Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv

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Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv
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Wiglaf Droste

Die Würde

des Menschen ist ein

Konjunktiv

Neue Sprachglossen

Mit einer Gastgeschichte von

Archi W. Bechlenberg

FUEGO

- Über dieses Buch -

Wären Sie gern »Teamplayer im Goods Flow Lagerbereich«? Möchten Sie wissen, wie man »mit Werten Bewusstsein gestaltet«? Können Sie sich zwischen »to go« und »no go« nicht leicht entscheiden? Sollte man sich nach dem Kuratieren unbedingt die Hände waschen? Warum gibt es Männer, die »...und meine Wenigkeit« sagen und alles »im Paket« kaufen? Appen Sie Apps? Ist Ihnen »Transparenz« so wichtig wie »Nachhaltigkeit«? »Fühlen« Sie Zeit, oder schauen Sie auf die Uhr? Kennen Sie den Unterschied zwischen Winter- und Sommerzeit? Mögen Sie Ihren Wein gern »cremig und saftig«? Laufen Sie »mit breiter Brust« durch die Welt, oder ist Ihnen eher so »fragensschlapp« zumute wie Durs Grünbein, der deshalb auch das »Mut-Institut« aufsuchen muss? Sind Sie »Fanfollower« und mögen »Wohlfühlmomente vom Feinsten«? Ahnen Sie, warum Jogi Gauck »betropetzt« ist? Sagen Sie gern »freilich« oder »gewiss«? Fühlen Sie »Erdbeererregung«, oder sind Sie eher »fit für den Winter«? Sind Sie in den Windelwechseljahren oder im Präterium? Interessieren Sie sich für »entspannte Kommunikation«? Möchten Sie Ohrenzeuge sein, wenn paartherapiezerschredderte Paare streiten? Kennen Sie »Fahrplanmedien«? Schauen Sie anderen gelegentlich unter den Trierer Rock? Mögen Sie eher Maggi fix oder lieber Kruzifix? Skizzieren Sie Rahmen, insbesondere finanziell?

Wiglaf Droste begnügt sich nicht damit, all jene dingfest zu machen, die der Sprache Gewalt antun. Er nimmt die Sprache an die Hand und geht mit ihr spielen. Die beiden sind ein Liebespaar mit einer großen Kinderschar.

für das Tal des Viéso, es ist kein Digital

Auf der To do-Liste:

To go or No go?

Manchmal, eingezwängt zwischen sehr wichtige Erwachsene, erinnert man sich an die allerersten Englischstunden in der Schule, in denen Zehnjährige ihnen damals noch fremde Worte hörten und repetierten: »to do, to go, to be«.

Heute sagen das Menschen in Führungspositionen, die man auch »Entscheider« nennt: »Setzen Sie das auf die To do-Liste.« Und: »Nein, dort können wir kein Meeting machen, das ist ein no go.« Und wenn sie, weil ja gerade ihre Zeit so unglaublich kostbar ist, einen Coffee to go nehmen, wissen sie nicht einmal, dass es sich dabei um einen Kaffee zum Davonlaufen handelt.

Weit vorne auf der To do-Liste steht: Man muss alle Plätze, Bars oder Stadt- und Erdteile, die man nicht betreten möchte, denen man folgerichtig den digitalen »gefällt mir«-Status verweigert und vor deren Aufsuchen man auch andere warnen will, »no go« beziehungsweise »no gos« nennen. Ganze Landstriche in Brandenburg und Sachsen wurden schon zu »no gos« erklärt und somit als jene »national befreite Zonen« und Beute bestätigt, als die berufsdeutsche Schlagetots sie größenwahnsinnig be­trachten.

Ein »no go«, gern auch »absolutes no go« oder »definitives no go« genannt, ist das Gegenteil eines »place to be«. Ein »place to be« ist ein Ort, an dem man aus Gründen der Hipness einfach sein muss. Hipsein kommt übrigens nicht von der Babybreinahrung »Hipp«, obwohl die Sprechgewohnheiten hip sein wollender Menschen, die Restaurants durch die Bank als »Restos« bezeichnen, durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Alete und gesellschaftlicher Elite nahelegen.

