Die Ethik

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Anmerkungen des Übersetzers

Die aus dem Jahre 1887 stammende, verdienstvolle Übersetzung von Spinozas Ethik durch Jakob Stern wurde für die Neuausgabe an vielen Stellen dem gegenwärtigen Sprachgebrauch angepasst sowie inhaltlich präzisiert, wobei unzutreffende oder uneinheitliche Übersetzungen korrigiert wurden. Der Leitgedanke der Überarbeitung war, den Duktus der Stern-Übersetzung beizubehalten und dabei behutsam vorzugehen unter dem Motto: soviel wie nötig, sowenig wie möglich. Die alte Rechtschreibung wurde deshalb dort, wo sie weiterhin gestattet ist, angewandt.

Die Übersetzungen Lust für laetitia und Unlust für tristitia wurden beibehalten, die der Intention des Textes eher entsprechen dürften als Freude und Trauer, die in aktuellen Übersetzungen bevorzugt werden. Die Begriffe Freude und Trauer sind zu eng geführt, provozieren Zweideutigkeiten und transportieren zu wenig vom Bedeutungsumfang, wie er sich aus Spinozas weiter gehenden Beschreibungen für laetitia und tristitia erschließen lässt. Spinozas Interpretation von laetitia und tristitia lässt sich in eine Reihe stellen mit den Überlegungen antiker Ethik (Epikur) bis zum klassischen Utilitarismus (Bentham, Mill), für die die Übersetzungen Lust und Unlust ebenfalls die passendsten und üblich sind.1

Die eigentümliche Übersetzung Sterns von modus als Daseinsform wurde rückgängig gemacht, um die drei grundlegenden ontologischen Begriffe Spinozas: Substanz, Attribut, Modus als Fremdwörter gleichzuschalten. Deutsche Begriffe provozieren an dieser Stelle zu große Missverständnisse und würden die Grenze von der Übersetzung zur Interpretation zu weit überschreiten. Beibehalten aber wurde der Sternsche Begriff der Erregung für Affektion; der körperbezogene Gehalt wird damit sehr deutlich.

Stern hatte gelegentlich ein- und dieselbe Übersetzung für verschiedene lateinische Begriffe gewählt. Hier wurde aus Gründen der Präzision in seine Übersetzung eingegriffen: Differenziert wurden die Übersetzungen der Begriffe vis mit Kraft, potentia mit Macht und potestas mit Gewalt; die Stern-Übersetzung Tätigkeitsvermögen für potentia agendi wurde aber beibehalten – ein immer noch sehr gut passender Begriff, der die alternativen Übersetzungsmöglichkeiten Wirkungsmacht oder Handlungsmacht integriert, zugleich aber den durch den lateinischen Text angezielten Gehalt des Könnens deutlicher hervorhebt. Die Begriffe cupiditas mit Begierde, appetitus mit Trieb und impetus mit Antrieb wurden ebenfalls besser voneinander abgegrenzt.

Jede Übersetzung ist immer auch eine Interpretation. Bei allen Eingriffen muss doch festgestellt werden, dass die über einhundert Jahre alte Stern-Übersetzung, damals schon ein Markstein, immer noch ein zentraler Orientierungspunkt für jede Neu-Übersetzung oder Übersetzungsbearbeitung der Ethik Spinozas ist.

Erster Teil der Ethik: Über Gott

Definitionen

1 1. Unter Ursache seiner selbst verstehe ich etwas, dessen Wesen die Existenz einschließt, oder etwas, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.

2 2. Dasjenige Ding heißt in seiner Art endlich, das durch ein anderes von gleicher Natur begrenzt werden kann. Ein Körper z.B. heißt endlich, weil wir stets einen anderen größeren begreifen. Ebenso wird ein Gedanke durch einen anderen Gedanken begrenzt. Dagegen wird ein Körper nicht durch einen Gedanken noch ein Gedanke durch einen Körper begrenzt.

3 3. Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich begriffen wird; d.h. etwas, dessen Begriff nicht den Begriff eines anderen Dinges nötig hat, um daraus gebildet zu werden.

4 4. Unter Attribut verstehe ich dasjenige, was der Verstand an der Substanz als zu ihrem Wesen gehörend erkennt.

5 5. Unter Modus verstehe ich eine Affektion der Substanz; oder etwas, das in einem anderen ist, durch das es auch begriffen werden kann.

