Die Ethik

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Lehrsatz 31

Der wirkliche Verstand, mag er endlich oder unendlich sein, wie auch der Wille, die Begierde, die Liebe u.s.w. müssen zur geschaffenen Natur, nicht aber zur schaffenden Natur gerechnet werden.

Beweis: Denn unter Verstand verstehe ich (wie selbstverständlich) nicht das absolute Denken, sondern nur eine gewisse Modus des Denkens, die sich von anderen Modi, wie Begierde, Liebe u.s.w., unterscheidet und daher (nach Definition 5) durch das absolute Denken begriffen werden muss; nämlich (nach Lehrsatz 15 und Definition 6) durch irgendein Attribut Gottes, das das ewige und unendliche Wesen des Denkens ausdrückt, so begriffen werden muss, dass es ohne dasselbe weder sein noch begriffen werden kann. Daher muss er (nach der Anmerkung zu Lehrsatz 29) zur geschaffenen Natur, nicht aber zur schaffenden gerechnet werden, wie auch die übrigen Modi des Denkens. W.z.b.w.

Anmerkung: Der Grund, warum ich hier von wirklichem Verstand rede, ist nicht, weil ich etwa zugebe, dass es irgendeinen potentiellen Verstand gibt, sondern weil ich jede Verwirrung zu vermeiden trachte, wollte ich nur von etwas sprechen, das uns völlig klar ist, nämlich von der Erkenntnis selbst, die von uns deutlicher als alles andere begriffen wird. Denn wir können nichts erkennen, was nicht zum vollkommeneren Verständnis der Erkenntnis beitragen würde.

Lehrsatz 32

Der Wille kann nicht freie Ursache genannt werden, sondern nur notwendige.

Beweis: Der Wille ist nur eine gewisse Form des Denkens, ebenso wie der Verstand. Daher kann jedes einzelne Wollen (nach Lehrsatz 20) nur dann existieren und nur dann zum Wirken bestimmt werden, wenn es von einer Ursache bestimmt wird und diese wiederum von einer anderen und so weiter ins Unendliche. Wird der Wille als unendlich angenommen, so muss er ebenfalls zum Existieren und Wirken von Gott bestimmt werden; nicht sofern Gott die absolut unendliche Substanz ist, sondern sofern er ein Attribut hat, das das unendliche und ewige Wesen des Denkens ausdrückt (nach Lehrsatz 23). Auf welche Weise also der Wille begriffen wird, ob als endlich oder als unendlich, erfordert er eine Ursache, von der er zum Existieren und Wirken bestimmt wird. Daher kann er (nach Definition 7) nicht freie Ursache genannt werden, sondern nur notwendige oder gezwungene. W.z.b.w.

Zusatz 1: Daraus folgt erstens, dass Gott nicht aus freiem Willen wirkt.

Zusatz 2: Daraus folgt zweitens, dass Wille und Verstand zur Natur Gottes sich verhalten wie Bewegung und Ruhe und überhaupt wie alles Natürliche, das zum Existieren und Wirken auf bestimmte Weise von Gott bestimmt werden muss. Denn der Wille bedarf, wie alles Übrige, einer Ursache, von der er zum Existieren und Wirken auf bestimmte Weise bestimmt wird. Und obwohl aus einem gegebenen Willen oder Verstand Unendliches folgt, kann man darum doch ebenso wenig von Gott sagen, er handle aus freiem Willen, wie man dessentwegen, was aus Bewegung und Ruhe folgt (denn auch aus diesen folgt Unendliches), von ihm sagen kann, er handle aus freier Bewegung und Ruhe. Der Wille gehört darum zur Natur Gottes nicht mehr als alles übrige Natürliche, vielmehr verhält er sich zu ihr geradeso wie Bewegung und Ruhe und alles übrige, das, wie ich gezeigt habe, aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgt und von ihr zum Existieren und Wirken auf bestimmte Weise bestimmt wird.

Lehrsatz 33

Die Dinge konnten auf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung von Gott hervorgebracht werden, als sie hervorgebracht worden sind.

Beweis: Denn alle Dinge sind aus der gegebenen Natur Gottes mit Notwendigkeit erfolgt (nach Lehrsatz 16) und aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf bestimmte Weise zu existieren und zu wirken (nach Lehrsatz 29). Hätten also die Dinge von anderer Beschaffenheit sein oder auf andere Weise zum Wirken bestimmt werden können, so dass die Ordnung der Natur eine andere wäre, so hätte auch die Natur Gottes eine andere sein können, als sie wirklich ist. Dann aber müsste (nach Lehrsatz 11) jene andere Natur auch existieren, und es müsste demnach zwei oder mehrere Götter geben, was (nach Zusatz 1 zu Lehrsatz 14) widersinnig ist. Daher konnten die Dinge auf keine andere Weise und nach keiner anderen Ordnung u.s.w. W.z.b.w.

