Es begann in Paris

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Es begann in Paris
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Vorwort

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Impressum neobooks

Es begann in Paris

Liebesroman

Vorwort

Hinweis:

Das vorliegende Buch ist eine Überarbeitung des Werks »Von der Liebe geträumt«.

Alle Rechte an dem Werk liegen beim Autor.

Christina Neuenhofen ist mit ihren Eltern in Paris. Zweimal träumt sie von einem Fluss, farbigen Bildern und einem jungen Maler. Als sie ihm tatsächlich begegnet, kann sie es kaum glauben. Kann man von einem Menschen träumen, ohne ihn vorher gekannt zu haben?

Sie verliebt sich in ihn. Doch ihre Eltern, als reiche Unternehmer haben etwas dagegen. Sie haben andere Vorstellungen von der Zukunft ihrer Tochter.

Wird Christina ihre Liebe bekommen?

ca. 140 Normseiten

Impressum

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Das nachfolgende Werk ist frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt, auch stimmen Orte und ihre Beschreibungen nicht mit der Wirklichkeit überein. Markennamen sowie Warenzeichen, die im vorliegenden Werk Verwendung finden, sind Eigentum ihres rechtmäßigen Eigentümers.

Alles ist nur Fiktion, und doch – emotional und abstrakt betrachtet – wäre alles genau so möglich.

Axel Adamitzki

Scheiblerstraße 81

47800 Krefeld

adamitzki@t-online.de

www.axel-adamitzki.de

Bildnachweis: www.depositphotos.com

1

Christina stand aufgeregt vor einer Galerie in Paris. Ihr Blick fiel wieder auf die Bilder, die durch das fassadengroße Fenster zu erkennen waren. Es war nichts dabei, was sie hoffte, zu finden. Und doch - sie wusste nicht warum – hatte sie das Gefühl, sie sollte diese Galerie betreten.

Letzte Nacht hatte sich ein sonderbarer Traum wiederholt, den sie in der Nacht davor schon einmal geträumt hatte: Ein Maler stand, umgeben von seinen Bildern - sehr farbige Bilder -, an einem Fluss, der langsam und ruhig dahinfloss. Und er lächelte sie an.

Der Fluss, das war die Seine, da war sich Christina sicher. Und dieser Maler wirkte jung und freundlich. Doch sie erinnerte sich nicht mehr an sein Gesicht. Aber das Lächeln, das von seinen Augen ausging, wärmte ihr die Seele. Was für ein berückendes Gefühl.

Doch was wollte dieser Traum ihr sagen? Zwei Mal!

Diese Frage stellte sie sich schon den ganzen Morgen. Sie fand keine Antwort. Und doch ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Und auch dieser Maler geisterte ihr noch immer durch die Gedanken.

Und so ließ sie sich heute schon eine lange Zeit, ihrem Gefühl folgend, durch Paris treiben. Ziellos war sie an der Seine gewesen, war an Cafés vorbeigekommen, hatte hier und da Bilder in kleinen Galerien, die es in den Nebenstraßen vielzählig gab, betrachtet und hatte sogar in Bildbänden in zwei Buchantiquariaten gestöbert. Doch nichts hatte sie wirklich berührt. Erst hier, vor dieser Galerie, wurde der Traum wieder lebendig. Und merkwürdig! Auch diese bislang ungekannte Wärme befiel sie wieder sehr heftig.

Sollte sie die Galerie betreten? Nur wozu? Hier würde sie den Maler wahrlich nicht finden.

Aber bevor sich weitere Fragen aufdrängen konnten, die ihr zeigen würden, wie unsinnig all diese Gedanken waren, verzog sich die Sonne hinter dicken Wolken und im nächsten Augenblick, fing es an zu regnen. Und bald schon fielen die Tropfen heftig auf den warmen Asphalt, wurde der Schauer zu einem Platzregen.

Ein Zeichen?

Christina zuckte die Achseln. Sie wusste es nicht. Und ohne weiter darüber nachzudenken, drehte sie sich zur Tür hin. Mehr als wieder gehen, kann ich nicht, sagte sie sich, drückte die Klinke herunter und betrat die Galerie.

Und es war mehr als nur das Betreten einer Galerie, es war das Betreten eines neuen Lebens.

*

Stille umfing sie. Ruhe. Und Schweigen.

