Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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"Ich hoffe es, da du meine Eskorte darstellst. Allerdings wird man dich dort weitgehend ignorieren, dessen musst du dir bewusst sein, und du solltest gar nicht erst versuchen, einem der Zwerge ein Gespräch aufzuzwingen. Damit würdest du nur seinen Zorn heraufbeschwören."

"Und was ist mit den Legenden über die Drachen?", wollte Pollus wissen. "Stimmt es wirklich, dass die Zwerge einige Drachen gezähmt haben und auf ihnen fliegen?"

Abwehrend hob der Magier die Hände. "Für heute reicht es erst einmal", sagte er und gähnte. "Wir können morgen weiter darüber sprechen. Es ist bereits spät, und wir sollten endlich schlafen."

"Aber ..."

"Kein aber jetzt mehr", fiel Maziroc ihm ins Wort, weil er wusste, dass die Neugier des Soldaten unbegrenzt war, und jeder Frage eine weitere folgen würde, solange man ihn gewähren ließ. Er stand von dem Baumstamm auf, griff nach seinen Decken und legte sich dicht neben dem Feuer nieder. "Schlaf jetzt. Morgen ist auch noch ein Tag, und er wird bestimmt nicht weniger anstrengend als der heutige werden. Vielleicht erreichen wir morgen sogar schon Ravenhorst."

*


Mit beinahe jedem Meter, den sie weiter vordrangen, wurde der Boden unter den Hufen ihrer Pferde morastiger. Nicht mehr lange, dann würden sie absitzen und die Tiere am Zügel führen müssen, wollten sie nicht Gefahr laufen, in ein Sumpfloch zu geraten und darin zu versinken, das sie vom Sattel aus nicht hatten entdecken können. Kein Zweifel, sie hatten die berüchtigten Todessümpfe erreicht, die Heimat des Zwergenvolkes.

"Bist du ganz sicher, dass wir hier richtig sind?", erkundigte sich Pollus misstrauisch.

"So sicher, wie man sich nur sein kann", entgegnete Maziroc.

"Aber hier ist weit und breit keine Straße, nicht einmal ein Trampelpfad. Wie kannst du dich hier bloß zurechtfinden? Für mich sieht es so aus, als wäre hier schon seit Jahren niemand mehr vorbeigekommen, wenn es hier überhaupt jemals einen Weg gegeben hat."

"Was hast du erwartet?", fragte Maziroc belustigt. "Eine Prachtallee, die durch den Sumpf direkt nach Ravenhorst führt? Ich sagte ja schon, die Zwerge sind ein eigensinniges Volk, das die Abgeschiedenheit liebt. Gerade deshalb haben sie sich mitten in den Todessümpfen niedergelassen. Welchen besseren Schutz als diese unwirtliche und gefährliche Gegend kann es geben, um unwillkommene Besucher abzuschrecken? Nur Eingeweihte sollen den Weg zu ihnen finden."

"Hm", brummte der Soldat. Er wirkte nicht allzu überzeugt. Voller Misstrauen blickte er sich um und erschlug in einer fast schon zur Routine gewordenen Bewegung eine Mücke an seinem Hals. "Mir gefällt das alles hier nicht."

Gefallen, wiederholte Maziroc in Gedanken. Was diesen Punkt betraf, so konnte er Pollus durchaus zustimmen. Die Gegend war auch nach seinem Geschmack nicht gerade ein Paradies. Es gab zahlreiche Schlammtümpel, die zum Teil so trügerisch mit breithalmigem Schilfgras und schwimmenden Pflanzen bedeckt waren, dass sie kaum zu erkennen waren. Das Tageslicht schien nur gedämpft durch das dichte Blätterdach der dschungelartigen Bäume und hohen Farngewächse, sodass hier unten stets nur ein dämmeriges, irgendwie gespenstisch wirkendes Zwielicht herrschte. Moos und Schlingpflanzen hatten die meisten Bäume überwuchert und ließen sie stellenweise fast wie bizarre, fremdartige Gestalten aussehen; stumme Wächter, die sie durch ihre bloße Gegenwart zu ermahnen schienen, nicht weiterzugehen. Dazu passte auch der Bodennebel, der hier vielfach noch nistete und sich hartnäckig weigerte, sich aufzulösen. Die träge dahintreibenden Schwaden verstärkten den Eindruck des Unheimlichen noch.

