Buch lesen: «Internal Investigations», Seite 53

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V. Hinweisgebersysteme in öffentlich-rechtlichen Institutionen und Einrichtungen

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Für Angestellte in öffentlichen Einrichtungen und für Beamte sind bei der Abgabe von Hinweisen Verschwiegenheitspflichten zu beachten. Nach den beamtenrechtlichen Regelungen des Bundes und der Länder sind Verdachtsmeldungen auf Korruptionsfälle an die oberste Dienstbehörde und an Strafverfolgungsbehörden zulässig. Daneben gibt es, wie bereits erwähnt,[1] vereinzelt auch Melde- und Anzeigeverpflichtungen, die sich von arbeitsrechtlichen unterscheiden.

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Nachgeordnete Beamte sind grds. verpflichtet, die dienstlich getroffenen Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen und erlassene Richtlinien zu befolgen, haben aber eine Beratungspflicht und ein Remonstrationsrecht. Soweit in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen Hinweisgebersysteme eingerichtet werden, müssen hierzu auch eindeutige Regelungen getroffen werden.[2] Regelmäßig werden diese darauf hinauslaufen, zwischen Geheimhaltungsbedürfnissen und der Integrität der Verwaltung bzw. den insoweit gegebenen Strafverfolgungsinteressen eine Abwägung zu treffen.

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Generell kann gesagt werden, dass sich Regelungen für Hinweisgebersysteme in der Privatwirtschaft primär als Rechte und Ermächtigungen ausgestalten lassen, während man im staatlichen Sektor – insbesondere auf Behördenebene – auch an Mitteilungspflichten denken muss. Außerdem sind als Ausfluss des öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses spezielle beamtenrechtliche Regelungen zu beachten und einzubeziehen, z.B. Verschwiegenheitspflichten,[3] Remonstration, Beratungspflichten und Regelungen zur Einhaltung des Dienstwegs. Schließlich kann auch das Disziplinarrecht relevant sein, während man sich im privaten Bereich vor allem mit arbeitsrechtlichen Gegebenheiten auseinandersetzen muss.

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Besonderes Augenmerk verdient die zunehmende Absicht der staatlichen Strafverfolgungsbehörden, zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität auf Whistleblower zu setzen und regelrechte „Fangprämien“ auszuloben.[4] Im Zuge der Überlegungen zur Bekämpfung von Kapitalmarktverbrechen legte auch die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf vor, der u.a. vorsieht, dass die Mitgliedsstaaten finanzielle Anreize für Personen schaffen, die „besonders wichtige Informationen über mögliche Verstöße gegen die Verordnung bereitstellen.“ Konkret zielt die Verordnung zwar allein auf Verstöße im Bereich des Kapitalmarktrechts ab. Angesicht der Entwicklung in den Vereinigten Staaten, in denen seit längerem staatliche Prämien für Whistleblower gezahlt werden,[5] drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass dies nur der erste Schritt eines Prozesses sein dürfte, der die mühsam implementierten unternehmensinternen Compliance-Maßnahmen konterkariert.[6] Hier gilt es besonders, einen Wettlauf um offenbarungsbereite Hinweisgeber zu verhindern.

Anmerkungen

[1]

Siehe oben Rn. 9.

[2]

Für den Gesetzgeber ergeben sich Regelungsverpflichtungen und Maßnahmen zum Hinweisgeberschutz auch aus dem sechsten G20-Gipfel am 3./4.11.2011, der u.a. die Korruptionsbekämpfung zum Gegenstand hatte und die Ausarbeitung der OECD zum Hinweisgeberschutz begrüßte (s. Bericht der Bundesregierung v. 10.11.2011 zum G20-Gipfel).

[3]

Nach § 67 Abs. 2 S. 1 BBG sind Beamte von der Dienstverschwiegenheit befreit, wenn es um eine Korruptionsstraftat geht.

[4]

Eingehend zur Problematik Buchert CCZ 2013, 144.

[5]

Derartige Prämienzahlungen werden von staatlicher Seite durch die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden getätigt, die dem Hinweisgeber einen Teil des gegen das Unternehmen verhängten Bußgeldes zukommen lässt. Der Hinweisgeber partizipiert also unmittelbar an einer Bestrafung des Unternehmens, vgl. hierzu etwa Pant CCZ 2008, 69.

[6]

Buchert CCZ 2013, 144, 147 ff.