Der Galerist saß links in der Ecke, hinter einem großen dunklen Schreibtisch, sah kurz hoch, nickte Christina begrüßend zu und widmete sich augenblicklich wieder einem Schriftstück, das er in Händen hielt. Offensichtlich schien es normal, dass die Interessenten sich erst einmal nur einen Überblick über all die Bilder, die hier zum Verkauf angeboten wurden, verschaffen wollten oder auch sollten.

Christina sah sich um, betrachtete fünf, sechs Bilder und stand bald unversehens vor einem Bild neben dem Schreibtisch.

Der Galerist sah sie an. Und er lächelte.

»Kann ich etwas für Sie tun? Suchen Sie etwas Bestimmtes?«

»Ich weiß noch nicht, ... ich schaue erst noch einmal weiter«, antwortete Christina in holprigem Französisch, wobei der deutsche Akzent unverkennbar war.

»Ah, ... Mademoiselle sind aus Deutschland!«

»Sie sprechen Deutsch?«

Christina war überrascht. Und sie freute sich. Nicht nur weil der Galerist Deutsch sprach, er war ihr sympathisch, und er entsprach so ganz ihrem Bild eines französischen Lebemannes: um die fünfzig, charmant, lebenserfahren, das Gesicht ein klein wenig verlebt, die Haare graumeliert und halblang und dieser selbstverständliche Dreitagebart.

»Leider spreche ich nur ganz wenig Deutsch«, kokettierte er mit einem fast fehlerfreien Deutsch und begann zu erzählen: Seine Galerie, Galerie Boulin, so hieß er, wie er nebenbei erwähnte, also, seine Galerie hier mitten in Paris, betraten Touristen aus der ganzen Welt. So sprach er nicht nur ein wenig Deutsch, sondern auch Englisch und auch einige Worte Russisch. »In meine Galerie kommen viele Deutsche«, fuhr er fort und fragte dann freundlich: »Sind Sie zu Besuch in unserem schönen Paris oder wohnen Sie hier?«

»Leider nur zu Besuch.«

Monsieur Boulin sah ihre sehnsuchtsvollen Augen und wusste, dass auch sie eine verlorene Seele war, eine Seele, die in irgendeinem Winkel dieser unablässig lebendigen Stadt etwas gesehen hatte, etwas erlebt hatte, das sie bis zum Ende ihres Lebens als unerfüllbare Hoffnung auf ein Wiedererleben im Herzen tragen würde. So erging es vielen, und doch mussten diese armen Seelen nur allzu oft nach wenigen Tagen ihr Leben woanders fortsetzen.

Aber Christina sollte ihre schicksalhafte Begegnung noch vor sich haben. Und doch hatte Monsieur Boulin recht, sie hatte ihre Seele an diese Stadt bereits verloren - nach nur drei Tage.

Christina nickte freundlich und sah sich weiter um. Und Monsieur Boulin widmete sich wieder seiner Arbeit.

Die helle und ansprechende Galerie erstreckte sich über zwei Räume. Christina sah sich jetzt Bilder moderner Künstler an.

In kleinen Schritten, unentschlossen, ging sie von Bild zu Bild. Zwischendurch suchte sie immer wieder Blickkontakt zu Monsieur Boulin, lächelte ihn an und betrachtete ein nächstes Bild.

Was mache ich hier?, fragte sie sich.

Sie lachte, innerlich. Einem Traum nachjagen? Genau das war es, sie jagte einem Traum nach. Wie sinnlos. Doch merkwürdig, noch wollte sie nicht aufgeben. Zumal, wie ein Blick durch das Fenster verriet, es noch immer regnete.

Still legte Monsieur Boulin das Schriftstück auf den Schreibtisch, zündete sich eine dieser starken französischen Zigaretten an und musterte die deutsche Touristin endlich etwas genauer.

 

Sie mochte etwa Anfang zwanzig sein, hatte eine makellose Figur und sah wunderschön aus. Ihre dunkelbraunen Haare, lang und wellig, unterstrichen beeindruckend ihre großen blauen Augen. Sie war ihm sympathisch - nicht sehr oft erlebte er so etwas bei den vielen Touristen, die täglich seine Galerie betraten.

Unentschlossen blieb Christina beim letzten Bild kurz stehen, verschwand noch einmal im Nebenraum, kam aber rasch zurück und sah den Galeristen fragend, hilflos und auffordernd an.

Er drückte gedankenvoll die Zigarettenkippe im Aschenbecher aus.

