Neues aus Neuschwabenland

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Neues aus

Neuschwabenland

Aus den Tagebüchern des Führers

(Adjutanten)


Edition Roter Drache

Es wird zu viel Mist publiziert, das muss man wirklich wissen.

Dr. Axel Stoll, promovierter Naturwissenschaftler

Aus: „Muss man wissen! – Ein Interview mit Dr. Axel Stoll“

Bartoschek/​Waschkau/​Waschkau, jmb-Verlag, Hannover, 2013

Hinweis des Verlags:

Um den Forscher und interessierten Laien einen unverfälschten Eindruck zu vermitteln, verzichtete der Verlag auf die Transkription des Tagebuchs und druckt hier die gewaltfrei getippten Originalseiten des Tagebuchs ab.


1. Auflage 20. April 2014

Copyright © 2014 by Edition Roter Drache

Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Haufeld 1, 07407 Remda-Teichel

edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org

Buchgestaltung: Edition Roter Drache

Titelbild & Umschlaggestaltung: Milan Retzlaff,

www.man-at-media.de

Die 14 Zeichnungen im Innenteil stammen von Ari Baker

© Neuschwabenland-Uniform: Atrimo – Gewänder mit Charakter

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

Die Printausgabe dieses Buches wurde auf rassenfreies Papier gedruckt. Herstellung des eBooks erfolgte in der Nudistenkolonie Neuschwabenland, Zeilenwert Abteilung Ost.

Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten. Gilt auch in Neuschwabenland.

ISBN 9783944180465

Inhalt

Cover

Titel

Zitat

Impressum

Einleitung

Tagebuch

Jänner

Feber

Lenzig

Ostermond

Maien

Brachet

Heuert

Ährenmond

Scheiding

Gilbhart

Nebelung

Julmond

Jänner

Feber

Epilog

Der Autor

Danksagung

Weitere Werke

Einleitung

Eigentlich war ein Bad Hair Day am Untergang des Deutschen Reiches schuld. Dabei hatte alles so gut angefangen. Maria Orsic, ein Medium auf der richtigen Wellenlänge, hatte sich 1919 mit ihrer Freundin Traute und dem damaligen Who-is-Who der okkulten Szene in einer abgelegenen Berghütte in Berchtesgaden getroffen, um dort die Alldeutsche Gesellschaft für Metaphysik zu gründen. Im Gegensatz zu den anderen Damen der Zeit, hatten Maria und Traute den Schnitt zur Kurzhaarfrisur nicht gewagt und schritten mit wogendem, extrem langem Haar durch die Alpen. Sie erzählten den älteren Logenherrn, die natürlich nur an ihren medialen Fähigkeiten interessiert waren, dass ihre langen Haare als Antennen fungierten und sie so Botschaften vom entfernten Stern Aldebaran empfangen könnten. Die Wesen dort seien sehr interessiert an der Erde, da ihre Sonne kurz vor der Explosion stünde und sie dringend eine neue Heimat bräuchten. Da es sich bei Heimat um eine Kernkompetenz der Deutschen handeln würde, wären sie die erste Wahl. Die verschworene Gemeinschaft wandte ein, dass man ihnen zwar spirituell nicht das Wasser reichen könnte, aber ihre Macht in der realen Welt begrenzt sei. Wie sollten ein paar Menschen, deren Hauptaufgabe darin bestand, lustige Hüte und komische Umhänge zu tragen, den Lauf der Welt verändern? Auch für dieses Problem hatten die Aliens eine Lösung, man würde ihnen einen „Führer“ übermitteln, den sie dann nach ihrem Willen steuern könnten. Im Ausgleich für die neue Heimat sollte Deutschland nie gekannte Technologien bekommen.

Als es nun zu dem schicksalhaften Tag kam, an dem der „Führer“ übermittelt werden sollte, erklärte Maria, dass der neue Messias ein bis dato unbekannter Österreicher sein sollte. Jahre später gab sie zu Protokoll, dass ihr Haar an diesem Tag extrem widerspenstig gewesen sei und es daher zu Interferenzen während des Channeling-Prozesses gekommen wäre. Die Aldeberaner stützten diese Behauptung ebenfalls. Sie hätten mehrfach „Nicht den Österreicher!“ übertragen und nicht „Nehmt den Österreicher.“

Leider machten sich die Aliens nach dieser Übertragung auf dem Weg zur Erde und die Damen und Herrn der Vril-Gesellschaft waren bis auf Weiteres auf sich gestellt, so dass dieser Fehler lange Zeit unentdeckt blieb.