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 9. Kapitel Hinweisgebersysteme des Unternehmens › VI. Schutz von Hinweisgebern durch gesetzliche Regelungen

VI. Schutz von Hinweisgebern durch gesetzliche Regelungen

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Die beschriebenen Hinweisgebersysteme sind nicht zuletzt dadurch entstanden und in ihrer Entwicklung begünstigt worden, dass – anders als im anglo-amerikanischen Rechtskreis[1] – ein gesetzlicher Schutz von Hinweisgebern in Deutschland de facto nicht besteht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,[2] das die fristlose Kündigung einer Altenpflegerin nach öffentlicher Kritik an der Patientenversorgung für rechtswidrig erachtet und ihrer Meinungsfreiheit Vorrang vor der Sorge ihres Arbeitgebers vor einer Rufschädigung eingeräumt hat, müsste unseres Erachtens zwar zu einer Änderung der oben skizzierten arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung führen.[3] Notwendig erscheint jedoch auch eine gesetzliche Regelung[4] zum Schutz gutgläubiger Hinweisgeber.[5] Denn Hinweise auf Missstände in Unternehmen sind ein überaus wichtiges Element der Vermeidung und Korrektur von Fehlentwicklungen und Regelverstößen.

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Der Deutsche Bundestag hat über den Schutz von Hinweisgebern in Beschäftigungsverhältnissen schon wiederholt diskutiert,[6] ohne dass bislang eine Regelung umgesetzt worden ist.[7] Die Arbeitgeber haben regelmäßig den Standpunkt vertreten, dass das Maßregelungsverbot des § 612a BGB und interne Betriebsvereinbarungen einen hinreichenden Schutz von Hinweisgebern gewährleisten, weshalb es keinen Anlass zu gesetzlichen Änderungen gebe.[8] Die praktischen Erfahrungen sprechen aber eindeutig dafür, dem Schutzbedürfnis von Hinweisgebern in Beschäftigungsverhältnissen in angemessener Weise durch eine gesetzliche Regelung ergänzend zu § 612a BGB Rechnung zu tragen.

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Eine Regelung von unternehmens- oder behördeninternem Whistleblowing setzt voraus, dass zunächst definiert wird, welchen Gegenstand Hinweise haben dürfen. Dies erfordert eine nähere Eingrenzung des „Missstands“. Sodann müsste beschrieben werden, wie ein Hinweisgebersystem technisch betrieben und wie dabei die Datensicherheit gewährleistet werden soll. Dazu gehören Vorgaben zu Löschungsfristen und Regelungen zu Benachrichtigungspflichten. Da das BDSG den Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt beinhaltet, bedarf es eines solchen Erlaubnistatbestands i.S.d. § 4 Abs. 1 BDSG. Eine gesetzliche Regelung sollte schließlich sicherstellen, zu welchen Zwecken Daten verarbeitet und genutzt werden dürfen, bspw. zur Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten oder deren Aufklärung.

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Auch wenn es in naher Zukunft zu einer gesetzlichen Regelung des Hinweisgeberschutzes in Beschäftigungsverhältnissen kommen sollte, werden Hinweisgebersysteme nicht an Bedeutung verlieren. Denn viele Hinweisgeber werden lieber den Weg gehen, vom Unternehmen eingesetzte Ombudsmänner anzusprechen, weil dies auch ihren Beratungsbedarf abdeckt. Gleichzeitig dürfte der Trend anhalten, dass Unternehmen verstärkt Hinweisgebersysteme anbieten, um Hinweise „im Unternehmen zu halten“ und selbst darauf reagieren zu können. Denn es wächst – auch im Mittelstand – das Bewusstsein, dass es im ureigenen wirtschaftlichen Interesse liegt, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und sonstiger Verhaltensstandards sicherzustellen.[9] Schließlich kommen viele Hinweise von dritter Seite, also Personen außerhalb des betroffenen Unternehmens, für die es absehbar keine gesetzlichen Schutzmechanismen geben wird. Auch diese Hinweisgeber werden weiterhin Hinweisgebersysteme nutzen.

Anmerkungen

[1]

Siehe z.B. der Public Interest Disclosure Act (PIDA) in Großbritannien von 1998.

[2]

Urteil des EuGH v. 21.7.2011, z. 28274/08.

[3]

Allerdings besteht schon seit geraumer Zeit ein Spannungsverhältnis zwischen der Rechtsprechung des BAG einerseits und der des BVerfG andererseits, insbesondere hinsichtlich der Motive der anzeigenden Arbeitnehmer, siehe Urteil des BVerfG NZA 2001, 888.