Die Luft war feuchtwarm, so schwül und drückend, dass sie wie eine erstickende Decke über allem zu lasten schien und einem bei jeder Anstrengung den Schweiß auf die Stirn trieb. Auch die Fauna der Todessümpfe, die unter diesen klimatischen Bedingungen gedieh, war nicht unbedingt nach Mazirocs Geschmack. In erster Linie bestand sie aus Insekten. Ganze Schwärme blutsaugender Mücken tanzten umher, und immer wieder wurden die beiden Reiter gestochen. Aber auch die restliche Tierwelt war nicht gerade anheimelnd, sah man von einigen farbenfrohen Vögeln auf den Zweigen der Bäume ab. Es wimmelte nur so von Schlangen und verschiedenen echsenartigen Tieren, von denen Maziroc trotz seiner früheren Besuche hier die meisten Arten noch nie zuvor gesehen hatte und nicht einmal wusste, wie sie hießen. Es interessierte ihn auch nicht weiter.

Nein, dachte er. Auch ihm gefiel es hier nicht gerade. Aber schließlich waren sie ja auch nicht hier, um Urlaub zu machen.

"Ein bisschen Abgeschiedenheit mag ja ganz schön sein", sprach Pollus weiter. "Auch ich könnte nicht jeden Tag nur ausgelassenen Trubel um mich herum ertragen. Aber muss man deswegen denn gleich in die wahrscheinlich ungastlichste Gegend von ganz Arcana ziehen? Nein, nein, also für mich wäre das nichts. Diese Zwerge müssen ein ausgesprochen merkwürdiges Völkchen sein."

In dieser Art sprach er weiter, doch nach einiger Zeit hörte Maziroc gar nicht mehr zu. Die Worte waren auch nicht direkt an ihn gerichtet. Im Grunde führte Pollus nur Selbstgespräche, plapperte vor sich hin, um sich von seinem eigenen Unbehagen abzulenken. Da er darüber sogar vergaß, ihn mit weiteren Fragen zu bombardieren, war es dem Magier sogar ganz recht so.

Immer wieder glitten Mazirocs Gedanken zu Charalon, Eibon und seinen anderen ursprünglichen Begleitern. Er hatte gesehen, dass die Flucht vom Hof zahlreiche Opfer gekostet hatte, aber er hoffte auch, dass möglichst viele überlebt hatten, vor allem Charalon, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verband.

Hier, in den Todessümpfen, konnte man glauben, sich am Ende der Welt zu befinden, weit abgeschieden von allem anderen, als ob es einen nichts anginge, was in der übrigen Welt geschah. In Wahrheit jedoch interessierte es Maziroc brennend, auch wenn er zurzeit keine Möglichkeit besaß, etwas darüber zu erfahren.

Wahrscheinlich hatten bereits überall auf Arcana die Vorbereitungen für den Krieg begonnen. Es würde ein Krieg werden, der alles bisherige weit in den Schatten stellte, schlimmer, als ihn diese Welt je gesehen hatte. Arcana war in vielerlei Hinsicht eine gewalttätige Welt, auf der mancherorts allein das Recht des Stärkeren galt und ein Mann, der sein Schwert gut genug zu führen verstand, sich beinahe alle Freiheiten herausnehmen konnte. Eine Welt voller Wegelagerer und Räuberbanden, die sich zum Teil nun auch noch untereinander zu organisieren begannen, wie sich am Beispiel der Hornmänner zeigte. Eine Welt unterschiedlich bedeutender Reiche, an deren Spitze starke und schwache Herrscher standen, aber auch zahlloser kleiner Fürstentümer und Stadtstaaten, die von zum Teil tyrannischen Fürsten und Statthaltern regiert wurden, die voller Neid auf den Reichtum anderer blickten, sodass es immer wieder zu Kriegen kam.

Gemessen an dem, was nun bevorstand, waren dies jedoch alles nur kleine Scharmützel. Wirklich große Kriege hatte Arcana schon seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt, vielleicht seit Jahrtausenden, denn Maziroc hatte selbst in den ältesten Büchern und Folianten keine entsprechenden Aufzeichnungen finden können. Selbst der bedrohliche Konflikt zwischen den Elben und den Barbarenvölkern, der zu einem fürchterlichen Gemetzel hätte führen können, ehe Eibon ihn beigelegt hatte, hatte über die Jahrhunderte hinweg nur geschwelt und sich in Überfällen, Truppenbewegungen und dergleichen Drohgebärden mehr erschöpft, ohne dass es jemals zu auch nur einer einzigen wirklich großen Schlacht gekommen wäre.

