Buch lesen: «Europarecht», Seite 31

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IV. Tätigkeitsfelder

734

Der Europarat agiert auf primär drei Tätigkeitsfeldern, die mit den Schlagworten „Menschenrechte“ (Rn. 735 ff.), „Rechtsstaatlichkeit“ (Rn. 743 ff.) und „Demokratie“ (Rn. 750) benannt sind.

1. Menschenrechte

735

Das menschenrechtliche Monitoring gehört zu den Kernkompetenzen des Europarates. Neben den spezifischen monitoring bodies haben auch die Hauptorgane (Ministerkomitee, Parlamentarische Versammlung) jeweils eigene Monitoring-Verfahren entwickelt. Dies erfolgte in erster Linie als Reaktion auf die „Osterweiterung“ des Europarats nach dem Ende des Kalten Krieges, da hier Mitgliedstaaten der Organisation beitraten, welche die menschenrechtlichen Anforderungen noch nicht voll erfüllten.

736

Sowohl in der öffentlichen Sichtbarkeit als auch in der praktischen Wirksamkeit kann die Arbeit des EGMR gar nicht überschätzt werden. Mit der Kombination von gerichtlicher Entscheidung und anschließender Überwachung der Urteilsumsetzung durch das Ministerkomitee (Art. 46 Abs. 2 EMRK) ist ein Mechanismus geschaffen worden, der die effektive Durchsetzung menschenrechtlicher Gewährleistungen im Einzelfall ermöglicht. Die damit einhergehende Anziehungskraft des Beschwerdeverfahrens hat den EGMR zeitweise in eine existenzbedrohende Lage (mit über 160.000 anhängigen Beschwerden) gebracht. Auch wenn die größte Bedrohung des Systems vorerst gebannt zu sein scheint, bleibt eine langfristige Reform des Gerichtshofs eine zentrale Aufgabe.

737

„Schwesterkonvention“ zur EMRK ist die Europäische Sozialcharta von 1961 (Sart. II Nr. 115). Sie basiert noch stark auf dem für menschenrechtliche Verträge typischen Staatenberichtsverfahren. 1996 ist die revidierte Sozialcharta (ETS No. 163) geschaffen worden, die umfassendere Rechte gewährt. Sie ist von der Bundesrepublik Deutschland allerdings bislang nicht ratifiziert worden. Eine Reform des Überwachungsmechanismus sollte durch das sog. Turiner Protokoll von 1991 (ETS No. 142) bewirkt werden. Das Protokoll ist bis heute nicht in Kraft getreten, wesentliche Bestimmungen werden allerdings vorläufig angewendet (Art. 25 WVK). Durch das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden von 1995 (ETS No. 158) ist ein Überwachungsmechanismus geschaffen worden, der zwar nicht einzelnen Individuen den Zugang zum Europäischen Ausschuss für soziale Rechte (einem Expertengremium) ermöglicht. Stattdessen können jedoch internationale Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen wegen konventionswidriger Situationen eine Beschwerde vorbringen. Die „Entscheidungen“ des Sozialausschusses sind rechtlich gesehen nicht bindend, haben aber einen wesentlichen Beitrag zur Auslegung der Sozialcharta geleistet. Ein besonderes Merkmal der Europäischen Sozialcharta ist schließlich der sog. à la carte approach: Mit der Ratifikation der Charta verpflichtet sich ein Staat nicht automatisch zur Gewährleistung sämtlicher darin enthaltener Sozialrechte. Vielmehr müssen die Staaten lediglich eine gewisse Mindestanzahl an Rechten akzeptieren. Welche das sind, entscheiden sie selbst.

