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Diana de Lys

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Und Diana begann, während sie so sprach, sich schon an ihrem Schnupftuch zu rächen, welches sie mit ihren Händen zerriß und dessen Spitzen in Stücken herabhingen.

In diese Betrachtungen war die Marquise versunken, als die Kammerjungfer eintrat.

»Was giebt es noch?« sagte Diana, sich eilig abtrocknend. —

»Ein Brief.«

»Gut, legen Sie ihn auf’s Kamin.«

Die Kammerjungfer ging fort.

Diana nahm den Brief und betrachtete die Adresse.

»Ich kenne diese Schrift,« sagte sie, »ich habe sie schon gesehen.«

Sie erbrach das Siegel und sah nach der Unterschrift.

»Paul Aubry was kann er von mir wollen?«

In diesem Augenblicke empfand die Marquise ein heftiges Herzklopfen; sie las:

»Frau Marquise!

»Ich kann dem Verlangen nicht widerstehen, Ihnen für die große Güte zu danken, welche Sie mir bewiesen haben und Ihnen zu gestehen, daß der Dank, welchen ich Ihnen schulde, ewig dauern wird; aber es ist mir unmöglich, fernerhin von Ihrer Güte Gebrauch zu machen.«

»Was soll das bedeuten?«

»Als ich mich bei Ihnen vorstellte, war ich glücklich. Ich ging traurig von Ihnen. Wissen Sie die Ursache, Madame? Sie ist ein Ring, den Sie am Finger tragen, und welcher Sie mir verrathen hat, denn ich habe zufällig diesen Ring in meinen Händen gehabt. Die Ursache ist der Glaube, durch eine Arbeit Verdienst zu erhalten, und die Ueberzeugung daß ich nur ein Almosen empfing.

»Ich fühle mich, ich wiederhole es, Frau Marquise, zu dem tiefsten Danke für Ihre Güte verpflichtet, und ich bitte Sie, die Versicherung meiner Hochachtung ergebenst anzunehmen.«

Die Marquise betrachtete ihre Hand.

»Es ist wahr,« sagte sie, »ich hatte diesen Ring. . . ich Vergeßliche! Also wußte er,« fuhr sie fort, »wer ich war. Aber hat er es sogleich gewusst oder erst am Schlusse unserer Unterhaltung? Ohne Zweifel, sogleich und vielleicht hatte er meine Empfindungen errathen. Vielleicht hat er mich absichtlich von Marcellinen sprechen lassen, um mich schmachten zu lassen. Vielleicht endlich schreibt er mir nur, um sich zu versichern, daß ich ihn liebe. Wenn es so wäre,« sagte Diana lächelnd, »so würde ich ihm verzeihen und nicht verreisen. Aber wie soll ich mich davon überzeugen?«

Diana sah nach der Uhr.

»Sechs Uhr,« sagte sie, »er ist nicht mehr zu Hause.«

Hierauf klingelte sie.

»Wer hat diesen Brief gebracht?« frug sie.

»Ein Bote.«

»Hat er nichts gesagt?«

»Nein, Madame.«

»Hat er nicht aus Antwort gewartet?«

»Er ist sogleich fortgegangen, nachdem er den Brief abgegeben hatte.«

»Schön.«

»Dominique ist zurück.«

»Woher?«

»Von der Post.»

»Nun?«

»Nun, für die Frau Marquise werden morgen um 10 Uhr zur Reise Wagen und Pferde bereit stehen.«

»Es ist unnöthig. Man bestelle es ab, ich werde nicht verreisen.«

»Und die Koffer? »

»Sie packe man wieder aus.«

Seitdem Diana den Brief Pauls gelesen hatte, war sie weit zufriedener als vorher.

Für sie war von zwei Möglichkeiten nur die eine vorhanden: entweder verheimlichte dieser Brief nichts und war nur der freie Ausdruck der Empfindungen des jungen Mannes, solchen falls hätte sie ihm für dieses stolze Zartgefühl nur danken müssen, oder er enthielt den Nachgedanken, den wir soeben ausgesprochen haben, und dann konnte er Diana nicht beleidigen, weil er ihrer Unentschlossenheit einen Weg darbot.

Die Marquise nahm ein Blatt Papier und schrieb:

»Madame de Lys bittet Herrn Paul Aubry, sie morgen von 2 bis 4 Uhr zu besuchen. Sie wünscht von ihm die Erklärung eines Briefes zu erhalten, den sie eben empfangen hat und dessen Inhalt sie nicht vollständig fassen kann.«

Sie sagte die Wahrheit

Hierauf schrieb sie an den Marquis, daß sie ihren Entschluß geändert habe und ihn nun nicht besuchen würde.

