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Buch lesen: «Der Pastor von Ashbourn», Seite 12

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Ich irrte mich nicht.

Es war eine zweite Auflage der Untersuchung, welche mich die gute Madame Snart hatte anstellen lassen, als sie mich in dem Pfarrhause von Ashbourn empfangen.

Aber welcher Unterschied in der Absicht, mein lieber Petrus! – Bei Madame Snart war es Dankbarkeit; bei Madame Smith war es Verführung.

Eben so sehr, wie Madame Snart leicht zu meinem Herzen gelangt war, eben so sehr beschloß ich daher auch, mit aller Kraft meines Willens gegen Mistreß Smith zu wirken.

Endlich, als sie sah, daß ich trotz der Musterung, die wir über alle ihre Reichthümer angestellt hatten, kalt und fast stumm geblieben war, sagte sie zu mir:

– Lieber Herr Bemrode, ich glaube zu bemerken, daß Sie ein sehr uneigennütziger Mann sind.

Ich machte mit dem Kopfe ein Zeichen, welches andeutete, daß sie sich nicht irrte.

– Sie haben Recht, sagte sie zu mir, die Uneigennützigkeit ist eine um so lobenswertere Tugend, als sie selten ist. Aber, glauben Sie mir, der vernünftige Mann, – und ich halte Sie für einen eben so vernünftigen als uneigennützigen Mann, – der vernünftige Mann verachtet diesen rechtschaffenen Wohlstand nicht, ohne welchen die Ruhe des Geistes und der Frieden des Gewissens bestehen kann, aber ohne dem kein wirkliches Glück besteht. Mit Schulden in die Ehe einzutreten, ist ein schlechter Anfang des gemeinschaftlichen Lebens, glauben Sie es mir. Man schläft gut auf einem Strohsacke von Maisblättern, aber man schläft noch besser auf guten Matratzen von Roßhaaren und von Wolle. So bringt ein Mann wie Sie zuverlässig seiner Frau genug mit, wenn er eine gute Pfarre, wie die von Ashbourn und ein schönes Talent, wie Ihr Talent mitbringt; aber in diesem Falle ist es nöthig, daß die Frau von ihrer Seite auch etwas mitbringt, eine Aussteuer, wo nicht an Geld, doch wenigstens an schöner Wäsche und an schönen Möbeln. Sie haben, wie ich vermuthe, zuweilen daran gedacht, lieber Herr Bemrode?

Der Angriff war so direct, daß ich meine Nerven sich zusammenziehen fühlte.

– Niemals, Madame, antwortete ich.

– Wie! niemals? rief sie aus; Sie haben niemals daran gedacht, sich zu verheirathen?

– Das sage ich nicht, Madame, antwortete ich, ganz im Gegentheile; ich habe viel daran gedacht, besonders seit einiger Zeit.

– Seit einiger Zeit? erwiederte Madame Smith mit einer Stimme, deren Aufregung sie nicht zu verbergen vermochte; aber sollten Sie denn bereits Ihre Gefährtin gewählt haben, sollten Sie die Gattin Ihres Herzens angetroffen haben?

Ich wollte, um welchen Preis es auch sein möchte, selbst um den Preis einer Lüge, dieser Zudringlichkeit ein Ende machen.

– Ja, Madame, sagte ich zu ihr, und seit langer Zeit.

– Dann wollen Sie sich also verheirathen?

– Ich erwartete dazu nur meine Ernennung als Pastor.

– Und jetzt, wo Sie es sind? . . .

– Jetzt wird hoffentlich der Erfüllung meiner Wünscht nichts mehr entgegen sein.

– O mein Gott! flüsterte Madame Smith, indem sie eine Hand auf ihre Brust legte, wie als ob sie einen Stoß mitten in das Herz erhalten hätte, und die andere auf die Lehne eines Stuhles stützte, wie als ob sie unter dem Stoße wankte.

Aber sie erholte sich fast sogleich wieder.

Ich muß Ihnen gestehen, mein lieber Petrus, daß ich nach diesem Geständnisse eine Veränderung in ihren Manieren erwartete, und sogar auf diese Veränderung rechnete, um in meinen Augen die Sünde zu entschuldigen, die ich dadurch begangen hatte, daß ich eine so große Lüge sagte.

