Du weißt doch, Frauen taugen nichts

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Damals ist es mir gar nicht aufgefallen. Erst mit den Ereignissen, die sich später einstellten, fiel mir eine Sache auf, die ich damals gar nicht registrierte. In der Kneipe, unter den Augen ihrer Freunde und Bekannten, war Carola sehr distanziert, nicht so, wie eine frisch Verliebte, man sah so etwas ja nun öfters, wenn man abends unterwegs war, sich benahm. Ein Außenstehender musste an dem Abend schon sehr genau hinsehen, um festzustellen, dass wir beide, obwohl das nicht offiziell beschlossen wurde, waren wir das wohl, irgendwie zusammen waren.

Auf dem Weg zu mir nach Hause, wir bummelten gemütlich Hände haltend durch die Stadt, erzählte Carola mir, dass zwei, der im „If“ angetroffenen Bekannten, gar nicht damit einverstanden waren, dass Carola und ich jetzt zusammen waren. Der eine war Peter. Er hatte selbst ein Auge auf Carola geworfen, und war eifersüchtig. Peter und ich hatten uns an diesem Abend auch miteinander unterhalten. Ich hatte nichts von der Abneigung gemerkt, aber dass mag vielleicht auch daran gelegen haben, dass Peter sich mir gegenüber nichts anmerken ließ, ich schon aus der irischen Kneipe mit zwei Guinness im Kopf ins „If“ gekommen war, und sowieso meine Gefühlsantennen Richtung Carola ausgestreckt waren, und nicht unbedingt so stark auf andere.

Den anderen, der mit unserer Beziehung angeblich nicht einverstanden war, kannte ich nur vom Sehen. Carola sagte mir, er meine, ich passe nicht zu ihr.

„Und wieso“, fragte ich. „Der kennt mich doch gar nicht.“

„Keine Ahnung, er meinte nur, dass wir nicht zusammenpassen. Warum hat er nicht gesagt.“

Dann grinste sie mich an: „Ist doch auch egal. Er muss ja nicht mit dir zusammen sein“, und gab mir auf der Straße einen Kuss.

Tja, hiermit hatte Carola das erste Mal gesagt, dass wir „zusammen“ wären. Das war doch schon mal toll. An Schweden dachte ich nicht. Moskau und der Zar, bzw. Schweden und der König, waren weit weg.

Die nächsten Tage verliefen voller Harmonie und Sonnenschein. Wären wir nicht in Lübeck gewesen, hätte man denken können, wir verbrachten in Spanien oder sonst wo im Süden, gerade einen gemeinsamen Urlaub. Carola hatte sich Schlüssel für meine Haus- und Wohnungstür machen lassen, sodass sie nicht von mir abhängig war, um in die Wohnung zu kommen, wenn sie sich mit alten Freunden und Kollegen zum Kaffeetrinken treffen wollte, während ich mit Schwedisch, oder sonst was beschäftigt war.

Für den folgenden Samstag waren wir bei Carmen und Hans zu einem abendlichen Essen in ihrem Hinterhof eingeladen.

„Dieter ist auch eingeladen und wird kommen“, strahlte Carola mich an.

Ich weiß nicht wann, aber in irgendeiner Nacht auf dem Schiffsanlegesteg, hatte ich Carola erzählt, dass Dieter und ich vor Jahren, das mochte wohl so zwanzig Jahre her gewesen sein, dick zusammen gewesen waren. Eigentlich haben wir damals fast jeden Abend im „Carrickfergus“ gehockt und haben dort zu viel getrunken, oder waren Billard spielen, oder sonst wo unterwegs gewesen. Auch mehrere Wanderungen hatten wir zusammen in Finnland, Schweden, Schottland und Irland durchgeführt. Eine Zeit lang hatten wir sogar zusammen die gesamte Jugendarbeit einer Kirchengemeinde geleitet, nachdem der dortige Diakon, aus Gesundheitsgründen, für mehrere Monate ausgefallen war.

Dieter und ich hatten durchaus eine bewegte gemeinsame Vergangenheit hinter uns, und nun würde ich ihn also das erste Mal seit vielen Jahren wieder sehen. Ich freute mich darauf.

Als der Termin zu dieser Hinterhofparty nahe war, bummelten Carola und ich gemütlich von meiner Wohnung, quer durch die Altstadt, in Richtung des Hauses der Gastgeber. Unterwegs wurde Carola plötzlich von einer Passantin auf der Straße aufs Herzlichste begrüßt.

