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Die Mohicaner von Paris

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Gille.

Nun, lieber Schwiegervater?

Cassandre.

Bist Du zufrieden mit den Nachrichten, die man Dir in dem Briefe gibt, welchen Du so eben empfangen hast?

Gille.

Meldet man Ihnen ein glückliches Ereignis in der Depeche, die man Ihnen so eben zugestellt hat? Cassandre. Ja, ich bin ziemlich zufrieden.

Gille.

Ah! desto besser! Und was meldet man Ihnen?

Cassandre. Man meldet mir von Vaugirard, der Weinertrag werde schön sein, denn es regnet seit acht Tagen: es scheint, die Erde hatte Wasser nötig.

Gille.

Das ist erstaunlich! Man meldet mir dasselbe von Montmartre. Die Kartoffelnernte verspricht vortrefflich zu werden, weil das Wetter seit acht Tagen trocken ist: es scheint, die Erde hatte Sonne nötig.

Cassandre.

Gille!

Gille.

Herr!

Cassandre. Kannst Du mir diese atmosphärische Erscheinung erklären? Wie kommt es, daß die Sonne, den Abhängen von Montmartre günstig, den Ebenen von Vaugirard feindlich ist?

Gille.

Nichts kann einfacher sein: Vaugirard liegt gegen Süden und Montmartre gegen Norden. Die durch die tropische Sonne ausgetrockneten Ebenen von Vaugirard brauchen Feuchtigkeit, um fruchtbar zu sein, während die Schneeplateaux in der Nähe des Pic von Montmartre Sonne brauchen, um fruchtbar zu sein. Alles ist logisch in der Natur.

Cassandre.

Bewunderungswürdige Ordnung!

Gille.

Unermeßliches Weltall!

Cassandre.

Göttliche Güte!

Gille.

Tiefes Geheimnis!

Cassandre.

Alles ordnet sich zusammen!

Gille.

Alles verkettet sich.

Cassandre.

Wunderbare Harmonie!

Gille.

Erhabene Schöpfung!

Cassandre.

Lies Thales . . .

Gille.

Tales pater, tales filius.

Cassandre.

Lies Eudoxius . . .

Gille.

Ja; doch sprechen wir von etwas Anderem.

Cassandre.

Wovon willst Du sprechen?

Gille.

Sprechen wir von Ihnen, Schwiegervater.

Cassandre.

Sprechen wir von Dir, mein Schwiegersohn. Bist Du sicher, daß Du Deine Tante Amenaide Lamponisse beerbst?

Gille.

Ah! Sie kennen den großen Namen meiner kleinen Tante . . . Nein, ich will sagen, den kleinen Namen meiner großen Tante?

Cassandre.

Ja, ich kenne ihn.

Gille.

Und woher kennen Sie ihn?

Cassandre, feierlich.

Ich werde es Dir in ein paar Minuten sagen; antworte mir aber vorläufig auf meine Frage. Du rechnest aus hundert fünfzig Franken Rente? Gille. Und Sie, Schwiegervater, Sie rechnen darauf, daß Sie mich mit Ihrer keuschen Tochter verheirathen werden.

Cassandre.

Solltest Du an der Keuschheit meines einzigen Kindes zweifeln?

Gille.

Pest! ich zweifle ganz und gar nicht daran.

Cassandre.

Was bedeutet?

Gille.

Daß ich Alles weiß, alter Kerl.

Cassandre.

Nun wohl, ich weiß auch Alles, junger Undankbarer!

Gille.

Woher wissen Sie es?

Cassandre.

Es handelt sich nicht darum, vier blinde Kuh zu spielen: Ihre Tante Lamponisse hat Sie völlig enterbt.

Gille.

Ihre Tochter Zirzabelle ist Mutter von drei Knaben, von denen der jüngste, Herr Benjamin, sich viel besser befindet.

Cassandre.

Es geht besser bei ihm?

Gille

Viel besser, Herr! und ich fühle mich glücklich, Ihnen diese Kunde mittheilen zu können.

Cassandre.

Wer hat Dich von der Wiederherstellung meines Enkels unterrichtet?

Gille

Dieser Brief . . . Wer hat Sie vom Tode meiner Tante unterrichtet?

Cassandre.

Dieser Brief.

