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Buch lesen: «Salvator», Seite 27

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XVII
Wo Herr von Valgeneuse förmlich erklärt, er könne weder singen, noch tanzen

Der Blick von Jean Taureau hatte den wilden Ausdruck, den gewissen Physiognomien ein Anfang von Trunkenheit gibt.

»Ah!« sagte er, »Sie haben genug getrunken?«

»Ja,« antwortete Lorédan, »ich habe keinen Durst mehr.«

»Gut! als ob man nur tränke, so lange man Durst hat. Tränke man nur, so lange man Durst hat, so würde man nie mehr als ein paar Flaschen trinken.«

»Toussaint,« sagte Jean Taureau, »es scheint, der Herr kennt das Sprichwort nicht, ein doch wohl bekanntes Sprichwort!«

»Welches Sprichwort?« fragte Lorédan.

»»Ist der Wein gezogen, so muß man ihn trinken . . . «« Um so mehr wenn die Flasche entpfropft ist . . . «

»Nun?« sagte Lorédan.

»Nun, Sie müssen sie leeren.«

Lorédan reichte sein Glas dar.

Jean Taureau füllte es.

»Nun Dir,« sagte er, indem er den Hals der Flasche gegen seinen Freund wandte, wie ein Artillerist die Mündung einer Kanone gegen den Ort wendet, den er angreifen will.

»Nur immer lustig zu!« rief Toussaint, vergessend, er werde, da er nicht an einem seiner guten Tage war, der Aufregungen wegen, die er erlitten hatte, durch dieses letzte Glas Wein das Maß nicht nur voll, sondern sogar überströmen machen.

Und rasch sein Glas leerend, stimmte er irgend ein Trinklied an, von dem die Anwesenden kein Wort verstehen konnten, da es in auvergnatischem Patois war.

»Stille!« rief Jean, ehe die erste Strophe beendigt war.

»Warum Stille?« fragte Toussaint.

»Weil man hieran sehr viel Geschmack in der Hauptstadt der Auverane finden mag, während es in Paris und in der Bannmeile durchaus nicht geschätzt wird.«

»Das ist doch cm hübsches Lied21!« sagte Toussaint.

»Ja, ein anderes ist mir aber lieber . . . Ich ziehe zum Beispiel das vor, das der Herr Graf singen wird.«

»Wie, das, welches ich singen werde?« rief Lorédan.

»Allerdings! Sie müssen hübsche Lieder können, wie mein Freund Toussaint-Louverture sagt.«

Und Jean Taureau lachte mit jenem blödsinnigen Gelächter, das der Vorläufer des Rausches ist.

»Sie irren sich, mein Herr,« entgegnete kalt Valgeneuse, »ich kann keine.«

»Sie können nicht einmal so ein armselig’ Trinklied?« beharrte Jean Taureau.

»Oh! Trinklied oder Eßlied, gleichviel!« sagte Jean Taureau; »ich würde lieber essen, als trinken, weil ich anfange mehr Hunger, als Durst zu haben.«

»Sind wir dabei, Kamerad?« fragte Jean Taureau, der sich anschickte, den Tact mit einer Hand in der andern zu schlagen.

»Ich schwöre Ihnen, daß ich nicht nur kein Lied weiß,« sagte Herr von Valgeneuse ein wenig erschrocken über den Ton, mit dem Jean Taureau diese Bitte an ihn richtete, »sondern daß ich auch nicht singen kann.«

»Sie nicht singen können?« versetzte Toussaint, der, weil es ihm sein Freund zum Vorwurfe machte, daß er Auvergnatisch spreche, sich diesem Vorwurfe dadurch zu entziehen suchte, daß er Negerisch sprach; »ich glaube Ihnen nicht.«

»Ich betheure, daß ich nicht singen kann,« wiederholte Lorédan. »Ich bedaure es, da Ihnen das unangenehm sein dürfte; doch das übersteigt meine Mittel.«

»Das ist ärgerlich,« sprach Jean Taureau mürrisch, »denn es hätte Sie einen Augenblick belustigt, und mich auch.«

»Dann bedaure ich es doppelt,« erwiderte Valgeneuse.

»Ah!« machte Toussaint.

»Was?«

»Eine Idee!«

»Geck!«

»Wenn ich aber eine Idee habe!« beharrte Toussaint.

