Buch lesen: «Handbuch des Strafrechts», Seite 34

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b) Systematik und Deliktsnatur

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§ 316a Abs. 1 StGB enthält den Grundtatbestand, § 316a Abs. 2 StGB eine Strafrahmensenkung für (unbenannte) minder schwere Fälle und § 316a Abs. 3 StGB seit dem 6. StrRG (Rn. 20) eine Erfolgsqualifikation.

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Die Deliktsnatur des § 316a StGB ist nach der Neufassung der Norm durch das 6. StrRG (Rn. 20) umstritten. Bis dahin war § 316a StGB ein echtes Unternehmensdelikt (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB), mit der Folge, dass Versuch und Vollendung gleichgestellt waren. Nach dem 6. StrRG wurde die Tatmodalität des „Unternehmens“ des Angriffs durch die des „Verübens“ des Angriffs ersetzt.[399] Damit sollte die Vollendungsstrafbarkeit hinausgeschoben werden;[400] ein Angriffsversuch reicht hierfür nun nicht mehr aus. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit einer tätigen Reue gemäß § 316a Abs. 2 StGB a.F. als überflüssig im Hinblick auf die Rücktrittsregeln des § 24 StGB gestrichen.[401] Die von der Literatur aus dieser Umgestaltung gezogenen Schlussfolgerungen sind uneinheitlich. Sie reichen von der Einordnung als unechtes Unternehmensdelikt über ein Tätigkeitsdelikt mit überschießender Innentendenz bis hin zu einem Erfolgsdelikt.[402] Nach einer Ansicht handelt es sich nunmehr zwar nicht um ein formales, aber um ein unechtes Unternehmensdelikt.[403] Dafür spricht der Wortlaut („einen Angriff verübt“), der nahelegt, dass auch Versuchshandlungen als tatbestandlicher Angriff gedeutet werden können. Dagegen kann allerdings eingewandt werden, dass auch ein Versuch des § 316a StGB nach den allgemeinen Regeln des § 23 Abs. 1 StGB möglich ist. Zudem vermag die Bezeichnung als „unechtes Unternehmensdelikt“ letztlich nichts über die Deliktsstruktur auszusagen.[404] Nach a.A. handelt es sich nunmehr um ein Erfolgsdelikt mit überschießender Innentendenz.[405] Der Erfolg könnte in dem tatsächlich verübten (nicht unbedingt gelungenen) Angriff gesehen werden. Dem ist jedenfalls dann nicht zuzustimmen, wenn man unter Erfolgsdelikten solche Delikte versteht, bei denen der Erfolg in einer von der Täterhandlung räumlich und zeitlich getrennten Verletzungs- oder Gefährdungswirkung liegt.[406] Die Ansicht, die § 316a StGB als Erfolgsdelikt ansieht, vermischt Tathandlung und -erfolg; eine tatsächliche Beeinträchtigung von Leib, Leben, Entschlussfreiheit oder dem Straßenverkehr bzw. eine konkrete Gefahr für diese Schutzgüter ist gerade nicht erforderlich.[407]

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Nach zutreffender Ansicht handelt es sich bei § 316a StGB um ein Tätigkeits- und Absichtsdelikt.[408] Die Vorschrift ist ein Tätigkeitsdelikt, weil die Tatbestandserfüllung mit dem letzten Handlungsakt, dem Angriff auf die genannten Schutzgüter, eintritt.[409] Sie ist ein Absichtsdelikt, weil die subjektive Intention des Täters über den objektiven Tatbestand hinaus auf einen weitergehenden Erfolg gerichtet sein muss.[410] Es handelt sich um ein „Tätigkeitsdelikt mit überschießender Innentendenz“[411] und hierbei wiederum um ein unvollständig zweiaktiges Delikt, da der zusätzliche Erfolg durch weitere (räuberische) Handlungen herbeigeführt werden soll.[412] Aus dieser Einordnung ergeben sich Folgen für den Beginn der Strafbarkeit und die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 StGB (Rn. 149).