6 6. Unter Gott verstehe ich das absolut unendliche Wesen, d.h. die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen ein jedes ewiges und unendliches Sein ausdrückt.

7 Erläuterung: Ich sage absolut unendlich, im Gegensatz zu: in seiner Art. Denn was nur in seiner Art unendlich ist, dem können wir unendliche Attribute absprechen. Was dagegen absolut unendlich ist, zu dessen Wesen gehört alles, was Sein ausdrückt und keine Verneinung in sich schließt.

8 7. Dasjenige Ding wird frei genannt, das allein durch die Not­wendigkeit seiner eigenen Natur existiert und allein durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird; notwendig oder vielmehr gezwungen wird ein Ding genannt, das von einem anderen bestimmt wird, auf gewisse und bestimmte Weise zu existieren und zu wirken.

9 8. Unter Ewigkeit verstehe ich die Existenz selbst, sofern sie aus der Definition des ewigen Dinges allein als notwendig folgend begriffen wird.

Erläuterung: Denn ein solches Dasein wird als ewige Wahrheit, wie das Wesen des Dinges, aufgefasst und kann daher durch die Dauer oder die Zeit nicht erklärt werden, wenn man auch unter Dauer »ohne Anfang und ohne Ende« versteht.

Axiome

1 1. Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen.

2 2. Was nicht durch ein anderes begriffen werden kann, muss durch sich selbst begriffen werden.

3 3. Aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt notwendig eine Wirkung, und umgekehrt: wenn keine bestimmte Ursache gegeben ist, kann unmöglich eine Wirkung folgen.

4 4. Die Erkenntnis der Wirkung hängt von der Erkenntnis der Ursache ab und schließt dieselbe ein.

5 5. Dinge, die nichts miteinander gemein haben, können auch nicht wechselseitig auseinander erkannt werden oder der Begriff des einen schließt den Begriff des anderen nicht ein.

6 6. Eine wahre Idee muss mit ihrem Gegenstand übereinstimmen.

7 7. Was als nicht existierend begriffen werden kann, dessen Wesen schließt die Existenz nicht ein.

Lehrsatz 1

Die Substanz ist von Natur früher als ihre Affektionen.

Beweis: Derselbe erklärt sich aus den Definitionen 3 und 5.

Lehrsatz 2

Zwei Substanzen, die verschiedene Attribute haben, haben nichts miteinander gemein.

Beweis: Derselbe erklärt sich gleichfalls aus Definition 3. Denn jede Substanz muss in sich sein und muss durch sich begriffen werden, oder der Begriff der einen schließt den Begriff der anderen nicht ein.

Lehrsatz 3

Von Dingen, die nichts miteinander gemein haben, kann nicht das eine Ursache des anderen sein.

Beweis: Wenn sie nichts miteinander gemein haben, so können sie (nach Axiom 5) nicht wechselseitig auseinander erkannt werden. Daher kann (nach Axiom 4) das eine nicht die Ursache des anderen sein. W.z.b.w.

Lehrsatz 4

Zwei oder mehrere verschiedene Dinge unterscheiden sich voneinander entweder durch die verschiedenen Attribute der Substanzen oder durch die verschiedenen Affektionen derselben.

Beweis: Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen (nach Axiom 1), d.h. (nach den Definitionen 3 und 5), außer der Erkenntnis gibt es nichts als Substanzen und deren Affektionen. Es gibt folglich außer der Erkenntnis nichts, wodurch mehrere Dinge voneinander unterschieden werden können, als die Substanzen oder, was dasselbe ist (nach Definition 4), ihre Attribute und ihre Affektionen. W.z.b.w.

Lehrsatz 5

In der Natur kann es nicht zwei oder mehrere Substanzen von gleicher Beschaffenheit oder von gleichem Attribut geben.

Beweis: Gäbe es mehrere verschiedene Substanzen, so müssten sie sich entweder durch die Verschiedenheit der Attribute oder durch die Verschiedenheit der Affektionen voneinander unterscheiden (nach dem vorigen Lehrsatz). Wenn allein durch die Verschiedenheit der Attribute, so wird damit zugestanden, dass es nur eine Substanz von gleichem Attribut gibt. Wenn aber durch die Verschiedenheit der Affektionen: da die Substanz von Natur früher ist als ihre Affektionen (nach Lehrsatz 1), so wird sie, von ihren Affektionen abgesehen und für sich betrachtet, d.h. (nach Definition 3 und Axiom 6) richtig betrachtet, als unterschieden von einer anderen nicht begriffen werden können, d.h. (nach dem vorigen Lehrsatz), es kann nicht mehrere Substanzen geben, sondern nur Eine. W.z.b.w.