Anmerkung 1: Nachdem ich hiermit sonnenklar gezeigt habe, dass es durchaus nichts in den Dingen gibt, dessentwegen sie als zufällig bezeichnet werden könnten, will ich noch mit wenigen Worten erläutern, was wir unter zufällig, vorher aber, was wir unter notwendig und unmöglich zu verstehen haben. Ein Ding heißt notwendig entweder in Bezug auf sein Wesen oder in Bezug auf seine Ursache. Denn die Existenz eines Dinges folgt mit Notwendigkeit entweder aus dem Wesen und der Definition desselben oder aus einer gegebenen wirkenden Ursache. Diese Gründe sind es auch, weshalb eine Sache unmöglich genannt wird, weil nämlich entweder das Wesen oder die Definition desselben das Gegenteil in sich schließt oder weil keine äußere Ursache gegeben ist, die bestimmt wäre, ein solches Ding hervorzubringen. Zufällig aber wird ein Ding aus keinem anderen Grund genannt als wegen unserer mangelhaften Erkenntnis. Denn ein Ding, von dem wir nicht wissen, ob sein Wesen einen Widerspruch in sich schließt, oder von dem wir gewiss wissen, dass es keinen Widerspruch in sich schließt, während wir dennoch über dessen Existenz nichts Sicheres behaupten können, weil die Ordnung der Ursachen uns verborgen ist, ein solches Ding kann uns weder als notwendig noch als unmöglich erscheinen, und darum nennen wir es entweder zufällig oder möglich.

Anmerkung 2: Aus dem Vorangegangenen folgt klar, dass die Dinge in höchster Vollkommenheit von Gott hervorgebracht worden sind, da sie ja aus der gegebenen vollkommensten Natur mit Notwendigkeit erfolgt sind. Und zwar wird damit Gott nicht irgendeiner Unvollkommenheit beschuldigt, denn eben dessen Vollkommenheit nötigt uns, dies zu behaupten. Es würde sogar aus dem Gegenteil klar folgen (wie ich bereits gezeigt habe), dass Gott nicht höchst vollkommen wäre; weil man nämlich, wenn die Dinge auf andere Weise hervorgebracht wären, Gott eine andere Natur zuschreiben müsste, verschieden von derjenigen, die wir aus der Betrachtung des höchsten Wesens demselben zuzuschreiben müssen.

Indessen bezweifle ich nicht, dass viele diese Ansicht als eine widersinnige verspotten und gar keine Lust haben, sie näher zu erwägen, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil sie Gott eine andere Freiheit zuzuschreiben gewöhnt sind, ganz verschieden von derjenigen, die von mir (siehe Definition 7) dargelegt wurde; nämlich einen absoluten Willen. Allerdings bezweifle ich auch wieder nicht, dass, wenn sie über die Sache nachdenken und die Reihe meiner Beweise genau erwägen würden, sie selbst schließlich eine solche Freiheit, wie sie Gott eine zuschreiben, nicht nur als Verkehrtheit, sondern auch als großes Hindernis des Wissens völlig verwerfen würden. Es ist unnötig, hier zu wiederholen, was in der Anmerkung zu Lehrsatz 17 gesagt wurde. Doch will ich ihnen zuliebe noch darlegen, dass, wenn auch eingeräumt würde, dass der Wille zum Wesen Gottes gehöre, nichtsdestoweniger aus dessen Vollkommenheit folgte, dass die Dinge auf keine andre Weise und nach keiner anderen Ordnung von Gott geschaffen werden konnten.

Es wird dies leicht gezeigt werden können, wenn wir zunächst das betrachten, was die Gegner selbst einräumen, nämlich dass es allein von Gottes Beschluss und Willen abhängt, dass jedes Ding ist, was es ist; denn sonst wäre Gott nicht die Ursache aller Dinge. Außerdem, dass alle Beschlüsse Gottes von Ewigkeit her von Gott selbst gefasst waren; denn sonst würde Gott der Unvollkommenheit und Unbeständigkeit beschuldigt werden. Da es nun im Ewigen kein Wann, kein Vorher und kein Nachher gibt, so folgt daraus, nämlich aus der bloßen Vollkommenheit Gottes, dass Gott nie etwas anderes beschließen konnte oder dass Gott vor seinen Beschlüssen nicht gewesen ist noch ohne sie sein kann.

