Pädagogik

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Aushandlungs-prozess

Aus dem Wandel von der Normalbiografie zur „Wahlbiografie“ leitet sich für die lebensweltorientierte Soziale Arbeit eine ihrer grundlegenden Intentionen ab, die davon ausgeht, dass „das Selbstverständliche nicht selbstverständlich ist“ (Thiersch 2012, 45), sondern der Aushandlung bedarf. Die „VerhandlungspartnerInnen“ innerhalb eines solchen Prozesses können zahlreich sein: Familienmitglieder, Institutionen wie Schule oder Arbeitsverwaltung, das Gesundheitssystem, FreundInnen, alltägliche Hilfesysteme etc. Die Aushandlungsbedingungen verlangen von der Sozialen Arbeit seit den 1970er Jahren die Berücksichtigung der Lebenswelt der VerhandlungspartnerInnen, indem Fragen nach dem Eigensinn der Individuen, ihren Routinen, der Brüchigkeit ihres Alltags und ihren „verschütteten“ Ressourcen, u. a. durch Rückgriff auf „Erfahrungen der kritischen Ethnographie“ (Thiersch 2012, 46), zur Grundlage der Deutung von Gegebenheiten und zum Ausgangspunkt für Unterstützungsleistungen werden.

Rekonstruktion

Diese Rekonstruktionen wollen ein Verständnis dafür erlangen, warum Individuen so und nicht anders handeln, wo ihnen Lebenschancen aufgrund ihrer lebensweltlichen Potenziale verwehrt werden und wie Soziale Arbeit sie darin unterstützen und dazu beitragen kann, einen „gelingenderen Alltag“ zu erreichen (Thiersch et al. 2012, 178). Es gehört also zur Aufgabe lebensweltlicher Sozialer Arbeit, durch die Nutzung professioneller Ressourcen (z. B. Beratungsangebote, Netzwerke) zur Reorganisation gegebener Lebensverhältnisse beizutragen.

Bewältigung

Lebensweltorientierung betont dabei nicht nur die Vielfalt der im Alltag durch die Individuen zu bewältigenden Aufgaben und Problematiken, sondern ebenso die Anerkennung der autonomen Zuständigkeit des Individuums für die Gestaltung seines Alltags. Individuen werden in der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit also zu „ExpertInnen ihrer eigenen Lebenswelt“, deren aktive Beteiligung (Partizipation) und die Anerkennung der jeweiligen Lebensleistungen zum Maßstab Sozialer Arbeit geworden sind. Sie muss sich unter dieser Prämisse die Frage stellen, ob die Strukturen den Bedürfnissen der AdressatInnen gerecht werden (Thiersch et al. 2012).

Erfahrung

Lebensweltliche Erfahrungen vollziehen sich zumeist in institutionell besetzten Räumen, von Thiersch et al. (2012) werden diese eher als „Lebensfelder“ beschrieben: z. B. als Elternhaus, soziale und pädagogische Institutionen (Schule, Kindertageseinrichtung, Einrichtungen der Sozialen Arbeit), öffentlicher Raum und Arbeitswelt.

„Indem Menschen im Lebenslauf durch verschiedene dieser Lebensfelder hindurchgehen, bewegen sie sich im Neben- und Nacheinander unterschiedlich profilierter lebensweltlicher Erfahrungen. Diese kumulieren sich im Lebenslauf, sie steigern und ergänzen sich, können sich aber auch blockieren und in Verletzungen und Traumatisierungen verhärten.“ (Thiersch et al. 2012, 184f.)

Stabilisierung

Im schulischen Bereich wird das sozialpädagogische Konzept der Lebensweltorientierung durch die Verbreitung von Schulsozialarbeit und deren Beitrag zur Stabilisierung und Optimierung von individuellen Bildungsbiografien (Spies/Pötter 2011) vertreten.

Aus Sicht der Schulpädagogik muss sich Schule dagegen bemühen, selbst ein Teil der Lebenswelt der SchülerInnen zu werden. Sie soll dafür „eine[n] reflektierten Bezug zur Umwelt“ entwickeln, „indem sie geeignete lebensweltliche Aspekte ihrer Umwelt so integriert, dass sie selbst zur Lebenswelt wird“ (Grunder 2001, 252f.). Man möchte in diesem Verständnis die Unterrichtsorganisation und -gestaltung an den Erfahrungshintergründen der SchülerInnen ausrichten, weil man davon ausgeht, dass so (selbst-)gesteuerte Lernprozesse ermöglicht werden, die zu individuellen Aufbauprozessen führen können (Hasselhorn/Gold 2013).