Lehrsatz 6

Eine Substanz kann nicht von einer anderen Substanz hervorgebracht werden.

Beweis: In der Natur kann es nicht zwei Substanzen von gleichem Attribut geben (nach dem vorigen Lehrsatz), d.h. (nach Lehrsatz 2) die etwas miteinander gemein haben. Darum kann (nach Lehrsatz 3) die eine nicht die Ursache der anderen sein, oder eine kann nicht von der anderen hervorgebracht werden. W.z.b.w.

Zusatz: Daraus folgt, dass eine Substanz nicht von etwas anderem hervorgebracht werden kann. Denn in der Natur gibt es nichts als Substanzen und deren Affektionen, wie nach Axiom 1 und den Definitionen 3 und 5 klar ist. Von einer Substanz aber kann sie nicht hervorgebracht werden (nach dem vorigen Lehrsatz). Folglich kann eine Substanz von einer anderen Substanz überhaupt nicht hervorgebracht werden. W.z.b.w.

Anderer Beweis: Noch leichter kann dies aus der Widersinnigkeit des Gegenteils bewiesen werden. Wenn nämlich eine Substanz von einer anderen hervorgebracht werden könnte, so müsste die Erkenntnis derselben von der Erkenntnis ihrer Ursache abhängen (nach Axiom 4); dann aber wäre sie (nach Definition 3) keine Substanz.

Lehrsatz 7

Zur Natur der Substanz gehört es, dass sie existiert.

Beweis: Die Substanz kann von etwas anderem nicht hervorgebracht werden (nach dem Zusatz zum vorigen Lehrsatz); sie ist daher Ursache ihrer selbst, d.h., ihr Wesen schließt notwendig die Existenz ein, oder zu ihrer Natur gehört das Dasein. W.z.b.w.

 

Lehrsatz 8

Alle Substanz ist notwendig unendlich.

Beweis: Es kann nicht mehr als eine einzige Substanz von gleichem Attribut vorhanden sein (nach Lehrsatz 5), und zu ihrer Natur gehört die Existenz (nach Lehrsatz 7); folglich muss sie ihrer Natur nach entweder als endlich oder als unendlich existieren. Als endlich aber nicht; denn sie müsste dann (nach Definition 2) von einer anderen Substanz gleicher Natur, die ebenfalls notwendig existieren müsste, begrenzt werden (zufolge Lehrsatz 7); es gäbe also zwei Substanzen von gleichem Attribut, was widersinnig ist (nach Lehrsatz 5). Somit existiert sie als unendlich. W.z.b.w.

Anmerkung 1: Da endlich sein im Grunde genommen eine teilweise Verneinung, unendlich sein aber die absolute Bejahung des Daseins irgendeiner Natur ist, so folgt also schon aus dem Lehrsatz 7, dass jede Substanz unendlich sein muss.

Anmerkung 2: Ich bezweifle nicht, dass es allen, die über die Dinge unklar urteilen und nicht gewohnt sind, die Dinge nach ihren ersten Gründen zu erkennen, schwer fallen wird, den Beweis des Lehrsatzes 7 zu begreifen; weil sie nämlich keinen Unterschied machen zwischen den Modifikationen der Substanzen und den Substanzen selbst, und nicht wissen, auf welche Weise die Dinge hervorgebracht werden. Daher kommt es, dass sie den Substanzen einen Anfang andichten, weil sie sehen, dass die Naturdinge einen Anfang haben. Denn diejenigen, die die wahren Gründe der Dinge nicht kennen, werfen alles durcheinander und lassen ohne Widerstreben ihres Geistes Bäume wie Menschen reden und Menschen aus Steinen wie aus Samen entstehen, oder bilden sich ein, es könne sich jede Form in jede beliebige andere verwandeln. So schreiben auch die, die die göttliche Natur mit der menschlichen verwechseln, ohne Bedenken Gott menschliche Affekte zu, besonders solange sie auch nicht wissen, auf welche Weise die Affekte in der Seele entstehen.

