Anatomie – Physiologie – Pathologie
Band 2
Das Herz–Kreislauf–System
Anatomie, Physiologie und Pathologie
Dr. med. André Lauber
Copyright© 2017 André Lauber / :Crash Course in Brain Surgery:
app.buch@yahoo.de
www.medizin-verstehen.ch
Alle Rechte vorbehalten
ISBN-10: 395246211X
ISBN-13: 978-3952462119
Inhaltsverzeichnis
TITLE PAGE
VORWORT
EINE KURZE «GEBRAUCHSANWEISUNG»
DAS HERZ-KREISLAUF-SYSTEM – ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE
DAS HERZ – EINE SAUG-DRUCKPUMPE
JEDER MENSCH BESITZT ZWEI HERZEN
Die Namen der Herz-Blutgefässe (Abb. 2)
DIE HERZKLAPPEN SORGEN FÜR EINEN GEREGELTEN BLUTFLUSS
Segelklappen
Taschenklappen
DIE HERZWAND – DREI SCHICHTEN
DAS HERZ BRAUCHT VIEL FRISCHES BLUT
DIE HERZAKTION – 2‘943‘360‘000
Die Hierarchie der Reizleitung
Die Refraktärzeit sichert die Herzaktion
WAS IST HERZSCHLAG?
Systole – Blut fliesst in die Arterien
Diastole – Füllung der Kammern
ANPASSUNG DER HERZTÄTIGKEIT IM ALLTAG
DAS KREISLAUFSYSTEM – DIE SCHLÄUCHE ZUR PUMPE
BLUTGEFÄSSE – DIE «ADERN» DES LEBENS
Bau der Blutgefässe – dreischichtig wie das Herz
Von den Arterien zu den Venen
Der pränatale Kreislauf – «atmen» unter Wasser
DIE PHYSIOLOGIE DER BLUTGEFÄSSE
Die Autoregulation (Selbststeuerung) der Arteriolen
Das vegetative Nervensystem
Das Hormonsystem
Die Kapillaren – Feinverteilung im Gewebe
Die Venen – Rücktransport zum Herz
WAS IST BLUTDRUCK?
DIE BLUTDRUCKREGULATION – TEMPO, MENGE, WIDERSTAND
Der Frank-Starling-Mechanismus
Sympathikus und Parasympathikus – gegenläufige Wirkung
Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
WARUM ES ZWEI BLUTDRUCKWERTE GIBT
Der obere Blutdruck – systolischer Blutdruck
Der untere Blutdruck – diastolischer Blutdruck
DAS NIEDERDRUCKSYSTEM – BLUT AUF ABRUF
DAS HERZ – PATHOLOGIE
DIE ATHEROSKLEROSE – BASIS DER KORONAREN HERZKRANKHEITEN
DIE ATHEROSKLEROSE – WER TRÄGT DAS RISIKO?
