FANNYS VERHÄNGNIS

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
FANNYS VERHÄNGNIS
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa
Fannys Verhängnis

Copyright © 2019 by Andreas Klaene

Fannnys Verhängnis

Wenn Menschen wie du und ich zu Tätern werden

Autor: Andreas Klaene

Rügenstraße 8

49661 Cloppenburg

mail@andreasklaene.de

www.andreasklaene.de

ISBN: 978-3-748531-46-3

Umschlaggestaltung: Benedikt Kläne

*Die Namen aller Personen wurden geändert.

All rights reserved.

No part of this book may be reproduced in any form or by any electronic or mechanical means, including information storage and retrieval systems, without written permission from the author, except for the use of brief quotations in a book review.

Fannys Verhängnis

Es war noch dunkel an diesem Oktobermorgen. Bis zum Sonnenaufgang dauerte es fast eine Stunde. Fanny lag in ihrem Bett. Sie schlief so tief, als hätte die Nacht all ihre heimliche Angst narkotisiert. Ihr Zimmer befand sich im ersten Stock ihres Elternhauses, nebenan schliefen ihre beiden jüngeren Schwestern und ihre Mutter. Das Gebäude lag umringt von Einfamilienhäusern im Kern einer Kleinstadtsiedlung.

Noch regte sich nichts in den engen Straßen, die sich wie schwarze Schleifen um Häuser mit kleinen Vorgärten legten. Nur in der Einfahrt gegenüber warf hin und wieder eine Lampe ihr Licht durch die Dunkelheit. Immer dann, wenn eine Katze auf nächtlicher Tour den Bewegungsmelder geweckt hatte. Das sah aus, als wollte das Licht die Nacht erschrecken. In solchen Momenten sprang für ein paar Sekunden die weiße Fassade des Nachbarhauses aus dem Nachtschwarz hervor und mit ihr auch die Überwachungskamera, die sich unterm Dachvorsprung befand.

An Fannys Elternhaus gab es keine Kamera. Nicht nur, weil es hier nichts zu erbeuten gab. Selbst wenn die Familie nie in finanzielle Schieflage geraten wäre, hätte es niemand riskiert, hier einzubrechen. Ein Rottweiler und ein Pit Bull Terrier gehörten zur Familie. Alle im Haus waren sich zwar sicher, dass die beiden ausschließlich auf Harmonie aus waren, aber sie sahen nicht so aus.

Um kurz vor sechs schlugen die Hunde an. Sie rasten die Treppe hinunter, positionierten sich knurrend und bellend vor der Haustür. Mit jedem Schritt, den draußen wer auch immer auf das Haus zu tat, gerieten sie mehr außer sich. Dann klingelte es an der Tür. Die Mädchen schliefen so fest, dass sie nichts davon mitbekamen. Liliana war schon ein paar Minuten vor dem Lärm wach geworden. Ihr Wecker hatte sich gemeldet, aber sie wollte noch kurz in ihrem Schlummer bleiben, bevor sie nach unten ging, um das Frühstück vorzubereiten und die Hunde in den umzäunten Garten zu lassen.

Gerade an der Treppe angekommen, hörte sie die Klingel ein zweites Mal. Liliana hatte Not, ihren Bademantel schnell genug überzuziehen. In ihrer Aufregung brauchte sie eine Ewigkeit, bis sie das rechte Armloch fand. Außerdem wollte ihr Kreislauf das plötzliche Aufstehen nicht mitmachen. Auf halbem Weg kippte sie zur Seite und bekam das Geländer gerade noch zu fassen.

Selten hatte sie ihre Hunde dermaßen aufgebracht gesehen. Sie schienen die Tür mit ihren Blicken zertrümmern zu wollen. Ihr Bellen, Knurren und Fletschen überschlug sich, und ihre bulligen Körper vibrierten wie Panzer, die ihre Motoren auf Hochtouren brachten.

Liliana hatte solches Verhalten nie gemocht, aber in dieser Minute glaubte sie, genau das zu brauchen. Warum, das wusste sie nicht, wollte es aber auch gar nicht wissen. Man musste ja nicht auf alles Antworten bekommen. Ohne lebte es sich unter gewissen Umständen viel ruhiger. Das hatte ihr das Leben in 43 Jahren beigebracht.