Gille

Geben Sie mir den meinigen, und ich gebe Ihnen den Ihrigen.

Cassandre.

Das ist nicht mehr als billig: hier ist er.

Gille.

Hier ist er.

Jeder tauscht seinen Brief und liest.
*                                      *
*

Bei dieser Stelle der Parade, als wäre man am Ende eines vierten Actes voll Interesse gewesen, herrschte eine solche Stille in der Menge, daß man kaum das Athmen der Zuschauer hörte.

Man war der Entwicklung nahe, und die Personen in Mänteln, die wir zuletzt haben ankommen sehen, schienen, die klugen aus den Pitre geheftet, diese Entwicklung mit der lebhaftesten Ungeduld zu erwarten.

Mittlerweile lasen die zwei Possenreißer ihre Briefe, wobei sie einander wüthende Blicke zuwarfen.

Alsdann fuhr Cassandre fort:

Cassandre.

Hast Du zu Ende gelesen?

Gille.

Ja, Herr; und Sie?

Cassandre.

Ich auch.

Gille

Dann müssen Sie sich erklären, warum ich nie Ihr Schwiegersohn werde.

Cassandre.

Dann musst Du Dir erklären, warum ich Dir nicht ferner die Hand meiner Tochter anbiete.

Gille.

Ja; doch da Sie ein ernster Vater werden, so habe ich keinen Grund mehr, in Ihrem Dienste zu bleiben.

Cassandre.

Ja; doch da ich mich unter das Dach meines Schwiegersohns zurückzuziehen gedenke, und er schon einen Bedienten hat, so begreifst Du, daß ich ihm nicht einen zweiten zuführen kann. Ich jage Dich also nicht fort, Gille; ich schicke Dich nur fort.

Gille

Ohne mir etwas zu geben?

Cassandre.

Soll ich Dir eine Thräne des Bedauerns schenken?

Gille.

Schickt man die Leute fort, Herr, so schickt man sie mit Etwas fort.

Cassandre.

Ich schicke Dich auch mit allen Deinem Range schuldigen Rücksichten fort.

Gille.

Und Sie schämen sich nicht, daß Sie mich einen Theil meines Tages mit dem Anhören Ihrer Dummheiten verlieren ließen, alter Fuchs?

Cassandre.

Du hast Recht, Gille, und dieses Wort Fuchs erinnert mich an ein Sprichwort.

Gille.

An welches?

Cassandre.

Daß jede Mühe Lohn verdient.

Gille.

Ganz gewiß!

Cassandre.

Hast Du Münze, Gille?

Gille.

Nein, Herr, Cassandre, gibt ihm einen Fußtritt auf den Hintern, So behalte das Ganze.

*                                      *
*

Die Parade sollte hier endigen, und schon verbeugte sich Cassandre ehrerbietig vor dem Publikum, als Gille, der auf ein großes Unternehmen zu sinnen schien, da er Cassandre geneigt sah, plötzlich seinen Entschluß faßte und diesem zur Erwiederung einen Fußtritt versetzte, der ihn mitten unter die Zuschauer hinab schleuderte!

Gille.

Bei meiner Treue, nein, Herr! die guten Rechnungen machen gute Freunde!

Im höchsten Maße erstaunt, erhob sich Cassandre wieder und suchte Gille mit den Augen, doch Gille war verschwunden.

In diesem Augenblicke entstand eine große Bewegung in der Menge; die Männer mit den Mänteln flüsterten einander ins Ohr:

»Er hat es ihm zurückgegeben! er hat es ihm zurückgegeben!«

Dann traten sie aus der Menge, gingen an verschiedenen Gruppen vorbei und sagten:

»Heute Abend.«

Und dieses Wort heute Abend kreiste wie ein fast unverständliches Gemurmel das ganze Boulevard entlang. Dann sah man die Männer mit den Mänteln, die Einen in die Rue du Temple, die Anderen in die Rue Saint-Martin, Diese in die Rue Saint-Martin, Jene in die Rue Poissonnière eintreten, Alle aber wandten sich nach der Seite der Seine aus verschiedenen Wegen, doch wie Menschen, die sich bald an einem und demselben Orte wiederfinden sollen.