Sie ließ den Brief an Paul besorgen und erwartete mit Ungeduld den folgenden Tag.

Den folgenden Tag um 2 Uhr meldete man den Maler an.

»Sie haben mich zu sehen gewünscht, Madame,« sagte er, »ich stehe zu Ihrem Befehl.«

»Ich bin Ihnen für diesen Gehorsam verbunden, mein Herr, aber wie ich Ihnen geschrieben habe,« entgegnete die Marquise, »so wünschte ich von Ihnen die Erklärung einer dunkeln Stelle des Briefes, den Sie mir gestern geschickt haben.«

»Nun, Madame,« sagte Paul, welcher die Marquise betrachtete und welcher, indem er sah, mit welch kalter Ruhe sie diese Worte sprach, das zu bezweifeln begann, was er gesehen hatte.

»Sie haben sich getäuscht, mein Herr, wenn Sie glauben, daß ich Ihnen ein Almosen geben wollte. Wenn Sie übrigens von einem Ringe, welcher mich Ihnen verrathen hätte, sprechen, so scheint es mir,« fuhr Madame de Lys lächelnd fort, »daß Sie mich ganz wohl kannten, als Sie zu mir kamen.«

»Das.möchte ich nicht sagen« Madame.«

»Was denn?«

»Madame, wollen Sie mir erlauben offen mit Ihnen zu reden?«

»Reden Sie.»

»Werden Sie mir verzeihen?«

»Er zweifelt i« dachte Diana. »Ja,« sagte sie laut.

»Nun, Madame, einer meiner Freunde,« erzählte Paul, indem er die Marquise aufmerksam betrachtete, »hat mich eines Tages gefragt, ob ich ihm mein Zimmer abtreten wollte.«

»Und weshalb?«

»Um dort eine Person zu empfangen die er in ihrer Wohnung nicht empfangen konnte.«

»Ich sehe nicht ein, in welchem Zusammenhange der Dienst, um welchen Sie Ihr Freund ersuchte, mit einem meiner Ringe und mit mir steht.«

»Sie werden es gleich einsehen, Madame.«

»Nun?«

»Mein Freund kam alle Abende zu mir, und empfing dort eine Person. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß es eine Frau war. Eines Abends vergaß diese Frau in meinem Zimmer einen Ring, welchen mein Freund den folgenden Tag zurückverlangte. Dieser Ring ist an Ihrem Finger, Madame.«

»Sind Sie davon überzeugt?« frug Diana, welche sich so ruhig und würdig zeigte, daß Paul, je weiter er in seiner Erzählung vorschritt, desto weniger seinen Augen traute und desto mehr mit der Antwort zögerte.

»So überzeugt als man es sein kann.«

»Nun?«

»Nun, ich habe gedacht, Madame, als ich diesen Ring an Ihrem Finger sah, und dies müssen Sie mir verzeihen ich habe gedacht, sage ich, daß diese Frau, welche ich nicht kenne und welche mein Freund empfing, Sie wären, und daß Sie aus Erkenntlichkeit für meine Gastfreiheit mir, einem armen Manne, der Ihnen das Mittel gewährt hat, den Mann zu sehen, welchen Sie liebten, hätten ein Geschenk machen wollen.«

Bei dieser Folgerung erbleichte die Marquise ein wenig, sie schlug die Augen nieder und sagte:

»Sie haben sich geirrt, mein Herr.«

Paul verneigte sich, nicht wie ein von der Wahrheit überzeugter Mensch, sondern wie ein Mann der eine Frau nicht Lügen strafen will.«

»Sie scheinen zu zweifeln?« entgegnete Diana, welche sich mit der stummen Antwort Pauls nicht begnügen konnte.« —

»Gott bewahre, Madame; dieser Ring gleicht aber so merkwürdig demjenigen, welchen ich gefunden habe, daß jeder Andere an meiner Stelle sich getäuscht hätte, und daß . . .«

»Und daß?«

»Und, daß ich mich noch täuschen würde.«

»Nun, Sie müssen sich überzeugen. Dieser Ring gehört mir nicht, sondern einer meiner Freundinnen welche mir ihn geliehen, damit ich mir einen ähnlichen besorgen könnte.« —

»Und seit welcher Zeit, Madame, hat Ihre Freundin Ihnen diesen Ring geliehen?«

»Seit zwei Tagen.«

»Verzeihen Sie mir also, Frau Marquise; aber weil wir gerade diese Angelegenheit besprechen, so erlauben Sie mir die Frage, von wem Ihre Freundin diesen Ring hat?«

»Von ihrer Mutter.«

»Von ihrer Mutter, eben das hat mir mein Freund gesagt, als er mich frug, ob ich diesen Schmuck gefunden hätte. Nun, Madame,« sagte Paul lächelnd, »wir sind nun beide in ein Geheimniß eingeweiht, dessen unfreiwilliger Verräther ich bin.«

»Kommt meine Freundin immer noch Abends zu Ihnen?« frug die Marquise, welche Paul veranlassen wollte, sie um den Namen dieser Freundin zu fragen.