Aber, ganz im Gegentheile, ein aufrichtiges Lächeln, obgleich es nicht frei von einer gewissen Schwermuth war, zeigte sich auf ihren Lippen und indem sie mir die Hand reichte, die sie einen Augenblick lang auf ihr Herz gedrückt hatte, sagte sie zu mir:

– Entschuldigen Sie mich, mein lieber Herr Bemrode, ich wußte das nicht und ich hielt Sie für frei.

Bei diesen Worten, bei diesem Ausdrucke, bei diesem Lächeln sah ich ein, daß ich mich in der Würdigung geirrt hätte, die ich vielleicht ein wenig oberflächlich über den Charakter der Madame Smith angestellt, und indem ich die Hand ergriff, welche sie mir reichte, sagte ich stammelnd zu ihr:

– Ich bitte Sie im Gegentheile, mich zu entschuldigen, liebe Madame Smith.

– Und weshalb, sagte sie, darum, daß Sie glücklicher sind, als ich es glaubte? O! nein! nein! keinen Rückhalt mehr, weder in meinem Geiste, noch in meinem Herzen, lieber Herr Bemrode; Sie lieben Jemand: die reine Liebe, die uneigennützige Liebe ist das edelste, ich möchte sagen, das heiligste unter allen Gefühlen. Von diesem Augenblicke an werde ich jeden Tag, Morgens und Abends für Sie und Ihre geliebte Gefährtin zu Gott beten; Sie lieben sich, ich habe Ihnen also nichts zu wünschen, als etwa, daß diese Liebe bis zum Grabe dauert. Sie sind gut, Sie sind gelehrt, Sie sind fromm, Ihr e Gemeinde liebt Sie, bewundert und achtet Sie; Sie haben ein gutes Herz und ein gutes Gewissen, das ist Alles, was es bedarf, um den Segen des Himmels zu erlangen: Gott ertheilt Ihnen den seinigen, wie ich, die arme Frau, Ihnen den meinigen ertheile. Der Segen Gottes ist das größte Gut, das der rechtschaffene Mensch auf dieser Welt wünschen kann. – Nun denn! lieber Herr Bemrode, sprechen wir nicht mehr davon. Möge Ihre Frau sanft, fromm, liebend sein . . . möge sie Sie eben so glücklich machen . . . als . . . (sie unterbrach sich und änderte rasch ihre Aeußerung) als . . . als ich mich bemüht habe, Herrn Smith glücklich zu machen . . . der gleichfalls ein würdiger Mann ist. Kommen Sie, mein lieber Herr Bemrode, Sie haben nichts mehr zu sehen, und ich habe Ihnen unglücklicher Weise nichts mehr zu zeigen.

Indem sie hierauf eine verstohlene Thräne abtrocknete, ging sie die Treppe hinab.

Ich folgte ihr ganz gerührt und selbst bereit zu weinen, ohne recht zu wissen, ob ich sie enttäuschen oder in dem Irrthume lassen sollte.

Aber bevor ich einen Entschluß gefaßt, hatte sie die Thür des Salons aufgemacht.

– Mein Freund, mein Kind, sagte sie, indem sie sich an ihren Gatten und an ihre Tochter wandte, ich habe Euch eine angenehme Neuigkeit zu melden: unser lieber Nachbar, der Pastor Bemrode, wird sich mit einer Person verheirathen, die er liebt, und die ihn hoffentlich eben so glücklich machen wird, als er es zu sein verdient.

Der Pastor blickte seine Frau mit triumphirender Miene an. Jenny stieß einen Ausruf aus, der einem Freudenschrei glich, und eilte aus dem Zimmer.

.Ich sah, ich gestehe es, diese Entfernung, über welche ich mir keine gehörige Rechenschaft ablegte, mit einem gewissen Erstaunen.

Aber Herr Smith ließ mir nicht die Zeit, mich damit zu beschäftigen.

– Kommen Sie her, mein junger Freund, sagte er zu mir, indem er mir beide Hände reichte. Ich verstehe, warum Sie meiner Frau dieses Geständniß gemacht haben, und ich schätze Sie deshalb nur um so mehr.