CXVI
Das Geheimnisvolle Haus

Ein Mann, der nichts Besseres zu thun gehabt hätte, als zu beobachten, was sich in der Rue des Postes, von acht bis neun Uhr Abends, das heißt zwei Stunden nach der Vorstellung zutrug, welche wir vielleicht unseren Lesern mit Unrecht so ausgedehnt erzählt haben, hätte sicherlich seine Zeit nicht verloren, und wäre er auch nur ein wenig Liebhaber von nächtlichen und fantastischen Abenteuern gewesen.

Da wir annehmen, daß der Leser, sobald er sich uns anschließt, kein Feind von solchen Abenteuern ist, so bitten wir ihn, uns an den Ort zu folgen, wohin wir unsern Guckkasten versetzen, um vor ihm eine Menge Personen defilieren zu lassen, welche nicht minder Geheimnisvoll, als die chinesischen Schattenspiele von Herrn Séraphin.

Die Schaubühne liegt, wie gesagt, in der Rue des Postes, ganz nahe bei der Impasse des Vignes, ein paar Schritte vom Puits-qui-parle; die Decoration stellt ein kleines einstöckiges Haus mit einer einzigen Thüre und einem einzigen aus die Straße gehenden Fenster vor. – Dieses Haus hatte vielleicht noch andere Thüren und andere Fenster; doch diese Thüren und diese Fenster gingen ohne Zweifel auf einen Hof oder einen Garten.

Es war halb neun Uhr Abends, und die Sterne, diese Veilchen der Nacht, feierten, vor den Blicken der Menschen glänzender als je wiedererscheinend, wie die Veilchen, die Sterne des Tages, die ersten Stunden des Frühlings. Es war in der That eine schöne Nacht, klar und leuchtend, heiter und mild wie eine Sommernacht, wie die Nacht eines Dichters oder eines Verliebten.

Es gewährte einen unendlichen Reiz, sich in dieser ersten lauen Nacht zu ergehen und es geschah ohne Zweifel, um sich diesem Gefühle zugleich voll idealer und sinnlicher Wollust zu überladen, daß ein Mann in einen großen braunen Ueberrock gehüllt, seit ungefähr einer Stunde, die Rue des Postes, im Winkel der Häuser oder in den Vertiefungen der Thüren, wenn Jemand vorüberkam, verschwindend, auf und ab ging.

Bei einiger Ueberlegung konnte man sich indessen schwer erklären, daß dieser Liebhaber der Natur, um die ersten Frühlingslüfte einzuathmen, eine so öde und besonders so kothige Straße gewählt hatte, wie es die Rue des Postes war, obschon es seit einer Woche nicht mehr geregnet; denn die Rue des Postes scheint, wie jene Straßen, von denen in dem Buche betitelt Neapel ohne Sonne die Rede ist, – ohne Zweifel durch die Fürsprache der Jesuiten, die sie bewohnten und noch bewohnen, – das Privilegium eines ewigen Schattens und einer schützenden Dunkelheit erlangt zu haben.

 

Wenn er vor das von uns beschriebene Haus kam, blieb der Spaziergänger einen unberechenbaren Zeitraum stehen, der aber vermuthlich für die Forschung, die er machen wollte, genügte, denn aus dem nämlichen Wege, das heißt gegen das College Rollin, zurückkehrend, ging er gerade aus, begegnete einem zweiten Individuum, das wahrscheinlich auch ein Liebhaber der nächtlichen Schönheiten der Natur war, und sagte nur das einzige Wort:

»Nichts.«

Das Individuum, an das diese Einsylbe gerichtet worden war, schritt wieder die Rue des Postes hinaus, während der Andere dieselbe hinabging.

Dieses zweite Individuum, nachdem es dasselbe Manoeuvre, wie der zuerst Erwähnte, ausgeführt, das heißt, nachdem es einen raschen Blick auf das Haus geworfen hatte, machte sodann noch ein paar Schritte vorwärts, trat in die Rue du Puits-qui-parle ein, begegnete hier einem dritten Liebhaber der Natur und richtete an ihn halblaut dieselbe Einsylbe:

»Nichts.«

Und er ging auf seinem Wege weiter, während der Dritte, ihn kreuzend und an ihm vorüberschreitend, auf das Haus zuwandelte, es anschaute, wie dies die zwei Anderen gethan hatten, und die Rue des Postes bis zur Spitze der Rue d’Ulm hinausging; hier fand er sich mit einer andern Person zusammen, und er wiederholte ihr das Wort, das wir schon zweimal gehört haben:

»Nichts.«

Und diese vierte Person schritt an der dritten vorbei, ging die Rue des Postes hinab, wandelte an dem Hause vorbei, schaute es an, wie dies ihre Vorgänger gethan hatten, und setzte ihren Weg bis zum College Rollin fort, wo sie den ersten Liebhaber der Natur traf, den wir unsern Lesern in einem braunen Ueberrocke lustwandelnd gezeigt haben. Nachdem sie ihm dasselbe Wort gesagt, welches zu wiederholen wir für unnötig erachten, ging sie an ihm vorbei, und der Erste, der Mann mit dem braunen Ueberrocke, derjenige, welcher der Urheber der Geheimnisvollen Einsylbe zu sein schien, – dieser setzte eine habe Stunde lang dasselbe Manoeuvre fort, bis zu dem Augenblicke, wo er, zwei Männer beisammen erblickend, die Rue des Postes hinabging und dabei die Cavatine aus Joconde pfiff:

J’ai longtemps parcouru le monde . . . . 66

Diese Melodie war damals sehr in der Mode; sie wurde auch nach und nach, jedoch immer halblaut, von den vier Männern wiederholt, die sich einander das Wort Nichts gesagt hatten.

Die zwei Männer aber, welche dieses fünfstimmige Notturno veranlaßt hatten, blieben, – wie alle diejenigen, welche wir bis jetzt beobachtet haben, – vor dem kleinen Hause stehen; sie waren von den Andern nur dadurch verschieden, daß sie eine lange Station vor der Thüre machten und dabei so leise plauderten, daß der Mann mit dem braunen Ueberrocke, der an ihnen, ohne daß es absichtlich zu geschehen schien, seine Cavatine pfeifend vorüberging, nicht ein Wort von dem, was sie sagten, erlauschen konnte.

Nach Verlauf von zehn Minuten traten drei andere Männer gefolgt von einem vierten, alle Vier in braune Mäntel gehüllt, aus die zwei Individuen zu, welche vor dem Hause standen.

Der Größere von den zwei Männern, welche zuerst da gewesen waren, nahm nach und nach die Hand von jedem der drei Ankömmlinge; dann sagte er jedem von ihnen ins Ohr die erste Hälfte des samaritanischen Wortes Lamma, von dem sie ihm die zweite sagten, zog aus seiner Tasche einen kleinen Schlüssel, steckte ihn ins Schloß, öffnete sachte die Thüre, ließ seine fünf Gefährten eintreten, schaute nach rechts und nach links in der Straße, und trat sodann selbst ein.

Er schloß die Thüre von innen in demselben Augenblicke, wo der erste und der zweite Spaziergänger jeder an einer Ecke der Straße wiedererschienen, und, in demselben Schritte gebend, vor dem Hause zusammentrafen, wo sie die neue Einsylbe:

Sechs,

wechselten.

Wonach sie jeder auf seiner Seite weiter gingen, und das Wort Sechs den anderen Naturliebhabern wiederholten, welche schon das Wort Nichts gehört und wiederholt hatten.

Sie hatten nicht zwanzig Schritte in der Straße gemacht, der Eine hinausgehend, der Andere hinabgehend, als sie, derjenige, welcher hinabging, einem Individuum, und derjenige, welcher hinaufging, drei Personen begegneten, die, Individuum und Personen, obgleich sie von zwei entgegengesetzten Seiten kamen, vor dem Geheimnisvollen Hause zusammentreffend stehen blieben.

Als die vier Neuangekommenen wie die sechs Anderen ins Haus eingetreten waren, setzten sich die zwei Spaziergänger abermals in Bewegung, begegneten sich und wechselten die neue Einsylbe:

Zehn.

Im Verlaufe von zwei Stunden, das heißt von halb neun Uhr bis halb elf Uhr, sahen die fünf laconischen Spaziergänger in das Haus sechzig Individuen in Gruppen von zwei, drei, vier, fünf, doch nie von mehr als sechs eintreten.

Es war drei Viertel aus elf Uhr, als der Dilettant, der die Cavatine von Joconde geträllert hat, zum zweiten Mate trällerte; diesmal gerieth er aber aus die große Arie aus dem Deserteur.