Nicht beeinflussbare Risiken – es ist, wie es ist
Beeinflussbare Risiken – da kann man was tun
ATHEROSKLEROSE BRAUCHT ZEIT
KORONARE HERZKRANKHEITEN – FOLGE DER ATHEROSKLEROSE
ANGINA PECTORIS – VORSTUFE DES HERZINFARKTS
Massnahmen bei einem Angina pectoris-Anfall
Die Therapie der stabilen Angina pectoris
Andere Formen der Angina pectoris
DER AKUTE MYOKARDINFARKT – ENDPUNKT DER KHK
DIE HERZINSUFFIZIENZ – WENN DAS HERZ SCHLAPP MACHT
DIE AKUTE HERZINSUFFIZIENZ
DIE CHRONISCHE HERZINSUFFIZIENZ
EINTEILUNG UND DIAGNOSE DER HERZINSUFFIZIENZ
DIE THERAPIE DER HERZINSUFFIZIENZ HÄNGT VOM STADIUM AB
KARDITIDEN – FATALE ENTZÜNDUNG DES HERZES
ENDOKARDITIS – ATTACKE AUF DIE KLAPPEN
Infektiöse Endokarditis
Das rheumatische Fieber – autoimmune Reaktion nach Halsinfektion
MYOKARDITIS – BRINGT DAS HERZ ZUM STOLPERN
PERIKARDITIS – TROCKEN ODER FEUCHT
HERZRHYTHMUSSTÖRUNGEN – PUMPE AUS DEM TAKT (DIE ÜBERSICHT)
BRADYKARDE RHYTHMUSSTÖRUNGEN – DAS HERZ SCHLÄGT ZU LANGSAM
TACHYKARDE RHYTHMUSSTÖRUNGEN – DAS HERZ SCHLÄGT ZU SCHNELL
EXTRASYSTOLEN – VORZEITIGER HERZSCHLAG
Supraventrikuläre Extrasystolen – Erregung im Vorhof
Ventrikuläre Extrasystolen – Erregung in der Kammer
KLAPPENFEHLER – STENOSE ODER INSUFFIZIENZ
KLAPPENSTENOSE – DIE TÜRE GEHT NICHT AUF
Die Aortenstenose – häufigster Klappendefekt ü 65
Die Mitralstenose – Folge des rheumatischen Fiebers
KLAPPENINSUFFIZIENZ – DIE TÜRE GEHT NICHT MEHR ZU
Die Aorteninsuffizienz – meist degenerativ
Die Mitralinsuffizienz – Überlastung des linken Herzes
ANGEBORENE HERZFEHLER (DIE ÜBERSICHT)
VITIEN MIT SHUNTVOLUMEN – BLUT WO ES NICHT HINGEHÖRT
VITIEN OHNE SHUNTVOLUMEN – DRUCK WO ER NICHT SEIN DARF
DER SPEZIALFALL – FALLOT-TETRALOGIE
DER KREISLAUF – PATHOLOGIE
HYPERTONIE – KATASTROPHAL FÜR ALLE ORGANE
HYPERTONIEFORMEN
SYMPTOME UND FOLGEN DER HYPERTONIE
HYPERTONIE – KORREKTES BLUTDRUCKMESSEN ENTSCHEIDEND
HYPOTONIE – NUR SELTEN EIN PROBLEM
AVK – ARTERIELLE VERSCHLUSSKRANKHEIT
CHRONISCHE AVK – BEIN IN GEFAHR
AKUTER ARTERIENVERSCHLUSS – EIN NOTFALL
AORTENANEURYSMA – ZEITBOMBE IN DER AORTA
VARIZEN UND VARIKOSE – PROBLEME DER VENEN
MEMO – AUF EINEN BLICK
INDEX
Vorwort
«Eine Wissenschaft, die nicht so einfach ist, dass man sie auf der Strasse jedem erklären könnte, ist nicht wahr.» (Max Planck)
Wenn Sie die folgenden Aussagen bejahen, kaufen Sie das Buch NICHT :
Mein Körper interessiert mich nicht.
Das Studium der Anatomie, Physiologie und Pathologie ist nicht so mein Ding.
Ich lerne am besten mit trostlosen, unverständlichen Handouts, die ich in den Vorlesungen bekomme.
Ich kann schon alles.
Lesen ist etwas für meine Oma.
Treffen die Aussagen nicht auf Sie zu? Dann lesen Sie weiter!
Alle Bücher und E-Books aus der Reihe «Anatomie – Physiologie – Pathologie» (APP) sind für Menschen geschrieben, die sich für einen paramedizinischen Beruf entschieden haben. Dazu gehören Pflegeberufe, Praxisassistenz, Medizinisch-Technische Radiologie (MTR), Biomedizinische Analytik (BMA), Rettungssanität, Podologie, Physiotherapie und und und…
Die Bücher sind verständlich geschrieben und decken die «Basics» der jeweiligen Themen ab. Somit sind sie ideal zum Lernen vor Prüfungen und als Ergänzung zum Unterrichtsmaterial.