Indem er sich hierauf nach Madame Smith umwandte, sagte er:

– Nun denn! Mutter, jetzt sind wir ungezwungen – und wir werden weit heiterer zu Mittag essen, als wir gefrühstückt haben. – Ich muß Ihnen etwas sagen, mein lieber Nachbar, fügte er lachend hinzu, was Sie bereits bemerkt haben, – nämlich, daß die Mutter, diese vortreffliche Frau hier, nach dem Guten, was ich ihr bei meiner Rückkehr von Ashbourn über Sie gesagt, sich eine gewisse Angelegenheit in den Kopf gesetzt hatte. Arme, liebe Frau! Glücklicher Weise hat Gott mit Ihrer Hilfe zugelassen, daß ihre Thorheit von kurzer Dauer war. Daher die Reise nach Chesterfield, um dieses abscheuliche Damenkostüm zu kaufen, unter welchem man Ihnen, ohne mich davon zu benachrichtigen, unsere Jenny gezeigt hat; daher die doppelsinnigen Worte über die Verheirathung; daher die Zurschaustellung aller unserer armseligen Reichthümer. – Wozu hat Dich das geführt, Frau? zu dem Einsturze Deiner Hoffnungen. Ach! ich sagte Dir es noch heute Morgen: die Schleichwege taugen nichts: sobald man sie betritt, hat man zwei Gefährten, von denen der eine voran, der andere hinterher geht, voran der Zweifel, hinterher die Bangigkeit. Seit heute Morgen wanderst Du so, Frau, und ich sah Dich voller Betrübniß, und ich möchte Dir fast sagen, voller Scham, bei jedem Schritte straucheln; Du schlugst einen falschen Weg ein. Unser Freund hat Dich wieder auf den rechten Weg geführt. – Ich danke! Nachbar Bemrode. Die Lection ist gut gewesen, ich hoffe, daß sie Nutzen bringen wird.

– Mein Freund, sagte Madame Smith, entschuldige mich! Entschuldigen Sie mich, Herr Bemrode! Aber ich habe geglaubt, daß es nicht verboten wäre, der Vorsehung ein wenig zu helfen.

– Frau, erwiederte der Pastor, merke Dir wohl Folgendes: die Vorsehung, die Tochter Gottes, schwebt so hoch über unseren Häuptern, daß alle die kleinen Mittel, die wir anwenden können, um sie unseren Launen zu unterwerfen, nicht bis zu der Hälfte der Höhe reichen, wo sie sich aufhält. Das Gebet allein steigt bis zu ihr auf. Frau, was in den Nachschlägen Gottes liegt, wird sich immer ereignen, möge der Mensch sich darein mischen oder nicht darein mischen. Und das ist ein großes Glück, denn Gott weiß besser, was er uns verweigern oder bewilligen muß. Danken wir daher Gott, selbst für das Unglück, das er uns sendet; denn das, was wir als ein Unglück betrachten, ist zuweilen nur der Anfang unserer Glückseligkeit.

– Dem sei so! flüsterte traurig Madame Smith.

In diesem Augenblicke ging die Thür des Salons wieder auf. Ich wandte mich bei dem Geräusche um, und vermochte nicht, mich zu enthalten, einen Ausruf des Erstaunens und der Freude auszustoßen.

Es war Jenny, aber nicht mehr so, wie sie uns verlassen hatte, das heißt, mit ihrem gepuderten Zopfe, mit ihren steiffrisirten Haaren, mit ihren unter der rothen und weißen Schminke verlorenen rosigen Haut, ihrem Kleide von durchwirktem Pekin, ihren riesenhaften Reifröcken und ihren Pantoffeln mit hohen Absätzen, sondern Jenny, mit ihrem mit Kornblumen bekränzten Strohhute, ihren in dem Winde wallenden blonden Haaren, ihrem frischen Gesichte, ihrem weißen Kleide und ihrem blauen Gürtel.

Sie trat lachend und hüpfend ein, ganz vergnügt, zugleich ihrer Toilette und meiner entledigt zu sein, zwei Dinge, die sie sehr zu belästigen schienen.