Ein »no go« erkennt man auch daran, dass dort nichts feilgehalten wird, das als »must have« schlichtweg Pflicht ist. Wo sich kein »must have«-Produkte-Publikum trifft, kann einfach kein »place to be« sein, das versteht sich von selbst. In Zeiten des »to go« muss ein »place to be« aber auch ein »place to go« sein, und das im doppelten Sinne: Man muss dort hingehen, um jemand zu sein beziehungsweise im Gegenteil als jemand zu gelten, aber man muss das Flair des »place to be« auch im Akt des »to go« mitnehmen können, um damit an einem nächsten, anderen »place to be« zu renommieren. Wenn das nicht gewährleistet ist, wird ein »place to be« schnell zum »no go«, also zu einem jener schrecklichen Orte, an denen Nichtwichtigtuer sich eventuell wohlfühlen könnten.

Ein »place to be« unterscheidet sich von einem »no go« dadurch, dass an einem »place to be« alles und jeder jederzeit verfügbar ist. Solange aber Prostituierte keine »Fellatio to go« anbieten, und das als »special offer« zum »nice price«, sieht die »place to be«-Sorte Mensch ihr Leben noch von einem erschreckenden Mangel an Perfektion verdüstert.

Die Welt, sagt man, sei voller Wunder, Rätsel und Reize. Ihr Kaufanreiz allerdings besteht darin, Banalitäten als Wunder anzubieten, als Rätsel: Kann ich mir auch ganz sicher sein, dass ein »place to be«, der »coffee to go« im Pappbecher als »must have« ausschenkt, auf gar keinen Fall ein »no go« ist? Oder, mit Shakespeare gesprochen: to be or not to go to no go, das ist hier die Frage..., und diese zu beantworten, steht ganz oben auf meiner To do-Liste nachts um halb eins.

Dialogannahme im Service-Kernprozess

Auf der »Automechanika«-Messe in Frankfurt am Main sah sich die Firma »Volkswagen Service« in einem »Kern­prozess«. Volkswagen Service-Leiter Dietmar Hildebrandt erklärte, »die Dialogannahme« sei »das Kern­thema« und »das vertrauensvolle Gespräch zwischen Serviceberater und Kunden heute mehr denn je Basis für eine dauerhafte Kundenbindung zum Partnerbetrieb und zur Marke«. Bei der »technischen Komplexität der heutigen Fahrzeuge« müsse »dem Kunden die angebotene Dienstleistung genau erklärt werden«; Service sei »eine äußerst aktive Angelegenheit. Dafür nehmen wir uns in der Dialogannahme Zeit.«

Kernprozess klingt ein bisschen nach demnächst explodierendem Kernkraftwerk, was ein prima Kernthema ab­gäbe. Etwas rätselhafter verhält es sich mit der Dialogannahme. Ist eine Dialogannahme so etwas wie eine Lottoannahmestelle? Oder ähnelt sie eher der Wäscheannahme samt Heißmangel, getreu der Devise: Der Herr ist mein Hirte, er wird mich mangeln? Kann man gebrauchte Dialoge in die Dialogannahme bringen und sie drei Tage später frisch gereinigt und gemangelt zurückbekommen? Damit es endlich wieder Dialoge gibt, die sich, wie man so sagt, gewaschen haben?

Das wäre wünschenswert; es gibt so viele Dialoge, die dringend der Pflege bedürfen. Das geächzte »Na, wie geht’s?« – »Danke, muss ja« ist ein ranzig gewordener Klassiker unter Bekannten und Kollegen, und auch der inflationärste aller gebrauchten Pärchendialoge – Sie, misstrauisch: »Woran denkst du? – Er, abwehrend: »An nichts.« – könnte eine solide Grundreinigung vertragen. Aber ob der Volkswagen Service-Kernprozess das leisten will und kann?