»Sage sie, Deine Idee.«

»Da dieser junge Herr nicht singen kann oder nicht singen will,« fuhr Toussaint fort, ohne sich entmuthigen zu lassen, »so muß er tanzen können, nicht wahr, Freund Jean?«

Alsdann wandte er sich gegen Lorédan um und sprach mit einer weinschweren Stimme:

»Auf! tanzen Sie uns etwas, Herr Graf.«

»Wie, ich soll Ihnen etwas tanzen?« entgegnete Valgeneuse. »Sind Sie Narren?«

»Warum Narren?« fragte Toussaint.

»Tanzt man nur so ohne Grund?«

»Gut!« sagte Toussaint, »man tanzt nicht ohne Grund: man tanzt, um zu tanzen. Als ich auf dem Lande war, tanzte ich jeden Augenblick.«

»Die Bourrée?«

»Ja, die Bourrée . . . Wollen Sie nicht die Bourrée preisgeben?«

»Nein; wie vermag ich die Bourrée zu tanzen, da ich sie nicht kann?«

»Ich sage nicht, Sie sollen eher einen Tanz tanzen, als einen andern,« erwiderte Toussaint. »Tanzen Sie die Gavotte, wenn Sie wollen, aber tanzen Sie etwas. – Nicht wahr, Jean, der Herr Graf muß etwas tanzen?«

»Ich würde mit Vergnügen den Herrn Grafen tanzen sehen . . . «

»Hören Sie, edler Herr?«

»Aber . . . «

»Lassen Sie doch Ihren Freund vollenden; Sie sehen, daß ein aber dabei ist,« sagte Lorédan.

»Aber,« fuhr in der That Jean Taureau fort, »um zu tanzen, braucht man Musik.«

»Natürlich, und Herr Jean Taureau hat Recht!« rief Valgeneuse, der mit Schrecken dachte, wäre der Coloß derselben Meinung wie sein Gefährte, so würde er gezwungen, einen Pas zum Vergnügen der zwei Mohicaner zu tanzen.

»Ist es denn so schwierig, Musik zu machen?« fragte Toussaint, der durch den Wein zugleich halsstarrig und erfindsam wurde.

»Ich weiß nicht, ob das schwierig ist,« erwiderte naiv Jean Taureau, »da ich es nie versucht habe, solche zu machen: ich glaube indessen, daß man, um irgend eine Musik zu machen, vor Allem ein Instrument braucht: – nicht wahr, Herr Graf?«

»Ei! allerdings,« antwortete Lorédan die Achseln zuckend.

»Wie! ein Instrument?« versetzte Toussaint. »Wir haben Alle ein Instrument aus dem Daumen.«

Und so sprechend rundete Toussaint seine dicke schwarze Hand in Form eines Waldhorns, dessen Mundstück der Daumen bildete, hielt dieses Mundstück an seine Lippen und fing an den König Dagobert zu blasen.

Alsdann wandte er sich an Jean Taureau und fragte:

»Ist das nicht ein hübsches Instrument?«

»Ja,« antwortete Jean Taureau, der starrköpfig bei seiner Opposition blieb, »doch für die Jagd, nicht für den Tanz.«

»Das ist wahr,« sprach Toussaint, da er sich leicht in Einwendungen ergab, wenn er sie gerecht fand: »singt man aber nicht, tanzt man aber nicht, so wollen wir trinken.«

»Nun, meinetwegen!« rief eiligst Herr von Valgeneuse, »ja, trinken wir!«

Doch er beeilte sich zu sehr, und sagte es mit einem zu großen Gefühle des Verlangens, das er hegte, nicht selbst zu trinken, sondern seine zwei Gefährten trinken zu machen. Jean Taureau schaute ihn an, allerdings ohne noch den Plan von Herrn von Valgeneuse recht zu begreifen: der brave Mann vermuthete nicht, der Wein könnte je ein Gift werden, dennoch aber witterte er eine Gefahr, und er stellte die Flasche, die er schon beim Halse gefaßt hatte, um Toussaint einzuschenken, wieder auf den Tisch und sagte:

»Nein, Du hast genug getrunken, Toussaint!«

»Man hat nie genug getrunken, mein Freund Jean.«

»Das ist im Allgemeinen wahr,« sprach der Zimmermann, »doch heute ist es falsch.«

»Aber,« bemerkte der Gefangene, »Sie haben mich herausgefordert, und ich habe nicht darauf verzichtet, zu trinken.«

»Sie, mein Edelmann,« erwiderte Jean Taureau, indem er ihn schief anschaute, »das ist etwas Anderes, Ihnen steht es frei, vollauf zu trinken, wenn das Ihre Laune ist . . . ich habe Ihnen gesagt, es seien noch vierzig Flaschen im Schranke. Reichen Sie Ihr Glas.«

Lorédan reichte sein Glas, und Jean Taureau füllte es bis zu zwei Dritteln; dann stellte er die Flasche wieder auf den Tisch.