Ah! je respire enfin! je puis reprendre haleine! 67

Der Elleviou war kaum bei seinem vierten Verse, als er von den zwei Seiten der Rue des Postes, von der Impasse des Vignes und von der Rue du Puits-qui-parle, sieben andere Individuen auf sich zukommen sah, welche aus die Frage, die er an sie richtete: »Wie viel waren es?« ohne zu zögern antworteten: »Sechzig.«

»So ist es,« sprach der Dilettant.

Dann fügte er wie der Obergeneral eines Heeres, der seine Befehle gibt, bei:

»Achtung, Ihr Alle!«

Diejenigen, an welche diese Ermahnung gerichtet war, näherten sich ohne zu antworten.

Der Mann mit dem braunen Ueberrocke fuhr fort.

»Papillon stelle sich hinter das Haus; Carmagnole bewache den rechten Flügel; Vol-au-Vent bewache den linken Flügel. Longue-Avoine und die Anderen werden bei mir bleiben. Ihr habt die umliegenden Terrains gut ausgekundschaftet, nicht wahr?«

»Ja,« antwortete man einstimmig.

»Ihr seid wohl bewaffnet?«

»Wohl bewaffnet.«

»Nicht faul?«

»Nicht faul.«

»Du weißt, was Du zu thun hast, Carmagnole?«

»Ja,« antwortete eine provencale Stimme.

»Du hast Deine Instructionen. Vol-au-Vent?«

»Ja,« antwortete eine normannische Stimme.

»Du hast Deine Haue, Carmagnole?«

»Ich habe sie.«

»Du hast Deine Klammern, Vol-au-Vent?«

»Ich habe sie?’

»Dann wollen wir das Pflaster des Königs frei machen: an die Arbeit, und zwar rasch!«

Die drei unter dem Namen Papillon, Carmagnole und Vol-au-Vent bezeichneten Männer verschwanden mit einer Schnelligkeit, welche bewies, daß Vol-au-Vent und Papillon ihres Namens würdig waren, und daß, wenn Carmagnole nicht einen dem ihrigen ähnlichen annahm, dies so war, weil er den Stolz seines Familiennamens hatte.

»Wir, was uns betrifft, Longue-Avoine,« sagte der Commandant der kleinen Schaar, »wir gehen wie gute Freunde spazieren und plaudern wie gute Bürger.«

Sodann, nachdem er eine Prise Tabak aus einer Rococo-Dose genommen, nachdem er die Gläser seiner Brille mit seinem Foulard abgewischt und die Brille wieder zart aus seine Nase gesetzt hatte, streckte der Naturliebhaber, der Dilettant, der Mann, der wie ein guter Bürger plaudern wollte, seine beiden Hände in die Taschen seiner Castorine und setzte sich mit seiner Patrouille in Bewegung.

Der Marsch war von kurzer Dauer. Der Anführer der kleinen Schaar trat in die Rue du Puits-qui-parle ein, stellte sich so, daß er das geheimnisvolle Haus nicht aus dem Gesichte verlor, bedeutete seinen Begleitern durch einen Wink, sie sollen sich in den Tiefen der Straße verbergen, jedoch in seinem Bereiche bleiben, und behielt nur einen Einzigen von seinen Untergebenen bei sich, einen großen, langen, magern, abgemergelten, bleichen, schieläugigen Unterofficier, – ein wahres Iltisgerippe mit einem Basilskopfe.

»Nun ist es an uns Beiden, Longue-Avoine,« sagte er.

»Zu Ihren Befehlen, Herr Jackal,« antwortete der Agent.

LXVII
Die Barbette

»Höre, Du hast den Rosentopf entdeckt,« fuhr Herr Jackal fort; »es ist also billig, daß ich mich an Dich, wende, um den ganzen Wohlgeruch einzuathmen. Wie hast Du dieses Abenteuer gewittert? Sei kurz.«

»Die Sache verhält sich so, Herr Jackal. Sie wissen, daß ich immer religiöse Grundsätze gehabt habe?«

»Nein, ich wußte das nicht.«

»Oh! da habe ich also meine Zeit verloren?«

»Nein, da Du etwas entdeckt hast . . . Wie? ich weiß noch nichts; doch es ist augenscheinlich, daß sich nicht sechzig Personen in der Rue des Postes versammeln und alle in dasselbe Haus eintreten, um Perlen anzufädeln?«

»Ich wäre indessen sehr in Verzweiflung, sollten Sie nicht an meine religiösen Grundsätze glauben, Herr Inspector?«

»Geh’ zum Teufel mit Deinen religiösen Grundsätzen!«

»Aber, Herr Jackal . . . «

»Von welcher Bedeutung sind Deine religiösen Grundsätze bei der Sache, die uns beschäftigt, das frage ich Dich.« sagte Herr Jackal.

