Du weißt doch, Frauen taugen nichts

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Wenn er das mit meiner Tochter machen würde“, die war ungefähr in dem Alter, „würde ich ihn umbringen.“

Plötzlich war Carolas Stimmung gekippt. Eben noch schmusig und voller zärtlicher Gedanken, wirkte sie jetzt fast wie ein versteinerter Racheengel.

„Das ist doch ihre Sache. Die Frau muss doch wissen, ob sie so einen alten Knacker will oder nicht. Zumindest hält der Staatsanwalt nicht mehr die Hand davor.“

„Trotzdem, mit meiner Tochter dürfte er das nicht machen“, kam es todernst zurück.

Was sollte denn das nun? Erstens war die Freundin von Horst nicht Carolas Tochter, und selbst wenn sie es gewesen wäre, wäre sie volljährig und müsste selbst wissen, wem sie sich an den Hals wirft. Aber ich war nicht aus Schweden zurückzukommen, um mich mit Carola wegen der Beziehungen von Horst zu streiten. Ich wechselte das Thema und Carola vergaß wieder ihre „Mutterinstinkte“, und wurde erneut schmusig.

Erst ein paar Monate später, als der Lebensgefährte meiner Schwester, von einem Erlebnis, das er mit Carola, in Verbindung mit ihrer Tochter, vor mehreren Jahren gehabt hatte, mir erzählte, musste ich wieder an diese Geschichte denken.

Nach weiteren stürmischen Zärtlichkeiten und Ausgequatsche, zeigte ich Carola die Zeitungen, die ich aus Schweden mitgebracht hatte. SvD, Framtid i Jokkmokk und andere.

Framtid i Jokkmokk dämpfte ein bisschen die Stimmung. Ich wiegelte ab. Noch war ja nichts entschieden. Carola fing aber erstmalig deutlich an kundzutun, dass sie nicht wollte, dass ich nach Schweden auswandere. Erst recht nicht nach Jokkmokk, das nach ihrer Auffassung fast am Nordpol lag. Sie wollte mich auf gar keinen Fall verlieren, fand es aber, und da musste ich ihr Recht geben, illusorisch zu glauben, dass eine Beziehung über gut zweitausend Kilometer Entfernung eine Zukunft hat.

Carola hatte aus Hannover, für mein Bett eine Bettdecke mitgebracht, die 2 x 2 m groß war. Eine Decke für uns beide zusammen. Und ganz viele kleine passende Kissen hatte sie auch noch auf das Bett verteilt. Ich fand es toll. Carola hatte aus meinem Bett, nachdem ich dieses vor meiner Fahrt schon mit der neuen Matratze für uns beide gemütlicher gemacht hatte, ein kleines Liebesnest gebaut.

Als wir spät abends unter die große Decke krochen, sagte Carola, sich an mir kuschelnd: „Du bist der erste Mann, bei dem ich das Gefühl habe, mit ihm unter einer gemeinsamen Decke schlafen zu können.“

Wow, wenn das eine neununddreißigjährige Frau sagt, ließ das für die Zukunft doch viel hoffen. Eine große Matratze, eine gemeinsame große Bettdecke, und eine tolle Frau, die sich selig an mich schmiegte. Ich fühlte mich wie im siebten Himmel.

Statt im siebten Himmel zu schweben, hätten mal lieber einige Alarmglocken anschlagen sollen. Carola hatte das nämlich ernster gemeint, als es für mich klang. Sie hatte nämlich überhaupt Probleme, neben einem Mann in einem Bett zu schlafen.

„......., doch keiner verstand zu deuten die Flammenschrift an der Wand.“

Irgendwann in der Nacht grübelte ich, Carola war neben mir inzwischen eingeschlafen, über meine Zukunft nach. Langsam aber sicher kam ich zu dem Entschluss, mit der ARGE über mein Problem zu sprechen. Es war besser jetzt, bevor praktisch irgendetwas angeleiert wurde, mit den Leuten zu reden, als später mitten im Projektverlauf. Ich wollte nicht meine Zukunft, sondern unsere gemeinsame. Und zurzeit war ich noch derjenige, der über den Ort seiner Zukunft relativ flexibel entscheiden konnte. Carola war in Hannover gebunden. Daran war nichts zu ändern.

