Aphorismen zur Lebensweisheit

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Aphorismen zur Lebensweisheit
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Arthur

Schopenhauer

Aphorismen

zur Lebensweisheit

(AUS PARERGA UND PARALIPOMENA)


Le bonheur n’est pas chose aisée: il est trés difficile de le trouver en nous, et impossible de le trouver ailleurs.

Chamfort

© 2010 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hamburg

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Titelabbildung: akg-images

Covergestaltung: Thomas Jarzina, Holzkirchen

ISBN: 978-3-86820-974-7

www.nikol-verlag.de

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DIE WICHTIGSTEN LEBENSDATEN


1788 geboren in Danzig: die Familie Schopenhauer gehört zu den alteingesessenen Kaufmannsfamilien der Stadt.1793 verließen die Schopenhauers Danzig und lassen sich in Hamburg nieder, weil die Stadt an Preußen fiel und hierdurch ihre Selbstständigkeit verlor.
1803-1804 Schopenhauer unternimmt auf Anraten seines Vaters eine Bildungsreise durch Europa.
1807 Umzug nach Weimar zu seiner Mutter, die dort seit dem Tod ihres Mannes im Jahr 1805 als Schriftstellerin lebte.
1809 Studium der Medizin in Göttingen.
1811 Studium der Philosophie in Berlin.
1813 erwirbt er mit der Arbeit »Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grund« in Jena den Doktortitel im Fach Philosophie. Bekanntschaft mit Goethe, der zu dieser Zeit an seiner Farbenlehre arbeitete.
1816 Veröffentlichung einer eigenen Farbenlehre mit dem Titel »Über das Sehen und die Farben«.
1819 erscheint sein Hauptwerk: »Die Welt als Wille und Vorstellung«.
1820 Aufnahme der Lehrtätigkeit an der Berliner Universität, da er durch den Konkurs einer Danziger Bank sein ererbtes Vermögen verloren hatte, das ihn bisher finanziell unabhängig gemacht hatte. es kommt zu Auseinandersetzungen mit dem berühmten Philosophen Hegel.
1821 Nach Wiedererhalt seines Vermögens unternimmt er eine Italienreise.
1825 erneuter Versuch in Berlin eine Universitätskarriere zu beginnen.
1831 Wegen einer Choleraepidemie Flucht aus Berlin nach Frankfurt am Main.
1836 erscheint »Über den Willen in der Natur«.
1839 erscheint »Über den Willen in der menschlichen Natur«.
1840 erscheint »Über die Fundamente der Moral«.
1851 erscheint »Parerga und Paralipomena«.
1860 in Frankfurt am Main verstorben.

EINLEITUNG

Ich nehme den Begriff der Lebensweisheit hier gänzlich im immanenten Sinne, nämlich in dem der Kunst, das Leben möglichst angenehm und glücklich durchzuführen, die Anleitung zu welcher auch Eudämonologie genannt werden könnte: sie wäre demnach die Anweisung zu einem glücklichen Daseyn. Dieses nun wieder ließe sich allenfalls definiren als ein solches, welches, rein objektiv betrachtet, oder vielmehr (da es hier auf ein subjektives Urtheil ankommt) bei kalter und reiflicher Ueberlegung, dem Nichtseyn entschieden vorzuziehn wäre. Aus diesem Begriffe desselben folgt, daß wir daran hiengen, seiner selbst wegen, nicht aber bloß aus Furcht vor dem Tode; und hieraus wieder, daß wir es von endloser Dauer sehn möchten. Ob nun das menschliche Leben dem Begriff eines solchen Daseyns entspreche, oder auch nur entsprechen könne, ist eine Frage, welche bekanntlich meine Philosophie verneint; während die Eudämonologie die Bejahung derselben voraussetzt. Diese nämlich beruht eben auf dem angebotenen Irrthum, dessen Rüge das 49. Kapitel im 2. Bande meines Hauptwerks eröffnet. Um eine solche dennoch ausarbeiten zu können, habe ich daher gänzlich abgehn müssen von dem höheren, metaphysisch-ethischen Standpunkte, zu welchem meine eigentliche Philosophie hinleitet. Folglich beruht die ganze hier zu gebende Auseinandersetzung gewissermaaßen auf einer Ackommodation, sofern sie nämlich auf dem gewöhnlichen, empirischen Standpunkte bleibt und dessen Irrthum festhält. Demnach kann auch ihr Werth nur ein bedingter seyn, da selbst das Wort Eudämonologie nur ein Euphemismus ist. – Ferner macht auch dieselbe keinen Anspruch auf Vollständigkeit; theils weil das Thema unerschöpflich ist; theils weil ich sonst das von Andern bereits Gesagte hätte wiederholen müssen.

