Dark Restaurant

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Dark Restaurant
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Andreas Henschel

Dark Restaurant

Eine Thriller-Satire

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Dark Restaurant

Impressum neobooks

Dark Restaurant

(Eine Thriller-Satire)

„Harald, die Turmuhr hat schon acht geschlagen“, sagte Elvira so prononciert, als hätte ich eben anderes behauptet. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs rostbraun gefärbte Kräuselhaar und stellte die Kaffeekanne betont geräuschvoll aufs Stövchen.

Ich blickte kurz über den Rand meiner Morgenzeitung.

„Bin ja nicht taub. Lass dir’s schmecken, Elvi.“ Mit Sicherheit wollte sie mich dazu bewegen, das lokale Wurstblatt beiseitezulegen. Den Teufel werde ich tun, dachte ich. So rebellierte ich schweigend, und sei es nur, um in diesem kleinen Machtkampf nicht gleich die Waffen zu strecken.

Außerdem ist dieser allmorgendliche Akt für mich bereits Arbeit. Denn als Redakteur des Nesselstedter Boten gliche es einer Majestätsbeleidigung, wenn man beispielsweise die neuste Kolumne von Lokalchef Benno Bitterlich nicht gleich beim Eintritt in sein Gemach in höchsten Tönen lobt. Nur meine Frau weigert sich bis heute vehement, Lesen als Arbeit zu akzeptieren.

Jenes morgendliche Ritual wiederholt sich fast immer an den Tagen, da Elvira erst zur Nachmittagschicht antanzen muss. Sie arbeitet als Verkäuferin in der Textilabteilung des größten Supermarkts unserer Kleinstadt. Es ist wohl auch ihrem Beruf geschuldet, dass bei ihr zwei Eigenschaften besonders ausgeprägt sind. Sie kann ein Vorhaben sehr zielstrebig, ja zäh verfolgen und kommuniziert gern und häufig. Ich nenne sie redselig, wenn ich geschwätzig meine.

Damals beim Frühstück erzählte sie etwa zehn Minuten lang von ihrer Freundin und Kollegin Susanne, um so peu à peu zu ihrem eigentlichen Anliegen vorzustoßen.

„Ständig unternimmt sie etwas mit ihrem Horst. Die beiden sind beneidenswert fit und agil“, meinte sie, „da kann sich mancher eine Scheibe abschneiden.“ Nach diesen Worten hielt sie inne. Ihr fragender Blick ließ mich Schlimmes befürchten.

Mit dem Scheibenabschneider war wohl ich gemeint. Während ich bisher nur beharrlich schwieg, merkte ich nun, dass ich um eine verbale Reaktion nicht herumkam. Nach einem tiefen Seufzer legte ich die Zeitung beiseite.

„Hab dir doch versprochen, dich zu deinem neununddreißigsten Geburtstag groß auszuführen. Schon vergessen?“

Sie zupfte an ihrer blau geblümten Kittelschürze.

„Der ist erst in drei Wochen, Harry. Aber gut. Wohin?“

„Natürlich in unser Stammlokal. Da schmeckt es uns doch.“

„Mal was Neues fällt dir wohl nicht ein?“, echauffierte sie sich. Ich muss sie daraufhin ziemlich grimmig angeschaut haben, denn sie blinzelte versöhnlich und lächelte listig.

„Entspann dich, Harry. Die Mühe haben wir dir abgenommen. Susanne hatte die tolle Idee. Echt ein heißer Tipp. Nun halte dich fest. - Wir feiern im Dark Restaurant.

Ich schluckte heftig, während sie fortfuhr:

„Um die Eintrittskarten zur Eröffnung sollen sich die Leute regelrecht gebalgt haben. Aber keine Angst. Susi hat für uns vier schon welche ergattert.“

Für uns vier! Und Susi! Für sie hätten wir glatt einen dritten Stuhl aufstellen können, symbolisch natürlich. Denn bei unseren Gesprächen war sie stets allgegenwärtig. Elviras Mitteilung bereitete mir eher Angst als Freude, und ich fragte:

„Ein dunkles Restaurant? Ganz finster?“

Elvira nickte und lächelte glückselig, als sei ihr eben die Jungfrau Maria erschienen.