Am Montag sollte ich bei der ARGE das Abschlussgespräch haben, bevor es ins Eingemachte ging. Bei diesem Gespräch wollte ich die private Veränderung, von der ich, als ich mich für das Projekt beworben hatte, noch nichts geahnt habe, ansprechen. Vielleicht gab es ja eine Lösung. Zumindest konnte ich eher jetzt auf eine Lösung hoffen, als später.

Bevor wir uns am Montagvormittag trennen wollten, sprach ich das Thema bei unserem gemeinsamen Frühstück an. Carola war begeistert. Ich sollte unbedingt die Chance, einen Job in Hannover zu bekommen, sollte man sie mir geben, nutzen. Als wir uns vor meiner Haustür trennten, gab sie mir einen dicken Kuss.

„Viel Glück, und sorge dafür, dass du nach Hannover kommen kannst.“

Das Gespräch bei der ARGE verlief besser als ich gedacht hatte. Das Motto des Projektes: „Wir machen alles, was der Kandidat möchte, solange es sinnvoll erscheint“, wurde anscheinend ernst genommen. Mein Schwedischkurs war bereits für mich gebucht, allerdings kein Crashkurs, sondern ein Anfängerkursus in einer größeren Gruppe. Nun, einen Anfängerkursus hätte ich auf keinen Fall benötigt, allerdings sollte ich an ihm, da er schon einmal gebucht war, trotzdem teilnehmen, auch wenn ich nicht mehr plante, nach Schweden auszuwandern. So ganz kam man auch hier an der berüchtigten deutschen Bürokratie nicht vorbei. Gebucht ist nun einmal gebucht. Aber im Grunde war es kein Problem, dass ich aus privaten Gründen mein Lebensziel geändert hatte. „Es bringt doch nichts, wenn wir sie nach Schweden vermitteln, und sie eigentlich ganz woanders sein wollen“, erklärte mir der Sachbearbeiter bei der ARGE zu meiner Erleichterung.

Ich sollte zwar die Einzelheiten noch mit der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (WAK), die die praktische Ausführung des Projekts durchführte, durchsprechen, aber man würde den dortigen Mitarbeiter schon im Vorfeld über die neue Sachlage informieren, sodass dieser vorbereitet war.

Der Schwedischkurs sollte am Montag, den 18. September, losgehen. Eine Woche vorher, am Montag den 11. September, war mein Termin bei der WAK, worauf noch in der gleichen Woche die Vermittlungsbemühungen losgehen sollten.

Der Montag und der Dienstag vergingen für Carola und mich wie im Flug. Wir fuhren auch mal wieder an die Ostsee, gingen viel spazieren und besuchten unsere Stammkneipe „Carrickfergus“. Nachts genossen wir die große neue Matratze. Wir unterhielten uns intensiv darüber, dass ich alles daransetzen sollte und würde, um in Hannover einen Job zu finden. Carola hoffte und drückte die Daumen, dass unsere gemeinsame Zukunft klappen würde. Sie wollte mich nicht, genauso wie ich sie nicht, an Schweden verlieren.

Am Mittwoch früh konnte Carola ihre Abreise, sie musste wieder nach Hannover, da sie jetzt die Einrichtung der Praxisräume beenden musste, nicht mehr hinausschieben. Bereits kurz nach vier stand sie auf, duschte kurz und verabschiedete sich von mir. Es half nichts, sie musste die letzten Sachen erledigen, damit die Abnahme der Praxis, durch die entsprechende Behörde, mit Erfolg durchgeführt werden konnte. Sie gab mir, der noch im Halbschlaf im Bett lag, einen dicken Kuss, als sie die Wohnung verlassen wollte.