»Nein, Madame, er hat Frankreich verlassen.«

»Und ist dies Ihrem Freunde schwer geworden? Wie heißt er?«

»Maximilian.«

»Herr Maximilian nun?«

»Ich muß gestehen, Madame, daß er nicht sehr geliebt zu werden schien; war dies aber der Fall, so hat sie durch diese Trennung viel leiden müssen.«

»Der Thor,« murmelte Diana. »Wenn nur ihr Mann von diesem Vergnügen nichts weiß,« entgegnete sie laut. —

»Er ist eifersüchtig?«

»Sehr eifersüchtig. Er hat Grund, denn sie ist sehr schön.«

In diesem Augenblicke klingelte man.

Diana hörte den Bedienten öffnen, und sie schien die Stimme Marcellinens wiederzuerkennen welche man verabschiedete. Denn wie man sich erinnert, hatte Diana einen Befehl gegeben, welchen sie nur für Paul aufgehoben hatte.

Sie klingelte.

Ein böser Gedanke durchkreuzte ihren Geist.

»Wer ist an der Thür?« sagte sie zu ihrer Kammerjungfer.

»Madame Delaunay,« antwortete diese.

»Warum tritt sie nicht ein?«

»Sie haben den Zutritt verboten.«

»Für sie aber nicht.«

Und indem die Marquise aufstand, eilte sie selbst in das Vorzimmer und rief Marcellinen welche schon aus der Treppe war.

»Komm doch,« sagte sie zu ihr, »ich bin stets für Dich da.«

Und sie umarmte sie mit den Worten:

»Du siehst doch diesen Ring?«

»Ja.«

»Nun Du wirst mich vor der anwesenden Person fragen ob ich einen ähnlichen besorgt habe, ich werde Ja sagen und Du wirst ihn dann zurückverlangen als wenn er Dir gehörte, und ihn dann an Deinen Finger stecken. Verstehst Du mich?«

»Vollkommen. Erkläre mir aber dieses neue Geheimniß.«

»Du wirst es später erfahren Wir wollen jetzt eintreten.«

Paul stand mit Aufregung auf, als er Madame Delaunay erscheinen sah.

 

»Ich war bei Ihnen mein Herr,« sagte sie zu ihm.

Paul verneigte sich und setzte sich gleich den beiden Damen.

Das Gespräch lenkte sich natürlich auf einen anderer Gegenstand, als den welchen man besprach, als Marcelline eintrat.

Die Marquise gab Marcellinen ein Zeichen.

»Apropos, Diana,« sagte diese, »hast Du Deinen Ring bestellt?«

»Ja, gestern.«

Paul richtete mit Schrecken die Augen auf Madame Delaunay. Man konnte sagen daß sein Leben an den Lippen Marcellinens hing.

»Dann hast Du den Meinigen nicht mehr nöthig.« sagte Marcelline, welche nicht wußte, welche Rolle ihre « Freundin sie bei dieser Gelegenheit spielen ließ, und welche wie immer gutmüthig das that, um was die Marquise sie bat.

»Nein,« sagte Diana, »und ich gebe Dir ihn zurück.«

Marcelline steckte den Ring auf ihren Finger.

Ein kalter Schweiß floß von Pauls Stirn. Bleich wie der Tod fiel er auf seinen Stuhl zurück.

»Es ist nicht meine Schuld,« sagte die Marquise ganz leise, indem sie sich ihm näherte.

Paul strengte sich an und stand auf, um von den beiden Damen Abschied zu nehmen.

»Madame,« sagte er hierauf mit einer fast sichern Stimme, indem er sich an Marcellinen wendete, »es ist unnöthig, daß Sie sich inkommodieren um mich weiter zu besuchen. Ich kann jetzt dieses Portrait sehr gut ohne Sie vollenden In zwei Tagen wird es fertig sein und Sie können es drum holen lassen.«

Und nachdem er gegrüßt hatte, verließ er das Putzzimmer Thränen standen in seinen Augen.

»Hast Du nicht bemerkt, wie traurig Herr Aubry aussah, als er ging? sagte Marcelline.