Irgendeine Bekannte von Carola. Man hatte sich wohl längere Zeit nicht gesehen, was ja auch kein Wunder war, da Carola schon seit fast einem Jahr in Hannover wohnte. Sie wechselten beide die üblichen Begrüßungsfloskeln aus. „Wie geht’s?“ – „Was machst du so?“ „Ach, Hannover, das wusste ich ja gar nicht.“ Ein Blick zu mir. „Und - in Hannover also schon fündig geworden.“

„Nein, der ist ganz frisch, von hier aus Lübeck.“

„Ach, du ziehst nach Hannover und suchst dir dann einen Freund in Lübeck.“

Carola grinste und zuckte mit den Schultern.

„Manchmal kommt es anders, als man denkt.“

Ich stand die ganze Zeit, mit Carola Hände haltend, daneben und schaute amüsiert von der einen zur andern.

„Und, ist es was Ernstes?“

Carola nickte: „Ja, das ist was Ernstes.“

Wow – Treffer. Ganz plötzlich stieg meine Herzfrequenz. Es war Carola ernst. Obwohl ich ihr während unserer ersten Schiffsanleger-Nacht, vor zwei Wochen, von meinen Zukunftsplänen in Schweden erzählt hatte, wir, nachdem sie so unerwartet vor knapp einer Woche vor meiner Tür gelandet war, nie das Thema Schweden irgendwie weiter erläutert haben, war es ihr ernst. Na ja, wir waren erst fünf Tage zusammen. Sicher weiß Gott zu früh, um gemeinsame Zukunftspläne zu schmieden, aber irgendwie erschien nun doch die Frage: Was passiert, wenn ich wirklich einen Job in Schweden bekommen würde?

Trotz dieser Frage, die nur ganz leise in meinem Hinterstübchen auftauchte, fand ich es toll, dass Carola unsere Beziehung als eine ernste Sache einstufte.

Wir verabschiedeten uns von Carolas Bekannten und gingen weiter zu der Samstagabendeinladung. Dort saßen bereits alle im Hinterhof, der Tisch war schon gedeckt. Carmen und Hans kannte ich, wenn auch nur flüchtig, doch schon seit vielen Jahren. Auch wenn ich Dieter schon seit rund zwanzig Jahren, ausgenommen vielleicht bei zufälligen Treffen in irgendwelchen Kneipen, nicht mehr gesehen hatte, waren wir immerhin einmal dicke Kumpels gewesen. Und mit Peter, der auch anwesend war, war ich, als die Freundschaft mit Dieter auseinander gegangen war, viele Jahre fast wie Brüder, mehrmals in der Woche, entweder in der Kneipe, beim Billard oder sonst wo zusammen gewesen. Auch hatten wir beide zusammen so manche Wanderung im schwedischen Fjäll durchgezogen. Wir kannten uns also alle.

Besonders hatte ich mich darauf gefreut Dieter, den Trinkkumpan aus meiner wilden Sturm und Drangphase, wieder zu sehen. Aber er war schweigsamer, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich hatte eigentlich gedacht, dass der alte Funke wieder überspringen würde, oder er zumindest so feucht fröhlich war, wie bei den wenigen zufälligen Treffen, in irgendwelchen Kneipen, die in den letzten Jahren passiert waren. Aber das war nicht so. Trotzdem wurde es ein gemütlicher Hinterhofabend, bei den schon, für dieses Jahr als selbstverständlich hingenommenen hohen Sommertemperaturen, die selbst als es dunkel wurde, nicht einmal das leiseste Frösteln, selbst wenn man nur mit einem T-Shirt und kurzer Hose dort saß, aufkommen ließ.

Was war denn mit Dieter los, der kam ja heute gar nicht aus sich raus“, kam es von Carola, als wir gegen Mitternacht, Arm in Arm durch die Altstadt nach Hause gingen.

Also war nicht nur mir die ungewöhnliche Zurückhaltung von Dieter aufgefallen, der ja sonst eher wegen seiner Ausgelassenheit bekannt war, oft Scherze machte, die laut und, das war eine negative Seite von ihm, oft auf Kosten von anderen gingen. Allerdings hatte ich zuerst gedacht, da ich ihn im Grunde seit zwanzig Jahren, mit Ausnahme der zufälligen Treffen, bei denen Dieter eigentlich immer voll gewesen war, nicht mehr getroffen hatte, er ja vielleicht allgemein mit den Jahren ruhiger geworden war. Und nun schien es auch Carola aufgefallen zu sein, dass Dieter außergewöhnlich ruhig gewesen war, und er sich auch, was in seiner Jugendzeit nie seine Art gewesen war, relativ früh verabschiedet hat. So kannte ich Dieter nicht, auch wenn er sich für seinen frühen Aufbruch damit entschuldigte, dass er am nächsten Tag noch am Computer arbeiten musste.