– Lieber Herr Bemrode, sagte sie, meine Mutter hat Ihnen ihre Wäsche, ihre silbernen Löffel und ihre schönen Schränke von Nußbaumholz gezeigt. Kommen Sie mit mir, ich will Ihnen meine Blumen, meine Hühner, meine Vögel zeigen; Sie werden mir von Der sprechen, welche Sie lieben, und die sehr schön sein muß, und ich werde Ihnen von Ihrer Predigt sprechen, die sehr schön war.

Ich wandte mich nach Herrn und Madame Smith um, wie um sie um die Erlaubniß zu bitten, die Einladung des anmuthigen Kindes anzunehmen. – Geht! geht! sagte der Vater zu mir, Gott will, was er will, und der Mensch ist nur das blinde Werkzeug dieses Wissens.

Ich nahm rasch den Arm Jenny’s und verließ mit ihr das Zimmer.

Zweiter Band

I.
Der Spaziergang

Habe ich nöthig. Sie daran zu erinnern, mein lieber Petrus, daß ich kaum fünf und zwanzig Jahre alt war, und daß Jenny nur neunzehn zählte?

Wir waren weniger in dem Leben vorgerückt, als es die Natur in dem Jahre war: die Natur war in dem Monat Juni, und wir waren erst, Jenny in dem April, und ich im Mai.

Unsere beiden Herzen blühten daher auch wie die Schlüsselblumen, welche den Weg schmückten, und die Veilchen, die ihn mit Wohlgeruch erfüllten. Wir enteilten daher auch ganz vergnügt dem Auge der Eltern, wie der Vogel Jennys aus seinem Käfig flog. Man hätte sagen können, daß wir wie er Flügel hätten.

Sie fragen sich vielleicht, lieber Petrus, ob alle diese Freude, alle dieses Glück, alle diese Heiterkeit der Seele wohl in Uebereinstimmung mit meinem Stande als Pastor und der Sendung waren, dir er mir auferlegt.

Ja, lieber Freund, ja, denn das Glück macht die gut, welche schlecht sind, die besser, welche gut sind; ja, denn ich fühlte mich besser, als ich es gewesen war; ich hätte die ganze Welt an meine klopfende Brust drücken mögen; ich hätte die Blumen meines Kranzes auf den Schritten der Menschheit ausstreuen mögen.

Wenn mir ein Bettler begegnet wäre, so würde ich ihm die Guinee und die wenigen Schillinge geschenkt haben, die mir übrig blieben. Wozu hatte ich Geld nöthig? War ich nicht reich durch meine Liebe und durch mein Glück? War ich nicht reich durch diesen Schatz, den ich verloren glaubte/ und den ich wieder gefunden hatte? Durch dieses schöne junge Mädchen mit blonden Haaren, mit blauen Augen, mit einem Strohhute, mit dem weißen Kleide; durch dieses junge Mädchen, das sich auf meinen Arm stützte, wie als ob sie meine Schwester wäre, und für die, ich fühlte es wohl, ich mehr als ein Bruder war?

Aber sie hielt mich in ihrer Unschuld in Wahrheit für einen Freund, für einen Spielgefährten, für den Gast ihres Vaters, für nichts Anderes.

Wie sie mir gesagt, führte sie mich hin, ihre Hühner zu sehen, die bei ihrem Anblicke herbeieilten, ihre Tauben, die auf der Stelle um sie herumflogen.

– O mein Gott! sagte sie, die armen Kleinen, ich habe ihr Futter vergessen. . . . Das ist das erste Mal, daß sie getäuscht sein werden, indem sie mir entgegen kommen!

– Sie machen diese armen Thiere sehr egoistisch, liebe Jenny, wenn Sie annehmen, daß sie nicht auch ein wenig für Sie selbst kommen.

– Gleichviel, sagte sie, ich will diese Erfahrung nicht machen, die vielleicht zu meiner Schande ausfallen würde. . . . Lassen Sie uns Gerste holen.

Wir eilten, von den Hühnern, gefolgt, die hinter uns her trippelten, und von schönen weißen und anmuthigen Tauben, die um uns herum flatterten, nach einer Art von Schoppen.