Auch für naturwissenschaftlich interessierte Leserinnen und Leser hält die Buchreihe APP einige Aha-Erlebnisse bereit. Wer ist schliesslich nicht interessiert, wie sein Körper funktioniert?
Im Februar 2018 erscheint Band 3: Der Respirationstrakt
Eine kurze «Gebrauchsanweisung»
Die Bücher der Reihe «Anatomie – Physiologie – Pathologie» (APP) sind eine ideale Ergänzung zur paramedizinischen Ausbildung. Die Texte sind kurz und klar geschrieben: Es gibt keine Abschweifungen und keine irrelevanten Themen.
Der kompakte Inhalt eignet sich zur Vorbereitung von Vorlesungen sowie als Lernhilfe vor einer Prüfung. Um sich schnell zu orientieren, sind die meisten Überschriften als Aussagen formuliert. Man erkennt sofort den Kern des Themas. Fachbegriffe sind bei der ersten Nennung fett gedruckt – die Erklärung/Übersetzung steht in Klammern dahinter.
(Hinweis: Nicht jeder Fachbegriff wird im medizinischen Alltag korrekt benutzt!)
MEMO Hier stehen wichtige und «merkwürdige» Fakten. Alle «MEMO» finden Sie gebündelt nochmal am Schluss des Buches.
Exkurs Hier werden Begriffe aus dem Text erklärt und wird «Anekdotisches» parkiert. Einen Exkurs müssen Sie nicht lesen, wenn Ihnen der Begriff vertraut ist.
Die Abbildungen (ausser diejenigen vom Autor) stammen aus dem Internet und sind als «gemeinfrei» (Creative Commons: www.creativecommons.ch) deklariert.
Wenn Sie Wünsche haben oder einen Fehler entdecken, dann schreiben Sie dem Autor eine Mail: app.buch@yahoo.de.
(Damit der Text flüssig zu lesen ist, verzichtet er auf männliche/weibliche Doppelnennung. Das andere Geschlecht ist – wo passend – selbstverständlich auch gemeint.)
Das Herz-Kreislauf-System – Anatomie und Physiologie
Das Herz bildet das Zentrum des Herz-Kreislauf-Systems. Es pumpt «frisches» arterielles Blut von den Lungen zu den Körperzellen und saugt das «verbrauchte» venöse Blut zurück, damit es wiederum von den Lungen aufgefrischt wird. Auf das Herz-Kreislauf-System sind alle Körperzellen angewiesen. Jede Störung des Systems verursacht Probleme im täglichen «Betrieb» der Körperzellen.
Das gesamte Herz-Kreislauf-System erfüllt genau eine Aufgabe – Bluttransport. Es transportiert zum Beispiel Sauerstoff (O2), Kohlendioxid (CO2), Nähr- und Abfallstoffe, Hormone, Abwehrzellen sowie Wärme.
Das Herz – eine Saug-Druckpumpe
Das Herz liegt zwischen den Lungen im Thorax (Brustkorb) hinter dem Sternum (Brustbein) und ist leicht nach links verschoben (⅓ rechts, ⅔ links der Körpermitte). Den Raum zwischen den Lungen nennt man Mediastinum («in der Mitte stehen»). Das Mediastinum beherbergt nicht nur das Herz, sondern auch den Oesophagus (Speiseröhre), die Trachea (Luftröhre) sowie die grossen Blutgefässe.
Die Begrenzungen des Herzes (Abb. 1):
Unten ist das Herz über den Herzbeutel am Zwerchfell angewachsen. Atmet man ein, zieht das Zwerchfell das Herz mit nach unten (bauchwärts). Das erzeugt einen Sog, dank dem das venöse Blut vom Körper ins Herz strömt.
Vorne schützen Sternum und Rippen das Herz.
Hinten füllen Aorta (Hauptschlagader), Trachea und Ösophagus den Raum zwischen Herz und Wirbelsäule.