„Bleib doch noch.“

Carola lachte. „Das geht nicht. Ich muss nach Hannover, sonst bekommen wir keine Abnahme. Und stell dich nicht so an. Du kommst ja schon übermorgen fürs Wochenende nach Hannover. Sorge inzwischen dafür, dass die WAK keinen Mist macht.“

„Das wird schon klargehen“, murmelte ich im Halbschlaf.

Dann war Carola weg.

Bei meinem Treffen mit dem WAK-Mitarbeiter ging alles glatt über die Bühne. Man hatte sich bereits mit einem privaten Personalvermittler in Verbindung gesetzt, der für mich in Hannover auf Jobsuche gehen sollte. Eigentlich fand ich das, was man für mich hier anstellte, herausgeschmissenes Geld, also Steuerverschwendung. Man gab sich riesige Mühe, um mich in Hannover zu vermitteln. Das fand ich zwar ganz toll, aber es wurde dadurch, auch wenn die Aktion ordentlich Steuergelder kostete, kein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen. Bekam ich in Hannover einen Job, hieße das nur, dass man viel Geld ausgegeben hat, um mir, der in Lübeck wohnte, einen Job zu vermitteln, den sonst ein Hannoveraner, durch die völlig normale Vermittlungsbemühung der ARGE-Hannover, hätte bekommen können, und der jetzt leer ausging. Ich schätzte, dass die ganze Aktion Profil 300, es wurde, sich ja nicht nur um mich gekümmert, sicher einige Hunderttausend Euro kosten würde. Dafür hätte man in Lübeck schon den einen oder anderen Meter Straße sanieren können, und damit nicht nur echte Arbeitsplätze geschaffen, bzw. sichern können, sondern man hätte auch etwas sehr dringendes geleistet. Lübeck hat es wirklich bitter nötig, dass die Straßen saniert werden, damit die notwendige kommunale Infrastruktur erhalten bleibt.

Aber ich wollte mich nicht beschweren. Der Topf war nun einmal bereitgestellt, und wenn ich nicht aus ihm schlabbern würde, würde es ein anderer tun. Und egal, wie ich über den Sinn und Unsinn der Ausgaben dachte, am Freitag fuhr ich mit dem Zug nach Hannover und freute mich schon darauf Carola in die Arme zu nehmen und ihr freudestrahlend zu erzählen, dass sich alle nur noch damit beschäftigten, mich in Hannover unterzubringen, und niemand sich mehr um Schweden kümmerte.

Auf dem Bahnsteig des Hauptbahnhofs Hannover, wo Carola mich abholen wollte, war keine Carola zu sehen. Auch in der großen Halle, ich wusste ja nun schon bereits, dass Carola stürmische Begrüßungen am Bahnsteig, direkt am Zug, nicht unbedingt mochte, fand ich keine Carola. Zum Glück war diesmal wenigstens mein Handy aufgeladen. Ich klingelte sie an:

„Ich steh hier heulend, einsam und verlassen, mitten auf dem großen Bahnhof. Ich weiß nicht wohin, und es ist keine Tante da, die mich abholt.“

„Wo bist du“, fragte Carola lachend.

Ich schaute mich schnell um.

„ÄÄhh. Moment mal. Hinter mir ist ein Mc.Donalds.“

„Dann weiß ich, wo du bist. Warte mal da. Wir sind gleich bei dir.“

Schon kurz drauf sah ich Carola, freudestrahlend über alle vier Backen grinsend, mit ihrer Tochter in meine Richtung laufen. Man sah ihr an, dass sie mich vermisst hat, auch wenn sie selbst noch am Mittwoch gelästert hatte, dass wir uns doch schon in zwei Tagen wieder sehen würden. Die Begrüßung war stürmisch. – Wow, es ging also doch. Carolas Tochter verdrehte die Augen, als Carola und ich uns gegenseitig die Zunge in den Mund steckten. Ich nahm meinen Rucksack, den ich vor dem Telefongespräch abgesetzt hatte, und wir bummelten Hand in Hand zu ihrem Wagen.

