Wenn Liebe langsam wächst

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Wenn Liebe langsam wächst
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Impressum neobooks

Wenn Liebe langsam wächst

Liebesroman

Vorwort

Hinweis:

Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Neuauflage des gleichnamigen Werks »Wenn Liebe langsam wächst«.

Alle Rechte an dem Werk liegen beim Autor.

Laura von Heimenstein kommt nach drei Jahren in der Fremde zurück auf das elterliche Gut. Dort tritt sie ein schweres Erbe an. Hilfe findet sie in ihrer Jugendliebe, Hanno von Theuersdorff. Doch ist er aufrichtig? Und ist es wirklich Liebe, was beide verbindet?

Maximilian Berg, der junge Anwalt der Familie von Heimenstein verliebt sich bei der ersten Begegnung in Laura. Doch es ist ein denkbar ungünstiger Augenblick. Und bei jedem anschließenden Treffen mit Laura schwankt er zwischen Pflicht und Gefühl, bis er eines Tages erfährt, dass seine Liebe offensichtlich keine Chance hat, dass sie nicht erwidert wird. Aber stimmt das auch?

ca. 140 Normseiten

Impressum

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Das nachfolgende Werk ist frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt, auch stimmen Orte und ihre Beschreibungen nicht mit der Wirklichkeit überein. Markennamen sowie Warenzeichen, die im vorliegenden Werk Verwendung finden, sind Eigentum ihres rechtmäßigen Eigentümers.

Alles ist nur Fiktion, und doch – emotional und abstrakt betrachtet – wäre alles genau so möglich.

Axel Adamitzki

Scheiblerstraße 81

47800 Krefeld

adamitzki@t-online.de

www.axel-adamitzki.de

Bildnachweis: www.depositphotos.com

1

»Guten Tag, mein Name ist Berg, ich suche Komtess von Heimenstein. ... Bitte, wo bitte finde ich sie?«

Mit ruhiger, zuversichtlicher Stimme fragte Dr. Martin Berg den Pförtner am Lieferanteneingang des Kaufhauses ›Centrum‹. Er war sich sicher, am Ziel seiner aufwändigen Suche angelangt zu sein.

»Eine Komtess gibt es hier nicht.«

Der Pförtner antwortete mit einem abfälligen Gesichtsausdruck. Er brauchte für diese Antwort nicht einmal in seiner Personalliste nachzusehen - er schien es zu wissen.

»Ich meine Komtess Laura von Heimenstein ... Man sagte mir, dass ich sie hier finden würde.«

Der Pförtner schüttelte erneut den Kopf. Doch schien er nicht mehr so sicher. Und seine Abschätzigkeit verwandelte sich allmählich in Nachdenklichkeit. Dr. Bergs selbstsicheres Auftreten ließen erste Zweifel in ihm aufkommen. Er nahm nun doch die Personalliste hervor und blätterte sie durch, erst oberflächlich und schließlich sehr konzentriert.

»Hier habe ich tatsächlich eine Frau Laura von Heimenstein, ... Aber wie ich schon sagte, sie ist keine Komtess.«

Erneut versuchte der Pförtner seine anfängliche Äußerung, zu untermauern. Es schien, als erwartete er von sich, das Personal so genau zu kennen, als hätte er es selbst eingestellt. Dr. Berg verschwendete keinen Gedanken an dieser Geisteshaltung.

»Als was arbeitet Frau von Heimenstein hier?«

»Frau von Heimenstein ist stellvertretende Abteilungsleiterin in unserer Buchabteilung, aber sie ist keine Komtess.«

Der Pförtner ließ nicht locker, er wirkte nun fast schon ein wenig aufdringlich und lächerlich, ein wenig bizarr.

»Wo bitte finde ich Frau von Heimenstein?«, fragte Dr. Berg, ohne weiter auf die Rechtfertigungen des Pförtners einzugehen.

»Ich kann Sie hier nicht durchlassen, aber das Kaufhaus öffnet in zehn Minuten. Wenn Sie dann einfach in die Buchabteilung gehen.«

Dr. Berg bedankte sich freundlich für die Auskunft und ging zurück auf die Straße. Schon nach drei Schritten hatte er den Pförtner vergessen. Seine Aufgabe war zu wichtig, zu folgenschwer.

