Raumkrieger im Wurmloch: 6 Science Fiction Abenteuer auf 1660 Seiten

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa



1


Dieser Krieg herrschte nun schon seit drei Jahren. Seit die insektenähnliche Rasse der Strayx das Volk der Braan überfallen hatten, deren Territorium direkt an die Terranische Republik grenzte.

Zuvor hatte lange Zeit Frieden in den bekannten Bereichen der Galaxie geherrscht. Praktisch seit die Menschen Mitglieder im Föderalen Sternenbund geworden waren. Viele hatten das kaum für möglich gehalten, hatten den Menschen eher ablehnend bis skeptisch gegenübergestanden. Denn die Menschen galten als eine kriegerische Rasse. Bis weit in das 22. Jahrhundert hinein war ihre Geschichte bestimmt gewesen von Kriegen und Völkermord, Vertreibung und Hass, begannen aus rassistischen und religiösen Gründen, Motive, die für andere, höher entwickelte Rassen kaum nachzuvollziehen waren. Oder man hatte einfach nur des Profits wegen Kriege geführt. Jedenfalls gab es kaum eine Rasse im Universum, die so versessen daran gearbeitet hatte, sich selbst auszulöschen.

Seit die Menschheit aber zum Sternenbund gehörte, war sie nicht nur zur Überraschung ihrer Kritiker zum Garanten für den Frieden in den bekannten Bereichen der Galaxie geworden. Es war, als hätte die Menschheit aus ihren Fehlern der zurückliegenden Jahrtausende gelernt und hätte ganz plötzlich, sozusagen aus dem Stand heraus, einen mega-evolutionären Sprung gemacht. Oder aber sie war einfach nicht gewillt, dabei zuzusehen, wie sich andere Rassen gegenseitig das antaten, was sich der Mensch so lange selbst angetan hatte.

Als die Strayx in das Gebiet der Braans eingefallen waren, um jeden dieser blauhäutigen, fischähnlichen Wesen abzuschlachten, waren es die Menschen gewesen, die auf ein sofortiges Eingreifen des Sternenbundes gedrängt hatten, und als der Föderale Rat noch gezögert hatte, hatte die Erde das Heft des Handelns kurzerhand an sich gerissen und Milliarden von auf vierundvierzig Planeten lebenden Braan gerettet, indem man dem Feind in für beide Seiten verlustreichen Schlachten aus dem Gebiet der Braan vertrieb.

Seither lebten die Menschen im Krieg mit den Strayx, und die anderen Völker des Sternenbundes hatten nach und nach eingesehen, dass man das Böse nicht mit Worten eindämmen konnte, sondern nur mit harter Faust. Die menschliche Geschichte hatte eins in aller Deutlichkeit gezeigt: Wer einfach zusah, wie seine Nachbarn überfallen und abgeschlachtet wurden, oder sogar wegsah, hatte die Schlächter bald vor der eigenen Haustür stehen. Dann war er gezwungen zum Kampf. Nur war es in diesem Fall vielleicht schon zu spät, um noch das eigene Leben zu retten. Man musste sich dem Bösen entgegenstemmen, bevor es übermächtig wurde, und je eher man dies tat, desto mehr Leben rettete man letztendlich.

Chris Alcon glaubte nicht, dass jeder Strayx von sich aus böse war. So etwas gab es nicht. Das Böse war nicht etwas, das genetisch veranlagt war. Jedenfalls nicht bei einer ganzen Rasse kreativ-intelligenter Lebewesen. Doch bei den Strayx hatte sich seit Jahrhunderten eine gefährliche, mörderische Ideologie eingeschliffen. Sie hielten sich selbst für die Spitze der Evolution und alle anderen intelligenten Lebensformen der Galaxie für minderwertig. Schlimmer noch, obwohl sie selbst ein insektoides Volk waren, verglichen sie andere Rassen mit Schädlingen, die es auszurotten galt, um ihrer Verbreitung Einhalt zu gebieten. Aus ihrer rassistischen Überheblichkeit und ihrem gefährlichen Herrenwesendenken war schließlich eine aggressive Xenophobie geworden, die sie dazu zwang, andere Völker anzugreifen, sozusagen präventiv, weil man sich von jedem und allem bedroht fühlte.

Doch Völkermord konnten die Menschen nicht mehr zulassen. Nicht nach all dem Grauen, das sie einander selbst angetan und über Jahrtausende erlitten hatten.