»Haben Sie nichts gefunden?«

»Nein, ... leider nicht.«

Die Antwort klang verzagt. Bislang konnte sie sich immer auf ihr Gefühl verlassen. Sollte sie sich diesmal getäuscht haben? Ihr Bauch und ihre Intuition hatten ihr doch eindeutig den Weg in diese Galerie gewiesen. Oder war es tatsächlich nur der Regenschauer, dem sie hatte ausweichen wollen?

Monsieur Boulin schienen ihre verzagten Worte nicht zu gefallen, im Gegenteil, sie schienen ihm Ansporn zu geben.

»Was suchen Sie denn genau? Vielleicht habe ich ja noch etwas. Nur eben momentan nicht in meinen Ausstellungsräumen.«

Christina lächelte, fast ein wenig verlegen.

»Bitte lachen Sie mich nicht aus, ich suche etwas ... von dem ich nicht weiß, was es ist ... Aber es ist bestimmt nichts, was vor den Museen oder vor den anderen Sehenswürdigkeiten den Touristen angeboten wird ... Vielleicht etwas ... mit viel Farbe, aber nicht bunt. Etwas, das mir die Seele wärmt, wenn ich es mir zu Hause ansehe ... Entschuldigen Sie, aber ich weiß nicht, ob sie das überhaupt verstehen?«

Und sie stockte, denn sie wusste nicht einmal, ob sie es selbst verstand, ob es nicht kindisch klang ... oder einfach nur bizarr. Doch augenblicklich hatte sie wieder den Traum vor Augen. Den ruhigen Fluss, die Bilder. Und den Maler.

Monsieur Boulin wusste Rat. Vielleicht! Zumindest gab es noch eine Möglichkeit.

»Ich habe noch einen Nebenraum. Dort stehen viele Bilder, aber ganz und gar ungeordnet. Wenn Sie wollen und Zeit haben, ... wir könnten da nachsehen?«

Christina spürte sofort: Er hatte sie verstanden, oder zumindest bemühte er sich, sie zu verstehen.

»Gern. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

Monsieur Boulin lächelte und zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen, ich habe Zeit. Er nahm einen Schlüssel vom Schreibtisch und ging zu einer Tür an der linken Wand, schloss sie auf und verschwand im Nachtschwarz des Raumes. Nach wenigen Augenblicken hörte Christina, wie eine Jalousie hochgezogen wurde. Das Tageslicht durchdrang sogleich den Raum.

»Kommen Sie herein, Mademoiselle, aber seien Sie vorsichtig. Machen Sie sich nicht schmutzig.«

Christina betrat den verstaubten Raum, der wohl genauso groß war, wie die beiden vorderen Galerieräume zusammen, nur standen hier die Bilder in unzähligen Reihen ungeordnet an den Wänden herum. Diese unüberschaubare Menge an Bildern und der Geruch von Staub, Öl, Leinwand und Terpentin eröffnete Christina eine geheimnisvolle Welt – es war die Welt der namenlosen Künstler. Sie war überrascht, erschrocken und ausgemacht neugierig.

Der Galerist freute sich über ihren, vor Begeisterung strahlenden Gesichtsausdruck. So begann sie, an einer zufällig gewählten Stelle namenlose Bilder ... von namenlosen Künstlern ... zu betrachten. Großformatig dunkle Bilder standen vor kleinen farbigen, und postmoderne ruhten neben fast naiv wirkenden Exponaten. Es war das erwartet Durcheinander. Und es war faszinierend. Bild für Bild.

Und irgendwann, nach etwa einer Stunde rief Christina aus vollem Herzen: »Das ist es!«

Monsieur Boulin war augenblicklich neugierig geworden. Und hastig lief er zu ihr, denn er wollte sehen, was für eine Kunst seine sympathische Kundin in ihrem Herzen trug.

»Das ist wirklich schön«, sagte er, und er freute sich über ihren Geschmack.

Christina hielt ein kleines Bild von einem Straßencafé in der Hand. Es war im Stil von ›van Gogh‹ gemalt und doch waren die Farben ganz anders. Rötlich und dunkelblau. Es waren die Farben aus ihrem Traum.

»Haben Sie noch mehr von diesem Künstler?«, wollte sie sofort wissen. Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen.