[4]

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf kann auch aus Art. 9 des Zivilrechtsübereinkommens über Korruption des Europarats v. 4.11.1999 hergeleitet werden. Dieses wurde vom Gesetzgeber bislang nur in Form einer Änderung des § 37 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz umgesetzt.

[5]

Der Begriff „Hinweisgeber“ wird – synonym mit „Whistleblower“ – unterschiedlich gebraucht. Transparency International Deutschland e.V. spricht von „Beschäftigten, die aus uneigennützigen Motiven…“, die SPD-Fraktion in ihrem Gesetzentwurf BT-Drucks. 17/8567 v. 17.2.2012 von „Beschäftigten, die auf einen Missstand aufmerksam machen“ und im Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (www.gruener-gesetzentwurf.de) ist von „ein Arbeitnehmer“ … sowie … „Beamtinnen und Beamten“ die Rede.

[6]

Bereits 2008 gab es einen interministeriellen Entwurf zur Änderung von § 612a BGB mit dem Ziel, den Schutz von Hinweisgebern im Beschäftigungsverhältnis zu verbessern.

[7]

Ausführlich zu den aktuellen Entwürfen vgl. Mengel CCZ 2012, 146 ff.

[8]

So zuletzt in der Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 5.3.2012.

[9]

Stellungnahme des Deutschen Führungskräfteverbands ULA aus Anlass der Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 5.3.2012.

1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 9. Kapitel Hinweisgebersysteme des Unternehmens › VII. Umgang mit erlangten Hinweisen in Unternehmen

VII. Umgang mit erlangten Hinweisen in Unternehmen

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Hinweisgebersysteme haben zum Ziel, Hinweise auf einen Verdacht von Straftaten oder andere Unregelmäßigkeiten zu erlangen, die das Unternehmen schädigen. Wie aber müssen Unternehmen mit solchen Hinweisen umgehen? Im Weiteren sollen nicht die zum Teil sehr unterschiedlichen Verfahrensweisen, sondern die Anforderungen an die Praxis beschrieben werden.

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Ein solches Musterprocedere beginnt mit dem Eingang des Hinweises bei der zuständigen Stelle, gleich auf welchem Wege und woher er kommt. Unternehmen haben in unterschiedlicher Weise geregelt, wer für interne Untersuchungen federführend ist. Überwiegend sind es die Compliance-Abteilungen oder -Büros oder die Revisionsabteilungen und häufig werden nach Bedarf Rechtsabteilung, Sicherheit oder Personalabteilung eingeschaltet. Entscheidend ist zunächst, dass es eine hauptverantwortliche Stelle gibt, die personell die erforderliche Qualifikation hat. Hier sollten alle Hinweise erfasst und in eine Datenbank eingegeben werden. Insoweit kommt es auf die Vollständigkeit der Erfassung sowie die Prozess- und Revisionssicherheit an. Da sich eine Ermittlungseinheit sehr von der Revision unterscheidet,[1] sollte sie neu gebildet und mit Mitarbeitern unterschiedlicher Kompetenzen[2] besetzt werden. Wo sie organisatorisch am besten anzusiedeln ist, entscheidet sich auch nach der Größe des Unternehmens. Großunternehmen sind gut beraten, wenn sie eine eigene Compliance-Abteilung gründen, deren Leiter ein unmittelbares Vortragsrecht beim Vorstand hat. Die Ermittlungseinheit sollte dann auch in dieser Abteilung angesiedelt sein, weil ein fehlender Durchgriff des Compliance-Verantwortlichen auf die Ermittlungen fatal sein kann. Wird diese Verantwortung gesplittet, so kann das zwar den Vorteil größerer Objektivität haben. Es bedarf dann aber klarer Zuordnungskriterien für die Fallbearbeitung. Diese könnten so aussehen, dass Fälle der Wirtschaftskriminalität i.S.v. § 74c GVG von der Revision, übrige Fälle von der Konzernsicherheit oder vom HR-Bereich bearbeitet werden. Das Problem ist dann aber die Sicherstellung gleicher Ermittlungsverfahren und deren Qualität, was eine Definition von Mindestermittlungsstandards voraussetzt. Da dies in der Praxis nur selten gelingt, plädieren wir dafür, die Verantwortung in einer Hand zu lassen.

