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Buch lesen: «Die beiden Dianen», Seite 31

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»Ich behalte also diese Handwerksleute des Ruhmes und bezahle ihnen zu größerer Sicherheit einen Monat zum Voraus,« sprach Gabriel. »Doch die Zeit drängt. Die Anderen!«

Die zwei deutschen Goliathe legten mechanisch und militärisch die Hand an den Hut und entfernten sich mit einander, pünktlich gleichen Schritt haltend.

»Der Folgende heißt Pilletrousse,« sagte Martin-Guerre. »Hier ist er.«

Eine Art von Räuber mit wilder Miene und zerrissenen Kleidern trat ein: er wiegte sich verlegen und wandte die Augen von Gabriel wie von einem Richter ab.

»Warum erscheint Ihr verschämt, Pilletrousse?« fragte ihn Martin-Guerre mit freundlichem Tone. »Der gnädige Herr hier hat Leute von Muth von mir verlangt. Ihr seid etwas . . . ausgesprochener, als die Andern, aber Ihr braucht im Ganzen nicht zu erröthen.«

Hierauf wandte er sich mit ernstem Wesen an seinen Herrn und fuhr fort:

»Pilletrousse, gnädiger Herr, ist, das was wir einen Stegreifritter nennen. In dem allgemeinen Feldzug gegen die Spanier und Engländer hat er beinahe nur für eigene Rechnung Krieg getrieben. Pilletrousse streift auf unseren Landstraßen umher, welche zu dieser Stunde voll von fremden Plünderern sind, und Pilletrousse plündert die Plünderer. Seine Landsleute verschont er nicht nur, sondern beschützt sie sogar. Pilletrousse erobert also, er raubt nicht. Nichtsdestoweniger hat er es für nöthig erachtet, sein fahrendes Gewerbe zu regeln und die Feinde Frankreichs minder . . . willkührlich zu beunruhigen. Und so hat er auch voll Eifer das Anerbieten, sich unter dem Banner des Vicomte d’Ermès einzureihen, ergriffen.«

»Und ich nehme ihn unter Deiner Bürgschaft an, Martin-Guerre,« erwiderte Gabriel, »doch unter der Bedingung, daß er fortan zum Schauplatz seiner Thaten nicht mehr die Landstraßen oder Fußwege, sondern die befestigten Städte und die Schlachtfelder wählt.«

»Danke dem gnädigen Herrn, Bursche!« sagte zu dem Straßenläufer Martin-Guerre, der eine Vorliebe für, den Schelm zu haben schien.

»Oh! ja, gnädiger Herr, ich danke,« rief Pilletrousse mit Begeisterung. »Ich verspreche Euch, mich in Zukunft nie mehr einer gegen: zwei oder drei, sondern immer einer gegen zehn zu schlagen.«

»Gut! gut!« sprach Gabriel.

Derjenige, welcher hinter Pilletrousse kam, war ein bleicher, schwermüthiger, sorgenvoller Mensch, der das Weltall mit Traurigkeit und Entmuthigung anzuschauen schien. Das düstere Siegel seines Gesichtes wurde besonders durch Narben vervollständigt, mit denen es breit und reichlich benäht war.

Martin stellte diesen siebenten und letzten Rekruten unter dem traurigen Namen Malemort vor.

»Der Herr Vicomte d’Ermès würde sich in der That eine Schuld aufladen, wenn er den armen Malemort nicht annähme,« sagte Martin Guerre. »Malemort ist von einer aufrichtigen und tiefen Leidenschaft für Bellona erfüllt, um ein wenig mythologisch zu sprechen. Doch diese Leidenschaft ist bis jetzt sehr unglücklich gewesen. Er hat einen unleugbaren, scharf ausgesprochenen Geschmack für den Krieg; er gefällt sich nur in Kämpfen, er ist nur glücklich bei einem schönen Blutbad . . . und hat leider bis jetzt sein Glück nur mit dem Ende der Lippen gekostet! Er stürzt sich so blindlings und wüthend ins Gefecht, daß er stets beim ersten Sprung eine Schmarre erhält, die ihn auf die Seite wirft und von Anfang in die Ambulanz verbannt, wo er den Rest der Schlacht seufzt, weniger über seine Wunde, als über seine Abwesenheit. Sein ganzer Körper ist gleichsam nur eine Wunde; doch er ist, Gott sei Dank! kräftig und erhebt sich bald wieder. Nur muß er eine andere Gelegenheit abwarten. Dieses oft lange ungestillte Verlangen untergräbt ihn mehr, als das Blut, das er so glorreich vergossen. Der gnädige Herr sieht, daß es eine Gewissenssache wäre, diesen schwermüthigen Streiter von einer Freude auszuschließen . . . die er ihm mit gegenseitigem Vortheil verschaffen kann.«

»Ich nehme auch Malemort mit Begeisterung an, mein guter Martin,« sagte Gabriel.