3. Geschützte Rechtsgüter

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Aus der Rechtsgutsbestimmung ergeben sich im Rahmen einer an der systemimmanenten Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs orientierten teleologischen Auslegung Konsequenzen im Hinblick auf die aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene restriktive Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale.[413] Geschützte Rechtsgüter sind nach unumstrittener Ansicht zunächst Individualrechtsgüter des Opfers, nämlich Eigentum sowie das Vermögen auf der einen Seite und das Leben, die körperliche Unversehrtheit sowie die Willensentschließungsfreiheit auf der anderen Seite.[414]

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Streitig ist, ob auch die Kollektivrechtsgüter Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer bzw. genauer die Funktionsfähigkeit des Straßenverkehrs geschützt sind.[415] Die h.M. bejaht dies zu Recht.[416] Dafür spricht die systematische Stellung bei den gemeingefährlichen Straftaten des 28. Abschnitts sowie der Wortlaut der Norm („die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt“).[417] Außerdem sind die (sich auch in der systematischen Stellung des § 316a StGB niederschlagenden) Vorstellungen des historischen Gesetzgebers zu berücksichtigen, wonach § 316a StGB „auf der Nahtstelle zwischen den Vermögens- und den Verkehrsdelikten“ liege.[418] Zudem lässt sich die im Vergleich zu Vermögensdelikten sehr hohe Mindeststrafe bei gleichzeitiger Vorverlagerung der Strafbarkeit nur bei der – auch vom Gesetzgeber gewollten – Einbeziehung der Kollektivrechtsgüter legitimieren.[419] Eine Ansicht in der Literatur vertritt demgegenüber, dass ausschließlich der Schutz des Eigentums und des Vermögens intendiert sei.[420] Der Kraftverkehr werde lediglich reflexartig geschützt. Dafür spreche der Umstand, dass eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs nicht notwendig sei. Allerdings zeigt das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 316 StGB, dass es auf eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs nicht ankommen kann. Diese auf Vermögens- und Eigentumsschutz beschränkte Ansicht führt zu einer Strafbarkeitsausweitung, etwa im Hinblick auf Angriffe gegenüber Personen, die sich im Fahrzeuginnern befinden, ohne dass sie ihr Fahrzeug bereits in Bewegung gesetzt haben.[421] Die besseren Gründe sprechen also dafür, mit der h.M. den Schutz des Straßenverkehrs als „tragenden Teil der Unrechtskonzeption“[422] anzusehen.

4. Voraussetzungen des § 316a StGB

a) Überblick

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Der objektive Tatbestand des § 316a StGB setzt voraus, dass der Täter einen Angriff auf Leib, Leben oder (Willens-)Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Subjektiv muss neben Vorsatz die Absicht i.S.e. überschießenden Innentendenz vorliegen, einen (qualifizierten) Raub, (qualifizierten) räuberischen Diebstahl oder eine (qualifizierte) räuberische Erpressung (§§ 249, 250, 252, 255 StGB) zu begehen.

b) Täter

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Täter des § 316a StGB kann jedermann („wer“) sein, sowohl ein Außenstehender als auch der Fahrer gegenüber dem Mitfahrer oder umgekehrt.[423] Wenn der Fahrer der Täter ist, ist aber besonders sorgfältig zu prüfen, ob er die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt.

c) Verüben eines Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlussfreiheit (Tathandlung)

aa) Angriff

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Angriff[424] ist jede gegen Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des Opfers gerichtete feindselige Handlung.[425] Damit genügt die schlichte intentionale Angriffstätigkeit; es ist nicht erforderlich, dass ein Verletzungserfolg eintritt.[426] Maßgeblich ist somit die Finalität des Angriffshandelns.

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Strittig ist aber, ob darüber hinaus eine Einwirkung auf das Opfer erforderlich ist. Die Rspr. fordert beispielsweise bei Angriffen gegen die Entschlussfreiheit eine Einwirkung auf diese,[427] mit der Konsequenz, dass der nötigende Charakter einer gegen die Entschlussfreiheit gerichteten Handlung vom Opfer wahrgenommen werden muss.[428] Eine Einwirkung wird auch von einem Teil der Literatur vorausgesetzt.[429] Die hiermit angestrebte Einschränkung, insbesondere bei Angriffen auf die Entschlussfreiheit, lässt sich sachgerecht auch über das Merkmal des „Verübens“ (Rn. 108) bzw. „Ausnutzens“ erreichen. Nach einer a.A. soll entscheidend sein, ob das Verhalten objektiv geeignet ist, Leib, Leben oder Entschlussfreiheit zu beeinträchtigen.[430] Damit werden – den Tatbestand einschränkend – untaugliche, also von vornherein objektiv ungefährliche Angriffsformen nicht erfasst.[431] Zudem wird dem Täter die Rücktrittsoption möglichst lange offen gehalten. Dagegen wird zu Recht argumentiert, dass der Begriff des Angriffs tätigkeitsbezogen ist und vom Wortlaut auch objektiv ungefährliche Verhaltensweisen einbezogen sind.[432] Eine Restriktion lässt sich aber wiederum über die Merkmale „Verüben“ und „Ausnutzen“ erreichen.[433]

