Liebesgrüße aus Neuschwabenland

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Liebesgrüße aus Neuschwabenland
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Ich würde nie jemandem zu Drogen, Alkohol, Gewalt oder Wahnsinn raten, aber für mich hat es immer funktioniert.

Hunter S. Thompson zu seinem Besuch in Neuschwabenland

Alex Jahnke

Liebesgrüße aus

Neuschwabenland

Die geheimen Akten des Führers

(Adjutanten) geleakt!


Edition Roter Drache

Hinweis des Verlags:

Um den Forscher und interessierten Laien einen unverfälschten Eindruck zu vermitteln, verzichtete der Verlag auf die Transkription des Tagebuchs und druckt hier die gewaltfrei getippten Originalseiten des Tagebuchs ab.

1. Auflage 20. April 2016

Copyright © 2016 by Edition Roter Drache

Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Haufeld 1,

07407 Remda-Teichel

edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org

Buchgestaltung: Eny Tabea Menzel

Titelbild: Sabine Klotzsche

Umschlaggestaltung und Tagebuch S. 11: Milan Retzlaff,

www.man-at-media.de

Die 12 Zeichnungen im Innenteil stammen von Alina Pfannmüller

Lektorat: Anne-Cathrin Rost

Gesamtherstellung: Jelgavas Tipografia

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten. Gilt auch in Neuschwabenland.

ISBN 978-3-964260-06-2

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Hinweis des Verlags

Einleitung

Die Whistle Blower

Verschlüsselte Nachricht an den MI6

Jänner

Feber

Lenzing

Ostermond

Maien

Brachet

Heuert

Ährenmond

Scheiding

Gilbhart

Nebelung

Julmond

Epilog

Danksagung

Der Autor

Einleitung

Die Ereignisse nach dem Verlust des Tagebuches (siehe: Neues aus Neuschwabenland) waren für dessen Besitzer, Friedrich von Humpitz, mehr als unangenehm. Neuschwabenland wurde aus der Dunkelheit der Verschwörungstheorien ans Licht gezerrt. Erboste Depeschen der Mitbewerber um die Weltherrschaft stapelten sich auf dem Schreibtisch des Adjutanten: Echsenmenschen, Chem-Trail-Hersteller, Illuminaten sowie Großen Alte kritisierten vehement die Unvorsichtigkeit der neuschwabenländischen Führung.

Besonders eindringlich warnte ein Müslihersteller aus dem Schwarzwald, dessen Methode der Gehirnwäsche durch Radiowerbung selbst unter den härtesten Soldaten Neuschwabenlands gefürchtet war, vor den langfristigen Folgen dieses Datenlecks. (Die beigefügte Probepackung der neuen Sorte „Luis Trenker Führer Müsli von Saitenkracher“ stieß allerdings auf Zustimmung innerhalb der Truppe.)

Von Humpitz musste aufgrund der Ereignisse mehrfach zu einer „Nachbesprechung“ des internen Sicherheitsdienstes Neuschwabenlands – eine Erfahrung, die er nicht wiederholen möchte. Die Stromschläge hatten seine Gesichtshaut wieder straff und rosig gemacht, aber er konnte sich mehrere Wochen lang keiner Türklinke nähern, ohne Funken zu sprühen.

Da die Menschheit jedoch in einer Welt lebt, in der auch der Inhalt eines Döners für 1,50 EUR nicht hinterfragt wird, wuchs schnell Gras über die Sache, sodass die Basis in der Antarktis wieder ihrer eigentlichen Aufgabe nachgehen konnte:

Die Weltherrschaft zu erlangen und die alte Heimat zu befreien. Irgendwann.

Neuschwabenland in aller Kürze

Dem Leser, der mit dem Mythos Neuschwabenland nicht vertraut ist, sei diese kleine Beschreibung mit auf dem Weg gegeben.