Würden dagegen die Menschen auf die Natur der Substanz genau achten, so würden sie die Wahrheit des Lehrsatzes 7 keinen Augenblick bezweifeln; ja dieser Lehrsatz würde für jeden als Axiom gelten und zu den Gemeinbegriffen gezählt werden. Denn unter Substanz würden sie dann das verstehen, was in sich ist und durch sich begriffen wird, d.h. etwas, dessen Erkenntnis nicht die Erkenntnis eines anderen Dinges nötig hat; unter Modifikationen aber das, was in einem anderen ist und deren Begriff nach dem Begriff des Dinges, in dem sie sind, gebildet wird. Daher auch können wir richtige Ideen von Modifikationen haben, die nicht existieren, weil nämlich, obwohl sie außerhalb des Geistes nicht wirklich existieren, ihr Wesen doch in einem anderen so enthalten ist, dass sie durch dieses begriffen werden können. Die Wahrheit der Substanzen aber ist außerhalb des Geistes nirgends als in ihnen selbst, weil sie durch sich begriffen werden. Wenn also jemand sagen würde, er habe eine klare und deutliche, d.h. wahre Idee von einer Substanz und zweifle trotzdem, ob eine solche Substanz existiere, so wäre das wahrlich ebenso, als würde er sagen, er habe eine wahre Idee und zweifle trotzdem, ob sie nicht falsch sei (wie jedem klar sein wird, der die Sache im rechten Licht betrachtet). So wenn jemand behaupten würde, eine Substanz werde geschaffen, so behauptet er zugleich, dass eine falsche Idee wahr geworden sei. Widersinnigeres als dieses kann wahrlich nicht gedacht werden. Daher muss man notwendig zugeben, dass die Existenz der Substanz, ebenso wie ihr Wesen, ewige Wahrheit sei.

Wir können hier auch noch auf eine andere Weise den Schluss ziehen, dass es nur eine einzige Substanz von gleicher Natur geben könne, und ich halte es der Mühe wert, dies hier zu zeigen. Um ordnungsgemäß zu verfahren, merke ich folgendes an: 1. dass eine richtige Definition eines jeden Dinges nichts in sich schließt noch ausdrückt als die Natur des definierten Dinges. Daraus folgt 2. dass keine Definition eine bestimmte Zahl von Individuen in sich schließt oder ausdrückt, da sie eben nichts anderes ausdrückt als die Natur des definierten Dinges. Zum Beispiel drückt die Definition eines Dreiecks nichts anderes aus als die einfache Natur des Dreiecks, nicht aber eine bestimmte Zahl von Dreiecken; 3. ist zu beachten, dass es von jedem existierenden Ding irgendeine bestimmte Ursache geben muss, weswegen es existiert; 4. schließlich ist zu beachten, dass diese Ursache, weswegen ein Ding existiert, entweder in der Natur selbst und der Definition des existierenden Dinges enthalten sein muss (weil nämlich das Dasein zur Natur desselben gehört), oder dass diese Ursache außerhalb derselben liegen muss.

Aus diesen Sätzen folgt, dass, wenn in der Natur irgendeine bestimmte Anzahl von Individuen existiert, es notwendig eine Ursache geben muss, weshalb jene Individuen und weshalb nicht mehr oder weniger existieren. Wenn z.B. in der Natur zwanzig Menschen vorhanden wären (von denen ich, der größeren Deutlichkeit wegen, annehme, dass sie gleichzeitig existieren und dass keine anderen vor ihnen exis­tierten), so wird es nicht genügen (um nämlich den Grund anzugeben, weshalb zwanzig Menschen existieren), die Ursache der menschlichen Natur im allgemeinen darzulegen, sondern es wird außerdem nötig sein, die Ursache darzulegen, weshalb nicht mehr noch weniger als zwanzig existieren; da es (nach Punkt 3) von jedem notwendig eine Ursache geben muss, weswegen es existiert. Diese Ursache kann nun aber (nach Punkt 2 und 3) nicht in der menschlichen Natur selbst enthalten sein, da die wahre Definition des Menschen die Zahl Zwanzig nicht in sich schließt; es muss also (nach Punkt 4) die Ursache, weshalb diese zwanzig Menschen existieren und folglich auch, warum jeder einzelne existiert, notwendig außerhalb eines jeden liegen. Daher muss man unbedingt den Schluss ziehen, dass alles, von dessen Natur mehrere Individuen existieren können, notwendig eine äußere Ursache für sein Dasein haben muss. Da es nun zur Natur der Substanz gehört zu existieren (wie in dieser Anmerkung bereits gezeigt worden), so muss ihre Definition notwendige Existenz in sich schließen, und folglich muss aus ihrer bloßen Definition ihre Existenz geschlossen werden. Dagegen kann aus ihrer Definition (wie bereits in Punkt 2 und 3 dargestellt) nicht die Existenz mehrerer Substanzen folgen. Es folgt somit aus ihr mit Notwendigkeit, dass nur eine einzige Substanz von gleicher Natur existiert, wie im Lehrsatz behauptet wurde.

