Raumkrieger im Wurmloch: 6 Science Fiction Abenteuer auf 1660 Seiten

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"Ich spreche von der Übernahme der Technologie, die wir durch die Titans und die Hinterlassenschaften der Alienwandler kennenlernten. Die Raumfahrt des weit in die Galaxis reichenden Imperiums der Kelradan basiert ebenfalls auf den Hinterlassenschaften der Alienwandler, von denen wir inzwischen wissen, dass es sich um amöbenhafte Gestaltwandler handelt, die sich selbst Nugrou nennen und einst ein gewaltiges intergalakisches Imperium besiedelten. Die Nugrou-Raumerflotte Terras fliegt mit Sternensog oder Transitionstriebwerken, wobei die Frage eher philosophischer Natur ist, ob nicht der Antrieb durch den "X-Space"-Effekt eine primitive Vorstufe der von den Titans und Alienwandler übernommenen Transitionstriebwerke handelt. Ich bin da, wie ich schon anfangs äußerte, eher skeptisch und denke, dass man beides nicht einen Topf werfen sollte."

Kurt Farmoon saß wie erstarrt da.

Er hörte mit glühenden Ohren Chris Barringtons Worten zu.

Selbst die dunkelhaarige Assistentin des Hochenergietechnik-Professors war in diesem Moment nicht mehr von Bedeutung.

Kurt konnte gar nicht genau sagen, was diese Faszination eigentlich ausgelöst hatte. Sicher war Chris Barrington eine beeindruckende Persönlichkeit, aber andererseits referierte er über die Dinge, die man letztlich auch in jeder Datenbank nachlesen konnte.

Bis auf eine Kleinigkeit.

Die Sache mit dem "X-Space"-Effekt...

Ich bin skeptisch, hatte Kurt die Worte Barringtons im Ohr. Barrington neigt offenbar eher der These zu, dass es sich bei dem "X-Space"-Effekt-Triebwerken um eine völlig eigene Antriebsgattung handelte, die mit dem Transitionseffekt vielleicht eng verwandt, aber keineswegs identisch ist!, ging es ihm durch den Kopf. Was wäre gewesen, wenn man diesen Weg in der Raumtechnik weiter verfolgt und zu einem befriedigenderen Abschluß gebracht hätte?

Eine Idee, die Kurt Farmoon faszinierte.

Natürlich lag es auf der Hand, dass die alten Triebwerke, die auf dem "X-Space"-Effekt beruhten, in dem Augenblick keine Chance mehr hatten, in dem etwas Besseres, Ungefährlicheres zur Verfügung stand. Eine Technologie, nach der man nur zu greifen brauchte und die man schon benutzen konnte, noch ehe man sie auch nur annähernd verstanden hatte. Bei vielen Hinterlassenschaften der Nugrou-Technik war das bis heute der Fall. Ein Raumschiff wie die NOVA GALACTICA barg noch immer ungelöste Geheimnisse und auf so manchem Kolonialplaneten waren rätselhafte Hinterlassenschaften der Alienwandler gefunden worden, deren Funktionsweise sich den Menschen bis heute nicht vollständig erschlossen hatte.

Barrington referierte weiter über die Möglichkeiten der modernen, Tirifotium-basierten Raumtechnik im Vergleich zu den noch sehr eingeschränkten Möglichkeiten, die man seinerzeit an Bord der GALAXIS gehabt hatte. Als er kurz schilderte, welche technischen Umstände zum ungewollten Raumsprung der GALAXIS zum Loc 7112-System und der anschließenden Notlandung auf dem fünften, "Epoh" genannten, Planeten geführt hatten, bekam die Stimme des schwergewichtigen Mannes einen fast wehmütigen Tonfall. Etwas, was man bei einem Menschen, der sich überwiegend mit nüchternen Fakten und glasklaren technischen Daten befasste, kaum erwartete. Als verwunderlich sah Kurt das allerdings auch nicht an. Schließlich war Barrington ja selbst einer der ersten Siedler von Epoh gewesen.

"Aber zurück in die Gegenwart! Die Gegenwart von Sternensog und Tirifotium - zumindest in der Raumtechnik!", wies Barrington sich selbst zurecht. "Die alten Zeiten sind vorüber und das ist auch gut so. Denken wir nur an die Schrecken der Titans-Invasion. Niemand von uns, der auch nur einigermaßen klar bei Verstand ist, möchte so etwas noch einmal durchmachen."