Bei der Polarexpedition „Neuschwabenland“ im Jahre 1938 wurde ein Teil der Antarktis von Deutschland in Besitz genommen. In den folgenden Jahren entstand aus dem weißen Fleck auf der Landkarte eine Basis des Deutschen Reichs. Zeitgleich nahmen Außerirdische des Planeten Aldebaran mit der deutschen Führung Kontakt auf und baten um ihre Hilfe. Im Austausch gegen eine Zuflucht im Inneren der Erde sollte das Deutsche Reich fortschrittliche Technologie erhalten – darunter eine unerschöpfliche Energiequelle namens Vril und UFOs, die später den Namen „Reichsflugscheiben“ erhalten sollten. Auf der anderen Seite der Erde war das Deutsche Reich weniger erfolgreich. Deutschland verlor den Zweiten Weltkrieg. Einigen Nazis gelang (zusammen mit dem Führer) in U-Booten die Flucht auf die Basis in der Antarktis, wo sie bis heute leben. Dort warten sie auf den richtigen Moment, um das 4. Reich mit Hilfe ihrer Reichsflugscheiben einzuläuten.

Zur Verblüffung der Neuschwabenländer stellte sich heraus, dass die Erde tatsächlich hohl war und für diese Aliens ein Paradies darstellte: Der Zugang in die neue Heimat befand sich unter dem neuerrichteten Stützpunkt.

Bei der Ankunft der Aldebaraner auf der Erde trafen die Aliens auf die Flüchtlinge aus Deutschland. Die Besucher versprachen die „Guten Nazis, die sich nichts zu Schulden kommen lassen hatten“ mit in die neue Welt zu nehmen. Bis heute wird das Innere der Erde ausschließlich von Aliens bewohnt.

Die Jahre und Jahrzehnte vergingen auf dem kleinen Außenposten des Deutschen Reichs. Der Führer ist nur noch ein Schatten seiner selbst, eine leere Hülle, die von Alientechnologie am Leben gehalten wird. Einzig die Liebe zu seinem Schäferhund blieb erhalten. Da die echte Blondie relativ früh verstarb, wurde die Rolle fortan von Pinguinen in einem Hundekostüm übernommen.

Aus der alten Generation erwuchs eine neue und die Verbindung zur Heimat schlief langsam ein. Bald war Neuschwabenland nur noch ein Mythos, an den niemand mehr glaubte.

Die Whistle Blower

Auch den Pinguinen in Neuschwabenland blieb die Aufregung um die Tagebücher des Adjutanten nicht verborgen. Nach der Veröffentlichung des ersten Bandes erreichte zahlreiche Fanpost die wahren Helden der deutschen Kolonie. Die Absender sprachen ihnen Mut zu, sich weiter für die Sache der Pinguine einzusetzen. Ihr Einsatz würde Neuschwabenland erst zu dem machen, was es heute ist. Einige Pinguine wollten sich mit dem Leben am Rande der Bedeutungslosigkeit nicht mehr zufriedengeben und traten an den amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald heran. Sie versprachen ihm Akten aus den Archiven Neuschwabenlands, die er auf ähnliche Weise vermarkten sollte, wie die Leaks von Snowden. Greenwald lehnte allerdings ab, da er vertraglich auf Jahre an die CIA gebunden sei. Die Pinguine ließen sich von der Absage nicht abschrecken und suchten weiter nach einem mutigen Verleger, der die Brisanz dieser Unterlagen zu schätzen wusste. Sie fanden ihn in einem kleinen Verlag im rebellischen Thüringen, der die Akten und Tagebücher für eine nicht näher bezeichnete Summe kaufte.


—— Verschlüsselte Nachricht an den MI6 ——

Es war einfacher als gedacht. Sie kontrollieren die Pinguine auf der Basis nicht, da wir für die Menschen alle gleich aussehen. Verdammte Rassisten!

Mir ist gelungen, mich während des täglichen Wachwechsels in eine Gruppe Pinguine zu schmuggeln. Als Tarnung erzählte ich meinen Artgenossen, dass ich auf einer längeren Mission in Argentinien gewesen sei, um ein paar Alt-Nazis in ihren Heimen aufzuheitern. Das Programm „Senioren und Tiere“ ist hierzulande auch nicht unbekannt und die therapeutische Wirkung von Pinguinen auf der ganzen Welt anerkannt. Niemand kann uns böse sein, wenn wir niedlich davonwatscheln.

 

Setze Auftrag wie besprochen fort.