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Der Angriff muss sich nach dem Wortlaut nicht bereits gegen das Eigentum oder Vermögen richten.[434] Er muss deshalb nicht mit der geplanten Raubtat zusammenfallen.[435] Nach zutreffender Ansicht muss der Angriff nicht abgeschlossen sein.[436]

bb) Verüben

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Bei § 316a StGB handelt es sich um kein Erfolgs-, sondern um ein Tätigkeitsdelikt, bei dem die Tatbestandsvollendung mit dem letzten Handlungsakt, dem Verüben eines Angriffs auf die genannten Schutzgüter, zusammenfällt (Rn. 98). Anders als nach § 316a StGB a.F. muss der Angriff nicht „unternommen“, sondern „verübt“ worden sein. Verüben ist das Ausführen des Angriffs, nicht aber das unmittelbare Ansetzen hierzu.[437]

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Die entscheidende Frage ist, zu welchem Zeitpunkt ein Angriff (als intentionaler Handlungsakt) bereits so weit fortgeschritten ist, dass er „verübt“ ist.[438] Nach einer weitgehenden Ansicht reicht jeder Versuch einer Rechtsgutsverletzung bereits für eine Vollendungsstrafbarkeit aus.[439] Nach a.A. liegt das „Verüben“ eines Angriffs nur vor, wenn dieser aus der ex ante-Sicht eines Dritten in der Situation des Täters zu einer Beeinträchtigung von Leben, Leib und Entschlussfreiheit führen kann; von vornherein ungefährliche Verhaltensweisen sollen an dieser Stelle ausscheiden.[440] Damit wird die Verübung auf einen „beendeten tauglichen Versuch“ der geplanten Rechtsgutsverletzung beschränkt und das vorausgehende Angriffsstadium bzw. der untaugliche Versuch dem Versuchsbereich zugeordnet. Diese Ansicht führt zwar zu der an sich wünschenswerten Restriktion, findet aber keine hinreichende Stütze im Wortlaut. Nach der wohl h.L. muss die Tat jedenfalls das Stadium des „beendeten materiellen Versuchs“ erreicht haben, was bedeutet, dass der Kernbereich der Opfersphäre berührt sein muss.[441] Das bedeutet zunächst, dass nach der Vorstellung des Täters keine weiteren Zwischenakte zur Beeinträchtigung von Leib, Leben oder Entschlussfreiheit erforderlich sind.[442]

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Einschränkend wird jedoch im Hinblick auf die Anwendung der Regeln über den Rücktritt vom Versuch nicht jeder nach Vorstellung des Täters beendete Versuch für ausreichend gehalten; vielmehr soll für das Verüben (nicht für den Angriff) eine Einwirkung auf das Opfer i.S.e. „point of no return“ erforderlich sein.[443] Dies setzt voraus, dass das Täterverhalten das Opfer tatsächlich erreicht hat und „ein unmittelbarer Kontakt des Angriffsmittels mit den geschützten Rechtsgütern stattgefunden hat“.[444] Deshalb fordert der BGH bei Angriffen auf die Entschlussfreiheit zu Recht, dass das Opfer den objektiven Nötigungscharakter der Täterhandlung wahrgenommen haben muss.[445] Bis dahin liegt ein Versuch mit der Möglichkeit eines Rücktritts gemäß § 24 StGB vor (Rn. 149). Die Gegenansicht,[446] die insofern auf die Vorstellungen des Täters abstellt, überzeugt nicht. Der für diese Ansicht angeführte „finale Charakter“[447] der Vorschrift betrifft nur die beabsichtigte Raubtat, nicht aber den Angriff auf die Entschlussfreiheit. Zwar wird der Begriff des „Angriffs“ im Rahmen von anderen Vorschriften (vgl. §§ 102 Abs. 1, 114 Abs. 1, 121 Abs. 1 Nr. 1, 231 Abs. 1 StGB) subjektiv ausgelegt,[448] doch muss dieser dort „tätlich“ erfolgen oder sich „auf Leib und Leben“ beziehen, wodurch sich die gebotene Restriktion erreichen lässt. Aufgrund der Weite des Angriffsguts der „Entschlussfreiheit“ ist dagegen bei § 316a StGB eine objektive Einschränkung notwendig. Nicht erforderlich ist jedoch, dass das Opfer auch die feindliche Willensrichtung des Täters erkannt hat.[449] Durch diese doppelte Restriktion – einerseits muss das Stadium eines beendeten Versuchs erreicht sein, andererseits muss es bereits zu einer Einwirkung i.S.e. Kontakts zwischen Täter- und Opfersphäre gekommen sein – wird die Vollendungsstrafbarkeit in sinnvoller Weise beschränkt, ohne dass damit der Charakter des § 316a StGB als Tätigkeitsdelikt in Frage gestellt wird.[450]