Schließlich ist das Kernthema in der Dialogannahme der Volkswagen-Service, und der dreht sich um »dauerhafte Kundenbindung« und um »Dienstleistungserklärung als äußerst aktive Angelegenheit«. Reißt sich da ein Servicemann das Hemd auf und bekennt. »Hier dienstleiste ich und kann nicht anders«?

Wird die Dialogannahme zum Beichtstuhl des Kunden und der Service-Dienstleister zu seinem Beichtvater? Muss man sich solch herzzerreißende Szenen vorstellen:

Kunde, stark zerknirscht: »Ach, ich habe wieder an der Benzinpumpe herumgespielt, und jetzt ist sie kaputt...« – »Bringe dreißig Kanister vom teuersten Sprit auf den Knien zur VW-Niederlassung nach Canossa, mein Sohn, und deine Sünden sind dir vergeben. Ego te abvolvo.«

Wie vollzieht sich der GAD, der Größte Anzunehmende Dialog? Betritt ein Kunde im Laufschritt die Dialogannahme und stößt hektisch hervor: »Hören Sie, ich parke in der zweiten Reihe...« Und schneidet der Mann mit dem »Kernthema Service« ihm dann lächelnd das Wort ab und fragt süffisant: »Tun Sie das nicht schon Ihr ganzes Leben?« Oder ningelt ein Herr in Wetterjacke mit grundempörtem Gesichtsausdruck durchdringend: »Ich finde es ökologisch unverantwortlich, dass mein Fernlicht noch nicht mit Energiesparlampen aufgerüstet wurde!«? Mitleidlos macht der Kunde weiter? »Kön­nen Sie Ihre Autos nicht noch breiter bauen? Meine Sicherheit und die meiner Familie haben oberste Priorität, und das weltweit! A propos Familie: Schon mein Großvater ist gerne Panzer gefahren...«

Was genau in der Dialogannahme geschieht, wissen wir nicht. Aber wir ahnen, dass im Volkswagen Service-Kernprozess die Kernthemen dieser Zeit verhandelt werden. Wir müssen den Dialog nur annehmen.

Teamplayer im Goods Flow Lagerbereich

Wenn die Möbelhauskette »Habitat« auf Angestelltensuche geht, liest sich das so:

»Für unseren Store suchen wir ab sofort einen Goods Flow Mitarbeiter (männlich / weiblich).

Sie haben Erfahrung im Lagerbereich?

Sie besitzen einen Führerschein der Klasse C1?

Sie sind ein Teamplayer?

Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung.«

Abgerundet wird der Text mit einer Selbstauskunft: »Our people make us different.« So sprechen Menschenbesitzer: Unsere Menschen, und der Goods Flow Mitarbeiter männlich / weiblich, also eigentlich Neutrum beziehungsweise Geschlecht egal, Hauptsache billig, ahnt, was auf ihn zukommt im Lagerbereich, wo er mit den anderen Teamplayern den stetigen Fluss der Waren in Bewegung halten wird.

Hilfsarbeiter im Lager und Aushilfsfahrer werden schlecht bezahlt, dürfen zum Ausgleich dafür aber Goods Flow Mitarbeiter heißen. Ein Teamplayer ist ein Befehls­empfänger, den man jederzeit überall hinschicken kann, aber das Wort hat so einen Klang von großer Welt und Befähigung zu noch größerer Leistung: Teamplayer, da ist die Meisterschaft in was auch immer doch fast schon gewonnen, und Deutsche mit langer Erfahrung im Lagerbereich gewinnen im Nu internationales Flair.

 

Wer einen Hausmeister herabstufen will, macht ihn zum Facility Manager; der arbeitet dann für weniger Geld, ist aber rhetorisch auf Management-Level angekommen. So wird aus einem veritablen Abstieg mit Hilfe aufgeschäumter Sprache doch noch ein Aufstieg. Angestellten smart klingende Titel zu verleihen ist günstig und kostet keinen Cent; falls sich jemand über den Sprachschwindel beschweren sollte, wird man ihn darauf hinweisen, dass ein solch teamschädigendes Verhalten einem Teamplayer nicht gestattet werden kann.