Natürlich gab es Stimmen in der menschlichen Bevölkerung, die diese Haltung kritisieren, sie sogar rigoros ablehnten. Chris Alcon als Soldat und Raumpilot hatte sogar bis zu einem gewissen Grad Verständnis dafür. Kein Verständnis hatte er allerdings für Argumente wie „Was gehen uns die Braans an?“ Oder „Warum sollen Menschen-Soldaten für Braan-Zivilisten ihr Leben riskieren?“ Er hatte gesehen, was die Strayx den wehrlosen Baan angetan hatten. Kein Lebewesen verdiente so etwas. Kein intelligentes Lebewesen durfte zulassen, dass einem anderen intelligenten Lebewesen so etwas widerfuhr. Wer dem widersprach, stellte sich außerhalb der galaktischen Gemeinschaft.

Wie gesagt, Chris Alcon hatte Verständnis für die Kritiker militärischer Interventionen – bis zu einem gewissen Grad. Chris Alcon war Soldat und Raumpilot. Und er dachte wie ein Soldat und Raumpilot ...

Die Strayx hatten dem terranischen Flottenverband eine Falle gestellt. Die Menschen (und mit ihnen Soldaten anderer Rassen, die in der terranisch-republikanischen Flotte dienten und teils auf der Erde lebten oder sogar dort geboren und aufgewachsen waren) hatten einer überfallenen Station der Szitas beistehen wollen, die sich seit Monaten gegen mittlere Kampfverbände der Strayx verteidigte. Dem Geheimdienst des Sternenbundes war offenbar verborgen geblieben, dass eine weitaus größere Streitmacht des Feindes im Hinterhalt gelegen hatte, verborgen in eben jener Staubfalle. Dieses galaktische Phänomen machte eine Ortung der Schiffe nahezu unmöglich, solange diese ihre Energieausstrahlung auf ein Minimum hielten und kaum mehr als die Lebenserhaltungs- sowie die wenigen anderen Systeme versorgten, die nötig waren, um das Schiff auf der Stelle zu halten und Kollisionen mit größeren Raumkörpern zu verhindern.

Um die Cerubin von Chris Alcon herum tobte weiterhin Laser- und Protonenfeuer. Immer wieder wurden andere Cerubin-Kampfgleiter getroffen, vergingen ihn glühende Explosionen, verdampften in Wolken aus brennendem Gas und geschmolzenem Metall. An Bord jedes dieser Schiffe saßen Kameraden. Freunde. Noch schlimmer war es, wenn eines der größeren Kriegsschiffe explodierte. Hunderte, tausende intelligenter Wesen verloren ihr Leben. Und sie waren nicht Cerubin-Kampfpiloten, die wussten, dass jeder Einsatz ihr letzter sein konnte. Es waren normale Flottenangehörige, kein verschworener, wilder Haufen, dessen Angehörige jeden Abschuss zählten und glaubten, ihr Übermut würde sie zu Helden machen. Es waren normale Menschen und Nichtmenschen, die ihren Dienst in Uniform versahen, ihren Dienst an der Menschheit und jedem anderen intelligenten Wesen es Weltenraums, selbst für die Strayx, hätten sie auf ihre mörderischen Handlungen verzichtet.

Was sie nicht taten.

Wieder sah Chris, wie einer der terranischen Zerstörer kurz vor dem Sprung explodierte. Seine Schilde waren längst zusammengebrochen, weil die Energietreffer die Reaktoren überlastet hatten. Daraufhin war Torpedo und Torpedo auf der Hülle des Schiffes explodiert, bis die Panzerung durchbrochen gewesen war und sich die vernichtenden Energiegeschosse in die fragilen Eingeweide des Schiffes gegraben hatten.

Nun wurde der Zerstörer von mehreren kurz aufeinander folgenden Explosionen, von denen jede heftiger, größer und greller war als die davor, auseinandergerissen. Verglühende Metallfragmente spritzten in die Kälte des Alls, Sauerstoff und hoch explosive Gase mischten sich zu einem flammenden Inferno, das jedes Lebewesen innerhalb von Sekunden zu Molekülen verdampfte.

Trotzdem war der Anblick grauenhaft. Chris Alcon zog sich das Herz zusammen.

Und Avary Sax stöhnte leise auf.

Sie ist sensibler als so mancher von uns, dachte Chris.