„Welch ein haarsträubender Blödsinn“, wagte ich einzuwenden, „ich will doch sehen, was ich mir einverleibe. Das Auge isst mit.“

Mit dieser abfälligen Bemerkung war ich nun voll ins Fettnäpfchen getreten. Wie so oft, wenn man ihre Leidenschaften nicht teilte, reagierte sie ungestüm, ja ausfallend.

„Du bist eine alte Dumpfbacke ohne jeden Sinn für kreative Ideen.“

Unsere kontroversen Auffassungen über Kreativität brachte ich vorerst nicht zur Sprache. Selbst die ‚alte Dumpfbacke‘ würgte ich samt Marmeladenbrötchen still hinunter wie eine Kröte.

Meine Frau schickte bei gravierenden Kontroversen immer solch ein niederschmetterndes Pauschalurteil über meine Person voraus, ehe sie sich zu einer ausführlichen Begründung herabließ. Aber die hätte sie sich und mir auch ersparen können, weil mir der Vorbericht meiner Kollegin Debby in unserer Lokalpresse nicht entgangen war. Selbst die Eröffnung einer Dönerbude ist ja für unsere kleine Kreisstadt Nesselstedt im tiefsten Osten Deutschlands schon eine Sensation, auf die wir Redakteure uns mit Heißhunger stürzen.

Also wusste ich alles, eigentlich mehr als nötig. Ein leerstehender, verfallener einstiger Gasthof auf dem ortsnahen Schafsberg galt als großes Sorgenkind unseres rührigen Bürgermeisters Willi Wollkopf. Doch der Provinzler hatte hochfliegende Pläne. Irgendein ostfriesischer Investor hatte ihm und allen Bürgern der Region hoch und heilig versprochen, das Mini-Dornröschenschloss in einen wahren Touristenmagneten zu verwandeln und damit das ganze triste Nesselstedt aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken.

Bisher gebe es Dunkelrestaurants nur in ein paar Großstädten, meinte der Stadtchef. Aber das auf dem Schafsberg werde einmalig, - eine Attraktion, die über unsere Landesgrenzen hinaus Beachtung finden würde. Und der Ostfriese pflichtete ihm bei, zog gar noch einen Trumpf aus der Tasche. Die Geschäftsidee habe er sogar verfeinert. Ihm schwebe kein stinknormales Dunkelrestaurant vor. Nein, er sorge auch für die passende Unterhaltung der Gäste. Zugleich zeuge „DARK“ schon mal vom internationalen Flair.

Während der Stadtchef sofort und unbedenklich Blut geleckt hatte, war ich wesentlich skeptischer. Ich bezweifelte arg, dass sich jemals ein Engländer oder Amerikaner auf den Schafsberg, diesen 190 Meter hohen Hügel, verirrt. Überhaupt hatte ich wenig übrig für all den neumodischen, verzichtbaren Schwachsinn, der da über den Atlantik zu uns herüberschwappte.

Elvira schien mir meinen Missmut von der Stirn abzulesen. Sie spulte sich eines ihrer rostbraunen Löckchen um den Zeigefinger und versuchte mich aufzumuntern:

„Ist doch eine kreative Geschäftsidee. Findest du nicht? Wenn alles Visuelle ausgeschaltet ist, können unsere Geschmacksknospen wahre Wunderdinge vollbringen.“

„Bei mir ist es gerade umgekehrt“, erwiderte ich trocken. „Meine Augen versenden ziemlich zuverlässige Signale an meine Geschmacksknospen. Auch verstehe ich unter Kreativität etwas anderes. Schließlich wird die Erfindung des Sarges auch nicht als besonders kreativ gepriesen, weil sich’s im Dunkel besser schläft.“

Sie blickte säuerlich drein.