»Aber Sie . . . ?« fragte Herr von Valgeneuse.

»Ich?« antwortete Jean Taureau; »ich habe genug getrunken. Toussaint hat Ihnen gesagt, ich werde schlimm, wenn ich ein Glas Wein im Kopfe habe; er hat Recht, ich will nicht mehr trinken.«

»Noch ein Glas, um mir Bescheid zu thun,« erwiderte Valgeneuse, der nicht das Ansehen haben wollte, als begriffe er die Ursache der Mäßigkeit von Jean Taureau, obschon er sie sehr wohl begriff.

»Sie wollen es?« sagte der Zimmermann, den Grafen starr anschauend.

»Ich wünsche es.«

»Gut,« sprach der Coloß, und er goß sich ein neues Glas Wein ein.

»Und ich?« fragte Toussaint.

»Du nicht! . . . « antwortete Jean Taureau brutal.

»Warum ich nicht?«

»Weil ich beschlossen habe, daß Du nichts mehr winken sollst.«

Toussaint ließ ein dumpfes Knurren vernehmen, wich zwei Schritte zurück, beharrte aber nicht weiter auf seinem Verlangen.

Alsdann hob Jean Taureau sein Glas bis zur Höhe seiner Lippen empor und sagte:

»Auf Ihre Gesundheit!«

»Auf die Ihrige!« antwortete Herr von Valgeneuse.

Das Glas von Jean Taureau war nicht ganz voll, er konnte also durch den leeren Kreis den Gefangenen beobachten: er sah ihn sein Glas ganz mit seiner Hand umhüllen, es rasch an seine Lippen setzen und es wieder aus den Tisch stellen, nachdem er eine seltsame Bewegung gemacht hatte.

Zu gleicher Zeit fühlte der Zimmermann an seinen Füßen eine Art von Kühle, als ob er sie in einer Wasserlache hätte.

Er hob den Fuß aus und betastete ihn mit der Hand: sein Schuh troff.

Da nahm er eine Lampe, bückte sich gegen die Erde, stellte die Lampe wieder auf den Tisch und sprach, indem er mit ausgehobener Faust gegen den Gefangenen vorrückte:

»Man muß gestehen, Sie sind eine tüchtige Canaille!«

Toussaint Louverture stürzte hinzu, packte mit beiden Händen die Faustgelenke des Zimmermanns und rief:

Ah! ich sagte es Ihnen zum Voraus, er trinke einen schlimmen Wein . . . Sie wollten mir nicht glauben! nun ziehen Sie sich heraus, wie Sie können.«

XVIII
Wo Jean Taureau und Toussaint Louverture eine Gelegenheit finden, ihr Glück zu machen, und es nicht machen

Herr von Valgeneuse hatte sich schon in Vertheidigungsstand gesetzt: er hatte mit jeder Hand eine Flasche ergriffen, und wartete, bis Jean Taureau in seinem Bereiche wäre, um sie ihm am Kopfe zu zerschmettern.

Jean Taureau bückte sich, nahm einen Schemel beim Fuße und machte einen Schritt gegen Herrn von Valgeneuse.

»Aber was hat er denn gethan?« fragte Toussaint.

»Schau’ unter den Tisch,« antwortete Jean Taureau.

Toussaint nahm auch die Lampe und schaute.

»Ah!« rief er, als er den Backstein sah, der durch den beißen Wein durchschien, »Blut!«

»Blut?« sagte Jean Taureau, »wenn es nur Blut wäre, das wäre nichts; mit Brod macht man wieder Blut; doch den Wein, man macht ihn nur mit Trauben, und der Weinstock ist in diesem Jahre erfroren.«

»Wie! seinen Wein hat er ausgeschüttet?« rief Toussaint im Tone des heftigsten Zornes.

»Seinen Wein!«

»Ah! dann ist er, wie Du sagst, ein Elender! Schlag’ ihn nieder!«

»Ich wartete aus Deine Erlaubnis, Toussaint,« sagte Jean Taureau, indem er mit seinem Aermel seine vom Schweiße des Zornes rieselnde Stirne abzuwischen suchte.