Als in ähnlicher Absicht, wie gegenwärtige Aphorismen, abgefaßt, ist mir nur das sehr lesenswerthe Buch des CARDANUS de utilitate ex adversis capienda erinnerlich, durch welches man also das hier Gegebene vervollständigen kann. Zwar hat auch ARISTOTELES dem 5. Kapitel des 1. Buches seiner Rhetorik eine kurze Eudämonologie eingeflochten: sie ist jedoch sehr nüchtern ausgefallen. Benutzt habe ich diese Vorgänger nicht; da Kompiliren nicht meine Sache ist; und um so weniger, als durch dasselbe die Einheit der Ansicht verloren geht, welche die Seele der Werke dieser Art ist. – Im Allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer das Selbe gesagt, und die Thoren, d. h. die unermeßliche Majorität aller Zeiten, haben immer das Selbe, nämlich das Gegentheil, gethan: und so wird es denn auch ferner bleiben. Darum sagt VOLTAIRE: nous laisserons ce mondeci aussi sot et aussi méchant que nous l’avons trouvé en y arrivant.

KAPITEL I.
GRUNDEINTHEILUNG.

Aristoteles hat (Eth. Nicom. 1, 8) die Güter des menschlichen Lebens in drei Klassen getheilt, – die äußeren, die der Seele und die des Leibes. Hievon nun nichts, als die Dreizahl beibehaltend sage ich, daß was den Unterschied im Loose der Sterblichen begründet sich auf drei Grundbestimmungen zurückführen läßt. Sie sind:

1) Was Einer IST: also die Persönlichkeit, im weitesten Sinne. Sonach ist hierunter Gesundheit, Kraft, Schönheit, Temperament, moralischer Charakter, Intelligenz und Ausbildung derselben begriffen.

2) Was Einer HAT: also Eigenthum und Besitz in jeglichem Sinne.

3) Was Einer VORSTELLT: unter diesem Ausdruck wird bekanntlich verstanden, was er in der Vorstellung Anderer ist, also eigentlich wie er von ihnen VORGESTELLT WIRD. Es besteht demnach in ihrer Meinung von ihm, und zerfällt in Ehre, Rang und Ruhm.