Lehrsatz 9

Je mehr Realität oder Sein jedes Ding hat, desto mehr Attribute kommen ihm zu.

Beweis: Es erklärt sich dies aus Definition 4.

Lehrsatz 10

Jedes Attribut einer Substanz muss durch sich begriffen werden.

Beweis: Denn ein Attribut ist das, was der Verstand an der Substanz als zu ihrem Wesen gehörig erkennt (nach Definition 4), folglich muss es (nach Definition 3) durch sich begriffen werden. W.z.b.w.

Anmerkung: Daraus erklärt sich, dass, wenn auch zwei Attribute als tatsächlich verschieden begriffen werden, d.h. eines ohne Zuhilfenahme des anderen, wir daraus doch nicht schließen können, dass sie zwei Wesen oder zwei verschiedene Substanzen bilden. Denn das gehört zur Natur der Substanz, dass jedes ihrer Attribute durch sich begriffen wird, da ja alle Attribute, die sie hat, immer zugleich in ihr gewesen sind und eines vom anderen nicht hervorgebracht werden konnte; jedes einzelne drückt vielmehr die Realität oder das Sein der Substanz aus. Weit entfernt daher, dass es widersinnig wäre, einer Substanz mehrere Attribute zuzuschreiben, ist im Gegenteil nichts in der Natur klarer, als dass jedes Wesen unter irgendeinem Attribut begriffen werden muss und dass, je mehr Realität oder Sein dasselbe hat, es auch desto mehr Attribute hat, die sowohl die Notwendigkeit oder Ewigkeit wie auch die Unendlichkeit ausdrücken. Demzufolge ist auch nichts klarer, als dass das absolut unendliche Wesen notwendig definiert werden muss (wie schon in Definition 6 geschehen) als ein Wesen, das aus unendlichen Attributen besteht, von welchen jedes eine gewisse ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt. Fragt nun aber jemand, an welchem Zeichen wir dann die Verschiedenheit der Substanzen unterscheiden können, so möge er die nachstehenden Lehrsätze lesen, die zeigen, dass in der Natur nur eine einzige Substanz existiert und dass dieselbe absolut unendlich ist; dass also ein solches Zeichen vergebens gesucht würde.

Lehrsatz 11

Gott oder die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existiert notwendig.

Beweis: Bestreitet man das, so nehme man an, wenn man kann, Gott existiere nicht. Es schließt also (nach Axiom 7) sein Wesen seine Existenz nicht ein. Nun ist aber das (nach Lehrsatz 7) widersinnig. Also existiert Gott notwendig. W.z.b.w.

Anderer Beweis: Von jedem Ding muss eine Ursache oder ein Grund angegeben werden, sowohl warum es existiert als auch warum es nicht existiert. Zum Beispiel, wenn ein Dreieck existiert, so muss es auch einen Grund oder eine Ursache geben, warum es existiert. Existiert es aber nicht, so muss es ebenfalls einen Grund oder eine Ursache geben, die verhindert, dass es existiert oder die seine Existenz aufhebt. Dieser Grund aber oder diese Ursache muss entweder in der Natur des Dinges enthalten sein oder außerhalb derselben liegen. Zum Beispiel gibt die Natur des Kreises selbst den Grund an, warum ein viereckiger Kreis nicht existiert, weil das nämlich einen Widerspruch in sich schließen würde. Weshalb aber hingegen die Substanz existiert, folgt ebenfalls aus der Natur allein derselben, die nämlich die Existenz in sich schließt (siehe Lehrsatz 7). Der Grund aber, weshalb ein Kreis oder ein Dreieck existiert oder nicht existiert, folgt nicht aus ihrer Natur, sondern aus der Ordnung der Natur aller Körper; denn aus dieser muss folgen, dass entweder das Dreieck mit Notwendigkeit bereits existiert oder dass es unmöglich ist, dass es bereits existiert. Dies ist doch wohl selbstverständlich. Daraus folgt, dass dasjenige mit Notwendigkeit existiert, wovon kein Grund und keine Ursache vorhanden ist, die es verhinderte zu existieren. Wenn es daher keinen Grund und keine Ursache geben kann, die verhinderte, dass Gott existiert oder die seine Existenz aufheben würde, so muss unbedingt gefolgert werden, dass er mit Notwendigkeit existiert. Gäbe es nun einen solchen Grund oder eine solche Ursache, so müsste sie entweder in der eigenen Natur Gottes liegen oder außerhalb derselben, d.h. in einer anderen Substanz von anderer Natur. Denn wäre sie von gleicher Natur, so wäre damit schon zugestanden, dass Gott ist. Eine Substanz aber, die von anderer Natur wäre, hat nichts mit Gott gemein (nach Lehrsatz 2) und kann daher seine Existenz weder setzen noch aufheben.