Ja, das war sie. Er wusste es.

Wieder lenkte sie den Cerubin so geschickt auf einen Strayx-Jäger zu, dass der keine Gelegenheit bekam, sich zu verteidigen. James benötigte keinen Feuerbefehl von seinem Captain und Freund. Er zerblies den Todeshammer mit einem kurzen Laserfeuerstoß zu einer Wolke aus Feuer und glühendem Metall.

Avary Sax riss den Cerubin herum, auf einen Zerstörer der Strayx zu, der unablässig tödliches Plasma spie und seine Torpedos auf größeres terranisches Schlachtschiff hageln ließ, dessen Energieschirme immer lückenhafter wurden; Explosionen flammten auf der Hülle auf, zerrissen die Panzerung. „Er wird das Terra-Schiff zu rauchenden Klump schießen, wenn wir ihn nicht aufhalten“, sagte Avary.

„Die Schutzschirme des terranischen Schlachtschiffes?“, fragte Chris.

„Unter dreißig Prozent“, meldete Avary Sax, die die Daten vom ihrem Helmvisier las, das sie wieder geschlossen hatte. „Und sein Antrieb ist überhitzt. Kühlsysteme ausgefallen.“

„Schnappen wir ihn uns!“, sagte Jimmy kriegerisch, und er meinte damit eindeutig den Strayx-Zerstörer.

„Angriff!“, befahl Chris.

„Ich versuche uns zu tarnen“, sagte Avary und gab entsprechende Befehle in ihre Konsole ein. „Aber das wird nicht lange funktionieren.“

Tatsächlich schwenkten die Abwehrbatterien des Strayx-Zerstörers herum, als sie noch Meilen von ihm entfernt waren, und eröffneten das Feuer.

 

Avary flog einen Ausweichkurs, der sie dennoch weiterhin auf den Zerstörer zurasen ließ. Mit jedem Kilometer, dem sie ihm näher kamen, erhöhte sich die Gefahr, von einem der Protonengeschosse getroffen zu werden.

„Nimm dir ihren Kommandobereich vor!“, sagte Chris zu James Scalera, während er sah, wie immer mehr der Plasmatorpedos des Strayx-Zerstörers in das terranisch-republikanische Schlachtschiff einschlugen und verheerende Zerstörungen anrichteten. Feuerbälle breiten sich auf der Hülle aus, und auch innerhalb des Schiffes kam es zu mörderischen Explosionen.

„Soll ich schießen?“, fragte Jimmy nervös.

„Noch warten!“, wies Chris ihn an.

Die Protonengeschosse des Strayx griffen immer gezielter nach ihnen, flammten dicht vor und über den Cockpitscheiben auf.

„Die haben uns gleich“, prophezeite Jimmy mit banger Stimme.

„Warte noch!“, beschwor ihn Chris.

Drei Protonengeschosse zischen haarscharf an ihrem Cerubin vorbei.

„Das wird zu gefährlich“, murmelte Jimmy.

„Warte noch!“

„Wahrscheinlichkeit, dass wir getroffen werden, liegt bei sechsundvierzig Prozent“, meldete Avary. So sehr Chris sie auch mochte, diese Bemerkung hielt er für nicht wirklich hilfreich. „Bei fünfzig. Zweiundfünfzig ...“

„Chris!“, sagte Jimmy beschwörend.

„Noch warten!“, befahl dieser.

„Sechsundfünfzig“, sagte Avary.

„Chris!“, schrie Jimmy.

„Torpedos los!“, befahl Chris - nicht, weil er glaubte, schon den optimalen Augenblick erreicht zu haben. Aber wenn er noch länger zögerte, würde Jimmy – der zu den mutigsten Männern zählte, mit denen Chris je gedient hatte – die Nerven verlieren, und dann war ein erfolgreicher Abschluss nicht mehr möglich.

Jimmy feuerte zwei Plasmatorpedos ab. Gleichzeitig befahl Chris: „Abdrehen!“

Noch bevor er das Wort zu Ende gesprochen hatte, riss Avary Sax die Cerubin herum, ließ sich das Schiff um die eigene Achse drehen und brachte es auf einem Schlingerkurs von dem Zerstörer weg. Auf der Flugbahn, die sie eben noch beschrieben hatten, kreuzte sich das Protonenfeuer der Abwehrbatterien.