„Wie witzig! Wir werden ja sehen.“

„Wieso sehen?“, fragte ich zurück, ohne eine Antwort zu bekommen.

***

Die Zeit bis zu Elviras großem Tag verfloss langsamer als mir lieb war. Mitten in meiner Schreibarbeit ertappte ich mich zuweilen, dass mir plötzlich wilde Szenarien durch den Kopf schwirren:

Vergeblich taste ich im finsteren Raum nach meinem Besteck. Da ertönt die böse Stimme eines Brummbärs.

„Suchst du dein Messer, Kamerad? Sorry, das habe ich. Und ich weiß auch, wozu es bestimmt ist …“

Tatsächlich verspürte ich in diesem Moment einen kurzen, stechenden Schmerz unter meiner linken Brust. Selbst nachts schreckte ich oft auf, und mich quälten Fragen. – Wie gelangen wir an unseren Tisch oder bei Bedarf ans stille und hoffentlich beleuchtete Örtchen? Wie treffe ich mit dem Besteck das kulinarische Objekt der Begierde?

Nachts wurden meine Träume immer düsterer. Der Höhepunkt war ein Alptraum, den ich wohl nie vergessen werde:

Ich komme abends aus der Redaktion nach Hause. Elvira lehnt an der Tür zu unserer Besenkammer, schweigt gegen ihre Gewohnheit sekundenlang und tut geheimnisvoll. Dann platzt sie raus:

„Harry, Schatz, du wirst staunen.“

Ich spüre einen Kloß im Hals, bringe kein Wort heraus. Immer dann, wenn sie mich ins Staunen versetzen wollte, folgte stets aus meiner Sicht nichts Gutes. Das scheint auch jetzt so zu sein, denke ich und höre.

„Erst hast du rumgemuffelt und dich lustig gemacht. Und dann? Begeistert warst du nach unserm Besuch im Dark Restaurant.“

„Ich? Begeistert?“

„Na klar, tu nicht so scheinheilig. Drum hab ich mir gedacht, wir richten uns unser eigenes Dunkellokal ein.“

Mit einem Schwung öffnet sie die Besenkammertür, und ich starre ins Halbdunkel. Sie stößt mich unsanft hinein. Durch die halbgeöffnete Tür fällt gerade noch so viel Licht in den Raum, dass ich schemenhaft einen gedeckten Tisch erkennen kann. Ich taste nach einem der beiden Stühle.

„Setz dich. Es ist schon angerichtet. Dein Leibgericht. Spaghetti Bolognese.“

Ich sehe eben noch, wie meine Frau das Essen austeilt, sich ein Berg dieser Nudeln auf meinem Teller häuft, ein Berg, der größer und immer größer wird. Da knallt die Tür zu. Es ist stockfinster.

„Iss doch, Harry, iss!“

Vorsichtig taste ich nach der Gabel, versuche vergeblich, ein Bündel der klitschigen Fäden aufzuspulen, und fluche mörderisch.

 

Doch meine unsichtbare Frau weist mich zurecht.

„Nicht nervös werden, du Tollpatsch. Nimm die Finger! Sieht doch hier keiner.“

Mir bleibt nichts übrig, als mit allen fünf Fingern in den Nudelbrei zu fassen und mir das Zeug samt der schleimigen Soße in den Mund zu stopfen.

„Iss, iss! Lang zu!“

Das Zulangen ist offenbar wörtlich zu nehmen. Ich stopfe die schlüpfrigen Spaghetti in mich rein und habe dennoch das Gefühl, dass der Berg nicht kleiner wird. Im Gegenteil. Selbst neben dem Tellerrand ertaste ich Nudeln und spüre an den Fingern eine klebrige Soße. Angewidert und erschöpft vermelde ich, nudeldicke satt zu sein.