cc) Verüben eines Angriffs auf Leib oder Leben

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Ein Angriff auf Leib und Leben ist verübt, wenn eine unmittelbar auf den Körper zielende feindselige Handlung vorliegt, bei der die Gefahr einer Tötung oder einer nicht ganz unerheblichen Körperverletzung besteht, und bei der es bereits zu einer Einwirkung auf Leib oder Leben gekommen ist.[451]

dd) Verüben eines Angriffs auf die Entschlussfreiheit

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Ein Angriff auf die Entschlussfreiheit ist verübt, wenn eine unmittelbar auf die Entschlussfreiheit zielende feindselige Handlung vorliegt, bei der die Gefahr einer Verletzung der Entschlussfreiheit besteht, und bei der es bereits zu einer Einwirkung auf dieses Schutzgut gekommen ist. Ein verübter Angriff auf die Entschlussfreiheit liegt somit bei allen Formen der Nötigung vor.[452] Erfasst sind damit Gewalt (etwa die Bedrohung mit einer Waffe)[453], auch Gewalt gegen Sachen (wie bei einer Autofalle)[454], und (auch eine konkludente[455]) Drohung. Nicht ausreichend ist ein allgemein aggressives Auftreten.[456]

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Streitig ist, inwieweit Täuschung und List als Angriffe auf die Entschlussfreiheit erfasst sind.[457] Die in der Literatur am weitesten gehende Ansicht will Täuschungshandlungen grundsätzlich berücksichtigen.[458] Dies ist jedenfalls zu weit: Nicht erfasst sind „bloße Täuschungen“, die nicht räuberischem, sondern betrugstypischem Verhalten entsprechen.[459] In der Literatur werden zum Teil Fälle von List und Täuschung aufgrund der gebotenen restriktiven Auslegung, der fehlenden Vergleichbarkeit von Angriffen auf die Psyche mit den auf Leib und Leben und der Nichterwähnung in § 316a StGB (anders als in anderen Tatbeständen, z.B. §§ 181, 234, 234a, 235 StGB) ganz aus dem Tatbestand ausgeschlossen.[460] Sie verengen das Tatbestandsmerkmal „Angriff auf die Entschlussfreiheit“ auf den Einsatz von Nötigungsmitteln.[461] Dem ist nicht zuzustimmen. In den Anwendungsbereich des § 316a StGB fallen solche täuschenden Handlungen, welche auf den Führer eines Kraftfahrzeugs oder einen Mitfahrer eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben (sollen).[462] Es kommt hierfür nicht darauf an, ob diese Wirkung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer Rechtswidrigkeit der Einwirkung ausgeht.[463]

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Die Rspr. verfolgt seit der Grundsatzentscheidung BGHSt 49, 8 ebenfalls einen restriktiven Kurs, sodass bloße List und Täuschung „regelmäßig“ noch keine Verübung eines Angriffs auf die Entschlussfreiheit darstellen.[464] Hierbei handele es sich trotz der verborgenen räuberischen Absicht um keine Behinderung oder Beeinträchtigung der Entschlussfreiheit, sondern vielmehr um das Bewirken einer falschen Vorstellung oder eines falschen Motivs bei weiterhin bestehender Willensentschlussfreiheit.[465]