 

Bei ihr zu Hause stellte Carola mich ihrer Mitbewohnerin und Partnerin, der im Werden befindlichen Praxis, Britta vor. Wir verbrachten einen gemütlichen Küchen-Rotwein-Abend, der aber nicht bis in die Puppen ging, da am nächsten Tag noch in der Praxis gearbeitet werden musste.

Carola wollte mir unbedingt, voller Stolz die Praxis zeigen, die ich na klar auch sehen wollte. Außerdem musste an Nachmittag noch für das Wochenende eingekauft werden. Die Wände der Praxis waren bereits frisch tapeziert und angemalt. Jetzt hieß es, die Räume ihrer Bestimmung entsprechend einzurichten.

Auch wenn ich das alles ganz toll fand, irritierte mich Carolas Verhalten. Sie war völlig anders als in Lübeck, oder wie sie es auch noch gestern, bei der Begrüßung im Bahnhof gewesen war. In Lübeck war sie nicht nur für jede Zärtlichkeit, die ich ihr gegenüber zeigte, zu haben gewesen. Sie selbst hatte oft von sich aus, auch in kleinen Gesten, Zärtlichkeit gezeigt und gesucht. Wollte meine Hand halten, streichelte mit geschlossenen Augen, nur um ihn zu spüren, meinen Kopf, gab Küsschen. Oft kleine „zufällige“ Berührungen, wollte oft in den Arm genommen werden. Hier in der Praxis, wie auch bereits in ihrer Wohnung war sie sehr zurückhaltend. Ich hatte das gleich gespürt, als wir gestern in der Wohnung eingetroffen waren. Am Bahnhof und auf der Fahrt zur Wohnung war Carola richtig aufgekratzt gewesen. Sobald wir in der Wohnung angekommen waren, wurde sie zurückhaltend, ja richtig distanziert. Wobei auch schon in Lübeck Carola immer so distanziert gewesen war, wenn Bekannte von ihr sich in Sichtweite aufhielten. Als ob Carola sich scheute, vor ihnen ihre Gefühle mir gegenüber zu zeigen, sie sich ihrer Gefühle schämte.

Am Abend gab es wieder einen gemütlichen Küchenabend mit Rotwein. Zum Ausgehen hatte niemand Geld über, und wir wollten außerdem auch früh ins Bett. Am nächsten Tag feierte Britta Geburtstag, da musste noch einiges vorbereitet werden, und wer weiß, wie lange die Feier dann dauern würde. Etwas vorschlafen war da gar nicht so falsch.

Den Samstagvormittag verbrachten wir hauptsächlich damit Brittas Geburtstagsfeier vorzubereiten, bis dann am Nachmittag die ersten Gäste kamen. Das erste Paar war, wie ich erfuhr, auch erst relativ kurz zusammen. Sie war von Britta und Carola eine nähere Freundin, die die beiden in den letzten Monaten hier gefunden haben, er war sozusagen, wie ich, ein Anhängsel, der, außer seiner eigenen Freundin, niemand kannte. Sobald die beiden eingetroffen waren, wurde Carola mir gegenüber noch zurückhaltender, als sie es sowieso schon gewesen war. Jetzt verhielt sie sich mir gegenüber, als ob ich nur ein entfernter Bekannter von ihr wäre, den sie, da ich nun einmal zufällig in der Nähe gewesen war, einfach mal so kurz, weil die Kaffeemaschine sowieso gerade lief, auf einen Kaffee eingeladen hat. Da hatte es der neu Angekommene besser. Auch wenn die drei Frauen miteinander quatschten, bekam er seine regelmäßigen Streicheleinheiten und leicht angedeutete Zuneigung von seiner neuen Freundin, während Carola mich kaum beachtete, ja meine Anwesenheit fast schon ignorierte.