Lerngelegenheiten

Für Schule beinhaltet der Lebensweltbegriff also das problemorientierte, situative, didaktische Arrangement, das die Selbststeuerung des Lernens aktivieren soll und an Stelle der vorstrukturierten Wissensbereitstellung Lerngelegenheiten in förderlicher Absicht platziert. Jedoch sind eigenverantwortliche Arbeitsweisen sehr voraussetzungsvoll und verlangen von Lehrenden ein breites Instrumentarium an Methoden und Zugängen – die je nach Lebenswelt ganz unterschiedlich sein können. So führt Lebensweltorientierung von Schule im günstigen Fall zur Hinterfragung von Aufgabenkultur, Erfahrungshorizonten und Feedbackverfahren, so dass die „Balance zwischen Lehrplanstoff und lebensweltlichen Anregungen“ (Grunder 2001, 257) verbessert wird.

Selbstwirksamkeit

Grunder zufolge sollen z. B. durch Projektarbeit verbesserte Zugänge zur Erfahrung eigener Selbstwirksamkeit geboten und der Sozialraum der Schule in ganztägigen Formaten genutzt werden (Grunder 2001).

Erfahrungsräume

Im lebensweltlichen Konzept von Grunder bleibt allerdings offen, ob der einrichtungsbezogene Blick den lebensweltlichen Erfahrungen von SchülerInnen überhaupt entsprechen kann, welche Bedeutung „negative“ Erfahrungsräume für Heranwachsende und Erwachsene haben, wie sie diese in ihr Selbstbild integrieren, bzw. wo sie in ihrer Selbstwirksamkeit und Teilhabe begrenzt werden und welche Berücksichtigung Fragen der lebensweltlichen Bildung haben.

Subjektorientierung

Die sozialpädagogische Lebensweltorientierung bietet einen Anhaltspunkt zum Verständnis von subjektorientierter Bildung, die „nicht auf ein bestimmtes Setting reduziert“ ist aber auch „keinesfalls unabhängig von institutionellen Rahmungen“ betrachtet werden kann (Walther 2014, 100f.).

Erfahrungsaufschichtung

Mit ihr gewinnen die Lebensverhältnisse von Heranwachsenden und Erwachsenen, die im Lebensweltzusammenhang erworbenen Kompetenzen, Erfahrungen und Erfahrungsaufschichtungen allmählich auch für schulpädagogische Interventionen und die Gestaltung von Unterricht an Bedeutung, wenngleich der schulpädagogische Lebensweltbegriff anders als die sozialpädagogische Lebensweltorientierung konnotiert ist:

Normativitätskritik

Er ist (noch) weit von der in sozialpädagogischer Lebensweltorientierung enthaltenen Kritik gesellschaftlicher Normativität und der wertschätzenden Anerkennung von vielfältig variablen Lebenswelten entfernt und versucht eher, den Alltag in die Lernkontexte hinein zu holen. Mit dem Begriff des „lebensweltorientierten Unterrichts“ werden eher didaktische und methodische Arrangements verstanden, die Unterrichtsinhalte, beispielsweise des Sachunterrichts (Kahlert 2011; Götz 2011), auf den (antizipierten) Lebensalltag von SchülerInnen, ihre Interessen oder die geografische Verortung innerhalb der Wohnregion beziehen.

Kindheitsforschung

Seit die Befunde der Kindheitsforschung mehr und mehr in die schulpädagogischen Reflexionen Eingang finden, wird die Relevanz der Lebensweltbezüge und das Verständnis für Lebenswelt für die Gestaltung (grund-)schulpädagogischer Settings diskutiert (u. a. Fölling-Albers 2011; Heinzel 2011). In der Analyse der Schulentwicklung findet die Lebenswelt Berücksichtigung, indem sich Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklungsprozesse stets auf die Optimierung des Lernerfolgs der SchülerInnen und deren Eingebundenheit in ihre jeweilige Lebenswelt beziehen sollen (Rolff 2010) – womit der schulische Lebensweltbegriff allerdings im Gegensatz zum sozialpädagogischen Lebensweltverständnis steht.