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Um die Vergleichbarkeit zu den Angriffen durch Gewalt oder Drohung herzustellen, lässt sich zunächst sinnvoll danach differenzieren, ob dem Opfer fremde Motive oktroyiert werden sollen (dann Angriff auf die Entschlussfreiheit) oder er ausschließlich aus eigenen Motiven handeln soll (dann kein Angriff auf die Entschlussfreiheit).[466] Die wohl h.L. geht davon aus, dass Täuschungen dann tatbestandsmäßig sind, wenn bei Vorliegen der vorgespiegelten Umstände eine Rechtspflicht zu einer bestimmten Handlung bestünde; dann bestehe aufgrund des normativen Zwangs ein nötigender Charakter.[467] Insofern ist fraglich, ob der Entscheidung BGHSt 49, 8, 13 auch dahingehend zuzustimmen ist, dass trotz der Beförderungspflicht für Taxifahrer aus § 22 PBefG im Regelfall kein Angriff auf dessen Entschlussfreiheit vorliege, da der Taxifahrer meist eigene wirtschaftliche Interessen verfolge.[468] Eine nötigungsgleiche Zwangswirkung wird von der h.M. auch bei der strafbewehrten Hilfeleistungspflicht gemäß § 323c StGB für möglich gehalten. Nicht ausreichend ist hingegen die Schaffung einer nur moralischen Handlungspflicht (etwa das Vortäuschen einer Autopanne ohne Personenschaden).[469] Dieser differenzierenden Sichtweise ist zuzustimmen, auch wenn man ähnliche Fallgruppen als Maßstab heranzieht, etwa die Pseudobeschlagnahme oder der Trittbrettfahrer einer Erpressung. In all diesen Fällen steht nicht mehr die Täuschung oder List, sondern die Beugung der Willensfreiheit durch Nötigung im Vordergrund.[470] Nach den vorgenannten Kriterien ist zwischen den einzelnen Fallgruppen zu differenzieren: Das Vortäuschen einer Autopanne, das Gerieren als Anhalter oder sonst „schlicht täuschendes Verhalten“ wird nicht ausreichen, um einen Angriff auf die Entschlussfreiheit zu bejahen. Das Aufstellen falscher Halteschilder, das Vortäuschen eines Unglücksfalls mit Personenschaden oder einer Polizeikontrolle[471] sowie die Herbeiführung eines Rotlichtes bei einer Ampelschaltung[472] können als eine Art „psychische Autofalle“ aufgrund der Fremdbestimmtheit des Verhaltens erfasst werden. Die Vergleichbarkeit mit einer physischen Autofalle (Sperrung der Straße mit einem physisch unüberwindbaren Hindernis) ist dann gegeben.

d) Führer eines Kraftfahrzeugs oder Mitfahrer (Tatopfer/Tatsituation)

aa) Allgemein

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Die Tatbestandsmerkmale Führer eines Kraftfahrzeugs oder Mitfahrer umschreiben zunächst eine Eigenschaft des Tatopfers. Zudem ist erforderlich, dass diese Eigenschaft genau zum Zeitpunkt der Verübung des Angriffs vorliegt, sodass auch die Tatsituation beschrieben wird.

bb) Kraftfahrzeug

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Kraftfahrzeuge sind durch Maschinenkraft angetriebene, nicht an Gleise gebundene Landfahrzeuge (§ 1 Abs. 2 StVG, § 248b StGB),[473] die dem Transport von Menschen, Tieren oder Gütern dienen.[474] Straßenbahnen sind keine Kraftfahrzeuge, da sie an Gleise gebunden sind.[475] Zu den Kraftfahrzeugen gehören sowohl Vier-, Drei- und auch Zweiräder, sofern sie mit Motorkraft fortbewegt werden (z.B. Mofas,[476] Fahrräder mit elektronischen Antrieb). Ausgenommen sind damit einfache Fahrräder. Schwierigkeiten bestehen bei der Handhabung von zunehmend automatisiert fahrenden (autonomen) Fahrzeugsystemen. Hier entstehen Auslegungsprobleme sowohl beim Führer- als auch zum akzessorischen Mitfahrerbegriff (Rn. 120). Maßgeblich ist wohl der Grad der Automatisierung.[477] Bei rein autonomen Fahrzeugsystemen müsste man schon überlegen, sie im Wege der teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand des § 316a StGB insgesamt herauszunehmen, da sich jedenfalls bei komplett extern gesteuerten Fahrzeugen eine straßenverkehrstypische Gefahrenlage nicht realisiert und bei einem Raubangriff nur Individualrechtsgüter tangiert werden. Letztlich kann dies aber offen bleiben, da i.d.R. entweder keine Führereigenschaft oder jedenfalls kein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs vorliegen.