Und er hob seine Brille empor, um Longue-Avoine scharf in die Augen zu schauen.

»Ei! Herr Jackal,« erwiderte Longue-Avoine. »meine religiösen Grundsätze haben mich dieser Sache aus die Spur gebracht.«’

»Nun wohl, so sage ein Wort von Deinen Grundsätzen, doch wenn es möglich ist, sage nicht zwei.«

»Vor Allem erfahren Sie, Herr Jackal: ich richte es immer so ein, daß ich nur gute Bekanntschaften habe.«

»Das ist schwierig bei dem Handwerk, das Du treibst; doch weiter.«

»Ich habe also Freundschaft mit einer Stühlevermietherin von Saint-Jacques-du-Haut-Pas geschlossen.«

»Immer durch Religion?«

»Durch Religion, ja, Herr Jackal.«

Herr Jackal stopfte sich die Nase mit Tabak voll, mit der Wuth eines Menschen, der durch seine Stellung genötigt ist, sich den Anschein zu geben, als glaubte er an Dinge, an welche er nicht glaubt.

»Diese Stühlevermietherin wohnt in der Impasse des Vignes, in dem Hause, in welches so eben Carmagnole eingetreten ist.«

»Im ersten Stocke, ich weiß es.«

»Ah! Sie wissen das, Herr Jackal?«

»Dies und noch viele andere Dinge! Du sagst also die Barbette bewohne ein Zimmer im ersten Stocke?«

»Sie wissen den Namen meiner Stühlevermietherin, Herr Jackal?«

»Ich weiß den Namen aller Stühlevermietherinnen von Paris, mögen sie Stühle aus dem Boulevard de Gand, aus den Champs – Elisées oder in den Kirchen vermiethen. Vorwärts, immer Vorwärts!«

»Nun wohl, eines Tags, oder vielmehr in einer Nacht, da die Barbette eben ihre Gebete sprach, hörte sie hinter der Wand ihres Alcovens, als käme es vom Nachbarhause, ein Geräusch von verworrenen Stimmen und von heftigen Tritten. Dieses Geräusch dauerte von halb neun Uhr bis halb elf Uhr; und als ich gegen elf Uhr zu ihr kam, sagte sie mir, es scheine ihr, sie habe jenseits der Wand ein ganzes Regiment manövrieren hören. Ich wollte es nicht glauben und schrieb diese Erzählung einer von den extatschen Träumerieien zu, denen sie an gewissen Tagen des Jahres preisgegeben ist . . . «

»Weiter, weiter,« sagte verächtlich Herr Jackal.

»Doch eines Abends mußte ich mich in das Augenscheinliche ergeben,« fuhr Longue-Avoine fort.

»Laß das hören.«

»Ich kam früher als gewöhnlich, da ich an diesem Tage keinen Dienst hatte, und ich sprach meine Gebete mit Opportune, als ich das seltsame Geräusch hörte, welches sie ziemlich richtig charakterisierte, indem sie es mit dem Manoeuvre eines Regimentes verglich. Dann ging ich, ohne ihr etwas zu sagen, nachdem unsere Gebete beendigt waren, hinab, um das Haus zu inspizieren, dessen Wand gemeinschaftlich mit der des Zimmers von Barbette war. Ich schaute nach dem Fenster: keine Spur von Licht; ich hielt mein Ohr an die Thüre: keine Ahnung von Geräusch. Am andern Tage kam ich wieder und stellte mich gerade da, wo wir sind, in Hinterhalt: ich sah nichts. Ich kam am zweiten Tage abermals: noch nichts. Endlich, vierzehn Tage nachher, und es sind heute vierzehn Tage, sah ich, wie ich Ihnen zu sagen die Ehre gehabt habe, sechzig Männer, in Gruppen von zwei, vier, sechs, eintreten und dies im Zeitraume von ungefähr zwei Stunden, genau, wie wir es heute Abend gesehen haben.«

 

»Und was ist Deine Meinung über dieses Abenteuer, Longue-Avoine?« .