Aber, sagen die Gegner, wenn auch angenommen würde, dass Gott eine andere Natur gemacht hätte oder dass er von Ewigkeit her etwas anderes über die Natur und ihre Ordnung beschlossen hätte, so würde daraus doch keine Unvollkommenheit in Gott folgen. Doch wenn sie das sagen, so geben sie zugleich zu, dass Gott seine Beschlüsse ändern könne. Denn wenn Gott über die Natur und ihre Ordnung anderes beschlossen hätte, als er beschlossen hat, d.h., wenn er über die Natur etwas anderes gewollt und gedacht hätte, so hätte er notwendig einen anderen Verstand, als er wirklich hat, und einen anderen Willen, als er wirklich hat. Und wenn man Gott einen anderen Verstand und einen anderen Willen zuschreiben darf, ohne irgendeine Veränderung seines Wesens und seiner Vollkommenheit, welcher Grund wäre vorhanden, dass Gott nicht jetzt seine Beschlüsse über die geschaffenen Dinge ändern und dabei doch gleich vollkommen bleiben könnte? Denn in Bezug auf sein Wesen und seine Vollkommenheit ist es ja egal, auf welche Weise sein Verstand und sein Wille begriffen werden. Außerdem geben alle mir bekannten Philosophen zu, dass es in Gott keinen potentiellen Verstand, sondern nur einen wirklichen gibt. Da aber sowohl sein Verstand wie auch sein Wille sich von seinem Wesen nicht unterscheidet, was ebenfalls alle zugeben, so folgt daraus auch, dass, wenn Gott einen anderen Verstand in der Wirklichkeit gehabt hätte und einen anderen Willen, auch sein Wesen notwendig ein anderes wäre, und zudem, dass (wie ich anfangs geschlossen habe), wenn die Dinge anders, als sie wirklich sind, von Gott hervorgebracht worden wären, der Verstand Gottes und sein Wille, d.h. (wie zugegeben wird) sein Wesen, ein anderes sein müsste, was widersinnig wäre.

Da also die Dinge auf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung von Gott hervorgebracht werden konnten und die Wahrheit dieser Behauptung aus der höchsten Vollkommenheit Gottes folgt, so kann gewiss keine gesunde Vernunft uns überreden zu glauben, Gott habe nicht alles, was in seinem Verstand ist, mit derselben Vollkommenheit, womit er es gedacht, erschaffen wollen. Indessen wird man sagen: In den Dingen ist weder Vollkommenheit noch Unvollkommenheit, sondern dasjenige in ihnen, weshalb sie vollkommen oder unvollkommen sind, gut oder schlecht genannt werden, hängt vom Willen Gottes allein ab. Hätte daher Gott gewollt, so hätte er bewirken können, dass das, was jetzt Vollkommenheit ist, die höchste Unvollkommenheit wäre, und umgekehrt. Doch was hieße dies anders, als offen zu behaupten, Gott, der doch das, was er will, notwendig denkt, könne durch seinen Willen machen, dass er die Dinge auf andere Weise denkt, als er sie denkt; was (wie ich bereits gezeigt) ein großer Unsinn ist. Ich kann daher den Beweis gegen die Gegner selbst folgendermaßen umkehren: Alles hängt ab von der Macht Gottes. Sollten daher die Dinge anders beschaffen sein können, so müsste notwendig auch der Wille Gottes anders beschaffen sein. Nun kann aber der Wille Gottes nicht anders beschaffen sein (wie ich bereits aus der Vollkommenheit Gottes sehr klar gezeigt habe). Folglich können die Dinge nicht anders beschaffen sein.

 

Ich gebe zu, dass diese Meinung, die alles einem gewissen indifferenten Willen Gottes unterwirft und alles von seinem Gutdünken abhängig sein lässt, weniger von der Wahrheit entfernt ist als die Meinung jener, die behaupten, Gott mache alles unter dem Gesichtspunkt des Guten. Denn diese scheinen etwas außer Gott anzunehmen, das von Gott nicht abhängt und das Gott bei seinem Wirken sich zum Muster nimmt oder auf das er, wie auf ein bestimmtes Ziel, hinarbeitet. Dies heißt wahrlich nichts anderes, als Gott dem blinden Schicksal unterwerfen; das Widersinnigste, was man von Gott behaupten kann, der, wie gezeigt wurde, die erste und einzige freie Ursache ist sowohl des Wesens aller Dinge wie auch ihrer Existenz. Es ist daher nicht nötig, mit der Widerlegung dieses Unsinns die Zeit zu vergeuden.