—— Verschlüsselte Nachricht an den MI6 ——



Jänner im Jahre 5014

neuer Atlantischer Zeitrechnung

Im Kino diesen Monat:

Frauleins in Uniform (1973)

Neuschwabenland, 1.1.5014

Es ist so etwas wie Ruhe auf der Basis eingekehrt. Ich kann endlich wieder meinen eigentlichen Aufgaben nachgehen. Letztendlich habe ich mich mit der Unachtsamkeit, mein Tagebuch im Starbucks zu vergessen, selber am meisten bestraft. Jeden Tag erreichten mich unzählige E-Mails und Briefe von aufrechten Deutschen (auch der Besitz eines deutschen Schäferhundes zählt als Ahnenpass) mit der Bitte um Asyl oder darum, die Welt endlich wieder auf den rechten Weg zu bringen. Leider ist die Intelligenz der Absender nicht ausreichend, um den ungewollten Humor im „Rechten Weg“ zu verstehen. Aber alles muss ordentlich abgeheftet und gegebenenfalls beantwortet werden, was nun meine traurige Aufgabe ist. Ich konnte noch nie gut „Nein“ sagen. Schon gar nicht, wenn ich merke, dass diese Menschen sonst nichts haben im Leben.

Besonders auffällig sind die vielen Anschreiben durch Mitglieder der AfD. So rückständig sind nicht einmal wir.

Deutsche Schutzgebiete im Ausland als Sammelstelle für Asylsuchende? Wissen die denn nicht, dass unsere koloniale Geschichte katastrophal war? Wir haben Helgoland gegen Sansibar getauscht! Freddy Mercury wäre sonst Deutscher! Und uns wären vielleicht Heino und Heintje erspart geblieben!

Stattdessen hatten wir August Engelhardt in der Südsee, der die Kokosnuss zum Heiligen Gral erklärte und mit „Nackter Kokovorismus ist der Wille Gottes“ die Unsterblichkeit verkündete.

Wer solche Ideen hat, kann nicht das schnellste Spermium gewesen sein, sondern hat den lebensfähigen Spermien nur im Weg gestanden. Bei einer Drängelei im Eileiter wurden sie dann unabsichtlich in die Eizelle geschubst. Anders kann ich mir die Existenz solcher Individuen nicht erklären.

Wenn es eine Alternative für Deutschland gibt, dann sind wir das. Und nur wir!

Persönliches Logbuch Tag 1, Colonel Bramsey

Tag 1 auf der Basis der Nazis. Diese Mission ist mehr als ein normaler Auftrag für mich. Es ist eine moralische Verpflichtung zur Befreiung meiner Art! Daher fühlte ich mich besonders geehrt, dass die Königin mich in die Antarktis entsandte. Eine gute Wahl, wie ich unbescheiden zugeben muss. Stamme ich doch aus einem der besten Häuser. Der Zoo von Edinburgh – meine Heimat – hat eine lange Pinguintradition. Er war der erste Zoo, der im Jahr 1919 Pinguine auf der Nordhalbkugel zeigte. Zudem liegt das Talent für schwierige Missionen in der Familie. Mein Bruder Sir Nils-Olaf dient unter der norwegischen Krone als Kommandant der Königsgarde. Da lag es nur nahe, einen ebenso begabten Diener der Krone für diese brisante Mission auszuwählen, den erfahrenen Agenten Bartholomew „Dippy“ Bramsey.

Ich werde die Aufgabe mit äußerster Vorsicht und Bedacht angehen. Noch weiß ich nicht, welche Gefahren vor mir liegen. Mit welcher Strategie kann ich meine geknechteten Brüder und Schwestern in die Freiheit zu führen?

Wie immer wird mir meine moralische Leitfrage den richtigen Weg weisen: „Was würde der HULK tun?“

Die Antwort auf diese Frage lässt mich schon jetzt still lächeln.

Neuschwabenland, 2.1.5014

Menschen, die ohne mit der Wimper zu zucken „Schournalisten“ sagen; sie sind die erste Welle der Roboter aus einer anderen Dimension. Man darf ihnen nicht trauen.

Neuschwabenland, 3.1.5014

Es ist immer noch nicht Freitag. Ich finde diese Entwicklung sehr bedrohlich.