Suchend sah er sich um und erblickte links von sich in einiger Entfernung eine Anzahl Personen, die warteten. Da muss der Eingang sein, dachte er und ging langsam auf die Wartenden zu.

Es war ein schöner Sommertag. Die Fachwerkhäuser, die den Kaufhausneubau einrahmten, gaben dem Ort eine ruhige, aber keineswegs verschlafene Atmosphäre.

Das Kaufhaus war mit seinen fast zweihundert Arbeitsplätzen hier in dieser Kleinstadt einer der größten Arbeitgeber. Dr. Berg hatte sich im Vorfeld seiner Reise genauestens erkundigt. Es durfte keine Zeit mehr verschwendet werden, im Grunde war es fast schon zu spät. Doch darüber wollte er jetzt nachdenken. Er hatte die Komtess gefunden und alles Weitere würde sich gleich ergeben. Hoffentlich so, wie er es sich wünschte. Nicht für sich, nein, für ... Auch diesen Gedanken schob er jetzt zur Seite, zumindest für die nächsten Minuten.

Und er ging langsam weiter. Blieb immer wieder vor einem der Schaufenster stehen und blickte auf die Auslagen und die Dekorationen. Sie unterschieden sich nur unwesentlich von denen, die er aus der Fußgängerzone von Gummersdorf her kannte, so schien es zumindest, wobei er sich keine weiteren Gedanken darüber machte. Und wieder blickte er zur Uhr: noch zwei Minuten.

Langsam ging er weiter.

Als er die wartende Gruppe endlich erreichte, wurden auch schon die Kaufhaustüren geöffnet. Ohne zu drängeln, strömten die Kunden in das hellerleuchtete Innere und verteilten sich eilends auf die verschiedenen Abteilungen.

Ohne Mühe fand Dr. Berg die Buchabteilung und ging mit einem verbindlichen Lächeln auf zwei junge Verkäuferinnen zu, die einige Regale durchsortierten und sich dabei angeregt unterhielten. Es war Montag Morgen. Da gab es unbestreitbar viel zu erzählen. Darauf konnte Dr. Berg keine Rücksicht nehmen.

»Entschuldigen Sie bitte«, sprach er die Verkäuferin an, die direkt vor ihm zwei Bücher in ein Regal einsortierte, »mein Name ist Berg. Ich suche Komtess Laura von Heimenstein. Können Sie mir da weiterhelfen?«

Entgeistert, mit weit aufgerissenen Augen sah die Verkäuferin erst den Fremden und schließlich ihre Kollegin an, die ebenfalls die Augen weit aufgerissen hatte.

»Komtess?« Diese Absurdität als Frage platzte nach zwei, drei Sekunden gleichzeitig aus ihren Mündern. Ihre Probleme und Problemchen, ihr Klatsch und Tratsch, den sie bis eben noch für wesentlich hielten, hatten gegen diese Neuigkeit nicht die Spur einer Chance.

Komtess!

»Laura Komtess von Hohenstein?«

Dr. Berg wiederholte sein Anliegen und ließ dabei den Blick zwischen den Verkäuferinnen hin- und herwandern.

Für einen ungläubigen Augenblick herrschte Stille. Die untermalende Musik aus versteckten Lautsprechern, das Piepsen einer Scannerkasse irgendwo auf der Etage und das Getöse von Gesprächsfetzen waren für einen langen Moment die einzigen Geräusche, die diese Stille durchbrachen. Und endlich, nach weiteren zwei, drei Sekunden zeigte eine der beiden Verkäuferinnen mit zitternder Hand auf eine Tür links von sich.

»Laura ist hinten im Lager.«

Anschließend musste sie tief durchatmen. Und es schien, als versuchte sie, das Gehörte erst einmal zu begreifen, zu verstehen.

Dr. Berg bedankte sich, und im Moment, als er losgehen wollte, öffnete sich die Tür zum Lager und Laura von Heimenstein kam mit einer Kiste in Händen in den Verkaufsraum.