»Ja.«

»Was hatte er denn?«

»Ich weiß nicht. Beunruhigt Dich das sehr?«

»Keineswegs. Nur aus Neugierde frug ich so. Jetzt erkläre mir, warum Du mich vor ihm diesen Ring von Dir hast zurückfordern lassen welcher mir nicht gehörte, und nimm ihn zurück.«

Diana, ziemlich überrascht durch diese Frage, begnügte sich in Ermangelung eines Besseren zu antworten:

»Es ist ein Spaß, von welchem ich später sprechen werde und welcher auf Maximilian Bezug hat.«

Während dieser Zeit kam Paul in seine Wohnung.

Es dürfte uns schwer werden das wiederzugeben was in dem Herzen und dem Geiste des Malers vorging.

»Also, sagte er zu sich, während er in die Märtyrerstraße einlenkte, »also, Marcelline war die Geliebte Maximilians. Also, diese Frau, welche mit ihm alle Abende zu mir kam, war sie! Also wurde ich in sie verliebt, ich, der ich ihr mein Zimmer geliehen hatte, um dort einen Andern als mich zu sehen.«

Und Paul fühlte den innern Schmerz sich vermehren.

Als er in sein Atelier eintrat und das Portrait Marcellinens wiedersah, sagte er:

»Wer hätte jemals gedacht, wenn er sie hier eintreten sah, diese ruhige und lächelnde Frau daß sie in ein Zimmer träte, in welchem jeder Gegenstand sie an ihr Vergehen erinnern mußte! Diese Frau hat also weder Geist noch Scham! Es ist herrlich,« sagte sich Paul, »sie wird mir meine Gastfreiheit haben bezahlen wollen seidene sie mich ihr Portrait malen ließ. Und doch hatte ich die Marquise in Verdacht!«

Und wir überlassen es dem Leser, die anderen Klagen zu errathen welche der Maler gen Himmel über diesen Gegenstand richtete.«

Wie man sieht, hatte Diana Alles recht getroffen.

Doch Aubry war ein Mann er sah ein daß er sich nicht so schlagen lassen durfte, er setzte sich nieder zur Arbeit, indem er in Eile dieses Portrait vollendete wollte, dessen Anblick in jedem Augenblicke seine Erinnerungen zurückrief und fortwährend seinen Schmerz erneuerte, einen tiefen ernsten Schmerz, denn der Mauer leidet wahrhaft, wenn er an ein und demselben Tage fühlt, daß er eine Frau liebt, und daß er sie nicht mehr lieben kann.

Am dritten Tage nachher war das Portrait vollendet, und der Mann welcher es einrahmen sollte, holte es ab.

Während dieser letzten Tage war Paul fast unaufhörlich von seiner Wohnung fern gewesen.

Als das Portrait Marcellinens sein Atelier verlassen hatte. frug er sich, was er thun wollte. Alles um ihn her war düster und öde.

Er erinnerte sich seiner Mutter, und entschloß sich, sie zu besuchen damit sein Schmerz wenigstens Jemand zum Besten gereiche.

Er bestellte für den folgenden Tag einen Platz auf der Post.

Im letzten Augenblicke der Abreise schrieb er der Marquise:

»Madame!

»Ich verlasse auf einige Zeit Paris, aber ich will mich nicht entfernen ohne Sie zum letztere Male wegen der sonderbaren Verachtung welche ich einstmals gegen Sie zeigte, um Verzeihung gebeten und die Versicherung meiner Dankbarkeit und vorzüglichen Hochachtung erneuert zu haben.«

Als Diana diesen Brief empfangen hatte. eilte sie zu dem Maler.

Hätte sie ihn gefunden so würde sie für ihren Besuch diesen fast natürlichen Vorwand gebraucht haben, daß sie selbst ihm ihre Verzeihung bringen und wegen der besprochenen Gemälde mit ihm weiter reden wollte.

Paul hatte seinen Brief in derer Augenblicke abgeschickt, wo er in den Wagen steigen wollte, und Vater Fremy konnte der Marquise nur sagen daß der Maler zu seiner Mutter nach Tours gereist wäre.

Diana empfand Paul gegenüber das, was dieser Marcellinen gegenüber fühlte. Je mehr Aubry sich überzeugte, daß er eine Frau liebte, welche geliebt hatte und vielleicht noch einen Andern liebte, und zwar unter den obere erwähnten Verhältnissen desto mehr fühlte er, wie schwer es ihm werden dürfte, seine Liebe aus seinem Herzen zu verdrängen. Je mehr Diana überzeugt war. Daß Paul an sie nicht sehr dachte, und vielmehr Madame Delaunay liebte, desto mehr fühlte sie ihren Geist bedrückt.

Die Liebe, welche mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, gleicht in hohem Grade einem Feuer, welches man durch die Ueberdeckung mit ungeheuern Holzstücken ersticken will. Es kommt der Augenblick, wo es die Hindernisse, die man ihm entgegenstellt, überwindet und in hellen Flammen ausbricht.