Neuschwabenland, 4.1.5014

Mein Büro wurde heute renoviert. Die Handwerker hatten sich für 8 Uhr angekündigt. Pünktlich um 10 Uhr waren sie vor Ort. Ich beobachte dieses Phänomen schon länger, weiß aber noch nicht, wie ich es einordnen soll. Unpünktlichkeit ist für einen Deutschen schon rein genetisch ausgeschlossen. Eine Zeitmaschine wäre möglich, aber dann würde ein guter Germane gemütlich Frühstückspause bis 11 Uhr machen und trotzdem pünktlich vor Ort sein. Diese These ist nicht haltbar. Ich hatte kurzfristig über eine eigene Zeitzone für Handwerker nachgedacht, die um zwei Stunden versetzt zur Normzeit verläuft. Gegen diese Theorie spricht allerdings: Ab 16 Uhr haben die Handwerker die Normzeit wieder eingeholt und schließen sich dem allgemeinen Zeitgefühl des „Feierabend“ an. Man muss also von einer Anomalie im Zeit-Gefüge ausgehen. Die Zusteller der Paketdienste weisen eine ähnliche Diskrepanz im Zeitverlauf auf. Der Lieferdienst Herpes kündigt die Zustellung zwischen 10 und 12 Uhr an, um dann um 14 Uhr eine Karte zu hinterlassen, auf der steht: „Empfänger nicht angetroffen“. Obwohl man auf der anderen Seite der Tür sehnsüchtig auf das Paket gewartet hat! Da Betrügen bei Deutschen ebenfalls genetisch unmöglich ist, kann die Erklärung für Lieferdienste nur lauten: Sie biegen nicht nur die Zeit, sondern auch den Raum, sodass man bei der Lieferung nicht anwesend ist – förmlich aus seiner eigenen Wohnung in eine andere Dimension verbracht wird. Sehr beeindruckend.

Etwas Sorge macht mir der Gedanke, was passiert, wenn diese beiden Phänomene aufeinandertreffen. Ein Handwerker, der noch eine Lieferung mit Material über Herpes bekommt zum Beispiel. Wird dies der eigentliche Grund für die viel beschworene Apokalypse sein? Oder gleichen sich die beiden Phänomene aus, sodass der Handwerker samt Material pünktlich vor der Tür steht?

Trotz all dieser Überlegungen – die mir Kopfschmerzen bereitet haben – war es eine Freude, die fleißigen Handwerker bei der Arbeit zu sehen. Der Schreiner arbeitete mit einem Schraubenzieher in der Steckdose. Nur selten kann man natürliche Selektion in freier Wildbahn beobachten.

Neuschwabenland, 5.1.5014

In der modernen Welt ist alles miteinander vernetzt, sodass man Propaganda nicht mehr mühselig mit Werbeblättern und Wochenschauen unter das Volk bringen muss. Einfache Parolen eignen sich besonders gut für soziale Medien und wer – wenn nicht wir – hat darin seit Jahrzehnten Erfahrung? Nach dem Krieg endete unsere Arbeit nicht, sie fing erst an! Wir lieferten die Sätze, die eine ganze Generation prägten.

Wer erinnert sich nicht noch gerne an die Klassiker wie:

„Ich habe doch von nichts gewusst!“

Oder

„Ich war nur Mitläufer!“

Im 21. Jahrhundert liefern wir diese Sätze immer noch, wagen uns nun aber an grammatikalische Konstrukte mit Nebensätzen. Beliebt in den sozialen Netzwerken sind:

„Ich bin kein Nazi, aber …“

„Ich bin kein Rassist, aber …“

Unsere Propagandaabteilung hatte das richtige Gespür, dass einfache Sätze mit „Ich“ genau den Intellekt der Zielgruppe treffen würden.

Neuschwabenland, 6.1.5014

Damals, in den 80ern, brüllten wir bei den Stubenfeiern noch laut „You gotta fight for your right … TO PARTY!“

Heute denke ich mir bei einer Einladung zum Kameradschaftsabend: „Hoffentlich bleibe ich so lange wach.“

Neuschwabenland, 7.1.2015

Einladung zum 20-jährigen Klassentreffen der Wotan-Grundschule erhalten. Ich denke gerne an diese Zeit zurück – weniger an die Demütigungen durch meine Kameraden, sondern an die ruhigen Momente, wenn ich im Spind eingeschlossen wurde und stundenlang dort ausharren musste. Das vermisse ich heute sehr. Selbst kopfüber im Mülleimer zu stecken war besser, als zum x-ten Male auf dem Schulhof Frankreichfeldzug spielen zu müssen – man lief einfach nur ungehindert über ein freies Feld. Ein sehr sinnloses Spiel.