Ein Lächeln der Zufriedenheit schwebte über das bleiche Antlitz von Malemort. Die Hoffnung belebte mit einem Funken seine erloschenen Augen, und er ging seinen Kameraden leichteren Schrittes nach, als er eingetreten war.

»Sind dies alle die Menschen, die Du mir vorzustellen hast?« fragte Gabriel seinen Stallmeister.

»Ja, gnädiger Herr, ich habe Euch für den Augenblick keine andere zu bieten. Ich wagte es nicht, zu hoffen, der gnädige Herr würde alle annehmen.«

»Ich müßte schwierig sein, Martin, Du hast einen guten und sichern Geschmack. Empfange meine Complimente zu Deiner glücklichen Wahl.«

»Ja,« versetzte Martin-Guerre bescheiden, »ich denke im Ganzen, Malemort, Pilletrousse, die zwei Scharfenstein, Lactance, Yvonnet und Ambrosio sind Bursche, die man nicht zu verachten hat.«

»Ich glaube es wohl,« erwiderte Gabriel. »Es sind kräftige Gesellen.«

»Erlaubt der gnädige Herr, ihnen Landry, Chesnel, Aubriot, Contamine und Balu, unsere Veteranen aus dem Lothringer Krieg, beizufügen, so denke ich, daß wir mit dem Herrn Vicomte d’Ermès an der Spitze und vier bis fünf von unseren Leuten hier zur Bedienung eine Truppe haben werden, die wahrhaftig unseren Freunden gut zu zeigen ist, und unseren Feinden noch besser.«

»Ja, gewiß!« sprach Gabriel, »Arme und Köpfe von Eisen! Du lässest diese zwölf Braven in der kürzesten Frist bewaffnen und equipiren, Martin. Aber ruhe heute aus, Du hast Deinen Tag gut angewendet, Freund, und ich danke Dir; der meinige, obgleich auch voll Thätigkeit und Schmerz, ist jedoch noch nicht vollendet.«

»Wohin geht der gnädige Herr diesen Abend?« fragte Gabriel.

»In den Louvre zu Herrn von Guise, der mich um acht Uhr erwartet,« antwortete Gabriel aufstehend. »Doch in Folge Deines raschen Eifers, Martin, hoffe ich, daß einige Schwierigkeiten, die sich hätten in meiner Unterredung mit dem Herzog bieten können, zum Voraus gehoben sind.«

»Oh! das macht mich sehr glücklich, gnädiger Herr.«

»Und wie mich, Martin! Du weißt nicht, wie sehr ich des Gelingens bedarf. Oh! doch es wird mir gelingen!«

Und der edle junge Mann wiederholte sich in seinem Herzen, während er sich nach der Thüre wandte, um sich in den Louvre zu begeben:

»Ja, ich werde Dich retten, mein Vater! Meine Diana, ich werde Dich retten!«

II.
Geschicklichkeit der Ungeschicklichkeit

Ueberspringen wir im Geist sechzig Meilen und zwei Wochen, und kehren wir gegen das Ende des Monats November 1557 nach Calais zurück.

Es waren seit der Abreise des Vicomte d’Ermès nicht fünf und zwanzig Tage verlaufen, als sich vor den Thoren der englischen Stadt ein Bote von ihm zeigte.

Dieser Bote verlangte vor Mylord Wentworth geführt zu werden, dem er das Lösegeld seines ehemaligen Gefangenen übergeben sollte.

Genannter Bote schien indessen sehr ungeschickt und schlecht unterrichtet zu sein, denn man mochte ihm immerhin seinen Weg angeben, er ging zwanzigmal, ohne einzutreten, an dem großen Thor vorüber, das man ihm hartnäckig und genau bezeichnet hatte, um immer wieder alberner Weise an Schlupfpforten und verbotene Thüren zu klopfen; so daß der Dummkopf am Ende rein umsonst beinahe den ganzen Weg über die äußeren Boulevards der Festung machte.

Endlich wollte er sich durch Unterweisungen, von denen eine immer genauer war als die andere, auf den rechten Weg bringen lassen, und schon in jener entfernten Zeit war die magische Gewalt der Worte: »Ich bringe zehntausend Thaler für den Gouverneur,« so groß, daß man, nach Erfüllung der streng vorgeschriebenen Maßregeln, nachdem man unsern Mann durchsucht und die Befehle von Lord Wentworth eingeholt hatte, den Ueberbringer einer so achtenswerthen Summe gern in Calais einließ.

Entschieden ist nur das goldene Jahrhundert kein silbernes Jahrhundert gewesen!