Kurt Farmoon vernahm neben sich eine flüsternde Stimme.

Wladimir Krylenko sprach zu ihm.

Er konnte sich offenbar eines Kommentars zu Barringtons Ausführungen einfach nicht enthalten.

"Die alten Zeiten hatten auch ihr Gutes", meinte er.

Kurt sah ihn fragend an, hob die Augenbrauen dabei.

"Pssst!"

"Ist doch wahr!", verteidigte sich Wladimir. "Die konnten damals noch als erste hinaus in die Milchstraße geschleudert werden und damit zur Legende werden...."

"Beruhige dich, Wladimir. Das Universum ist groß genug!", mischte sich Nick Gonglor ein.

"Haltet die Klappe!", sagte Kurt etwas gereizt.

Nichts gegen Albereien unter Kameraden, aber im Moment interessierten ihn die Ausführungen Chris Barringtons einfach mehr, so dass er für nichts anderes ein Ohr hatte.

Die Mescaleros waren still.

Das Problem war nur, dass Kurt um einige Dezibel zu laut gesprochen hatte.

Ein Teil des Publikums drehte sich in seine Richtung.

Auch der Blick des Redners glitt suchend über das Publikum und blieb schließlich bei Kurt Farmoon stehen.

Barrington fixierte Kurt regelrecht.

Verdammt, was verrät mich?, durchzuckte es ihn siedend heiß. Mein roter Kopf vielleicht?

Jimmys Bellen löste die Situation auf.

Ein kurz aufbrandendes Gelächter war die Folge.

Unbeirrt und mit einem nachsichtigen Lächeln um die Mundwinkel setzte Chris Barrington seine Ausführungen fort.

Barrington schilderte eindrucksvoll, wie sich die Menschheit nach und nach die Alienwandler-Technik erobert und sie teilweise auch bereits weiterentwickelt hatte. Schließlich schloss er mit den Worten: "Es ist beruhigend zu wissen, dass wir doch mehr sind, als eine Spezies von Papageien, denen man vielleicht beibringen kann, wie man über ein Communicator Phone kommuniziert oder die Spracheingabe eines Kristallsensors füttert, die aber niemals in der Lage sein werden, die zugrunde liegende Technik zu verstehen, geschweige denn weiter zu entwickeln. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit."

Beifall brandete auf. Das Auditorium war begeistert.

Kurt saß vollkommen regungslos da.

Der Blick war nach innen gerichtet.

Gedanken schwirrten ihm im Kopf herum. Und die Gedanken hatten alle mit dem "X-Space"-Effekt zu tun. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, diesen Zweig der Triebwerkstechnologie so sträflich zu vernachlässigen. Seit Jahren hat sich niemand mehr mit diesem Effekt und seinen Grundlagen beschäftigt, dachte Kurt. Aber wen wundert das? Das ist eben die Gefahr, die in dem technologischen Geschenk liegt, als die man die Hinterlassenschaften der Alienwandler bezeichnen könnte.

Manchmal war es einfach so, dass ein bestimmtes Ereignis die Aufmerksamkeit von Forschung und Wissenschaft in eine ganz bestimmte Richtung lenkte. Ein Krieg, eine Katastrophe, eine Entdeckung oder der Kontakt mit der Technik einer fremden, technologisch weit überlegenen Spezies. Die Wirkung war dieselbe.

Aber manchmal, so glaubte Kurt Farmoon, konnte es sich lohnen, genau zu überprüfen, ob diese niemals zu Ende gegangenen Wege wirklich Sackgassen gewesen wären—oder vielleicht eine bessere Alternative.

Chris Barrington verließ das Rednerpult, nachdem er sich durch eine angedeutete Verbeugung artig für den Beifall bedankt hatte.

Er setzte sich auf seinen Platz. Jimmy wandte ihm den Kopf zu. Was der Robothund zu sagen hatte, ging im Applaus unter. Professor Ravanelli ging noch einmal ans Pult. Der gegenwärtige Dekan der Garde-Universität räusperte sich, es wurde wieder ruhig. "Ich möchte noch darauf hinweisen, dass im Anschluss an diese Veranstaltung im Foyer ein Empfang zu Ehren unseres Gastes stattfinden wird", erklärte er. "Sie sind natürlich herzlich dazu eingeladen."