Da es also einen Grund oder eine Ursache, die die göttliche Existenz aufhebt, außerhalb der göttlichen Natur nicht geben kann, so müsste sie, wenn er nicht existieren würde, notwendig in der eigenen Natur Gottes liegen, die somit einen Widerspruch enthielte. Dies aber vom absolut unendlichen und höchst vollkommenen Wesen zu behaupten, wäre widersinnig. Es gibt also weder in Gott noch außer Gott irgendeine Ursache oder einen Grund, der seine Existenz aufhebt. Folglich existiert Gott notwendig. W.z.b.w.

Anderer Beweis: Nicht existieren können ist Ohnmacht, existieren können dagegen Macht (was an sich klar ist). Wenn darum das, was schon notwendig existiert, nur endliche Wesen sind, so wären also endliche Wesen mächtiger als das absolut unendliche Wesen. Das ist (selbstverständlich) widersinnig. Somit existiert entweder nichts, oder das absolut unendliche Wesen existiert notwendig. Nun existieren wir selbst, entweder in uns oder in einem anderen, das notwendig existiert (siehe Axiom 1 und Lehrsatz 7). Folglich muss das absolut unendliche Wesen, d.h. (nach Definition 6) Gott, notwendig existieren. W.z.b.w.

Anmerkung: In diesem letzten Beweis wollte ich das Dasein Gottes a posteriori nachweisen, damit der Beweis leichter begriffen werde, nicht aber darum, weil das Dasein Gottes auf derselben Grundlage auch nicht a priori zu folgern wäre. Denn da existieren können Macht ist, so folgt, dass je mehr Realität der Natur eines Dinges zukommt, es umso mehr Kraft aus sich hat zu existieren. Daher muss das absolut unendliche Wesen oder Gott eine absolut unendliche Macht zu existieren aus sich haben, und er muss darum absolut existieren.

Vielleicht werden viele die Evidenz dieses Beweises nicht leicht einsehen, weil sie gewohnt sind, nur solche Dinge zu betrachten, die aus äußeren Ursachen entspringen; dabei machten sie die Wahrnehmung, dass Dinge, die schnell entstehen, d.h. leicht existieren, auch wieder leicht untergehen, und umgekehrt meinen sie, dass diejenigen Dinge schwieriger zu machen sind, d.h. nicht so leicht existieren, zu welchen nach ihren Begriffen mehr erforderlich ist. Indessen, um diesen Vorurteilen entgegenzutreten, ist es nicht nötig, hier zu zeigen, in welchem Sinne der Satz: »Was schnell entsteht, vergeht schnell« wahr sei; noch auch, ob hinsichtlich der ganzen Natur alles gleich leicht sei oder nicht. Es genügt vielmehr die eine Anmerkung, dass ich hier nicht von Dingen rede, die durch äußere Ursachen entstehen, sondern nur von Substanzen, die (nach Lehrsatz 6) von keiner äußeren Ursache hervorgebracht werden können. Denn Dinge, die durch äußere Ursachen entstehen, mögen sie aus vielen Teilen bestehen oder aus wenigen, verdanken alles, was sie an Vollkommenheit oder Realität haben, der Kraft der äußeren Ursache, ihre Existenz entspringt daher lediglich aus der Vollkommenheit der äußeren Ursache, nicht der eigenen. Was hingegen die Substanz an Vollkommenheit hat, verdankt sie keiner äußeren Ursache; daher muss auch ihre Existenz aus ihrer eigenen Natur allein folgen, die demnach nichts anderes ist als ihr Wesen. Die Vollkommenheit hebt somit die Existenz eines Dinges nicht auf, sondern setzt sie vielmehr; die Unvollkommenheit hingegen hebt dieselbe auf. Daher können wir über die Existenz keines Dinges mehr Gewissheit haben als über die Existenz des absolut unendlichen oder vollkommenen Wesens, d.h. Gottes. Denn da sein Wesen alle Unvollkommenheit ausschließt und absolute Vollkommenheit in sich schließt, so hebt es eben dadurch jeden Grund, an seiner Existenz zu zweifeln, auf und gibt darüber die höchste Gewissheit. Wer nur einigermaßen aufmerksam ist, wird dies, denke ich, einleuchtend finden.