Der unverständige Abgesandte von Gabriel verirrte sich noch mehr als einmal in den Straßen von Calais, ehe er das Hotel des Gouverneurs fand, das ihm doch mitleidige Seelen hundertmal wieder zeigten. Bei jeder Wachtstube, die er traf, schien er zu glauben, hier müsse er nach Lord Wentworth fragen, und jedes Mal lief er nach dieser Seite.

Nachdem er eine Stunde vergeudet hatte, um einen Weg zu machen, zu dem jeder Andere zehn Minuten gebraucht hätte, erreichte er endlich das Hotel des Gouverneurs.

Er wurde sogleich bei Lord Wentworth eingeführt, der ihn, an diesem Tage bis zu tiefer Traurigkeit gebracht, mit ernster Miene empfing.

Als er den Gegenstand seiner Botschaft erklärt und auf den Tisch einen von Gold aufgeschwollenen Sack gelegt hatte, fragte ihn der Engländer:

»Hat Euch der Vicomte d’Ermès nur beauftragt, mir dieses Geld zu übergeben, ohne etwas für mich beizufügen?«

Pierre, so nannte sich der Abgesandte, schaute Lord Wentworth mit einer Miene des Erstaunens an, welche seinen natürlichen Mitteln fortwährend wenig Ehre machte.

»Mylord,« sagte er endlich, »ich habe nichts bei Euch zu thun, als Euch dieses Lösegeld zu übergeben. Mein Herr hat mir wenigstens nichts sonst befohlen, und ich begreife nicht . . .«

»Schon gut!« unterbrach ihn Lord Wentworth mit einem verächtlichen Lächeln. »Der Herr Vicomte ist dort vernünftiger geworden wie ich sehe. Ich wünsche ihm Glück dazu. Die Luft des Hofes von Frankreich macht vergessen; glücklich diejenigen, welche sie einathmen.«

Er murmelte mit leiser Stimme, als spräche er mit sich selbst:

»Vergessen ist oft die Hälfte des Glücks!«

»Hat mir Mylord nichts an meinen Herrn aufzutragen?« fragte der Bote, der mit einer sehr sorglosen und ziemlich albernen Miene die schwermüthigen Beiseitreden des Engländers zu hören schien.

»Ich habe Herrn d’Ermès nichts zu sagen, da er mir nichts sagt,« erwiderte Lord Wentworth trocken. »Meldet ihm indessen wenn Ihr wollt, daß ich noch einen Monat, bis zum 1. Januar, warten und als Edelmann so wie als Gouverneur von Calais zu seinen Befehlen sein werde. Er wird begreifen.«

»Bis zum 1. Januar?« wiederholte Pierre. »Ich werde es ihm sagen.«

»Gut! hier ist Euer Empfangschein, dabei für Euch eine kleine Entschädigung für die Mühe der langen Reise. Nehmt, nehmt doch!«

Der Mann schien Anfangs zu zögern. besann sich aber eines Andern, und nahm die Börse, die ihm Lord Wentworth bot.

»Ich danke, Mylord,« sagte er. »Doch wird mir Lord Wentworth eine Gnade bewilligen?«

»Was wollt Ihr?« fragte der Gouverneur von Calais.

»Außer der Schuld, die ich so eben an Mylord abgetragen,« erwiderte der Bote, »hat der Vicomte d’Ermès während seines Aufenthaltes hier eine andere eingegangen, gegen einen Einwohner dieser Stadt, Namens . . . wie heißt er doch? . . . Pierre Peuquoy, dessen Gast er gewesen ist.«

»Nun?«

»Nun, Mylord, wird es mir erlaubt sein, jetzt zu diesem Pierre Peuquoy zu gehen, um ihm seine Vorschüsse zurückzubezahlen?«

»Allerdings,« antwortete der Gouverneur. »Man wird Euch sein Haus zeigen. Hier ist Eure Auslaßkarte, damit Ihr aus der Stadt weggehen könnt. Gern möchte ich Euch erlauben, einige Tage hier zu verweilen, denn es ist vielleicht für Euch ein Bedürfniß, von der Reise auszuruhen. Aber die Reglements des Platzes verbieten, einen Fremden zu behalten, einen Franzosen besonders. Lebet wohl, Freund, und glückliche Reise.«

»Gott befohlen, und viel Glück nebst all’ meinem Dank, Mylord!«

Als der Bote das Hotel verließ, begab er sich, nicht ohne daß er sich wieder zehnmal verirrte, nach der Rue du Martroi, wo, wie sich unsere Leser erinnern werden, der Waffenschmied Pierre Peuquoy wohnte.