»Laura, da ist fürstlicher Besuch für dich.«

Eine der Verkäuferinnen rief diesen Satz provozierend und aus vollem Hals quer durch die Abteilung. Noch immer konnte und wollte sie nicht glauben, was sie eben gehört hatte.

Ihre Laura ... eine Komtess?

Unmöglich!

Dieses ›von‹ in Lauras Namen war für die Mitarbeiter schon etwas Besonderes, aber ... ›Komtess‹ war nahezu unbegreiflich, zumal Laura in jeder Hinsicht natürlich war - ohne jegliche Allüren. In den Mittagspausen war sie es, die einen Kaffee aufsetzte. Am Abend, kurz vor Feierabend war sie es auch, die für Ordnung sorgte.

 

Macht eine Komtess so etwas?

Laura von Heimenstein begriff nicht gleich. Sie schaute erst zu ihrer Kollegin, kopfschüttelnd, fragend, erblickte alsdann Dr. Berg, und sie erschrak, wurde blass im Gesicht.

»Guten Tag, Komtess.« Dr. Berg war erleichtert. Endlich! Er hatte sie gefunden. »Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen?«

Laura von Heimenstein konnte nicht sofort antworten, sie musste erst durchatmen. Es schien, als hätte sie geradewegs begriffen, dass das Erscheinen des Anwalts ihrer Eltern keineswegs ein Freundschaftsbesuch sein würde. Es musste etwas passiert sein, ... etwas Schlimmes, schien sie zu ahnen, wie man deutlich ihrem verzagten Blick entnehmen konnte.

»Guten Tag, Herr Dr. Berg.«

Und mit den darauffolgenden Worten schien es, als wollte sie von dem ablenken, das sie nicht hören wollte. »Wie haben Sie mich denn gefunden?«

»Ganz einfach war das nicht. Ist jetzt aber nicht wichtig. Könnte ich Sie irgendwo unter vier Augen sprechen? Das wäre jetzt wichtig?«, fragte er und blickte sie eingehend an.

Laura zögerte einen Moment, schien dennoch sofort zu wissen, dass sie sich diesem Gespräch würde nicht entziehen können.

Sie sah ihre Kolleginnen freundlich auffordernd an. Die verstanden sofort, entfernten sich und verbreiteten diese sensationelle Neuigkeit in Windeseile im Kaufhaus. Unsere Laura ist eine Komtess!, eine echte Komtess!

Als Dr. Berg endlich mit Laura von Heimstein allein war, ging er langsam zu ihr hin und betrachtete sie voll Mitgefühl.

Sie sah bemerkenswert gut aus. Ihr langes blondes Haar trug sie hochgesteckt, wobei eine Strähne absichtsvoll in den Nacken fiel. Die braunen Augen, fieberhaft und beschwörend, hatten nichts von ihrem Glanz verloren, im Gegenteil, es schien ihm, als würden diese Augen die Welt heute mit besonnenem Selbstbewusstsein wahrnehmen.

Offensichtlich hatte diese junge Frau hier ihren Platz gefunden. Es war ihr anzusehen, dass es ihr gutging. Bis jetzt.

Direkt nach dem Abitur hatte sie das elterliche Gut verlassen. Und in den drei Jahren, die sie nun von zu Hause weg war, war aus ihr eine selbstgewisse Frau geworden, eine Frau, die offensichtlich gelernt hatte, mit Schwierigkeiten, die das Schicksal an sie stellte, besonnen fertig zu werden. So schien es zumindest. Dr. Berg hoffte es inständig.

All ihre Lebensplanungen würden sich in den nächsten Augenblicken ändern – leider. Davon war Dr. Berg überzeugt. Rücksicht konnte er jetzt keine nehmen. Die Zeit drängte! Dennoch ging er behutsam vor.

»Leider konnten wir Sie nicht unter Ihrer Mobilnummer erreichen. Aber andererseits ...«

»Ich habe die Nummer schon vor zwei Jahren gewechselt. Meine Mutter ließ mir keine Ruhe. Aber das ist jetzt nicht so wichtig, denke ich.«

Laura von Heimenstein wirkte plötzlich nervös. Dr. Berg räusperte sich kurz.