„Ja merkwürdig war das. Ich kenne ihn anders. Aber das ist auch schon sehr lange her.“

„Wusstest du eigentlich, dass Dieter und ich mal zusammen waren.“

Carola fragte das ganz locker, so als ob sie fragte, ob ich wüsste, was sie heute zu Mittag gegessen hat. Eine lockere Frage, nichts Wichtiges.

„Nö, ich hatte ja nun auch zu ihm seit Jahren kein Kontakt.“ Ich drückte Carola mit dem Arm etwas. „Und wie war ´s?“

„Hat nicht lange gedauert“, kam es ohne weitere Erklärung.

Jetzt war aber doch meine Neugier geweckt.

„Woran ist es denn gescheitert.“

„Dieter war zu einer Fete bei Freunden, in seinem Wohnort eingeladen. Ich war das erste Mal, offiziell als seine Freundin, bei so etwas mit. Da war ein Typ, dem habe ich mich im Laufe des Abends an den Hals geworfen. Da war es dann aus.“

Auch das kam von Carola total locker aus ihrem Mund. Wie die Erklärung einer Speisekarte. Ich schaute sie etwas kritisch, leicht verwundert, und mit Sicherheit auch sehr irritiert, von der Seite an:

„So was ist aber auch nicht in Ordnung.“

„Na ja. Es war damals alles irgendwie nicht richtig.“

Klingelingeling. Wo waren da meine Alarmglocken gewesen? Ich hätte doch noch brühwarm, es waren ja gerade zwei Wochen her, den Streit zwischen Carola und Horst in seiner Kneipe in meinem Gehirn haben müssen, bei dem Horst ihr doch vorgeworfen hat, dass sie ständig die Männerherzen bricht; und das in einer Art und Weise, die wirklich nicht in Ordnung ist. Carola, immerhin schon 39 Jahre alt, sollte doch schon etwas vernünftiger sein. Und ich, acht Jahre älter, doch nicht so realitätsfremd. Glaubte ich denn wirklich, dass jemand, der sich noch vor Kurzem wie ein unreifer Teenager verhalten hat, plötzlich in mir die große Liebe findet und damit ihre ganze Art sich Männern gegenüber zu verhalten plötzlich über Bord wirft? Ständige Wechselspiele, sich einem anderen an den Hals werfen, wenn man mit dem neuen Freund zu einer Fete eingeladen war. Normal ist das doch nicht. Da hatte Carola ein paar Stunden vorher zu einer anderen Frau gesagt, es wäre ihr ernst mit mir, und ich schwebte so im siebten Himmel, dass ich die Menetekel an der Wand wirklich nicht sah.

 

„Und sieh, und sieh, an weißer Wand, ........“

In der Woche nach dieser Hinterhofparty verbrachten wir beide viel Zeit miteinander, gingen spazieren, lagen am Kanal in der Sonne und fuhren an den Ostseestrand. Zwischendurch besuchte Carola in der Woche eine ehemalige Kollegin, die auch in ihrer Branche eine Praxis betrieb. Carola konnte dort, ihre Praxis war ja noch nicht eröffnet, und sie lebte daher von geliehenem Geld, etwas zu verdienen, in dem sie bei den Kassenabrechnungen half.

Als Carola von so einem Treffen bei der ehemaligen Kollegin abends nach Hause kam, fiel sie mir in die Arme und strahlte mich regelrecht an.

„Susanne“, das war ihre Freundin und ehemalige Kollegin, „ist völlig überrascht, dass ich hier mit dir jetzt schon seit mehr als einer Woche zusammenwohne.“

Ich schaute sie, sie immer noch in meinen Armen haltend, verwundert an. „Wieso?“

„Na ja, wenn ich sonst mit einem Freund zusammen war, bin ich schon in der zweiten oder dritten Nacht aus dem Bett geflohen.“

„......................Buchstaben aus Feuer, ........“

„Ding, ding, ding.“ Eine ganz kleine Alarmglocke meldete sich ganz vorsichtig in meinem Kopf. Aber nur leise und vorsichtig, ohne wirklich laut vor der Gefahr zu warnen.