»Meine Meinung?«

»Ja, Du mußt nothwendig eine Meinung, so falsch und so albern sie auch sein mag, über das, was in diesem Hause vorgeht, haben.«

»Ich schwöre Ihnen, Herr Jackal . . . «

Herr Jackal hob zum zweiten Male seine Brille empor und schaute Longue-Avoine mit seinen eigenen Augen an.

»Longue-Avoine,« sagte der Polizeichef, »erkläre mir, warum Du mir in der vorigen Woche Deine Entdeckung mit so viel Enthusiasmus mitgetheilt hast, und warum Du ihr seit drei Tagen so viel Widerstand entgegenstellst, daß ich Carmagnole und nicht Dich das Haus der Barbette zu besetzen beauftragt habe.«

»Ich muß Ihnen also Alles sagen. Herr Jackal?«

»Wofür glaubst Du denn, daß Dich der Polizeipräfect bezahlt, Schlingel?«

»Nun wohl, Herr Jackal, vor acht Tagen hielt ich unsere Leute für Verschwörer . . . «

»Während heute . . . ?«

»Heute, das ist etwas Anderes!«

»Was glaubst Du denn?«

»Ich glaube, ohne der Achtung, die ich Ihnen schuldig bin, zu nahe zu treten, da, es eine Versammlung von ehrwürdigen Jesuiten ist.«

»Und was bringt Dich zu diesem Glauben?«

»Einmal habe ich Mehrere beim heiligen Namen Gottes schwören hören.«

»Solltest Du nach Witzen haschen, Longue-Avoine?«

»Gott behüte mich hiervor, Herr Jackal.«

»Last Deinen zweiten Grund hören.«

»Der zweite Grund ist, das, sie lateinische Wörter aussprechen.«

»Du bist nur ein Dummkopf, Longue-Avoine.«

»Das ist möglich, Herr Jackal; doch warum bin ich nur ein Dummkopf?«

»Weil die Jesuiten kein geheimes Haus brauchen, um ihre Versammlungen zu halten.«

»Und warum nicht, Herr Jackal?«

»Weil sie die Tuilerien haben, Gimpel,«

»Aber wer können diese Menschen sein?«

»Ich denke, wir werden es erfahren, denn ich sehe Carmagnole kommen.«

Und die unter dem Namen Carmagnole bezeichnete Person kam in der That aus Herrn Jackal zu, ohne daß ihre Tritte mehr Geräusch aus dem Pflaster machten, als wenn ihre Sohlen von Sammet gewesen wären.

Es war ein kleiner magerer Mann mit olivengrünem Teint, mit glühenden Augen, mit schnarrender Sprache und provencalischem Dialekte, eines von den bizarren Wesen, wie man sie an den Usern des Mittelländischen Meeres trifft, und die alle Sprachen sprechen, ohne ihre Muttersprache zu kennen.

»Nun, Carmagnole,« fragte Herr Jackal, »welche Neuigkeit bringen Sie?«

»Ich bringe die Neuigkeit, daß das Loch gemacht ist: noch einen letzten Schlag mit der Haue, und man kann hinein.«

Longue-Avoine horchte mit der größten Aufmerksamkeit; denn nach seiner Ansicht war er es, den man mit der Expedition, deren Schauplatz das Haus von Barbette war, hätte beauftragen müssen.

»Und das Loch ist groß genug, daß ein Mann durchschlüpfen kann?« fragte Herr Jackal.

»Ei! ich glaube wohl!« erwiderte Carmagnole: »ein Loch so groß wie eine Thüre; die Stühle-Vermietherin und ich haben es auch schon die Barbette-Thüre genannt.«

»Ah!« murmelte Longue-Avoine. »das ist in ihrer Stube! Welche Demüthigung für mich: ich besitze das Vertrauen meines Chefs nicht mehr!«

»Und Sie haben diesen Durchbruch ohne Geräusch gemacht?« fuhr Herr Jackal fort.