Avary überstellte Chris ein Bild des Zerstörers, und Chris sah - ebenso wie Jimmy, wie man an seinem Jubeln vernehmen konnte -, wie der Kommandobereich des Zerstörers von den beiden Plasmatorpedos getroffen wurde. Mühelos durchdrangen sie das kaum noch vorhandene Schutzschild, das daraufhin mit grellem Blitzen in sich zusammenfiel, durchschlugen die Panzerung, explodierten innerhalb des Schiffes und rissen den Bereich in Fetzen. Es war, als würde der Zerstörer daraufhin im schwarzen Vakuum des Alls versinken, denn die Explosionswucht drückte sein Heck ruckartig nach „unten“.

Wieder blitzte es um das Cockpit des Cerubin auf.

„Drei Strayx-Todeshammer verfolgen uns und nehmen uns unter Beschuss!“, meldete Avary.

„Abschütteln!“, befahl Chris.

„Bei drei Jägern liegen die Chancen unter zwanzig Prozent“, erklärte Avary.

„Was ist mit unseren Kriegsschiffen?“, fragte Chris.

„Nur noch fünf sind verblieben. Zwei sind zu sehr beschädigt für den Sprung und ... nur noch vier Schiffe.“ Eines hatte gerade den Sprung eingeleitet. „Cerubin-Kampfgleiter beginnen mit dem Sprung in den Nullraum.“

„Okay“, sagte Chris, während der Protonenbeschuss der Strayx-Kampfjäger gefährlich nahe am Cockpitfenster vorbeileckte. „Springen wir also - Koordinaten ...“

„Koordinaten sind eingegeben“, unterbrach ihn Avary; jetzt wurde es wirklich brenzlig. „Alles bereit zum Sprung.“

„Sprung!“, befahl Chris.

Avary bestätige dem Computer den bereits erteilten Befehl, und sofort baute sich um den Cerubim ein Energiefeld auf, um das Schiff in den Nullraum zu reißen - doch kurz bevor das Feld den Cerubin ganz umschloss, stach ein einziger Protonenblitz in den Antrieb des Kampfgleiters, eine Explosion glühte auf, Funken sprühten, Metall schmolz – und dann ...

Chris Alcon schrie auf vor Entsetzen ...




2


Der Cerubin wurde in den Nullraum gerissen, in eine Realität jenseits der Realität, in der Zeit und Raum zusammenschmolzen und sich wieder weiteten. Eine Wirklichkeit, die außerhalb der Wirklichkeit existierte, eine Dimension, die sich um den drei- und vierdimensionalen Raum bog und es ermöglichte, den dreidimensionalen Raum und die vierte, nichtmaterielle Dimension Zeit, den dieser materielle Raum unterlag, zu überwinden, beides zu überbrücken und zu einem gewissen Grad sogar einzuholen.

Vor Jahrhunderten hatten die Menschen davon geträumt, ihre Schiffe so schnell bewegen zu können, dass sie in Sekundenbruchteilen weite Strecken überbrücken konnten. Die Realität übertraf diese Vorstellung noch um eine winzige Nuance. Wenn man in den Nullraum sprang, gelangte man an seinem Zielpunkt tatsächlich einige wenige Sekunden früher wieder in den Normalraum, als man ihn Hunderte von Lichtjahren entfernt verlassen hatte. Ein physikalisches Phänomen, das rein logisch zu erklären war – doch nur die wenigsten Menschen konnten diese Erklärung wirklich nachvollziehen.

Theoretisch hätte dies bedeutet, dass es möglich war, in der Zeit zurückzureisen. Nur musste man dafür entsprechend viele Sprünge direkt hintereinander begehen, doch ein Schiff konnte die dafür benötigte Menge Energie nicht aufbringen. So würden Zeitreisen auch noch die nächsten Jahrhunderte nicht möglich sein.

Chris Alcon erlebte den Nullpunkt bewusst mit. Die Sterne draußen vor den Cockpitfenstern schienen zu verwischen, verschmolzen zu einem grellbunten Gleißen, das um das Schiff herumzuwirbeln schien. Gleichzeitig schien im Cerubin selbst die Zeit stillzustehen. Chris' Denken funktionierte zwar, aber er war zu keiner Bewegung fähig, und ihm war, als würde auch sein Herz und seine Atmung stillstehen, was auch tatsächlich der Fall war. Aus diesem Grund hielt es ein lebendes Wesen nur sehr begrenzte Zeit in der Nullzeit aus. Die biochemischen Funktionen des Körpers liefen weiter ab, aber das neuronale Netzt war mattgesetzt.