Für den Augenblick hatte Diana, welche, weil ihr Gatte verreist war, frei war. die Idee, nach Tours zu reisen. Was sollte sie dort thun? Sie wußte es nicht; aber was sollte sie in Paris? Sie blieb jedoch, denn wenn sie nach Tours reiste, so hätte sie sich der Gefahr ausgesetzt, Paul zu sehen, und dadurch hätte sie ihm vielleicht stillschweigend gestanden, was Diana nicht einmal sich selbst zu gestehen wagte.

Sie sprang hierauf von einem Extrem zum andern über, und versuchte sieh zu überzeugen, daß, wenn sie ernstlich auf einige Tage ihre Gedanken von Paul ablenken würde, sie alsbald denselben vergessen dürfte.

Die Marquise that wirklich ihr Möglichstes. Sie empfing zahlreiche Gesellschaften, ging fleißig in’s Theater, machte Einkäufe, Bestellungen aller Art und viele Ausgaben; sie that überhaupt alles Das, was sie thun konnte, und überzeugte sich endlich, daß ein ihr bisher unbekannt gebliebenes Bedürfniß sich ihrem Herzen fühlbar gemacht hatte.

Diana suchte die Bekanntschaft aller jungen Leute, welche wegen ihrer geistigen Vorzüge und ihres Vermögens allgemein geachtet wurden, aber wider ihren Willen lenkten sich ihre Gedanken immer wieder Aubry, und ihr Herz wünschte ganz entschieden den Besitz der Liebe, welche auf einige Zeit Bertha inspirirt hatte.

Als Diana zu dieser festen Ueberzeugung gekommen war, sagte sie bei sich:

»Ich will noch ein wenig Alles ruhig abwarten; aber wenn sich in einigen Tagen in meinem Leben Nichts ändert, so werde ich nach Tours reisen, es mag daraus folgen, was Gott will, wenn ich ihn nur sehe.«

Es ist nämlich zu bemerken, daß die Eigenliebe der Marquise bei dem Allen im Spiele war.

Paul war neben ihr gewandelt, ohne daß er ihre Schönheit zu bewundern schien, ohne zu fühlen daß er geliebt war. Bis jetzt hatte die Marquise durch Aubry gelitten, er dagegen nur durch Marcelline.

Diana mußte sich also entschädigen.

Die Marquise, jung, schön, launenhaft, anspruchsvoll, konnte sich bei dem Gedanken gar nicht beruhigen, daß es in der Welt einen Mann gäbe, den sie liebte, sie, welche glaubte, niemals einen Mann lieben zu können, und daß derselbe es nicht bemerkt haben sollte.

Unterdeß war Paul in Tours angekommen und von seiner Mutter mit der Freude empfangen worden, welche jede Mutter bei der unerwarteten Rückkehr ihres herzlich geliebten Kindes empfindet.

Die düstere Stimmung des Malers war dem wachsamen Blicke der alten Frau nicht entgangen, und sie fühlte sogleich, daß sie ihren Sohn nicht allein lieben, sondern auch erheitern mußte.

Das Haus der Mutter Aubry lag nach den Feldern zu, aber man befand sich im Anfange des Decembers, die letzten gelben Blätter unterlagen dem kalten Wehen des Winters. Die Natur hatte ihren poetischen Anstrich und den herbstlichen Schmuck beinahe ganz verloren.

Die großen Bäume zitterten vor Frost wie Kranke, welche nichts besitzen, womit sie ihre abgemagerten Glieder bedecken können, und der betrübte Blick des Malers suchte an dem weiten Horizonte, der sich vor ihm ausbreitete, vergeblich einen Trost in seiner Trauer.

Der moralische Schmerz hat mit dem physischen Schmerze das gemein, daß der, welcher ihn fühlt, ihn beständig erneuert, statt ihn zu beruhigen. Die Natur läßt ein beseligendes Gefühl beim Uebermaße des Schmerzes eben so empfinden wie das Uebermaß des Vergnügens mit Schmerz verbunden ist.

So war Paul, welcher kurz vorher sich frug, ob er Marcelline liebte, von seiner Liebe zu ihre überzeugt, seitdem er glaubte, daß sie die Geliebte des Herrn Maximilian gewesen war.

Ohne den Vorfall mit dem Ringe, ohne die Lüge Dianas hätte Paul in Marcellinen auch fernerhin das gesehen, was sie wirklich war, eine keusche und tugendhafte Frau, er hätte ihr Portrait vollendet, und früher oder später hätte er das Gefühl unterdrückt, welches sie ihm eingeflößt hatte, und sich einfach gesagt: »Diese Frau könnte ich geliebt haben,« und alles wäre gesagt gewesen.