"Auf so etwas kann ich verzichten", meinte Wladimir Krylenko. "Auf synthetischen Kaviar habe ich wirklich keinen Bock!"

"Ich schon", sagte Kurt entschieden.

Wladimir runzelte die Stirn.

"Hey, was ist eigentlich mit dir los?"

"Nichts."

"Stress wegen der Dunkelhaarigen?"

"Welcher Dunkelhaarigen?"

Wladimir runzelte die Stirn. "Mir scheint, du bist wohl ziemlich durch den Wind, was?"

"Quatsch!"

"Hör zu, ich..."

Kurt unterbrach Wladimir ziemlich abrupt. "Weißt du was? Tu mir einfach einen Gefallen und gehe mir heute nicht auf die Nerven, Wlad!"

Wladimir Krylenko hob beschwichtigend die Hände. "Ist ja schon gut, Kurt!"

*


Bei dem Empfang für Chris Barrington herrschte großes Gedränge. Die Bedienungsroboter waren um ihren Job nicht zu beneiden. Mit traumwandlerischer Sicherheit balancierten sie die Tabletts mit den Sektgläsern zwischen den dicht gedrängten Menschentrauben hindurch.

Stimmengewirr und ausgelassene Gespräche erfüllten den Raum.

Vom optischen Bild her überwogen eindeutig die Uniform-Kombinationen der Raumgarde. Vom Rekruten bis zum Kommandeur fand sich hier alles. Das wissenschaftliche Personal der Garde-Universität war natürlich ebenfalls reich vertreten.

Kurt ließ suchend den Blick schweifen.

Er hoffte Chris Barrington irgendwo zu finden. Vielleicht ergab sich ja sogar eine Gelegenheit, ihn anzusprechen und noch etwas eingehender nach seinen Ansichten in Bezug auf die verpassten Chancen einer effektiven Nutzung des X-Space-Effekts zu befragen.

Ein dunkler Haarschopf tauchte im Gedränge plötzlich vor ihm auf. Etwas Sekt spritzte aus einem Glas.

Ein paar Tropfen davon spürte Kurt an der Wange.

Zwei dunkelbraune Augen sahen ihn an. Kurt musste unwillkürlich schlucken.

"Jetzt sagen Sie bloß, dass es Zufall ist, dass Sie mich angerempelt haben!", stieß die junge Frau in gespieltem Zorn hervor.

 

"Teresita", flüsterte Kurt. "Tut mir leid, ich wollte Sie nicht bekleckern!"

Die junge Frau seufzte hörbar.

"Sie sollten wirklich noch ein bisschen an Ihren Methoden feilen, Frauen anzusprechen."

"Ich übe ständig", erwiderte Kurt.

"Das glaube ich gerne!"

"Allerdings ist es wirklich Zufall, dass wir hier aufeinander treffen."

"Sicher!"

"Ehrlich!"

"Ach, Kurt..."

Kurt ließ erneut den Blick schweifen.

Teresita strich sich eine verirrte Haarsträhne von der Wange und trank ihr Glas aus. "Scheint fast so, als wäre es tatsächlich Zufall, dass wir uns hier getroffen haben. Sie scheinen jemand ganz anderen zu suchen..."

Kurt sah sie an. "Ja... ich meine natürlich nein!"

"Ich hoffe, Sie können sich da irgendwann mal entscheiden!"

"Ich suche Chris Barrington."

"An Ihrer Stelle hätte ich mir eine weniger peinliche Ausrede einfallen lassen, Kurt!"

"So war das nicht gemeint!"

"Ich wette, die Person namens Chris, die Sie suchen, heißt eigentlich Christine, ist bartlos und und bringt höchstens ein Drittel von Barringtons Gewicht auf die Waage!"

"Nein, das ist Unsinn!"

Sie hob die Augenbrauen. "Schade, ich dachte, wir hätten vielleicht Gelegenheit, uns ein bisschen zu unterhalten. Aber wenn Sie schon anderweitig engagiert sind..."

"Das ist nicht der Fall, Teresita!"

"Ich nehme an, wir sehen uns irgendwann mal wieder." In ihren Augen blitzte es angriffslustig. "Zufällig natürlich." Mit diesen Worten war sie auch schon zwischen den Gästen verschwunden.