Für Avary Sax galt das nicht. Chris sah, dass sie hektisch an den Kontrollen arbeitete, Befehle eintippte, Korrekturen vornahm.

Chris hatte mitgekriegt, dass ihr Antrieb einen Lidschlag vor dem Sprung getroffen worden war. Sie trudelten durch die Nullzeit, wahrscheinlich völlig unkontrolliert. Wenn Avary es nicht schaffte, das Schiff zurück in den Normalraum zu schaffen, konnten sie für alle Ewigkeiten hier gefangen bleiben, nur würde sein Gehirn den Sauerstoffmangel nicht lange überstehen. Oder sie würden die ersten Menschen sein, die tatsächlich eine Zeitreise unternahmen, allerdings würden sie wahrscheinlich als mumifizierte Leichen irgendwann zur Zeiten des Urknalls aus der Nullzeit brechen.

Avary musste es einfach schaffen, sie hier herauszubringen.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich ihr Helmvisier öffnete. Sie warf ihm einen besorgten Blick zu und flüsterte: „Ich werde dich nicht sterben lassen!“

Er spürte, wie ihm die Sinne schwanden, wie sein Gehirn unter dem Sauerstoffmangel zu leiden begann, während er verzweifelt versuchte, Luft zu holen, obwohl sich sein Brustkorb nicht senken und heben ließ. Panik erfasste ihn.

Auf Avarys Konsole blinkte ein rotes Licht, sie bestätigte irgendeinen Befehl ...

Und das Gleißen um den Cerubin erlosch, wurde wieder zu vereinzelnd blinkenden Sternen und einem weit entfernten Spiralarm, dessen Sonnen aus irgendwelchen Gründen rot leuchtete.

„Verdammte Cyborg-Scheiße!“, hörte er Jimmy fluchen, während er selbst einen tiefen Atemzug nahm. Es gelang ihm sogleich, die Panik wieder wegzudrücken. „Wo sind wir?“, fragte er.

Avary wandte ihm das Gesicht zu, und er formte mit den Lippen ein „Danke“. Sie nickte ihm kaum merklich zu.

„Der Computer vergleicht unsere Position mit den Sternenkarten“, meldete sie.

„Und das Schiff?“

„Energiereserve sinkt rapide“, erklärte sie nach einem Blick auf die Kontrollen. „In wenigen Minuten sind wir auf Null. Dann sind wir handlungsunfähig. Irreparable Beschädigung der Energiezellen. Vor allem aber wurde der Hyperantrieb beschädigt und ist gänzlich ausgefallen. Der ist völlig hin.“

„Im Weltraum gestrandet“, sagte James mit zusammengebissenen Zähnen.

„Wir werden ersticken“, murmelte Chris.

„Die meisten von uns“, bemerkte Jimmy.

Avary warf ihm einen funkelnden Blick zu. „Für den Rest von uns ist es auch nicht schön, in einem toten Raumschiff gefangen zu sein, bis es möglicherweise von einem glühenden Gasriesen oder einer Sonne angezogen wird und verbrennt.“ Zorn schwang in ihren Worten mit.

„Schon gut, Leute“, ging Chris dazwischen.

Jimmy hob in einer beschwichtigenden Geste eine Hand. „Du weißt, das war nicht ernst gemeint“, sagte er zu Avary.

„Aber es ist ernst“, entgegnete sie. „Verdammt ernst.“

Mit einem Piepton zog der Computer Avarys Aufmerksamkeit auf sich. „Der Computer hat unseren Standort lokalisiert“, erklärte sie. „Taschobi-System, offizielle Bezeichnung KTE-3342-T-3. Der nächste terrestrische Planet im Lebensorbit einer Sonne ist SSDRE-43, zivile Bezeichnung Bao. Erdähnliche Bedingungen. Planetenrotation: 18,34 Stunden. Planetendurchmesser: 83.000 Kilometer. Allerdings entspricht Baos Masse die der Erde aufgrund ...“ Sie unterbrach sich und stieß dann hervor: „Menschen haben dort gesiedelt.“

Sie tippte weitere Befehle in ihre Konsole.