Der Abgesandte von Gabriel fand Pierre Peuquoy noch trauriger in seiner Werkstätte als Wentworth in seinem Hotel. Der Waffenschmied, der ihn Anfangs für einen Kunden hielt, empfing ihn mit offenbarer Gleichgültigkeit.

Nichtsdestoweniger, als der Andere ankündigte, er komme im Auftrage des Vicomte d’Ermès, heiterte sich die Stirne des braven Bürgers plötzlich auf.

»Im Auftrage des Vicomte d’Ermès!« rief er.

Dann wandte er sich an einen von seinen Lehrlingen, der ihm, während er den Werktisch aufräumte, zuhören konnte, und sagte nachlässig zu ihm:

»Quentin, verlasse uns und melde sogleich meinem Vetter Jean, es sei ein Bote vom Vicomte d’Ermès angekommen.«

Der Lehrling entfernte sich ärgerlich auf diesen Befehl.

»Sprecht nun, Freund,« sagte Peuquoy lebhaft. »Oh! wir wußten wohl, daß uns der würdige Herr nicht vergessen würde. Sprecht geschwinde. Was bringt Ihr uns von ihm?«

»Seine Empfehlungen und seinen herzlichen Dank, diese Börse mit Gold und die Worte: »Erinnert Euch des 5.!« Er sagte, Ihr würdet das verstehen.«

»Das ist Alles?« fragte Pierre Peuquoy.

»Durchaus Alles, Meister.« »Wie anspruchsvoll sind sie in diesem Lande,« dachte der Bote. »Es scheint, es liegt ihnen nicht viel an den Thalern. Sie haben nur geheime Forderungen, die der Teufel nicht verstehen würde.«

»Aber wir sind unserer drei in diesem Hause,« sagte der Waffenschmied. »Es ist auch Jean hier, mein Vetter, und meine Schwester Babette. Ihr habt Euch Eures Auftrags gegen mich entledigt, das ist gut. Habt Ihr nicht einen andern für Babette oder für Jean?«

Jean Peuquoy, der Weber, trat gerade ein, um den Boten von Gabriel antworten zu hören:

»Außer Euch habe ich Niemand etwas zu sagen, und ich habe Euch Alles gesagt, was ich Euch zu sagen hatte.«

»Nun! Du siehst, Bruder,« sprach Pierre, indem er sich gegen Jean umwandte, »Du siehst, der Herr Vicomte d’Ermès dankt uns, der Herr Vicomte d’Ermès schickt uns in aller Eile dieses Geld; der Herr Vicomte d’Ermès läßt uns sagen! »Erinnert Euch! . . .« Doch er, er erinnert sich nicht.«

»Ach!« seufzte eine schwache, schmerzliche Stimme hinter der Thüre.

Es war die arme Babette, welche Alles gehört hatte.

»Einen Augenblick,« versetzte Jean Peuquoy, der hartnäckig hoffte. »Freund,« fuhr er fort, indem er sich an den Boten wandte, »wenn Ihr von dem Hause von Herrn d’Ermès seid, so müßt Ihr unter seinen Dienern und Euren Gefährten einen Namens Martin-Guerre kennen?«

»Martin-Guerre? . . . Oh! ja, Martin-Guerre den Stallmeister? Ja, Meister, ich kenne ihn.«

»Er ist immer noch im Dienst von Herrn d’Ermès?«

»Immer noch.«

»Hat er gewußt, daß Ihr nach Calais ginget?«

»Er hat es gewußt,« antwortete der Bote. »Er war, wie ich mich erinnere, sogar anwesend, als ich das Hotel des Herrn d’Ermès verließ. Er hat mich mit seinem . . . mit unserem Herrn bis zum Thor begleitet und mich abgehen sehen.«

»Und er hat Euch nichts für uns oder sonst für Jemand im Hause aufgetragen?«

»Durchaus nichts, ich wiederhole es Euch.«

»Wartet, Pierre,« sagte Jean, werdet noch nicht ungeduldig. Freund, Martin-Guerre hat Euch vielleicht empfohlen, Eure Botschaft insgeheim abzustatten. Erfahrt, daß diese Vorsicht unnöthig geworden ist. Wir wissen nun die Wahrheit. Der Schmerz der Person, welcher Martin-Guerre eine Genugthuung schuldig ist, hat uns nichts unbekannt gelassen. Ihr könnt also in unserer Gegenwart sprechen. Habt Ihr übrigens in dieser Hinsicht noch Bedenklichkeiten, so werden wir uns entfernen, und die Person, auf die ich anspiele, und die Euch Martin-Guerre bezeichnet hat, wird sogleich kommen und allein mit Euch sprechen.«

»Bei meiner Treue!« erwiderte der Bote, »ich begreife nicht ein Wort von Euren Reden.«

»Es ist hinreichend, Jean, Ihr müßt genug haben!« rief Pierre Peuquoy, dessen Augenstern sich mit einem Blitze der Entrüstung entflamme. »Bei dem Andenken meines Vaters! ich begreife nicht, welches Vergnügen Ihr haben könnt, bei der Schande, die man uns anthut, zu verharren!«

Jean neigte schmerzlich das Haupt, ohne etwas beizufügen.«

»Wollt Ihr das Geld zählen, Meister?« fragte der Bote ziemlich verlegen über seine Rolle.