Lehrsatz 34

Die Macht Gottes ist sein Wesen selbst.

Beweis: Denn aus der bloßen Notwendigkeit seines Wesens folgt, dass Gott die Ursache seiner selbst (nach Lehrsatz 11) und (nach Lehrsatz 16 und dessen Zusatz) aller Dinge ist. Folglich ist die Macht Gottes, durch die er und alles ist und handelt, sein Wesen selbst. W.z.b.w.

Lehrsatz 35

Alles, was wir begreifen als in Gottes Gewalt seiend, ist notwendig.

Beweis: Denn alles, was in Gottes Gewalt ist, muss (nach dem vorigen Lehrsatz) in seinem Wesen so enthalten sein, dass es aus demselben notwendig folgt; also ist es notwendig. W.z.b.w.

Lehrsatz 36

Es existiert nichts, aus dessen Natur nicht eine Wirkung folgte

Beweis: Alles, was existiert, drückt die Natur oder das Wesen Gottes auf gewisse und bestimmte Weise aus (nach Zusatz zu Lehrsatz 25), d.h. (nach Lehrsatz 34) alles, was existiert, drückt die Macht Gottes, die die Ursache aller Dinge ist, auf gewisse und bestimmte Weise aus; also muss (nach Lehrsatz 16) irgendeine Wirkung aus demselben folgen. W.z.b.w.

Anhang

Damit habe ich die Natur Gottes und seine Eigenschaften auseinandergesetzt, nämlich: dass er notwendig existiert; dass er einzig ist; dass er aus der bloßen Notwendigkeit seiner Natur ist und handelt; dass und in welcher Weise er die freie Ursache aller Dinge ist; dass alles in Gott ist und von ihm so abhängt, dass nichts ohne ihn sein oder begriffen werden kann; schließlich, dass alles von Gott vorausbestimmt gewesen ist, nicht zwar aus der Freiheit des Willens oder eines absoluten Gutdünkens, sondern aus der absoluten Natur Gottes oder seiner unendlichen Macht. Auch habe ich bei jeder Gelegenheit die Vorurteile, die dem Verständnis meiner Beweise im Wege waren, zu beseitigen gesucht.

Indessen gibt es noch weitere Vorurteile, und ihre Zahl ist nicht gering, die nicht weniger, ja ganz besonders hinderlich waren und sind, dass man die Verkettung der Dinge in der Weise, wie ich sie beleuchtet habe, verstehen kann. Ich hielt es darum der Mühe wert, diese Vorurteile einer Prüfung durch die Vernunft zu unterziehen. Und weil alle Vorurteile, die ich hier behandeln will, von Einem abhängen, nämlich davon, dass die Menschen gewöhnlich annehmen, alle Dinge in der Natur handelten, wie sie selbst, um eines Zwecks willen, ja dass sie von Gott selbst mit aller Bestimmtheit behaupten, er leite alles zu irgendeinem bestimmten Zweck – sagen sie doch, Gott habe alles um des Menschen willen gemacht, den Menschen selbst aber, damit er ihn verehre, so will ich mich hier vor allem mit diesem einen Vorurteil beschäftigen, indem ich erstens die Ursache aufsuche, weshalb die meisten in diesem Vorurteil befangen sind und alle von Natur so sehr dazu neigen, es zu hegen; und dann werde ich dessen Unwahrheit nachweisen und schließlich auch, wie daraus über Gut und Schlecht, Verdienst und Verfehlung, Lob und Tadel, Ordnung und Verwirrung, Schönheit und Hässlichkeit und über anderes dieser Art Vorurteile entstanden sind.