gesellschaftliche Bedingtheit

Während das sozialpädagogische Verständnis von Lebenswelt deren gesellschaftliche Bedingtheit thematisiert und die eigensinnigen Strukturen wertschätzend anerkennt, die vom praktischen Bewältigungshandeln und -versuchen der Individuen und dem Selbstverständnis der Beteiligten bestimmt sind, steht Schule in der Tradition, auf normabweichendes Bewältigungshandeln von z. B. schulverweigernden Jugendlichen eher sanktionierend zu reagieren. Sie nähert sich erst in der intradisziplinären Zusammenarbeit mit sozial- oder sonderpädagogischen Modellen zur Reintegration der Lebensweltorientierung, u. a. durch Konzepte, die Schule und Berufswelt kombinieren (Bojanowski et al. 2005; Spies/Tredop 2006).

Bildungserfolg

Eine dem sozialpädagogischen Paradigma adäquate Lebensweltorientierung von Schule würde verlangen, dass dort der Zusammenhang von Habitus, Herkunft und formalem Bildungserfolg reflektiert und Settinggestaltungen auf lebensweltliche Herkunftseffekte rekurrieren, um Chancenungleichheit abzubauen (Becker/Lauterbach 2010).

Herkunft

Die Bedeutung der Herkunftsfamilie und des Milieus zeigt sich u. a. dann, wenn es zu Spannungen zwischen den Bildungs- und Erziehungsprozessen der unmittelbaren Lebenswelt (Bezugs- und Herkunftsmilieu) und den Anforderungen innerhalb der schulischen Lebenswelt kommt. Im Bourdieuschen Sinne „passt“ der Habitus der SchülerInnen (Inkorporation der herkunftsspezifischen Bildungsinhalte) nicht zu den institutionellen Erfordernissen. Dies kann nach Rohlfs auch zu Schulmisserfolgen führen, weil die informelle Bildung „in der natürlichen (sozialen) Umwelt der Bildungsakteure“ (Rohlfs 2011, 39) nicht mit den formellen Anforderungen schulischer Bildung übereinstimmt.

 

kulturelles Kapital

Bildung ist demnach die inkorporierte, also herkunftsbedingte (kulturelle und symbolische) Kapitalausstattung für (schulische) Bildungserfolge, die auch von elterlichen Entscheidungen für die Bildungslaufbahn ihrer Kinder abhängig ist und als „akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Material oder in verinnerlichter, inkorporierter Form“ (Bourdieu 1992, 49) gesehen werden muss. Wer aufgrund der Gegebenheiten in der familiären und sozialräumlichen Lebenswelt über umfangreiches kulturelles Kapital verfügt, kann besondere „Profite“, z. B. schulische Bildungserfolge und Zugang zu bestimmten Erwerbstätigkeiten, daraus ziehen,

„d. h., derjenige Teil des Profits, der in unserer Gesellschaft aus dem Seltenheitswert bestimmter Formen von kulturellem Kapital erwächst, ist letzten Endes darauf zurückzuführen, daß nicht alle Individuen über die ökonomischen und kulturellen Mittel verfügen, die es ihnen ermöglichen, die Bildung ihrer Kinder über das Minimum hinaus zu verlängern, das zu einem gegebenen Zeitpunkt für die Reproduktion der Arbeitskraft mit dem geringsten Marktwert erforderlich ist“ (Bourdieu 1992, 57f.).

soziale Ungleichheit

Das in der Lebenswelt zu erwerbende kulturelle Kapital wird zum entscheidenden Faktor der Person und formt ihren Habitus. Mit der Theorie der sozialen Ungleichheit von Bourdieu, aber auch den Ergebnissen der Sinus-Milieuforschung (z. B. Calmbach et al. 2012), lässt sich erkennen, dass „objektive“ Lebensbedingungen von Heranwachsenden und Erwachsenen eine Relevanz für deren Bildungsstrategien und Bildungsprozesse haben und Bildungsstrategien und Bildungsprozesse als soziale Praxen verstanden werden müssen, die über eine milieuspezifische Ausgestaltung verfügen (Betz 2008).