738

Das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Antifolterkonvention) von 1987 (Sart. II Nr. 140) knüpft begrifflich an die Gewährleistung aus Art. 3 EMRK an. Der Antifolterkonvention geht es demgemäß nicht um die Etablierung neuer inhaltlicher Standards, sondern um eine adäquate Antwort auf die bei Folter gegebene besondere Gefährdungslage: Der Beschwerdemechanismus der EMRK ermöglicht immer erst ein Einschreiten, nachdem es zur Rechtsverletzung gekommen ist. Da die physischen und psychischen Folgen bei Folter besonders lang andauernd sind, sieht die Antifolterkonvention einen Mechanismus vor, um zu verhindern, dass es überhaupt zu Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung kommt. Instrument hierfür sind Vorortbesuche durch das Antifolterkomitee (CPT), indem die Vertragsstaaten den Experten Zutritt zu ihrem Hoheitsgebiet sowie „unbeschränkten Zugang zu allen Orten, an denen sich Personen befinden, denen die Freiheit entzogen ist“ (Art. 8 Abs. 2 Buchst. c Antifolterkonvention), gewähren (z.B. Justizvollzugsanstalten oder psychiatrische Einrichtungen). Nach dem Besuch erstellt das CPT einen zunächst vertraulichen Bericht, der mit Zustimmung des betroffenen Staates jedoch veröffentlicht werden kann.

739

Dem Schutz nationaler Minderheiten dienen zwei Europaratskonventionen: das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995 (Sart. II Nr. 120) sowie die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Sart. II Nr. 121). Der Ausdruck „Rahmenübereinkommen“ deutet schon darauf hin, dass die Vertragsstaaten in diesem politisch sensiblen Bereich nur sehr eingeschränkt bereit waren, völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen. Die Festlegung der nationalen Minderheiten überlässt das Rahmenübereinkommen zudem weitgehend den Vertragsstaaten, die insoweit einer nur eingeschränkten Überwachung durch den sog. Beratenden Ausschuss (Advisory Committee) unterliegen. Die Charta verfolgt ihrerseits weniger ein menschenrechtliches als vielmehr ein sprachenspezifisches Konzept. Beide Übereinkommen sehen einen Monitoring-Mechanismus vor.

740

Zwei jüngere menschenrechtliche Konventionen sind die Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels von 2005 (BGBl. 2012 II S. 1107) sowie die sog. Istanbul-Konvention von 2011 (BGBl. 2017 II S. 1026), die auf die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt abzielt. Beide Konventionen sehen spezifische Monitoring-Verfahren vor eigenen Institutionen (GRETA sowie GREVIO) vor.

741

Nicht auf einen völkerrechtlichen Vertrag, sondern auf eine Entschließung des Ministerkomitees stützt sich der Kampf des Europarates gegen Rassismus und Intoleranz. Durch die Entschließung Res (2002) 8 wurde die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) gegründet. Ähnlich wie beim CPT führt ECRI Vorortbesuche durch, die dann in entsprechende Empfehlungen münden.

742

Der Überblick über die menschenrechtlichen Aktivitäten des Europarats darf die Arbeit des Kommissars für Menschenrechte nicht ignorieren. Geschaffen wurde diese Institution im Jahr 1999 durch eine Entschließung des Ministerkomitees (Res [99] 50) als eine „non-judicial institution to promote education in, awareness of and respect for human rights, as embodied in the human rights instruments of the Council of Europe“ (Art. 1 Abs. 1).

2. Rechtsstaatlichkeit

743

Die Venedig-Kommission (offizieller Titel: „Europäische Kommission für Demokratie durch Recht“) wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als ein Organ geschaffen, das primär die neu entstandenen Demokratien in Mittel- und Osteuropa in verfassungsrechtlichen Fragen beraten sollte. Mittlerweile hat die Venedig-Kommission die Fokussierung auf diese Staaten längst aufgegeben. Vielmehr erarbeitet sie Stellungnahmen zu aktuellen Vorhaben (z.B. Gesetzentwürfen in einzelnen Mitgliedstaaten) auf der Grundlage rechtsvergleichender Standards – letztlich damit auf der Grundlage von soft law. Die Aktivitäten der Kommission reichen weit über den Europarat hinaus, denn neben allen 47 Europaratsstaaten gehören der Kommission auch 14 nichteuropäische Staaten an. Rechtsgrundlage ist ein sog. Erweitertes Abkommen (Enlarged Agreement).

744

Auf einem Erweiterten Abkommen basiert ebenfalls die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO), der neben allen Europaratsstaaten noch Weißrussland sowie die USA angehören. GRECO funktioniert nach einem System gegenseitiger Evaluierung sowie von peer pressure im Bereich der Korruptionsbekämpfung.