Leute, die sich Hunde dieser Rassen anschafften, waren ihr nie ganz geheuer. Das waren doch alles Versager, Typen, die mit der Stärke ihres Hundes eigene Schwächen kompensierten. Aber ihre zwei waren ja aus anderen Gründen ins Haus gekommen. Der Rottweiler gehörte ursprünglich ihrem Mann. Als sie sich von ihm trennte, trennte er sich von ihm. Und Stuffy, den Pit Bull, hatte Fanny vor knapp drei Jahren angeschleppt. Ihr damaliger Freund hatte ihn sich als Welpen zugelegt. Eigentlich nur aus einer Laune heraus, dabei aber nicht bedacht, dass er es mit 23 Jahren noch nicht geschafft hatte, selbst aus dem Entwicklungsstadium eines Welpen herauszukommen. Er hatte nichts gelernt, arbeitete nicht, war jeden Tag bekifft, brauchte mehr Geld für Drogen, als er hatte, und besorgte es sich auf Wegen, die Fanny nicht kannte. Als er benebelt auf seinem Sofa lag, entdeckte sie den Kleinen in seiner Badewanne. Dort war er schon den ganzen Tag lang winselnd herumgekrabbelt. Fanny war außer sich. Sie klemmte sich den Hund unter den Arm und stürmte zum Sofa. „Hey, hast du sie noch alle?! Willst du den in der Wanne verrecken lassen?“

Ihr Freund musterte sie aus geschlitzten Augen und verzog ganz langsam das Gesicht. „Wieso, wo soll er denn sonst hin?“

Fanny sah ihn an, als wäre er gerade dabei, Hundefutter zu frühstücken.

„Guck nicht so“, hauchte er, „weißt doch, dass der nicht stubenrein ist. Wenn ich den rumlaufen lasse, macht er doch ne Katastrophe.“

„Der? Aha. Guck dich mal hier um. Du bist es doch, der hier ne Katastrophe macht. Bist doch selbst nicht stubenrein.“

Auf dem Sofa gab es keine Reaktion. Der müde Blick ihres Freundes schien auf ihr eingefroren zu sein.

„Kein Kommentar?“, sagte sie nun lauter. „Schnallst du gar nicht, was du da tust, wenn du so einen Winzling stundenlang in die Wanne setzt? Das ist die Hölle für den. Der kann doch nie über den Rand gucken. Um sich herum nichts als Weiß, nichts als totale Einsamkeit in totaler Unendlichkeit.“

Ihr war egal, was er darüber und über sie dachte. Sie nahm Stuffy mit, und sein Besitzer machte nie einen Versuch, ihn zurückzuholen.

Fanny hörte auch das nächste Klingeln nicht. Wach wurde sie erst durch eine Hand, die aufgeregt an ihrer Schulter rüttelte. Sie sah ihre Mutter, die sich über ihr Bett beugte. Ihr Kopf verdeckte die Deckenleuchte, ihr schmales Gesicht sah darunter schwarz aus. Hinter ihr stand eine weitere Frau. Ihr Gesicht konnte Fanny klar erkennen. Sie hatte diese Frau nie zuvor gesehen, aber sie wusste, warum sie gekommen war.

Die Unbekannte stellte sich als Kriminalbeamtin vor, während im Flur die Stimmen von Männern zu hören waren. Sie teilte Fanny mit respektvoller Bestimmtheit mit, dass sie im Verdacht stehe, eine schwere Straftat begangen zu haben. Die Frau forderte sie auf, sich umgehend anzuziehen. In ihrem Beisein.

Unten im Flur standen vier Polizisten in Uniform, im Wohnzimmer ein weiterer in Zivil. Er stellte sich als Kriminalhauptkommissar vor. Was er Fanny und ihrer Mutter mitteilte, kam nur fragmenthaft bei ihnen an. Es war gar nicht daran zu denken, sich auf die Zusammenhänge zu konzentrieren. Nicht jetzt, wo beide noch mit einem Bein auf jener Bühne standen, auf der die Träume der Nacht bis vor ein paar Minuten gespielt hatten. Jedes einzelne seiner Worte war so ungeheuerlich, dass es sich wie ein feuchter Korken im Gehirn dick machte.