Zum späten Nachmittag füllte sich dann die Wohnung mit noch mehr Freunden von Carola und Petra. Auch wenn es ein gemütlicher Abend wurde, fühlte ich mich ausgeschlossen. Wenn man einmal davon absah, dass zwei Leute Gitarre spielten und die Leute, zumindest die, die die Lieder kannten, dazu sangen, war es eine reine Klickenfeier. Es war keine große Gruppe, in der jeder jeden kannte, sondern es waren einzelne Klicken, jeweils mit zwei bis vier Leuten, die sich untereinander kannten und sich entsprechend unterhielten. Im Stillen beneidete ich den jungen Mann, der mit seiner Freundin als Erstes hier als Gast erschienen war. Er kannte, wie ich auch, niemanden, hatte aber das Glück, dass sich seine Freundin, selbst wenn sie sich mit anderen unterhielt, ihn mit einbezog und zärtliche Gesten ihm gegenüber zeigte, so wie man es bei frisch verliebten oft sah. Ich dagegen fühlte mich nicht von der Gruppe, auch ich quatschte mit einigen von denen, sondern von Carola ausgeschlossen. Sie beachtete mich fast den ganzen Abend gar nicht. Erst als die Gäste gegangen waren, taute sie wieder etwas auf. Allerdings längst nicht so, wie in Lübeck.

Es war schon komisch mit ihr. Immer wenn Bekannte und Freunde von ihr in Sichtweite waren, scheute sie sich Gefühle zu zeigen.

Nach der langen Feier schliefen wir am nächsten Morgen bis in die Puppen, bevor wir aus dem Bett krochen. Während Carola und ich alleine im Badezimmer waren, war Carola wieder so, wie ich sie mochte. Wir duschten gemeinsam seiften und brausten uns gegenseitig ab, trockneten uns ab, putzten nebeneinander vorm Spiegel die Zähne. Erst als wir wieder mit den anderen zusammen am Frühstückstisch saßen, war sie wieder richtig distanziert.

Es war Sonntag und die Sonne schien. Carola und ich ließen die anderen alleine in der Wohnung zurück, und machten uns auf zu einem Stadtbummel. Obwohl Carola schon fast ein Jahr in Hannover wohnte, hatte sie selbst bis jetzt kaum Gelegenheit gehabt, sich hier umzuschauen. Somit erkundigten wir beide gemeinsam ihre neue Heimatstadt, die auch bald meine werden sollte.

Das Rathaus, die Altstadt, den Fluss Leine, an dem man wunderbar spazieren gehen konnte, die Grünanlagen. Wir waren mit der Straßenbahn in die Innenstadt gefahren, und bummelten nach der Stadtbesichtigung gemütlich zu Fuß zurück zu ihrer Wohnung. Während dieses Stadtbummels war Carola wieder so, wie ich sie aus Lübeck kannte. Es war ein toller Tag mit ihr.

Wir kamen an einem Zirkuszelt, einer sehr berühmten Artistengruppe vorbei, der hier gastierte. Britta hatte zum Geburtstag zwei Karten für eine Vorstellung der Gruppe geschenkt bekommen, und wollte mit Carola in den nächsten Tagen in die Show gehen. Ein Plakat hing am Zaun, mit schönen muskulösen Männern, in eng anliegenden Artistenkostümen, die an verschiedenen Geräten durch die Luft flogen.

„Es gibt zwei Arten von Männern“, kam es auf einmal von Carola, als wir uns das Plakat anschauten. „Welche zum Anschauen und welche zum Heiraten.“

Dabei grinste sie mich an, gab mir einen Kuss, und ging mit mir Hand in Hand weiter. Ich schaute sie auch grinsend an, und schwenkte voller Übermut ihren Arm.

Das Leben kann wirklich toll sein.