Abgesehen also von den vereinzelten regionalen Scharmützeln, war Arcana im Grunde sogar eine recht friedliche Welt, was sicherlich nicht zuletzt dem auf Frieden, Ausgleich und Gerechtigkeit ausgerichteten Wirken des Magierordens zu verdanken war.

Jetzt aber sah alles anders aus. Die Damonen waren mehr oder weniger geistlose Ungeheuer, die von ihren Instinkten und einer offenbar schier unerschöpflichen Gier getrieben wurden. Mit ihnen konnte man sich nicht verständigen, wodurch jede Möglichkeit zu einer friedlichen Beilegung dieses Konflikts ausschied. Eventuell würde sich das ändern, wenn es jemandem gelang, mit den geheimnisvollen Wesen Kontakt aufzunehmen, von denen sie laut Kenran'Del befehligt wurden. Diese waren der eigentliche Feind, sie benutzten die Damonen nur als lebende Waffen.

Die Hoffnung darauf, sich mit ihnen friedlich einigen zu können, stufte Maziroc allerdings auch nicht besonders hoch ein. Kenran'Del hatte behauptet, sie hätten bereits zahlreiche andere Welten erobert. Der Magier wusste nicht, was für Welten dies waren, wo sie lagen und von welchen Wesen sie bewohnt waren, und er wusste auch nicht, woher Kenran'Del darüber Bescheid wusste. Ohne sich bewusst damit auseinanderzusetzen, hatte er bereits akzeptiert, dass der Fremde nicht nur über unglaubliche Waffen und Fähigkeiten verfügte, sondern auch über ein Wissen, das dem auf Arcana weit voraus war. Vielleicht stammte er von einer dieser anderen Welten, vielleicht war er aber auch tatsächlich ein Gesandter der Götter, wie die Legenden behaupteten.

Wenn die Unbekannten hinter den Damonen sich jedoch tatsächlich bereits ganze Welten unterworfen hatten, dann lag ihnen offenbar nichts an einer gewaltfreien Einigung, einem friedlichen Miteinander mit anderen Wesen, auf die sie trafen. Es spielte keine Rolle, aus welchen Gründen sie Krieg führten, ob aus Eroberungssucht, weil sie es auf Beute oder neuen Lebensraum abgesehen hatten, ob aus dem Willen, ihre Kräfte an immer neuen Gegnern zu erproben, einer einfach nur einer kriegerischen Veranlagung oder einem unbezähmbaren Hass auf andere Lebensformen heraus oder aus welchen Gründen sonst auch immer, es war gleichgültig. Man konnte niemanden, der unbedingt Krieg führen wollte, gegen dessen Willen zum Frieden zwingen, zumindest keinen Gegner, der zudem auch noch überlegen war.

 

Vermutlich waren die Damonen inzwischen bereits wieder ein gutes Stück nach Norden vorgerückt. Vom Tempo ihres Vormarsches und natürlich der Geschwindigkeit, mit der ein ausreichend großes Heer aufgestellt und zusammengezogen werden konnte, würde es abhängen, wo man sich ihnen zur Schlacht stellte. Vermutlich irgendwo in der Nähe von Brelonia. Sollten die Ungeheuer zu schnell vordringen, würden sich erst wieder die Vorberge des Largos-Gebirges zur Errichtung einer günstigen Verteidigung eignen. In diesem Falle würden Brelonia und mehrere andere große Städte geräumt werden müssen. Eine Schlacht in der Nähe des Largos-Gebirges hätte immerhin den Vorteil, dass man von der Hohen Festung aus alles koordinieren, dass man jederzeit genügend Nachschub an Nahrung, Kriegsmaterial und anderem an die Front liefern, und dass man die Verwundeten in Ai'Lith mit Sicherheit besser als in jedem provisorischen Feldlazarett versorgen könnte.

Maziroc verdrängte diese Gedanken. Es war müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Er wusste zu wenig von der Situation im Westen, um sich ein Bild der Lage machen zu können, und außerdem hatte er praktisch nichts damit zu tun. Seinem bisherigen Engagement in dieser Angelegenheit zufolge würde sich König Eibon Bel Churio vermutlich bereit erklären, das Oberkommando in diesem Feldzug zu übernehmen, und wenn nicht er, dann würde sich ein anderer fähiger Mann für diese Aufgabe finden lassen.