Seine Mutter und seine Schwester erkundigten sich vergeblich nach der Ursache seines Kummers.

Er litt bei dem Verluste dieser geträumten Liebe mehr, als er gelitten hätte, wenn diese Liebe wirklich vorhanden gewesen wäre, und zum Beweise hiervon dient der Umstand, daß die Abreise Bertha’s ihm einen geringern Kummer verursacht hatte. als der war, welchen Diana ihm verursacht hatte.

Wir wiederholen es, die Natur, welche Paul umgab, war unvermögend, seine Gedanken zu zerstreuen. Sie glich einem düstern Schatten auf einem traurigen Gemälde.

Er konnte weder seiner Mutter noch seiner Schwester die Krankheit seines Geistes gestehen, und er that diesen Lieben wehe, ohne selbst zu genesen.

Eines Abends war der Tag Paul viel länger und düsterer als gewöhnlich erschienen, der Regen hatte nicht aufgehört, und unter dem Vorwande einer Arbeit war er in dem kleinen Zimmer des Obergeschosses im Hause der Mutter geblieben, welches er stets bewohnt hatte.

In einem dieser Momente, wo die Vernunft dem Drange des Herzens nicht zu widerstehen vermag, wo der blos einem einzigen Gedanken hingegebene Geist sich zu erquicken nöthig hat,I wäre auch die Quelle, woraus er sich erfrischt, vergiftet, fühlte sich Paul gezwungen, nach Paris zu reisen, und empfand einen brennenden Durst, Marcellinen wiederzusehen, wohin dies auch führen möchte.

Hierauf frug er sich muthlos, was ihm dieses Wiedersehen nützen sollte, und dennoch war es nothwendig, daß er ihr auf irgend eine Weise seine Gefühle mittheilte. Kurz, ohne jemals dieser Frau gesagt zu haben, daß er sie liebte, konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, ihr Vorwürfe über ihre Liebe zu einem Andern zu machen, als wenn er ein Recht gehabt hätte, von ihr Rechenschaft über ihr Leben zu fordern.«

Wie dem auch sei, das Herz des jungen Mannes war in diesem Augenblicke zu voll, als daß es dieses Uebermaß in irgend einen Gegenstand nicht hätte sollen überströmen lassen; unwillkürlich legte er ein Blatt Papier vor sich und schrieb beim Lampenscheine, während der Regen an die Scheiben seines Fensters schlug, den Kopf auf seine linke Hand gestützt, an Marcelline Folgendes:

»Madame!

»Verzeihen Sie mir diesen Brief, den Sie lesen, aber ich leide in meiner Einsamkeit und meinem Schmerze so Vieles durch Sie, daß ich mich an Sie wenden muß.

»Es scheint mir, daß es mich etwas tröstete wird, wenn ich mich bei Ihnen über Sie beklage.

»Sie haben einmal in meiner Gegenwart von der Frau Marquise de Lys einen Ring zurückverlangt, welchen Sie ihr geliehen hatten. Diese Worte, welche Sie sprachen, ohne den Einfluß zu ahnen, den sie aus mich haben mußten, haben mir ein Geheimniß entdeckt, welches ich noch nicht kannte und welches ich nie hätte erfahren mögen. Diesen Ring haben Sie bei mir zurückgelassen, Sie haben ihn am folgenden Tage durch Maximilian zurückfordern lassen. Sie haben ohne Zweifel diese Kleinigkeit vergessen, dadurch aber daß ich Sie diesen Ring zurückverlangen hörte, und in Ihnen Diejenige erkannte, welche Maximilian in meiner Wohnung empfing, habe ich, Madame, mehr gelitten, als ich sagen kann.

 

»Warum mußten Sie diesen Mann lieben? warum mußte ich es wissen? Warum hat es Gott gefügt, daß ich bei Ihrem Liebesverständniß mich betheiligte und mich zu einem Vertrauten desselben gemacht, da ich doch nur das Opfer desselben werden mußte?

»Wenn ich damals, als ich Sie zum ersten Male sah gewußt hätte, wer Sie waren, so würde ich meinen Geist nicht auf dem Wege haben fortgehen lassen, welcher zu Ihnen führte, und Sie nicht geliebt haben denn ich würde in Ihnen nur eine gewöhnliche Frau gesehen haben, während ich Sie jetzt liebe und das unglücklichste Wesen bin, welches aus dieser Erde leidet.

»Was bezweckt dieser Brief? Ich weiß es selbst nicht. Wozu dient dieses mit Vorwürfen gemischte Geständniß? Ich kann es nicht sagen. Beweist es nicht, Madame, daß ich sehr leiden muß, um Ihnen das zu schreiben, was ich eben schreibe?