Kaum aber waren wir wieder in Carolas Wohnung, war sie so zurückhaltend, wie am Tag zuvor. Am folgenden Tag fuhren wir alle wieder in ihre Praxis, um diese weiter einzurichten. Carola und Britta mussten so schnell wie möglich mit der Einrichtung fertig werden. Sie mussten endlich Geld verdienen. Das ersparte und geliehene Geld zerrann zwischen ihren Fingern. Ich fand es toll, auch wenn Carola wieder sehr zurückhaltend war, mit ihr zusammen zu sein, und kümmerte mich unter anderem um die Telefonanlage, die sich lange weigerte so zu funktionieren, wie sie es laut Beschreibung tun sollte.

Als ich, weil etwas nicht funktionierte, leise zu mir selbst fluchte, reagierte Carola richtig aggressiv. „Wenn du das nicht machen willst, lass es doch sein“, kam es von ihr sauer.

„Was ist denn mit dir los“, lachte ich sie an und auch leicht schelmisch aus „Fluchst du nicht vor dich hin, wenn etwas nicht so funktioniert, wie du es willst? Wieso hast du denn schlechte Laune?“

„Ich hab keine schlechte Laune.“

Nun wurde sie mal wieder richtig abweisend. Als sie einmal auf den Hof eine Zigarette rauchen ging, das Nichtrauchen hatte sie bereits, während ich noch in Schweden war, wieder aufgegeben, und ich sie durch die offene Tür gebeugt angrinste, verzog sie kein bisschen das Gesicht zu einem Lächeln.

„Ej, was ist?“

Sie zuckte nur mit den Schultern. „Bin wohl nur etwas genervt. Wird Zeit, dass die Praxis fertig wird.“

Als es für mich nichts mehr in der Praxis zu tun gab, verabschiedete ich mich und machte einen Spaziergang zum Hauptbahnhof, um mir schon einmal für Dienstagabend das Ticket für die Heimfahrt zu kaufen. Mittwoch hatte ich ein wichtiges Gespräch bei der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, bei dem ich mich auch noch einmal vergewissern wollte, dass mit der Vermittlung nach Hannover alles klar ging. Auf dem Weg zum Bahnhof fing ich an, über Carola zu grübeln. Es war merkwürdig, wie sie, in Anwesenheit von anderen, sich regelrecht innerlich zurückzog. Normal war das nicht. Es wäre besser gewesen, dachte ich bei mir, wenn das Projekt „Profil 300“ ein paar Monate später gestartet wäre, und Carola und ich mehr Zeit gehabt hätten, uns kennenzulernen, bevor die Frage, wo ich denn hinziehen möchte, zur Entscheidung gestanden hätte. Aber ich musste mich nun einmal jetzt, und nicht erst in zwei oder drei Monaten zwischen Schweden und Hannover entscheiden. Aber irgendwie war das alles Mist. Zuerst hat man eine Ewigkeit gar nichts, und dann gleich zwei Dinge auf einmal, die auch noch geografisch total in verschiedene Richtungen liefen.

Mit meiner Fahrkarte in der Tasche machte ich mich wieder auf den Weg zurück zu Carolas Wohnung. Auf dem Weg bekam ich eine SMS: „Wo bleibst du?“ Ich schickte nur kurz eine SMS zurück, dass ich die Zeit genutzt hatte, mir schon einmal eine Zugkarte zu kaufen, und gleich bei ihr sein würde.

Wieder zurück in der Wohnung, war die Stimmung immer noch gespannt. Carola hatte immer noch schlechte Laune, und ich reagierte etwas stinkig darauf und zog mich selbst etwas in mich zurück. Erst als wir im Bett lagen, nahm ich sie in den Arm.