Seitlich grenzen die Lungen an das Herz.
Die Herzachse, die von den grossen Gefässen der Herzbasis zur Herzspitze (Apex) reicht, verläuft von rechts oben nach links unten. Das Herz schlägt demnach schräg im Thorax. Die Herzbasis findet sich weiter hinten (dorsal) im Thorax als die Herzspitze. Während des Atmens verschiebt sich die Herzachse laufend: Beim Einatmen zieht das Zwerchfell das Herz in die Länge, was die Herzachse in eine steilere Position bringt. Atmet man aus, drückt das Zwerchfell das Herz wieder nach oben.
Abb. 1 Herzlage im Thorax [Mikael Häggström; bearbeitet von Dr. med. André Lauber]
MEMO Herzlage Die Herzachse und damit die Position des Herzes verläuft von hinten-rechts-oben nach unten-links-vorne.
Das Herz ist eine Spur grösser als die Faust seines Besitzers und wiegt bei Erwachsenen zwischen 250 und 350 g. Das entspricht etwa 0.5 % des Körpergewichts. Das Herzgewicht eines gesunden Menschen hängt vom Trainingszustand ab: Bei Ausdauersportlern steigt das Herzgewicht bis 500 g.
Jeder Mensch besitzt zwei Herzen
Das Herz ist ein Hohlmuskel, der komplett in eine rechte und eine linke Hälfte geteilt ist. Das linke Herz arbeitet mit einer kräftigen (Kammer-)Muskulatur, das rechte mit einer eher schwachen. Das liegt an den Druckverhältnissen in den beiden Herzen: Das linke Herz erzeugt beim Pumpen einen mittleren Druck von 100 mmHg, das rechte nur einen Druck von etwa 20 mmHg.
Exkurs Druckeinheit mmHg (sprich: Millimeter Quecksilbersäule) ist eine alte Druckeinheit, die in der Medizin immer noch in Gebrauch ist. 1 mmHg entspricht dem statischen Druck, erzeugt von einer normierten Quecksilbersäule von 1 mm Höhe. 1 mmHg = 133,322 Pa (Pascal)
Das Septum interventriculare (Scheidewand) teilt das linke und rechte Herz komplett. In jeder Herzhälfte findet man (Abb. 2):
Atrium (Vorhof)
Ventrikel (Kammer)
2 Klappen
Blutgefässe, durch die Blut ins Herz rein und raus fliesst
Das Blut strömt in den Venen in das Atrium, durch eine Segelklappe in den Ventrikel und durch eine Taschenklappe in eine Arterie. Diese Reihenfolge gilt sowohl im rechten als auch im linken Herz. Der Unterschied besteht in der Blutqualität: Durch das rechte Herz fliesst venöses Blut – durch das linke Herz arterielles.
Man könnte erwarten, dass die Venen (Zufluss) oben am Herz liegen und die Arterien (Abfluss) unten. Das ist nicht so: Alle Blutgefässe mit Ausnahme der Vena cava inferior (untere Hohlvene) liegen nebeneinander an der Herzbasis; also oben. Die Blutgefässe finden ihre finale Position in der frühen Embryonalphase, in der sich ein Gefässschlauch zu einem Herz dreht und faltet.
Abb. 2 Längsschnitt durch das Herz. Ansicht von ventral [OpenStax College; bearbeitet von Dr. med. André Lauber]
MEMO Bezeichnung der Blutgefässe Die anatomische Bezeichnung Arterie benennt ein Blutgefäss, das Blut vom Herz wegführt. Dabei ist es egal, ob darin arterielles oder venöses Blut fliesst! Vergleichbares gilt für die Venen: Jedes Gefäss, das Blut zum Herz hinführt, nennt man eine Vene. Auch hier spielt die Qualität des Blutes keine Rolle!