Warum als Kundenbetreuer arbeiten, wenn man doch Key-Account-Manager heißen kann? Vom Schlüsselkind zum Key Account, das ist eine Karriere, die jeden, der vom Tellerwäscher zum Millionär herabsank, erneiden lässt vor Blass beziehungsweise umgekehrt. In Werbeagenturen wimmelt es von Direktoren; wenn der Etat-Direktor mit dem Art-Direktor und dem Creativ-mit-C-Direktor »ins Meeting geht«, dann dröhnt die Hütte, und die Welt vibriert vor Wichtigkeit. Das Erstaunlichste am Selbstbetrug mit erfundenen und wertlosen Titeln ist, dass er funktioniert. Wenn einer erst Manager geworden ist, dann glaubt er sich das irgendwann selber. Es kommt schließlich nicht darauf an, was man tut, sondern darauf, wie und als was man es darstellt.

In dieser Aufmandelwelt hat eine traditionelle, klassische Berufsbezeichnung keinen guten Klang mehr, sondern verströmt die unerwünschte Aura von Versagertum und gescheiterter Existenz. Autor und Kolumnist, das ist heutzutage doch gar nichts, das klingt popelig, da könnte man ganz andere Berufsbezeichnungen und Titel mit sich herumtragen! Sie suchen ab sofort einen Thought Flow Controler im Language Management? Ich freue mich jetzt schon auf meine Bewerbung.

»Mit Werten Bewusstsein gestalten«

»Das Sein bestimmt das Bewusstsein«, hat ein älterer Kollege einmal geschrieben, aber wozu sich mit dem Sein beschäftigen, wenn man doch das Design hat und die Freuden einer polierten Oberfläche? Das Bewusstsein ist, speziell in seiner beliebtesten Form, der Bewusstlosigkeit, etwas, das designt werden kann. Auf den Punkt gebracht wird das von einer Werbeparole der Volks- und Raiffeisenbanken: »Mit Werten Bewusstsein gestalten«.

»Mit Werten Bewusstsein gestalten«, das klingt wuchtig, geradezu deutschphilosophisch tief und jedenfalls irgendwie doll. Bloß wie »gestaltet« man ein »Bewusstsein«, noch dazu mit »Werten«? Kann man ein Bewusstsein kneten, basteln, schneidern, malern oder sprayen? Und um was für »Werte« handelt es sich? Um all jene, die von der Bankenbranche kompetent zerdullert wurden? Beziehungsweise, in Werbesprech formuliert, um »Werte«, die »nachhaltig« zerstört wurden?

Wo von »Werten« die Rede ist, mit denen man »Bewusstsein gestalten« will, da lugt die »Nachhaltigkeit« schon um die Ecke. Zugunsten des »PrivateBanking« als Werbemodel »mit Werten Bewusstsein gestalten« möchte jedenfalls die Fernsehköchin Sarah Wiener, die sich in der Bankenreklame »Köchin für nachhaltigen Genuss« nennen lässt. Was ist »nachhaltiger Genuss«? Einer, der nicht mehr aufhört? Wenn man aß, was eine »Köchin für nachhaltigen Genuss« kochte, hat man dann nur noch Appetit, aber keinen Hunger mehr? Isst man dann nie wieder Mist?

Man weiß es nicht, aber die Wertebewusstseinsgestaltungsreklame der Volks- und Raiffeisenbanken erklärt: »Sarah Wiener lebt gute Ernährung.« Wie »lebt« man Ernährung? Und wie würde man auf jemanden reagieren, der einem mit den Worten »Ich lebe gute Ernährung« gegenübertritt? Würde man höflich und scheu lächeln, weil unsere Meschuggenen ja unter dem besonderen Schutz des großen Manitou stehen? Oder würde man ihn unmissverständlich in die Webeagentur zurückschicken, in der er und sein »Bewusstsein« offensichtlich erzeugt und »gestaltet« wurden?