»Vielleicht ja doch. Denn ich komme mit einer sehr traurigen Nachricht.«

Er ließ die Worte ein wenig sacken und fuhr beherrscht, dennoch bestimmt fort. »Ihre Mutter liegt im Krankenhaus. Die Ärzte haben kaum noch Hoffnung.«

Betroffen sah Laura Dr. Berg an.

*

Lauras Eltern waren damals, vor drei Jahren, nicht damit einverstanden gewesen, dass sie erst einmal ihren eigenen Weg hatte gehen wollen. Allen Widerständen zum Trotz hatte sie sich dennoch durchgesetzt. Und seitdem war sie ihren Eltern aus dem Weg gegangen, hatte ihnen nicht einmal mitgeteilt, wo sie sich gerade aufhielt. Sie waren nicht böse aufeinander, Lauras Eltern verstanden nur nicht, warum ihre Tochter einen so harten Weg gewählt hatte. Und in jedem Telefonat hatte ihre Mutter sie bedrängt, hatte ihr ein schlechtes Gewissen gemacht. »Komm endlich nach Hause. Für wen machen wir das hier denn alles? Doch nur für dich«, hatte ihre Mutter bald jedes Mal von sich gegeben.

Einige Tage hatte Laura anschließend stets gebraucht, um ihr Gleichgewicht zurückzubekommen. Bald hatte sie es nicht mehr ausgehalten, und sie hatte sich eine neue Telefonnummer geben lassen. Ein harter Schritt, doch sie hatte ihn gebraucht. Für sich. Für ihr Leben. Sie wollte sich beweisen, dass sie auch ohne das Vermögen und den Titel ihrer Eltern ihren Weg gehen würde. Und das hatte sie geschafft. Eindrucksvoll!

Es hatte damals noch einen zweiten Anlass für ihr ›Verschwinden‹ gegeben, einen Anlass, der ihr Herz schmerzhaft berührt hatte. Damals. Heute nicht mehr. In der Zwischenzeit war er tief in ihrem Inneren vergraben. Und da sollte er bleiben. Für immer.

Glaubte und hoffte sie.

*

»Was ist mit Mama?«

Lauras Frage klang angsterfüllt. Dr. Berg wartete einen kurzen Moment, und er sah Laura dabei einfühlsam an. Er wusste nicht, wie er die Mitteilung um diese schreckliche Krankheit beschreiben sollte, er wollte auch nichts beschönigen.

»Lungenkrebs ... Ihre Mutter hat Lungenkrebs. Im Endstadium.«

Laura sackte zusammen. Äußerlich und auch innerlich, wie es schien. Damit hatte sie ganz sicher nicht gerechnet.

Gräfin von Heimenstein, Lauras Mutter, war Anfang fünfzig, sie war immer aktiv gewesen. In den letzten Jahren, die Laura noch zu Hause verbracht hatte, war ihre Mutter es, die das Gut geleitet hatte. Sie hatte Arbeitsanweisungen gegeben, Termine gemacht - sie hatte die Geschicke des Gutes bestimmt. Allein! Graf von Heimenstein, Lauras Vater, hatte schon damals mehr und mehr unter einer gewissen Vergesslichkeit gelitten. Ein Umstand, der sich sicherlich nicht gebessert haben dürfte.

Dr. Berg sah Laura an und legte ihr rücksichtsvoll die Hand auf den Oberarm.

Er war seit ewigen Zeiten der Anwalt der gräflichen Familie. Er hatte miterlebt, wie sich der Graf und die Gräfin über die Geburt ihres ersten und einzigen Kindes gefreut hatten. Er hatte voller Freude mit angesehen, wie aus dem kleinen Fratz ein junges Mädchen und schließlich ein hübscher Teenager geworden war. Und die Nachricht, die er jetzt überbringen musste, überbracht hatte, tat ihm selbst ausnehmend weh.