»Leider nicht.«

»Schade.«

Und für einen Moment lag Wehmut in ihrem Blick, in ihrer Gestik. Aber beim Betrachten des Bildes umspielte wieder ein Lächeln ihre Augen. Sie hatte ihren Traum gefunden. Zumindest einen Teil davon.

Die junge Frau gefiel Monsieur Boulin von Minute zu Minute mehr. Und so tat er etwas, was seinem Geschäft für gewöhnlich sehr abträglich war.

»Der Maler ist übrigens auch Deutscher. Angeblich sogar ein Adliger, aber wer weiß das schon so genau. Er lebt hier in Paris. Vielleicht gehen Sie mal zu den Brücken in der Nähe der Freiheitsstatue und fragen dort nach ›Pierre dem Deutschen‹. Ich habe gehört, er soll dort sehr oft sein. Vielleicht haben Sie ja Glück.«

Christina bedankte sich für den uneigennützigen Hinweis, kaufte das kleine Bild und verließ die Galerie.

War es das, was sie hier erwartet hatte?

Sie wusste es nicht. Doch natürlich wusste sie es. Was sie hier gefunden hatte, war mehr, als sie erwartet hatte, sehr viel mehr.

Christina fühlte sich leicht und beglückt.

Monsieur Boulin sah ihr noch lange nach. Nur selten kam eine Touristin herein, die so voller Gefühl und Ehrlichkeit war. Ich wünsche Ihnen noch einem schönen Tag ... und viel Erfolg, rief er seiner liebgewonnenen Kundin in Gedanken hinterher.

2

Als Christina das Hotel betrat, kam ihr ihre Mutter schon entgegen.

»Wo kommst du denn jetzt her? Dein Vater und ich waren schon etwas in Sorge.«

»Ach Mama, ich habe in einer Galerie gestöbert. Und sieh mal, was ich gefunden habe!« Christina zeigte ihr das Bild.

Helen Neuenhofen lächelte erleichtert, dennoch teilnahmslos, würdigte aber schließlich doch den Kunstgeschmack ihrer Tochter.

»Das Bild ist sehr schön. Aber du weißt, wir sind in einer guten Stunde zum Tee, bei den Poupolins eingeladen. Und du musst dich noch umziehen«, drängte Christinas Mutter nun etwas ungeduldig.

Und augenblicklich hatte Christina ein schlechtes Gewissen.

»Ja, ich weiß. Ich werde mich beeilen.«

Rasch lief sie die breite Treppe hinauf und blickte wieder und wieder auf ihre Errungenschaft, die sie wie einen Schatz in Händen hielt. Und sie dachte an den morgigen Tag. Bei den Brücken der Freiheitsstatue!, hatte Monsieur Boulin gesagt. Doch was erwartet mich da?, fragte sie sich und stockte einen Moment. Was erwartete sie dort wirklich?

Sie konnte sich diese Frage nicht beantworten. Natürlich nicht.

Doch morgen nach dem Frühstück würde sie dort hingehen. Aber wozu eigentlich?

Sie stockte erneut und auch ein weiterer Blick auf das Bild konnte ihr diese Frage nicht beantworten. Der Maler und der Fluss.

»Komm, trödle nicht«, hörte sie ihre Mutter, die sie in der Zwischenzeit wieder eingeholt hatte und jetzt neben ihr stand.

Erschrocken sah Christina sie an. Und augenblicklich schob sie die Gedanken an den Galeristen und an den unbekannten Künstler weit weg.

Sie lief in ihr Zimmer und duschte. Beim Föhnen der Haare blickte sie sich an und sah in ein erwartungsvolles Gesicht. Alles war wieder da: der Traum, die Gedanken an das Bild, an den Maler, an den Fluss ... an das morgige Vorhaben. Diese Gedanken und Erwartungen gefielen ihr.

Und nun würde die bevorstehende Teestunde auch nicht dieses gewohnt triste Ereignis sein. Sie hatte etwas, womit sie sich auf angenehme Weise die Zeit vertreiben konnte, ohne unhöflich zu wirken, ohne sich inmitten all der fremden Leute zu langweilen.

Sie zog sich ein dunkelgrünes Cocktailkleid an, schlüpfte in halbhohe schwarze Pumps und war dann auch schon fertig. Und das gefiel sogar ihrer Mutter, die, wie immer, befürchtet hatte, dass ihre Tochter, nicht rechtzeitig zur Stelle sein würde.