Jugendforschung

Die Einsichten, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Lebenswelten Kinder und Jugendliche aufwachsen, werden u. a. regelmäßig durch das Deutsche Jugendinstitut untersucht (u. a. durch Forschungsprogramme wie „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“). Untersuchungen in Form von Befragungen wollen bzw. sollen Aspekte der Bedingungen des Aufwachsens von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beleuchten und stellen Fragen nach den Sozialbeziehungen, nach Bezugspersonen und Freundeskreis(en), zur Übergangsgestaltung – z. B. von Schule zur Berufsausbildung – sowie zu (Freizeit-) Aktivitäten. Beschrieben werden dabei Lebensqualität, Wohlbefinden und Bedürfnisse von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen.


Zwischen den Begriffen Bildung, Erziehung und Sozialisation bestehen Interdependenzen und Trennschärfeprobleme, die sich nicht auflösen lassen: Vielmehr bilden sie – jeder für sich und alle drei gemeinsam – unterschiedliche Aspekte und Zugänge zum komplexen Vorgang der lebenslang nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsentwicklung ab, wobei sie sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Während Erziehungstheorien Erziehungsabsichten, Ziele und das Verhältnis von Erziehendem und zu Erziehendem analysieren und Bildungstheorien die Mündigkeit des selbsttätigen, selbstreflexiven und gesellschaftlich involvierten Individuums thematisieren, geht es bei den Sozialisationstheorien um das sich prozesshaft verändernde Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie um Beitrag und Stellenwert von Sozialisationskontexten im gesamten Lebensverlauf.

Die Anlage von pädagogisch motivierten Lernsettings, in denen Erziehungsprozesse stattfinden, Bildungsprozesse angeregt und Sozialisationseffekte aufgefangen werden können, verlangt nach absichtsvoller Planung, die zugleich Voraussetzungen für Bildungs- und Erziehungsprozesse ist. Die über Lernen erworbenen Erfahrungen reichen weit über Wissensaneignung und Kompetenzerwerb hinaus, wenn durch die dem Lernen inhärenten Reflexionsprozesse Weltzugänge erweitert und Bildungsprozesse unterstützt werden.

Die diese Prozesse mitgestaltenden Lebenswelten sind sowohl Orte der Sozialisation, als auch des Lernens und des Sich-Bildens, in denen sich Individuen ihre Welt aneignen, Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben und Bewältigungsstrategien erproben.

Individuen müssen sich in ihrer Lebenswelt und deren Lebensfeldern mit unterschiedlichen Anforderungen, Werten und Normen auseinandersetzen, die sie immer wieder zwingen, sich zu entscheiden, aber auch mit traumatischen Erfahrungen einhergehen können.

Innerhalb der alltäglichen Lebenswelt erschließen sich Individuen handelnd ihre Umwelt. In schulischen Zusammenhängen wird einerseits Schule selbst als Lebenswelt erachtet und andererseits versucht, einen curricular eingebundenen Bezug zur alltäglichen Lebenswelt der SchülerInnen herzustellen.


Erläutern Sie den Begriff des Pädagogischen Handelns mit Ihren eigenen Worten/anhand eines selbstgewählten Beispiels aus Ihrer pädagogischen Praxis! Diskutieren Sie die Schwierigkeiten des Erklärens mit Ihren KommilitonInnen.

Welche Komponenten bestimmen Bildungsprozesse? Diskutieren Sie die Schwierigkeiten des Erklärens mit Ihren KommilitonInnen.

Unterscheiden Sie den Erziehungsbegriff vom Sozialisationsbegriff. Diskutieren Sie die Schwierigkeiten des Erklärens mit Ihren KommilitonInnen.

Welche strukturellen Ebenen bestimmen Sozialisationsprozesse?

Welche Anforderungen stellt der pädagogische Kontext an eine Sozialisationstheorie?

In welchem Verhältnis stehen Sozialisationsbedingungen und Lernausgangslagen zueinander?

Definieren Sie Ihren eigenen Lernbegriff! Diskutieren Sie die Schwierigkeiten des Erklärens mit Ihren KommilitonInnen.

Erläutern Sie, warum sich der schulpädagogische und der sozialpädagogische Lebensweltbegriff nachgerade widersprechen. Diskutieren Sie die Schwierigkeiten des Erklärens mit Ihren KommilitonInnen.