„Wow, muss ich mir Sorgen machen?“ Ich schaute Carola doch ziemlich ernst ins Gesicht. „Muss ich damit rechnen, dass du mitten in der Nacht fluchtartig Bett und Wohnung verlässt, und ich plötzlich alleine aufwache?“

Sie kuschelte sich an mich: „Nein auf keinen Fall, ich fühle mich bei dir sauwohl. Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Ich finde es toll neben dir einzuschlafen und wach zu werden.“

Klingelingeling, Klingelingeling, Klingelingeling.

Puh – noch ein Grund, um die Alarmglocken in Bewegung zu setzen. Inzwischen hätten doch die gesamten Lübecker Altstadtkirchenglocken, in meinem Kopf Sturm läuten müssen. Der Streit mit Horst, dass sie immer….. . Ihr Geständnis, dass sie, während sie zusammen mit ihrem damaligen Freund bei einer Fete war, sich einem anderen an den Hals geworfen hat. Jetzt, dass sie angeblich wohl nie länger als drei Nächte, oft auch weniger, bei einem Mann aushalten konnte. Zumindest hatte Susanne bis jetzt immer den Eindruck gehabt, und Carola schien da ja nicht widersprechen zu wollen, dass es bis jetzt immer so war. Im Nachhinein muss ich sagen, dass meine Resistenz gegenüber den Einschlägen, die ich erfuhr, wirklich erschreckend war. Habe ich mir wirklich keine Fragen gestellt, oder wollte ich die Gefahr einfach nicht erkennen? Ich weiß es nicht.

„......., doch keiner verstand zu deuten die Flammenschrift an der Wand.“

Nun, die kleine leise Alarmglocke verstummte wieder, während Carola sich noch an mich schmiegte, und ehe ich den Glockenton wirklich ernsthaft registrierte. Wir verbrachten noch eine herrliche Woche zusammen, bevor Carola die Woche drauf, am Montag ganz früh, zurück nach Hannover fahren musste. Sie konnte jetzt in die Praxisräume hinein, da der Vormieter ausgezogen war. Es gab viel zu tun, um die Praxis einzurichten und dann zu eröffnen.

Ich dagegen musste am Dienstag zur ARGE, damit die Einzelheiten für meine Vermittlungsversuche nach Schweden besprochen werden konnten. Losgehen sollte das Projekt erst um den 10. September, aber an diesem Dienstag sollte das Grundsatzgespräch geführt werden, um abzuklären, wie die Förderung durchgeführt werden sollte. Wenn alles klappte, konnte ich, bevor das Projekt losging, sogar noch drei Wochen nach Schweden zum Wandern fahren. Kosten würde mich das nur die Zugfahrt, sollte das Wetter während der Wanderung schlecht sein, zwei oder drei Übernachtungen in Schutzhütten, und als Abschluss eine Übernachtung in der Fjällstation Saltoluokta. Ansonsten hatte ich mein Zelt mit, und da ich Verpflegung auch in Lübeck hätte kaufen müssen, würde der ganze Spaß nicht sehr teuer werden.

„Du hast es gut, du kannst nach Schweden fahren“, jaulte spaßeshalber Carola in der letzten gemeinsamen Nacht.

„Jeder so, wie er es verdient“, grinste ich, und drückte sie an mich. „Ich brauch das aber auch. Ich habe seit Jahren keinen Urlaub mehr gehabt. Und bis die Firma pleite ging, habe ich sechs Tage die Woche gearbeitet, hatte kaum Freizeit. Ich brauch den Urlaub, muss meinen Kopf freibekommen. Beim Wandern kann ich alles wieder sortieren und in die Schubladen packen.“

Carola schaute mit einem skeptischen Blick in meine Richtung.

Ich erklärte ihr, wie ich es ja auch bereits während unseres ersten Strandspazierganges, vor ca. drei Wochen angedeutet hatte, dass ich beim Wandern wunderbar abschalten konnte. Irgendwann fangen die Gedanken beim Wandern von ganz alleine an zu schweifen. Man muss sie nur laufen lassen. Dadurch wird alles, was sich so seit der letzten Wanderung, und die war ja bei mir nun schon einige Jahre her, in meinem Kopf angesammelt hat, durch sortiert, so als ob man einen großen Stapel ungeordneter Zettel sortiert und in die entsprechenden Schubladen abgelegt. Ist die Wanderung vorbei, habe ich immer das Gefühl, dass mein Kopf wieder richtig frei ist. Alles ist einsortiert oder, falls überflüssig, weggeschmissen.