„Wir haben beide wenig Übung darin, in einer Beziehung klar zu kommen. Wenn es Probleme gibt, müssen wir beide uns bemühen uns zusammen zu reißen, und uns auszusprechen. Ich mach sicher auch nicht alles richtig, aber wenn jemandem etwas nicht passt, muss er es sagen, und sich nicht einfach schmollend in die Ecke verkriechen. Ich möchte, dass das mit uns klappt.“

Carola schmiegte sich an mich und versprach sich Mühe zu geben.

Auch am Dienstag mussten die beiden Mädels in ihrer zukünftigen Praxis weiter arbeiten. Für mich gab es dort nichts zu tun, und so bummelte ich noch einmal alleine durch die Innenstadt von Hannover. Bereits gestern war ich mit Carola am niedersächsischen Landesmuseum vorbeigekommen. Dabei hatte ich einen Blick auf die Ausstellungsbeschreibung geworfen. Archäologische Fundstücke aus 500.000 Jahren, von der Steinzeit bis ins Hochmittelalter. Faszinierende Exponate von Fossilien und Dinosauriern und Darstellungen der Tektonik der Erdplatten und Erbeben. Außerdem gab es eine große Kunstsammlung. Unter anderem mit Bildern von Max Liebermann. Und wenn man etwas weiter in die Vergangenheit blickte, von Caspar David Friedrich und anderen, sowie noch weiter in die Vergangenheit zurück, Bilder von Lucas Cranach. Wobei aus der Beschreibung nicht zu ersehen war, ob der Ältere, der Jüngere, oder beide Cranachs gemeint waren. Außerdem sollten Werke des Bildhauers Tilman Riemenschneider ausgestellt sein. Geschichte und Archäologie haben mich schon immer interessiert. Max Liebermann, Caspar David Friedrich, die beiden Cranachs, so wie Riemenschneider waren mir ein Begriff und sagten mir mehr als das, was man heutzutage teilweise als Kunst fabrizierte. Weiter durch die Stadt zu laufen, – na ja, so toll ist Hannover als Stadt nun wirklich nicht, hatte ich keine Lust. Somit beschloss ich, in das Museum zu gehen. Die Hoffnung an dem einen Tag alles zu schaffen, hatte ich nicht. So begann ich in dem Teil, in dem die Künstler ausgestellt waren, die noch mit Naturfarben ihre Jagderfolge an Höhlenwänden verewigt hatten.

Wie erwartet, war ich lange noch nicht mit allem durch, als ich von Carola eine SMS erhielt:

„Sehen wir uns noch, bevor du fährst?“, stand da.

Ich eilte aus dem Museum und rief Carola an. Sie waren mit der heutigen Arbeit fertig, und ich versprach, so schnell wie möglich zu ihrer Wohnung zu kommen. Es war aber trotzdem schon spät am Nachmittag, als ich dort eintrudelte. So konnten wir uns nur noch kurz, damit wir mal alleine waren, in einem Café treffen, bevor ich auch schon zum Bahnhof eilen musste, um wieder nach Lübeck zu fahren. Unter uns war Carola wieder so, wie ich es toll fand. Am Freitag wollte Carola bereits wieder nach Lübeck kommen. Einmal überhaupt um mich zu sehen und bei mir zu sein, aber auch, weil ich am Samstag zu einer Sommergartenparty meiner Schwester und ihrem Lebenspartner Michael eingeladen war. So wie Carola mir erzählt hatte, waren sie und Michael, auch wenn sie sich schon mehrere Jahre nicht gesehen haben, dicke Freunde. Michael hatte ihr vor vielen Jahren sehr dabei geholfen, eine Praktikantenstelle zu bekommen. Michael hatte damals sogar dafür gesorgt, dass der Träger der Praktikantenstelle, für Carolas kleine Tochter eine Kinderbetreuung organisierte. Und über viele Jahre war Michael dann ein guter Freund der Familie gewesen. Ich hatte meiner Schwester erzählt, dass ich nicht alleine kommen würde, hatte aber den Namen meiner Begleitung nicht genannt. Ich wollte Michael überraschen.