Wie Maziroc befürchtet hatte, wurde der Boden bald darauf so sumpfig, dass sie absteigen und die Pferde am Zügel führen mussten. Auch sie selbst versanken bis zu den Knöcheln im morastigen Erdreich. Wie mit gierigen Händen schien es nach ihnen zu greifen, sie zu packen und bei jedem Schritt nur widerwillig wieder freizugeben.

Auch die letzten Überreste normaler Vegetation verschwanden allmählich, wurden immer mehr von Sumpfpflanzen verdrängt. In der Erde bildeten sich Fäulnisgase, die in Blasen in den Tümpeln nach oben stiegen und dort blubbernd zerplatzten, wobei sie einen ekelerregenden Gestank freisetzten, der ihnen schier den Atem zu rauben drohte.

"Noch ein weiterer Grund, weshalb ich auf keinen Fall hier würde wohnen wollen", setzte Pollus seine Schimpfkanonade fort. "So einen Gestank kann doch niemand auf Dauer ertragen."

"Warte erst einmal ab, bis wir Ravenhorst erreichen", entgegnete Maziroc. "Dann wirst du ..."

Er kam nicht zum Aussprechen. Etwas raschelte in den Schilfgräsern neben ihnen, dann teilten sich die hohen, breitblättrigen Halme, und eine grün-braun gescheckte Sumpfkatze kam dazwischen hervorgeschossen. Aggressiv fauchend ließ das Tier seinen Blick zwischen den beiden Reisenden hin und her wandern. Gewöhnlich waren Sumpfkatzen eher feige und hielten sich von einem so großen Gegner fern, es sei denn, sie fühlten sich in die Enge gedrängt. Obwohl sie einem Menschen nicht einmal bis zu den Oberschenkeln reichten, konnten sie mit ihren scharfen Raubtierfängen verheerende Wunden reißen.

Einen kurzen Moment noch zögerte das Tier, dann sprang es vor, direkt auf Pollus zu. Um die Katze nicht zusätzlich zu provozieren, hatte er bislang darauf verzichtet, sein Schwert zu ziehen. Nun riss er es hervor und stach damit zu. Er rammte es direkt durch das weit aufgerissene Maul des Raubtiers bis tief in den Rachen. Durch ihren eigenen Schwung getrieben, spießte sich die Katze selbst noch weiter darauf auf, aber die Wucht des Angriffs ließ Pollus gleichzeitig mehrere Schritte zurücktaumeln. Der Boden unter seinen Füßen wurde abschüssig. Mit wild rudernden Armen versuchte der junge Soldat das Gleichgewicht zu halten, doch es gelang ihm nicht. Auch Maziroc, der hastig herbeisprang, nach ihm griff und ihn festzuhalten versuchte, war nicht schnell genug.

Pollus stürzte rücklings zu Boden, direkt in eines der Sumpflöcher. Die Wucht seines Falls und die hektischen Bewegungen, die er machte, ließen ihn augenblicklich tief in die zähflüssig schwappende Moorbrühe einsinken. Der Morast verschlang seinen Körper von den Schultern abwärts, und mit jedem Moment sank Pollus tiefer ein.

"Bleib ruhig, verdammt!", rief Maziroc ihm zu. "Du darfst dich nicht bewegen."

"Hol mich raus!", brüllte Pollus. In seiner Panik schlug er noch einen Moment lang wild um sich, hörte dann jedoch damit auf, als er merkte, dass er auf diese Art tatsächlich nur noch schneller einsank.

Maziroc blickte sich ein paar Sekunden suchend um, bis er eine seilähnliche Schlingpflanze entdeckte, die ihm lang und kräftig genug erschien, das Körpergewicht eines Menschen zu halten. Mit dem Schwert hieb er sie ab, dann warf er Pollus das eine Ende zu und band das andere am Sattelknauf seines Pferdes fest.

"Jetzt gut festhalten!", rief er und trieb das Tier mit einem kräftigen Klaps an. Gehorsam trottete es los. Mit beiden Händen klammerte sich Pollus an dem Gewächs fest. Stück für Stück wurde er zurück auf einigermaßen festes Land gezogen. Der Sumpf schmatzte, als gäbe er seine Beute nur widerwillig wieder frei, war jedoch nicht stark genug, sie zu halten.