Welche Problematiken des Erziehungsbegriffs werden bei näherer Betrachtung der folgenden Einsicht Herbarts sichtbar?

„Die beste Erziehung misslingt gar oft. Vorzügliche Menschen werden das, was sie sind, meist durch sich selbst.“ (Herbart 1851/2013, 424f.)

Welche Problematiken des Erziehungsbegriffs werden bei näherer Betrachtung von Kants Prämisse sichtbar?

„Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht. Es ist zu bemerken, dass der Mensch nur durch Menschen erzogen wird, durch Menschen, die ebenfalls erzogen sind. Daher macht auch der Mangel an Disziplin und Unterweisung sie wieder zu schlechten Erziehern ihrer Zöglinge. Wenn einmal ein Wesen höherer Art sich unserer Erziehung annähme, so würde man doch sehen, was aus dem Mensch werden könnte.“ (Kant 1803/1983, 699)

Welche Problematiken des Erziehungsbegriffs finden sich in Schleiermachers Aufforderung an professionelle Erziehung?

„Die Erziehung soll so eingerichtet werden […], daß die Jugend tüchtig werde einzutreten in das, was sie vorfindet, aber auch tüchtig in die sich darbietenden Verbesserungen mit Kraft einzutreten. Je vollkommener beides geschieht, desto mehr verschwindet der Widerspruch.“ (Schleiermacher 1826/1983, 34)


Baumgart, F. (Hrsg.) (2008): Theorien der Sozialisation. 4. Aufl. Klinkhardt, Bad Heilbrunn

Baumgart, F. (Hrsg.) (2007): Erziehungs- und Bildungstheorien. 3. Aufl. Klinkhardt, Bad Heilbrunn

Blankertz, H. (1982): Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Büchse der Pandora, Wetzlar

Chassé, K. A., Zander, M., Rasch, K. (2010): Meine Familie ist arm. Wie Kinder im Grundschulalter Armut erleben und bewältigen. 4. Aufl. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Engler, S., Krais, B. (Hrsg.) (2004): Das kulturelle Kapital und die Macht der Klassenstrukturen. Sozialstrukturelle Verschiebungen und Wandlungsprozesse des Habitus. Juventa, Weinheim/München

Faulstich- Wieland, H. (2000): Individuum und Gesellschaft. Sozialisationstheorien und Sozialisationsforschung. Oldenbourg, München

Fischer, J., Merten, R. (Hrsg.) (2010): Armut und soziale Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen. Problembestimmungen und Interventionsansätze. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler

Flitner, A. (2004): Konrad, sprach die Frau Mama. Über Erziehung und Nicht-Erziehung. 7. Aufl. Beltz, Weinheim/Basel

Flitner, W. (1997): Allgemeine Pädagogik. 15. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart

Fuchs-Heinritz, W., König, A. (2011): Pierre Bourdieu. Eine Einführung. Klinkhardt, Bad Heilbrunn

Girmes, R. (1997): Sich zeigen und die Welt zeigen. Bildung und Erziehung in posttraditionalen Gesellschaften. Leske und Budrich, Opladen

Gruschka, A. (Hrsg.) (1996): Wozu Pädagogik? Die Zukunft bürgerlicher Mündigkeit und öffentlicher Erziehung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

Harney, K., Krüger, H.-H. (Hrsg.) (2005): Einführung in die Geschichte der Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit. 3. Aufl. Budrich, Opladen

Hastedt, H. (Hrsg.) (2012): Was ist Bildung? Eine Textanthologie. Reclam, Stuttgart

Hörner, W., Drinck, B., Jobst, S. (2010): Bildung, Erziehung, Sozialisation. 2. Aufl. Budrich, Opladen

Jürgens, E., Miller, S. (Hrsg.) (2012): Ungleichheit in der Gesellschaft und Ungleichheit in der Schule. Eine interdisziplinäre Sicht auf Inklusions- und Exklusionsprozesse. Beltz Juventa, Weinheim/Basel

Klika, D., Schubert, V. (2013): Einführung in die Allgemeine Erziehungs-wissenschaft. Erziehung und Bildung in einer globalisierten Welt. Beltz Juventa, Weinheim/Basel

Koerrenz, R., Winkler, M. (2013): Pädagogik. Eine Einführung in Stichworten. Schöningh, Paderborn