cc) Führer eines Kraftfahrzeugs

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Führer eines Kraftfahrzeugs ist, wer es in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.[478] Erforderlich ist nach h.M. lediglich, dass das Fahrzeug in Betrieb genommen wurde, nicht aber, dass es sich in Bewegung befindet.[479] Insoweit wird nicht an den (engeren) Begriff des Führens in anderen Verkehrsdelikten wie §§ 315c, 316 StGB[480] angeknüpft.[481] Damit ist Führer eines Kraftfahrzeugs zunächst derjenige, der ein sich in Bewegung befindendes Fahrzeug steuert.[482] Befindet sich das Fahrzeug nicht mehr in Bewegung, so ist darauf abzustellen, ob das Opfer als Fahrer noch mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst ist.[483]

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Beim Aufenthalt in haltenden Fahrzeugen ist nach der Rspr. zwischen einem verkehrsbedingten und einem nicht verkehrsbedingten Halt zu unterscheiden.[484] Bei einem verkehrsbedingten Halt, bei dem der Fahrer seine Aufmerksamkeit weiter auf das Verkehrsgeschehen richten muss, steht der Fortsetzungsvorgang unmittelbar bevor (z.B. bei einer Ampel, vor einer Bahnschranke oder im Stau).[485] Unbeachtlich soll sein, ob der Motor läuft oder nicht.[486] Bei einem nicht verkehrsbedingten Halt sei das Führen nur dann zu bejahen, wenn das Opfer mit Betriebs- und Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.[487] Indiz hierfür sei ein laufender Motor.[488] Ist der Motor ausgeschaltet, sollen weitere verkehrsspezifische Umstände erforderlich sein.[489] Damit ist nach Abschluss der Fahrt, z.B. nach einem Hinlocken an einen einsamen Ort, die Führereigenschaft beendet.[490] Führer ist nach der Rspr. jedenfalls nicht (mehr), wer sich außerhalb des Fahrzeugs befindet.[491]

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Diese auch von Zufälligkeiten abhängige Unterscheidung mit ihrem Schematismus (anlassbezogene „Motor ein/Motor aus-Lösung“), für die aber eine gewisse forensische Praktikabilität streitet, ist in der Literatur zu Recht auf Kritik gestoßen.[492] Von einigen Autoren wird unter Orientierung an dem Begriff des Führens in anderen Straßenverkehrsdelikten wie §§ 315c, 316 StGB vorgeschlagen, dass das Fahrzeug sich bei fehlender Bewegung zumindest in Betrieb befinden müsse.[493] Zudem sei bei einer rechtsgutsbezogenen Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals zu berücksichtigen, dass nach h.M. gleichrangig auch die Sicherheit des Straßenverkehrs geschützt sei.[494] Das würde aber dazu führen, dass auch bei einem verkehrsbedingten Halt bei ausgeschaltetem Motor die Führereigenschaft zu verneinen wäre. Zudem lässt sich die Parallelität nicht einfach begründen: Bei dem „Führer“ i.S.d. § 316a StGB geht es um eine Eigenschaft des Tatopfers, bei dem „Führen“ i.S.d. §§ 315c, 316 StGB um die Tathandlung des Täters.[495]

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Nach anderer Ansicht muss im Hinblick auf die angestrebte teleologische Restriktion des Tatbestandes wieder stärker auf den „funktionalen Zusammenhang zwischen der Verübung des Angriffs und den besonderen Verhältnissen des Straßenverkehrs“ und damit nicht primär auf die „straßenverkehrsrechtlich aufgeladene ‚Führereigenschaft‘“[496], sondern auf das „Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ als „sedes materiae“[497] abgestellt werden.[498] Danach ist die Führereigenschaft nur ein erster grober Filter, um jene Fallgestaltungen auszuscheiden, die in deutlichem zeitlichem Abstand der eigentlichen Teilnahme am Straßenverkehr vor- oder nachgelagert sind.[499] Hier wird vorgeschlagen, auf die Abgrenzung zwischen Halten und Parken nach § 12 Abs. 2 StVO zurückzugreifen.[500] Diese Abschichtung erscheint sachgerecht und vermeidet eher zufällige Ergebnisse, wie die in der Literatur[501] genannten Beispiele (Anhalten und Abstellen des Motors, um einen Handyanruf entgegenzunehmen oder sich des Wegs zu vergewissern) veranschaulichen: Es ist nicht überzeugend, hier die Führereigenschaft zu verneinen; maßgeblich ist für die Strafbarkeit nach § 316a StGB vielmehr, ob der Täter die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Fahrer, die kurzfristig nicht verkehrsbedingt anhalten (und nicht parken), sind genauso schutzwürdig, wie ein mit den Betriebsvorgängen eines Fahrzeugs befasstes Opfer.[502]