Ein an seiner Kette liegender Hund that Alles was er vermochte, um sie zu zerreißen und uns nachzuspringen; er heulte halb vergnügt, Jenny zu sehen, halb traurig, ihr nicht schmeicheln zu können. Er war außer sich, nicht an diesem allgemeinen Feste Theil nehmen zu können, dem sich der Hühnerhof zu Ehren Jenny’s hingab.

Selbst zwei Enten, ein Männchen und ein Weibchen, von einem Dutzend Jungen gefolgt, die durch die allgemeine Anziehungskraft aus der kleinen Pfütze gelockt waren, in der sie plätscherten, liefen hinter uns, indem sie die Nachhut dieser ganzen gefiederten Schaar bildeten.

Unter dem Schoppen stand ein Kasten; in diesem Kasten befanden sich alle Arten von Getreide, das für die Gäste des Hühnerhofes bestimmt war.

Hühner, Enten und Tauben kannten diesen Kasten gar gut, den die Hühner gackernd, die Enten schnatternd, und die Tauben girrend begrüßten.

Ich erhob den Deckel des Kastens, dem ich meinen Kopf zum Stützpunkte gab, was uns allen beiden erlaubte, mit vollen Händen daraus zu schöpfen.

Hierauf, als unsere Hände gefüllt, ließ ich den Deckel des Kastens wieder zufallen.

Sie werden sich eines reizenden Kupferstiches nach einem französischen Gemälde erinnern, mein lieber Petrus, das den Titel hat: Die kleine Pächterin?

Es ist eine schöne, junge Frau, die von einer ganzen geflügelten Welt umringt ist, welche ihre Nahrung erwartet.

Jenny war das Original des Gemäldes.

Die Hühner flatterten, um ihre Hände zu erreichen; die Tauben setzten sich auf ihre Schultern; die Enten richteten sich ungeschickter Weise auf ihren Füßen auf, indem sie mit den Flügeln schlugen.

Ich wich einen Augenblick lang zurück, um ganz nach meinem Gefallen die Königin des geflügelten Reiches zu sehen, und obgleich meine beiden Hände mit Korn gefüllt waren, so verließ doch keines von Jenny’s Unterthanen seine Gebieterin für mich.

– Sie sehen, liebe Nachbarin, sagte ich zu ihr, daß Sie undankbar gegen diese armen Thiere waren.

– Warten Sie, sagte sie, und sie streute ihr Korn aus. Die ganze gefiederte Familie fiel über dieses Korn her, das in einem Augenblicke verschwand.

Hierauf blieb alles das mit dem Auge und dem Schnabel in der Luft, indem es schwermüthig den Kopf umwandte und mit dem Auge blinzelte, um zu sehen, ob das wirklich Alles wäre, was man von der kleinen Pächterin erwarten dürfte.

– Da! sagte Jenny, jetzt ist an Ihnen die Reihe! Und ich rief nun auch die Hühner, die Enten und die Tauben mit der Stimme und der Geberde.

Bei dem Regen von Korn, den ich um mich herum verbreitete, verließ der ganze Hof Jenny’s seine Gebieterin, um mich als seinen König zu begrüßen, mit Ausnahme einer schönen weißen Taube, welche, auf der Schulter des jungen Mädchens geblieben, ihre rosigen Lippen mit ihrem rosigen Schnabel liebkoste, und keine andere Nahrung nöthig zu haben schien, als die Küsse, die sie gab und empfing.

– Nun denn! liebe Jenny, sagte ich zu ihr, Sie sehen, daß es treue Herzen auf dieser Welt giebt!

– Ja, antwortete sie lächelnd, vielleicht eines unter fünfzig, ich weiß es.

– Und, erwiederte ich ihr, ist das nicht viel, oder ist das vielmehr nicht genug?

Sie nahm ihre Taube zwischen ihren beiden Händen, küßte sie ohne zu antworten, und warf sie in die Luft.

Aber statt nach dem Taubenschlage zurück zu kehren, wohin man sie zu senden schien, flog diese während einiger Augenblicke mit einem kreisförmigen Fluge um Jenny herum, und kehrte zurück, um sich wieder auf ihre Schulter zu setzen. Selbst von ihrer Gebieterin fortgejagt, wollte sie dieselbe nicht verlassen.