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In mittleren Unternehmen passen die Ermittlungen organisatorisch am ehesten zur Rechtsabteilung, weil jede Untersuchung auch ein juristischer Prozess ist. Außerdem sollte der Bereich „Internal Investigation“ kein revisionsfreier Raum sein. Wo andere Strukturen – meist historisch – gewachsen sind, bedarf es ergänzend zu dem zuvor Gesagten einer hohen Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft, um vorprogrammierte Defizite zu vermeiden.

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Nach der Erfassung des Hinweises und dem damit verbundenen Dokumentationsvorgang muss eine Bewertung und Einordnung erfolgen, die sich an § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG orientiert.[3]

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Hinweise, bei denen Verdachtsmomente auf eine Straftat nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG vorliegen, können ohne weiteres internen Ermittlern zugewiesen werden. Dies ist insbesondere auch der Fall, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte[4] zu bisher nicht bekannten Sachverhalten oder neue Ermittlungsansätze gibt. Bloße Vermutungen oder „Behauptungen ins Blaue hinein“ genügen nicht. Zur Vermeidung datenschutzrechtlicher Doppelverfolgung sollte auch geklärt sein, dass der Hinweis nicht bereits vorliegt bzw. mit dem bereits bekannten Sachverhalt zusammengeführt werden.

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Hinweise unterhalb der Schwelle des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG bedürfen regelmäßig der Verifizierung um die genannten Kriterien zu erfüllen. Gelingt diese, können daraus Fälle nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG werden oder aber ihre weitere Bearbeitung rechtfertigt sich nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG hinsichtlich Dritter oder nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG. Zu den nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG einzuordnenden Fällen gehören typischerweise Hinweise auf reine Richtlinien- oder Ordnungsverstöße, Prozessschwächen und allgemein gehaltene oder vage Hinweise. Oftmals werden solche Hinweise sinnvollerweise bei der Revision, der Personalabteilung oder der betroffenen Fachabteilung weiter bearbeitet. Ein Teil davon wird aber erkennbar unbrauchbar sein, so dass insoweit keine weiteren Prüfungen erfolgen müssen.

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Beides, die Entscheidung zu internen Ermittlungen wie auch zur Ablage, ohne dass Maßnahmen getroffen werden, sollte von verantwortlicher Seite, z.B. von dem Chief Compliance Officer, getroffen und dokumentiert werden. Die förmliche Entscheidung zu einem Untersuchungsmandat gewährleistet eine objektive Prüfung der Verhältnismäßigkeit entsprechend den Anforderungen des BDSG,[5] die förmliche Entscheidung, keine Ermittlungen durchzuführen, soll sicherstellen, dass „nichts unter den Teppich gekehrt wird.“

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Bei den internen Ermittlungen sind Ermittlungsgrundsätze zu beachten, wie sie auch für polizeiliche Ermittlungen gelten. Neben richtigem taktischem und handwerklich sauberem Vorgehen ist strategischer Weitblick gefragt. In der Qualität dieser Ermittlungsarbeit gibt es vielfach noch erhebliche Defizite, die nur durch qualifiziertes Personal und Weiterbildung beseitigt werden können. Zu einem professionellen Vorgehen bei Untersuchungen gehört auch, verbotene oder zweifelhafte Methoden zu unterlassen, die die Verwertbarkeit der Ermittlungsergebnisse gefährden oder zu einem Reputationsschaden führen könnten. Ein Recht auf rechtliches Gehör besteht z.B. auch während der Ermittlungsphase. Ermittlungseinheiten sei empfohlen, sich einen eigenen Verhaltenskodex aufzuerlegen und sich an den Vorschriften der StPO zu orientieren.[6]

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Ermittlungen sollten nach Vorlage eines Ermittlungsberichts ebenso durch eine förmliche Entscheidung abgeschlossen werden, wie sie in Gang gesetzt worden sind. Damit ist sicherzustellen, dass der Sachverhalt ausermittelt ist und dass anschließend neben der entsprechenden Managementebene die Fachabteilungen beteiligt werden, die arbeitsrechtliche, zivilrechtliche oder strafrechtliche Maßnahmen umzusetzen haben. Zu regeln ist auch, wer die Umsetzung der – regelmäßig auf Empfehlung der Compliance- oder Revisionsabteilung – getroffenen Maßnahmen kontrolliert.