Ermattet blieb Pollus liegen, schnappte keuchend nach Luft. Er war bis auf die Haut durchnässt, seine Kleidung voller Morast.

"Danke", stieß er hervor. Er griff nach seinem Schwert, an dem noch das Blut der Sumpfkatze klebte, wischte es ab und steckte es in die Scheide zurück. "Ohne dich wäre ..."

"Ohne ihn wärest du jämmerlich versunken", fiel ihm eine andere Stimme ins Wort. Vier Zwerge traten nur wenige Schritte entfernt aus einem Schilfdickicht. Es handelte sich um drei Männer und eine Frau, die braun-grüne Tarnkleidung trugen, ähnlich dem Fell der Sumpfkatze. Maziroc konnte sich nicht erinnern, einem von ihnen zuvor bereits einmal begegnet zu sein, doch er kannte auch nur wenige Zwerge. "Seid gegrüßt, Maziroc von Cavillon", sprach die Frau weiter und deutete eine Verbeugung an. "Mein Name ist Kari."

"Seid auch Ihr gegrüßt, Kari vom Volk der Zwerge. Wie lange beobachtet Ihr uns schon?", fragte Maziroc.

"Etwa eine halbe Stunde", antwortete die Zwergin. "Euer Kommen war nicht zu überhören."

"Wir hatten auch keinen Grund, uns heimlich anzuschleichen", sagte Maziroc verärgert. Er war zu sehr abgelenkt gewesen, um die Umgebung mit seinen magischen Sinnen abzutasten, sonst hätte er die Nähe der Zwerge vermutlich schon viel früher entdeckt. "Ihr hättet uns ruhig helfen können."

"Warum?" Kari zuckte die Achseln und warf Pollus einen verächtlichen Blick zu. "Er ist bloß ein Mensch. Wieso also hätten wir uns seinetwegen irgendwelche Umstände machen sollen?"

"Vielleicht gerade weil ..." begann Pollus zornig, doch mit einer knappen, aber energischen Geste brachte Maziroc ihn zum Verstummen.

"Streiten wir nicht", sagte er. "Pollus ist meine Eskorte und hat mich auf dem Weg hierher beschützt."

"Gerade schien es eher, als ob Ihr ihn wegen seiner Tolpatschigkeit schützen müsstet."

"Wie dem auch sei, wir sind zusammen gereist, und ich fühle mich für ihn ebenso verantwortlich, wie er für mich Verantwortung gezeigt habt." Maziroc räusperte sich. "Ich komme im Auftrag von Charalon, dem Oberhaupt unseres Ordens, und bringe eine wichtige Botschaft für Eure Könige, die für die Zukunft Eures Volkes lebenswichtig sein kann. Deshalb bitte ich Euch, uns auf möglichst schnellem Weg nach Ravenhorst zu bringen."

"Ihr seid uns jederzeit willkommen, Maziroc, und wenn Ihr es wünscht und der Grund für Euren Besuch wirklich so wichtig ist, werdet Ihr sicherlich auch umgehend eine Audienz bei unseren Königen erhalten. Dieser Mensch dort jedoch muss umkehren. Ihr wisst, dass wir keine Fremden in Ravenhorst dulden."

"Ich weiß, dass Ihr es nur ungern tut, aber ich weiß auch, dass es kein Gesetz, sondern nur eine Regel ist, von der Ihr auch durchaus bereit seid, in dringenden Fällen einmal abzuweichen", entgegnete Maziroc unbeirrt. "Auch als ich selbst vor vielen Jahren zum ersten Mal herkam, war ich nur ein Fremder."

"Das war etwas anderes", widersprach Kari. "Ihr wart damals schon ein äußerst angesehener Magier, und außerdem hattet Ihr einen der unseren bei Euch, der ohne Eure Hilfe gestorben wäre."

"Und diesmal habe ich einen Freund bei mir, ohne dessen Hilfe ich den Weg hierher vermutlich nicht lebend überstanden hätte." Maziroc verzog das Gesicht und machte eine unwillige Geste. "In Valens Namen, der Grund meines Kommens ist viel zu ernst, als dass wir es uns leisten können, Zeit mit solchem Unfug zu vergeuden. Ich verbürge mich dafür, dass Pollus die Stadt unverzüglich wieder verlässt, falls Eure Könige es wünschen sollten, und ich werde mit ihm gehen. Aber jetzt bringt uns endlich hin."