Maria nahm Kontakt mit der Partei auf, in der der Österreicher aktiv war, um sie auf den richtigen Weg zu bringen. Wie die Leitfigur selber, war auch die Partei bis dato unbedeutend und eine von vielen kleinen Splitterparteien. Mit flammenden Reden, plötzlichen Eingebungen und der einen oder anderen Orgie, konnte sie die Anführer der Partei relativ schnell überzeugen, dass die Vril-Gesellschaft ihnen zur Macht verhelfen konnte. Im Hintergrund baute man eine zweite Führungsebene aus okkulten Gruppierungen auf, die die wahren Machthaber in Deutschland waren. 1938 brach eine Expedition in die Antarktis auf, um dort die neue Heimat für die Aldeberaner und ihre Verbündeten zu schaffen. Neuschwabenland nannte man dieses Fleckchen Erde, dass sich – ganz im Gegensatz zum Rest der Antarktis – durch viele eisfreie Seen auszeichnete und über einen Unterwasser-Zugang zum Wostoksee verfügte. Dieser See befand sich unter einer 4 Kilometer dicken Eisschicht, hatte sein eigenes, mitteleuropäisches Klima und eignete sich perfekt als uneinnehmbare Festung für die Aliens.

Nach einigen sehr erfolgreichen Jahren, wurde der Fehler im Plan immer deutlicher. Der „Führer“ verfolgte immer mehr seine eigenen Pläne und war kaum noch zu kontrollieren. Selbst mit okkulten Sexpraktiken konnte man ihn nicht locken, da er in einer zölibatären Verbindung mit einem Schäferhund lebte. Der Krieg brach über ganz Europa herein und man sah das eigene Werk schon in Trümmern.

Aber Maria gab ihren Traum nicht auf. Wenn sie den Krieg schon nicht direkt beenden konnte, so konnte sie doch dafür sorgen, dass er nicht zu lange dauern würde. Sie nutze den Größenwahn des Österreichers und ließ ihm über ihre Hintermänner immer neue Kriegsziele ins Ohr flüstern. Das deutsche Volk brauche Raum und der läge im Osten, im Westen, im Norden, in Afrika und … Bald war Deutschland an allen Fronten im Krieg. Mit Liebe zum Detail ersann sie völlig unsinnige strategische Fehler und schummelte sie dem „Führer“ als neuste Berichte seiner Generäle unter. Zeitgleich wurde in Neuschwabenland weiter gebaut und 1943 die Basis 211 fertiggestellt. Bald darauf landete die Aldebaran dort, winkten aber nur kurz und verschwanden dann in das innere Erde, die – zur Verblüffung aller – völlig hohl war und in ihrem Inneren ein Paradies für Aliens mit der richtigen Landkarte bereithielt. Damit ihre neue Heimat nicht zum Paradies für andere wurde, schlossen sie die Tür schnell wieder hinter sich und suchten sich ihre Gastarbeiter sehr genau aus – sehr zum Missfallen aller Beteiligten auf der anderen Seite. Aber die Aliens hielten auch ihr Wort und gaben dem geheimen Kommando die Baupläne für eine unbegrenzte Energiequelle und Flugscheiben. Mit diesem neuen Wissen ausgestattet machte man sich direkt ans Werk und erbaute die ersten Reichsflugscheiben des Models Haunebu. Kriegsentscheidend wurden diese Wunderwaffen dank strikter Order der Aldeberaner aber nie und man beschränkte sich darauf, hin und wieder Ausflüge zur Area 51 zu machen oder in abgelegenen Regionen Testflüge zu unternehmen.

 

Der Krieg in der alten Heimat endete bald und sehr zum Missfallen der Neuschwabenländer erreichten 1945 die U-Boote U530 und U977 mit der Führungsriege der Nazis die Basis 211. Mit an Bord waren auch der Führer und seine „Assistentin“ Eva Braun. Da man sich nicht offen gegen die Machthaber wehren konnte, wurden sie an Land gelassen. Man konnte aber aushandeln, dass für das Bodenpersonal kein Platz mehr auf der Basis war. Sie wurden nach Argentinien geschickt, wo schon viele alte Freunde auf sie warteten.