»Es ist nicht der Mühe werth,« erwiderte Jean ruhiger, wenn auch nicht minder traurig, als Vierte.«Nehmt dies für Euch, Freund. Ich will Euch auch zu essen und zu trinken bringen lassen.«

»Ich danke für das Geld,« antwortete der Bote, der es indessen nur mit einer gewissen Unbehaglichkeit zu nehmen schien. »Was das Essen und Trinken betrifft, so habe ich weder Hunger, noch Durst, denn ich frühstückte vor Kurzem erst in Nieullay. Ich muß auf der Stelle wieder abreisen, denn Euer Gouverneur hat mir verboten, lange in der Stadt zu verweilen.«

»Wir halten Euch also nicht zurück, Freund,« sprach Jean Peuquoy. »Gott befohlen! Sagt Martin-Guerre . . . Doch nein! ihm haben wir nichts zu sagen . . . Sagt nur Herrn d’Ermès, wir danken ihm und erinnern uns des 5. Doch wir hoffen, er werde sich seinerseits auch erinnern.«

»Hört noch,« fügte Pierre Peuquoy bei, der einen Augenblick aus seinem düsteren Nachsinnen erwachte. »Ihr möget auch Eurem Herrn sagen, wir werden beharrlich einen ganzen Monat warten. In einem Monat könnt Ihr nach Paris zurückkehren, und kann er Jemand hierher schicken. Wenn aber das laufende Jahr zu Ende ist, ohne daß wir Nachricht von ihm erhalten, so werden wir glauben, sein Herz habe kein Gedächtniß, und das wird uns für ihn, eben so leid thun, als für uns. Denn als redlicher Edelmann, der sich so gut des geliehenen Geldes erinnert, müßte er sich noch besser der ihm anvertrauten Geheimnisse erinnern. Hiermit Gott befohlen, Freund.«

»Gott behüte Euch!« sprach der Bote von Gabriel und stand auf, um sich zu entfernen. »Alle Eure Fragen und alle Eure Worte sollen meinem Herrn getreulich berichtet werden.«

Jean Peuquoy begleitete den Mann bis zu der Thüre des Hauses. Pierre aber blieb wie niedergeschmettert in seiner Ecke.

Nach vielen neuen Umwegen und vielem neuen Verirren in dieser verwickelten Stadt Calais, die er zu begreifen so große Mühe hatte, erreichte der schlendernde Bote endlich das Hauptthor, von wo er, nachdem er seine Auslaßkarte vorgezeigt und nachdem man ihn sorgfältig durchsucht hatte, ins Freie hinaus konnte.«

Er ging drei Viertelstunden behenden Schrittes, ohne anzuhalten, und marschierte erst, nachdem er ungefähr eine Meile zurückgelegt hatte, langsamer.

Dann erst erlaubte er sich auszuruhen; er setzte sich auf einen Rasenhügel, schien nachzudenken und ein Lächeln der Zufriedenheit zeigte sich in seinen Augen und auf seinen Lippen.

»Ich weiß nicht,« sagte er, »was sie in dieser Stadt Calais haben, daß einer immer trauriger und geheimnißvoller ist, als der andere. Wentworth hat, wie es scheint, eine Rechnung mit Herrn d’Ermès zu ordnen, und die Peuquoy scheinen mir einen Groll gegen Martin-Guerre zu hegen! Bah! was geht das am Ende mich an? Ich bin nicht traurig. Ich habe, was ich will und was ich brauche. Kein Federzug, kein Stückchen Papier, das ist wahr; doch Alles ist hier in meinem Kopf, und mit dem Plane von Herrn d’Ermès werde ich leicht in meinem Geiste diesen Platz zusammenfügen, der die Anderen so düster macht, während mich die Erinnerung an ihn so sehr erfreut.«

Er durchging rasch in seiner Einbildungskraft die Straßen, Bollwerke und befestigten Posten, wohin ihn seine vorgebliche Tölpelei so geschickt geführt hatte.