»Sie haben gehört, daß ich Ihnen, wenn Sie noch einen Schritt thun, die Hirnschale zerschmettere,« rief Herr von Valgeneuse.

»Ah! es ist noch nicht genug Wein vergossen! Sie wollen noch die Flaschen zerbrechen?« sagte Jean Taureau; »denn die Flasche werden Sie zerbrechen, und nicht meinen Schädel, das bemerke ich Ihnen zum Voraus.«

»Schlage doch, Jean!« rief Toussaint; »warum schlägst Du denn nicht?«

»Weil ich vernünftig geworden bin,« antwortete Jean Taureau, »und ich hoffe, der Herr Graf wird es auch werden.«

Sodann mit einer festen, vollkommen ruhigen Stimme:

»Nicht wahr, Herr von Valgeneuse, Sie lassen diese zwei Flaschen los, wie?«

Herr von Valgeneuse faltete die Stirne: sein Stolz kämpfte einen furchtbaren Kampf mit seiner Vernunft.

»Nun,« fragte Jean Taureau, »lassen wir sie los? lassen wir sie nicht los?«

»Oh! Jean,« brüllte Toussaint, »ich kenne Dich nicht mehr.«

»Lassen wir los? Nun!« fuhr Jean Taureau fort, »eins, zwei . . . Nehmen Sie sich in Acht, oder ich zähle die drei aus Ihrem Kopfe!«

Lorédan ließ die Arme sinken und stellte sachte die Flaschen auf den Rand des Kamins.

»Es ist gut, und nun wollen wir uns ganz artig wieder an unsern ersten Platz setzen.«

Lorédan bedachte wahrscheinlich, das beste Mittel, ein wildes Thier zu bändigen, sei, es nicht zu reizen. Dem zu Folge gehorchte er kalt dem zweiten Befehle, wie er dem ersten gehorcht hatte.

Sodann hatte sich wohl eine neue Combination in seinem Geiste gebildet, und er war entschlossen, ein Mittel zu gebrauchen, das ihm mehr Chance gab, als die Stärke.

»Toussaint, mein Freund,« sagte Jean Taureau, »bringe diese zwei Flaschen wieder in den Schrank zurück und schließe sie mit dem Schlüssel ein. Sie hätten nie herauskommen sollen.«

Toussaint vollzog das Commando.

»Und nun, Herr Graf,« sprach Jean Taureau, indem er den Schlüssel aus den Händen seines Kameraden nahm, »gestehen Sie Eines . . . «

»Was?« fragte der Graf.

»Sie wollten uns trinken machen, bis wir die Vernunft verloren hätten, und unsern Rausch benützen, um zu entwischen.«

»Sie haben wohl Ihre Stärke benützt, um mich zu Ihrem Gefangenen zu machen,« erwiderte ziemlich logisch Herr von Valgeneuse.

»Unsere Stärke, ja; doch wir haben nicht die List angewandt: wir haben nicht zuerst mit einander getrunken, um nachher zu verrathen. Hat man mit einander getrunken, das ist heilig!«

»Nehmen wir an, ich habe Unrecht gehabt,« sagte Herr von Valgeneuse.

»Seinen Wein ausschütten,« brummte Toussaint hierauf zurückkommend, »den Wein des guten Gottes!«

»Der Herr Graf hat zugestanden, er habe Unrecht gehabt,« bemerkte Jean Taureau, »sprechen wir nicht mehr davon.«

»Wovon werden wir dann sprechen?« sagte traurig der Kohlenbrenner. »Vor Allem ich: trinke ich nicht, spreche ich nicht, so laufe ich Gefahr, einzuschlafen.«

»Oh! schlafe ein; ich für meinen Theil stehe dafür, daß ich nicht schlafe.«

»Nun wohl,« sagte Lorédan, »ich will einen Gegenstand des Gespräches für Sie finden.«

»Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Graf,« brummelte Jean Taureau.

»Sie machen auf mich den Eindruck von braven Leuten . . . ein wenig lebhaft vielleicht,« fuhr Lorédan fort, »doch im Grunde brav.«

»Sie haben das entdeckt?« sagte Jean Taureau die Achseln zuckend.

»Ich liebe die braven Leute,« setzte der Graf hinzu.

»Sie sind nicht ekel!« erwiderte der Zimmermann immer in demselben Tone.

Toussaint horchte, offenbar begierig, zu erfahren, worauf der Gefangene abzielte.

»Nun denn,« sagte dieser, »wenn Sie wollen . . . «

Er hielt inne.