Die unter der ersten Rubrik zu betrachtenden Unterschiede sind solche, welche die Natur selbst zwischen Menschen gesetzt hat; woraus sich schon abnehmen läßt, daß der Einfluß derselben auf ihr Glück, oder Unglück, viel wesentlicher und durchgreifender seyn werde, als was die bloß aus menschlichen Bestimmungen hervorgehenden, unter den zwei folgenden Rubriken angegebenen Verschiedenheiten herbeiführen. Und allerdings ist für das Wohlseyn des Menschen, ja, für die ganze Weise seines Daseyns, die Hauptsache offenbar Das, was in ihm selbst besteht, oder vorgeht. Hier nämlich liegt unmittelbar sein inneres Behagen, oder Unbehagen, als welches zunächst das Resultat seines Empfindens, Wollens und Denkens ist; während alles außerhalb Gelegene doch nur mittelbar darauf Einfluß hat. Daher affiziren die selben äußern Vorgänge, oder Verhältnisse, Jeden ganz anders, und bei gleicher Umgebung lebt doch Jeder in einer andern Welt. Denn nur mit seinen eigenen Vorstellungen, Gefühlen und Willensbewegungen hat er es unmittelbar zu thun: die Außendinge haben nur, sofern sie diese veranlassen, Einfluß auf ihn. Die Welt, in der Jeder lebt, hängt zunächst ab von seiner Auffassung derselben, richtet sich daher nach der Verschiedenheit der Köpfe: dieser gemäß wird sie arm, schaal und flach, oder reich, interessant und bedeutungsvoll ausfallen. Während z. B. Mancher den Andern beneidet um die interessanten Begebenheiten, die ihm in seinem Leben aufgestoßen sind, sollte er ihn vielmehr um die Auffassungsgabe beneiden, welche jenen Begebenheiten die Bedeutsamkeit verlieh, die sie in seiner Beschreibung haben: denn die selbe Begebenheit, welche in einem geistreichen Kopfe sich so interessant darstellt, würde, von einem flachen Alltagskopf aufgefaßt, auch nur eine schaale Scene aus der Alltagswelt seyn. Desgleichen sieht der Melancholikus eine Trauerspielscene, wo der Sanguinikus nur einen interessanten Konflikt und der Phlegmatikus etwas Unbedeutendes vor sich hat. Dies Alles beruht darauf, daß jede Wirklichkeit, d.h. jede erfüllte Gegenwart, aus zwei Hälften besteht, dem Subjekt und dem Objekt, wiewohl in so nothwendiger und enger Verbindung, wie Oxygen und Hydrogen im Wasser. Bei völlig gleicher objektiver Hälfte, aber verschiedener subjektiver, ist daher, so gut wie im umgekehrten Fall, die gegenwärtige Wirklichkeit eine ganz andere: die schönste und beste objektive Hälfte bei stumpfer, schlechter subjektiver, giebt doch nur eine schlechte Wirklichkeit und Gegenwart; gleich einer schönen Gegend in schlechtem Wetter, oder im Reflex einer schlechten Camera obscura. Oder Planer zu reden: Jeder steckt in seinem Bewußtseyn, wie in seiner Haut, und lebt unmittelbar nur in demselben: daher ist ihm von außen nicht sehr zu helfen. Weil nämlich Alles, was für den Menschen da ist und vorgeht, unmittelbar immer nur in seinem BEWUSSTSEYN da ist und für dieses vorgeht; so ist offenbar die Beschaffenheit des Bewußtseyns selbst das zunächst Wesentliche, und auf dieselbe kommt, in den meisten Fällen, mehr an, als auf die Gestalten die darin sich darstellen. Alle Pracht und Genüsse, abgespiegelt im dumpfen Bewußtseyn eines Tropfs, sind sehr arm, gegen das Bewußtseyn des CERVANTES, als er in einem unbequemen Gefängnisse den Don Quijote schrieb. –

 

Die objektive Hälfte der Gegenwart und Wirklichkeit steht in der Hand des Schicksals und ist demnach veränderlich: die subjektive sind wir selbst; daher sie im Wesentlichen unveränderlich ist. Demgemäß trägt das Leben jedes Menschen, trotz aller Abwechselung von außen, durchgängig den selben Charakter und ist einer Reihe Variationen auf EIN Thema zu vergleichen. – Hieraus also ist klar, wie sehr unser Glück abhängt von Dem, was wir SIND, von unsrer Individualität; während man meistens nur unser Schicksal, nur Das, was wir HABEN, oder was wir VORSTELLEN, in Anschlag bringt. Das Schicksal aber kann sich bessern: zudem wird man, bei innerm Reichthum, von ihm nicht viel verlangen: hingegen ein Tropf bleibt ein Tropf, ein stumpfer Klotz ein stumpfer Klotz, bis an sein Ende, und wäre er im Paradiese und von Huris umgeben.

Deshalb sagt Göthe:

Volk und Knecht und Ueberwinder,

Sie gestehn, zu jeder Zeit,

Höchstes Glück der Erdenkinder

Sei nur die Persönlichkeit.

W. O. DIVAN.

Daß für unser Glück und unsern Genuß das Subjektive ungleich wesentlicher, als das Objektive sei, bestätigt sich in Allem: von Dem an, daß Hunger der beste Koch ist und der Greis die Göttin des Jünglings gleichgültig ansieht, bis hinauf zum Leben des Genies und des Heiligen. Besonders überwiegt die Gesundheit alle äußern Güter so sehr, daß wahrlich ein gesunder Bettler glücklicher ist, als ein kranker König. Ein aus vollkommener Gesundheit und glücklicher Organisation hervorgehendes, ruhiges und heiteres Temperament, ein klarer, lebhafter, eindringender und richtig fassender Verstand, ein gemäßigter, sanfter Wille und demnach ein gutes Gewissen, Dies sind Vorzüge, die kein Rang oder Reichthum ersetzen kann. Denn was Einer für sich selbst ist, was ihn in die Einsamkeit begleitet und was Keiner ihm geben, oder nehmen kann, ist offenbar für ihn wesentlicher, als Alles, was er besitzen, oder auch was er in den Augen Anderer seyn mag. Ein geistreicher Mensch hat, in gänzlicher Einsamkeit, an seinen eigenen Gedanken und Phantasien vortreffliche Unterhaltung, während von einem Stumpfen die fortwährende Abwechselung von Gesellschaften, Schauspielen, Ausfahrten und Lustbarkeiten, die marternde Langeweile nicht abzuwehren vermag. Ein guter, gemäßigter, sanfter Charakter kann unter dürftigen Umständen zufrieden seyn; während ein begehrlicher, neidischer und böser es bei allem Reichthum nicht ist. Nun aber gar Dem, welcher beständig den Genuß einer außerordentlichen, geistig eminenten Individualität hat, sind die meisten der allgemein angestrebten Genüsse ganz überflüssig, ja, nur störend und lästig. Daher sagt Horaz von sich:

Gemmas, marmor, ebur, Tyrrhena sigilla, tabellas, Argentum, vestes Gaetulo murice tinctas, Sunt qui non habeant, est qui non curat habere;

und Sokrates sagte, beim Anblick zum Verkauf ausgelegter Luxusartikel: »wie Vieles giebt es doch, was ich nicht nöthig habe.«

Für unser Lebensglück ist demnach Das, Was Wir SIND, die Persönlichkeit, durchaus das Erste und Wesentlichste; – schon weil sie beständig und unter allen Umständen wirksam ist: zudem aber ist sie nicht, wie die Güter der zwei andern Rubriken, dem Schicksal unterworfen, und kann uns nicht entrissen werden. Ihr Werth kann insofern ein absoluter heißen, im Gegensatz des bloß relativen der beiden andern. Hieraus nun folgt, daß dem Menschen von außen viel weniger beizukommen ist, als man wohl meint. Bloß die allgewaltige Zeit übt auch hier ihr Recht: ihr unterliegen allmälig die körperlichen und die geistigen Vorzüge: der moralische Charakter allein bleibt auch ihr unzugänglich. In dieser Hinsicht hätten denn freilich die Güter der zwei letztem Rubriken, als welche die Zeit unmittelbar nicht raubt, vor denen der ersten einen Vorzug. Einen zweiten könnte man darin finden, daß sie, als im Objektiven gelegen, ihrer Natur nach, erreichbar sind und jedem wenigstens die Möglichkeit vorliegt, in ihren Besitz zu gelangen; während hingegen das Subjektive gar nicht in unsere Macht gegeben ist, sondern, jure divino eingetreten, für das ganze Leben unveränderlich fest steht; so daß hier unerbittlich der Ausspruch gilt:

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,

Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,

Bist alsobald und fort und fort gediehen,

Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.

So mußt du seyn, dir kannst du nicht entfliehen,

So sagten schon Sibyllen, so Propheten;

Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt

Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.

GÖTHE.

Das Einzige, was in dieser Hinsicht in unserer Macht steht, ist, daß wir die gegebene Persönlichkeit zum möglichsten Vortheile benutzen, demnach nur die ihr entsprechenden Bestrebungen verfolgen und uns um die Art von Ausbildung bemühen, die ihr gerade angemessen ist, jede andere aber meiden, folglich den Stand, die Beschäftigung, die Lebensweise wählen, welche zu ihr passen.