»Ich hörte die Fliegen athmen,«

»Es ist gut; kehre zur Barbette zurück, rühre Dich nicht, und erwarte mich.«

Carmagnole verschwand, wie er gekommen war, das heißt rasch und still wie eine Sternschnuppe.

Er war kaum in die Impasse des Vignes zurückgekehrt, als ein scharfes Pfeifen auf dem Dache des verdächtigen Hauses hervorzukommen schien.

Herr Jackal trat aus seinem Verstecke, machte ein paar Schritte aus der Straße, und erblickte einen Mann rittlings auf der Kante des Daches.

Er hielt seine Hände zusammen, um sich ein Sprachrohr daraus zu machen, und fragte:

»Bist Du es, Vol-au-Vent?«

»Ich selbst in Person.«

»Glaubst Du hinein zu können?«

»Ich bin dessen sicher.«

»Wodurch?«

»Es ist eine Lücke im Dache: ich springe in den Speicher und warte.«

»Du wirst nicht lange warten.«

»Wie lange ungefähr?«

»Zehn Minuten.«

»Gut, also zehn Minuten! Wenn es in der Saint-Jacques – Kirche elf Uhr schlägt, mache ich den Sprung.«

Und er verschwand.

»Trefflich!« sprach Herr Jackal: »Carmagnole überwacht sie links, Pavillon von hinten; Vol-au-Vent wird in das Haus selbst eindringen. Ich glaube, das ist der Augenblick, einzutreten.«

Und von dem Orte, wo er war, ließ Herr Jackal, in seinen Mund den Mittelfinger von jeder seiner Hände steckend, einen Pfiff vernehmen, aus den acht bis zehn ähnliche Pfiffe antworteten.

Dann liefen von allen nach der Rue des Postei ausmündenden Straßen Männer herbei, welche mit dem ersten Kerne vereinigt die Zahl fünfzehn erreichten.

Vier von diesen Männern waren mit Knütteln bewaffnet, die sie in der Hand hielten; vier Andere hatten Pistolen im Gürtel; wieder vier Andere hatten bloße Degen unter ihren Mänteln; zwei trugen Fackeln.

Diese fünfzehn Männer stellten sich in folgender Ordnung aus: die zwei Fackelträger nahmen, bereit, ihre Fackeln anzustecken, der eine rechts, der andere links von Herrn Jackal ihren Platz; die acht bewaffneten Männer kamen zu zwei und zwei hinter ihm; Longue-Avoine commandirte die vier, welche die Nachhut bildeten. Diese Belagerungszurüstungen geschahen nicht ohne ein wenig Geräusch; Herr Jackal aber, als er sich umwendend Jeden an seinem Posten sah, sagte:

»Stille nun! und diejenigen, welche religiöse Gefühle haben, wie Longue-Avoine, mögen ihr Gebet verrichten, wenn sie sich fürchten.«

Bei diesen Worten zog er eine Cassette aus seiner Tasche, näherte sich der Thüre des Geheimnisvollen Hauses, that drei Schläge mit einem der bleiernen Knöpfe, welche an den beiden Enden seiner Waffe angebracht waren, und rief:

»Oeffnet, im Namen des Gesetzes.«

Wonach er sein Ohr an das Schloß hielt.

Kein menschlicher Hauch verhinderte Herrn Jackal, das Geräusch im Innern zu hören; die fünfzehn Alguazils schienen in eben so viele Bildsäulen verwandelt; doch nichts unterbrach die Stille, welche aus den Schall der drei Schläge folgte.

Nach Verlauf von fünf Minuten vergeblichen Horchens hob Herr Jackal den Kopf wieder empor, that drei neue Schläge in gleicher Entfernung und wiederholte die sacramentliche Formel:

»Oeffnet, im Namen des Gesetzes!«

Und er hielt sein Ohr abermals an die Thüre. Da er dieses zweite Mal eben so wenig etwas hörte, als das erste Mal, so klopfte er zum dritten Male; doch er erhielt keine Antwort.

»Vorwärts, meine Herren.« sagte er, »da man uns beharrlich nicht öffnet, so wollen wir selbst öffnen!«

Und er zog einen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in das Schloß, das sogleich nachgab.

Die Thüre öffnete sich.

66Ich habe die Welt durchwandert.
67Ha! endlich kann ich wieder Athen, schöpfen.