"Teresita!", rief Kurt und wusste gleich, dass es vergeblich war. Einige Gardisten drehten sich nach ihm um. Die zierliche Dunkelhaarige wurde von den breitschultrigen Gardisten verdeckt. Für einen Moment sah er ihren Kopf zwischen zwei Gardisten-Schultern auftauchen, dann war sie gänzlich verschwunden.

"Na klasse!", knurrte Kurt.

Es gab Tage, an denen man besser nicht das Bett verließ, weil einfach alles schief lief. Und dieser Tag schien sich genau in diese Richtung zu entwickeln. Die erste Frau seit Laura, die mir wirklich gefällt und dann so eine Pleite!, ging es ihm ärgerlich durch den Kopf. Der Gedanke an Laura Domrath, die ihn verlassen hatte, als er in die Raumgarde eintrat, versetzte ihm einen kleinen Stich. Selbst jetzt noch. Er hatte sie wirklich geliebt. Kurt wischte die Erinnerung aus seinem Bewusstsein. Schade, dass es mit Teresita jetzt wahrscheinlich schon zu Ende ist, bevor es richtig beginnen konnte, dachte er.

Er drängte sich weiter durch die Gäste im Foyer, schnappte hier und da Gesprächsfetzen auf.

Die markante, unverwechselbare Stimme Chris Barringtons hörte er nicht aus dem Gewirr heraus.

Aber irgendwo musste er doch sein...

Schließlich erreiche Kurt das Buffet, nahm sich ein paar Häppchen. Synthetischer Kavier, hergestellt in den hydroponischen Anlagen auf Blue Star und garantiert quecksilberfrei -—im Gegensatz zu den Konkurrenzprodukten von der Erde.

Plötzlich blieb Kurt buchstäblich der Bissen im Halse stecken.

Da war er.

Chris Barrington— nur wenige Schritte von ihm entfernt.

Der schwergewichtige Mann löste sich gerade aus einem illustren Gesprächskreis, zu dem unter anderem Generalmajor Angham und Master Sergeant Karalaitis zählten. Die Männer waren in ein angeregtes Gespräch vertieft, von dem Kurt nur Bruchstücke mitbekam, da in einer Gruppe von Gardisten plötzlich lautes Gelächter ausbrach.

"Sie entschuldigen mich, ich brauche jetzt etwas zwischen den Zähnen", sagte Barrington schließlich. Er klopfte sich mit der flachen Hand auf den recht voluminösen Bauch und grinste verschmitzt. "Ob Sie es glauben oder nicht, ich bin heute noch nicht einmal zum Frühstücken gekommen!"

Barrington wandte sich dem Buffet zu, nahm sich ein paar Häppchen und probierte mal hier und mal dort. Dabei näherte er sich Kurt Farmoon zusehends.

Als Barrington vor ihm stand, wagte Kurt es endlich, den Gastredner der Garde-Universität anzusprechen.

"Entschuldigen Sie", sagte er und brachte anschließend ein paar Sätze heraus, die kaum mehr als sprachliche Bruchstücke darstellten. Gestammel, aus dem beim besten Willen niemand schlau werden konnte. Selbst ein Genie wie Barrington nicht. Kurt verwünschte sich insgeheim für seine Nervosität.

Barrington kaute auf einem Stück Toast herum und musterte Kurt stirnrunzelnd.

Kurt schluckte.

"Das, was Sie vorhin über den "X-Space"-Effekt gesagt haben, hat mich sehr beschäftigt", erklärte Kurt schließlich.

Barrington war überrascht.

Er hob die Augenbrauen.

"Eigentlich sollte es nur eine kleine Randbemerkung sein", meinte er. "Das Thema meines Vortrags lautete ja nicht etwa 'Die verpassten Möglichkeiten des "X-Space"-Effekts'. Aber ich gebe zu, dass dieses Thema mich immer schon fasziniert hat!"

Kurt nickte.

"Kann ich gut verstehen", meinte er.

"So?"

"Naja -—Sie, als einer der Siedler, die mit der GALAXIS nach Epoh gelangten."

Barrington lächelte.

"Behandeln Sie mich besser nicht wie ein Denkmal, das kann ich nämlich nicht leiden. Aber ich verstehe, was Sie meinen", behauptete er, griff nach einem weiteren Toast mit synthetischem Blue Star-Kaviar und nahm einen großen Bissen davon. Das Buffet schien ihm zuzusagen.

"Ich bin der Überzeugung, dass man diesen Effekt weiter hätte erforschen sollen", sagte Kurt.