Die Namen der Herz-Blutgefässe (Abb. 2)
Die Arteria pulmonalis führt venöses Blut vom rechten Herz in die Lungen. Der Abgang aus dem rechten Ventrikel (Truncus pulmonalis) verzweigt sich in eine rechte und eine linke Arteria pulmonalis.
Jede Vena pulmonalis befördert arterielles Blut von den Lungen in das linke Herz. Zwei Venae pulmonales münden von der rechten Lunge und zwei von der linken Lunge in das linke Atrium.
Die Aorta transportiert arterielles Blut vom linken Herz zu den Körperzellen.
Jede Vena cava führt venöses Blut von den Körperzellen ins rechte Herz. Es gibt eine Vena cava superior (venöser Abfluss oberhalb des Herzes) und inferior (venöser Abfluss unterhalb des Herzes).
Exkurs Fachbegriffe Blutgefässe Der Fachbegriff für Arterie lautet Arteria (Einzahl) oder Arteriae (Mehrzahl). Die übliche Abkürzung für Arteria ist A. und für Arteriae Aa. Die Venen heissen Vena (Einzahl) oder Venae (Mehrzahl). Die Abkürzungen sind V. beziehungsweise Vv.
Die Herzklappen sorgen für einen geregelten Blutfluss
In beiden Herzhälften findet man jeweils zwei Klappen: eine Segelklappe zwischen Atrium und Ventrikel sowie eine Taschenklappe zwischen Ventrikel und wegführendem Blutgefäss. Sie dienen dem geregelten Blutfluss durch das Herz. (Siehe Kapitel «Was ist Herzschlag?»)
Alle vier Klappen entstehen aus der inneren Schicht des Herzes (Endokard). Sie liegen auf einer Ebene, der Klappenebene (Abb. 3). Die Klappenebene liegt dicht bei der Herzbasis etwa rechtwinklig zur Herzachse. Die Herzklappen sind an Ringen aus straffem, kollagenem Bindegewebe befestigt (Anulus fibrosus). In ihrer Gesamtheit nennt man die Ringe «Herzskelett».
Abb. 3 Schnitt durch die Klappenebene (Ansicht von oben) [OpenStax College; bearbeitet von Dr. med. André Lauber]
Segelklappen
Die Segelklappen trennen das Atrium vom Ventrikel. Die rechte Segelklappe heisst Trikuspidalklappe und die linke Mitralklappe (Synonym: Bikuspidalklappe). Die Trikuspidalklappe setzt sich aus drei Segel (Cuspis = Segel, Tri = drei) zusammen und die Mitralklappe (Mitra = Haube) beziehungsweise Bikuspidalklappe aus deren zwei (Bi = zwei).
Die Segelklappen hängen über Sehnenfäden an den Papillarmuskeln (Musculus papillaris) der Herzkammern. Die Papillarmuskeln verhindern, dass die Klappen beim Blutauswurf aus der Kammer durch den Druck in die Vorhöfe zurückschlagen. Die Papillarmuskeln öffnen somit die Klappen nicht, sondern halten sie geschlossen!
Fliesst Blut vom Atrium in den Ventrikel, öffnen sich die Klappen automatisch wie eine Notfalltür im Kino, wenn Leute dagegendrücken (Siehe auch Abb. 41). Das heisst, die Klappen verbrauchen keine Energie. Ist das Blut im Ventrikel, schliessen die Segelklappen dank des Drucks, den die Kammermuskulatur aufbaut. (Siehe Kapitel «Was ist Herzschlag?»)
Taschenklappen
Die dreiteiligen Taschenklappen sind zwischen Ventrikel und abgehendem Blutgefäss eingebaut. Sie heissen wie das Gefäss: Das Blut fliesst von der rechten Kammer durch die Pulmonalklappe in den Truncus pulmonalis (Anfangsteil der Lungenarterien). Links strömt das Blut von der Kammer durch die Aortenklappe in die Aorta.