»Ihre Mutter würde Sie gerne noch einmal sehen.«

Laura von Heimenstein schüttelte unmerklich den Kopf. Wie es schien, wollte sie das Gehörte nicht wahrhaben, wehrte sie sich gegen die schreckliche Realität. Lungenkrebs! Im Endstadium!

Und sie begann zu zetern. Sinnlos, wie sie selbst zu wissen schien.

»Ich kann hier heute nicht weg. Wir haben morgen eine Lesung und da muss ich noch vieles vorbereiten. ... Übermorgen kann ich kommen.«

Worte, schrill. Voller Ohnmacht.

»Das erste Mal, dass ein namhafter Schriftsteller in diese Kleinstadt kommt. Man erwartete einen reibungslosen Ablauf. Von mir!«

Voll Mitgefühl sah Dr. Berg sie an. Er wusste, ihre Worte entsprachen nicht ihrem Gefühl für ihre Mutter.

Doch die Zeit drängte.

»Ich fürchte, ... übermorgen wird zu spät sein.«

Laura von Heimenstein begann zu zittern.

»Bitte, reden Sie nicht so. Übertreiben sie nicht.«

Dr. Berg schüttelte dezent den Kopf.

Und noch bevor Laura etwas sagen konnte, stand plötzlich der Direktor des Kaufhauses neben ihr. Er hatte durch die beiden Mitarbeiterinnen der Buchabteilung mitbekommen, dass es hier einen Besucher aus Lauras Vergangenheit gab.

Er und der Personalchef waren die Einzige, die wussten, dass Laura von Heimenstein eine Komtess war. Beim Einstellungsgespräch hatte sie darum gebeten, ihren Titel verschweigen zu dürfen. Die beiden Männer hatten ihren Wunsch respektiert. Ihr starkes Engagement – ohne ihren Titel - beeindruckten sie schließlich sehr.

Der Direktor schien sehen zu wollen, ob alles in Ordnung war. Als er Lauras blassen Gesichtsausdruck vernahm, war ihm klar, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.

»Was ist los, Frau von Heimenstein?«

Seine Stimme klang voller Unruhe und Aufmerksamkeit.

Laura erzählte. In kurzen Worten. Lungenkrebs! Endstadium! Und endlich ... endlich! ... ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie begann zu weinen, bitterlich zu weinen, sah die beiden Männer mit tränengefüllten Augen an und war augenblicklich nur noch das kleine Mädchen - voll Angst um das Leben der Mutter.

Der Direktor begriff sofort.

»Sie können nicht bleiben. Ihre Mutter, Ihr Vater, sie brauchen Sie.«

»Aber wir haben doch morgen die Lesung!?«

»Lassen Sie das nur unsere Sorge sein. Sie müssen sich jetzt um Ihre Mutter kümmern. Und wenn sie alles erledigt haben, dann melden Sie sich bitte noch einmal bei mir.«

Dem Direktor schien klar zu sein, dass Laura von Heimenstein nicht mehr in sein Kaufhaus zurückkehren würde. Aber sie hatte frischen Wind in diese Abteilung gebracht und dafür war er ihr dankbar.

Laura sah den Direktor an und schien für einen Moment erleichtert. »Ich danke Ihnen.«

Und an Dr. Berg gerichtet sagte sie: »Ich packe hier schnell zusammen und dann müssen wir eben noch in mein Appartement, ich brauche ein paar Sachen.«

Dr. Berg nickte. Er war einverstanden. Und auch erleichtert.

»Ich warte draußen auf Sie, Komtess.«

Rasch hatte Laura ihre Sachen zusammengepackt, war mit Dr. Berg in ihr Appartement gefahren, hatte sich dort umgezogen, eine Reisetasche gepackt, sich noch einmal in der Wohnung umgesehen und war dann schon auf dem Weg zu ihrer Mutter.

Nahezu wortlos saßen sie die drei Stunden im Auto nebeneinander, Laura von Heimenstein und Dr. Berg.

Von Minute zu Minute wurde die junge Frau unruhiger, als ihr ein Gedanke durch den Kopf ging. Sie blickte kurz zu Dr. Berg hinüber, der konzentriert hinter dem Lenkrad saß, und sah dann auch wieder nach vorn.