Letztendlich redet man sich Klassentreffen aber nur um der Nostalgie Willen schön. Die alten Schulkameraden sind andere Menschen geworden, denn:

Alle sieben Jahre erneuern sich menschliche Zellen.

Ergo: Nach sieben Jahren ist man ein völlig anderer Mensch.

Ergo: Klassentreffen sind sinnlos.

Die Absage geht morgen raus.

Persönliches Logbuch Tag 7, Colonel Bramsey

Langsam gewöhne ich mich auf der Basis ein. Das Leben hier ist anders, als unsere Informationen vermuten ließen. Man lebt in seiner eigenen Mythologie und Weltsicht, die aber weder mit der Historie, noch mit der Realität in Berührung kommt. In erster Linie verwalten die Neuschwabenländer sich selber und hoffen, dass der große Tag der Rückkehr kommen wird. Der „Alte“, wie der Führer hier genannt wird, lebt auf unerklärliche Weise immer noch. Er ist ein Untoter, der von einem Pinguin mit aufgesteckten Hundeohren begleitet wird. Nur zu besonderen Anlässen wird er aus seinem Quartier gelassen.

Bemitleidenswerte Gesellschaft – aber davon darf man sich nicht blenden lassen, es sind immer noch alles Nazis. Da gibt es keinen Zweifel.

Heute kam eine nordkoreanische Materiallieferung auf der Basis an, die meine Aufmerksamkeit erregte. Bei näherer Untersuchung meinerseits stellte sie sich als harmlos heraus. Es werden weder Waffen, noch geheime Dokumente gehandelt, sondern Videokassetten. Nordkorea hat aus den alten chinesischen Raubkopien ein einträgliches Geschäft mit dem Stützpunkt entwickelt und versorgt sich auf diese Weise mit Devisen, sowie dem einen oder anderen tanzenden Pinguin, um ihr Staatsballett aufzulockern.

Neben den Kameradschafts- und Heimatabenden sind Filme minderer Qualität die einzige Unterhaltung auf der Basis und werden sehr geschätzt.

Neuschwabenland, 8.1.5014

Ein kleines Update zu meinem Sportprogramm für 5014: Ich bin gerade beim Socken anziehen umgekippt.

Neuschwabenland, 9.1.5014

Gestern Abend habe ich, wie jede Woche, meine Großmutter in ihrem Heim „Germanischer Lebensabend“ besucht. Trotz ihres Alters ist sie immer noch sehr fit und leitet die Gruppe der Neuschwabendlandfrauen im Abwehrdienst. Diese fleißigen Kameradinnen häkeln Schoner für die FLAK-Geschütze der Basis oder schrubben in einem Wochenendeinsatz mal gründlich eine der Reichsflugscheiben. Gerade Letzteres ist extrem wichtig für die Moral der Truppe, denn was nützt die modernste Technik, wenn das Innere der Flugscheibe mehr einer sozialistischen Studentenkommune ähnelt, denn einem schwäbischen Treppenhaus?

Neben ihren Lieblingskeksen hatte ich meinen neuen Orden für besonders sauberes Abheften im Dienst mitgebracht und ihr diesen voller Stolz gezeigt. Ihre Antwort hat mich sehr berührt:

„Das ist aber schön geworden, mein Kleiner.“*

*(Oma-Sprache für: „Du bist ein völliger Versager, aber ich akzeptiere dich in meiner Familie.“)

Neuschwabenland, 10.1.5014

Der Kamerad, mit dem ich mir das Büro teile, hat einen Ordnungszwang. Wenn ein Bild nicht gerade hängt oder ein Ordner zu weit aus dem Regal ragt, bringt ihn das zur Weißglut.

Dinge, die ich daher gerne tue:

2) Listen umsortieren

1) Monitore verrücken

4) Nichts zu Ende bringen

3)

Neuschwabenland, 11.1.5014

Bei der monatlichen Untersuchung war der Mannschaftsarzt mit meiner Gesundheit sehr unzufrieden. Zum einen solle ich mich von Bier fernhalten und zum anderen müsse ich mich unbedingt weniger Stress aussetzen.

Jetzt habe ich ein weiteres Problem, das mich nicht schlafen lässt. Woher bekomme ich einen wirklich langen Strohhalm?

Neuschwabenland, 12.1.5014

Jahrzehnte sind vergangen, doch es gibt immer noch einige Dinge, welche die Politiker von heute in Deutschland von uns gelernt haben und mit viel Erfolg einsetzen.