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Zu dem Umgang mit Hinweisen gehört auch die Frage, wann Vorgesetzte eingebunden und Betroffene („Beschuldigte“) informiert werden. Nach unseren Erfahrungen sollten Vorgesetzte im Stadium der Ermittlungen grds. nicht eingebunden werden, weil sie in den Vorwurf involviert sein könnten, sich oft unreflektiert vor ihre Mitarbeiter stellen und die Ermittlungen nicht selten dadurch gefährden, dass sie Mitarbeiter eigenmächtig zur Rede stellen. Nach anderer Auffassung sollen Vorgesetzte unter dem Gesichtspunkt ihrer Verantwortung und ihres Wissens um Interna möglichst früh eingebunden werden. Dem kann man folgen – auch unter dem Gesichtspunkt der Transparenz und des Vertrauens in das System – wenn sichergestellt ist, dass bei ermittlungstaktischen Erfordernissen anders vorgegangen wird. Hier mag vor allem der konkrete Einzelfall über Regel und Ausnahme entscheiden.

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Bewährt hat sich auch, zu Unrecht in Verdacht geratenen Mitarbeitern Unterstützung bei einer notwendigen Rehabilitation anzubieten, da der persönliche Reputationsschaden bei nicht bestätigten Hinweisen im Einzelfall gravierend sein kann. Dies kann durch zusätzliche Kommunikation an den Vorgesetzten geschehen, mit dessen Hilfe über die wesentlichen Erkenntnisse z.B. in Meetings gesprochen werden kann. Mitarbeiter wissen über den „Flurfunk“ oder durchgeführte Befragungen ohnehin, dass und was untersucht wurde. Stellt sich der Vorgesetzte nach Abschluss (negativer) interner Untersuchungen vor den Betroffenen, ist dies für diesen, aber auch für alle anderen Mitarbeiter ein deutliches Signal der Solidarisierung. Diesem Rehabilitationsgesichtspunkt werden nach unseren Erfahrungen viele Unternehmen nicht oder nur unzureichend gerecht.

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Schließlich sind Regelungen zu treffen, nach welchen Zeitabläufen die in Folge von Hinweisen entstandenen Ermittlungsakten, Aufzeichnungen und Daten zu vernichten sind. Dies ist sozusagen die Kehrseite der Dokumentationspflichten. Hierbei muss differenziert werden. Bagatellsachverhalte dürfen nur kurz, Sachverhalte mit Verdacht auf Straftaten länger aufbewahrt werden. Angemessen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgend können folgende Aufbewahrungsfristen als Orientierung gelten:

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Hinweise ohne Verdacht auf Straftaten und Bagatellsachverhalte sollten nicht länger als ein Jahr aufbewahrt werden. Im Einzelfall kann eine sofortige Vernichtung angezeigt sein.

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In jedem Falle ist darauf zu achten, dass nach Fristablauf sowohl elektronische Daten als auch schriftliche Unterlagen vernichtet werden.

Die Aufbewahrungsdauer von Unterlagen bei einem Ombudsmann richtet sich nach den berufsständischen Regelungen und Empfehlungen und kann daher von den vorgenannten Fristen abweichen und ggf. länger sein.[8]

Anmerkungen

[1]

So auch Moosmayer/Bührer Interne Untersuchungen, S. 106.

[2]

Dazu gehören idealerweise Revisionsmitarbeiter, Wirtschaftsprüfer, Kriminalbeamte und Mitarbeiter aus der Sicherheit.

[3]

Instruktiv zu den datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen interner Untersuchungen, 12. Kapitel.

[4]

Insoweit ist auf § 152 Abs. 2 StPO zu verweisen.

[5]

Moosmayer/Gropp-Stadler/Wolfgramm Interne Untersuchungen, S. 17. Zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des § 32 BDSG deutlich BAG BB 2014, 179; siehe auch Wybitul/Pötters BB 2014, 437.

[6]

Eine Orientierung an den strafprozessualen Standards empfiehlt auch die BRAK, vgl. Thesen zum Unternehmensanwalt, These 3, Nr. 4.

[7]

Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), Rundschreiben der BaFin 11/2010 v. 15.12.2010.

[8]

Angesichts der strengen Anforderungen an die Darlegungslast in Haftungsfällen empfehlen sich für Anwälte Aufbewahrungsfristen für Handakten (§ 50 BRAO) von zehn Jahren. So auch Dahms NJW Spezial 2005, 93.

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3010 S. 17 Illustrationen
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9783811442757
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