Aus dem entschiedenen Uebergewicht unsrer ersten Rubrik über die beiden andern geht aber auch hervor, daß es weiser ist, auf Erhaltung seiner Gesundheit und auf Ausbildung seiner Fähigkeiten, als auf Erwerbung von Reichthum hinzuarbeiten; was jedoch nicht dahin mißdeutet werden darf, daß man den Erwerb des Nöthigen und Angemessenen vernachlässigen sollte. Aber eigentlicher Reichthum, d. h. großer Ueberfluß, vermag wenig zu unserm Glück; daher viele Reiche sich unglücklich fühlen; weil sie ohne eigentliche Geistesbildung, ohne Kenntnisse und deshalb ohne irgend ein objektives Interesse, welches sie zu geistiger Beschäftigung befähigen könnte, sind. Denn was der Reichthum über die Befriedigung der wirklichen und natürlichen Bedürfnisse hin aus noch leisten kann ist von geringem Einfluß auf unser eigentliches Wohlbehagen: vielmehr wird dieses gestört durch die vielen und unvermeidlichen Sorgen, welche die Erhaltung eines großen Besitzes herbeiführt. Dennoch aber sind die Menschen tausend Mal mehr bemüht, sich Reichthum, als Geistesbildung zu erwerben; während doch ganz gewiß was man IST, viel mehr zu unserm Glücke beiträgt, als was man HAT. Gar Manchen daher sehn wir, in rastloser Geschäftigkeit, emsig wie die Ameise, vom Morgen bis zum Abend bemüht, den schon vorhandenen Reichthum zu vermehren. Ueber den engen Gesichtskreis des Bereichs der Mittel hiezu hinaus kennt er nichts: sein Geist ist leer, daher für alles Andere unempfänglich. Die höchsten Genüsse, die geistigen, sind ihm unzugänglich: durch die flüchtigen, sinnlichen, wenig Zeit, aber viel Geld kostenden, die er zwischendurch sich erlaubt, sucht er vergeblich jene andern zu ersetzen. Am Ende seines Lebens hat er dann, als Resultat desselben, wenn das Glück gut war, wirklich einen recht großen Haufen Geld vor sich, welchen noch zu vermehren, oder aber durchzubringen, er jetzt seinen Erben überläßt. Ein solcher, wiewohl mit gar ernsthafter und wichtiger Miene durchgeführter Lebenslauf ist daher eben so thöricht, wie mancher andere, der geradezu die Schellenkappe zum Symbol hatte.

Also was Einer AN SICH SELBER HAT ist zu seinem Lebensglücke das Wesentlichste. Bloß weil Dieses, in der Regel, so gar wenig ist, fühlen die meisten von Denen, welche über den Kampf mit der Noth hinaus sind, sich im Grunde eben so unglücklich, wie Die, welche sich noch darin herumschlagen. Die Leere ihres Innern, das Fade ihres Bewußtseyns, die Armuth ihres Geistes treibt sie zur Gesellschaft, die nun aber aus eben Solchen besteht; weil similis simili gaudet. Da wird dann gemeinschaftlich Jagd gemacht auf Kurzweil und Unterhaltung, die sie zunächst in sinnlichen Genüssen, in Vergnügungen jeder Art und endlich in Ausschweifungen suchen. Die Quelle der heillosen Verschwendung, mittelst welcher so mancher, reich ins Leben tretende Familiensohn, sein großes Erbtheil, in oft unglaublich kurzer Zeit, durchbringt, ist wirklich keine andere, als nur die Langeweile, welche aus der eben geschilderten Armuth und Leere des Geistes entspringt. So ein Jüngling war äußerlich reich, aber innerlich arm in die Welt geschickt und strebte nun vergeblich, durch den äußern Reichthum den innern zu ersetzen, indem er Alles VON AUSSEN empfangen wollte, – den Greisen analog, welche sich durch die Ausdünstung junger Mädchen zu stärken suchen. Dadurch führte denn am Ende die innere Armuth auch noch die äußere herbei.

Die Wichtigkeit der beiden andern Rubriken der Güter des menschlichen Lebens brauche ich nicht hervorzuheben. Denn der Werth des Besitzes ist heut zu Tage so allgemein anerkannt, daß er keiner Empfehlung bedarf. Sogar hat die dritte Rubrik, gegen die zweite, eine sehr ätherische Beschaffenheit; da sie bloß in der Meinung Anderer besteht. Jedoch nach Ehre, d. h. gutem Namen, hat jeder zu streben, nach Rang schon nur Die, welche dem Staate dienen, und nach Ruhm gar nur äußerst Wenige. Indessen wird die Ehre als ein unschätzbares Gut angesehn, und der Ruhm als das Köstlichste, was der Mensch erlangen kann, das goldene Fließ der Auserwählten: hingegen den Rang werden nur Thoren dem Besitze vorziehn. Die zweite und dritte Rubrik stehn übrigens in sogenannter Wechselwirkung; sofern das habes, habeberis des Petronius seine Richtigkeit hat und, umgekehrt, die günstige Meinung Anderer, in allen ihren Formen, oft zum Besitze verhilft.

KAPITEL II.
VON DEM, WAS EINER IST.