»So ist es!« sagte er zu sich selbst. »Alles ist klar und pünktlich, als ob ich es noch vor mir sehen würde. Der Herzog von Guise wird zufrieden sein. Mittelst dieser Reise und der kostbaren Andeutungen des Kapitäns der Leibwachen Seiner Majestät, können wir den theuren Vicomte d’Ermès nebst seinem Stallmeister zu den Rendezvous führen, die ihnen in einem Monat Lord Wentworth und Pierre Peuquoy bezeichnen. In sechs Wochen, wenn uns Gott und die Umstände begünstigen, sind wir die Herren von Calais, oder ich will meinen Namen verlieren.«

Und unsere Leser werden zugestehen, daß dies schade gewesen wäre, wenn sie erfahren, daß dieser Name der des Marschall Pietro Strozzi, eines der berühmtesten und geschicktesten Ingenieurs des XVI. Jahrhunderts, war.

Nachdem er einige Minuten ausgeruht, begab sich Pietro Strozzi wieder auf den Weg, als hätte er Eile gehabt, schon wieder in Paris zurück zu sein. Er dachte viel an Calais und wenig an seine Einwohner.

III.
Der 31. December 1557

Man hat ohne Zweifel errathen, warum Strozzi Lord Wentworth so ärgerlich und so bitter fand, und warum der Gouverneur von Calais vom Vicomte d’Ermès so scharf und hochmüthig sprach.

Dies geschah, weil ihn Frau von Castro immer mehr zu hassen schien.

Ließ er sie um Erlaubniß bitten, ihr einen Besuch machen zu dürfen, so fand sie stets Vorwände, um ihn nicht empfangen zu müssen. War sie aber zuweilen genöthigt, seine Gegenwart zu ertragen, so verrieth ihr eisiger, ceremoniöser Empfang nur zu klar ihre Gefühle gegen ihn und machte ihn immer trostloser.

Er ermüdete jedoch noch nicht in seiner Liebe. Ohne etwas zu hoffen, verzweifelte er darum doch noch nicht. Er wollte wenigstens für Diana der vollkommene Edelmann bleiben, der am Hofe von Maria von England den Ruf der feinsten Courtoisie zurückgelassen hatte. Er überhäufte seine Gefangene mit Zuvorkommenheiten. Sie wurde mit fürstlichen Rücksichten, mit fürstlichem Luxus bedient. Er gab ihr einen Pagen. Er engagierte für sie einen von den im Jahrhundert der Renaissance so sehr gesuchten und beliebten italienischen Musikern. Diana fand zuweilen in ihrem Zimmer Geschmeide und Anzüge von dem größten Werthe; Lord Wentworth hatte dieselben aus London für sie kommen lassen; aber sie schaute sie nicht einmal an.

Einmal gab er ihr zu Ehren ein großes Fest, wozu er Alles, was von vornehmen Engländern in Calais und in Frankreich war, einlud. Seine Einladungen gingen sogar über den Kanal. Doch Frau von Castro weigerte sich hartnäckig, dabei zu erscheinen.

So viel Kälte und Verachtung gegenüber, wiederholte sich Lord Wentworth jeden Tag, es wäre sicherlich besser für seine Ruhe, wenn er das königliche Lösegeld, das ihm Heinrich II. anbot, annehmen und Diana in Freiheit setzen würde.

Dies hieß aber zugleich sie der glücklichen Liebe von Gabriel d’Ermès zurückgeben, und der Engländer fand in seinem Herzen nie Stärke und Muth genug, um ein so hartes Opfer zu vollbringen.

»Nein, nein,« sagte er zu sich selbst, »wenn ich, sie nicht habe, so soll sie wenigstens Niemand haben!«

Unter diesen Unentschlossenheiten, unter diesen Befürchtungen vergingen die Tage, die Wochen, die Monate. Am 31. December 1557 gelang es Lord Wentworth, Zutritt in die Wohnung von Frau von Castro zu erhalten. Er athmete, wie gesagt, nur hier, obgleich er stets trauriger und verliebter wegging. Aber Diana, selbst streng, sehen, sie, selbst ironisch, hören, war für ihn das gebieterischste Bedürfniß geworden.

Sie sprachen mit einander, er stehend, sie vor dem hohen Kamin sitzend.

Sie sprachen mit einander über den einzigen schmerzlichen Gegenstand, der sie vereinigte und zugleich trennte.

»Nein, Madame,« sagte der verliebte Gouverneur, »wenn ich dennoch, auf das Aeußerste gereizt durch Eure Grausamkeit, in Verzweiflung gebracht durch Eure Verachtung, vergäße, daß ich Edelmann und Euer Wirth bin . . .«

»Dann würdet Ihr Euch entehren, Mylord, und nicht mich,« antwortete Diana mit Festigkeit.

»Wir wären miteinander entehrt!« entgegnete Lord Wentworth. »Ihr seid in meiner Gewalt! Wohin würdet Ihr Euch flüchten?«

»Mein Gott! In den Tod,« erwiderte sie ruhig.