»Wüßten Sie nur Alles! Ich habe Paris verlassen, mein Zimmer, wo ich ununterbrochen an Ihre Liebe zu einem Andern erinnert wurde.

»Ich weiß nicht, was ich durch diese Zeilen erreichen will, noch viel weniger, was ich damit thue. Nur das glaube ich, daß, wenn ein Wort von Ihnen in meine Einsamkeit herüberklänge, und wenn Sie meinen Kummer dermaßen verstünden, daß Sie sich mir zu schreiben, wären es auch nur Vorwürfe, gezwungen sähen, ich sehr glücklich sein würde.«

Aubry bedachte nicht, was aus diesem etwas unvorsichtig abgefaßten Briefe resultieren konnte; er zog aber im Voraus dieses Resultat, welches es auch sein mochte, dem Gedanken vor, daß Marcelline mit demjenigen unbekannt war, was in seinem Innern vorging.

Er versiegelte den Brief, und trotz des Regens besorgte er ihn selbst auf die Post.

Als er das, was er eben gethan hatte, nicht mehr rückgängig machen konnte, verstand er erst die Größe des Versehens, dessen er sich schuldig gemacht hatte.

Denn abgesehen von manchen Nebenumständen, dachte er mit Schrecken daran, daß dieser au Madame Delaunay adressierte Brief in die Hände ihres Mannes fallen könnte, und sah die schrecklichen Folgen voraus, welche erhaben konnte. Er war im Begriff auf ein Pferd zu springen und den Briefträger an der Thür der Madame Delaunay zu erwarten, um diesen unbesonnen geschriebenen Brief wieder in Empfang zu nehmen.

Während dieser Zeit rollte der Brief nach Paris, so ruhig, als wenn es ein einfacher Geschäftsbrief gewesen wäre und die Ehre und Ruhe einer Frau nicht in seiner Gewalt gehabt hätte.

Am Morgen des dritten Tages darauf trat der Briefträger in die Straße Vaugirard No. 3.

»Ein Brief von Tours,« sagte er, »an Madame Delaunay, acht Sous.«

In diesem Augenblicke ging Herr Delaunay hinunter. Er nahm den Brief, welchen man seiner Frau eben gebracht hatte.

»Ein Brief von Tours!« sagte Herr Delaunay, indem er das Siegel und das Couvert betrachtete. »Wen zum Teufel kennt sie in Tours?«

Hierauf trat er in das Zimmer seiner Frau und gab ihr den Brief.

Marcelline nahm den Brief und betrachtete ihn einige Zeit.

»Du kennst also Jemand in Tours?« sagte der Mann ohne alles Mißtrauen, aber mit einem Gefühl einer sehr natürlichen Neugierde.

»Niemand,« entgegnete Marcelline und brach das Siegel auf; »ich kenne selbst diese Schrift nicht.«

Und sie sah sogleich nach der Unterschrift des Briefes.

»Nun,« sagte sie, »er ist von Herrn Paul Aubry, welcher mein Gemälde gefertigt hat. Was kann er uns zu sagen haben? Lies selber.«

Marcelline gab das Papier Herrn Delaunay zurück.

Wir glauben nicht nöthig zu haben, das Erstaunen desselben bei der Lectüre dieses Briefes zu beschreiben.

Er sah seine Frau an, die sich ruhig an ihre Stickereiarbeit zurückgesetzt hatte.

»Wer ist denn Herr Maximilian?« sagte er.

»Dieser junge Mann schrieb an Dianen. Handelt dieser Brief von ihm?«

»Lies ihn,« sagte Herr Delaunay, indem er seiner Frau das Papier wieder überreichte.

Diese schlug ihre Augen auf und sah ihren Mann wie eine Marmorsäule erblassen.

»Was hast Du denn?« sagte sie zu ihm.

»Nichts. Lies, ich wiederhole es.«

Marcelline nahm den Brief und las.

»Was soll das heißen?« sagte sie mit einem Male, Thränen des Schmerzgefühls in den Augen. »Was soll dieser unverschämte Brief bedeuten?«

»Schwörst Du mir zu,« sagte Herr Delaunay, »daß Du diesem jungen Manne kein Recht gegeben hast, Dir so zu schreiben?«

»Ich schwöre es, mein Lieber.«

»Nun, was bedeutet dieser Brief?«

»Ich weiß es nicht.«

»Welche Bewandniß hat es mit dem Ringe, von dem er spricht?«

»Diana ist die Ursache davon.«

»Hatte ich Dir nicht gesagt, daß Deine zu große Gefälligkeit Dir einst Verdruß bringen würde?«

»Aber Diana wußte offenbar nicht, was sie that.«

»Was hat sie denn gethan?«

Marcelline erzählte ihrem Manne, wie sie bei ihrem letzten Besuche von der Marquise ersucht worden wäre, einen Ring, als sich gehörend, in Gegenwart des Herrn Aubry zurückzufordern.

