unser Kapitän ein bißchen aufgeheitert wird. Was soll er denn denken, wenn wir alle schneuzend durch die Gegend laufen, was, wie? Der hält uns ja glatt für Heulsusen.“

Big Old Shane, der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack, versprach, sich den weisen Rat zu Herzen zu nehmen.

Siri-Tong hatte sich bewußt als letzte in die lange Reihe der Besucher gestellt, denn sie hatte dringend etwas mit dem Seewolf zu besprechen. Sie wollte ihn beileibe nicht strapazieren, aber sie mußte wenigstens seine Entscheidung hören, damit all die unerfreulichen Ereignisse der letzten Zeit bereinigt werden konnten.

Auch sie sah die grauen Haare und das schmal gewordene Gesicht des Seewolfs, als sie endlich bei ihm war. Trotzdem war sie froh wie alle anderen, daß es aufwärts mit ihm ging.

„Du hast Neuigkeiten mitgebracht?“ fragte er mit leiser Stimme.

Siri-Tong nickte lächelnd.

„Das kann man wohl sagen“, erwiderte sie. Dann berichtete sie in kurzen Worten über die Geschehnisse bei den Grand Cays. Sie schilderte den Untergang der „Orion“ und der „Dragon“, den Verrat O’Learys und Charles Stewarts und den wütenden Angriff der beiden spanischen Kriegsgaleonen, von denen man eine versenkt und die andere als Prise genommen hatte.

Zum Abschluß sprach sie kurz über das Verhör der englischen Offiziere und über die Entscheidungen, die sie zunächst bezüglich der Engländer und Spanier getroffen hatte. Sie erinnerte den Seewolf daran, daß sich jetzt Sir Henry of Battingham, Charles Stewart und John Killigrew in der Hand des Bundes der Korsaren befanden.

Hasard überlegte eine Weile, nachdem er Siri-Tong aufmerksam zugehört hatte. Ja, er dachte sogar ziemlich lange nach. Sein Gesicht wirkte dabei ernst und verschlossen.

„Ich will nichts mehr mit diesen Leuten zu tun haben“, sagte er schließlich. „Übergebt sie Kapitän Tottenham.“

Siri-Tong wiegte den Kopf hin und her.

„Tottenham ist mitschuldig“, entgegnete sie dann. „Zumindest war er es bis zu dem Zeitpunkt, an dem er zuließ, daß die ‚Santa Cruz‘, die bereits die Flagge gestrichen hatte, zusammengeschossen wurde.“

Hasard schüttelte den Kopf.

„Trotzdem“, sagte er. „Wir sind nicht die Richter eines Duke of Battingham, eines John Killigrew oder eines Charles Stewart. England soll selber über sie urteilen oder zu Gericht sitzen. Wir tun es nicht. Es ist nicht unsere Sache.“

Siri-Tong, die eine besondere Zuneigung mit Hasard verband, verstand ihn nur zu gut.

„Ich glaube, du hast die richtige Entscheidung getroffen“, sagte sie. „Ich werde dafür sorgen, daß deinem Wunsch entsprochen wird.“

Bald darauf setzte die Rote Korsarin zu der spanischen Beutegaleone über und berichtete Kapitän Tottenham, was Philip Hasard Killigrew gesagt hatte.

Sir Edward hörte sich schweigend an, was sie ihm mitteilte. Siri-Tong konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Mann sich sehr verändert hatte. Auch er überlegte lange und mit ernstem Gesicht. Dann aber ließ er Marc Corbett, seinen Ersten Offizier, rufen.

„Kraft meiner Funktion als Kommandant dieser Galeone“, sagte er, „ordne ich hiermit ein Kriegsgericht gegen den Duke Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Charles Stewart an. Bitte, Mister Corbett, sorgen Sie dafür, daß dieses Gericht so rasch wie möglich zusammentritt.“

„Aye, aye, Sir“, erwiderte Corbett und verließ die Kapitänskammer.

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Umfang:
1872 S. 21 Illustrationen
ISBN:
9783954397815
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