745

Die Gruppe zur Zusammenarbeit in Sachen Bekämpfung von Drogenmissbrauch und illegalem Handel mit Rauschgiften (sog. Pompidou-Gruppe) wurde 1971 auf Initiative des damaligen französischen Präsidenten gegründet. Sie basiert heute auf einem Erweiterten Teilabkommen, d.h. neben etlichen (nicht allen) Europaratsstaaten gehören der Gruppe auch nichteuropäische Staaten wie Israel oder Mexiko an. Insgesamt hat die Gruppe derzeit 39 Mitglieder. Sie unterhält enge Kontakte zu anderen Organisationen im Kampf gegen Drogenmissbrauch sowohl auf EU- als auch auf UN-Ebene.

746

Auf das Übereinkommen des Europarats über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus von 1990 (BGBl. 1998 II S. 519) stützt sich die Tätigkeit des Expertenausschusses für die Bewertung von Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (MONEYVAL). Es funktioniert ähnlich wie GRECO auf der Basis von gegenseitigen Evaluierungen sowie peer pressure.

747

Zwei weitere Institutionen aus dem Bereich des Kampfes gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität sollen hier noch genannt werden: Einerseits der Expertenausschuss für Terrorismus (CODEXTER) als ein Unterorgan des Ministerkomitees sowie andererseits das T-CY Committee, das die Cybercrime-Konvention (Übereinkommen des Europarates über Computerkriminalität oder Budapest-Konvention) von 2001 (BGBl. 2008 II S. 1242) fortentwickelt.

748

Die Datenschutzkonvention von 1981 (Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, BGBl. 1985 II S. 538) ist der erste völkerrechtlich bindende Vertrag im Bereich des Datenschutzes. Als sog. offenes Übereinkommen steht die Konvention nicht nur den Mitgliedstaaten des Europarats, sondern auch nichteuropäischen Staaten offen. Mit insgesamt 53 Vertragsstaaten ist sie außergewöhnlich erfolgreich. Im Mai 2018 wurde ein Protokoll verabschiedet (CETS No. 223), durch das die Datenschutzkonvention modernisiert, insbesondere auf den EU-Standard der Datenschutz-Grundverordnung angehoben werden soll.

749

Einen besonders innovativen Ansatz verfolgt die Kommission für die Effizienz der Justiz (CEPEJ). Ihre Arbeit basiert auf der Auswertung statistischer Daten, um einen Vergleich der sehr unterschiedlichen Justizsysteme im Hinblick auf ihre Effizienz zu ermöglichen. Diese Ergebnisse werden u.a. auch von der → Europäischen Kommission herangezogen.

3. Demokratie

750

In der demokratischen „Säule“ stehen naturgemäß die Tätigkeiten von Parlamentarischer Versammlung sowie KGRE im Vordergrund. Darüber hinaus fallen etwa die Aktivitäten des Europarates zur Bewahrung des gemeinsamen kulturellen Erbes oder zur Förderung der grenzüberschreitenden Kooperation in diesen Bereich.

E › Europarat (Marten Breuer) › V. Verhältnis zur Europäischen Union

V. Verhältnis zur Europäischen Union

751

Solange sich die Integration i.R.d. Europäischen Gemeinschaften im Wesentlichen auf die Wirtschaftsintegration beschränkte, war das Überschneidungspotential mit dem Europarat vergleichsweise gering. Diese Situation hat sich heute grundlegend gewandelt. Das führt teilweise dazu, dass Europarat und Europäische Union rivalisierende Interessen verfolgen. Überwiegend gestaltet sich die Kooperation jedoch positiv, da zum einen die EU die besondere Expertise des Europarates anerkennt, zum anderen der Europarat etwa zur Realisierung konkreter Projekte auf Unterstützung durch die EU angewiesen ist. Formale Grundlage für die Zusammenarbeit ist heute das Memorandum of Understanding von 2007.