Wandern macht den Kopf frei.

Carola fuhr am Montag also nach Hannover. Am nächsten Tag bekam ich eine SMS. „Ich vermisse dich.“

Ich strahlte über alle vier Backen. Das Leben ist schön.

Da Carola in den nächsten Wochen im Stress sein würde, hatten wir vereinbart, dass wir uns erst nach meiner Schwedenreise wieder treffen würden.

Als alles bei der ARGE geklärt war, ich sollte nach dem 10. September einen Supercrashkurs in Schwedisch bekommen, außerdem wollte sich die Auslandsabteilung des Arbeitsames direkt mit dem schwedischen „Arbetsförmedling“ in Verbindung setzen, eilte ich direkt zum Bahnhof und buchte die Zugverbindung nach Gällivare und zurück. Bereits zwei Tage später sollte ich mit dem Zug Richtung Norden fahren. Somit war heute und morgen noch einkaufen und packen angesagt. Alles sehr spontan, aber was soll´s. Jeder Tag zählte.

Am Sonntag, den 03. September musste ich spätestens wieder in Lübeck eintreffen. Am 04. September hatte ich den nächsten Termin bei der ARGE. Bis dahin sollten alle behördlichen Vorbereitungen abgeschlossen sein, damit dann am Montag darauf, das war dann der 11. September, alles beginnen konnte.

Mit meinen Zugtickets in der Hand eilte ich nach Hause, um Carola anzurufen, und ihr die ganzen Neuigkeiten zu erzählen. Das hörte sich doch alles sehr gut an. Die schwedischen Wirtschaftsverbindungen zu Deutschland wurden immer intensiver, und man war davon überzeugt, dass schwedische Unternehmen Leute suchten, die Deutsch als Muttersprache haben, um mit ihren deutschen Geschäftspartnern zu kommunizieren. Deutsche Sanitär- und Heizungsarmaturen waren in Schweden sehr beliebt, sodass gerade Baumärkte in Schweden enge Beziehungen zu Deutschland hatten.

Auch wenn sich das alles sehr toll anhörte, bekam ich langsam aber sicher einen Knoten in meinem Magen. Ich fühlte mich bei Carola wahnsinnig wohl. Sicher, wir waren erst zwei Wochen zusammen, und es wäre Wahnsinn, seine Zukunft darauf auszurichten. Aber dadurch, dass Schweden nun einmal als Arbeits- und Wohnort bei mir in Planung war, gab es da für mich inneren Konfliktstoff. Wäre das mit Carola ein halbes Jahr vorher passiert, wäre es ganz anders gewesen. Man hätte mehr Zeit gehabt, um sich kennenzulernen. Nun musste, da die Frage Schweden – Carola aufkam, aber eine Entscheidung getroffen werden, für die es eigentlich viel zu früh war. Und ich musste feststellen, dass ich für diese Entscheidung nicht bereit war. Ich konnte mich nicht gegen Schweden entscheiden. Aber ich wollte mich auch nicht gegen Carola entscheiden.

Trotz der Schmetterlinge im Bauch war die Lage, ganz simpel ausgesprochen, irgendwie beschissen.

Von zu Hause aus rief ich Carola an und erzählte ihr alles, was zu berichten war. Dass das alles gut aussah, so wie ich mir das vorgestellt habe, fand sie toll. Dass das Endergebnis, wenn alles klappte, so wie ich mir das vorstellte, bedeuten würde, dass ich nach Schweden ziehen musste, schien sie nicht zu belasten, oder sie ließ sich dazu nichts anmerken.

Erst als ich ihr sagte, dass ich wohl von einer richtigen Schwedin einen Crashkurs in Schwedisch bekommen würde, und so wie es bei der ARGE geklungen hatte, sogar als Einzelunterricht, kippte bei ihr, man hörte es regelrecht an ihrer Stimme, die Stimmung.

„Wehe du verliebst dich in sie.“

Das war nicht als Scherz gesagt. Da klang Panik mit. Das war

Eifersucht. Nicht einfach so gespielt, um einen zu necken. Nein, das war eindeutig ernst. Carola hatte wohl gleich eine blonde, schlanke Mittzwanzigerin im Kopf, und fühlte sich nicht konkurrenzfähig.