Barrington hob das Kinn. Er kaute etwas schneller und schluckte den Bissen hinunter. "Im Prinzip bin ich ganz Ihrer Meinung, Mister..."

"Farmoon. Kurt Farmoon, Schütze des 14. Zuges der Raumgarde."

Barrington kam nun in sein Element. Es schien ihm überhaupt nicht unangenehm zu sein, auf den "X-Space"-Effekt angesprochen zu werden. Ganz im Gegenteil. Chris Barrington freute sich offenbar darüber, dass jemand an seinen Ansichten zu dieser Sache interessiert war.

"Solange der "X-Space"-Effekt genutzt wurde, gab es Probleme damit", gestand er. "In so fern habe ich sogar Verständnis dafür, dass sich kein Mensch mehr damit befassen wollte, als es durch die Alienwandler-Technik endlich eine Alternative gab."

"Aber Sie meinen doch auch, dass es sich gelohnt hätte, diesem Phänomen etwas gründlicher auf die Spur zu kommen und vielleicht sogar Anwendungsmöglichkeiten zu entdecken, die uns bis heute verborgen geblieben sind."

In Barringtons Augen blitzte es.

"Gewiss!", bestätigte er. "Aber man müsste dabei natürlich die Schwierigkeiten realistisch im Auge behalten. Aus meiner Sicht war das Hauptproblem immer die mangelnde Reinheit des Nabal-Metalls, aus dem die Speichersilos für den X-Space-Schub bestanden. Dieser Reinheitsgrad konnte sehr unterschiedlich sein und dazu führen, dass die normale Sprungweite von 1,7 Lichtjahren erheblich überschritten wurde. Bis zu fünftausend Lichtjahre weit!"

"Und diese Wirkung lässt sich nicht kontrollieren?", fragte Kurt.

Barringtons Blick wurde nachdenklich.

Er schüttelte entschieden den Kopf.

"Nein", murmelte er. "Leider nicht. Glauben Sie mir, wir haben damals einiges angestellt, um das doch hinzubekommen. Aber es hat einfach nicht geklappt. Der Effekt ist scheinbar nicht gezielt beeinflussbar!"

"Und Sie sehen da überhaupt keine Möglichkeit? Was wäre gewesen, wenn man diesen Weg in der Triebwerkstechnik nicht so vorzeitig aufgegeben hätte..."

"Dass man den "X-Space"-Effekt nicht mehr erforscht hat, seit es Alternativen gab, halte ich in der Tat für einen Fehler", gab Barrington unumwunden zu und schränkte dann ein: "Aber eher im Hinblick auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Was die Herstellung von effektiven—und vor allem ungefährlichen!—Überlichtriebwerken angeht, so war die Nutzung des X-Space- Effekts höchstwahrscheinlich eine Sackgasse."

"Schade..."

"Ja, das ist auch meine Meinung."

"Vorhin, während Ihres Vortrags, hatte ich den Eindruck, dass..."

Kurt sprach nicht weiter.

Chris Barrington lächelte.

"Es sind vor allem nostalgische Gründe, die mein Interesse am "X-Space"-Effekt wachhalten. Nicht die Hoffnung auf einen praktischen Nutzen."

"Ich verstehe."

Barrington trat etwas näher. Er sprach jetzt in gedämpftem Tonfall. "Ist es nicht so, dass für eine Offizierslaufbahn in der Raumgarde ein Doktortitel obligatorisch ist?"

Kurt Farmoon nickte. "Das trifft zu", bestätigte er etwas verwirrt, denn im Augenblick hatte er nicht die geringste Ahnung, worauf sein Gegenüber eigentlich hinauswollte. "Wie kommen Sie jetzt darauf?"

Barrington hob die Augenbrauen und kratzte sich am Kinn.

"Nun, falls Sie mit dem Gedanken spielen sollten, den "X-Space"-Effekt zum Thema einer Promotion zu machen, kann ich Ihnen nur dringend abraten."

"Wieso? Sie selbst sagten doch, dass dessen naturwissenschaftliche Grundlagen nie wirklich erforscht wurden."

"Mag sein. Aber wenn Sie sich auf dieses Gebiet begeben, werden Sie wahrscheinlich alt und grau, bevor Sie mit der Arbeit fertig werden." Barrington grinste. "Wahrscheinlich werden Sie sogar die Altersgrenze für Offiziersanwärter überschreiten. Ich rate Ihnen: Nehmen Sie etwas Handfesteres. Schließlich wollen Sie doch vorwärts kommen, oder?"