„Was weiß der Computer noch über ...“

Sie fiel James Scalera ins Wort. „Später. Wir haben nur wenige Minuten, um Bao zu erreichen. Energie sinkt weiterhin rapide. Der Hyperraum-Antrieb ist gänzlich ausgefallen, der Lichtantrieb und Unterlichtantrieb sind nur noch bedingt einsatzfähig. Wir werden es ohnehin kaum schaffen.“

„Dann los!“, befahl Chris. „Keine Diskussionen mehr.“

Avary startete den Antrieb des Cerubin. Die Geräusche, die dabei das Cockpit vibrieren ließen, verhießen nichts Gutes. Es war ein stotterndes Summen, das immer wieder an- und abschwoll. Wieder drang ein Piepsen aus einem Lautsprecher, das diesmal eindeutig eine warnende Bedeutung hatte.

Avary Sax beschleunigte das Schiff auf knapp unter Lichtgeschwindigkeit, und schließlich tauchte vor ihnen eine gelbe Sonne auf. Der Anblick war wunderschön und wärmte Chris Alcons Herz nach der langen Zeit in den tiefen des Raums, weitab von bewohnbaren Planetensystemen. Er warf Avary einen Seitenblick zu. Ihre Miene war ausdruckslos, aber er glaubte ein Funkeln in ihren Augen zu erkennen.

Dann schälte sich aus dem gleißenden Strahlen des Sterns ein blauer Planet, der Chris vorkam wie ein Juwel, der auf schwarzem Samt gebettet vor ihnen lag.

„Schön wie die Erde“, sagte Jimmy ergriffen.

„SSDRE-43 ist eine ehemalige Erdkolonie“, erklärte Avary, „die aber von den Menschen aufgegeben wurde, nachdem die Bodenschätze soweit abgebaut waren, dass jeder weitere Förderung der natürlichen Entwicklung des Planeten geschadet hätte. Die Kolonisten nannten ihn Bao - das ist Chinesisch und heißt so viel wie Schatz oder Juwel.“

„Ja, ein Juwel“, sagte Jimmy, der offenbar schwer beeindruckt war. „Dieser Planet ist ein Juwel.“

Dieser Gedanke war Chris vorhin ebenfalls gekommen. „Ein Juwel, auf dem wir begraben werden“, sagte er jedoch missmutig, als die Beleuchtung im Cockpit plötzlich flackerte und dann ganz ausfiel.

„Energie so gut wie auf Null“, sagte Avary. „Schalte alle Systeme aus, um noch Energie für die Landung zu haben!“

Chris ließ das Visier seines Helms hinabgleiten. „Raumanzüge schließen und auf interne Lebenserhaltung umschalten. Alle nicht benötigten Systeme aus!“

 

Avary schaltete auch den Antrieb aus. Die Eigenbewegung des Schiffes und die Gravitation des Planeten steuerten sie direkt auf Bao zu.

„Wir dringen gleich in die Atmosphäre ein!“, meldete sie nach wenigen Minuten des Schweigens, das etwas Andächtiges an sich hatte, während der Planet vor den Cockpitfenstern zu wachsen schien. Über dem kristallklaren Blau von Ozeanen zeichneten sich weiße Wolkenwirbel ab.

Dann spürte Chris einen schmerzhaften Schlag, der das ganze Schiff erbeben ließ und ihm durch Mark und Bein fuhr. Wäre er nicht angeschnallt gewesen, hätte es ihn aus dem Sitz und gegen die Cockpitfenster über ihn gerissen.

Das Schiff war in die Troposphäre eingetaucht. Chris sah, wie zu beiden Seiten von Avarys schmaler Konsole Joysticks ausfuhren, die sie ergriff, um den Cerubin manuell zu steuern. Ihr Gehirn arbeitete mit der Perfektion eines Computers, unterstützt durch intuitive Fähigkeiten. Der Antrieb wurde nicht wieder gezündet, aber Steuerdrüsen wurden aktiv.

Der Kampfgleiter ruckelte, bockte. Um ihn bildete sich eine orangefarben leuchtende Glocke. Die Reibungshitze brachte die Hülle des Schiffes zum Glühen. Es wurde so grell, dass sich die Cockpitfenster automatisch verdunkelten. Das bewies Chris, dass ihr Eintrittswinkel ungünstig war, denn der Cerubin war so konstruiert, dass er beim Atmosphärenflug normalerweise nur wenig Reibungshitze erzeugte.