Krüger, H.-H. (2012): Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. 6. Aufl. Budrich, Opladen

Krüger, H.-H., Grunert, C. (Hrsg.) (2006): Wörterbuch Erziehungswissenschaft. 2. Aufl. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Krüger, H.-H., Helsper, W. (Hrsg.) (2009): Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft. 9. Aufl. Budrich, Opladen

Löw, M., Geier, T. (2014): Einführung in die Soziologie der Bildung und Erziehung. 3. Aufl. Budrich, Opladen

Marotzki, W., Nohl, A.-M., Ortlepp, W. (2006): Einführung in die Erziehungswissenschaft. 2. Aufl. Budrich, Opladen

 

Müller, H.-P. (2014): Bourdieu leicht gemacht. Böhlau, Köln

Opp, G., Fingerle, M. (2008): Erziehung zwischen Risiko und Protektion. In: Opp, G., Fingerle, M., Bender, D. (Hrsg.): Was Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko und Resilienz. 3., völlig neu bearb. Aufl. Ernst Reinhardt, München/Basel, 7–18

Otto, H.-U., Oelkers, J. (Hrsg.) (2006): Zeitgemäße Bildung. Herausforderung für Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik. Unter Mitarbeit von Petra Bollweg. Ernst Reinhardt, München/Basel

Otto, H.-U., Thiersch, H. (Hrsg.) (2015): Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. 5., erw. Aufl. Ernst Reinhardt, München/Basel

Sandfuchs, U., Melzer, W., Rausch, A., Dühlmeier, B. (Hrsg.) (2012): Handbuch Erziehung. Klinkhardt, Bad Heilbrunn

Schweizer, H. (2007): Soziologie der Kindheit. Verletzlicher Eigen-Sinn. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

Thiersch, H. (2014): Lebensweltorientierte soziale Arbeit. Aufgaben der Praxis im sozialen Wandel. 9. Aufl. Beltz Juventa, Weinheim/München

Veith, H. (2008): Sozialisation. Ernst Reinhardt, München/Basel

2.2 Maximen im pädagogischen Alltag

2.2.1 Bedürfnisse

seelische und körperliche Entwicklung

Der pädagogische Alltag ist in seiner grundsätzlichen Orientierung an der Bildsamkeit des Menschen, die es durch konzeptionell begründete Gestaltungen zu unterstützen und zu fördern gilt, immer auch mit verschiedenen Bedürfnissen und biografischen Ausgangslagen konfrontiert. Spätestens seit den Publikationen von Abraham Harold Maslow (1908–1970) gehen wir vom Grundbedürfnis des Kindes nach einer gesunden seelischen und körperlichen Entwicklung aus. Er legte den Grundstein für eine systematische Analyse der menschlichen Bedürfnisse (Maslow 1977).

Bedürfnisbefriedigung

Maslow zufolge müssen beim Menschen zunächst die physiologischen Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf, Hygiene) befriedigt und das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit gestillt sein. Daran schließt sich das Bedürfnis nach Verständnis und sozialer Bindung an, dem das Bedürfnis nach seelischer und körperlicher Wertschätzung folgt, bevor das Bedürfnis nach Anregung, Spiel und Leistung sowie das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und jenes nach Transzendenz zum Tragen kommen. Maslows Hierarchisierung der hier aufgelisteten Bedürfnisse hat zu Diskussionen um sein insgesamt recht lineares Verständnis menschlicher Bedürfnisse geführt. Dies wird über die Darstellung in Form einer Pyramide zu fassen versucht. Die sogenannte Bedürfnispyramide legt aber nahe, dass erst bei hinreichender Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse überhaupt das nächsthöhere Bedürfnis zum Tragen kommen kann. Entlang Maslows Modell kann verdeutlicht werden, dass die (im Maslowschen Verständnis verhaltensbestimmenden) Befriedigungsgrade der vorangehenden Bedürfnisstufen die Relevanz der nächsthöheren Bedürfnisse bedingen. Allerdings birgt die grafische oder eindimensionale Darstellung der Bedürfnisse im Bild einer Pyramide die Gefahr, von einer statischen Sicht der Bedürfnisbefriedigung auszugehen bzw. der Annahme, dass erst bei der vollständigen Umsetzung eines Bedürfniskomplexes der nächsthöhere in Angriff genommen werden kann (Myers 2014).