Jede Taschenklappe ist aus drei Taschen zusammengebaut. Auch die Taschenklappen öffnen sich passiv, wenn der Druck in der Kammer höher ist als im nachfolgenden Blutgefäss. Kehren sich die Druckverhältnisse um, schliessen sich die Klappen. (Siehe Kapitel «Was ist Herzschlag?»)
MEMO Namen der Herzklappen Trikuspidalklappe – Segelklappe zwischen rechtem Atrium und Ventrikel. Mitralklappe (Bikuspidalklappe) – Segelklappe zwischen linkem Atrium und Ventrikel. Pulmonalklappe – Taschenklappe zwischen rechtem Ventrikel und dem Truncus pulmonalis. Aortenklappe – Taschenklappe zwischen linkem Ventrikel und Aorta.
Die Herzwand – drei Schichten
Die Herzwand setzt sich aus drei Gewebeschichten zusammen.
Von innen nach aussen (Abb. 4):
EndokardDas Endokard (endo = innen) ist die innere Auskleidung von Atrium und Ventrikel. Es besteht aus einem einschichtigen Epithel (Endothel), das sich in die Blutgefässe fortsetzt. Alle Herzklappen entstehen aus dem Endokard.
MyokardDas Myokard (myo = Muskel) ist eine Schicht aus spezialisierten Muskelzellen, die sich rhythmisch kontrahieren (zusammenziehen). Die Steuerung der Kontraktion übernimmt ein exklusives Reizleitungssystem, das in der Embryonalphase aus Muskelzellen entsteht. (Siehe Kapitel «Die Hierarchie der Reizleitung»)
Epikard und Perikard (= Herzbeutel)Der Herzbeutel setzt sich aus zwei Schichten zusammen. Die innere Schicht (Epikard) ist mit dem Myokard verwachsen; sie enthält viel Fettgewebe. Im Fett verlaufen Blutgefässe sowie Nervenleitungen.Die äussere Schicht (Perikard) ist mit dem Mediastinum und dem Zwerchfell verwachsen. Epikard (epi = darauf) und Perikard (Peri = darum herum) kleben dank eines Flüssigkeitsfilms aneinander – darum sind sie gegeneinander längs verschiebbar. Das Herz kann sich dank dieser Konstruktion unabhängig vom Ein- und Ausatmen bewegen.
Exkurs Herzbeutel Die Begriffe zum Thema «Herzbeutel» werden in der Fachliteratur uneinheitlich verwendet. Die einen rechnen das Epikard dem Herzen zu und bezeichnen nur das Perikard als Herzbeutel – die anderen fassen Epikard und Perikard zum Begriff «Herzbeutel» zusammen.
Abb. 4 Die Herzwandschichten [Blausen.com staff. "Blausen gallery 2014". Wikiversity Journal of Medicine. DOI:10.15347/wjm/2014.010. ISSN 20018762; bearbeitet von Dr. med. André Lauber]
Das Herz braucht viel frisches Blut
Zwei Arterien versorgen das Herz mit Blut: die A. coronaria dextra (rechte Koronararterie) und die A. coronaria sinistra (linke Koronararterie). Das Wort «Coronaria» kommt von Corona, was Kranz oder Krone bedeutet. Der Name beschreibt den Verlauf der beiden Arterien auf der Grenze zwischen Vorhof und Kammer.
Von der A. coronaria sinistra zweigt eine Arterie, der Ramus interventricularis anterior (RIVA), in Richtung Herzspitze ab (Ramus = Ast, interventricularis = zwischen den Kammern). Die A. coronaria sinistra läuft danach als Ramus circumflexus (circumflexus = umbiegen) auf die Rückseite des Herzes.
Die A. coronaria dextra mündet auf der Herzrückseite in den Ramus interventricularis posterior. Beide Koronararterien entspringen der Aorta knapp oberhalb der Aortenklappe. Die linke Koronararterie versorgt die linke Herzhälfte, die rechte Koronararterie die rechte Herzhälfte (Abb. 5).