Lord Wentworth erbleichte und schauerte. Er den Tod von Diana veranlassen!

»Eine solche Hartnäckigkeit ist nicht natürlich,« sagte er, den Kopf schüttelnd. »Ihr würdet Euch fürchten, mich zum Aeußersten zu treiben, wenn Ihr nicht irgend eine wahnsinnige Hoffnung bewahrtet, Madame. Ihr glaubt also immer noch an einen unmöglichen Wechselfall? Sprecht, von wem könnt Ihr zu dieser Stunde Hilfe erwarten?«

»Von Gott, vom König . . .«

Es lag in ihrem Satze ein Zögern und in ihrem Gedanken ein Verschweigen, das Lord Wentworth nur zu wohl begriff.

»Sicherlich denkt sie an diesen d’Ermès!« sagte er zu sich selbst«

Doch dies war eine gefährliche Erinnerung, die er nicht zu berühren oder hervorzurufen wagte. Er beschränkte sich darauf, daß er mit Bitterkeit erwiderte:

»Ja, rechnet auf den König! rechnet auf Gott! Doch wenn Gott Euch hätte beistehen wollen, so würde er Euch, wie mir scheint, am ersten Tage gerettet haben, und nun endigt heute ein Jahr, ohne daß er Euch seinen Schutz hat angedeihen lassen.«

»Ich hoffe daher auf das Jahr, das morgen beginnt,« erwiderte Diana, indem sie ihre schönen Augen zum Himmel aufschlug, als wollte sie Hilfe von Oben erstehen.

»Was den König von Frankreich, Euren Vater, betrifft,« fuhr Lord Wentworth fort, »so hat er, denke ich, zu schwere Angelegenheiten auf dem Hals, um seine ganze Macht und seinen ganzen Geist für Euch zu verwenden. Frankreich ist in einer noch dringenderen Gefahr, als seine Tochter.«

»Das sagt Ihr!« versetzte Diana im Tone des Zweifels.

»Lord Wentworth lügt nicht, Madame. Wißt Ihr, wie die Sachen für den König, Euren erhabenen Vater, stehen?«

»Was kann ich in diesem Gefängniß erfahren?« erwiderte Diana, welche sich einer Bewegung der Theilnahme nicht zu erwehren vermochte.

»Ihr brauchtet nur zu fragen,« sprach Lord Wentworth, freudig, daß man ihn einen Augenblick anhörte, und wäre es auch nur als Unglücksboten. »Nun, so wißt, daß die Rückkehr des Herrn Herzogs von Guise nach Paris bis jetzt die Lage von Frankreich durchaus nicht verbessert hat. Es sind nur einige Truppen organisiert, einige Plätze befestigt worden, und mehr nicht. In dieser Stunde zaudern sie und wissen nicht, was sie thun sollen. Alle ihre an der Nordgrenze zusammengezogenen Truppen vermochten wohl die Spanier in ihrem Triumphzuge aufzuhalten, aber sie unternehmen nichts für eigene Rechnung. Werden sie Luxemburg angreifen, werden sie sich nach der Picardie wenden? Man weiß es nicht. Werden sie es versuchen, Saint-Quentin zu nehmen oder Ham? . . .«

»Oder Calais?« unterbrach ihn Diana, ihre Augen zum Gouverneur aufschlagend, um auf seinem Gesichte die Wirkung dieses hingeworfenen Namens zu erhaschen.

Doch Lord Wentworth verzog keine Miene und entgegnete mit stolzem Lächeln:

»Oh! Madame, erlaubt mir, nicht einmal diese Frage zu stellen. Wer nur einen Begriff vom Krieg hat, wird diese tolle Vermuthung nicht einen Augenblick zulassen, und der Herzog von Guise hat zu viel Erfahrung, durch ein so seltsam unausführbares Unternehmen sich dem Gespötte von Jedem auszusetzen, der in Europa das Schwert führt.«

In diesem Augenblick entstand ein Geräusch vor der Thüre und ein Bogenschütze trat hastig ein.

Lord Wentworth stand auf und ging ihm ungeduldig entgegen.

»Was gibt es denn, daß man es wagt, mich hier zu stören?« fragte er ärgerlich.

»Mylord, verzeihe mir!« erwiderte der Bogenschütze. »Lord Derby schickt mich in aller Eile.«

»Aus welchem so dringenden Grund? Sprecht, erklärt Euch.«

»Man hat Lord Derby gemeldet, daß eine Vorhut von zweitausend französischen Arquebusieren gestern zehn Meilen von Calais gesehen worden ist, und Lord Derby hat mir Befehl gegeben, sogleich Mylord davon in Kenntnis zu setzen.«

»Ah!« rief Diana, die eine Bewegung der Freude nicht einmal zu verbergen suchte.