Man sichert sich die eigene Stimmenbasis, in dem man die Bildung massiv unterfinanziert und schon hat man ein gesundes Wahlvolk über Generationen erschaffen, die genau tun, was sie gesagt bekommen.

Die Methode ist zeitlos.

Persönliches Logbuch Tag 12, Colonel Bramsey

Weiteres Einleben auf der Basis. Ich bin zum Wachdienst eingeteilt. In Realität bedeutet dies nicht, eine streng geschützte Militäranlage bewachen zu müssen, sondern mit einigen anderen Pinguinen auf einer Eisscholle die Küste entlang zu dümpeln und dabei kalte Füße zu bekommen. Aber ich lerne auf diese Weise die anderen Pinguine kennen. Jeder für sich ein aufrechter Kerl, der einfach nur helfen möchte. Die Bewohner von Neuschwabenland sind derart hilflos und in ihre Ideologie verbohrt, dass sie auf die Hilfe der Ureinwohner angewiesen sind. Als Entlohnung für ihre Hilfe erhalten die Pinguine frischen Fisch und Jägermeister: Nahrung und ein Mittel gegen die brennenden Kopfschmerzen, welche die Ideologie der Besetzer mitgebracht hat.

 

Bei einem dieser Wachdienste habe ich Manfred näher kennengelernt. Seine Familie lebt seit über 60 Jahren in der Kolonie, was Spuren hinterlassen hat. Statt seinen durchtrainierten Pinguinkörper mit Stolz in der Antarktis zu zeigen, neigt Manfred zu Bauchansatz und hat auf dem Kopf einiges an Federn gelassen. Nur ein kleiner Kranz zeugt noch von der früheren Federpracht. Manfred ist für das Gebäudemanagement auf der Basis verantwortlich. Ich erhoffe mir viel von ihm und werde diese Beziehung über die Zeit ausbauen. Das Empire muss an die Technik dieser fliegenden Scheiben kommen!

Neuschwabenland, 13.1.5014

Ich habe heute die Rede des Basisleiters für den kommenden Montag vorbereitet. Eine ritualisierte Veranstaltung, welche die Moral der Truppe erhalten soll. Aber nach so vielen Jahrzehnten in völliger Isolation von der Außenwelt ist es schwierig, immer wieder neue und mitreißende Themen zu finden. Im Gegensatz zu den montäglichen Redenschwingern in Dresden kann man auf der Basis mit altbekannter Rhetorik niemanden mehr begeistern – eher im Gegenteil. Die Reihen lichten sich schnell, wenn das Thema auf den Untergang des Abendlandes und die Gründe dafür kommt. Wir kennen das alle und wir wissen auch, wohin das geführt hat.

Daher orientiere ich mich an den modernen Rednern, zum Beispiel dem Regierungssprecher in der alten Heimat. Für die nächste Rede habe ich, Kommas an, merkwürdigen Stellen, eingebaut, damit der, Leiter sie liest wie, mein Vorbild. Ich bin, mir sicher, damit große, Erfolge feiern zu können.

Neuschwabenland, 14.1.5014

Manche Menschen sollten gesetzlich dazu verpflichtet werden, jeden ihrer Sätze mit „Ich habe keine Ahnung von dem Thema, aber …“ zu beginnen.

Neuschwabenland, 15.1.5014

Ich nehme an einem wissenschaftlichen Feldversuch teil, der untersuchen soll, ob die Arbeit im heimischen Quartier effektiver ist, als im Büro. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Besondere Aufmerksamkeit werden die Forscher dem Phänomen widmen, dass im „Home Office“ die Grenze zwischen „in Klamotten schlafen“ und „Schlafklamotten“ sehr fließend und kaum erkennbar ist.

Neuschwabenland, 16.1.5014

Man hat mir gerade ein Twix geschenkt. Ich werde jetzt die eine Hälfte essen und mir die andere Hälfte für in 30 Sekunden aufheben.

Die Willenskraft eines deutschen Mannes kennt keine Grenzen!

Neuschwabenland, 17.1.5014

Der Speiseplan unserer Kantine ist wie der Inhalt meines heimischen Kühlschrankes. Man kann ihn x-fach studieren und mehrfach darin nachsehen, aber es wird einfach nicht besser. Ein Kantinensalat bleibt, egal an welchem Ort, ein mehr oder weniger essbarer Schicksalsschlag.