Kurt Farmoon zuckte die Achseln.

"Um ehrlich zu sein, an eine Promotion hatte ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht gedacht."

"Gott sei Dank, Sie sind ein vernünftiger Mann!", witzelte Barrington.

Ein haariges Bündel drängelte sich durch den Wald aus Beinen, den dieser Empfang aus der Sicht eines Hundes darstellte. Zumindest was diese Perspektive anging, unterschied sich Jimmy nicht von ganz gewöhnlichen Scotch Terriern, deren Innenleben nicht aus Schaltkreisen und einem Kristallsensor bestand.

"Na, da bist du ja, Jimmy!", sagte Barrington.

"Hier kann man sich ja ganz schön verlaufen", meinte der Robothund. "Ein gut ausgebildeter Hunde-Geruchssinn würde mir jetzt wohl mehr nützen als ein Energiestrahler in der Zunge!"

Barrington lachte schallend.

Er wandte sich an Kurt Farmoon.

"Die Kritik der Kreatur am Schöpfer!", meinte er. "Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Konstruieren Sie niemals einen Roboter, der in der Lage ist, künstliche Intelligenz zu entwickeln! Sie haben nur Ärger!"

*


Abends, nach Dienstschluss kehrte Kurt Farmoon in sein Haus in Star City zurück. Den ganzen Tag über hatte ihn der Gedanke an den "X-Space"-Effekt nicht losgelassen. Dieses Thema hatte Kurt regelrecht elektrisiert.

Auch wenn Chris Barrington es mehr oder minder als gepflegtes Hobby ansah, sich mit den Grundlagen dieses Effekts zu befassen und inzwischen selbst nicht mehr an eine technische Verwertbarkeit im großen Stil glaubte, so schmälerte dies Kurts Enthusiasmus kaum.

Als Thema für eine Doktorarbeit hatte Kurt dieses Gebiet ohnehin nicht in Betracht gezogen. Er hatte zwar durchaus die Absicht, irgendwann zu promovieren und die Offizierslaufbahn in der Garde einzuschlagen. Aber er hatte keine Eile damit. Und sein Interesse am "X-Space"-Effekt war vollkommen frei von derartigen Ambitionen. Es entsprang einfach der Faszination am Forschungsgegenstand. Eine Faszination, die sicher auch damit zu tun hatte, dass die ersten Menschen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die Weiten der Galaxis vorgestoßen waren, dies mit Schiffen unternommen hatten, die mit auf dem "X-Space"-Effekt basierenden Antriebssystemen ausgestattet gewesen waren.

An diesem Abend nahm sich Kurt Farmoon noch nicht einmal Zeit für eine Dusche.

Er ging gleich in den Keller, wo sich Labor und ein leistungsstarker Kristallsensor befanden. Hier hatte er Ruhe. Ruhe genug, um sich in die schwierige Materie einzuarbeiten.

Kurt war wie besessen davon.

Seine Finger glitten über das Terminal.

Er aktivierte Drei-D-Projektionen, die komplexe mathematische Probleme veranschaulichten.

Es ist gar nicht in erster Linie die Technik der Alienwandler gewesen, die den nachhaltigsten Einfluss auf das menschliche Verständnis des Universums hatte, ging es Kurt durch den Kopf. Nein, es war die Mathematik dieser genialen Raumfahrer...

 

*


Bis zum frühen Morgen saß Kurt Farmoon beinahe ununterbrochen am Terminal des Kristallsensors und versuchte, Alienwandler-Mathematik auf das Phänomen des "X-Space"-Effekts anzuwenden.

Die einzigen Pausen, die Kurt machte, benutzte er dazu, sich einen starken Kaffee aufzubrühen, um nicht einzuschlafen. Als Soldat der Raumgarde war er es durchaus gewohnt, über längere Zeit hinweg mit sehr wenig oder gänzlich ohne Schlaf auszukommen. Bei manchen Einsätzen war das einfach unerlässlich.

Schließlich nickte er in seinem Schalensessel aber doch für eine halbe Stunde ein. Konzentriertes Nachdenken über komplizierteste mathematische Probleme war eben auf die Dauer noch weit aus anstrengender als stundenlanges Warten auf einen Gegner.