3

Am nächsten Tag zeigte Paris sich wieder von seiner schönsten Seite. Der Himmel war makellos blau, die Sonne trocknete die letzten Pfützen rasch aus, die Menschen genossen die wohlige Wärme und begegneten sich fast überall mit zurückhaltender Freundlichkeit.

Nach dem Frühstück war Christina losgegangen. Auf einem Stadtplan, den sie in der Tasche trug, hatte sie die Brücken in der Nähe der Freiheitsstatue markiert. Vorsichtshalber. Noch immer war sie sich nicht sicher, was sie da wollte. Einem Traum nachjagen? Wozu?

Und immerfort musste sie über diese Frage, über diesen Gedanken lächeln. Er schien sinnlos und sonderbar. Absurd.

Und letztlich war sie mit sich übereingekommen, sich nur die Bilder anzusehen ... falls sie diesem Pierre tatsächlich begegnen sollte.

Zumindest hatte sie versucht, sich das einzureden.

Ihre Eltern hatten sich gefreut, dass sie eigene Pläne hatte. Sie mussten geschäftlich zwei Auktionen besuchen. Hätten sie um die Pläne ihrer Tochter gewusst, wäre ihre Freude zweifellos kühler ausgefallen. Man war hier, um Geschäfte zu machen und, um sich abends zu amüsieren, aber nicht, um die Zeit mit der Suche nach armen Künstlern zu verbringen. Zumal Armut nicht in ihr Leben passte, nein, ... Armut gab es nicht in ihrem Leben. Punkt!

Hubertus Neuenhofen hatte in Kehlheim, einer Kleinstadt in Süddeutschland, einen Münzhandel, der einen hervorragenden internationalen Ruf besaß. Der Aufenthalt in Paris diente in erster Linie dazu, wichtige Auktionen zu besuchen, einige Privatsammlungen zu begutachten und gegebenenfalls Einzelstücke oder ganze Sammlungen zu erwerben.

Christina liebte ihre Eltern und sie kannte deren Einstellung zum Leben, zum Geld, doch diese Einstellung teilte sie nicht. Und deshalb hatte sie auch nur etwas von einem langen Spaziergang an der Seine erzählt, von einem Bummel durch Boutiquen, von einem möglichen Rundgang durch den Louvre.

Als sie endlich an der ersten Brücke stand, die Freiheitsstatue im Rücken, bekam sie Angst vor der eigenen Courage. Was willst du wirklich hier?, fragte sie sich wieder. Diesmal sehr ernsthaft.

Ein Gefühl!, war ihre vergleichsweise unvollständige Antwort. Sie sah auf die Seine, die ruhig dahinfloss und plötzlich war dieser Traum wieder greifbar, der Traum von dem Maler und seinem eindringlichen Lächeln, der Traum von dem ruhig dahinziehenden Fluss und von den Farben der Bilder. Das hatte etwas zu bedeuten. Sie war sich jetzt ganz sicher.

In einiger Entfernung sah sie mehrere Künstler, die auf Klapphöckerchen saßen und malten oder einfach nur dasaßen, in sich versunken, Kaffee tranken oder rauchten ... und auf Touristen warteten. Sie musste lächeln, entsprach dieses Bild doch so ganz dem Klischee, dass sie von Paris hatte. Es fehlten nur noch der Rotwein und die Clochards.

Christina ging weiter. Als sie den ersten Künstler erreicht hatte, erschrak sie ein wenig, denn sie blickte in das ausgezehrte Gesicht eines alten Mannes. Pierre der Deutsche?, fragte sie sich.

Nein! Diese Antwort gab sie sich flugs. Mit einem Blick auf seine Bilder wusste sie sofort, dass er es nicht sein konnte. Dieser Künstler malte anders, ganz anders.

Doch die Anspannung blieb. Was, wenn dieser Pierre tatsächlich ein alter, ausgezehrter Mann war? Ein Traum ist eben nur ein Traum.

Gedrückt ging sie weiter. Ich möchte nur seine Bilder sehen und vielleicht ein oder zwei kaufen. Mehr nicht!

Diese Lüge half. Christina wurde ruhiger. Und eindringlich betrachtete sie die Bilder all der namenlosen Künstler, die ihre Arbeiten hier zum Verkauf anboten.

Doch sie entdeckte kein Bild im van-Gogh-Stil. Nicht eines. Nicht einmal ansatzweise war irgendwo ein solcher Stil erkennbar.