»Wenn wir wollen . . . ?« wiederholte Jean Taureau.

»Wenn Sie wollen,« sprach Herr von Valgeneuse, »ich mache Ihr Glück.«

»Teufel!« rief Toussaint, das Ohr spitzend, »unser Glück? Plaudern wir ein wenig hiervon.«

»Stille, Toussaint!« sagte Jean Taureau; »ich habe das Wort.«

Alsdann sich an Lorédan wendend:

»Erklären Sie Ihren Gedanken, junger Herr.«

»Mein Gedanke ist sehr einfach, und ich gehe gerade auf das Ziel los.«

»Gehen wir gerade darauf los!« sagte Toussaint.

»Ich habe Dich schon aufgefordert, zu schweigen,« brummte zum zweiten Male Jean Taureau.

»Sie arbeiten, um zu leben, nicht wahr?« fragte der Graf.

»Allerdings, die Tagdiebe ausgenommen arbeitet Jedermann hierfür,« antwortete Jean Taureau.

»Wie viel verdienen Sie an den guten Tagen?«

»Einen in den andern, mit den Tagen des Feierns, drei Franken,« erwiderte Toussaint.

»Wirst Du wohl schweigen, Toussaint!«

»Warum sollte ich denn schweigen? Der Herr Graf fragt mich, wie viel ich verdiene; ich antworte ihm.«

»Drei Franken täglich,« wiederholte der Graf, ohne daß er das Ansehen hatte, als bemerkte er den Streit, der sich zwischen den zwei Freunden erhob, »das sind neunzig Franken im Monat und tausend Franken im Jahre.«

»Nun, und dann?« fragte Jean Taureau; »wir wissen das.«

»Und dann . . . ich lasse Sie in einem Abend verdienen, was Sie in fünfundzwanzig Jahren verdienen.«

Fünfundzwanzig tausend Franken?« rief Toussaint. »Ah! Spaßmacher! fünfundzwanzig tausend Franken an einem Abend? das ist nicht möglich!«

»Sie sehen,« fuhr Valgeneuse fort, »das ist hinreichend, um nach Ihrer Bequemlichkeit zu leben, ohne zu arbeiten, da, wenn Sie Ihre fünfundzwanzigtausend Franken zu fünf Procent anlegen, dies Ihnen eine Rente von zwölfhundert fünfzig Livres gibt.«

»Ohne zu arbeiten!« wiederholte Toussaint; »hörst Du wohl, Jean, ohne zu arbeiten!«

»Was würde ich denn thun, wenn ich nicht arbeitete?« fragte nun Jean Taureau.

»Sie würden thun, was Ihnen beliebt: Sie gingen auf die Jagd, auf den Fischfang, wenn Sie die Jagd nicht lieben; Sie würden Güter kaufen und sie anbauen; Sie würden thun, was die Reichen thun, Sie würden thun, was ich selbst thue.«

»Teufel!« sagte bitter Jean Taureau, »ich würde sechzehnjährige Kinder ihrem Bräutigam und ihrer Familie entführen! Das ist die Belustigung von denjenigen, welche nicht arbeiten! das ist das, was Sie thun, Herr Graf!«

»Was Sie thun würden, das wäre Ihre Sache . . . doch ich biete Ihnen Beiden fünfzigtausend Franken: fünfundzwanzig taufend Jedem.«

»Fünfundzwanzig tausend Franken!« wiederholte zum zweiten Male Toussaint, dessen Augen vor Gierde glänzten.

»Schweige, Toussaint!« sprach der Zimmermann mit strengem Tone.

»Fünfundzwanzig taufend Franken Jedem, mein Freund Jean,« wiederholte der Kohlenbrenner mit liebkosender Stimme.

»Fünfundzwanzig taufend Faustschläge, wenn Du nicht schweigst, Toussaint.«

»Fünfzig taufend Franken Ihnen Beiden, und zwar zahlbar heute Abend.«

»Ein Vermögen, Jean! ein Vermögen!« murmelte der Kohlenbrenner.

»Aber wirst Du wohl schweigen, Unglücklicher!« sagte Jean Taureau, indem er eine Hand drohend gegen seinen Freund aufhob.

»Frage ihn wenigstens, wie man sie verdienen kann, die fünfundzwanzig tausend Franken.«

»Gut!« erwiderte Jean Taureau.