Daß Dieses zu seinem Glücke viel mehr beiträgt, als was er HAT, oder was er VORSTELLT, haben wir bereits im Allgemeinen erkannt. Immer kommt es darauf an, was Einer sei und demnach an sich selber habe: denn seine Individualität begleitet ihn stets und überall, und von ihr ist Alles tingirt, was er erlebt. In Allem und bei Allem genießt er zunächst nur sich selbst: Dies gilt schon von den physischen; wie viel mehr von den geistigen Genüssen. Daher ist das Englische to enjoy one's self ein sehr treffender Ausdruck, mit welchem man z. B. sagt he enjoys himself at Paris, also nicht »er genießt Paris«, sondern »er genießt SICH in Paris.« – Ist nun aber die Individualität von schlechter Beschaffenheit; so sind alle Genüsse wie köstliche Weine in einem mit Galle tingirten Munde. Demnach kommt, im Guten wie im Schlimmen, schwere Unglücksfälle bei Seite gesetzt, weniger darauf an, was Einem im Leben begegnet und widerfährt, als darauf, wie er es empfindet, also auf die Art und den Grad seiner Empfänglichkeit in jeder Hinsicht. Was Einer in sich ist und an sich selber hat, kurz die Persönlichkeit und deren Werth, ist das alleinige Unmittelbare zu seinem Glück und Wohlseyn. Alles Andere ist mittelbar; daher auch dessen Wirkung vereitelt werden kann, aber die der Persönlichkeit nie. Darum eben ist der auf persönliche Vorzüge gerichtete Neid der unversöhnlichste, wie er auch der am sorgfältigsten verhehlte ist. Ferner ist allein die Beschaffenheit des Bewußtseyns das Bleibende und Beharrende, und die Individualität wirkt fortdauernd, anhaltend, mehr oder minder in jedem Augenblick: alles Andere hingegen wirkt immer nur zu Zeiten, gelegentlich, vorübergehend, und ist zudem auch noch selbst dem Wechsel und Wandel unterworfen: daher sagt Aristoteles: η γαρ φύσις βέβαια, ου τα χρήματα (nam natura perennis est, non opes.). Eth. Eud. VII, 2. Hierauf beruht es, daß wir ein ganz und gar von außen auf uns gekommenes Unglück mit mehr Fassung ertragen, als ein selbstverschuldetes: denn das Schicksal kann sich ändern; aber die eigene Beschaffenheit nimmer. Demnach also sind die subjektiven Güter, wie ein edler Charakter, ein fähiger Kopf, ein glückliches Temperament, ein heiterer Sinn und ein wohlbeschaffener, völlig gesunder Leib, also überhaupt mens sana in corpore sano, zu unserm Glücke die ersten und wichtigsten; weshalb wir auf die Beförderung und Erhaltung derselben viel mehr bedacht seyn sollten, als auf den Besitz äußerer Güter und äußerer Ehre.

 