»Woher kannte denn Herr Paul Aubry diesen Ring?«

»Diana hatte ihn, wie es scheint, eines Abends bei ihm vergessen.«

»Sie ging also zu ihm?«

»Sie traf bei ihm mit Maximilian zusammen.«

»Du hast mir nie etwas davon gesagt. Wie dem auch sei,« entgegnete Herr Delaunay, dieser junge Mann liebt Dich also?«

»Es scheint so, erwiderte Marcelline mit einem sehr natürlichen Tone.

»Und Du, »frug Herr Delaunay, »liebst Du ihn?«

Marcelline sah ihren Gatten an.

»Sei kein Thor,« sagte sie endlich.

»Also hat niemals ein Wort Herrn Aubry ermächtigt, das zu thun, was er heute thut?«

»Niemals. Uebrigens ist dies aus seinem Briefe leicht selbst zu ersehen.«

»Du weißt, daß ich Dir immer blind glaube, Marcelline,« sagte Herr Delaunay, faßte seine Frau bei der Hand und umarmte sie. »Ein großer Theil meiner Liebe ist auch nur die Folge meines Zutrauens. Aber einsehen mußt Du, daß Du von heute an alle Beziehungen zu Deiner Freundin aufgeben mußt. Willst Du das wahre Sachverhältniß hören?«

»Sprich.«

»Nun! Diana, deren Geliebter seit acht Tagen verreist ist, ist in Herrn Paul Aubry verliebt.«

»Es ist unmöglich!«

»Herr Paul Aubry hat offenbar am Finger der Marquise den Ring gesehen, den er gefunden hatte, und damit ihr neuer Geliebter ihr keine Vorwürfe zu machen hätte, so hast Du den ganzen Vorfall auf Deine Schultern nehmen müssen. Du warst während Herrn Pauls Anwesenheit gekommen, und um diesen noch mehr zu überzeugen, hat sie Dich das sagen lassen, was Du eben gesagt hast.«

»Warum schreibt aber Herr Paul an mich?« frug Marcelline.«

»Weil, entgegnete Herr Delaunay, »die Marquise in ihn und er in Dich verliebt ist. Heute haben wir nur ein unkluges Verhalten zu bereuen, später dürfte Deine Ehre gefährdet sein. Laß Deine anständige, schöne Freundin nach ihrem Gefallen alle möglichen Excentritäten begehen, mische Dich aber nicht mehr darein, ich bitte Dich darum.«

Marcelline umarmte ihren Mann mit den Worten:

»Sei ruhig!«

»Und jetzt,« sagte dieser, seinen Hut nehmend, »gehe ich fort, denn Du weißt, daß ich heute zeitig ausgehen muß.«

Marcelline begleitete ihren Mann bis in den Hausflur, und sagte ihm zum letzten Male lächelnd Lebewohl.

Herr Delaunay ging von seiner Frau eben so ruhig und vertrauensvoll fort, als er es eine Stunde vorher und bisher immer gewesen war.«

Als Marcelline allein war, sagte sie bei sich:

»Ich kann den Umgang mit Dianen nicht ohne Weiteres aufgeben, sie wird meine Gründe einsehen, denn sie ist gut, obschon etwas unverständig.«

Sie schrieb also an die Marquise, und wie man sehen kann, war der Brief ohne Anschuldigungen und Vorwürfe.

»Meine liebe Diana.« schrieb sie ihr« »Du hast, ohne es zu wollen, rücksichtlich des Ringes, den Du mich in Gegenwart Herrn Aubry’s hast zurückfordern lassen, mich eine große Unvorsichtigkeit begehen lassen. Ich habe Alles gethan, ohne etwas davon zu verstehen, und ungeachtet des empfangenen Briefes, den ich Dir mitschicke, verstehe ich noch nichts davon. Herr Delaunay, in dessen Hände dieser Brief gefallen war, hat mit Recht mich auf einen Augenblick im Verdacht gehabt.«

»Du kennst, Diana« meine große Liebe zu Dir, denn ich kenne Dein gutes Herz, aber ich habe einen Mann, dessen Glück zu gründen ich bemüht bin, und sehe mich bisweilen genöthigt, ihm meine anderen Neigungen zu opfern. Du wirst also nicht unwillig aus mich sein, wenn Du mich etwas seltener, als früher, siehst.

»Ich grüße Dich tausendmal herzlich!«

Marcelline fügte diesem Briefe den von Paul empfangenen bei und schickte das Ganze der Marquise zu.