– Da haben Sie den Beweis, Jenny, fügte ich lächelnd hinzu, daß es nicht allein treue Herzen, sondern auch noch ergebene Herzen giebt.

Der Hund bellte immer noch vor Freude und spannte seine Kette nach seiner Gebieterin.

– Lassen Sie den armen Gefangenen nicht zu sehr auf Ihren Besuch warten, sagte ich zu ihr, er würde einen Theil seines Werthes verlieren.

Wir schritten mit dem ganzen Gefolge der Hühner und der Enten, die an unsere geringsten Schritte gefesselt schienen, nach der Hütte zu.

– Das ist Fidel, sagte Jenny, in Ihrer Eigenschaft als Nachbar müssen Sie Bekanntschaft mit ihm machen. Lassen Sie ihn selbst los, damit diese Bekanntschaft von Ihrer Seite mit einem erwiesenen Dienst, und von der seinigen mit der Dankbarkeit anfängt.

Ich machte Fidel los, der in Mitte der Hühner, der Enten und der Tauben lustig zu springen begann, ohne sich darum zu bekümmern, wohin er seine Pfoten setzte.

Die Tauben flogen davon, die Hühner wurden scheu, die Enten erreichten auf das schnellste ihre Pfütze wieder.

Es war Jenny zunächst, an welche sich die ersten Freudenbezeigungen Fidels richteten. Dann kam er in der gerechten Vertheilung seiner Danksagungen nachher zu mir. Zwei oder drei Schmeicheleien, die ich ihm machte, ließen unter uns einen Anfang von Freundschaft entstehen.

– Jetzt, sagte Jenny, kommen Sie, meine Blumen zu sehen.

Ich hatte keinen anderen Willen als den des schönen jungen Mädchens; es schien mir, daß es mein Beruf wäre, hinter ihr zu gehen, diesen Hals, diesen Wuchs, diese Füße zu bewundern, die so schlank, so fein, so leicht waren, daß ich mit jedem Augenblicke fürchtete, dieses luftige Ganze Flügel annehmen und wieder gen Himmel auffliegen zu sehen, indem es mich allein auf der Erde zurückließe!

Jenny machte eine nach der andern zwei Gitterthüren auf, und wir befanden uns in einem reizenden kleinen Garten voller Blumen, in welchen Fidel mit dem Entzücken der Freiheit stürzte, indem er den Schmetterlingen nachsprang und auf der Verfolgung der Vögel bellte.

Jenny rief ihn zurück: Vögel und Schmetterlinge waren die Gäste des jungen Mädchens, und da sie wußten, daß sie nichts von ihr zu fürchten hätten, so kamen die einen wie die anderen gewöhnlich, um sie herum zu flattern.

Fidel gehorchte, beruhigte sich und folgte ernsthaft den Alleen, statt ausgelassener Weise über die Beete zu springen.

Dieses Reich der Blumen war ein Anhang von dem Reiche Jenny’s. – In Mitte der Rosen, der Schwertlilien, der Anemonen, der Hyacinthen und der Tulpen, schien Jenny eine freie, lebendige, mit der Macht, sich zu bewegen, begabte Blume; sie sprach zu allen diesen glänzenden und wohlriechenden Pflanzen, wie sie mit ihren Hühnern, ihren Tauben und ihren Enten sprach; jede Blume hatte für Jenny nicht allein ihren Blumennamen, sondern auch noch ihren Freundschaftsnamen; sie war die ältere Schwester dieser ganzen Familie, welche sie seit dem Frühlinge wie eine Mutter gepflegt hatte; sie erzählte mir das Unwohlsein dieses Lilas, die Krankheit jener Ranunkel; sie rühmte mir die gute und kräftige Gesundheit dieser Balsaminen . . .