Selbstverwirklichung

Solange die physiologische Grundversorgung also nicht hinreichend (einem Mindestmaß entsprechend) gegeben ist oder Schutz und Sicherheit nicht grundlegend gewährleistet sind, können Anregungen und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung nur entsprechend eingeschränkt oder bedingt wahrgenommen werden. Hinter jedem nicht hinreichend befriedigten Bedürfnis steht letztlich die Frage, wie sich das Individuum hätte entwickeln können und wie sein Bildungsprozess verlaufen wäre, wenn das Bedürfnis komplett oder wenigstens weitgehend (statt rudimentär oder kaum) gestillt worden wäre.

Wertschätzung

Wenngleich der Ansatz von Maslow nicht die Dynamik im Prozess zwischen Bedürfnissen, ihrem Entstehen und ihrer Befriedigung abbildet, die Intensität und Wechselbeziehungen einzelner Bedürfnisse vermissen lässt und eine Trennschärfe zwischen den Bedürfnissen suggeriert, die realiter gar nicht gegeben sein kann, hat sich der Ansatz als hilfreich erwiesen, um Konsequenzen aus kindlichen Vernachlässigungs- und Misshandlungserfahrungen zu verstehen. Auch institutionell verstärkte Phänomene wie Schulangst können die Konsequenz von (durchaus gängiger) Missachtung des Bedürfnisses nach seelischer und körperlicher Wertschätzung und Sicherheit sein, die auf beängstigende Situationen im Schulalltag eines Grundschulkindes zurückzuführen sind, auch wenn der schulische Rechtsrahmen solches Handeln verbietet.

Dort wo aufgrund biografischer Bedingungen Bedürfnisse unbefriedigt blieben oder bleiben (müssen), ist aus pädagogischer Perspektive für bestmögliche Abhilfe und qualifizierten Ausgleich (z. B. über die Möglichkeiten der Jugendhilfe, der Sonderpädagogik oder der Erwachsenenpädagogik) zu sorgen, um Entlastung herbeizuführen.

emotionale Belastungen

Vor allem schulpädagogische Settings müssen sich damit auseinandersetzen, dass sie die Bedürfnisse von Kindern nicht hinreichend berücksichtigen: Enderlein (2007) zufolge kann Schule durch ihre nach wie vor relativ verbreitete, historisch gewachsene Inszenierung als Angst-, Stress- und Zwangssystem zu erheblichen emotionalen Belastungen führen, die das Lernen beeinträchtigen und Bildungsprozesse stören. Wenn SchülerInnen unter Angst vor Versagen, sozialer Ausgrenzung, Bloßstellung, Demütigung und Bestrafung leiden – dem Kinderpanel des Deutschen Jugendinstituts (DJI) (Alt 2005) zufolge haben 44 % der Acht- bis Neunjährigen oft Angst, in der Schule einen Fehler zu machen – dann gefährdet die Missachtung der kindlichen Bedürfnisse die Gesundheit der SchülerInnen (Enderlein 2007).

Gesundheit

Die Untersuchungen des DJI und die Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse in Zusammenarbeit mit der Universität Lüneburg zu den „Subjektiven Gesundheitsbeschwerden von Schülern“ (DAK/Leuphana Universität 2010; Paulus et al. 2014) belegen den Zusammenhang zwischen Schulbesuch und Gesundheitsproblemen bei Grundschulkindern und Achtklässlern. Belastungssymptome (40 %), Müdigkeit/Erschöpfung (46 %), schlechte Laune/Reizbarkeit (30,5 %), Einschlafstörungen (27 %), Kopfschmerzen (24,5 %) und psychische Auffälligkeiten (22 %) machen den Großteil gesundheitlicher Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch aus, der in diesen Fällen den kindlichen Bedürfnissen an eine adäquate Lernumgebung offenbar nicht entspricht.