»Woher wussten Sie, wo Sie mich finden würden?«

Dr. Berg zögerte.

»Ein Privatdetektiv ... Letzten Samstagabend kam er mit der Nachricht, dass er sie wohl gefunden hat. Er war sich zu fünfundneunzig Prozent sicher.«

Laura von Heimenstein nickte, sie hatte verstanden ... ein Privatdetektiv. Was für ein Aufwand!

Bäume, Felder und Ortschaften ließ sie an sich vorbeigleiten, blicklos und stumm. Ihre Mutter war krank. Schwerkrank.

Würde Laura sie noch einmal in den Arm nehmen können?

2

Nachdem Dr. Berg die Autobahn verlassen hatte, saß Laura noch immer gedankenversunken auf dem Beifahrersitz und nahm nichts von der heimatlichen Landschaft wahr. Ihr Herz wollte nicht aufgehen, sie dachte an ihre Mutter, an die schreckliche Krankheit und an das scheinbar Unvermeidliche, an den Tod. Und sie wollte es noch immer nicht wahrhaben.

Als sie das Krankenhaus endlich erreicht hatten, folgte Laura dem Anwalt ihrer Eltern, der den Weg gut kannte. Der Geruch von Nüchternheit, Mullbinden und Pfefferminztee ließ alles in ihr erstarren. Die erschütternden Worte ... Lungenkrebs! ... Endstadium! ... wurden zögerlich zur Realität. Zu einer schrecklichen Realität.

»Guten Tag, Herr Doktor«, sagte Dr. Berg, nachdem sie die richtige Abteilung erreicht hatten und den zuständigen Arzt in seinem Zimmer antrafen. »Darf ich Ihnen Laura Komtess von Heimenstein vorstellen!«

»Gut, dass Sie endlich da sind. Ich fürchte, es geht zu Ende.«

Die Worte des Arztes klangen schonungslos. Ohne Umschweife. Was für ein Holzklotz. Obendrein war er erstaunt, dass die Gräfin es noch so lange geschafft hatte, dass sie noch lebte - doch behielt er das für sich.

»Würden Sie mich bitte zu ihr bringen.«

Lauras Worte klangen beherrscht. Sie wollte keine Zeit mehr verlieren.

Der Arzt nickte und ging vor.

Gemeinsam durchschritten sie einen langen, hellerleuchteten Gang, bis sie an eine Glastür ankamen.

Schon von außen konnte Laura ihre Mutter sehen. Angeschlossen an unzählige Apparaturen lag sie reglos mit geschlossenen Augen in ihrem Krankenbett.

Verhalten öffnete Laura die Tür und betrat das Krankenzimmer ... das Sterbezimmer ihrer Mutter. Der Arzt wendete sich ab und ließ die Komtess mit ihrer Mutter allein.

Laura blieb einen Moment stehen und betrachtete schmerzvoll ihre Mutter. Sie schluckte trocken, Tränen drückten. Es war nicht viel übrig von dieser starken und lebensbejahenden Frau.

 

Die Stille im Zimmer wurde nur durch den ruhigen und langsamen Herzschlag, der über den Lautsprecher eines Computers hörbar war, unterbrochen.

»Hallo, Mami.« Lauras Stimme krächzte. Tränen liefen ihr ohne Unterlass über die Wangen.

Langsam öffneten sich die Augen ihrer Mutter. Als sie endlich ihre Tochter sah, huschte ihr ein Lächeln über das Gesicht. Der schrille Piepton wurde etwas schneller.

»Reg dich nicht auf, Mami, ich bin ja jetzt hier.«

Laura setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand. Behutsam nahm sie die knochige Hand ihrer Mutter.

»Warum habt ihr mir nicht früher Bescheid gegeben? Ich wär doch sofort gekommen.«

Die Augen der Gräfin lächelten Laura an. Sprechen fiel ihr entsetzlich schwer, dabei hatte sie ihrer Tochter doch noch so viel zu sagen.

»Schön ... das ... du ... endlich ... hier ... bist.«

Nach jedem Wort atmete sie flach und angestrengt.