 

Lehrsatz 12

Kein Attribut einer Substanz kann richtig begriffen sein, wenn aus dessen Begriff folgen würde, dass die Substanz geteilt werden könne.

Beweis: Denn die Teile, in die die Substanz, so begriffen, geteilt würde, würden entweder die Natur der Substanz behalten oder nicht. Ist das erstere der Fall, so müsste (nach Lehrsatz 8) jeder Teil unendlich sein, er müsste auch (nach Lehrsatz 6) Ursache seiner selbst sein und (nach Lehrsatz 5) aus verschiedenen Attributen bestehen. So könnten aus einer Substanz mehrere Substanzen sich bilden, was (nach Lehrsatz 6) widersinnig ist. Hierzu kommt noch, dass die Teile (nach Lehrsatz 2) nichts mit ihrem Ganzen gemein hätten und das Ganze (nach Definition 4 und Lehrsatz 10) ohne seine Teile sowohl sein als auch begriffen werden könnte; eine Widersinnigkeit, die niemand verkennen wird. Würde aber der zweite Fall angenommen, dass nämlich die Teile die Natur der Substanz nicht behalten, so würde folglich die Substanz, wenn sie in gleiche Teile geteilt würde, die Natur der Substanz verlieren und zu sein aufhören; was (nach Lehrsatz 7) widersinnig wäre.

Lehrsatz 13

Die absolut unendliche Substanz ist unteilbar.

Beweis: Wäre sie teilbar, so würden die Teile, in die sie geteilt würde, die Natur der absolut unendlichen Substanz entweder behalten oder nicht behalten. Im ersten Fall würden sich mehrere Substanzen von gleicher Natur ergeben, was (nach Lehrsatz 5) widersinnig wäre. Im zweiten Fall würde sich ergeben (wie oben gezeigt), dass die absolut unendliche Substanz aufhören könnte zu sein, was (nach Lehrsatz 11) gleichfalls widersinnig wäre.

Zusatz: Daraus folgt, dass keine Substanz und folglich keine körperliche Substanz, sofern sie Substanz, teilbar ist.

Anmerkung: Dass die Substanz unteilbar ist, wird noch einfacher daraus allein erkannt, dass man die Natur der Substanz nicht anders denn als unendlich begreifen kann, während unter einem Teil der Substanz nichts anderes verstanden werden kann als eine endliche Substanz; was (nach Lehrsatz 8) einen offensichtlichen Widerspruch enthielte.

Lehrsatz 14

Außer Gott kann es eine Substanz weder geben, noch kann eine solche begriffen werden.

Beweis: Da Gott das absolut unendliche Wesen ist, an dem kein Attribut, das das Wesen der Substanz ausdrückt, verneint werden kann (nach Definition 6) und derselbe notwendig existiert (nach Lehrsatz 11), so musste, wenn es eine Substanz außer Gott gäbe, dieselbe durch irgendein Attribut Gottes ausgedrückt werden, und so wären zwei Substanzen von gleichem Attribut vorhanden, was (nach Lehrsatz 3) widersinnig wäre. Somit kann es keine Substanz außer Gott geben, und folglich kann eine solche auch nicht begriffen werden. Denn könnte eine solche begriffen werden, so müsste sie notwendig als existierend begriffen werden, was aber (nach dem ersten Teil dieses Beweises) widersinnig ist. Folglich kann außer Gott keine Substanz vorhanden sein noch begriffen werden. W.z.b.w.

Zusatz 1: Daraus folgt ganz klar erstens: dass Gott einzig ist, d.h. (nach Definition 6), dass es in der Natur nur eine Substanz gibt und dass dieselbe absolut unendlich ist, wie in der Anmerkung zu Lehrsatz 10 bereits angedeutet wurde.