E › Europarat (Marten Breuer) › VI. Bewertung

VI. Bewertung

752

Angesichts der schwachen institutionellen Ausstattung in der Europaratssatzung beeindruckt die Fähigkeit der Organisation, auf neue Herausforderungen passgenaue Mechanismen und Antworten zu entwickeln. Diese insgesamt positive Bilanz soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Europarats – insbesondere im Vergleich zur Europäischen Union – sehr begrenzt sind. Der Europarat arbeitet vornehmlich mit weichen Mitteln wie Dialog und Kooperation, weniger mit rechtlich bindenden Mechanismen. Hervorstechende Ausnahme in dieser Hinsicht ist die EMRK, was letztlich die Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR unterstreicht. Die übrigen, hier nur sehr knapp skizzierten Mechanismen sollten aber keinesfalls gering veranschlagt werden, denn sie tragen letztlich zu einem internationalen standard setting bei.

E › Europarecht: Begriff (Stephan Hobe)

Europarecht: Begriff (Stephan Hobe)

I.Begriff753

II.Europarecht im engeren Sinne754 – 758

III.Europarecht im weiteren Sinne759, 760

Lit.:

H. Mosler, Begriff und Gegenstand des Europarechts, ZaöRV 28 (1968), 481; W. Obwexer, Die Vertragsschlusskompetenzen und die vertragsschlussbefugten Organe der Europäischen Union, EuR 47 (2012, Beiheft 2), 49; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, 7. Aufl. 2000; M. Wendel, Der EMRK-Beitritt als Unionsrechtsverstoß – Zur völkerrechtlichen Öffnung der EU und ihren Grenzen, NJW 68 (2015), 921.

E › Europarecht: Begriff (Stephan Hobe) › I. Begriff

I. Begriff

753

Unter Europarecht wird das Staaten und europäische Internationale Organisationen verbindende und von ihnen geschaffene Recht verstanden. Dabei ist zu unterteilen in Europarecht im engeren Sinne einerseits (Rn. 754–758) und Europarecht im weiteren Sinne andererseits (Rn. 759 f.). Europarecht im engeren Sinne bezeichnet das Recht der Europäischen Union sowie der → Europäischen Atomgemeinschaft (EAG). Das Europarecht im weiteren Sinne umfasst darüber hinaus das Recht der anderen europäischen Internationalen Organisationen.

E › Europarecht: Begriff (Stephan Hobe) › II. Europarecht im engeren Sinne

II. Europarecht im engeren Sinne

754

Das Europarecht im engeren Sinne, seit dem Vertrag von Lissabon aus dem Jahre 2009 das Recht der Europäischen Union, wird im Wesentlichen verstanden als das durch seine unmittelbare Anwendbarkeit (EuGH, Urt. v. 5.2.1963, 26/62 – van Gend & Loos –, S. 24 ff.) und den → Anwendungsvorrang des EU-Rechts (EuGH, Urt. v. 15.7.1964, 6/64 – Costa/E.N.E.L. –, S. 1269 ff.) gekennzeichnete supranationale Recht, das den Kern der EU darstellt. Der Bereich der → Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (Art. 23–41 EUV) ist demgegenüber im Wesentlichen gekennzeichnet durch das koordinierte Handeln im außen- und sicherheitspolitischen Bereich bei Wahrung der Souveränität der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 34, 46 EUV). Wesentlich ist auch, dass der Gerichtshof der Europäischen Union (→ Gerichtssystem der EU) mit Ausnahme des Falles des Art. 275 UAbs. 2 AEUV in diesem Bereich nicht zuständig ist.

755

Das europäische Unionsrecht ist zum einen in das → Primärrecht, zum anderen in das → Sekundärrecht und schließlich in die internationalen Verträge der EU zu untergliedern. Das Primärrecht geht dabei zurück auf den 1951 geschlossenen Vertrag über die → Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) sowie die beiden 1957 in Rom geschlossenen Verträge über die → Europäische Atomgemeinschaft (EAG) und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), deren Organe 1977 durch den sog. Fusionsvertrag zusammengelegt wurden. Das Primärrecht wurde sukzessive weiterentwickelt, so etwa 1986 durch die Einheitliche Europäische Akte, 1992 durch den Vertrag von Maastricht, 1997 durch den Vertrag von Amsterdam, 2001 durch den Vertrag von Nizza und schließlich 2007 durch den Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft getreten ist (dazu ausführlich → Europäische Union: Geschichte).