Koronararterien sind Endarterien, das heisst, sie enden «blind» im Gewebe. Sie besitzen keine Anastomosen (Querverbindungen). Wenn eine Koronararterie verstopft, leidet das Myokard unter Sauerstoffmangel. Als Folge entsteht eine Angina pectoris oder ein Herzinfarkt. (Siehe Kapitel «Koronare Herzkrankheiten – Folge der Atherosklerose»)
Abb. 5 arterielle Versorgung des Herzes (Ansicht von ventral) [Patrick J. Lynch; bearbeitet von Dr. med. André Lauber]
Das Myokard des linken Ventrikels wird ausschliesslich in der Erschlaffungsphase (Diastole) des Herzes mit Blut versorgt. Das bedeutet, je höher der Puls, desto kürzer die Diastole und desto dürftiger die Versorgung mit arteriellem Blut!
Der grösste Teil des venösen Blutes fliesst im Sinus coronarius (Sinus = Krümmung) direkt in den rechten Vorhof. Drei Venen speisen den Sinus coronarius (Abb. 6):
1. V. cardiaca magna (magna = gross)
2. V. cardiaca media (media = mittel)
3. V. cardiaca parva (parva = klein)
Abb. 6 venöser Abfluss des Herzes (Ansicht von dorsal) [OpenStax College; bearbeitet von Dr. med. André Lauber]
Die Herzaktion – 2‘943‘360‘000
Das Herz ist ein Muskel, der lebenslang ohne Pause arbeitet. Bei einem durchschnittlichen Puls von 70 Schlägen pro Minute kontrahiert sich die Herzmuskulatur etwa drei Milliarden Mal im Leben.
Das Herz funktioniert dank eines integrierten Reizleitungssystems autonom (selbstständig). Zusätzlich wird das Herz von aussen beeinflusst: Das autonome Nervensystem (Sympathikus und Parasympathikus) sowie Hormone wie das Adrenalin passen Puls und Schlagkraft des Herzes dem aktuellen Bedarf des Körpers an.
Das Reizleitungssystem besteht aus speziellen Muskelzellen, die in einer eigenen Frequenz ein Signal an die Myokardzellen senden. Das Reizleitungssystem entsteht um die vierte Schwangerschaftswoche aus Muskelzellen, die spontan mit rhythmischen Kontraktionen beginnen.
Die Hierarchie der Reizleitung
Der «Chef» des Reizleitungssystems ist der Sinusknoten. Man nennt ihn auch den ersten Herzschrittmacher. Der Sinusknoten (Grösse etwa 3 x 10 mm) sitzt in der Wand des rechten Atriums (Abb. 7). Er generiert Signale (= Aktionspotenziale) mit einer Frequenz von 60 bis 80 pro Minute, was dem Ruhepuls eines Menschen entspricht.
Das Aktionspotenzial verbreitet sich vom Sinusknoten über die Vorhofmuskulatur und wird vom zweiten Herzschrittmacher, dem AV-Knoten (Atrio-Ventrikularknoten) übernommen. Er liegt leicht nach rechts verschoben zwischen den Vorhöfen und den Kammern in der Nähe der Klappenebene. Der AV-Knoten gibt seinerseits Signale ab – allerdings in einer niedrigeren Frequenz als der Sinusknoten. Die Signalfrequenz des AV-Knotens beträgt 40 bis 50 pro Minute. Er übernimmt die Funktion des Sinusknotens, wenn der ausfällt. Da die Klappenebene als bindegewebiger Isolator wirkt, kommt kein Signal am AV-Knoten vorbei. Der AV-Knoten leitet das Aktionspotenzial des Sinusknotens mit einer Verzögerung von etwa 100 ms (Millisekunden) zu den Ventrikeln.