Sie fielen immer tiefer, während Avary darum kämpfte, die Kontrolle über dem Cerubin zu behalten – oder sie überhaupt erst einmal zu erlangen? Chris wusste es nicht. Er schaltete das Bild einer Außenbordkamera auf den Schirm seiner Konsole, weil die verdunkelten Cockpitfenster noch immer keinen direkten Blick nach draußen zuließen. Er sah, dass sie auf einen Kontinent zurasten, der nur wenige grüne Flecken aufwies. Bald war unter ihnen eine hellbraune Fläche, die sich zu einer unwirklichen Landschaft verwandelte. Schroffe Felsen, Tiefe Canyons zogen sich durch schroffen Fels, und über allem flirrte die Luft in der Hitze der Sonne. Chris war aufgefallen, dass sie keine Wolkenschicht durchdrungen hatten.

„Dein Juwel ist ein Brocken Wüstenfelsen“, sagte er über das Intercom zu Jimmy.

„Aber ich dachte ...“, stammelte sein Bordschütze entsetzt. „Hey, sexy Sax, hast du nicht gesagt, die Menschen hätten den Planeten verlassen, um seine natürliche Entwicklung nicht zu schaden?“

„Das hier ist die Wüstenregion des Planeten“, erklärte sie. „Der Planet wirkt von oben blau aufgrund seiner mit Wasser gefüllten Ozeane und Seen und der Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre. Aber auf seiner Äquatorialebene weisen die Kontinente nur wenig Wasser und kaum Vegetation auf.“

„Scheiße!“, schrie Jimmy. „Warum steuerst du uns denn hierher?“

Chris bezweifelte, dass Avary das mit Absicht getan hatte - doch ihre nächsten Worte belehrten ihn eines Besseren. „Weil die Scanner hier eine größere Siedlung registriert haben.“

„Aber“, rief James verblüfft, „ich dachte, die Kolonisten hätten den Planeten aufgegeben?“

„Der Planet hat drei Kontinente“, erklärte Avary Sax, die noch immer heftig mit der Steuerung kämpfte, „und nur auf diesem gibt es mehrere dicht beieinander liegende Siedlungen. Bei einer der Siedlungen muss es sich um eine größere Stadt handelt. Ich werde uns möglichst nahe heranfliegen, bevor ich runtergehe.“

„Notfunk absetzen!“, befahl Chris. „Wenn dort eine Siedlung ist, empfängt man uns!“

„Gute Idee“, sagte Avary und gab einen entsprechenden Befehl ein. „Sende auch Notsignal über Hyperspace-Connect auf föderaler Frequenz und ...“

Im diesem Moment erloschen alle Lichter, Anzeigen und Bildschirme auf ihrer Steuerkonsole. „Keine Energie mehr!“, sagte sie. „Das Schiff ist tot!“

„Nicht nur das Schiff“, stöhnte James. Die Verdunkelung der Cockpitfenster hatte sich zurückgezogen, und so sahen sie nun den felsigen Boden dieses Planetenbereichs auf den Cerubin zurasen. (In Wirklichkeit war es genau umgekehrt.) „Auch wir sind tot“, sagte James. „Wir alle drei.“

Chris unterdrückte die Gefühle, die in ihm aufsteigen wollten. Er hatte keine Angst. Jedenfalls nicht um sich. Er hatte sich mit dem Tod abgefunden, sich mit ihm arrangiert, seit er seinen ersten Kampfeinsatz geflogen war. Trotzdem verspürte er Panik. Die furchtbare Gewissheit, dem Schicksal ausgeliefert zu sein. Nichts mehr tun zu können, um abzuwenden, was nun geschehen würde. Keine Kontrolle mehr zu haben, keinen Einfluss mehr ausüben zu können. Dem, was geschah, hilflos ausgeliefert zu sein.

Es ging nicht um ihn. Aber James Scalera war sein Freund. Sein Bester Freund. Und Avary ...

Sie war mehr, als sie für ihn sein durfte.

„Fertig machen für den Aufschlag“, sagte er so ruhig wie möglich.

„Es war mir eine Ehre, mit Ihnen dienen ...“, begann Jimmy.

„Hör bloß auf mit der Scheiße!“, unterbrach ihn Chris, „Halt lieber deine Eier fest!“

Im nächsten Moment berührte der untere Bereich des Cerubin den felsigen Grund ...

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?