So verging Jahr um Jahr in der kleinen deutschen Kolonie am südlichsten Punkt der Erde. Neue Generationen wuchsen heran, geprägt vom Geist der Heimat und des wahren Deutschtums. Aber man war auch nicht völlig abgeschnitten von der restlichen Welt, wenn auch immer der Zeit etwas hinterher. Die Popkultur des 21. Jahrhunderts hielt auch hier irgendwann Einzug. Viele der Altnazis waren über die Jahre verstorben. Nur der Führer und die Damen der Vril-Gesellschaft leben noch. Letztere haben als die Vrilettes eine sehr erfolgreiche Karriere im Schlagergeschäft auf der Basis Neuschwabenland aufgebaut.

Auf einem der Versorgungsflüge des Reichflugscheiben-Geschwaders „Waschbär“, um VHS-Kassetten zurück zur Videothek in Nordkorea zu bringen, verlor der Adjutant des Kommandanten der Basis, Friedrich von Humpitz, seine Tagebuch in einem Starbucks, welches hiermit das erste Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden kann. Vieles mag dem Leser seltsam vorkommen, anderes wiederum sehr bekannt, denn auch auf Neuschwabenland blieb die Zeit nicht stehen – jedenfalls nicht in allen Belangen. Friedrich von Humpitz ist kein Mann vieler Worte. Seine niedergeschriebenen Eindrücke sind oft skizzenhaft und bestehen aus einzelnen Sätzen. Aber sie geben einen guten Einblick in das Leben auf Neuschwabenland. Auch dort leben Menschen und ihre Probleme, Sorgen sind überall gleich, auch auf einer kleinen Ufo-Basis voller Nazis.



HARTUNG 5013

nach atlantischer Zeitrechnung

Monatsbefehl: Weltherrschaft.

Schon wieder.

Neuschwabenland 1. 1. 5013

Endlich Feierabend und ich fühle mich deutlich unterbiert. Direkt zu Beginn des Jahres musste ich vor versammelter Mannschaft gestehen, dass unsere Mission, der alten Heimat ein Lebenszeichen von uns zu schicken, völlig gescheitert war. All die Jahre Arbeit waren umsonst. Dabei haben wir mit den modernsten Mitteln gearbeitet. Die politische Sprache des 21. Jahrhunderts ist der Terror, nur so hören einem die Politiker überhaupt noch zu. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mit lautstarken Reden und rollendem R noch Menschenmassen bewegen konnte. Wir sollten eine Terrorzelle in Deutschland aufbauen und so offensichtlich handeln lassen, dass der Verdacht direkt auf uns fallen würde. Wir wollten uns wieder ins Gespräch bringen. Wir hatten alles extrem gut vorbereitet. Ich hatte die dümmsten Mitläufer – Verzeihung – patriotischsten Kameraden aus dem Osten Deutschlands für uns gewonnen und sie mit Waffen versorgt. Diese sollten eigentlich nie zum Einsatz kommen, denn wir wollten ja nur Angst und Schrecken säen, niemanden verletzen. Wir haben sogar einen Anschlag auf ein Lokal gemacht, in dem regelmäßig ein Verfassungsschützer verkehrte. Aber nichts! Keine Reaktion. Die ganze Mission geriet völlig außer Kontrolle. Die Kameraden begannen tatsächlich Ausländer zu töten und der Verfassungsschutz suchte lieber in einem nicht vorhandenen kriminellen Milieu der Dönerbudenbesitzer. Warum sollten wir die Grundlage der deutschen Ernährungspyramide angreifen und damit die Arbeitskraft des Volkes schwächen? Das war diesen „Kameraden“ einfach nicht klar zu machen. Es ging um Aufmerksamkeit, mehr nicht. Sobald wir in Deutschland wieder an der Macht sind, werden wir diesen Verfassungsschutz abschaffen. Der ist wirklich zu gar nichts zu gebrauchen.

Neuschwabenland 2. 1. 5013

Habe heute zwei Stufen auf einmal auf der Treppe in den Keller genommen. Mir muss also niemand mehr etwas von einer Nahtoderfahrung erzählen.