Eine automatische Weckfunktion des Kristallsensors sorgte schließlich dafür, dass Kurt Farmoon nicht in die Tiefschlafphase gelangte.

"Kurt Farmoon, Sie haben seit geraumer Zeit keine Eingabe gemacht", meldete sich eine wohlmodulierte, aber mahnende Kunststimme. "Der von Ihnen durchgeführten Programmkonfiguration nach soll ich Sie in diesem Fall durch schrille Geräusche daran hindern zu schlafen. Sollten Sie nicht eingeschlafen sein, so tun Sie dies bitte innerhalb von drei Sekunden durch eine stimmliche Äußerung kund."

Drei Sekunden verstrichen.

Kurt erwachte nicht schnell genug, um den schrillen, dissonanten Ton zu verhindern.

Er verzog gequält das Gesicht.

"Ist ja schon gut!", rief er genervt.

Der Weckton verstummte, nachdem der Kristallsensor Kurts Stimmmuster identifiziert hatte.

"Wollen Sie mit der Arbeit fortfahren?", fragte die Kunststimme.

"Ja, gleich."

Kurt blickte auf sein Chronometer.

Eigentlich musste Master Sergeant Jannis Karalaitis jetzt bereits seinen Dienst angetreten haben. Kurt stellte eine Communicator Phone-Verbindung her.

"Hier Schütze Kurt Farmoon. Ich möchte einen Tag Urlaub nehmen, Sir."

Karalaitis schien überrascht zu sein.

"Urlaub? Was ist los, Farmoon?"

"Eine dringende persönliche Angelegenheit."

"Dienstliche Gründe stehen dem nicht entgegen und Sie haben noch Urlaub aus dem letzten Jahr übrig." Karalaitis atmete tief durch. "Also nehmen Sie sich den Tag, wenn Sie ihn so dringend brauchen, Farmoon!"

"Danke, Sir."

Kurt fiel ein Stein vom Herzen, dass sein Master Sergeant die Lüge von der persönlichen Angelegenheit einfach so schluckte.

Mit der Wahrheit hätte er Karalaitis wohl auch schlecht kommen können.

Ein einfacher Gardist, bislang noch ohne akademischen Grad, machte eine bahnbrechende Entdeckung und wollte sie mit der Kapazität auf dem Gebiet der Hochenergietechnik schlechthin besprechen.

Nur nicht abheben!, dachte Kurt. Bislang bist du der Einzige, der von der Bedeutung deiner Entdeckung überzeugt ist, die sich bei näherem Hinsehen vielleicht nur als simpler Rechenfehler herausstellt...

*


Kurt speicherte seine Arbeitsergebnisse der letzten Nacht auf einem Datenträger, holte die Dusche nach und begab sich danach so schnell wie möglich zur Garde-Universität, um Professor Dr. Dr. George Ravanelli aufzusuchen.

Im Vorlesungsverzeichnis hatte Kurt gelesen, dass der Professor am Vormittag ein Doktoranden-Kolloquium leitete.

Vorher fand seine reguläre Sprechstunde statt.

Das war die Gelegenheit!

Kurt hoffte, dass es ihm irgendwie gelang, dem Professor seine Ergebnisse vorzuführen. Er musste einfach Ravanellis Meinung zu der Entdeckung erfahren, die er in der letzten Nacht gemacht hatte.

Kurt erreichte das Büro des Professors eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn der Sprechstunde.

Er hoffte, den Hochenergietechnik-Experten vor Beginn der Sprechstunde dazu bringen zu können, ihm zuzuhören.

Kurt betätigte das Communicator Phone an der Bürotür.

Das Gesicht Teresitas erschien auf dem kleinen Bildschirm. Die Assistentin des Professors sah Kurt überrascht an.

"Sie, Kurt?"

"Ja."

"Tut mir leid, aber ich fürchte, ich habe im Augenblick gar keine Zeit für Sie."

"Um ehrlich zu sein, möchte ich zu Professor Ravanelli."

"Haben Sie denn einen Termin, Kurt?"

Kurt schüttelte den Kopf. "Nein."

"Dann wird daraus wohl nichts. Die Sprechstundentermine sind immer sehr eng gelegt. Da gibt es kaum einen zeitlichen Spielraum."

"Wie wär's, wenn Sie mich erst einmal hereinlassen. Auf dem Communicator Phone-Bildschirm sind Sie nur halb so schön wie in Natura."