Lord Wentworth aber sprach mit kaltem Tone zu dem Bogenschützen:

»Und deshalb habt Ihr die Kühnheit gehabt, mich bis hierher zu verfolgen, Bursche?«

»Mylord,« erwiderte der arme Teufel ganz erstaunt, »Lord Derby . . .«

»Lord Derby,« unterbrach ihn der Gouverneur, »ist ein Kurzsichtiger, der Erdhaufen für Gebirge hält, sagt ihm das in meinem Namen.«

»Mylord,« entgegnete der Bogenschütze, »die Posten, welche Lord Derby auf’s Schleunigste verdoppeln wollte, sollen also . . .«

»Bleiben, wie sie sind! und man lasse mich in Ruhe mit so lächerlichen Schrecknissen.«

Der Bogenschütze verbeugte sich ehrfurchtsvoll und ging hinaus.

»Mylord,« sagte Diana, »Ihr hört, daß nach der Ansicht von einem Eurer besten Lieutenants meine so wahnsinnigen Vorhersehungen sich am Ende verwirklichen könnten.«

»Ich bin genöthigt, Euch über diesen Punkt mehr als je zu enttäuschen,« erwiderte Lord Wentworth mit seiner unstörbaren Sicherheit. »Mit zwei Worten kann ich Euch Aufschluß über diesen falschen Lärmen geben, von dem ich nicht begreife, wie sich Lord Derby dadurch hat hintergehen lassen.«

»Laßt hören,« sagte Frau von Castro, begierig, Licht über einen Punkt zu erhalten, in dem sich jetzt ihr Leben zusammendrängte.

»Nun, Madame,« fuhr Lord Wentworth fort, »von zwei Dingen eines: entweder wollen die Herren von Guise und Nevers, welche, ich muß es anerkennen, geschickte und kluge Heerführer sind, Ardres und Boulogne wieder verproviantieren und führen auf diese Seite die Truppen, die man bezeichnet hat, oder sie machen gegen Calais eine Scheinbewegung, um Ham und Saint-Quentin zu beruhigen, dann werden sie plötzlich wieder umkehren, und eine von diesen beiden Städten zu überrumpeln suchen.«

»Und wer sagt Euch,« entgegnete Frau von Castro mehr unklug als geduldig, »daß sie nicht gegen Ham oder Saint-Quentin ihre Finte gerichtet haben, um Calais sicherer zu überrumpeln?«

Zum Glück hatte sie es mit einer festen, zugleich auf dem nationalen Stolz und dem persönlichen Stolz geankerten Überzeugung zu thun, und Lord Wentworth erwiderte mit Verachtung:

»Ich habe schon die Ehre gehabt, Euch zu versichern, Madame, daß Calais eine von den Städten ist, welche man weder zu überrumpeln, noch im Sturm zu nehmen vermöchte. Ehe man sich ihr nur nähern könnte, müßte man zuerst das Fort Saint-Agathe erobern und sich zum Herrn des Fort von Nieullay machen. Man hätte vierzehn Tage eines siegreichen Kampfes auf allen Punkten nöthig, und während dieser vierzehn Tage hätte England, benachrichtigt, vierzehnmal Zeit, mit seiner ganzen Macht seiner kostbaren Stadt zu Hilfe zu eilen. Calais einnehmen!i Ah! ah! ich muß unwillkührlich lachen, wenn ich nur daran denke!«

Verletzt, sprach Frau von Castro mit einer gewissen, Bitterkeit:

»Was meinen Schmerz bildet, gereicht Euch zur Freude. Wie sollen sich unsere Seelen je verständigen?«

»Ei! Madame,« rief Lord Wentworth erbleichend, »ich wünschte gerade die Illusionen zu vernichten, die uns trennen. Ich wünschte Euch so klar als der Tag zu beweisen, daß Ihr Euch durch Chimären verführen laßt, und daß man, um nur den Gedanken an den Versuch, von dem Ihr träumt, zu fassen, am Hofe von Frankreich von der Tollheit befallen sein müßte.«

»Es gibt auch heldenmüthige Tollheiten,« sprach Diana mit stolzem Tone, »und ich kenne in der That hochherzige Wahnsinnige, welche vor dieser erhabenen Ungereimtheit aus Ruhmbegierde oder einfach aus Ergebenheit nicht zurückweichen würden.«

»Oh! ja, Herr d’Ermès zum Beispiel!« rief Lord Wentworth, fortgerissen von der Wuth der Eifersucht, die er zu bemeistern nicht im Stande war.

»Wer hat Euch diesen Namen genannt?« fragte Frau von Castro erstaunt.

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Veröffentlichungsdatum auf Litres:
06 Dezember 2019
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