Neuschwabenland 3. 1. 5013

Irgendwo auf der Welt zündet sich gerade jemand nach einer durchzechten Nacht seine letzte Zigarette verkehrt herum an. Ein Gedanke, der mich selbst in tiefster Traurigkeit erheitert.

Neuschwabenland 4. 1. 5013

Heute ist Happy Hour im Swinger Club „Lebensborn“. Frauen mit Eisprung zahlen die Hälfte. Die Geburtszahlen auf der Basis sind wieder dramatisch zurückgegangen.

Neuschwabenland 5. 1. 5013

Seit über 90 Jahren ist unsere Vril-Technologie nun im Einsatz. Seit 45 Jahren versorgen wir damit die ganze Station. Freie Energie und nur wir wissen davon. Der Rest der Welt versucht alternative Energiequellen zu finden, Wind, Wasser, sogar Sonne. Dabei ist die Sonne doch kalt. Das wissen auch nur die wenigsten. Die neuste Idee dieser „Wissenschaftler“ ist Fracking. Unter hohem Druck jagen sie eine hochtoxische Flüssigkeit in die Erde und hoffen, dass etwas Sinnvolles hochkommt. Ich hatte mal den Mund voller Kaffee und musste niesen. Das reicht mir als praktisches Beispiel für die katastrophalen Folgen dieser Technik.

Neuschwabenland 6. 1. 5013

Unzufriedenheit bei den Kameraden, dass das Thema des Bastelnachmittags schon wieder Dinosauriereier-Ausblasen und Bemalen mit Runenmotiven ist. Sie haben vielleicht recht. Abwechslung muss her. Für nächste Woche werde ich Pinguineier bestellen.

Neuschwabenland 7. 1. 5013

Wir konnten heute einen britischen Spion festnehmen, der sich als Forscher ausgegeben hat. Da alle Zellen belegt waren, habe ich ihn einfach auf einen Sitzsack im Besprechungszimmer gesetzt. Von dort ist auch noch nie jemand entkommen.

Neuschwabenland 8. 1. 5013

Es ist zu einem Unfall bei den Bauarbeiten in der Nudistenkolonie gekommen. Eines der Clubmitglieder hat die Klappe der Ladefläche des Lastwagen unachtsam zufallen lassen und sich dabei etwas eingeklemmt. Ab jetzt werde ich auf komplette Sicherheitskleidung bestehen. Nudisten hin oder her. Die Fruchtbarkeit für das Reich zu erhalten ist die oberste Pflicht eines Neuschwabenländers.

Neuschwabenland 9. 1. 5013

Wir haben heute neue Kameraden aus der alten Heimat bekommen. Nur wenn sie fest an unsere Ziele glauben, werden sie zu uns eingeladen und auf die Basis gebracht. Von ihren Akten her waren einige ganz aussichtsreiche Kandidaten darunter, aber als sie ankamen, entpuppten sie sich natürlich wieder als Fußvolk. Jemand mit Intelligenz würde diesen Unsinn auch nicht glauben. Wir befinden uns da in einem Teufelskreis.

Neuschwabenland 10. 1. 5013

Ich wurde überraschend zu einem Drogentest geladen, konnte aber fünf von sieben am Geschmack erkennen.

Neuschwabenland 11. 1. 5013

Konnte auch die zweite Nacht nicht schlafen. Neben den bekannten Nachteilen der Schlaflosigkeit habe ich aber auch einige Vorteile entdeckt. Zum Beispiel kann ich jetzt die Fax-Maschine verstehen und haben sie heute Abend mit Scrreeee Shooo-Weweweeee verabschiedet. Sie scheint ganz gerührt von dieser plötzlichen Nähe zu sein. Jetzt muss ich aber den Rasen vor dem Haus noch gründlich aussaugen.

Neuschwabenland 12. 1. 5013

Ich musste heute länger mit unserer Rechtsabteilung telefonieren. Nach dieser Unterhaltung weiß ich: Juristen reden wie Ärzte schreiben. Insgesamt sind diese Juristen auf der Basis merkwürdig. Man sollte glauben, sie hätten auf einer abgelegenen Basis in der Antarktis keine Aufgabe, aber auf eine wundersame Weise schaffen sie es, sich ganz mit sich selber zu beschäftigen und dabei auch noch den Rest des Stabes auf Trab zu halten. Mein Vater erzählte mir damals, dass die Juristen eher zufällig hier gelandet sind und mit die Letzten waren, die aus der alten Heimat flüchten konnten. Es handelte sich bei ihnen eher um die Unfähigen im System, denn die wirklich Guten in ihrem Fach wurden direkt nach dem Krieg wieder in den Staatsdienst aufgenommen oder machten Karriere in einer der Parteien. Das war natürlich niemandem aufgefallen, so gut waren sie.