Der Weg vom AV-Knoten in die Herzkammern führt über das His-Bündel. Es bringt das Signal durch die Klappenebene direkt in das Septum interventriculare. Das His-Bündel zweigt in die beiden Kammerschenkel (Tawara-Schenkel) ab, die in Richtung Herzspitze ziehen. His-Bündel und Kammerschenkel besitzen ebenfalls einen eigenen Rhythmus: Er liegt bei einer Frequenz zwischen 30 und 40 pro Minute. Man nennt diese Frequenz den Kammerrhythmus (dritter Herzschrittmacher).
Von den Kammerschenkeln aus verbreiten sich die Aktionspotenziale über die Purkinje-Fasern in der Muskulatur der linken und rechten Kammer. Die Zeit, die ein Aktionspotenzial vom Sinusknoten bis zur letzten Kammermuskelzelle braucht, beträgt etwa 200 ms.
MEMO Reihenfolge der Reizleitung (Abb. 7) 1. Der Sinusknoten im rechten Atrium erzeugt Aktionspotenziale 2. Der AV-Knoten zwischen Atrium und Ventrikel «fängt» die Aktionspotenziale ein 3. Das His-Bündel im Septum interventriculare schleust die Aktionspotenziale vom Atrium in die Ventrikel 4. Die Kammerschenkel bringen die Aktionspotenziale zur Herzspitze 5. Die Purkinje-Fasern verteilen die Aktionspotenziale in der Ventrikelmuskulatur
Abb. 7 Die Reizleitung in der Übersicht [Roland Sommer]
Exkurs Wilhelm His jun. (1863–1934) Die medizinische Fachsprache ist durchsetzt von Eigennamen wie His-Bündel oder Purkinje-Fasern. Anatomische Strukturen und Krankheiten werden oft nach ihren Entdeckern benannt (früher mehr als heute). Die Geschichten hinter den Namen sind äusserst spannend und unterhaltsam. Zum Beispiel beschrieb Wilhelm His jun. (Abb. 8) im Jahr 1893 als erster «…ein Muskelbündel, welches Vorhof- und Kammerscheidewand untereinander verbindet, und welches bisher der Beobachtung dadurch sich entzogen hat, dass es, bei geringem Umfang, nur dann in ganzer Ausdehnung sichtbar wird, wenn die Scheidewände genau der Länge nach getroffen sind.» Es dauerte noch Jahre, bis Wilhelm His jun. zur Erkenntnis gelangte, dass besagtes Muskelbündel etwas mit dem Herzrhythmus zu tun hat. Die tatsächliche Funktion des His-Bündels wurde erst später durch die Arbeiten des Japaners Sunao Tawara und des Tschechen Jan Evangelista Purkinje bestätigt. (Quelle: Mudry, A. Wilhelm His junior (1863–1934) et le faisceau atrioventriculaire. medicalforum.ch.)
Abb. 8 Wilhelm His jun. [Nicola Perscheid]
Die Refraktärzeit sichert die Herzaktion
Die Zeit eines Aktionspotenzials zwischen Depolarisation und Repolarisation dauert in der Herzmuskulatur länger als zum Beispiel in der Skelettmuskulatur – das liegt an der Refraktärzeit (refraktär = unempfindlich) (Abb. 9). Nachdem das Membranpotenzial einer Herzmuskelzelle auf etwa +30 mV gestiegen ist, währt es um die 250 ms. Danach findet die Muskelzelle zurück in das Ruhepotenzial (ca. -85 mV). Während der 250 ms (entspricht der Refraktärzeit) lässt sich die Herzmuskelzelle nicht zu einer erneuten Kontraktion motivieren. Die Refraktärzeit garantiert, dass die Herzmuskulatur nicht in eine Dauerkontraktion (Tetanie) gerät.
(Mehr zum Thema «Aktionspotenzial» Siehe APP Band 1)
Abb. 9 Aktionspotenzial und Refraktärzeit der Herzmuskulatur [OpenStax College; bearbeitet von Dr. med. André Lauber]
Der kostenlose Auszug ist beendet.