Welcher »Weg« ist gemeint, von dem die Bankenwerbung erklärt, dass sie ihn »frei macht«? Der »gute Weg, auf dem wir sind«, also der in die Pleite? Wen meinte der Volks- und Raiffeisen-Reklametexter, als er schrieb: »Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt«? Sarah Wiener? Oder ihren Kollegen Johann Lafer, der für die Konkurrenz von der »Sparkassen-Finanzgruppe« wirbt und, Essstäbchen umkrallend, behauptet: »Vermögen braucht Vertrauen«? Wird da noch »Bewusstsein gestaltet«, selbstverständlich »mit Werten«? Oder wird doch das Sein vom Bestusstsein bestimmt?

Das sind Fragen, die beim deutschen »Nachhaltigkeitstag« beantwortet werden, dem allerdings all jene fernbleiben müssen, die zur gleichen Zeit ihren Finanz-, Bank- und Sparkassenberatern den Weg freimachen und das Bewusstsein gestalten, und zwar nachhaltig.

Wer Apps appt, muss auch kuratieren

Manchmal staunt man wirklich noch die sprichwörtlichen Bauklötze. »Es gibt viele Apps zum Finden von Apps«, liest man und denkt, man habe sich schlecht verträumt. Aber es steht tatsächlich genau so da: »Es gibt viele Apps zum Finden von Apps«, und der kryptische Satz mit den zwei Apps hat sogar noch einen Appendix: »Es gibt viele Apps zum Finden von Apps, aber AppFlow sticht heraus.«

Ach so, es handelt sich um Reklame, und der zielgruppenferne Leser versteht bloß die Sprache der Anschna­cker nicht? Insider-Code heißt auf deutsch Blinddarm und wird in Blindtext aufgeschrieben, in Wurmfortsätzen: »Die App hilft, andere Apps zu entdecken – in kuratierten und intelligent gestalteten Listen.«

So steht es, wörtlich, im redaktionellen Teil der Zeit, im Jahr 2012. Warum, weiß man nicht; möglicherweise zum Beweise dessen, dass die Formulierung »Qualitätsme­dien« eine ebenso hohle Marketing-Türeintreterbehaup­tung wie ein altmodischer frommer Wunsch ist und damit eine umso krudere Mischung aus beidem?

So scheint es. Das »Burger King«-Magazin versucht jedenfalls ebenfalls, seiner Kundschaft Appetit auf Apps zu machen: »Wissen, was App-geht. Mit unserer App liegt die ganze Welt von Burger King zu deinen Fingerspitzen.« Die Welt, zu Fingerspitzen liegend, das ist die Welt digitaler Burger-Könige. Kein Wunder, dass sie ganz anders aussieht, riecht und schmeckt.

Der Autor des »Es gibt viele Apps zum Finden von Apps«-Diktums in der Zeit war, soviel steht fest, bei Niederschrift seines Textes immerhin schon 35 Jahre alt und hatte vorher in allerlei Qualitätsmedien volontiert oder sogar voltigiert, um öffentlich solche Sätze konstruieren zu können: »AppFlow ist eine nützliche und vor allem sehr ansprechend gestaltete App zum Entdecken von Apps. Dabei handelt es sich keineswegs um eine simple Suchmaschine. AppFlow ist vielmehr eine Sammlung kuratierter Listen von Apps zu bestimmten Themen.«

Das ist tiptop zusammengeflipflopter Werbergargel, da kann kein Qualitätsjournalismuskunde meckern. Der moderne Mensch stammt schließlich vom Appen ab; wenn das kein Fortschritt ist! Nur die Allzuwichtigvokabel »kuratiert« ist ein bisschen drüber beziehungsweise over the top. Kuratieren, kriegt man davon nicht diese Rückenmarkserweichung? Nein? Sondern nur eine gleichermaßen contentharte wie breiweiche Birne, die das Berufsbild des Kurators beschreibt, der im Film »KURATOR III – Jetzt zeigt er allen Aliens alles« ein leider sehr vorläufiges Ende findet?