Neuschwabenland 13. 1. 5013

Ich möchte mein gestriges Selbst, das meinte „Fünf Stunden Schlaf reichen völlig aus.“ heute des Hochverrats anklagen.

Neuschwabenland 14. 1. 5013

Die Nudistenkolonie macht mir Sorgen. Es wird immer häufiger von sexuellen Übergriffen durch Pinguine berichtet.

Neuschwabenland 14. 1. 5013

Bericht korrigiert: Übergriffe AUF Pinguine.

Neuschwabenland 15. 1. 5013

Ich habe heute auf die unangenehme Art lernen müssen, dass den Innenraum des Dienstwagen gründlich zu saugen eine Aneinanderreihung von sexuell aufreizenden Positionen ist. Die Unruhe in der Pinguin-Kolonie war deutlich spürbar.

Neuschwabenland 16. 1. 5013

Diana rief mich heute an, ich solle dringend in die Kantine kommen. Einer der Kameraden wurde tot am Tisch gefunden. Sie vermutet eine natürliche Todesursache, sofern man das in unserer Kantine sagen kann. Ich wollte aber keine vorschnellen Schlüsse ziehen und mir die Leiche lieber persönlich anschauen. Als ich eintraf, war die Bestatterin Paula bereits dabei die Maße zu nehmen. Obwohl es hier in der Antarktis völlig unpraktisch war, bestand die Alte weiterhin darauf, die gefallenen Soldaten zu begraben. Bisher war dies noch kein wirkliches Problem, aber sollte die Klimaerwärmung weiter so schnell fortschreiten, sehe ich in ein paar Jahren einige der Kameraden an uns vorbei schwimmen.

Ein Blick auf die Tageskarte unterstützte Dianas Theorie eines „natürlichen“ Todes. Die Fettdosis der Kässpätzle hätte auch den stärksten Elefanten mit hervorragenden Cholesterinwerten direkt in den Hades gestürzt. Aber sein Herz war förmlich in der Brust explodiert und hatte einen deutlich sichtbaren Krater hinterlassen. Fettspiegel hin oder her, selbst der Koch schafft das nicht. Ansonsten wäre diese Technik schon lange in unser Waffenarsenal aufgenommen worden. Wir haben einige Experimente in diese Richtung unternommen und die Erfolge waren auch nicht schlecht. Aber es dauert einfach zu lange. Trotz extrem fettiger Burger ist die USA immer noch einer der Global Player auf der Weltkarte.

Es muss sich um Mord handeln. Etwas, was es noch nie auf der Basis gegeben hat und auf das wir auch überhaupt nicht vorbereitet sind. Es gibt keine Kriminalpolizei und die einzige Aufgabe der Feldjäger besteht darin, die Soldaten nach einem Kameradschaftsabend zu ihren Kojen zu begleiten. Glücklicherweise habe ich genügend Kriminalfilme gesehen, um die Ermittlungen direkt aufnehmen zu können. Als Erstes habe ich die Leiche ins Kühlhaus bringen lassen, damit sie später untersucht werden kann. Dann begann ich, Beweise zu sichern. Leider war der Tatort schon ziemlich verwüstet. Der Tote war mehrfach bewegt worden, damit mehr Soldaten an dem Tisch Platz hatten und sie war mit Penissymbolen bemalt worden. Wirklich brauchbares Material konnte ich nicht finden. Aber der Täter kann nicht von der Basis entkommen. Es wird also nur eine Frage der Zeit sein, bis ich ihn dingfest machen werde. Durch meine intensiven Derrik-Studien weiß ich: Ich brauche ein Motiv, eine Tatwaffe und eine Leiche. Die Leiche habe ich, daran besteht kein Zweifel. Die Tatwaffe ist schon schwieriger. Was lässt ein Herz in der Brust explodieren? Das Motiv liegt allerdings noch viel tiefer im Dunkeln als die Tatwaffe. Wir sind doch glücklich hier! Warum so eine Störung des Friedens?