Auch er sprach nun von einer Straftat. Und von einer zweiten. Dann von einer Schusswaffe. Es drangen lauter Schlagwörter aus seinem Mund, die sich wie auf dem Fließband einer Werkshalle kreuz und quer durch ihre Wohnung zogen. Unaufhörlich. Aber solche Wörter konnte er doch nicht einfach hier abladen. In Filmen, ja, da waren sie zu Hause, aber doch nicht hier. Es durfte einfach nicht wahr sein, dass sie nun ins wahre Leben verfrachtet wurden. In Fannys Leben.

Sie wusste nicht, was erschreckender war: selbst Ziel all dieser Anschuldigungen zu sein oder die Angst um ihre Mutter. Liliana stand direkt neben ihr. Fanny wollte sie ansehen, musste doch irgendwie in ihrem Gesicht lesen, was sie dachte. Ob sie überhaupt begriff. Und wenn ja, wie lange sie dieses Szenarium noch aushalten würde. Aber sie traute sich nicht. Was der Kommissar sagte, kam nicht mehr bei ihr an. Seine Sätze waren nichts als ein Rauschen, waren wie ein Wasserhahn, der im Hintergrund ein Fass füllte. Sie horchte nur noch den stockenden Atemzügen ihrer Mutter. Als sie sich die Nase putzte, sah Fanny sie an. Liliana fuhr sich mit dem Handrücken über ihre feuchten Augen. Sie stopfte ihr Taschentuch in den Ärmel und hielt den Ausschnitt ihres weißen Bademantels mit einer Hand zusammen. Wie sie so dastand, wurde Fanny klar, dass ihre Hand nicht nur ihre Blöße bedecken sollte. Sie krallte sich ins Frottee, als wäre dort Halt zu finden. Dann sah Liliana ihre Tochter an. Sie musterte sie wie eine, die es vergeblich versucht hatte, an den Vorwürfen des Kommissars zu zweifeln. In ihren Augen steckte ein einziges Flehen, so, als würden sie sagen: Fanny, nun erkläre den Leuten doch bitte endlich, dass das alles nicht stimmen kann. Aber Fanny bekam keinen Ton heraus. Sie schaffte es auch nicht, dem Blick ihre Mutter länger standzuhalten, den Augen dieser Frau, die nun nur ihretwegen wieder in der Psychiatrie landen würde. Und zum ersten Mal in ihrem Leben stellte sie fest, dass es nicht ganz stimmte, was die Leute immer sagten: Dass man sie für Geschwister halten konnte, da war was dran. Aber dass Fanny noch schöner als ihre Mutter sei, war blödes Gerede. Liliana hatte selbst in ihrer zerfurchenden Angst und Traurigkeit jene Anmut und Grazie, die Fanny sich wünschte.

Das Fließband lief weiter und weiter, und an seinem Ende klatschte alles auf die weißen Fliesen ihres Wohnzimmers, was die Polizisten daraufgelegt hatten: Messer. Schusswaffe. Räuberische Erpressung. Schlagstock. Fanny wich allen Augen aus. Sie blickte zu Boden und fühlte sich vom Dreck beäugt. Nie zuvor war ihr aufgefallen, wie sauber und weiß hier alles war. Weiß der Teppich unterm weißen Sofa, selbst der große alte Schrank mit seinen rustikalen Aufbauten war weiß. Liliana hatte sein dunkelbraunes Holz schon vor ewig langer Zeit übergestrichen, gleich nachdem sie mit ihrem Mann aus Polen in die neue Welt Deutschlands übergesiedelt war. Das war kurz vor Fannys Geburt gewesen. Bisher hatte nur der große Flachbildschirm an der weißen Wand Kontrast gebracht. Jetzt taten es die Bilder einer erschreckenden Vergangenheit, und Fanny hatte keine Farbe, um sie zu übertünchen.

 

Der Mann sprach alles noch so Entsetzliche mit der Sachlichkeit eines Nachrichtensprechers aus. Nicht freundlich, aber höflich. Fanny bekam in diesem Moment eine Ahnung davon, dass es da einen Unterschied gab. Klar schaffte er es, höflich zu sein. Er hatte ja gelernt, sich zu benehmen. Aber Freundlichkeit war nicht drin. Nicht in diesem Fall. Dazu hätte er Fanny ja tief im Innern zugetan sein müssen. Echte Freundlichkeit, das fühlte sie, konnte nur bei einem entstehen, der bereit war, sich für eine Freundschaft zu öffnen. Aber das war bei einem Kommissar nicht drin. Nicht gegenüber einer wie ihr.