Teresita errötete leicht. Aber sie hatte diesen Anflug von Verlegenheit schnell wieder im Griff. "Der Professor schmeißt mich raus, wenn ich kostbare Arbeitszeit damit vertrödelt habe, mich mit Ihnen zu unterhalten, anstatt den Kristallsensor-Fehler in der Drei-D-Projektion zu finden, die bei der heutigen Vorlesung zur Veranschaulichung der Brownstein'schen Kontinuumsformel verwendet werden soll."

Kurt grinste.

"Ein Fehler im Kristallsensor-System? Lassen Sie mal sehen, ob ich Ihnen nicht helfen kann, Teresita."

"Verstehen Sie denn etwas davon?"

"Warten Sie's doch ab..."

Die Tür öffnete sich.

Kurt trat ein.

Das Büro des Professors verfügte über die modernste Kristallsensor-Ausstattung, die sich denken ließ. Schließlich gehörten hochkomplexe Rechnersimulationen gerade auf Ravanellis Spezialgebiet zu einer unverzichtbaren Forschungsmethode.

Eine Drei-D-Projektion schwebte im Raum. Es sollte sich den Anzeigen nach um die schematische, vereinfachte Darstellung eines energetischen Effekts handeln. Allerdings war die Projektion ganz offensichtlich teilweise chaotisch. Hier und da fehlten ganze Elemente. Außerdem kam es zu sinnlosen Überblendungen mit Bildelementen, die offenbar aus anderen Datensätzen stammten.

"Ich nehme an, Sie sehen das Problem auf den ersten Blick!", sagte Teresita mit leicht spöttischem Unterton. "Ich habe gehört, bei der Garde lernen Sie, so etwas mit einem Stück Draht und einem Gummiband zu beheben!"

Kurt erwiderte ihr herausforderndes Lächeln.

"Zu dumm, dass mir das Gummiband fehlt", gab er zurück.

Teresita deutete auf das Terminal.

"Wenn Sie wollen, dann versuchen Sie doch einfach Ihr Glück. Ich bin mit meinem Latein jedenfalls ziemlich am Ende."

"Nichts leichter als das!"

"Angeben dürfen Sie, wenn Sie das Problem gelöst haben!"

"Seien Sie vorsichtig, Teresita! Ich komme auf dieses Angebot vielleicht zurück!"

Kurt deaktivierte als erstes die offenbar fehlerhafte Projektion und begann das Kristallsensor-System, neu zu konfigurieren. Teresita sah ihm aufmerksam zu.

Er versuchte die Projektion erneut zu aktivieren, aber es zeigte sich derselbe Fehler.

"Schade", sagte sie. "Ich dachte schon, ich hätte es hier mit einem Kristallsensor-Fachmann der Sonderklasse zu tun..."

"Haben Sie..."

"Na, bis jetzt haben Sie Ihr Können aber erfolgreich vor mir verborgen."

"Ich habe nie behauptet, ein Genie zu sein!"

"Eigentlich schade -—ich mag selbstbewusste Männer."

"Gerade war ich Ihnen noch zu angeberisch!"

"Müssen Sie eigentlich immer das letzte Wort haben?"

"Bei Ihnen nicht unbedingt, Teresita." Kurt deutete auf das Terminal. "Ich werde es mal mit einer anderen Projektion versuchen. Dann hat man einen Vergleich."

Kurt nahm den Datenträger mit seinen Arbeitsergebnissen der letzten Nacht hervor. Ein paar Augenblicke später entstand eine der Drei-D-Projektionen, die seine Anwendung von Alienwandler-Mathematik auf den "X-Space"-Effekt veranschaulichten.

"Wie Sie sehen, ist die Darstellung fehlerfrei", stellte Kurt fest.

Teresita verschränkte die Arme vor der Brust. "Das heißt, es ist kein Kristallsensor-Fehler, sondern ein Fehler im Datensatz!"

"Ja."

"So ein Mist!"

"Tut mir leid."

Sie blickte auf die Projektion, die Kurt aktiviert hatte und verengte etwas die Augen. "Und was ist das da?", erkundigte sie sich.

Genau in diesem Augenblick hatte sich die Schiebetür des Büros geöffnet.

Professor Ravanelli stand mit überraschtem Gesicht da und legte die Stirn in Falten. Er hatte die letzte Frage seiner Assistentin offenbar noch verstanden.