756

Mit Auslaufen des 50 Jahre dauernden Vertrages ist die EGKS im Jahre 2001 untergegangen. Hingegen bestehen die beiden anderen Organisationen fort.

757

Kernstück des europäischen Unionsrechts ist das Recht zur Schaffung des europäischen → Binnenmarktes. In diesem stellen neben der → Zollunion (Abschaffung der Binnenzölle und Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls) die Grundfreiheiten (→ Grundfreiheiten: Allgemeine Lehren) in Form der → Warenverkehrsfreiheit, der → Arbeitnehmerfreizügigkeit, der → Niederlassungsfreiheit, der → Dienstleistungsfreiheit sowie der → Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit das Fundament dar. Darüber hinaus flankieren Regelungen zum Wettbewerbsrecht in Form des Kartellrechts (→ Kartellverbot) und des → Beihilfenrechts sowie besondere Bestimmungen zur an Aufnahmekriterien geknüpften → Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) spezielle Sachbereiche der europäischen Wirtschaftsordnung. Basierend auf dem → Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und gestützt auf eine sog. Abrundungskompetenz nach Art. 352 AEUV muss sich die Union bei ihrem Tätigwerden jeweils auf eine spezielle Rechtsgrundlage berufen. Freilich soll nach dem → Grundsatz der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 3 EUV) die Union nur dann tätig werden, wenn eine unionseinheitliche Regelung erforderlich ist und gemeinsam die Ziele der geplanten Maßnahmen besser erreicht werden können.

758

Ganz maßgeblich sind zudem die auf der Grundlage des Primärrechts von den Organen der Europäischen Union (→ Organe und Einrichtungen) oder der EAG erlassenen → Rechtsakte, das sog. Sekundärrecht. Es besteht gem. Art. 288 AEUV aus → Verordnungen (allgemeinen Regelungen mit unmittelbarer innerstaatlicher Geltung), → Richtlinien (mit allgemeiner Geltung, die von den Mitgliedstaaten innerhalb einer bestimmten Frist mit den Mitteln ihrer Wahl in staatliches Recht umgesetzt werden müssen) und → Beschlüssen (verbindliche Einzelfallregelungen, die für den darin bestimmten Adressaten verbindlich sind). Darüber hinaus sind → Empfehlungen und Stellungnahmen rechtlich nicht verbindlich. Diese Rechtsakte werden in den dafür vorgesehenen Verfahren verabschiedet (dazu ausführlich → Rechtsetzungsverfahren).

E › Europarecht: Begriff (Stephan Hobe) › III. Europarecht im weiteren Sinne

III. Europarecht im weiteren Sinne

759

Demgegenüber schließt das Europarecht im weiteren Sinne, neben dem Europarecht im engeren Sinne, auch das Recht anderer europäischer Internationaler Organisationen ein. In allererster Linie ist hiermit der → Europarat mit der → Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie der Europäischen Sozialcharta (ESC) angesprochen. Darüber hinaus sind die → Europäische Freihandelszone (EFTA) sowie die Regelungen des → Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ), das Europäische Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR), das → Schengener Abkommen, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (s. dazu → Internationale Kooperationspartner) und bis zu ihrer Auflösung 2010 auch die Westeuropäische Union (WEU) dazu zu zählen.

760

Das Europarecht im weiteren Sinne zeichnet sich durch seine völkerrechtlich-intergouvernementale Natur aus. Es hat also keinen Durchgriffscharakter wie das supranationale Europarecht im engeren Sinne (→ Supranationalität). Freilich rückt etwa die Europäische → Grundrechtecharta durch ihren Einbezug in Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV in den Status von Unionsprimärrecht. Gem. Art. 6 Abs. 2 EUV wird die Union zum Beitritt zur EMRK aufgefordert; ein Gutachten des → Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (Gutachten 2/13 v. 18.12.2014 – EMRK-Beitritt –) hat indes gegen einen solchen Beitritt durchgreifende europarechtliche Bedenken geltend gemacht.

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2130 S. 1 Illustration
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9783811475106
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