Auf der anderen Seite hätte man sagen können, daß die Blumen ihr wie mit Gefühl begabte Wesen dankbar wären; man hätte sagen können, daß, wenn ihre Wohlgerüche sich zuweilen weit stärker erhoben, es eine Huldigung war. welche die zärtlichsten ihr erwiesen. Man hätte endlich sagen können, daß das sanfte Erbeben, welches der Wind veranlaßte. dessen Hauch sie zu ihren Füßen beugte, nichts Anderes wäre, als die Anziehungskraft, welche sie auf die schweigsamsten und die liebevollsten ausübte. . . .

Ohne Zweifel war das nur Täuschung, aber es schien mir, als ob die Rosenstöcke bei ihrem Vorüberkommen ihre Zweige ausstreckten, um sie zurück zu halten, daß die Lilas ihre Büsche wallen ließen, die Jasmine ihren Schnee schüttelten, und daß diese ganze wohlriechende Welt ihre Gegenwart durch den Gesang der Nachtigallen, der Zeisige und der Meisen begrüßte, die so gut in den blühenden Dickichten verborgen warm, daß es unmöglich war, zu wissen, ob es die Wohlgerüche wären, welche Stimmen, oder die Stimmen, welche Wohlgerüche hätten.

An einer Ecke des Gartens angekommen, welche durch eine kleine Thür auf die Wiese führte, legte Jenny ihren Finger auf den Mund, um mir Schweigen zu gebieten.

Ich schwieg, sie ging noch weit leiser, um mir anzudeuten, kein Geräusch zu machen, und ich folgte ihr, indem ich auf den Zehen ging. So gelangte sie als die erste zu einem dichten Gebüsch von Schneebällen und Lilas, das sich vor einer Gruppe grüner Bäume befand; sie schob vorsichtig die Zweige zurück, und zeigte mir mit einer Bewegung des Auges und der Augenbrauen ein in dem Laube des Baumes verborgenes Nest.

Ich hatte anfangs einige Mühe, es zu erblicken, so künstlich war es von der klugen Vorsicht der geflügelten Baumeister verborgen; es war ein Nest von Schwarzköpfchen; – die Mutter saß darauf.

– Fürchte dich nicht – kleine Mutter, sagte Jenny mit ihrer lieblichen Stimme, und indem sie die Hand ausstreckte, ergriff sie leicht die Mutter, und hob sie von dem Neste auf, in welchem ich fünf hellgraue Eier mit dunkelgrauen Flecken sehen konnte.

– Oh! sagte ich zu ihr, sie brütet . . . setzen Sie sie geschwind wieder auf ihr Nest. . . Sie wissen, daß die Vögel ihr Nest verlassen, wenn sie bemerken, daß man es berührt hat.

– Die anderen Vögel vielleicht, sagte Jenny, aber nicht die meinigen . . . Sie werden sehen.

Und sie näherte den Vogel ihren Lippen und küßte ihn, dann den meinigen und ich küßte ihn auch, worauf sie das arme kleine Thier wieder auf sein Nest setzte.

Das Schwarzköpfchen spreizte sogleich seine einen Augenblick lang zusammengedrückten Federn, und vertiefte sich in die Höhlung, die es gänzlich mit seinem Körper bedeckte.

– Sehen Sie, sagte sie zu mir, indem sie sich nach mir umwandte, es entflieht nicht einmal.

Ich nickte mit dem Kopfe.

Ich sah in der That, aber durch eine Wolke: indem sie mir den Vogel zum Küssen reichte, hatte Jenny mir auch ihre Hand gereicht, so daß meine Lippen den Kopf des Vogels ein wenig, und die Hand des jungen Mädchens viel berührt hatten.

Jenny lächelte in ihrer Unschuld; sie hatte diesen mit einem Vogel getheilten Kuß nicht einmal gefühlt, der, indem er sie gleichgültig ließ, mir einen so süßen Schleier über die Augen warf.

Sie bemerkte indessen die Art von Verblendung, von der ich befallen war.

– Sie haben keinen großen Strohhut wie ich, lieber Herr Bemrode, sagte sie, so daß die Sonne Ihnen weh thut. . . . Gehen wir ein wenig in den Schatten.

Und sie öffnete die Thür des Gartens, welche auf eine schöne mit Bäumen bedeckte Wiese führte, unter deren Schatten Fidel voraussprang, und wohin wir Beide dem Hunde folgten.