Es ist hier jedoch nicht der Ort, dies aus der Natur des menschlichen Geistes abzuleiten; es wird vielmehr genügen, etwas, das jeder anerkennen muss, zur Grundlage zu nehmen, die Tatsache nämlich, dass alle Menschen, ohne die Ursachen der Dinge zu kennen, auf die Welt kommen und dass alle den Antrieb haben, ihren Nutzen zu suchen und sie dieses wohl wissen. Denn daraus folgt erstens, dass die Menschen sich für frei halten, da sie sich ihres Wollens und ihres Begehrens bewusst sind, während sie nicht im Traum an die Ursachen denken, von denen sie zum Begehren und Wollen bestimmt werden, weil sie dieselben eben nicht kennen. Es folgt zweitens, dass die Menschen alles um eines Zwecks willen tun, nämlich um des Nutzens willen, den sie begehren. Daher kommt es, dass sie stets nur die Endzwecke der vollbrachten Dinge zu wissen wünschen und befriedigt sind, wenn sie diese erfahren haben, weil sie dann keinen Anlass haben, sich weiter damit zu befassen. Können sie diese Zwecke aber von keinem anderen erfahren, so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich an sich selbst zu wenden und auf Zwecke zu sinnen, von denen sie selbst zu solchen bestimmt zu werden pflegen, und so beurteilen sie die Sinnesweise eines anderen notwendig nach ihrer eigenen Sinnesweise.

Da sie zudem in sich und außer sich zahlreiche Mittel bemerken, die zur Erreichung ihres Nutzens nicht wenig beitragen, wie z.B. die Augen zum Sehen, die Zähne zum Kauen, Pflanzen und Tiere zur Nahrung, die Sonne zum Leuchten, das Meer, Fische zu nähren u.s.w., so kommt es, dass sie alles in der Natur als Mittel zu ihrem Nutzen betrachten. Und weil sie wissen, dass jene Mittel von ihnen aufgefunden, aber nicht hergestellt sind, so hat dies den Glauben verursacht, irgendein anderer sei es, der diese Mittel zu ihrem Nutzen bereitet habe. Denn nachdem sie einmal die Dinge als Mittel ansahen, so konnten sie nicht glauben, dass diese sich selbst gemacht hätten, sondern aus den Mitteln, die sie sich selbst zu bereiten pflegen, mussten sie schließen, es gäbe irgendeinen oder mehrere mit menschlicher Freiheit begabte Lenker der Natur, die alles für sie besorgt und alles zu ihrem Nutzen gemacht hätten. Auch die Sinnesweise dieser Lenker der Natur mussten sie, da sie über dieselbe nie etwas erfahren hatten, nach ihrer eigenen Sinnesweise beurteilen. Daher ihre Behauptung, die Götter lenkten alles zum Nutzen der Menschen, um sich die Menschen zu verpflichten und von ihnen hoch verehrt zu werden. Daher ist es gekommen, dass der eine diese, der andere jene Art der Gottesverehrung in seinem Kopfe erdacht hat, damit Gott ihn mehr als die übrigen Menschen lieben und die ganze Natur zum besten seiner blinden Begierde und unersättlichen Habsucht lenken möge. So ist jenes Vorurteil zum Aberglauben ausgewachsen und hat in den Geistern tiefe Wurzeln geschlagen. Und dies war der Grund, weshalb die Menschen sich alle Mühe gaben, die Endzwecke aller Dinge zu erkennen und zu erklären.

Aber während sie zu zeigen suchten, dass die Natur nichts vergebens (d.h., was für den Menschen keinen Nutzen hat) tue, haben sie, wie mir scheint, nichts anderes gezeigt, als dass die Natur samt den Göttern ebenso wahnwitzig sei wie die Menschen. Man sehe doch nur, wohin die Sache schließlich führte. Unter so vielem Nützlichen in der Natur mussten sie nicht wenig Schädliches bemerken, Stürme, Erdbeben, Krankheiten u.s.w.; und diese, behaupteten sie, seien deswegen da, weil die Götter erzürnt wären über die ihnen von den Menschen angetanen Kränkungen oder über die in ihrem Dienste begangenen Verfehlungen. Und obwohl die Erfahrung widersprach und durch unzählige Beispiele zeigte, dass den Frommen ebenso wie den Nichtfrommen bald Nützliches, bald Schädliches zuteil wird, gaben sie darum doch das eingewurzelte Vorurteil nicht auf. Denn es war ihnen leichter, dies unter anderes Unbekannte, dessen Nutzen sie nicht wussten, zu rechnen und so in ihrem wirklichen und angebornen Zustand der Unwissenheit zu verharren, als jenes ganze Gebäude einzureißen und ein neues auszudenken. Deshalb nahmen sie als gewiss an, dass die Absichten der Götter die menschliche Fassungskraft weit übersteigen; was sicherlich allein schon hätte verursachen können, dass die Wahrheit dem Menschengeschlecht in Ewigkeit verborgen geblieben wäre, wenn nicht die Mathematik, die sich nicht mit Zwecken, sondern nur mit dem Wesen und den Eigenschaften der Figuren beschäftigt, den Menschen eine andere Norm der Wahrheit gezeigt hätte. Neben der Mathematik können noch andere Ursachen gezeigt werden (deren Aufzählung hier überflüssig ist), die bewirkten, dass die Menschen auf diese gemeinen Vorurteile aufmerksam geworden sind und zur rechten Erkenntnis der Dinge geführt wurden. Damit habe ich den ersten Punkt dessen, was ich zu zeigen versprochen, hinlänglich auseinandergesetzt.