Entwicklungsräume

Enderlein (2007) schließt aus den Befunden des DJI, dass Unruhe, Ängste, Depression, Psychosomatik, Suchtverhalten und Zwangsstörungen darauf zurückzuführen sind, dass Bedürfnisse permanent unterdrückt werden: Wenn alterstypische Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden, sondern körperliche, geistige, soziale und emotionale Belastungen zur Folge haben, ist Enderlein zufolge Schule als Institution verantwortlich, dem Abhilfe zu verschaffen und Settings zu entwickeln, die angemessene Entwicklungsräume eröffnen, damit junge Menschen sich nicht nur kognitiv entwickeln, sondern auch seelisch, körperlich und sozial gesund aufwachsen können.

soziale Benachteiligung

Der Datenlage zufolge verschärfen soziale Benachteiligungen innerhalb der Lebenswelt die Situation der Kinder. Lehrkräfte haben zwar vergleichbare Symptome, sind als Erwachsene aber für die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse selbst verantwortlich, während Kinder und Jugendliche eher als „ausgeliefert“ zu betrachten sind. Dem sind nach Enderlein pädagogische Settings entgegenzuhalten, die den vier von ihr entwickelten Anregungskontexten entsprechen:

Aktionsräume

Über „Bewegung und Geschicklichkeit“ (1) werden im Spiel Körperfunktionen, Motorik und Konzentrationsfähigkeit gefördert und Risikoeinschätzungen möglich. Das „Erkunden der Welt im Wohnumfeld“ (2) beinhaltet eigenständige Aktivitäten in altersgerechten Aktionsräumen.

Im „Zusammensein mit Gleichaltrigen“(3) werden soziale Grunderfahrungen (Gerechtigkeit, Fairness, Emotionen, Grenzen, Verletzlichkeiten, Zugehörigkeiten) erworben.

An vierter Stelle nennt Enderlein (2007) das Bedürfnis nach verlässlichen und an demokratischen Prinzipien orientierten, förderlichen Erwachsenen (4), die vertrauenswürdige und vertrauensfähige Beziehungen gestalten und Kinder partizipativ beteiligen.

Risiko- und Schutzfaktoren

Neben Enderleins Kritik verweist auch die Auseinandersetzung mit biografischen Risiko- und Schutzfaktoren, die sich im Resilienzdiskurs (Opp/Fingerle 2008) bündelt, auf die Notwendigkeit einer noch viel intensiveren Auseinandersetzung mit kindlichen Bedürfnissen. Deren Missachtung beinhaltet Gefährdungen für biografische Verläufe, denn mangelnde Bedürfnisorientierung kann zu schulischem Scheitern führen oder häusliche Kindeswohlgefährdung übersehen.Pädagogische Konzepte verlangen also nach bedürfnissensiblen Perspektiven, die Präventions- und Interventionsstrategien so ausrichten, dass soziale Verwerfungen Ausgleiche finden und Institutionen systemisch vernetzt arbeiten können, ohne entmündigende und normierende Prozesse weiter zu verschärfen.

Versorgungsbedarfe

Die Expertise des 13. Kinder- und Jugendberichts hat dies vor allem mit Blick auf die Situation von Kindern und Jugendlichen getan, die von Gesundheitsbeeinträchtigungen und speziellen Versorgungsbedarfen betroffen sind. Dabei betont die Kommission in der Bündelung ihrer Leitlinienempfehlung, dass Förderprogramme sich an den Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten von Heranwachsenden und deren Familien auszurichten haben, damit bedarfsgerechte und passgenaue Förderkonzepte möglich werden. Wenngleich die Kommission für die Jugendhilfe spricht und damit in erster Linie die sozialpädagogische und die sonderpädagogische Expertise anspricht, wird durch die Kommission der schulpädagogische Part gewürdigt:

„Das System Schule mit seinen vielfältigen Anforderungen an die Heranwachsenden birgt aber nicht nur Risiken, sondern kann und sollte sich insbesondere auf solche Kinder entwicklungsförderlich auswirken, die in ihrem sozialen Nahraum psychosozialen Risiken (z. B. Armut der Familie) ausgesetzt sind.“ (BMFSFJ 2009, 103)

Beziehungsqualität

Zugleich kommt erwachsenen Bezugspersonen außerhalb der Familie eine Schutzfaktoren-Funktion zu, wenn sie als positive Rollenmodelle fungieren können. Die Beziehungsqualität ist dabei der entscheidende Faktor, der sich zugleich auch als Qualitätsfaktor für Schule und ihre Entwicklung schlechthin anbietet, denn die Beziehungsqualität bestimmt ganz maßgeblich auch den Lernerfolg (Hattie 2009).

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?