Neuschwabenland 17. 1. 5013

Es war ein regnerischer Tag, ich schlürfte kalten Kaffee, als diese Blondine in mein Büro kam. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen.

„Sie leiten die Ermittlungen?“

Ihre Stimme war sanft wie ein Seidentuch auf nackter Haut.

„Und wenn es so wäre?“, fragte ich ruhig, ohne den Blick von meinem Kaffee zu nehmen.

„Dann sind Sie der Nächste!“, rief sie und ich blickten in den kalten Lauf einer 38er.

„Lady! So beginnt man doch keine Unterhaltung“, sagte ich und nahm die Füße langsam vom Schreibtisch.

Sie schluchzte, setzte sich auf den einzig freien Stuhl in meinem Büro und brach weinend zusammen. Ich nahm ein Taschentuch aus meinem Jackett, prüfte kurz, ob es noch sauber war und reichte es ihr.

 

„Jetzt erzählen Sie mal in Ruhe.“

Ich ging zu ihr hinüber und legte ihr meine Hand auf die Schulter.

„Alle werden glauben, dass ich es war“, schluchzte sie unter Tränen, „Alle!“

„Dann hat er es bestimmt verdient.“

„Kurt war mein Verlobter!“ Wieder brach sie weinend zusammen.

„Lady, Sie schlafen sich jetzt erst einmal gründlich aus. Ihre Augenringe machen dem Führer Konkurrenz und Sie wissen: Konkurrenz mag er gar nicht. Dann kommen Sie wieder und wir werden das Ganze in Ruhe durchbesprechen.“

„Ja“, flüsterte sie und tupfte sich die Tränen mit meinem Taschentuch ab.

Ich verstehe einfach nicht, warum der Kommandant meinen Bericht zu den Ermittlungen abgelehnt hat. Ich habe ihn mit so viel Herzblut geschrieben und mich an alle großen Meister der Kriminaltechnik gehalten. Dashiell, Hammett, alle wären stolz auf mich. Mit der Dialogform hoffte ich, eine größere Eindringlichkeit meines Berichtes bei meinen Vorgesetzten zu erreichen. Es ist ja nicht so, dass ich gelogen hätte. Vielleicht die Realität etwas extrapoliert, denn wer wäre denn von der Dramatik der Realität beeindruckt gewesen. Die Verlobte von Kurt war es sicher nicht. Sie kam auch nicht zu mir, sondern wurde von mir per Rohrpost benachrichtigt. Zugegeben, das war nicht wirklich einfühlsam, aber ich heule immer so schnell mit und das kann ich mir in meiner Position nicht leisten. Laut ihren Kameradinnen hätte sie die Nachricht nur überflogen und dann achtlos in den Papierkorb geworfen. Wahrscheinlich zu viel für das zarte Herz eines deutschen Mädels.

Bisher weiß ich nur, dass das Opfer Kurt Bartel hieß und Mitglied der Dino-Reiter-Einheit war. Persönlich kannte ich ihn nicht, dazu ist die Basis zu groß und ich versuche, den direkten Kontakt mit diesen Viechern zu vermeiden. Also den Dinos, nicht den Nazis.

Neuschwabenland 18. 1. 2013

Beim gestrigen Heimatabend haben wir „Der Berg ruft!“ aufgeführt und dazu einen Reitsaurier als Geierwally kostümiert. Einige Kameraden mussten daraufhin mit kaltem Wasser übergossen werden, aber der Abend war ein voller Erfolg und die Pinguine fühlten sich sicher. Für die nächste Aufführung werde ich etwas mit weniger sexueller Konnotation planen.

Neuschwabenland 19. 1. 2013

Ich weiß, ich sehe mit dem Sombrero und der Ernie-Maske dämlich aus, aber ansonsten braucht der masturbierende Schatten am Bürofenster immer so lang. Ich vermute, dass es sich dabei um den Hausmeister handelt.