Um nun aber zu zeigen, dass die Natur sich keinen Zweck vorgenommen hat und dass alle Endzwecke nichts als menschliche Einbildung sind, bedarf es nicht viel. Denn ich glaube, dass sich dies schon genügend sowohl aus den Grundlagen und Ursachen ergibt, aus denen ich den Ursprung dieses Vorurteils abgeleitet habe, wie auch aus dem Lehrsatz 16 und den Zusätzen zum Lehrsatz 32 und außerdem noch aus allen Sätzen, in denen ich gezeigt habe, dass alles in der Natur nach einer gewissen ewigen Notwendigkeit und höchsten Vollkommenheit hervorgeht. Das aber will ich noch hinzufügen, dass diese Lehre vom Zweck die Natur völlig auf den Kopf stellt. Denn sie betrachtet als Wirkung, was in Wahrheit Ursache ist, und umgekehrt. Außerdem macht sie das, was von Natur das erste ist, zum letzten. Schließlich verkehrt sie das Höchste und Vollkommenste zum Unvollkommensten. Denn (auf die beiden ersten gehe ich nicht weiter ein, weil sie an sich klar sind) wie aus den Lehrsätzen 21, 22 und 23 hervorgeht, ist die Wirkung die vollkommenste, die von Gott unmittelbar hervorgebracht wird; je mehr vermittelnder Ursachen aber eine Wirkung bedarf, um hervorgebracht zu werden, desto unvollkommener ist sie. Wenn nun die Dinge, die unmittelbar von Gott hervorgebracht sind, deshalb gemacht wären, damit Gott seinen Zweck erreichte, so wären notwendig die letzten, um derentwillen die ersten gemacht sein sollen, die vorzüglichsten von allen. Weiter hebt diese Lehre die Vollkommenheit Gottes auf. Denn wenn Gott um eines Zwecks willen handelt, so begehrt er notwendig etwas, das er entbehrt. Wenn nun auch Theologen und Metaphysiker zwischen Bedürfniszweck und Assimilationszweck unterscheiden, so geben sie doch zu, dass Gott alles um seinetwillen, nicht aber der zu schaffenden Dinge wegen getan habe; weil sie nichts vor der Schöpfung außer Gott angeben können, dessentwegen Gott handeln sollte. Sie müssen also notwendig zugeben, dass Gott die Dinge, für die er die Mittel habe bereiten wollen, entbehrt hätte. Das ist an sich klar. Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass Anhänger dieser Lehre, die im Angeben der Zwecke der Dinge ihren Scharfsinn zeigen wollen, eine neue Art der Beweisführung aufgebracht haben, um diese ihre Lehre glaublich zu machen. Sie führen dieselbe nämlich nicht auf die Unmöglichkeit, sondern auf die Unwissenheit zurück; was zeigt, dass ihnen kein anderes Beweismittel für diese Lehre zu Gebote stand. Wenn z.B. ein Stein von einem Dach auf den Kopf eines Menschen fällt und ihn tötet, so beweisen sie, der erwähnten Methode gemäß, dass der Stein gefallen sei, um den Menschen zu töten, folgendermaßen: Wäre der Stein nicht zu eben diesem Zwecke, nach dem Willen Gottes, heruntergefallen, wie mochten da so viele Umstände (denn oft treffen viele zusammen) durch Zufall zusammentreffen? Antwortet man, es sei so gekommen, weil der Wind wehte und weil der Mensch gerade dort vorbeiging, so wenden sie dagegen ein: Weshalb hat der Wind gerade damals geweht? Warum ist der Mensch gerade damals dort vorbeigegangen? Erwidert man darauf: Der Wind fing damals zu wehen an, weil das Meer tags zuvor, bei noch ruhigem Wetter, in Bewegung kam, und der Mensch ging damals dort vorbei, weil er von einem Freunde eingeladen war, so wenden sie – da das Fragen keine Grenzen hat – abermals ein: Warum aber kam das Meer in Bewegung? Warum war der Mensch damals eingeladen? Und so werden sie nicht aufhören, fort und fort nach den Ursachen der Ursachen zu fragen, bis man zum Willen Gottes seine Zuflucht nimmt, d.h. zum Asyl der Unwissenheit. Ebenso, wenn sie den Bau des menschlichen Körpers ins Auge fassen, stehen sie erstaunt und schließen, weil sie die Ursachen dieses großen Kunstwerks nicht kennen, dass derselbe nicht durch mechanische, sondern durch eine göttliche und übernatürliche Kunst gebildet und so eingerichtet worden sei, dass kein Teil den anderen verletzt.