Kari zögerte noch ein paar Sekunden, dann nickte sie. "Also gut", erklärte sie, dann wandte sie sich zu Pollus um. "Dein Schwert!", verlangte sie herrisch. Mit einer Handbewegung bedeutete Maziroc dem Soldaten, der Aufforderung nachzukommen, woraufhin dieser sein Schwert zog und es der Zwergin gab, wenn auch nur widerstrebend und sichtlich ungern. Kari nickte zufrieden, betrachtete es einen Augenblick lang und schob es dann achtlos in ihren Gürtel. "Folgt mir", sagte sie.




Der Verrat


Zu ihrer Enttäuschung bekam Miranya den Drachen der Zwerge nicht einmal zu sehen, dabei wäre sie ohne zu zögern bereit gewesen, einen Arm oder ein beliebiges anderes Körperteil dafür zu opfern. Maziroc verabschiedete sich lediglich am nächsten Morgen von ihnen und ging dann mit Barkon fort. Nach knapp einer halben Stunde kehrte der Zwerg allein mit ernstem Gesicht zurück. Er teilte ihnen nur kurz angebunden mit, dass es mit dem Drachen keine Schwierigkeiten gegeben hätte und Maziroc nun zur Zitadelle Kenran'Dels unterwegs wäre, dann sonderte er sich demonstrativ ein paar Schritte von ihnen ab, um allein seinen Gedanken nachhängen zu können. Möglicherweise bedauerte er seinen in der vergangenen Nacht gefällten Entschluss bereits, zumindest machte ihm seine unter Umständen äußerst folgenschwere Entscheidung sichtlich zu schaffen.

Statt in direkter Richtung auf das östlich gelegene Therion zu zu reiten, wandten sie sich nach ihrem Aufbruch zunächst nach Südosten. Hier wurde die Landschaft flacher, und als das Hügelland von Skant nach zehn Tagen hinter ihnen lag, ließ nicht nur die grimmige Kälte nach, sondern es lag hier auch bedeutend weniger Schnee, sodass sie bequemer und schneller vorankamen.

Außerdem nahm hier auch die Gefahr, einer weiteren Patrouille der Hornmänner zu begegnen, immer mehr ab, je weiter sie sich von deren weiter nördlich gelegenen Clansburgen entfernten. Dies war allerdings eine Gefahr, die Miranya ohnehin nicht mehr allzu sehr fürchtete, seit sie sich in Begleitung der Zwerge befand. Selbst die Hornmänner würden es sich gründlich überlegen, eine zahlenmäßig so große Gruppe Zwergenkrieger anzugreifen, zumal die Aussicht auf nur geringe Beute in keinem Verhältnis zum Risiko und den zu erwartenden Verlusten an Kriegern stand.

Immer wieder glitten Miranyas Gedanken zu Maziroc. Auf dem Drachen hatte er sein Ziel, die geheimnisvolle Zitadelle im Ödland von Sharolan, wahrscheinlich bereits am gleichen Tag erreicht, an dem er aufgebrochen war, spätestens am darauffolgenden. Das verschaffte ihm einen enormen Zeitvorsprung gegenüber der ursprünglichen Planung. Insofern hatten der Schneesturm und der Überfall durch die Hornmänner sogar noch etwas Gutes bewirkt.

Dennoch war Miranya nicht gerade glücklich darüber. Zu gerne hätte sie diese Zitadelle persönlich gesehen. Zwar hatte Maziroc nur vage Andeutungen darüber gemacht, welche Wunder dort verborgen liegen und einer Entdeckung harren mochten, doch freilich war ihre Neugier dadurch erst recht geweckt worden. Dass sie diesen mysteriösen Ort nun gar nicht erst erreichen würde, erfüllte sie mit noch tieferem Bedauern, als bei dem Drachen, den sie auch nicht zu Gesicht bekommen hatte, denn schließlich hatte sie sich dieser Expedition hauptsächlich aus genau diesem Grund angeschlossen. Wegen dieser Denkweise war sie von Maziroc so scharf angefahren worden, sicherlich nicht zu Unrecht, doch in einem überzogenen Tonfall. Sicherlich zählte in erster Linie der Erfolg ihrer Reise, doch schließlich schloss das eine das andere in keiner Form aus.