Und sie überlegte. Sie würde fragen müssen.

Aber machte sie sich damit nicht lächerlich? ... Wissen Sie, wo ich ›Pierre den Deutschen‹ finde? Er soll ab und an hier irgendwo sein ... Machte sie sich mit dieser Frage nicht lächerlich? Ohne lange zu überlegen, schüttelte sie den Kopf. Nein, nur wenn ich mich lächerlich dabei fühlte, dachte sie.

Und lächerlich fühlte sie sich nicht.

Gedankenversunken ging sie noch zwei Schritte und stand dann vor den Bildern eines älteren Künstlers. Eiffeltürme. Bei Tag, bei Nacht. Im Frühling, im Sommer. Handgroß und mannshoch. Was immer die Touristen suchten, hier würden sie ihren Eiffelturm finden. Wie schrecklich, dachte Christina. Dennoch würde sie hier fragen.

 

»Entschuldigung, ich habe gehört, hier soll ein Kollege von Ihnen auch seine Bilder ausstellen. ›Pierre der Deutsche‹ wird er wohl genannt. Wissen Sie, wo ich ihn finden könnte?«, fragte sie in ihrem unzulänglichen Französisch und wusste nicht, ob ihre Worte richtig gewählt waren.

Aber der Künstler schien sie verstanden zu haben.

»Pierre? ... Pierre?«, überlegte er und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Mademoiselle, ... da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Aber schauen Sie sich doch einfach meine Bilder an. Sie werden sicherlich etwas finden.«

»Herzlichen Dank für die Auskunft. Aber es geht mir um diesen Künstler.«

Und wieder erschrak sie. Hatte sie das eben wirklich gesagt? ... Es geht mir um diesen Künstler? ... Ja!, das hatte sie. Und noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, ließ der unbekannte Maler all seinen Charme spielen und zeigte mit einer einladenden Handbewegung auf einen leeren Stuhl.

»Bitte, Mademoiselle, nehmen Sie Platz. Wenn sie keinen Eiffelturm möchten, denn werde ich ihr Porträt in einer Stunde in Öl verewigen. Ein so schönes Gesicht muss der Nachwelt erhalten bleiben.«

Christina lächelte.

»Nein, danke. Ich wollte mich nicht porträtieren lassen.« Und sie wendete sich ab.

»Moment, Mademoiselle. Jetzt fällt es mir ein. ›Pierre der Deutsche‹?«

»Ja?«

Christina antwortete knapp und drehte nur den Kopf ein wenig um. Sie wollte nichts kaufen, sie wollte auch kein Porträt in Öl. Auch nicht über einem charmanten Umweg.

»Ich hatte Sie eben nicht richtig verstanden. Tut mir leid. ›Pierre der Deutsche‹ sitzt da drüben.«

Der ältere Künstler zeigte auf einen freien Platz, etwa zwanzig Meter von ihm entfernt.

»Heute ist er leider noch nicht ... Seltsam ... Normalerweise ist er jeden Tag um diese Zeit schon lange hier.«

Augenblicklich schlug Christinas Herz hoch bis zum Hals. Es begann zu rasen. Doch halt! Bleib ruhig, sagte sie sich, bleib ganz ruhig. Denn noch immer konnte Pierre der Deutsche ein unsympathischer Mensch sein, der es lediglich verstand, gut mit Farben umzugehen.

Dennoch ... ihre Ungeduld war unübersehbar.

»Und Sie meinen, er wird noch kommen?«

»Ganz sicher. Außer ... ihm ist etwas passiert.«

Christinas Gesichtszüge versteinerten.

»Sie meinen ...?«

Er lachte. »Ach Unsinn. Es wird schon nichts passiert sein. Vielleicht hat er gestern einfach nur ein Gläschen zu viel getrunken. Aber halt, das kann nicht sein. Denn ich glaube, Ihr Pierre trinkt gar keinen Alkohol. Er wird sicher noch zutun haben und jeden Moment hier eintreffen.«

Ihr Pierre? Wie kam dieser Mensch nur dazu, ihn als ›ihren Pierre‹ zu bezeichnen?, fragte sie sich und spürte sogleich, wie ihre Wangen rot anliefen. Das war nun wirklich zu peinlich. Und augenblicklich hatte sie das Gefühl, die Blicke aller Vorbeigehenden hatten sich auf sie gerichtet. Und sie belächelt. Sie musste schnellstens hier verschwinden.