 

Daher kommt es, dass, wer die wahren Ursachen des Wunderbaren aufsucht und wer danach strebt, die natürlichen Dinge als Wissender zu verstehen, statt sie als Einfältiger anzustaunen, oft von denen als Ketzer und schlechter Mensch angesehen und verschrieen wird, die das Volk als die Dolmetscher der Natur und der Götter verehrt. Denn sie wissen, dass mit der Unwissenheit auch das Anstaunen, das einzige Mittel, womit sie ihre Lehren beweisen und ihr Ansehen behaupten, dahinschwindet. Ich verlasse dieses nun jedoch und wende mich jetzt zum dritten Punkt, den ich hier zu behandeln mir vorgenommen habe.

Nachdem die Menschen sich einmal eingeredet hatten, das alles, was geschieht, ihretwillen geschehe, mussten sie an jedem Ding dasjenige für die Hauptsache halten, was ihnen am nützlichsten war, und alles das als das Vorzüglichste schätzen, was am angenehmsten auf sie wirkte. Daher mussten sie folgende Begriffe bilden, mit denen sie die Natur der Dinge erklärten, nämlich: Gut und Schlecht, Ordnung und Verwirrung, Warm und Kalt, Schönheit und Hässlichkeit u.s.w. Und daraus, dass sie sich für frei halten, sind die weiseren Begriffe entstanden: Lob und Tadel, Verfehlung und Verdienst. Diese letzteren werde ich indessen erst später behandeln, nachdem ich die menschliche Natur behandelt haben werde; die ersteren aber seien hier kurz erläutert. Alles, was zum Wohlbefinden oder zur Verehrung Gottes beiträgt, nannte man gut, das Gegenteil aber schlecht. Und weil diejenigen, die die Natur der Dinge nicht erkennen, nichts von den Dingen selbst behaupten, sondern sich die Dinge nur sinnlich vorstellen und die sinnliche Vorstellung für Erkenntnis halten, glauben sie in ihrer Unkenntnis der Dinge und ihrer Natur fest an eine Ordnung der Dinge. Denn wenn dieselben so beschaffen sind, dass wir, wenn sie uns durch die Sinne dargestellt werden, sie uns leicht vorstellen und demgemäß uns leicht an sie erinnern können, nennen wir sie wohl geordnet; im gegenteiligen Fall nennen wir sie schlecht geordnet oder verworren. Und weil uns das, was wir uns leicht vorstellen können, angenehmer ist als anderes, darum ziehen die Menschen die Ordnung der Verwirrung vor, als ob die Ordnung, auch abgesehen von unserer Vorstellung, etwas in der Natur wäre. Sie sagen auch, Gott habe alles in Ordnung geschaffen, und auf diese Weise schreiben sie Gott, ohne es zu wissen, sinnliche Vorstellung zu; wenn sie nicht vielleicht meinen, Gott habe, die menschliche Vorstellung vorhersehend, alle Dinge so eingerichtet, wie sie von den Menschen am leichtesten vorgestellt werden können. Wahrscheinlich stoßen sie sich gar nicht daran, dass es auch Unendliches gibt, was unsere Vorstellung weit übersteigt, und sehr vieles, was ihre Vorstellung, wegen deren Schwäche, verwirrt. Doch genug hiervon.