Neuschwabenland, 18.1.5014

Die Welt macht täglich Fortschritte, aber seit langem fehlt die große Vision. Das Raumfahrtprogramm unserer Erzfeinde, der Amerikaner, war einmal so etwas. Da wollte eine Nation die Welt verändern und blickte nach vorne! Aber heute? Nichts ist davon übrig geblieben. Zwar flammt immer wieder ein wenig von dieser Begeisterung auf, aber nichts, was eine ganze Nation packen und sie in die Zukunft treiben könnte.

Man muss sich nur anschauen, wie Menschen gleichzeitig in einen Zug ein- und aussteigen wollen. Wer würde dann noch die Behauptung aufstellen, dass wir bereit sind, den Mars zu besiedeln?

Deswegen halten wir uns mit den Reichsflugscheiben auch zurück. Die Welt ist noch nicht für diese Technik bereit!

Neuschwabenland, 19.1.5014

Es ist gerade so, als wüssten Menschen mit fröhlich-singendem „Guten Morgen!“ nicht, wie viele Mordfälle ungelöst bleiben.

Persönliches Logbuch Tag 18, Colonel Bramsey

Die Freundschaft zu Manfred konnte ich vertiefen. Sein Vertrauen zu gewinnen war einfacher, als ich gedacht hatte. Für eine Packung Knabberflischlis wäre er zu fast allem bereit. Leider sind meine Vorräte dieses Snacks bereits verbraucht, nun ist Eigeninitiative gefragt.

Manfred hat mich auf eine interessante Beobachtung hingewiesen. Obwohl drei Pinguine zum Dienst im Staatsballett nach Nordkorea entsandt wurden, habe sich die Anzahl der Pinguine auf der Basis nur um zwei verringert. Für das ungeübte menschliche Auge sehen wir Pinguine alle gleich aus, daher ist der Besatzung dieser Fehler bisher nicht aufgefallen. Manfred hingegen verfügt über eine sehr detaillierte Beobachtungsgabe und hat in der Schlange bei der Essensverteilung den Unterschied aufgedeckt. Er konnte sich aber nicht erklären, wieso dennoch drei Rationen am Ende der Ausgabe übrig geblieben waren und nicht zwei.

Manfred mag ein guter Beobachter sein, aber seine Intelligenz kann man eher als intellektuell herausgefordert beschreiben. Wahrscheinlich hat er sich nur verzählt, welcher Pinguin würde schon freiwillig auf seine Heringe verzichten?

Weiterhin hat er mir von den Aufgaben der Pinguine im Blondie-Kostüm für den Alten erzählt. Die Details sind verstörend und würden die Bevölkerung verunsichern.

Jeden Tag lerne ich etwas Neues, was ich gar nicht wissen wollte.

Neuschwabenland, 20.1.5014

Ich habe einen neuen Mülleimer bekommen, der kleiner ist, als der Vorgänger.

Wie soll ich so den alten Eimer entsorgen?

Neuschwabenland, 21.1.5014

Viele Dinge des modernen Lebens haben nicht den Weg auf unsere Basis gefunden und wenn man mich fragen würde: völlig zu Recht!

Lebensmittelallergien zum Beispiel. Sicherlich, es gibt Unverträglichkeiten, das möchte ich gar nicht in Frage stellen. Aber gegen was diese verweichlichten Menschen mittlerweile alles allergisch sind? Milch, Eiweiß, Farbstoffe, Geschmacksverstärker … und natürlich Getreide … Ausgerechnet Getreide!

Seit fast 30.000 Jahren essen die Menschen Getreide in Form von Brot. 30.000 Jahre! Und auf einmal, im 21. Jahrhundert, stellt die Menschheit fest: „Hmm, nee … Lass mal, da wird mir unwohl von“?

War das bei den Steinzeitmenschen auch schon so? Hörte man da „Ugg! Lass mal bitte die Brotfladen weg, das Mammut liegt mir sonst so schwer im Magen!“

Wohl kaum! Wenn diese Entwicklung so weiter geht, werde ich in weniger als zehn Jahren eine Bank mit einem weißen Brötchen als Waffe überfallen können.