„Ej, nun mal keine Panik. Da passiert schon nichts.“

„Wer weiß, du hattest dich vor mir so lange nicht verliebt. Vielleicht willst du das jetzt alles nachholen.“

„In dem ich mich jetzt an dauernd neu verliebe?“

„Na ja, so ähnlich.“

Puh, ich war, auch wenn ich mir im Stillen eingestehen musste, dass ich es toll fand, dass sie wirklich ernsthaft eifersüchtig war, ganz schön platt. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Eine Lehrerin für Schwedisch. Es war nicht einmal geklärt, wie jung, wie alt, ob dick oder schlank, und ob, wie man sich Schwedinnen vorstellt, mit blonden Haaren.

„Wie kommst du denn auf so einen Quatsch? Ich weiß, dass ich mich selten verliebe. Wenn aber, dann gründlich. Und ich habe mich bereits gründlich verliebt, und bin wahnsinnig happy dabei. Da kann auch eine Schwedischlehrerin nichts daran ändern. Sollte die sich in mich verlieben, käme sie zu spät. Für die ist der Zug jetzt abgefahren.“

So mit der Zeit konnte ich Carola wieder beruhigen. Ich war verliebt, bis über beide Ohren und in die Haarspitzen. Und da konnte nun einmal auch eine Schwedischlehrerin nichts daran ändern. Komisch war das alles aber schon. Die Frage, was passiert, wenn mit der Jobvermittlung wirklich alles so klappt, wie ich mir das vorstellte, wurde nicht gestellt.

Einen Tag, bevor die Schwedenreise losgehen sollte, brachte ich am Vormittag noch die, während meiner Abwesenheit fällig werdenden Bücher zurück in die Bücherei. Mehr per Zufall, als bewusstes Interesse, schaute ich dort auf die Pinnwand, die in dem Vorraum der Bücherei an der Wand hing. Jemand bot eine neue, noch original verpackte Matratze, in der Größe 200 x 140 cm, zum Schnäppchenpreis an. Meine alte Matratze war nur 90 cm breit. 140 cm wären na klar toll, wenn Carola öfters bei mir übernachten würde. Ich schnappte mir den Zettel, eilte nach Haue und rief unter der Telefonnummer an. Ich hatte die Möglichkeit gleich vorbeizukommen. Sollte ich die Matratze kaufen, würde der Verkäufer sie auch zu mir nach Hause bringen. Ich steckte mir das notwendige Geld ein, und machte mich auf die Socken. Wir wurden uns einig und brachten gemeinsam die Matratze zu mir nach Hause. Dann noch schnell in die Stadt, ein entsprechendes Bettlaken kaufen, und Carola und ich konnten nach meinem Urlaub viel bequemer hier übernachten.

Nachdem mein neues Bett gerichtet war, schaute ich in meinen Computer. Ich hatte eine E-Mail von Carola, in der sie sich wahnsinnig entschuldigte.

„So, deine quakige Freundin schreibt dir noch, bevor sie total abstürzt. Die Nachbarn haben ihr Baby geholt, und als Dank für das Babysitten eine Flasche Rotwein dagelassen. Britta und ich trinken und kochen nebenbei. Das wird meist besonders lecker……

Ich wollte dir nur sagen, dass ich weiß, dass ich gerade recht jaulig bin. Dieses Nichtrauchen macht mich ziemlich weinerlich und raubt mir meine sonst fast immer gültige Gelassenheit. Ich finde es prima, dass das alles so klappt mit den Möglichkeiten. Die Frau Schulze lebe hoch, und die Ich-bring-dir-schwedisch-bei-Frau auch. Es kann nicht besser laufen, und ich kriege mich schon wieder sortiert, so eifersuchtsmäßig ….. ist offenbar eine Schwäche von mir.

Vergiss keine wichtigen Sachen einzupacken. Ich will dich am 03.09. wieder sehen. Dir einen schönen Abend, und ich esse jetzt mit der Weiber-Familie……. Sei allerliebst umärmelt!!!!! Und geküsst!!!

 

Deine Carola.“

Nachdem ich die E-Mail gelesen hatte, musste ich grinsen. Der Frau Schulze, das war die Sachbearbeiterin bei der ARGE, die mich in das Objekt „Profil 300“ eingeschleust hatte, wurde von Carola für ihre Tat Absolution erteilt, die Schwedin durfte mir Schwedisch beibringen, und Carola würde ihre Schwäche der Eifersucht schon wieder einkriegen.