»Es wird alles wieder werden. Es wird alles wieder gut, Mami.«

Laura versuchte, ihrer Mutter Mut zu machen. Nein! Den Mut benötigte sie. Sie selbst!

Gräfin Ilona von Heimenstein schloss die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf. Nach einigen Atemzügen öffnete sie die Augen erneut und sagte sanft: »Du musst ... dich um ... deinen Vater ... kümmern ... Er schafft es ... nicht allein.«

»Natürlich, Mami. Ich kümmere mich um ihn. Ganz sicher. Ich bleibe jetzt hier. Und ich komme auch jeden Tag mindestens zweimal her, um zu sehen, ob du auch alles hast. Du kannst dich auf mich verlassen.«

Ein kläglicher Versuch, die Realität zu negieren. Er misslang.

Die Gräfin sah Laura an, lächelte wissend und versuchte, ihr die Hand zu drücken, versuchte, ihrer Tochter Mut zu machen. Und wieder holte sie qualvoll Luft, denn es gab noch so viel zu sagen.

»Das Gut ... das Gut ... ist in einem ... tadellosen ... Zustand.«

»Mami, das ist doch jetzt nicht wichtig.«

»Doch ... doch ... mein Kind.« Und wieder schloss die Gräfin die Augen.

»Mami? ... Mami!«

Lauras Stimme überschlug sich beinahe. Sie hatte Angst! Furchtbare Angst!

Die Gräfin öffnete die Augen und sah ihre Tochter zärtlich besorgt an. Laura weinte bitterlich. Tränen tropften auf die Bettdecke der Mutter.

»Wenn du ... Probleme hast, ... wende dich an ... Dr. Berg, ... er ist ... unser Freund.«

»Ja, Mami.«

Laura resignierte, gab nach und nach ihre Gegenwehr auf. Alle ihre Hoffnung schien ihr wie Wasser durch die Finger zu gleiten. Alle Hoffnung schien vergebens.

»Du ... du siehst ... gut aus, ... meine kleine Laura ... Ich liebe dich ... Und ... ich wünsche dir ... viel Glück ... Du wirst ... das alles ... schaffen ... Ganz sicher ... Und vergiss mich ... nicht ... Du ... du hast ... alles richtig ... gemacht ... Ich ... ich bin stolz ... auf dich. Und bitte ... denke ... an ... deinen Vater.«

Und wieder schloss die Gräfin die Augen. Diesmal für immer. Der Kopf drehte sich langsam zur Seite, ganz sacht. Der letzte Atemzug war getan, der letzte Hauch von Leben verließ lautlos den kranken Körper, verlor sich aufgelöst im Krankenzimmer. Und aus dem Piepton wurde ein durchgängiges Piepen. Grell und hässlich.

»Mami??? ... Nein, ... bitte bleib

Laura schrie und sprang dabei auf. Mit weit aufgerissenen Augen, verweint und trostlos, blickte sie auf die schreckliche Endgültigkeit des Todes.

Augenblicklich kam der Arzt hereingesprungen, sah die Gräfin an, begriff sofort und schaltete den Piepton aus.

Routinemäßig horchte er die Patientin ein letztes Mal ab, sah alsdann die Komtess an ... und schüttelte den Kopf. Taktvoll legte er Laura die Hand auf die Schulter, verharrte einen Moment und verließ stumm und lautlos das Zimmer.

Laura sah ihre Mutter an und konnte es nicht begreifen. Sie war tot! ... Tot!

Nachdem sie noch fast eine halbe Stunde am Totenbett ihrer Mutter gesessen und Abschied genommen hatte, verließ Laura das Krankenhaus. Dr. Berg hatte im Gang, zurückhaltend und mitfühlend auf die Komtess gewartet.

Nun stützte er sie fast väterlich. Der Arzt hatte ihm durch ein unmerkliches Kopfschütteln die traurige Nachricht verkündet.

Schwierige Aufgaben warteten jetzt auf Laura Komtess von Heimenstein. Und dabei schien es ihr, als hätte sie doch eben all ihre Kraft verbraucht.