Als mir ein Mann, dessen Arbeit mit den Worten »Ausstellungsmacher« oder »Galerist« zugegebenermaßen auch nicht schön beschrieben wäre, mit den Worten »Ich habe das hier kuratiert« seine Hand hinstreckte, hielt ich inne. Ob der Kerl sich nach dem Kuratieren auch die Hände gewaschen hatte? Man sieht es den Leuten ja nicht an, und gerade im Kunst- und Kulturbetrieb darf man von gar nichts beziehungsweise muss man von allem ausgehen.

Wie sagt es die Zeit: »AppFlow-Nutzer suchen nicht, sie browsen.« In die deutsche Sprache übersetzt heißt das: Wo einer im Ernst »Apps zum Finden von Apps« sucht, da waltet zuverlässig der Brausepöter. Falls Sie dieses schöne Wort nicht kennen sollten: Es beschreibt sehr freundlich den deutlich südlicher gelegenen der beiden Körperteile, die beim Menschen für das Windmachen zuständig sind.

Cremiger Tanzwein

Freund Martensio stellte mir einen neuen Wein vor, einen weißen Pfälzer namens »Pas de Deux«, eine Cuvée aus Weißburgunder und Chardonnay, mit 14 % Alkohol nicht gerade ein Leichtgewicht. Alkohol ist im Wein, was Fett fürs Essen ist: ein Geschmacksträger. Und so ist es Mode geworden, nicht nur Rotweine, sondern auch Weißweine alkoholisch hochzuprügeln bis an den Rand zum Sherry, ganz egal, ob das den Weinen und denen, die sie trinken, gut bekommt. Alkohol macht den Wein fett, und die Weintester und Punkteverteiler, die nur einen Probierschluck nehmen, können gleich von Geschmackssensationen und ähnlichem Tralafitti berichten.

Einem Wein durch höhere Alkoholdosierung auch mehr geschmackliche Fülle und Intensität zu geben, ist önologisch vergleichsweise leicht. Die raren Vertreter traditioneller Weinkunst verzichten darauf und verdichten ihre Weine anders. Anderthalb Prozent weniger Alkohol klingt wenig, aber wenn ein Zwölfeinhalber genauso viel Geschmack entfaltet wie ein Vierzehner, dann stecken in ihm einfach mehr Arbeit, mehr Qualität und mehr Wissen.

Der Kopf des Weintrinkers dankt es auch; wer soll denn zum Mittagessen ein Glas Hochprozentwein trinken und anschließend noch etwas Gescheites zustande bringen? Man muss sich nur einmal vorstellen, Champagner würde auf 14 % hochgeorgelt; seine Wirkungen wären nicht mehr leicht und beschwingend, sondern nur bedröhnend.

Davon abgesehen war die »Pas de deux«-Cuvée kein übler Tropfen; während ich den Wein weniger schluckte als vielmehr beinahe schon kaute, las ich die Ergebnisse des Winzermarketings auf dem Etikett: »Ein lebhafter Tanz zwischen Weißburgunder und Chardonnay. Er überrascht mit cremiger Fülle, ist pikant und saftig mit einer angenehm fruchtigen Säure. Ein vollmundiger Genuss, der die Sinne verzaubert.«

Seitdem ich 1987 zehn Wochen lang in einer Düsseldorfer Werbeagentur arbeitete, weiß ich, wie solche Tex­te fabriziert werden. 14- oder auch 44-prozentige Weißweine sind dabei äußerst hilfreich, entweder schon während der Herstellung oder anschließend, aus Schamgefühl oder gegen den Ekel. Eine »cremige Fülle«, sonst für Haarshampoo reserviert, schadet eben auch im Wein nicht.

Empfohlen wurde der Wein »zu Antipasti, Hühnchen in Curry, asiatischen Kreationen und vielem mehr«. Noch besser hätte mir »Sushi and more...« gefallen, mit diesem schlüpfrigen, nein cremigen PunktPunktPunkt...-Verspre­chen. Oder gleich dieses: »Geile Brühe, macht zügig breit, wird am besten im gut gekühlten Plastikbecher serviert oder direkt aus der Pulle geschluckt. Ein exzellenter Begleiter zu Heiße Hexe, China-Pfanne, Pommes Schranke und Döner.« Denn im Wein ist die Wahrheit.