Auch die übrigen Begriffe sind weiter nichts als Vorstellungsarten, durch die die Einbildungskraft auf diese und jene Weise erregt wird, die aber von Unwissenden für die hauptsächlichsten Attribute der Dinge gehalten werden, weil sie, wie wir bereits gesagt, der Meinung sind, alle Dinge wären um ihretwillen gemacht, und sie nennen die Natur eines Dinges gut oder schlecht, gesund oder faul und verdorben, je nachdem, wie sie von demselben erregt werden. Wenn zum Beispiel die Bewegung, die die Nerven von den Gegenständen empfangen, die mit den Augen wahrgenommen werden, dem Wohlbefinden zusagt, so werden die betreffenden Gegenstände schön genannt; die aber, die den entgegengesetzten Eindruck machen, werden hässlich genannt. Was durch die Nase den Sinn erregt, nennt man wohlriechend oder stinkend; was durch die Zunge, süß oder bitter, schmackhaft oder unschmackhaft u.s.w.; was durch Tasten, hart oder weich, rauh oder glatt u.s.w. Von Dingen schließlich, die das Gehör erregen, sagt man, sie seien geräuschvoll oder wohlklingend. Das letztere hat die Menschen so betört, dass sie glaubten, Gott selbst erfreue sich an der Harmonie, und es gibt sogar Philosophen, die überzeugt sind, dass die Bewegungen der Himmelskörper eine Harmonie bilden. Das alles zeigt deutlich, dass jeder nach dem Zustand seines Gehirns über die Dinge geurteilt oder vielmehr die Erregungen seiner Einbildungskraft für die Dinge selbst genommen hat. Es ist daher kein Wunder (um auch das nebenbei anzumerken), dass unter den Menschen so viel Meinungsstreit, wie wir erfahren, entstanden ist und daraus schließlich der Skeptizismus. Denn obwohl die menschlichen Körper in vielem übereinstimmen, so weichen sie doch in sehr vielem voneinander ab. Darum erscheint dem einen oft etwas gut, dem anderen schlecht, diesem geordnet, jenem verworren, dem angenehm, jenem unangenehm, und dasselbe gilt vom Übrigen; doch gehe ich hier darüber hinweg, weil einerseits hier der Ort nicht ist, den Gegenstand eingehend zu behandeln, anderseits jeder darüber Erfahrung genug besitzt. Sind doch in aller Mund die Sprichwörter: »So viele Köpfe, so viele Meinungen«, »Jeder hat genug an seinem eigenen Kopf«, »Die Geschmäcker sind so verschieden wie die Köpfe«. Diese Redensarten zeigen zur Genüge, dass die Menschen je nach dem Zustand ihres Gehirns über die Dinge urteilen und dass sie die Dinge weniger erkennen als sich sinnlich vorstellen. Denn wenn sie die Dinge erkannt hätten, so würden diese, wie die Mathematik beweist, alle, wenn auch nicht anlocken, so doch überzeugen.

Wir sehen also, dass alle Begriffe, mit denen das Volk die Natur zu erklären pflegt, nur verschiedene Vorstellungsarten sind und nicht die Natur der Dinge selbst, sondern nur die Beschaffenheit der Vorstellung anzeigen. Und weil sie Namen haben, die so lauten wie Namen von wirklich vorhandenen, außerhalb der Vorstellung existierenden Wesen, so nenne ich diese Wesen nicht Vernunftwesen, sondern Wesen der Einbildung. Daher können alle Argumente, die gegen mich aus derlei Begriffen geltend gemacht werden, leicht aus dem Felde geschlagen werden. Viele pflegen nämlich folgendermaßen zu argumentieren: Wenn alles aus der Notwendigkeit der vollkommensten Natur Gottes erfolgt ist, woher kommen dann so viele Unvollkommenheiten in der Natur, wie das Faulen der Dinge, sogar bis zum Übelriechen, die ekelerregende Hässlichkeit gewisser Dinge, die Unordnung, das Schlechte, die Verfehlung u.s.w.? Sie sind aber, wie gesagt, leicht zu widerlegen. Denn die Vollkommenheit der Dinge ist nur ihrer Natur und Macht nach zu schätzen, folglich ist ein Ding deshalb nicht mehr und nicht weniger vollkommen, weil es einen der menschlichen Sinne erfreut oder abstößt, nur weil es der menschlichen Natur zusagt oder nicht zusagt. Denen aber, die fragen, warum Gott nicht alle Menschen so geschaffen hat, dass sie sich von der Vernunft allein leiten lassen, antworte ich nur: weil er Stoff hatte, alles zu schaffen, vom höchsten Grad der Vollkommenheit bis zum niedrigsten. Oder um mich eigentlicher auszudrücken: weil die Gesetze seiner Natur so umfangreich gewesen sind, dass sie ausreichten, alles hervorzubringen, was von einem unendlichen Verstand begriffen werden kann; wie ich im Lehrsatz 16 bewiesen.