»Dann komme ich vielleicht später noch einmal vorbei.«

Und weg war sie.

»Wie sie möchten.«

Lächelnd, keineswegs anmaßend, blickte der ältere Künstler hinter Christina her.

Viele haben schon versucht ›Pierre den Deutschen‹ zu erobern, aber bislang hat noch jede Reißaus genommen, dachte er kurz. Doch rasch beschäftigte er sich wieder mit seiner Arbeit, einen Eiffelturm im Sommer, und hatte die Begegnung mit der jungen Touristin auch bald schon vergessen.

*

Ziellos lief Christina durch die Straßen von Paris. Ihre Gedanken waren bei dem älteren Künstler und bei ›Pierre dem Deutschen‹ und bei ihrem peinlichen Auftritt ... eben auf dem Künstlermarkt.

Manchmal bist du trotz deiner zweiundzwanzig ein unreifer Teenager, rügte sie sich und versuchte, ihre Haltung zurückzugewinnen. Es gelang ihr nicht. Immer wieder musste sie zur Uhr sehen. Und immer wieder stellte sie sich die Frage: Ob er wohl schon da ist?

Und wieder wuchs ihre Ungeduld. Sie wollte es hinter sich bringen. Sie wollte wissen, was für ein Mensch ›Pierre der Deutsche‹ war. Zumindest auf den ersten Blick. Mehr nicht!

Und doch ... jetzt musste sie sogar über sich selbst lachen. Seit gestern schwirrten ihre Gedanken um einen Menschen, den sie nicht kannte, von dem sie lediglich ein kleines, wunderschönes Bild hatte, das ihr ... und das musste sie zugeben, ... das ihr das Herz geöffnet hatte. Sie hielt es nicht mehr aus, sie wollte ihren Seelenfrieden zurück. Auch wenn der Traum zerplatzen würde.

Christina hob den Kopf, orientierte sich so gut es ging und lief, ohne Umwege, zurück zu dem Künstlermarkt an der Seine.

Sie hatte ihren Weg so gewählt, dass sie schon von Weitem sehen konnte, ob Pierre in der Zwischenzeit seinen Platz eingenommen hatte.

Und tatsächlich, da saß er.

Und, wie sieht er aus?, fragte sie sich sofort. Sie konnte es nicht sehen. Er hatte sich mit dem Rücken zu den Touristen gesetzt und malte. Offensichtlich ein Motiv von der anderen Seite der Seine.

Mit unsicheren Schritten ging sie auf ihn zu. Von dem Gewühl, von dem Gedrängel, von all dem Trubel um sich herum, nahm sie nichts wahr.

Kurz bevor sie Pierre erreicht hatte, drehte er sich um. Er suchte etwas. Eine neue Farbe oder einen anderen Pinsel. Und dabei trafen sich ihre Blicke. Das erste Mal. Christinas Knie wurden weich, sie hatte das Gefühl, sich setzen zu müssen. Doch sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.

Er war es! Der Künstler aus ihrem Traum. Jung und gutaussehend. Er war es!

Aber konnte so etwas überhaupt sein? Gab es das, dass man einen Menschen im Traum kennenlernt? Und dass man ihn später im wirklichen Leben trifft? Gab es das?

Offensichtlich.

Und auch er blickte sie fortwährend an.

»Kann ich etwas für Sie tun, Mademoiselle?«

Christina blieb stumm. Ihre Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen, betörend, weltvergessend und ungeahnt, wurden wahr, nein!, .... sie wurden übertroffen.

Ein Mann von etwa dreißig Jahren stand vor ihr. Mit ebenmäßigem Gesicht, mit dunklen, fast schwarzen Augen, die sie warm ansahen, mit dunkelblondem Haar, das lang war, und vom Wind getragen, durcheinanderflog, mit einem schlanken, durchtrainierten Körper, der jeder Gefahr trotzen würde. Ungezähmt!, ging es ihr augenblicklich durch den Kopf.

Ungezähmt!

Auf seine Kleidung schien er wenig Wert zu legen: Ein großkariertes Baumwollhemd und eine abgewetzte Jeans waren neben Sandalen, das Einzige, was er trug. Keine Strümpfe, keine Jacke, nicht einmal ein T-Shirt unter dem Baumwollhemd.

Ungezähmt passte ausgezeichnet.