Was anschließend folgte, war eine richterlich angeordnete Durchsuchung des kompletten Hauses und des Autos. Fanny nahm sie hin wie eine böse Krankheit, die über sie gekommen war. Mit fahlem Gesicht schaute sie zu, wie lauter uniformierte Viren sich in sämtlichen Zimmern ausbreiteten. Liliana eilte zu ihren jüngeren Töchtern nach oben. Sie hatten die Stimmen im Haus gehört und sich zusammen in ihrem Zimmer verschanzt. Nun versuchte ihre Mutter ihnen zu erklären, was sie selbst nicht verstand. Und das mit Worten, die sie nicht hatte.

Als die Polizei Fanny mitnahm, war es draußen bereits hell.

Im seinem Büro fragte der leitende Ermittler sie, ob sie etwas trinken oder essen wolle. Fanny schaute ihn fast erschreckt an. Mit einer derart höflichen Geste hatte sie nicht gerechnet.

„Danke“, sagte sie leise und setzte sich auf den Stuhl, den der Kommissar ihr mit ausgestrecktem Arm zuwies.

„Danke, ja oder danke, nein?“

„Entschuldigung“, sagte sie. Ihre Stimme klang hektisch. „Ich meine, nein. Ich brauche nichts. Danke.“

„Nichts zu trinken, nichts zu essen brauchen Sie“, sagte er so, als bereite ihm Genügsamkeit Kopfzerbrechen. „Dann kommen wir mal zu dem, was Sie ganz dringend gebraucht haben. So dringend, dass Sie nun in Verdacht stehen, es sich auf brutale Weise verschafft zu haben.“

„Ich bin nicht so“, sagte sie schnell und leise. Dabei blickte sie auf ihre Hände, die sie zwischen ihren Schenkeln aneinander rieb. „Ich meine brutal.“

Der Kommissar sah sie mit hochgezogenen Brauen an. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und lehnte sich zurück.

„Das sollten Sie mir erklären.“

„Will ich auch. Und auch wie es dazu gekommen ist, aber vorweg möchte ich noch …“

„Fangen Sie einfach an“, fiel ihr der Kommissar ins Wort.

„Ich komme nicht aus so einer kaputten Familie, wie sie glauben. Bis vor einem Jahr lief bei uns alles ganz normal. Das war richtig harmonisch. Also auf keinen Fall chaotisch oder so.“

„Erzählen Sie mir, wie es zu der ersten Tat gekommen ist.“

„Sofort“, sagte sie wie getrieben. Fanny krallte ihren Zeigefingernagel in den Daumen. „Mach ich ja. Ich will das ja selbst. Wirklich. Aber eine Frage: Darf ich hier rauchen?“

Der Kommissar stand auf, ging langsam zum Fenster und stellte es auf Kipp.

„Sie dürfen“, sagte er und setzte sich wieder.

Sobald sie an ihrer Zigarette zog, schien auch die Angst zu verbrennen, sich mit einem unbedachten Wort noch tiefer in die Katastrophe zu reden. Sie erzählte nun auch von ihrem Vater.

„Noch bis vor einem Jahr hat der ganz normal mit uns zusammengelebt.“

Nach diesem Satz hielt sie inne, schüttelte den Kopf.

„Nein, ganz normal eben nicht. Meine Mutter hat das alles nicht mehr ausgehalten.“

„Was nicht ausgehalten?“, fragte der Kommissar.

„Meinen Vater. Diesen Mann. Früher war ja alles paletti bei ihm. Damals, als sein Geschäft noch lief. Er hatte so eine Art Speditionsunternehmen. Ein kleines. Aber das ist schiefgegangen. Er fing an zu trinken, und hinzu kam seine Spielsucht.“

Und wieder stockte sie, malträtierte ihren Daumen mit dem Fingernagel.

„Getrunken hat er eigentlich schon immer. Schon damals in Polen. Dann ging es aber für ein paar Jahre ganz gut. Bis dass seine Firma den Bach runterging. Und dann“, sagte sie mit gebrochener Stimme und wischte sich mit den Fingern über die Augen, „und dann kam noch dieses verdammte Spielen dazu. Dabei ging alles Geld drauf, das wir noch hatten. Nur durch diese scheiß Sucht.“

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?