Migration und Frauenbild

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Barbara Sichtermann

Migration und Frauenbild

Essay

zu Klampen Libelli


Dieser Text wurde zuerst veröffentlicht bei Essay und Diskurs im Deutschlandfunk, gesendet am 6. August 2017.

© 2017 zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe

www.zuklampen.de

Satz: Zeilenwert GmbH · Rudolstadt · www.zeilenwert.de

Covergestaltung: Melanie Beckmann · Bad Münder · www.design-beckmann.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-86674-692-3

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

Am 16. Juni 2017 wurde in Berlin-Moabit eine Moschee eingeweiht. Mehrere Polizeifahrzeuge parkten ringsum, Übertragungswagen von Fernsehsendern bezogen Posten. Es handelte sich aber auch um ein ungewöhnliches Ereignis. Die neue Moschee liegt auf dem Gelände der protestantischen St.-Johannis-Kirche, und sie soll in Zukunft nicht nur Muslimen, sondern auch Christen und Juden Räume für Gebet und Einkehr offen halten. Ferner sind alle muslimischen Glaubensrichtungen willkommen. Sogar Nichtgläubige sollen Zutritt haben. Außerdem erst- und einmalig: Frauen dürfen unverschleiert neben Männern knien, und sie können sogar in diesem Gotteshaus predigen.

Die Initiative zu einer solchen »liberalen Moschee« stammt von der Anwältin und Feministin Seyran Ates; der Name des Gebetshauses lautet Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, wobei Ibn Rushd für einen muslimischen Theologen aus dem 12. Jahrhundert steht, der seinen Glauben mit Aristoteles, also der griechisch-römischen Antike, zu versöhnen trachtete. Und Goethe wurde Namenspatron, weil nicht zuletzt sein »Westöstlicher Diwan«, ein lyrisches Werk, zeigt, wie hoch der Dichterfürst die arabische Kultur schätzte. Auch er war ein Brückenbauer zwischen den Kulturen.

Aber warum so viele Polizeiautos? Die Idee der Frau Ates findet nicht überall Zuspruch. Da gibt es Islam-Vertreter, die an ihren Traditionen festhalten wollen und eine solche Liberalisierung als Blasphemie empfinden. Aus dem fernen Kairo traf sogleich eine Fatwa von der Universität ein: das neue Gotteshaus sei umgehend zu schließen. Es gibt auch Christen, denen es nicht gefällt, wenn die Tore ihrer Kirchen sich für Andersgläubige öffnen. Ein protestantisches Ehepaar verteilte Flugblätter, auf denen es Ates und ihre Mitstreiter als »Traumtänzer« abwertete und seinen Austritt aus der evangelischen Kirche bekannt gab. Aber Superintendent Berthold Höcker, der bei der St.-Johannis-Kirche Platz für die Moschee macht, hält an der Idee einer toleranten Weltkirche und ihrer Verwirklichung in Moabit fest. Er spricht sogar von einem »Meilenstein«.

Vielleicht kommt es ja so weit, dass die Berlinerinnen und Berliner mit und ohne Migrationshintergrund irgendwann sagen: Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, das war ein Wendepunkt damals, jetzt wissen wir, was zu tun ist. Vielleicht aber scheitert das mutige Projekt. Heute kann das niemand wissen. So viel jedoch ist sicher: Wenn Integration gelingen soll und Deutsche und Neudeutsche und Zugewanderte friedlich und freundlich zusammenleben wollen, brauchen wir viele Ibn-Rushd-Goethe-Moscheen. Sie mögen in Zukunft anders heißen und auch an anderen Orten entstehen als auf dem Gelände einer protestantischen Kirche. Aber eines müssten sie alle gemeinsam haben: Dass sie Menschen ungeachtet ihres religiösen Bekenntnisses als Brüder und Schwestern akzeptieren. Und dass sie Frauen und Männer nicht mehr separieren, Frauen keine Verhüllung mehr abverlangen und ihnen stattdessen das Wort erteilen. Solche »Erlaubnisse«, solche Freiheiten, solche Gleichheiten sind letztlich der Schlüssel zur Integration.

Es ist viel vom Grundgesetz die Rede, wenn es um Integration geht. Diesen Normenkatalog müssten Neubürger achten, und damit sind sie in aller Regel auch einverstanden. Was aber nun die Religion betrifft, so leidet die Debatte an einem elementaren Missverständnis. Im Grundgesetz steht, dass in Deutschland Religionsfreiheit herrscht. Das klingt gut. Es heißt in der Praxis, dass die Bundesrepublik verschiedenste Bekenntnisse zulässt, christliche ebenso wie jüdische, freikirchliche ebenso wie muslimische. Sie alle und noch viel mehr sollen ihre Gotteshäuser bauen und ihre Rituale pflegen dürfen. Diese Freiheit wiederum impliziert, dass jede Gemeinde und jeder Gläubige das Recht anderer Menschen auf ihren eigenen religiösen Weg anerkennt. Der Christ soll die Synagoge respektieren und der Jude die Moschee. Ist das so? Es ist komplizierter. Wirklich durchgesetzt hat sich die Toleranz nicht. Es gibt immer noch die Idee des wahren Glaubens, für den gekämpft werden müsse – in allen Religionen.

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