„Aber Harry!“, rügt mich Elviras energische Stimme, „wer fleißig arbeitet, muss auch fleißig essen. Bei uns wird aufgegessen. Basta!“

Entnervt will ich meine Hände auf die Ränder der Tischplatte stützen. Verdammt! Ich rutsche ab. Auch hier nur Nudeln, Nudeln, Nudeln. Der ganze Tisch scheint mit dem Zeug bedeckt zu sein. Ich spüre kalten Schweiß auf meiner Stirn. Das ist ja schlimmer als in Grimms Märchen, denke ich. Wie hieß das doch? Ach ja. Der süße Brei. Nein, nein, nur das nicht! Raus hier! Raus!

Als ich aufstehe, kommen meine Sohlen ins Rutschen. Ich verliere das Gleichgewicht, stürze zu Boden. Hier versinke ich in einer undefinierbaren, klebrigen Masse.

„Iss, iss! Bei uns wird aufgegessen!“, dröhnt erneut die gebieterische Stimme meiner Frau.

Auf Knien wate ich durch den ekligen Schmant, bekomme endlich die Türklinke zu fassen. Ich zerre vergeblich. Die Tür ist verschlossen.

Von Elviras schrillem Lachen schrecke ich auf aus dem Schlaf.

Am nächsten Morgen brachte ich zum Frühstück kaum einen Bissen runter. Meiner Frau verschwieg ich solche Alpträume und Ängste. Ansonsten hätte sie mich wohl wieder zur Dumpfbacke degradiert. Aber vor allem sollte ihr nichts die Vorfreude aufs Feiern im Finstern versalzen. Offen gestanden: Ein Theaterbesuch als Geburtstags-Highlight hätte mir mehr zugesagt. Aber es sollte nicht sein.

Kopfzerbrechen bereitete mir das obligate Extra-Präsent zum Ehrentag. Na ja. Was schenkt man einer Textilverkäuferin Sinnvolleres als einen Fummel? Nach einer Tour durch drei Textilläden entschied ich mich für ein rabenschwarzes Stretch-Kleid. Es passte zum Ambiente des auserwählten Lokals. Und die Verkäuferin versicherte mir, dass die Körpermaße der Dame keine Rolle spielen. Aufgrund seiner Elastizität passe sich das schmucke Kleid jeglicher Figur an.

Erst kurz vorm Großereignis teilte mir Elvira ganz nebenbei freudig mit:

„Übrigens wirst du zur Feier im Dark Restaurant endlich auch mal Susanne und ihren Horst Auge in Auge kennenlernen. Sie freuen sich schon irre, dich zu sehen.“

Mich nervt der Empfang von Informationen, die mir längst bekannt sind. Doch dazu sagte ich nichts, weil sie dann stets mit der Retourkutsche aufwartete, mir müsse man alles zweimal sagen, damit es auch ankommt.

„Mit dem Sehen meinst du wohl die kurze Begrüßung draußen?“, fragte ich also nur und zog die Mundwinkel breit.

„Du wiederholst dich“, konterte sie schnippisch, „dann freuen sie sich halt, dich zu hören.“

Es war am Samstag, einem Tag vor Elviras Feier, als ich in Benno Bitterlichs Chefzimmer eintrat, um mich in mein freies Restwochenende zu verabschieden. Nach kurzer Klärung von dienstlichem Kleinkram opferte er wie immer noch zwei, drei Minuten, um den vertraulich-persönlichen Kontakt zu seinen Mitarbeitern nicht einschlafen zu lassen.

„Na, Harry, große Pläne für den freien Sonntag?“

„Wir feiern“, antwortete ich wohlbedacht lakonisch, weil ich Bennos raffinierte Masche kannte, die Verbindung von Privatem und Dienstlichem als Erfüllung unseres Daseins zu preisen. Aber der Mann erwies sich als Fuchs.

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