Und sich an den Gefangenen wendend:

»Sie erweisen uns die Ehre, uns Jedem fünfundzwanzig taufend Franken anzubieten, Herr Graf? Wollen Sie mir nun sagen, welche Arbeiten wir verrichten sollen, um ein Recht auf eine solche Summe zu haben?«

»Ich biete Ihnen diese Summe gegen meine Freiheit. Sie sehen, das ist ganz einfach.«

»Sage, Jean Taureau, sage doch!« murmelte der Kohlenbrenner, seinen Freund mit dem Ellenbogen stoßend.

»Toussaint! Toussaint!« brummte Jean Taureau, indem er seinen Gefährten schief anschaute.

»Ich schweige, ich, ich schweige . . . Indessen fünfundzwanzig tausend Franken . . . «

Der Zimmermann wandte sich gegen den Grafen um und fragte ihn:

»Und warum glauben Sie, daß wir Sie gefangen halten, mein Edelmann?«

»Ei!« erwiderte Valgeneuse, »weil, wie ich vermuthe, Sie Jemand hierfür bezahlt hat.«

Jean Taureau hob seine breite Hand über den Kopf von Lorédan empor; doch nach einer Anstrengung gegen sich selbst ließ er sie langsam wieder fallen und sagte:

»Bezahlt! bezahlt! es sind Ihres Gleichen, Herr Graf, welche bezahlen, welche die Ehre der Anderen kaufen oder verkaufen . . . Ja, das ist abermals eines der Mittel der reichen Leute, der Leute, welche nicht arbeiten, das Böse zu bezahlen, wenn sie es nicht selbst thun können . . . Hören Sie wohl, Herr Graf: wären Sie zehnmal reicher als Sie sind, könnten Sie mir, statt fünfundzwanzig taufend Franken, eine Million anbieten, um Sie vor der bestimmten Stunde in Freiheit zu setzen, ich würde es ausschlagen mit eben so großer Verachtung, als es mir Freude gewährt, Sie gefangen zu halten.«

»Ich biete hundert tausend Franken, statt fünfzig,« sagte kurz Herr von Valgeneuse.

»Jean! Jean!« rief Toussaint, »hörst Du? fünfzig tausend Franken Jedem!«

»Toussaint,« sprach der Zimmermann, »ich hielt Dich für redlich! Noch ein Wort, und ich gebe Dir Deine Freundschaft zurück und nehme die meinige wieder.«

»Aber, Jean,« erwiderte Toussaint mit sanftem Tone, »was ich Dir sage, geschieht eben so sehr Dir zu Liebe, als mir zu Liebe.«

»Wie, mir zu Liebe?«

»Allerdings Dir zu Liebe . . . Dir, Fisine, Deinem Kinde zu Liebe.«

Bei den Worten »Fisine, Deinem Kinde zu Liebe,« funkelten die Augen von Jean Taureau.

Doch beinahe in demselben Augenblicke packte er Toussaint beim Kragen, schüttelte ihn, wie es der Holzhauer mit dem Baume thut, den er fällen will, und rief:

»Ah! wirst Du schweigen, Unglücklicher! wirst Du schweigen!«

»Besonders Deinem Kinde zu Liebe,« fuhr Toussaint fort, der wohl wußte, daß er über diesen Gegenstand ungestraft sprechen durfte, »Deinem Kinde zu Liebe, dem der Arzt das Land verordnet hat.«

Der Zimmermann bebte und ließ Toussaint-Louverture los.

»Sie haben eine leidende Frau und ein krankes Kind?« sagte Valgeneuse; »Sie können Beiden die Gesundheit wiedergeben, und Sie zögern?«

»Nun wohl, nein,« rief der Zimmermann, »Donner des Himmels! ich zögere nicht.«

Toussaint keuchte: Herr von Valgeneuse athmete kaum, denn es ließ sich unmöglich errathen, ob Jean Taureau ausschlagen oder annehmen würde.

»Sie nehmen an?« fragte der Graf.

»Du nimmst an?« sagte Toussaint.

Jean Taureau hob feierlich die Hand empor und sprach:

»Höret, so wahr ein Gott im Himmel ist, so wahr dieser Gott die Guten belohnt und die Schlechten bestraft, den Ersten von Euch Beiden, der über diesen Gegenstand noch ein Wort sagt, ein einziges, den erwürge ich! Sprecht nun, der Eine oder der Andere, wenn Ihr es wagt!«

Jean Taureau erwartete vergebens eine Antwort: die zwei Männer schwiegen.

21.Cholie chanson.