 

Aber wenn sie schon nicht zur Zitadelle gelangte, dann würde sie zumindest deren Besitzer kennenlernen, diesen Kenran'Del, der kaum weniger mysteriös und interessant zu sein schien - vorausgesetzt, es gelang Maziroc, ihn aus seinem tausendjährigen Schlaf zu erwecken, und es kam nicht auch dabei noch etwas dazwischen. Womöglich gab es den magischen Schlaf in Wahrheit gar nicht, und Kenran'Del war schon seit einem Jahrtausend tot, doch darüber wollte sie erst gar nicht weiter nachdenken.

Die Zwerge erwiesen sich während der Reise als äußerst schweigsam. Mehrfach versuchte sie, Barkon in ein Gespräch zu verwickeln, und nachdem es ihr bei ihm nicht gelang, unternahm sie bei einigen der anderen Zwerge entsprechende Versuche, doch ihre sämtlichen Bemühungen blieben erfolglos. Sie waren ihr als Vingala gegenüber nicht ganz so verschlossen, wie sie es gegenüber einem normalen Menschen gewesen wären, im Grund waren sie sogar nicht einmal unfreundlich. Sie beantworteten ihre Fragen, zumindest die meisten, vermieden jedoch jedes darüber hinausgehende Wort, wodurch es gar nicht erst zu einem richtigen Gespräch kam.

Wollte sie die restliche Reise nicht schweigend und allein verbringen, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an Scruul oder den Gardesoldaten zu halten, einen älteren Veteranen, der ebenfalls ziemlich wortkarg war und sich als ausgesprochener Langeweiler entpuppte.

Scruul hingegen hatte nicht nur gegen häufigere Gespräche mit ihr nichts einzuwenden, er kam sogar von sich aus mehrfach auf sie zu. Er verstand es, charmant zu plaudern, spannend über irgendwelche Erlebnisse zu erzählen, interessierte sich für das, was sie zu sagen hatte, und wenn sie über ihre Erfahrungen mit Magie oder über sonst irgendwelche Themen diskutierten, hatte das, was er dazu beisteuerte, meistens Hand und Fuß.

Aber dennoch fühlte Miranya sich in seiner Nähe auch weiterhin meist unwohl und hielt es nie lange in seiner Gegenwart aus. Wie sie es schon von Anfang an gespürt hatte, hatte er etwas an sich, das sie abstieß. Dieser Eindruck änderte sich auch dadurch nicht, dass sie ihn besser kennenlernte. Sie konnte nicht sagen, was es war, doch manchmal jagte es ihr sogar eine eisige Gänsehaut über den Rücken.

Schon früh hatte sie die Erfahrung gemacht, dass es oftmals gar nichts mit Sympathie zu tun hatte, wie gut sie mit irgendjemandem auskam. Sie konnte Menschen durchaus sympathisch und interessant finden, fand jedoch dennoch keinen rechten Draht zu ihnen und wusste schon nach kurzer Zeit nicht mehr, worüber sie sich mit ihnen unterhalten sollte. Gerade bei Männern war ihr das schon mehrfach so ergangen, am stärksten, wenn sie sich zudem auch noch ein wenig in sie verliebt hatte.

Bei Scruul jedoch war es anders. Sie fand ihn als Person nicht unsympathisch und konnte sich darüber hinaus auch noch gut mit ihm unterhalten, aber dennoch löste seine Gegenwart nach kurzer Zeit etwas wie einen automatischen Fluchtimpuls bei ihr aus.

Auch weiterhin hatte sie den Eindruck, als wäre er einst mit etwas abgrundtief Finsterem in Kontakt gekommen, von dem etwas an ihm haften geblieben war und immer noch an ihm klebte. Möglicherweise hatte es nicht einmal etwas mit ihm selbst zu tun, doch wann immer Miranya mit ihm sprach und in seine Augen blickte, meinte sie, einen Widerhall dieser Finsternis zu spüren, der sie schaudern ließ.

Nachdem sie fünf Tage lang südlich der äußersten Ausläufer des Hügellandes entlang nach Osten geritten waren, wandten sie sich nach Nordosten und erreichten nach weiteren zwei Tagen gegen Abend schließlich Therion. Es war eine düstere Stadt, die Miranya auf Anhieb nicht sonderlich gefiel. Wie schutzsuchend schmiegte sie sich an die Flanken des wie ein mächtiger Schatten dahinter aufragenden Luyan Dhor, eine Festung aus grauem Bruchstein, und grau war ganz allgemein die vorherrschende Farbe.