Außerdem versuchte sie anscheinend mit dem Rauchen aufzuhören. Wegen mir? Ich war zwar Nichtraucher, hatte aber nie angesprochen, dass sie aufhören sollte. Sie hatte sogar in meiner Wohnung, ohne dass ich die Nase verzogen habe, rauchen dürfen. Allerdings, das muss ich zugeben, es war Sommer, und meine Fenster standen Tag und Nacht, um wenigstens einen kleinen erfrischenden Lufthauch, falls so etwas überhaupt bei den Außentemperaturen möglich war, zu erwischen. Und ich hatte angedeutet, dass bei Außentemperaturen, bei denen ich die Wohnung nicht auf Durchzug schalten konnte, mich es doch stören würde, wenn die Wohnung nach Rauch riecht. Das hatte Carola aber nicht gestört, da ihre jetzige Mitbewohnerin auch Nichtraucherin war, und Carola schon heutzutage in Hannover, sich zum Rauchen immer auf den Hausflur verkrümeln musste.

Aber nun schien sie mit dem Rauchen aufhören zu wollen. Auch wenn sie sich das in ihrem Leben vielleicht schon oft vorgenommen hatte, welcher Raucher tut das nicht, war ich wohl doch eine weitere Motivation, den Absprung von der Zigarette weg, zu versuchen.

Ich schickte ihr eine E-Mail zurück, schrieb darin, dass ich sie vermisse, mich darauf freue sie bald wiederzusehen, und schrieb von meiner neuen Matratze. Dann packte ich meinen Rucksack.

In der letzten Nacht vor der Schwedenfahrt schlief ich das erste Mal auf der neuen Matratze. So alleine auf ihr liegend, war sie ganz schön groß.

Am nächsten Tag sollte am späten Nachmittag mein Zug fahren. Der Rucksack war gepackt, der Beutel mit dem Reiseproviant auch. Die Frikadellen, es war bei mir Tradition, dass es als Reiseverpflegung selbst gebrutzelte Frikadellen gab, gebraten und eingepackt. Es konnte losgehen. Ich wartete nur noch auf den Zug, bzw. darauf, dass es Zeit wurde, zum Bahnhof zu gehen.

Ich hatte Lust endlich loszufahren. Allerdings war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich wirklich in das nordschwedische Fjäll wollte, oder nicht doch lieber nach Hannover. Carola fehlte mir.

Ich hatte noch Zeit, bis ich zum Bahnhof musste, schaltete daher noch einmal meinen Computer an und schaute in meine E-Mail-Box.

Es gab eine E-Mail von Carola.

„Sei zum Abschied noch ganz lieb umärmelt,

…….ich küsse und knuddel dich und halte mich an deiner Hand fest, auch wenn du gerade durch ferne Gegenden läufst …. Ich freue mich ganz doll darauf, dich wieder zu sehen, leuchtende Augen und dein Lachen, Haut an Haut mit dir … Bis bald …. Und nicht meine Schublade aufräumen, zuschließen und den Schlüssel wegwerfen .…. Bis dann, deine Geliebte.“

Wow, das saß. So was liest man doch gerne. Da strahlte und klopfte das Herz. Aber wieso war ich nur so bescheuert gewesen, meinen Urlaub, oder genauer, meine „genehmigte Abwesenheit vom Wohnort“, in Schweden verbringen zu wollen? Hannover war sicher keine tolle Stadt, aber sie hatte eine Sehenswürdigkeit in ihren Mauern, die man ständig ansehen und in den Armen halten konnte, ohne sich woanders hinzuwünschen.

Ich bekam immer mehr Lust Zug zu fahren. Aber nach Norden? Da war ich mir nicht mehr so sicher.

Und Carola hatte sich daran erinnert, dass ich ihr gesagt habe, dass ich die Wanderung benötige, um meinen Kopf freizubekommen. Das Chaos der letzten Jahre mit meiner Firma, die ja dann mit einem Konkurs in die ewigen Wirtschaftsjagdgründe gegangen war, und einiges andere noch im Kopf aufzuräumen, in Schubladen einzusortieren, oder wegzuschmeißen. Auch wenn, nach meiner Firmenpleite, Carola sicher das größte Chaos war, was in meinem Schädel herumgeisterte, hatte ich nicht vor, sie auszusortieren und zu entfernen.