„Geld oder anaphylaktischer Schock!“

Neuschwabenland, 22.1.5014

Manchmal lege ich meinen Kopf auf die Waage im Kolonialwarenladen, wiege ihn als Mango und freue mich darüber, was ich als Sumachgewächs wert wäre.

(Deutlich mehr als mein monatlicher Sold.)

Neuschwabenland, 23.1.5014

Heute habe ich unschöne Post bekommen. Der Interessenverband der geheimen Weltherrscher (kurz: IGW) schrieb einen sehr erbosten Brief. Der Verlust meines Tagebuchs ist leider doch noch nicht ganz vergessen und man will uns einer Untersuchung unterziehen, ob wir weiter dem Interessenverband angehören können oder eine Gefahr für die Weltherrschaft(en) darstellen. Diese Typen sind unangenehm, sehr unangenehm. Besonders die Reptiloiden. Ihr ständiges Zwinkern mit den seitlichen Augenliedern macht mich ganz nervös. Aber auch die anderen Mitglieder sind nicht zu unterschätzen. Die Illuminaten sind trotz ihres Alters immer noch gut im Geschäft, wobei sie sehr von ihrem Ruhm zehren. Die Bilderberger hingegen sind hochprofessionell, aber es fehlt ihnen an überirdischer oder außerirdischer Unterstützung. Letztendlich sind es doch nur Politiker und Bänker, aber ihre gefährlichste Waffe – die langatmige Rede – ist gefürchtet. Dann sind da noch die vielen kleinen Splittergruppen; gefallene Engel, Dämonenbeschwörer, Aliens aus dem galaktischen Rat. Jeder ist auf seine Weise dazu berufen, über die Welt zu herrschen und dies mit allem Nachdruck durchsetzen zu wollen.

Letztendlich sind natürlich auch wir in der IGW organisiert, nicht weil wir die Ansprüche der anderen anerkennen, sondern um sie im Auge zu behalten.

Normalerweise gibt sich der IGW bei Verfehlungen mit einem Warnbrief zufrieden, aber in diesem Fall wollen sie einen Beauftragten entsenden, der sich die Basis und die Vorgänge gründlich anschaut. Ich kann nur hoffen, dass dieser Besuch nicht zu unseren außerirdischen Verbündeten im Inneren der Erde durchsickert.

Der Kontrolleur soll schon nächste Woche bei uns eintreffen.

Neuschwabenland, 24.1.5014

Seit Tagen suche ich einige Akten. Sie scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Ich bin sicherlich nicht der ordentlichste Mensch, aber Akten sind meine Leidenschaft. Mir bleibt auch sonst wenig sexuelle Freude, da Sigrid mein Werben immer noch nicht erhört hat. Aber ich gebe nicht auf! Weder darin, die Akten wiederzufinden, noch, eines Tages den Weg zu Sigrids Herzen zu finden. Die nächste Gelegenheit steht bald vor der Tür. Der Nudistenclub Neuschwabenlands feiert seinen Jahrestag mit einem großen Maskenball.

Ich habe nur einen großen Wunsch vor meinem Tode:

Einmal die Lippen Sigrids mit den meinen zu berühren …

Das und einmal auf der Flucht vor etwas durch die Küche eines italienischen Restaurants zu laufen und en passant die Sauce probieren.

Gut, ich habe zwei große Wünsche vor meinem Tode.

Neuschwabenland, 25.1.5014

Kamerad Hechler stand heute immer noch unter dem Einfluss des gestrigen Films „2069 – Eine Sex-Odyssee“. Ich gebe zu, es handelte sich bei diesem Film nicht um eine Perle aus den UFA-Studios, aber das ist noch lange kein Grund, den ganzen Tag über „so pervers“ zu murmeln und den Kopf zu schütteln.

Morgen werde ich Hechler aufklären, dass im 21. Jahrhundert der Begriff „pervers“ nur für Praktiken gebräuchlich ist, die bei einer Google-Suche weniger als fünf Treffer bringen.

Neuschwabenland, 26.1.5014

Irgendetwas sagt mir, dass, wer mit dem Blinken im Kreisverkehr überfordert ist, auch ein leichter Gegner bei Tic-Tac-Toe wäre.

Neuschwabenland, 27.1.5014

Es mag vielleicht so aussehen, als hätte ich heute nichts getan, aber ich wartete sehr proaktiv darauf, dass die Probleme sich von selber lösen.