Neuschwabenland 20. 1. 2013

Heute einen Termin mit Paula, unserer Bestatterin, gehabt. Ich mag sie irgendwie. Die meisten Kameraden halten Abstand von ihr, aber zwischen uns hat sich so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Daran ist ihr lauten Warnruf für mich im Ufo-Hangar nicht ganz unschuldig. Sonst wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes unter die Kufen gekommen. Ich habe sie später gefragt, warum sie das gemacht hat. Insbesondere weil ihr doch immer so langweilig ist und sie ohne diesen Warnruf wieder etwas zu tun bekommen hätte. Sie hat damals nur mit „Später“ geantwortet und in ihr Notizbuch geschaut. Überhaupt scheint ihr dieses Buch sehr wichtig zu sein. Ich konnte mal einen Blick über ihre Schulter werfen und habe darin nur Termine gesehen. Sie muss sehr beschäftigt sein, denn sie trifft insbesondere die Kameraden, die kurz vor der Rente stehen, gerne. Eine treue Seele, die weiß, dass auch alte Menschen gerne menschlichen Kontakt haben. Wobei mir gerade einfällt, dass ich noch nie Abrechnungen zu Kameraden in Rente auf meinem Schreibtisch gesehen habe. Ich sollte diesen Posten mal prüfen.

Neuschwabenland 21. 1. 5013

Mein Kamerad, mit dem ich mir das Büro teile, hat schon wieder einen Zahn verloren. Wenn das nicht aufhört, muss ich mit dem Ausholen des 18er Eisen doch vorsichtiger werden.

Neuschwabenland 22. 1. 5013

Heute war wieder so ein Tag, an dem ich meine Existenz auf dieser Basis verflucht habe. An solchen Tagen hilft mir immer ein Gedanke: Ich stelle mir vor, wie viele gebildete Menschen, die studiert haben, darin gefangen sind, die Blümchen auf dem Klopapier zu entwerfen.

Neuschwabenland 23. 1. 5013

In meiner Freizeit arbeite ich immer noch an meinem Roman. Endzeit Eskimo Erotika wird das nächste große Ding werden. Da bin ich mir sicher. „Iglu der eisigen Ekstase“, alleine der Titel verspricht schon ein Bestseller zu werden. Der zweite Band wird „Nuklearer Winter der Leidenschaft“ heißen.

Neuschwabenland 24. 1. 5013

Ich würde eine Karriere als Nacktflitzer in Erwägung ziehen, bin mir aber noch unsicher, wie ich mich im Fahrstuhl verhalten muss.

Neuschwabenland 25. 1. 5013

Endlich Freitag. Ich werde mich am Wochenende für diese stressige Woche belohnen. Canapés, vielleicht ein Pudding oder im Peyoterausch nackt auf einer Seerobe reitend die Forscher auf der Station erschrecken. Nichts Wildes also.

Neuschwabenland 26. 1. 5013

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich das erste Mal diesen Raum betreten habe als junger Fähnrich, der gerade die Schule verlassen hatte. Von hier wird die ganze Basis regiert und die Übernahme der Welt vorbereitet. Der Raum war damals funktional eingerichtet, mit guter deutscher Handwerkskunst. Jetzt, wo ich den Platz habe, hat der alte Schreibtisch IKEA-Möbeln Platz gemacht und jedes Mal, wenn ich in das Büro komme, riecht es nach etwas Verstorbenem – und es sind nicht nur meine Träume. Der Geruch ist durchdringender. Aber ich habe schon alles abgesucht.

Neuschwabenland 27. 1. 5013

Blauen Fleck entdeckt. Keine Ahnung, wo er herkommt. Ich rufe mal besser den Barkeeper im Kasino an.

Neuschwabenland 28. 1. 5013

Basierend auf dem Händedruck mancher Kameraden sind sie von Seerobben aufgezogen worden.

Neuschwabenland 29. 1. 5013

Wir haben einen Notstand. Keine Streichhölzer mehr und die nächste Lieferung aus Nordkorea steht erst für übermorgen an. Herzzerreißende Szenen spielten sich heute hier ab. Ich konnte sehen, wie der Hausmeister sein letztes Streichholz für den alten Wachmann opferte. Also für seine Zigarette, nicht für ihn. Aus diesen Zeiten sind wir glücklicherweise lange raus. Ein Windzug löschte den Funken und beide waren ohne Hoffnung.

Neuschwabenland 31. 1. 5013

Ich würde mein Bett ja verlassen und rausgehen, wenn das Leben da nicht die ganzen Probleme versteckt hätte.

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