Ich schrieb ihr noch schnell eine E-Mail.

„Ich sehne mich auch nach dir, auch deine nackte Haut zu spüren, dich auf die Nase, Mund, Brüste, Bauchnabel und (…..) zu küssen.“

Da erspare ich mir hier weitere Details; es soll hier ja jugendfrei bleiben.

Weiter schrieb ich noch: „Über deine Schublade brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie ist abgeschlossen, der Schlüssel ist weggeschmissen. Ich habe nur ein kleines Loch gelassen, um hineinzuschauen und Neues hinein zu stopfen. Aber etwas heraus ziehen, das geht nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in die falsche Richtung fahre.“

Ich hatte damals wirklich eine tolle E-Mail von Carola erhalten. Und dass sie mit dem Rauchen aufhören wollte, rechnete ich schon, zumindest zum Teil, ihren Gefühlen mir gegenüber an. Auch wenn das Thema Zukunft in Schweden nur ab und zu, wie ich ja bereits geschrieben habe, indirekt erwähnt, konkret aber bis jetzt beiseite geschoben wurde, konnte ich die Möglichkeit, die mir das Projekt „Profil 300“ ermöglichte, nicht einfach verstreichen lassen, oder darum bitten, die Sache um sechs Monate nach hinten zu schieben. Es musste eine Entscheidung fallen, dringend, bevor ich am 11. September wieder zur ARGE musste. Ich weiß es nicht mehr, aber vielleicht wollte ich auch mit Ruhe durch das schwedische Fjäll wandern, um meinen Kopf klar zu bekommen, und vielleicht eine Lösung oder Entscheidung dort treffen. Befürchtete Carola genau das, als sie mich aufgefordert hat, die Schublade „Carola“ in meinen Kopf nicht auszuräumen? Die Wanderung verschaffte mir die nötige Ruhe, darüber nachzudenken. Ich wollte weder auf meine Zukunftschancen in Schweden verzichten noch auf Carola.

Kurz vor 19:00 Uhr stieg ich in den Euro-City der dänischen Staatsbahn, und fuhr Richtung Kopenhagen, mit großer Vorfreude auf Schweden, auf das nordschwedische Fjäll, die Wanderung, sich abends einen schönen Platz an einem See oder Bach zum Zelten zu suchen, vor dem Zelt, auf dem Rucksack sitzend zu kochen, die Landschaft und Ruhe zu genießen, die Seele und die Gedanken baumeln zu lassen, und irgendwann in den Schlafsack zu kriechen.

Aber gleichzeitig, während ich mich auf das Fjäll freute, war mir bewusst, dass ich mich mit dem Zug immer weiter von Carola entfernte.

Spät abends kam ich in Kopenhagen an. Der X-2000 nach Stockholm sollte erst am nächsten Vormittag fahren, und da der Bahnhofssaal von Kopenhagen um Mitternacht abgeschlossen wurde, ging ich über einen Nebeneingang auf den Bahnsteig, von dem der X-2000 losfahren sollte. Dort legte ich mich auf eine Bank und dachte, vor mich hin dösend, an Carola. So richtig fest schlafen wollte ich hier nicht. Es war sicher kein Problem im schwedischen Fjäll an einem Baum oder Stein liegend, eine Runde zu schlafen, aber auf einem Bahnsteig von Kopenhagen war das sicher nicht gerade empfehlenswert. Wäre ich statt nach Kopenhagen in Richtung Hannover gefahren, würde ich jetzt neben Carola liegen, ohne vorsichtig ein Auge halb offen zu halten, um zu schauen, ob jemand gedenkt, vielleicht über mich herzufallen.

Und selbst wenn in Hannover Carola mitten in der Nacht über mich herfallen würde, wäre es sicher etwas anderes gewesen, als das, was mich hier in der Nacht, auf einen leeren Bahnsteig erwarten konnte.

Obwohl ich nicht geschlafen hatte, fühlte ich mich am nächsten Morgen richtig wohl und fit, als der Zug auf meinem Bahngleis einlief. Eine Dusche wäre nicht schlecht gewesen, aber es war nicht so schlimm, dass ich ohne Dusche negativ auffallen würde.

Im Zug nach Stockholm döste ich ein bisschen Schlaf nachholend, während ich aus dem Fenster die Landschaft bewunderte. Auch wenn ich noch nicht sehr weit nördlicher von Lübeck war, wurde es doch schon sehr viel urwüchsiger, schwedischer da draußen.