Vor seinem Aufbruch, hatte Maziroc sie angewiesen, in der Stadt einen guten Bekannten von sich aufzusuchen, einen greisen Schriftgelehrten namens Neelis. Bei ihm erkundigten sie sich, ob auch der Magier Therion inzwischen erreicht hätte, was jedoch zumindest zu Miranyas Bedauern nicht der Fall war. Sollte Maziroc nicht noch im Laufe dieser Nacht eintreffen, würden sie die Reise am nächsten Tag in der gleichen wenig unterhaltsamen Zusammenstellung ihrer Gruppe fortsetzen. Noch aber war es nicht so weit.

Für die Nacht kehrten sie in einem Gasthof ein. Trotz ihres eher gegensätzlichen Verhaltens während der Reise hierher waren die Zwerge allgemein als lustiges und geselliges Volk bekannt, das - zumindest solange es unter sich war - einer Feier oder wenigstens einem gemütlichen Umtrunk nie abgeneigt war. Hier jedoch, unter all den vielen Menschen, von denen sie neugierig begafft wurden, fühlten sie sich sichtlich unwohl, weshalb sie sich fast sofort mit einem Vorrat an Wein und Bier in die ihnen zugeteilten Räume zurückzogen. Kurze Zeit später begab sich auch der Gardesoldat zur Ruhe.

Um nicht mit Scruul allein irgendwo sitzen zu müssen, gesellte Miranya sich zu einer Gruppe fahrender Händler, die lachend und trinkend an einem großen Tisch beisammen saßen. Zusammen mit ihr setzte sich auch der Magier zu ihnen, glücklicherweise jedoch ans entgegengesetzte Ende des Tisches.

Es fiel Miranya nicht schwer, mit den Händlern ins Gespräch zu kommen, auch wenn es sich nur um eine belanglose Plauderei handelte. Nachdem sie jedoch gerade dazu in den vergangenen Tagen kaum Gelegenheit gehabt hatte, war ihr das völlig recht. Sie genoss es, sich in Gesellschaft anderer Leute zu befinden, zu lachen und zu scherzen und die Strapazen der letzten Zeit für eine Weile zu vergessen. Auch trank sie mehrere Becher Wein und merkte, wie er ihre Gedanken allmählich auf wohlige Weise zu betäuben begann. Schließlich erreichte sie einen Punkt, ab dem sie sich selbst kaum noch an den Gesprächen beteiligte, sondern sich nur noch entspannt zurücklehnte, den anderen lauschte und alles an sich vorüberziehen ließ.

Es befanden sich nicht mehr allzu viele andere Leute in der Schankstube. Ein Mann, der allein an einem der Tische saß, erweckte vage ihre Aufmerksamkeit, weil er immer wieder in ihre Richtung herüber sah. Obwohl es in der Schankstube behaglich warm war, hatte er seinen Mantel anbehalten und sogar die Kapuze noch hochgeschlagen, sodass nur wenig von seinem Gesicht zu sehen war. Die spitze Nase, der schmale Mund und die beiden vorstehenden Schneidezähne verliehen ihm einen rattenhaften Zug. Sein Blick war stechend und unangenehm.

Anders als Miranya zunächst geglaubt hatte, starrte er jedoch nicht zu ihr herüber. Seine Aufmerksamkeit galt auch nicht den Händlern sondern Scruul. Obwohl der Magier sich möglichst gleichgültig gab, beobachtete sie, wie er im Gegenzug auch auf den Fremden reagierte, indem er ihm durch ein Augenzwinkern und unauffällige Gesten heimlich Zeichen gab.

Kurze Zeit später stand der Rattengesichtige auf und ging auf die Hintertür zu, die zur Latrine hinter dem Haus führte. Wie Miranya erwartet hatte, erhob sich kaum eine halbe Minute später auch Scruul und schlenderte ihm nach.

Sein Verhalten weckte ihr Misstrauen. Es war offensichtlich, dass er den Mann kannte. Hätte er ihn entsprechend begrüßt und einige Worte mit ihm gewechselt, wie man es mit einem alten Bekannten tat, den man durch Zufall wiedertraf, hätte sie sicherlich keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Seine Heimlichtuerei jedoch machte sie stutzig.