Was nun aber, von jenen Allen, uns am unmittelbarsten beglückt, ist die Heiterkeit des Sinnes: denn diese gute Eigenschaft belohnt sich augenblicklich selbst. Wer eben fröhlich ist, hat allemal Ursach es zu seyn: nämlich eben diese, daß er es ist. Nichts kann so sehr, wie diese Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; während sie selbst durch nichts zu ersetzen ist. Einer sei jung, schön, reich und geehrt; so frägt sich, wenn man sein Glück beurtheilen will, ob er dabei heiter sei: ist er hingegen heiter; so ist es einerlei, ob er jung oder alt, gerade oder pucklich, arm oder reich sei; er ist glücklich. In früher Jugend machte ich ein Mal ein altes Buch auf, und da stand: »wer viel lacht ist glücklich, und wer viel weint ist unglücklich,« – eine sehr einfältige Bemerkung, die ich aber, wegen ihrer einfachen Wahrheit doch nicht habe vergessen können, so sehr sie auch der Superlativ eines truism's ist. Dieserwegen also sollen wir der Heiterkeit, wann immer sie sich einstellt, Thür und Thor öffnen: denn sie kommt nie zur unrechten Zeit; statt daß wir oft Bedenken tragen, ihr Eingang zu gestatten, indem wir erst wissen wollen, ob wir denn auch wohl in jeder Hinsicht Ursach haben, zufrieden zu seyn; oder auch, weil wir fürchten, in unsern ernsthaften Ueberlegungen und wichtigen Sorgen dadurch gestört zu werden: allein was wir durch diese bessern ist sehr ungewiß; hingegen ist Heiterkeit unmittelbarer Gewinn. Sie allein ist gleichsam die baare Münze des Glückes und nicht, wie alles Andere, bloß der Bankzettel; weil nur sie unmittelbar in der Gegenwart beglückt; weshalb sie das höchste Gut ist für Wesen, deren Wirklichkeit die Form einer untheilbaren Gegenwart zwischen zwei unendlichen Zeiten hat. Demnach sollten wir die Erwerbung und Beförderung dieses Gutes jedem andern Trachten vorsetzen. Nun ist gewiß, daß zur Heiterkeit nichts weniger beiträgt, als Reichthum, und nichts mehr, als Gesundheit: in den niedrigen, arbeitenden, zumal das Land bestellenden Klassen, sind die heitern und zufriedenen Gesichter; in den reichen und vornehmen die verdrießlichen zu Hause. Folglich sollten wir vor Allem bestrebt seyn, uns den hohen Grad vollkommener Gesundheit zu erhalten, als dessen Blüthe die Heiterkeit sich einstellt. Die Mittel hiezu sind bekanntlich Vermeidung aller Excesse und Ausschweifungen, aller heftigen und unangenehmen Gemüthsbewegungen, auch aller zu großen oder zu anhaltenden Geistesanstrengung, täglich wenigstens zwei Stunden rascher Bewegung in freier Luft, viel kaltes Baden und ähnliche diätetische Maaßregeln. Wie sehr unser Glück von der Heiterkeit der Stimmung und diese vom Gesundheitszustande abhängt, lehrt die Vergleichung des Eindrucks, den die nämlichen äußern Verhältnisse, oder Vorfälle, am gesunden und rüstigen Tage auf uns machen, mit dem, welchen sie hervorbringen, wann Kränklichkeit uns verdrießlich und ängstlich gestimmt hat. Nicht was die Dinge objektiv und wirklich sind, sondern was sie für uns, in unsrer Auffassung, sind, macht uns glücklich oder unglücklich: Dies eben besagt Epiktets ταρασσϵι τους ανϑρωπους ου τα πραγατα, αλλα τα πϵρι των πραγματων δογματα (commovent homines non res, sed de rebus opiniones). Ueberhaupt aber beruhen %o unsers Glückes allein auf der Gesundheit. Mit ihr wird Alles eine Quelle des Genusses: hingegen ist ohne sie kein äußeres Gut, welcher Art es auch sei, genießbar, und selbst die übrigen subjektiven Güter, die Eigenschaften des Geistes, Gemüthes, Temperaments, werden durch Kränklichkeit herabgestimmt und sehr verkümmert. Demnach geschieht es nicht ohne Grund, daß man, vor allen Dingen, sich gegenseitig nach dem Gesundheitszustande befrägt und einander sich wohlzubefinden wünscht: denn wirklich ist Dieses bei Weitem die Hauptsache zum menschlichen Glück. Hieraus aber folgt, daß die größte aller Thorheiten ist, seine Gesundheit aufzuopfern, für was es auch sei, für Erwerb, für Beförderung, für Gelehrsamkeit, für Ruhm, geschweige für Wollust und flüchtige Genüsse: vielmehr soll man ihr Alles nachsetzen.

So viel nun aber auch zu der, für unser Glück so wesentlichen Heiterkeit die Gesundheit beiträgt, so hängt jene doch nicht von dieser allein ab: denn auch bei vollkommener Gesundheit kann ein melancholisches Temperament und eine vorherrschend trübe Stimmung bestehn. Der letzte Grund davon liegt ohne Zweifel in der ursprünglichen und daher unabänderlichen Beschaffenheit des Organismus, und zwar zumeist in dem mehr oder minder normalen Verhältniß der Sensibilität zur Irritabilität und Reproduktionskraft. Abnormes Uebergewicht der Sensibilität wird Ungleichheit der Stimmung, periodische übermäßige Heiterkeit und vorwaltende Melancholie herbeiführen. Weil nun auch das Genie durch ein Uebermaaß der Nervenkraft, also der Sensibilität, bedingt ist; so hat Aristoteles ganz richtig bemerkt, daß alle ausgezeichnete und überlegene Menschen melancholisch seien: παντϵς οσοι πϵριττοι γϵγονασιν ανδρϵς, η ϰατα φιλοσοφιαν, η πολιτιϰην, η ποιησιν, η τϵχνας, φαινονται μϵλαγχολιϰοι οντϵς (Probl. 30, 1.). Ohne Zweifel ist dieses die Stelle, welche Cicero im Auge hatte, bei seinem oft angeführten Bericht: Aristoteles ait, omnes ingeniosos melancholicos esse (Tusc. 1, 33.). – Die hier in Betrachtung genommene, angebotene, große Verschiedenheit der Grund-Stimmung überhaupt aber hat SHAKESPEARE sehr artig geschildert:

Nature has fram'd stränge fellows in her time:

Some that will evermore peep through their eyes,

And laugh, like parrots, at a bag-piper,

And others of such vinegar aspect,

That they'll not show their teeth in way of smile,

Though Nestor swear the jest be laughable.[1]

Merch. of Ven. Sc. 1.

Eben dieser Unterschied ist es, den PLATO durch die Ausdrücke δυσϰολος und ϵυϰολος bezeichnet. Derselbe läßt sich zurückführen auf die bei verschiedenen Menschen sehr verschiedene Empfänglichkeit für angenehme und unangenehme Eindrücke, in Folge welcher der Eine noch lacht bei Dem, was den Andern fast zur Verzweiflung bringt: und zwar pflegt die Empfänglichkeit für angenehme Eindrücke desto schwächer zu seyn, je stärker die für unangenehme ist, und umgekehrt. Nach gleicher Möglichkeit des glücklichen und des unglücklichen Ausgangs einer Angelegenheit, wird der δυσϰολος beim unglücklichen sich ärgern, oder grämen, beim glücklichen aber sich nicht freuen; der ϵυϰολο hingegen wird über den unglücklichen sich nicht ärgern, noch grämen, aber über den glücklichen sich freuen. – Wie nun aber nicht leicht ein Uebel ohne alle Kompensation ist; so ergiebt sich auch hier, daß die δυσϰολοι, also die finstern und ängstlichen Charaktere, im Ganzen, zwar mehr imaginäre, dafür aber weniger reale Unfälle und Leiden zu überstehn haben werden, als die heitern und sorglosen: denn wer Alles schwarz sieht, stets das Schlimmste befürchtet und demnach seine Vorkehrungen trifft, wird sich nicht so oft verrechnet haben, als wer stets den Dingen die heitere Farbe und Aussicht leiht. – Wann jedoch eine krankhafte Affektion des Nervensystems, oder der Verdauungswerkzeuge, der angeborenen δυσϰολια in die Hände arbeitet; dann kann diese den hohen Grad erreichen, wo dauerndes Mißbehagen Lebensüberdruß erzeugt und demnach Hang zum Selbstmord entsteht. Diesen vermögen alsdann selbst die geringsten Unannehmlichkeiten zu veranlassen; ja, bei den höchsten Graden des Uebels, bedarf es derselben nicht ein Mal; sondern bloß in Folge des anhaltenden Mißbehagens wird der Selbstmord beschlossen und alsdann mit so kühler Ueberlegung und fester Entschlossenheit ausgeführt, daß der meistens schon unter Aufsicht gestellte Kranke, stets darauf gerichtet, den ersten unbewachten Augenblick benutzt, um, ohne Zaudern, Kampf und Zurückbeben, jenes ihm jetzt natürliche und willkommene Erleichterungsmittel zu ergreifen. Ausführliche Beschreibungen dieses Zustandes giebt Esquirol, des maladies mentales. Allerdings aber kann, nach Umständen, auch der gesundeste und vielleicht selbst der heiterste Mensch sich zum Selbstmord entschließen, wenn nämlich die Größe der Leiden, oder des unausweichbar herannahenden Unglücks, die Schrecken des Todes überwältigt. Der Unterschied liegt allein in der Größe des dazu erforderlichen Anlasses, als welche mit der δυσϰολια in umgekehrtem Verhältniß steht. Je größer diese ist, desto geringer kann jener seyn, ja am Ende auf Null herabsinken: je größer hingegen die ϵυϰολια und die sie unterstützende Gesundheit, desto mehr muß im Anlaß liegen. Danach giebt es unzählige Abstufungen der Fälle, zwischen den beiden Extremen des Selbstmordes, nämlich dem des rein aus krankhafter Steigerung der angebornen δυσϰολια entspringenden, und dem des Gesunden und Heiteren, ganz aus objektiven Gründen.