Zusatz 2: Es folgt daraus zweitens: dass das ausgedehnte Ding und das denkende Ding entweder Attribute Gottes sind oder (nach Axiom 1) Affektionen der Attribute Gottes.

Lehrsatz 15

Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein noch begriffen werden.

Beweis: Außer Gott gibt es keine Substanz und kann auch keine begriffen werden (nach Lehrsatz 14), d.h. (nach Definition 3) kein Ding, das in sich ist und durch sich begriffen wird. Die Modi aber können (nach Definition 5) ohne die Substanz weder sein noch begriffen werden. Somit können sie nur in der göttlichen Natur sein und nur durch sie begriffen werden. Außer den Substanzen und ihren Modi gibt es aber nichts (nach Axiom 1). Folglich kann ohne Gott nichts sein noch begriffen werden. W.z.b.w.

Anmerkung: Es gibt Menschen, die sich Gott wie einen Menschen vorstellen, aus Körper und Geist bestehend und den Leidenschaften unterworfen. Wie weit aber diese vom richtigen Begriff Gottes entfernt sind, ergibt sich aus dem, was bereits bewiesen worden, zur Genüge. Doch lasse ich diese beiseite; denn alle, die über die göttliche Natur nur einigermaßen nachgedacht haben, verneinen die Körperlichkeit Gottes. Unter anderem beweisen sie das am besten damit, dass man unter Körper eine lange, breite und hohe Masse von bestimmter Form versteht, während es nichts Widersinnigeres geben könne, als dies von Gott, dem absolut unendlichen Wesen, zu sagen. Indessen zeigen sie doch durch andere Gründe, womit sie dies zu beweisen suchen, deutlich, dass sie die körperliche oder ausgedehnte Substanz selbst von der göttlichen Natur ganz und gar fern halten, und zwar behaupten sie, dieselbe sei von Gott geschaffen. Aus welcher göttlichen Macht aber dieselbe geschaffen werden konnte, darüber wissen sie nicht das Geringste; was deutlich zeigt, dass sie das, was sie sagen, selbst nicht verstehen. Meiner Meinung nach wenigstens habe ich klar genug bewiesen (siehe Zusatz zu Lehrsatz 6 und Anmerkung 2 zu Lehrsatz 8), dass keine Substanz von einer anderen hervorgebracht oder geschaffen werden kann. Weiter habe ich (Lehrsatz 14) gezeigt, dass es außer Gott keine Substanz geben und keine begriffen werden kann, und daraus habe ich den Schluss gezogen, dass die ausgedehnte Substanz eines von den unendlichen Attributen Gottes sei. Um jedoch die Sache völlig klarzumachen, will ich die Argumente der Gegner widerlegen, die alle auf folgendes hinauslaufen.

Erstens meinen sie, dass die körperliche Substanz, als Substanz, aus Teilen bestehe; daher verneinen sie, dass dieselbe unendlich sein und folglich auch, dass sie zu Gott gehören könne. Sie entwickeln das auch an vielen Beispielen, von denen ich das eine oder andere anführen will. Angenommen, sagen sie, die körperliche Substanz sei unendlich, so nehme man an, dass sie in zwei Teile geteilt würde; jeder Teil wird entweder endlich oder unendlich sein. Ist ersteres der Fall, so wäre das Unendliche aus zwei endlichen Teilen zusammengesetzt, was widersinnig wäre. Im letzteren Fall gäbe es ein Unendliches, das doppelt so groß wäre wie ein anderes Unendliches, was gleichfalls widersinnig wäre. Ferner: Wenn eine unendliche Größe mit einem Maß von der Größe eines Fußes gemessen wird, so muss sie aus unendlich vielen solchen Teilen bestehen und ebenso, wenn sie mit einem Maß von der Größe einer Fingerbreite (eines Zolls) gemessen würde. Demnach wäre eine unendliche Zahl zwölfmal größer als eine andere unendliche Zahl. Schließlich: Wenn man sich aus einem Punkte einer unendlichen Größe zwei Linien, wie AB und AC (s. Figur), gezogen denkt, die sich anfangs in einem gewissen und bestimmten Abstand voneinander entfernen und ins Unendliche verlängert werden, so wird sicherlich der Abstand zwischen B und C fortwährend zunehmen und schließlich aus einem endlichen ein unendlicher werden.